[11] Das Todtengericht oder Geschichte der Pyramiden von Dsyse.

Hatten die Begebenheiten des tugendhaften Thonis und der Königin Faöué einige Reize für Euch, so werdet Ihr vielleicht begierig seyn, auch etwas von den Schicksalen ihrer Nachkommen zu hören. Vernehmt was Almé Euch hierüber sagen kann.

Sollte irgend eine Tugend übertrieben werden können, so war es die Bescheidenheit, welche den Sohn des Baumeisters von Elephantine selbst nahe am Throne nicht verließ. Er achtete sich glücklich, der Gemahl der angebeteten Faöué zu seyn, König von Egypten wollte er nie heißen.

[11] Faöués Räthe fanden dieses sehr gut, sie ergab sich endlich drein, aber das Land befand sich desto schlimmer dabey. Wie beglückt würde es ein Weiser wie Thonis gemacht haben! – Gehet in seine Geschichte zurück, wie ich sie Euch neulich erzählt habe, und suchet in derselben die Richtigkeit dieser Behauptung.

Nicht immer belohnt der Himmel die Tugend mit langem Leben. Die Ausübung redlicher kindlicher Liebe soll, nach der Meynung der ältesten und weisesten Völker der Erde, diesen Lohn besonders zu gewarten haben, aber wer war in diesem Stück vollkommener gewesen als Thonis und Faöué, und doch wurden sie dieser Erde frühzeitig entrissen; vielleicht um größern Lohn guter Thaten in beglücktern Welten desto eher zu empfangen.

Die Söhne dieser beyden Lieblinge der Gottheit, die Prinzen Cheops und Chephres, blieben, nach dem Tode ihrer Aeltern, unmündig und ungebildet, der Aufsicht der Reichsräthe von Egypten überlassen, unter welchen kein Tugendhafter, kein [12] Weiser sich befand, der, eingedenk seiner großen Pflicht, Egyptens Wohl in Egyptens künftigen Herrschern geehrt, und sie der Weisheit und Tugend erzogen hätte.

Cheops, der ältere der beyden Prinzen, wuchs unter der Sklaverey des Lasters heran, und Chephres, der jüngere, war ein Schwächling, welcher sich dem, was man ihm vorsagte, gemächlich anschmiegte, alles gehen ließ, wie es ging, und aus eben dem Grunde sich mannigfachen Ausschweifungen überließ, aus welchem er tugendhaft gewesen seyn würde, hätte man ihm die Tugend bequem gemacht.

Als Cheops in seinem achtzehnten Jahre den Thron bestieg, war er schon alle Schulen des Lasters durchgegangen; das Land bebte seiner Regierung entgegen, es ließ sich voraussehen, daß mehrere Macht von ihm zu verneueten, zu ungeheuren Verbrechen würde genützt werden. Die Geschichte nennt sie; die Sage, welche die Ruhe tugendhafter Zuhörer schont, braucht sie nicht zu wiederholen.

[13] Unter den Priestern zu Sais gab es zu selbiger Zeit, da selbst in den Göttertempeln das Laster wohnte, noch einige fromme Weise, welche mit Abscheu sahen und hörten, was König Cheops that, und die bey der Stimme des gedrückten Volks nicht taub, nicht unempfindlich blieben. Der vornehmste von ihnen, – ihm war die Gabe der Weissagung verliehen, – nahm seinen Stab in seine Hand, und ging nach der Hauptstadt, den Tyrannen die ernste Stimme der Wahrheit hören zu lassen.

König Cheops ließ ihn vor sich, um seiner zu spotten, auch nahm er ihn mit Ehrfurcht auf, um den Hohn, mit welchem er ihn zuletzt entlassen wollte, desto blutiger zu machen; aber es war sonderbar, die Götter, welche dem Propheten seine Worte in den Mund gelegt hatten, theilten denselben auch diesesmal mehr Kraft mit, als sonst Weissagungen zu haben pflegen, und vernichteten die Absicht des gekrönten Bösewichts.

Gezwungen mußte der Tyrann nicht allein hören, sondern auch aufmerken; der [14] Aufmerksamkeit folgte mächtige Erschütterung, und dieser würde Reue und Besserung gefolgt seyn, wenn es der göttlichen Weisheit anständig wär, die Freyheit menschlicher Entschließungen weiter, als auf einen gewissen Grad, zu beschränken.

Cheops war zu verderbt, als daß er da, wo eine übernatürliche Kraft nicht mehr wirken konnte oder wollte, noch hätte fähig seyn sollen, recht zu handeln. Seine Aufmerksamkeit, seine Erschütterung war ein Werk des Himmels, war alles, was dieser noch für ihn thun konnte, weiter hinaus blieb der unglückliche König sich selbst überlassen, und neue Abgründe des Lasters thaten sich auf, wo vergütende Tugenden hätten anfangen sollen.

Besonders mächtig hatte der Prophet von den Strafen des Lasters jenseit des schwarzen Sees geredet. Kein Schatten, rief er, kein Schatten, der mit Blut und Thränen der Unterdrückten befleckt, vor den Todtenrichtern dort drüben erscheint, erhält den Zutritt in die Wohnungen der Freude, ihm droht ein schrecklicheres [15] Schicksal, als die Qualen des flammenden Pfuhls, die den Pöbel schrecken.

Hat die Verwesung die letzten Grundtheile des Leichnams zerstört, der der lasterhaften Seele zur Hütte diente, so ist sie verdammt, in andre Körper zu wandern, und unter tausendfachen Peinigungen abzubüßen, was sie im Leben verbrach. Zu den Thieren verstoßen krümmt sich dann der Tyrann unter den Füßen derjenigen, die er im Leben folterte. Als Wurm wird er von der Sohle des Armen, dessen Henker er war, zertreten; als Roß oder Esel von dem gedrückten Landmann gemishandelt und mit unerträglichen Lasten belegt; als Hund muß er bey Schätzen wachen und hungern, die er nicht genießen kann. Doch die ärgste Strafe droht ihm dann, wenn ihn das Schicksal wieder in einen menschlichen Körper verweist. Völliges Bewußtseyn von dem, was er ehemals war, und was er verbrach, kehrt alsdann in seine Seele zurück, und der, welcher sich fühlt, daß er ehemals als ein vergötterter, allgegebietender König herrschte, sieht sich nun, [16] voll Verzweiflung, einen verachteten, misgestalten, gemishandelten Sklaven derer, die er in seiner tyrannischen Hoheit oft kaum für Menschen hielt.

König Cheops konnte den Propheten vor Entsetzen nicht weiter hören, er winkte, daß er sich entfernen sollte, und der Bote des Himmels nahm aus seiner Erschütterung, aus der Verzweiflung auf seinem Gesicht, aus der Angst, mit welcher er die Hände rang, und sich in das Innerste seiner Zimmer verschloß, eine gute Hoffnung für die Besserung des Tyrannen, welche vermehrt wurde, als er des andern Tages Befehl erhielt, wieder nach Hofe zu kommen.

Prophet, sagte der König, welcher heut etwas beruhigt schien, ist das, was du mir gestern vortrugst, gewisse, ungezweifelte Wahrheit?

Wahrheit, fest und unerschütterlich, wie die ewigen Lichter des Himmels!

Wenn beginnt jenes ruchlose Wandern der unglücklichen Seele, dessen Schilderung ich nicht zum zweytenmale zu hören verlange?

[17] Sobald sie aller Bande des Körpers los ist.

Und dauert?

Dreytausend Jahr.

Was wird dann hernach?

Gereinigt und geläutert erhebt sich die Seele zu den Sternen.

Aber, gesetzt nun, dein Leichnam könnte dreytausend Jahr der Verwesung trotzen?

Rede nicht von dem meinigen, Tyrann! Und, ob ich heute unter deinem Schwerde bluten müßte, ich hätte keine Aussicht vor mir, als die, auf endloses Glück.

Aber gesetzt nun, du oder ich, würden nach dreytausend Jahren noch von den ungelösten Banden des Körpers, vor jener schrecklichen Wanderung geschützt?

Was dann geschäh, das weiß nur die Gottheit, die vielleicht dann sich versöhnen ließ, aber dieses weiß ich, daß du von Unmöglichkeiten sprichst.

[18] Geh, sagte Cheops, der sich mit einer triumphirenden Mine vom Throne erhub, der Wink, den du mir zuletzt gabst, rettet dein Leben! Geh zurück nach Sais, du sollst bald von mir hören.

Der Prophet hob seine Hände zum Himmel auf, und weinte Freudenthränen; er gab den Reden des Königs eine ganz andere Deutung, als ihnen zukam. Er glaubte Egypten gerettet, und sich das glückliche Werkzeug, einen Lasterhaften der Tugend wiedergegeben zu haben. Ihr, meine Zuhörerinnen, werdet aus diesem Zuge urtheilen, daß dieser gute Mann frömmer, als weise war.

Zu Sais feyerte man die Bekehrung des Königs mit heiligen Festen. Der 1 [19] himmlischen Jungfrau flammten unzählige Lampen, und das Orakel in der heiligen Höle gab Antwort. Es war an Tagen, wie diesem, nur erlaubt, die Göttin um das Wohl des Landes zu fragen; aber die Antwort, die der Prophet diesesmal erhielt, mußte nicht günstig gewesen seyn, denn er verbarg sie dem Volke und den Priestern. Bleich vor Entsetzen und mit Thränenströmenden Augen, trat er aus dem Heiligthum. Laßt uns tief anbeten im Staube, sagte er zu der harrenden Menge, vor der Gottheit, die ihre Wege vor uns verbirgt! Freuet euch heute noch, weil ihr euch freuen könnt, ob auch der morgende Tag Botschaft bringen möchte, daß eure Freude eitel war.

Was der Prophet gesagt hatte, das erwies sich in wenig Tagen. Aus der Hauptstadt kam Nachricht, daß der König fürchterlicher zu wüten begönne, als jemals; nach einer langen Berathschlagung zwischen ihm und seinen Lieblingen, die nicht besser waren, als er, ging ein Gebot aus in alle Gegenden des Königreichs, welches [20] allem Handel und Gewerbe einen gänzlichen Stillstand auflegte. Alle Mannspersonen, von funfzehn bis zu fünf und sechzig Jahren, sollten erscheinen vor dem Throne des Tyrannen von Egypten, und vernehmen, was er zu gebieten habe.

Jedermann muthmaßte auf einen nutzlosen Kriegszug, dergleichen der König ohne das kleinste Talent zum Eroberer zu haben, schon mehr begonnen, und dabey Heere unschuldiger Unterthanen auf die Schlachtbank geliefert hatte. Mütter letzten sich mit den Söhnen, Kinder mit den Vätern, Schwestern mit den Brüdern, Bräute mit ihren Verlobten, hier galt es nimmer wiedersehen; man wußte schon, wie König Cheops zu kriegen pflegte: Was das Schwerd schonte, das fraß der Hunger, oder ansteckende Seuchen; nie ward die kleinste Anstalt gemacht, einem von diesen alles verzehrenden Uebeln vorzubeugen. Rastete nur der Tyrann von Egypten samt seinen Lieblingen ruhig und im Ueberfluß in ihren Gezelten, oder konnte er aus der fernen Hauptstadt, das Gerücht von dem hören, [21] was geschehen war, vorschreiben, was sich nicht anders, als mit Strömen von Menschenblute ausführen ließ, und meistern und strafen, was selbst um diesen Preis unausführbar war, so mochte alles andere hingehen.

Man hatte sich indessen diesesmal in der Meynung von den Absichten des Königs geirrt. Die Tausende, welche vor seinem Throne mit banger Erwartung ihres Schicksals erschienen, wurden nicht hingesandt in das eiserne Gefild des Kriegs, wurden nicht mit Schild und Schwerd, sondern mit andern Werkzeugen bewaffnet, die ihnen bald noch schwerer zu führen werden sollten als jene, bey welchen man doch wenigstens auf schnellen und ehrenvollen Tod hoffen kann, welcher allemal lebenslanger Sklavenarbeit vorzuziehen ist.

Nachdem der König die zahllose Menge seiner Unterthanen gemustert, und die schwachen und untauglichen zurück geschickt hatte, nebst den hinterlassenen Weibern und Greisen das Feld zu bauen, theilte er die übrigen, und sandte das eine Drittheil in [22] Granitbrüche von Syene und Elephantine, die beyden andern in die Gebürge von Oberegypten und in die Wüste am rothen Meer, wo man einen Stein gräbt, der schon einmal die Gewalt des Feuers scheint ausgehalten zu haben, und der damals jedem Element unzerstörbar geachtet wurde.

Die Geschäfte, welche hier den Sklaven des Despoten, – Sklaven nennte er alle seine Unterthanen – angewiesen wurden, waren alle von einerley Gattung. Der reichste und angesehenste der Egyptier wurde hier dem Niedrigsten gleich geachtet, alle wurden als Steinarbeiter und Bauleute angestellt, und die Felsmassen die man dem Schoos der Erde entriß, waren sowohl der Menge als der Größe nach ungeheuer.

Was man zu Tage förderte, das ward auf die Höhe von Dsyse gebacht, wo schon andere Werkleute beschäftigt waren, unter Anführung eines Weisen aus dem Tempel des Typhon zu 2 Papremis einen Theil des [23] Berges zu ebenen und den Grund zu einem Gebäude abzumessen, von dessen Umfang ihr euch mit eigenen Augen überzeugen könntet, – (denn noch trotzt es der Zeit, und wird ihr wahrscheinlich bis zum letzten Brande der Erde trotzen) – wenn nicht eine Reihe von Jahrhunderten, die zwischen unsern und König Cheops Zeiten verflossen sind, vielleicht den größten Theil desselben im Sande begraben hätte, so daß das, was ihr noch von denselben in der größten der Pyramiden von Dsyse erblickt, wahrscheinlich nur die 3 Spitze eines Wundergebäudes ist, das sich eben so tief in die Erde hinabdehnt, als ihr es jetzt über dieselbe hervorragen seht.

Niemand wußte was er von diesen ungeheuren Bauanstalten des Königs denken [24] sollte. Jahre gingen hin, ohne daß man sonderliche Fortschritte des Werks wahrnahm. Tausende von Menschen 4 kamen um über dem Heranschaffen der unmeßbaren Marmorblöcke aus den fernsten Gegenden Egyptens, zu welcher Arbeit man, aus einem sonderbaren Eigensinn des papremitischen Weisen, keine Thiere brauchen durfte. Eine noch größere Anzahl von Arbeitern, deren man sich bediente den Grund und die innern Theile des geheimnißvollen Baues aufzumauern, verschwand, man wußte nicht wie, wurde mit andern ersetzt, welche sich wieder verlohren, und neuen Platz machten, so daß man nicht anders glauben konnte, als diese Unglücklichen müßten mehrere etwa hier erlangte Kenntniß von Dingen, die der Tyrann mit ewigen Dunkel bedecken wollte, mit dem Leben bezahlen.

[25] Das Land schrie zum Himmel über seine Kinder, die, man wußte nicht zu welchem Ende, hier aufgeopfert wurden. Man flohe zu den Tempeln, um von den Göttern, da hier Menschen nicht helfen konnten, Hülfe zu erbitten. Auch diesen letzten Trost der Elenden versagte man der allgemeinen Noth. Die Tempel wurden verschlossen auf mehrere Jahre, kein Fest, kein Opfer wurde geduldet; die Menschen sollten nur existiren, um zu arbeiten. Selbst das Denken hätte man ihnen gern versagt, um ihre körperlichen Kräfte desto besser nützen zu können, und ungern sahen die Treiber des Tyrannen die Nacht ihren Scepter erheben, weil sie doch den Leidenden auf einige Stunden die Ruhe herbeyrief.

Noch immer konnte man den ungeheuren Bau des Despoten von Egypten mit keinem Namen nennen, und selbst ihr, ungeachtet ich euch, indem ich der großen Pyramide von Dsyse gedachte, hierüber einige Winke gegeben habe, erwartet noch Aufschlüsse von mir, die ihr erhalten sollt, so gut mir sie die Sage darbietet.

[26] Als der Prophet von Sais, in der Seele des ruchlosen Cheops durch die Stimme der Wahrheit jene große Erschütterung hervorbrachte, die ich im Vorhergehenden erwähnt habe, trat die Tugend, welche auch dieser böse König in seiner bessern Jugend kennte, aus der Dunkelheit hervor, in welcher er sie in seiner Seele verbannt hatte, und suchte ihre Rechte auf sein Herz geltend zu machen; doch ihre Stimme war schwach, sie bat nur, da das Laster laut und drohend forderte. Der König war gewohnt, die erste schweigen zu heißen, und nur das andere zu hören, so gingen die guten Rührungen vorüber, und alles was von denselben übrig blieb, war Wunsch, der gedrohten Strafe, die dem gekrönten Verbrecher so entsetzlich dünkte, zu entgehen ohne darum dem zu entsagen, was dieselbe über sein Haupt herbey rief.

Wie König Cheops fühlte, so fühlten auch die andern alle, vor deren Ohren der Prophet seine Schreckensworte geredet hatte. Einige zitterten, andere zwangen sich zu spotten, aber bey allen war der[27] Wunsch, der furchtbaren Wanderung von drey tausend Jahren zu entgehen, ihr ohne Aufopferung gewohnter Freuden zu entgehen, das letzte und stärkste Gefühl. Wünsche zogen Vorstellungen von Möglichkeit, und diese Berathschlagungen nach sich, welche noch so lange im ungewissen hin und herschwanken, bis der König von dem Propheten, dem niemand seinen Glauben versagte, so viel herausgelockt zu haben glaubte, daß es möglich sey, der Seele die Hütte, von welcher sie sich doch über lang oder kurz einmal trennen muß, mehrere tausend Jahre lang unversehrt zu erhalten, so daß sie sie nach dieser großen Epoche wieder beziehen könnte, so möchten vielleicht die ungeheuersten Verbrechen, durch eine lange thatenlose Ruhe, durch eine Art von Nonexistenz, die doch einem denkenden Wesen allemal als Strafe anzurechnen sey, für abgebüßt gehalten werden, und verneutes glücklicheres Daseyn, das man denn vielleicht besser gebrauchen könnte, dürfte alsdenn wohl von der verzeihenden Gottheit zu gewarten seyn.

[28] So räsonnirten die Weisen des Königs Cheops, und dieser, ob er gleich düsteres genug in der fernen Hoffnung fand, die hier ihm tagte, ließ sie dennoch gelten. Alles, was ihn dabey beunruhigte, war nur die Unbekanntschaft mit dem Mittel, sie zu realisiren; doch nur nicht Aenderung seines gewohnten Lebens! nur nicht jene unselige Wanderung, vor welcher sein ganzes Wesen bebte! sonst alles was man wollte, den Strahl vom Lichte heran zu bringen, den man ihm in der Ferne zeigte!

In den andern Tagen der Berathschlagung, zog man jenen schon erwähnten papremitischen Weisen mit in die geheimnißvolle Versammlung, und dieser als ein würdiger Priester der Gottheit, der er diente, gab einen Rath, dessen Folge wir bereits gesehen haben.

Gleich dem Urheber alles Bösen, gründete er das, was er sagen wollte, auf einen wahren unbezweifelten Satz, und begann darauf fortzubauen, was ihr sogleich hören werdet, und was nur dem Tyrannen [29] von Egypten und seinen Lieblingen gleich wahr und richtig dünken konnte.

Nichts ist kostbarer, begann der Sophist, als das Wohl unsers unsterblichen Theils, wir sind verbunden, es um jeden Preis zu erkaufen. Angenommen, daß die Worte des Propheten von Sais richtig sind, woran mir, einem Diener einer viel geringern Gottheit, als die Seinige – (der Heuchler sagte dieses mit verstellter Demuth) – nicht zu zweifeln gebührt, so wird nichts die Absicht des Königs besser erfüllen, als folgendes: –

Man errichte ein Gebäude, welches der Macht der Zeit und aller Elemente trotzen kann. Ein Gebäude, welches im Stande ist, gleich den Grundvesten der Erde, den ewigen Bergen, bis ans Ende der Tage auszudauern; man verschweige jedermann den Gebrauch desselben, welcher dieser sey, dereinst, – (die Gottheit entferne noch lange diesen Zeitpunkt) – den Leichnam des Königs und seiner liebsten Diener, (gilt gleich, ob auch den meinigen, da ich von der Zukunft so wenig zu fürchten habe, als [30] der Prophet von Sais) – wohl einbalsamirt vor der Verwesung zu bewahren. – Niemand kann den innern Bau der großen Begräbnißhöle, die unter meiner Aufsicht aufgeführt werden muß, niemand die innern Windungen der heimlichen Gänge, niemand Aus- und Eingang, und den geweihten Ort, wo einst nach Jahrtausenden sich Seele und Körper zu neuem Leben vereinigen werden, wissen. Wer an den Innern des großen Werks arbeitete, der sterbe! Bey welchen, außer den hier Versammelten, nur eine Möglichkeit erscheint, daß er von den Geheimnissen, die ich schaffen werde, Muthmaßung haben könne, der sterbe! – Unter der heiligen Zahl der Wissenden, die jetzt meine Worte hören, befördere einer den andern, und der letzte uns alle in die Stätte unserer Sicherheit, und dieser letzte, – (Gott gebe, unsern großen König treffe dieses Loos!) offenbare erst denn, wenn wir alle nicht mehr sind, das große Geheimniß dem Vertrautesten seines Herzens, um von ihm den nämlichen Dienst zu erhalten. Geheimhaltung ist hier nöthig, damit nicht der Pöbel, von der Sucht, gleich uns gerettet [31] zu werden, nach ähnlichen Hülfsmitteln strebe, und dadurch das Land verderbe; denn König Cheops denke sich das, was mir die Gottheit eingegeben hat, nicht leicht; Zeit, Gold, und wohl noch etwas kostbarers, als dieses, wird der Bau kosten, den ich vorschlage, und zu welchem ich morgen den Riß liefern werde. – Siehe, so retteten einst einige der ersten Söhne der Erde, durch die Geheimnisse der Baukunst, ihr Leben vor der großen Wasserfluth, siehe, so wer den auch wir nach Jahrtausenden, geschützt vor langer Quaal, aus unserer Höle, wie aus einem Tempel hervor gehen, und uns leicht zu Herrschern des alsdenn lebenden Menschengeschlechts machen können, das die herrlich erwachenden gern für Götter halten wird.

Dieser Vorschlag war es, dessen Ausführung König Cheops, mit unsäglichen Aufwand von Zeit, Geld und dem kostbarsten, was die Erde hat, von Menschenleben erkaufte; der Diener des Typhon war besonders mit dem letzten nicht sparsam, er sandte seiner Gottheit täglich Hekatomben [32] unschuldiger Schlachtopfer in den Abgrund. Das Land ward öde durch den Verheerer; aber König Cheops, wenn ihm ja einmal ein Zweifel hierüber in den Sinn kam, dachte an den Vordersatz des Weisen, daß das Wohl unsers unsterblichen Theils um keinen Preis zu theuer erkauft werden könne; er fand ihn wahr, mochte es doch mit der Anwendung beschaffen seyn, wie es wollte.

Der Prophet von Sais, welchem seine Göttin nichts von den Geheimnissen des Typhon offenbarte, war lange vor Gram über seine fehlgeschlagene Hoffnung und das verneute Wüten des ruchlosen Königs gestorben, mancher andre, der nicht des Todes starb, der täglich hier Tausende hinraffte, hatte sich mit gebrochenen Herzen hingelegt, um in einer andern Welt zu erfahren, warum die Gottheit zu dem Wüten des Lasters schweige. Ein neues Geschlecht war heran gewachsen, um bey dem Bau sein Leben aufzuopfern, den seine Väter angefangen hatten, aber die große Pyramide von Dsyse war noch immer nicht fertig. Dem Könige begann es nach und nach an [33] Menschen, und noch mehr am Gelde zu Beköstigung der Arbeiter zu gebrechen, ungeachtet diese Unglücklichen sehr elend und kärglich gespeist wurden; da hatte er einen Einfall, der euch die ganze Blöße seiner niedrigen Seele enthüllen würde, wenn ihr sie nicht schon zuvor gesehen hättet.

König Cheops hatte eine Tochter, welche man nur die schöne Suchis nannte; und schön war sie, schöner als alles, was ich hier in euch, ihr schönen Töchter Egyptens, vor mir sehe. Cheops dachte von den Reizen dieser unglücklichen Prinzessin einen Vortheil zu ziehen, welcher ihm den Bau seines kostbaren Grabes erleichtern sollte. Er hatte sich in seinen jüngern Jahren die Geschichte seiner Mutter, der Königin Faöué erzählen lassen, so gut man sie an dem sittenlosen Hofe der Pharaonen zu erzählen wußte, und ihr Aufenthalt im Tempel der zweyten Athor war ihm besonders merkwürdig gewesen. Egypten sah damals viel Fremde, welche die Neugier nach König Cheops Wunderbau herbeylockte, der Tyrann gelüstete nach ihrem Golde, und [34] dieses in seine Schatzbehälter zu leiten, sollte Suchis das Mittel werden.

Die Prinzessin war so schön, daß ein Blick von ihr mit tausend Talenten erkauft zu werden verdiente; es fanden sich der Schauer genug. König Cheops würde auch kühnere Wünsche begünstigt haben, hätten sie ihm Gold eingebracht; aber Suchis war tugendhaft, auch sagte man von ihr, sie schütze der Schleyer der Isis, ein wunderbares Gewebe, das, ohne bescheidene Blicke zurückzuscheuchen, nur den frechen eine undurchdringliche Hülle ist.

So flossen die Reichthümer der Fremden in König Cheops Schatzgewölbe über; der Pyramidenbau rückte, so wie er sich mehr und mehr zuspitzte, zusehens weiter; er war jetzt weniger gefährlich, und weniger Menschen mußten ihn, diejenigen abgerechnet, welche etwa von der unabsehlichen Höhe herabglitten, und auf den hervorragenden Steinen des schrägen Abhangs ihr Blut versprützten, mit dem Leben bezahlen, aber es fehlte doch immer noch einer, dem König[35] Cheops gern den Tod gegönnet hätte; es war der papremitische Weise, der diesen Lohn allerdings verdiente, nur von einem andern Richter als dem Tyrannen, der über Verbrecher seines gleichen nicht zu Recht sitzen konnte.

Auch wollte das König Cheops nicht; der Diener des Typhon konnte wegen keiner Sache angeklagt werden, die man laut werden lassen durfte, und die Ursach, warum er nach des Königs Willen sterben sollte, waren auch nicht seine blutigen Rathschläge, sondern nur der kleine Umstand, daß er nun geleistet hatte, was er leisten sollte, und folglich fürderhin unnütz war, wie auch, daß er Dinge wußte, deren Wissenschaft der Tyrann gern allen seinen Vertrauten entrissen hätte, wär es möglich gewesen, ohne ihre Hülfe seine weit aussehenden Anschläge auszuführen. Hätte er gewußt, welcher unter allen Kennern der Geheimnisse der Pyramiden ihn überleben würde, nur dieser eine wär geschont worden, um ihn zur dreytausendjährigen Ruhe einzuführen, die andern hätten [36] alle des Todes sterben müssen, den er dem Diener des Typhon zugedacht hatte.

Das große Begräbnißgewölbe bestand aus einer Menge labyrinthischer, durch einander gewundener, auf und abwärs gehender Schluchten, die nur nach unten zu einen bequemen Ausgang hatten, welcher sich an den Ufern eines kleinen Sees endigte, den man in dem Innern der Pyramide ausgehölt und einen Arm des Nils hinein geleitet hatte.

Ein kleines Schiff in einer verborgenen Bucht des königlichen Gartens war ganz zu der Absicht gebaut, die Fahrt in die verborgenen Gegenden auf einem drey Meilen langen Kanal, der dahin führte, ohne Gefahr thun zu können, jedes andere Fahrzeug wär wegen der mannichfaltigen Sonderbarkeiten des Wegs dazu untauglich gewesen. Dieses war der einige Zugang, der nach Endigung des ganzen Werks offen blieb, dieses der Weg, den dereinst die entseelten Leichnahme von den Mitwissern des Geheimnisses geführt werden sollten, um in jenen finstern Regionen zum [37] langen Schlafe einbalsamirt zu werden. Oberwärts sollte der Wunderbau keine Oeffnung behalten. Das Ende 5 jeder innern Schlucht verschloß ein genau passender Stein, den keine Gewalt, ohne die Kenntniß geheimer Triebfedern, heben konnte, und auch die Spitze der nun geendeten Pyramide sollte auf ähnliche Art geschlossen werden.

Schon schwebte der dazu bestimmte ungeheure Stein, mit Ketten an einem künstlichen Gerüst aufgehangen, über der Oeffnung, die er bedecken sollte. Zwanzig Werkleute, die Vertrautesten der geheimen Arbeit, unglückliche Männer, denen man nach Endigung des Werks mit verschwenderischen Belohnungen geschmeichelt, und sie dadurch zu unglaublicher Aufopferung gereizt hatte, waren noch bemüht, unter dem schwebenden Felsen, die Falzen, in welche er passen sollte, einzuarbeiten. Auf [38] gegebenes Zeichen des Herabsinkens des großen Schlußsteins, sollte schnelles Zurückziehen in eine Nebenschlucht, die so, wie die ganze Pyramide zu Herbeybringung frischer Luft enge Oeffnungen nach außen hatte, sie retten, und die bey sich habenden Werkzeuge alsdann ihnen helfen, das Tageslicht wiederzusehen; aber, daß dieses alles leere Vorspiegelungen waren und blieben, dafür hatte schon der papremitische Weise gesorgt; ihm war daran gelegen, alle Mitwisser des großen Geheimnisses zu vernichten. Zerschmettert sollten die unglücklichen Vertrauten seiner Künste werden, zerschmettert durch den herabstürzenden Schlußstein, und dieses war denn das Schicksal, daß auch ihm der Tyrann von Egypten aus ähnlichen Ursachen zudachte.

Der eine und der andere dieser Unmenschen hatte seine Maasregeln so genommen, daß der teuflische Anschlag nicht mißlingen konnte. Der Stein sank, und begrub nicht allein jene unglücklichen Zwanzig, sondern auch denjenigen, welcher den Bau, den die Menschheit immer mit Grausen ansehen [39] wird, mit Blut baute, und den schrecklichen Tod, der ihn hier traf, sowohl verdiente, als jene Elenden ihn unschuldig erlitten.

Pharao Cheops mit einer großen Volksmenge, sahe der Endigung des Werks unten in der Ebene zu. Der Stein sank. Die Geheimnisse waren durch den Tod der Elenden, die er bedeckte, auf ewig versiegelt, und mit einer Ruhe, die nach der entsetzlichsten aller Thaten undenkbar ist, zog Pharao Cheops nach der Hauptstadt zurück, um nun die Früchte seiner Mißhandlungen, deren Denkmahl jene Pyramide ist, zu genießen, das ist, Verbrechen auf Verbrechen zu häufen, ohne, wie er meynte, von der Zukunft jenseit des Grabes irgend etwas, oder allzuviel zu fürchten zu haben. Der Endzweck, den er erreicht zu haben glaubte, war in der That groß, und rechtfertigte einigermaßen alles Unbegreifliche, das noch die späte Nachwelt in dem Bau jener künstlichen Steinhaufen finden wird, zu denen die Pyramide des Pharao Cheops das Modell war.

[40] König Cheops war alt und grau über dem Pyramidenbau geworden, seiner Jahre konnten nur noch wenig auf der Erde seyn, auch legte er sich bald hin zu sterben, und das Land jauchzte einer bessern Regierung entgegen.

Als der königliche Leichnam, nach der Gewohnheit des Landes vor die Todtenrichter gebracht ward, die, zum Vorbild jener schrecklichen richtenden Mächte jenseit des Grabes, am See Meroe zu Gericht sitzen; da war die Stimme die ganzen Egyptens gegen ihn, und ihm mochte die Ehre der Beerdigung nicht verstattet werden. Die Rathssitzung, welche sonst mehrere Tage dauerte, brauchte kaum eine Stunde Zeit; die Beweise dessen, was alle Kläger klagten, lagen vor Augen. Ach, bewies nicht jener Gräuelbau auf der Höhe von Dsyse mehr, als irgend einer der versammelten Richter wußte und glaubte?

Die einzige Person, welche für den verurtheilten Todten sprach, war die Prinzessin Suchis. Thränen vertraten bey ihr die Stelle der Worte; was hätte sie auch [41] zum Beßten des gekrönten Verbrechers sagen sollen?

Suchis, antworteten ihr die Todtenrichter, entferne dich! deine Erscheinung belastet diesen Todten noch schwerer! Auch an dir ward er zum Verbrecher! Daß du Ehre und Tugend erhieltest, das danke dem Schleyer der Isis, nicht ihm! Entferne dich, und erspare uns und dir den Kummer näherer Erklärungen.

Der Sohn des nunmehrigen Thronfolgers, des Pharao Chephres, der junge Prinz 6 Mycerin, führte die schöne Suchis aus dem Gedränge. Er liebte sie, sie ihn, aber der Schleyer der Isis versagte ihr das Glück irrdischer Liebe. Nur jenseit des Grabes, so sagte sie oft zu ihm, zerreißt diese Hülle, nur dort kann ich den, dem ich mein Herz gab, frey umarmen!

[42] Gegenwärtig kannte er und sie keinen andern Kummer, als den um den verworfenen Todten. Also im Strahl der Sonne, schrie Suchis mit gerungenen Händen, sollen die Ueberbleibsel dessen modern, der mir das Leben gab? Also den wilden Thieren sollen die Gebeine eines großen Königs zum Raube werden?

Tröste dich, Liebe, antwortete Mycerin, für deinen Kummer ist Rath; oder glaubst du, daß Pharao Cheops nicht das Unglück voraus sah, das seinen Leichnam nach einem Leben, wie das seinige, betreffen mußte? glaubst du, daß er nicht hiergegen ein Mittel ersann?

Wie, Mycerin? antwortete die Prinzessin, die schnell ihre Zähren trocknete, und ihrem Freund mit erheiterten Blicken ins Auge sah. Wie? – Du setzest mich in Erstaunen!

Machte dir die Pyramide zu Dsyse nie einige Gedanken?

Wie? die Pyramide? – Erkläre dich deutlicher, und hast du Trost für mich, so verhalte mir ihn nicht!

[43] Wenn Suchis diese Nacht in männlicher Tracht an dem Kanale des königlichen Gartens meiner warten will, so soll sie mehr erfahren.

Die Liebenden trennten sich, um sich in zwölf Stunden wieder zu sehen. König Cheops Leichnam lag an den Ufern des Sees hingeworfen; das Volk, das ihn im Leben verabscheute, floh seinen Anblick. Das Krokodil aus dem Strome, der Wolf und die Hyäne aus der Wüsten kamen und suchten ihren Raub; sie fanden nicht, was Mycerins Hände schon frühzeitiger auf die Seite gebracht hatten.

Ihr werdet leicht aus der Rede des Prinzen errathen, daß er etwas von den Geheimnissen der Pyramide wußte; er war nach Pharao Cheops Tode durch Zufall ein Einverleibter des großen Begräbnißbundes geworden, aber alles hatte man ihm nicht vertraut. Die Muthmaßungen, die er von jenem ungeheuren Steinhaufen hegte, gingen nur dahin: Der ruchlose König habe ihn zur Ruhe seiner Gebeine errichten lassen, weil er sich auf andere Art nie ein [44] ehrliches Begräbniß habe versprechen können. Seine Verbrechen und die bekannte Strenge der Todtenrichter mußten ihm ja diese Hoffnung auf ewig verschließen.

Der königliche Leichnam war auf Veranstaltung der heimlich Verbundenen, durch den Prinz, als den neusten Einverleidten ihres Bundes, dem Zahn der wilden Thiere entrissen worden. Suchis, als sie des Nachts, verabredetermaßen am Kanal des pharaonischen Gartens erschien, fand ihn anständig gewindelt und nicht ohne Schmuck von Gold und Kleinodien unter den Händen der Balsamirer des Begräbnißbundes, welche eben beschäftigt waren, ihn auf ein kleines Schiff von Ebenholz mit schwarzen Segeln zu bringen, das im Schein des Mondes langsam heranruderte.

Hätte die Prinzessinn dem Triebe ihres sanften Herzens folgen wollen, mit heißen Thränen hätte sie sich auf das Gesicht des Unglücklichen geworfen, den sie im Leben Vater genannt hatte, ohne je wahre väterliche Liebe von ihm genossen zu haben.

[45] Mycerin winkte ihr, sich zu fassen, und flüsterte ihr das Wort Typhon ins Ohr. Sie wußte nicht ehe, was er damit sagen wollte, als bis die ganze Gesellschaft sich rüstete den schwarzen Nachen zu besteigen, und sie gewahr ward, daß ein jeder derselben, vor dem Einsteigen mit dem Oberpriester der Isis, der auch unter den heimlichen Bund gehörte, einige Worte wie Frage und Antwort wechselte. Alle waren eingeschifft; nur sie und Mycerin waren noch übrig, da nahte sich der Frager auch zu ihr: Er stutzte als er sie sahe, und schien Zweifel über ihre Person zu haben. Jüngling, weißt du die Loosung? sagte er. – Typhon! antwortete sie, und Mycerin bot ihr die Hand, sie in das Fahrzeug zu heben.

Die Gesellschaft, dreyzehen Personen stark, schiffte dahin auf den Fluthen des Nilarms, welchen die Pharaonen ihren Garten zu wässern in ein künstliches Bette geleitet hatten. Der Mond beglänzte die traurige Fahrt. Ein schwüler Wind schwellte die Segel. Der Todte lag zwischen seinen Begleitern auf dem Boden. Alles [46] schwieg, alles heftete die Augen auf den entseelten Tyrannen, den nun der Tod so ruhig gemacht hatte, und in jeder Seele schienen Gedanken aufzugehen, die ihr wahrscheinlich sonst fremd waren.

Der Begräbnißbund bestand, den einzigen Mycerin und die schöne Suchis ausgenommen, wie wir wissen, eben nicht aus den weisesten und redlichsten Leuten; aber welcher menschliche Geist kann sich in gewissen Augenblicken, dem Eindrucke ernster Gefühle verschließen? Auch der Verworfenste staunt am Rande des Grabes wenigstens, wenn er nicht zittern, wünschen, beten oder hoffen kann.

Die Fahrt ging langsam, die Fluthen wälzten sich mit träger Ruhe dahin. Der Kanal krümmte sich aus den Ringmauern des Pallastes süd- und ostwärts. Die Pyramide, das Ziel der Reise ward sichtbar, aber man ließ sie zur Seite liegen. Suchis blickte ihren Freund mit stiller Verwunderung an, sie wußte nicht, welche labyrinthische Wendungen der Weg zu tiefen Geheimnissen [47] nimmt, um sie unentdeckbar zu machen.

Der Strom führte jetzt das Schifflein schneller mit sich fort; er schien abwärts zu fließen. Der Weg ward düster. Man sahe kein Gestade zur Seite, nicht mehr den Sternhimmel über sich. Ein schwarzes Gewölk schien die Aussicht von allen Seiten zu umgränzen. Nur in tiefer Ferne schimmerte ein mattes Licht, wie Fackelglanz. Der Strom erweiterte sich, und seine Ufer, die jetzt im nähern Schimmer sichtbar wurden, bildeten ein großes Bette, dessen Rand Flammen phosphorischen Feuers erleuchteten. Ein grauenvoller Anblick! Suchis schauderte in sich zusammen. War dies das Schattenreich, an dessen Küsten man landete?

Als der Leichnam des Königs ausgeschifft, und von denen, deren Amt es mit sich brachte, in die Gewölbe eingeführt worden war, wo man die große Salbung, welche der Fäulniß Jahrtausende trotzen sollte, beginnen wollte, da mußte sich Suchis, um nicht Verdacht zu erregen, von [48] demselben trennen. Vierzig Tage lang, so lang dauerten die Salbungstage der alten Egyptier, brachte sie am Arm ihres Freundes in diesen düstern Regionen zu. Es waren schwermuthsvolle, selige Tage, die sie hier verlebten. Ist hier das glückliche Jenseits, das den Schleyer der Isis zerreißt? fragte Mycerin oftmals. Aber Suchis weinte, Todesgedanken hielten den Arm der Liebe noch entfernter von ihr als das heilige Gewebe, das sie umfloß.

Mycerin führte seine Freundin, anders wollte sie nie von ihm genannt seyn, durch alle heimliche Wege des Wunderbaues, so weit sie ihm bekannt waren, aber das Innere des Heiligthums zeigte sich ihr erst am zwey und vierzigsten Tage nach ihrer Ankunft im Schattenreiche, als der Leichnam des Königs eingebracht wurde in die große Halle, die er bey seinem Leben mit seltener Pracht zur langen Ruhe hatte ausrüsten lassen.

Es war ein verblendender Anblick, als man eintrat in die geweihte Grotte, welche das Herz des Wunderbaues ausmacht, und [49] welche seitdem eine räuberische Hand 7 von ihren Schätzen entblößt hat.

Der Glanz der Fackeln wurde von dem Gold der Wände tausendfach zurückgegeben. Eine ungeheure Todtenkiste vom ähnlichen Metalle, in welcher mehrere von Marmor und wohlriechendem Holz in einandergesetzt waren, nahm den mittlern Platz des Saales ein. Sie war zur Ruhestatt des Todten, den man jetzt hineintrug, bestimmt. Goldene Götzenbilder wachten um sie. Cheops hatte hier alles von Schätzen aufgehäuft, was er vermochte, um sich dereinst beym Hervorgehen zum neuen Leben, der Herrschaft über ein künftiges Menschengeschlecht desto gewisser zu versichern.

[50] Rund umher in dem Säulenwerk der Wände waren eilf Nischen angebracht, den Leichnamen der Mitwisser des Geheimnisses, deren Anzahl bey dem Leben des Königs auf eilfe eingeschränkt war, und die nur erst nach seinem Tode, durch Mycerin und Suchis, vermehrt ward, zur Wohnung zu dienen. Auch hier fehlte es nicht an Gold und Kostbarkeiten für die Zukunft. Nie sind solche Schätze auf spätere Folgezeit aufbewahrt worden, als hier. Die Vorsorge dieses Pharao und seiner Diener für künftige Jahrtausende war zu bewundern.

So still es in diesen Schattenwohnungen zuging, so erfuhren doch Suchis und Mycerin hier mehr von dem Innern des Geheimnisses und dem großen Endzweck aller dieser Wunder, als sie beym Eintritt gewußt hatten. Innschriften und einzelne Worte, die man nicht allemal in seiner Gewalt hat, verriethen viel.

Mycerin sah seine Geliebte zärtlich an. Welch ein Gedanke, rief er, nach Jahrtausenden zu einem bessern, und doch diesem ähnlichen Leben hervorzugehn!

[51] Und, wenn einst diese erwachen, antwortete Suchis, die hier schlummern sollen, möchtest du unter ihnen seyn?

Nein, antwortete er, nur an der Seite der Einen, die ja doch für diese Welt für mich verlohren ist!

Ein Händedruck war ihre Antwort; diesen verwehrte der Schleyer der Isis nicht.

Als die Begräbnißceremonien geendiget waren, bat Mycerin, bey dem Leichnam seines Oheims bleiben, und hier sein Leben endigen zu dürfen; seine Augen erkohren die schöne Suchis zur Gefährtin bey dieser Todtenwache.

Es war ein seltsamer Einfall, wie Liebende sie oft haben. Ein durchdringender Blick, welchen der Oberste des Bundes auf ihn warf, und der von ihm auf seine verkleidete Gefährtin fiel, erklärte das, was er gesagt hatte, für unüberlegt und unausführbar, auch machte er dem Prinzen vor Entdeckung derjenigen bange, welche, im stummen Gefühl verlohren, neben ihm stand, und von dem, was gesprochen wurde,[52] nichts beachtet zu haben schien. Sehr möglich, daß eben dieser deutungsvolle Blick des Forschers der Grund des Schicksals war, das den beyden Liebenden in der Folge bevorstand.

Mycerins Stillschweigen nahm seine befremdende Rede zurück, man trat die Rückreise an, und der ganzen Sache ward nicht mehr gedacht.

Es war Nacht, da der schwarze Nachen seine verborgene Bucht im königlichen Garten verließ, und Nacht war es, als er wieder mit der Trauergesellschaft in demselben anlangte.

Pharao Chephres hatte während dem Zeitraum von drey und vierzig Tagen, die man abwesend gewesen war, den Thron bestiegen, und bereits Proben genug gegeben, daß er wohl ein anderer, aber kein besserer Regent werden würde, als sein Bruder gewesen war.

Den sprechendsten Beweis seines niedrigen bösen Herzens legte er in dem Hasse ab, mit welchem er die Tochter seines Vorgängers, [53] die unschuldige Suchis zu verfolgen begann. Diese Prinzessin konnte nach den Gesetzen des Landes seinen Rechten zur Thronbesteigung keinen Eintrag thun, da sie unvermählt und kinderlos war; doch schien der neue Pharao sie blos wegen der Möglichkeit anzufeinden, daß dieses anders hätte seyn können, als es war.

Er wußte, der Schleyer der Isis schloß bey ihr jeden Gedanken an irrdische Liebe aus, gleichwohl haßte er alle, die ihre Schönheit bewunderten, stürzte alle ihre Freunde und trieb diese Tyranney so weit, daß er dieser unglücklichen Dame auch ihre einzige Freude, einen jungen Knaben, den sie erzogen hatte und ungemein liebte, rauben ließ, und ihn in die Wüste verbannte. Dieser Knabe hieß Oarsiph, ein Name der so viel bedeutet, als Sohn der 8 Seerose und der wohl auf Umstände in der verborgenen Herkunft dieses Kindes, das damals acht Jahre zählte, seine Beziehung haben mochte.

[54] Die Prinzessin war über das, was Pharao that, so betrübt, daß sie sich entschloß, der Welt gänzlich zu entsagen, und in den Tempel der Göttin zu fliehen, welcher sie durch das heilige Gewebe, das sie umschloß, bereits geweiht war.

Sie warf sich zu den Füßen ihres grausamen Oheims, um Erlaubniß zu einem Schritte zu fordern, der ihm unmöglich misfallen konnte; aber jeder ihrer Wünsche, war ja diesem Tyrannen Aufforderung ihr entgegen zu handeln.

Die schöne Suchis, antwortete der König mit beißendem Spotte, darf ihre Reize nicht den Augen der Welt entziehen. Die Fremden, welche den Hof der Pharaonen besuchen, sind zu sehr gewöhnt, den Anblick dieser schönen Augen sich mit Gold erkaufen zu dürfen, als daß man hier ohne Nachtheil eine Aenderung treffen könnte. Suchis treibe das Gewerbe fort, das sie beym Leben ihres Vaters begann, und aller Vortheil, den es ihr bringt, falle in ihren eigenen Seckel, denn ich bin nicht geizig, wie Pharao Cheops.

[55] Dies war die empfindlichste Seite der unglücklichen Prinzessin, sie konnte nie berührt werden, ohne schmerzhaft zu bluten. Ich Elende! rief sie, indem sie mit gerungenen Händen die Stufen des Throns verließ: Muß mir das zum Vorwurf werden, was mir immer bitterer war, als der Tod? Bin ich denn ein Wunder, wie die Pyramide zu Dsyse, das jeder Gaffer anstaunen und in fremden Ländern austragen darf? Werde ich nie von diesen schimpflichen Fesseln befreyt werden, als bis Alter und Häßlichkeit sie lösen? O Isis! Isis! O heilige Einsamkeit! und du, o Stille des Grabes, mein einziges Verlangen!

Die schöne Suchis mußte sich es also gefallen lassen, den nämlichen Hof zu halten, wie bey Lebzeiten ihres Vaters. Ihre Vorzimmer wurden nicht leer von kühnen Schauern, die sich durch den Schleyer der Isis nicht schrecken ließen. Der einzige Unterschied, den man wahrnahm, war, daß nur Fremde, keine Egyptier der Prinzessin jetzt den Hof machten; letztere scheuten sich vor Pharaos Zorn, der jeden Einheimischen[56] traf, welcher sich zu den Anbetern der Prinzessin zählte. Aber Prinz Mycerin ließ sich durch die Furcht vor der väterlichen Ungnade nicht schrecken, er kam täglich und sah die Schönheit, die er nur aus der Ferne bewundern durfte, ungeachtet er wußte, ihr Herz sey nicht kalt gegen ihn.

Die Fremden kamen, wie sie gewohnt waren, jeden Tag und brachten der Prinzessin goldne Gaben, aber sie erklärte sogleich nach dem Urtheil das sie von Pharao erhalten hatte, daß ihr Anblick nicht mehr um Gold feil sey. Ich verlange, sagte sie, von euch, ihr thörichten Bewunderer einer Person, die keinem von euch werden kann, nichts, als so oft ihr mich sehet, einen Stein, ein Geschenk, welches ich anwenden will, ein Gebäude aufzuführen, wie mein Vater gebauet hat; es beginne an dem Fuße der großen Pyramide von Dsyse, und, wenn es geendigt ist, sollt ihr seinen Gebrauch erfahren.

Man fand das, was die Prinzessin forderte sehr sonderbar, aber schon damals [57] erregte das Sonderbare verdoppelte Bewunderung, und die Zahl derjenigen, welche die schöne Suchis zu sehen und ihren himmlischen Anblick nach ihrem Begehren zu bezahlen kamen, mehrte sich mit jedem Tage.

Hatte man vorher Gold und Edelsteine aus allen Regionen der Erde herbeygebracht, die Schätze des Vaters einer so schönen Tochter zu füllen, so wetteiferte man nun, mit den unglaublichsten Kosten, die größten, schönsten und seltensten Steine herbeyzuschaffen, die zu dem Bau, welcher bald abgemessen und begonnen war, taugen konnten. Porphyr, Jaspis, brauner und weißer Granit, Basalt und Egyptensteine von seltener Größe lagen in den Ebene von Dsyse aufgehäuft. Der Bau wuchs, denn wer keine besondern köstlichen Steine liefern konnte, der ersetzte den Mangel dadurch, daß er selbst Hand ans Werk legte sie aufzumauern, und oft ging der Eifer so weit, daß alle Liebhaber der schönen Suchis zugleich arbeiteten, um die Pyramide nur schnell zu endigen, denn es ging die Sage unter ihnen, am Tage der Vollendung des [58] Werks würde das Schicksal den Schleyer der Isis zerreißen, und die Prinzessin einem unter ihren Anbetern die Hand geben.

Niemand unter allen den erlauchten Werkleuten war emsiger als Prinz Mycerin. Er kehrte sich nicht an den Zorn seines Vaters, und fehlte beym Bau keinen Tag. Anlage und Grundriß waren sein Werk, das Innere, welches nach etwas andern Regeln gebildet wurde, als bey der Pyramide des Cheops, fertigte fast niemand als er und seine vertrautesten Diener. Die Pyramide der schönen Suchis ward nicht mit Blut gebaut, wie jene. Die Liebe war hier Werkmeisterin, die Liebe, welche alles leicht macht, die wunderthätige Liebe, die auch hier, wie durch Zauberey, binnen einem Jahre endigte, was Pharao Cheops in einigen Menschenaltern mühselig zu Stande gebracht hatte.

König Chephres, welcher bey allem Hang zum Laster doch nie in demselben seinen eigenen Weg ging, sondern sich gern nach Vorgängern bildete, wie schon [59] aus seinem Urtheil über die schöne Suchis erhellt, hatte früher als sie, gleich in den ersten Tagen seiner Thronbesteigung, eine Pyramide begonnen, blos, weil König Cheops eine gebaut hatte. Er baute sie nach der Weise seines Vorgängers mit Unterdrückung und Zwang, daher ging das Werk langsam, und der Bau der Liebe hatte schon fast die Spitze erreicht, da am Bau des Tyrannen noch der Grund aufgemauert wurde. König Chephres, der kein Vertrauter des Begräbnißbundes war, baute ganz ohne Ursach, blos aus Nachahmungssucht und um das Volk zu quälen. Die schöne Suchis, meynte er, baute aus Eitelkeit, und er fand einen neuen Grund zum Haß gegen sie darinn, daß ihr Werk besser fortging als das seinige.

Sie soll sterben, sagte er oft zu seinen Räthen, sterben, sobald sie geendiget hat. Laßt die Thoren, die ihr fröhnen, auf Glück der Liebe hoffen; ich weiß nicht, was sie ihnen zudenkt, aber, was ich ihr zudenke, ist der Tod, des sollt ihr Zeugen seyn.

[60] Die Pyramide der schönen Suchis war fertig, bis auf die Spitze. Der schließende Stein schwebte schon an seiner Kette über der Oeffnung; am morgenden Tage sollte er sinken, am morgenden Tage sollte das große Geheimniß, der Endzweck dieses Baues, enthüllt werden, wovon sich die harrenden Liebhaber so große Hoffnungen machten. Sie hatten sich verschworen keinem, den die Prinzessin mit ihrer Hand beehren würde, sein Glück zu beneiden oder zu verbittern, vielmehr wollten sie sich aufmachen, und mit Heereskraft den Liebenden ein Königreich erobern. Dergleichen Dinge waren damals noch eine leichte Sache, und möglich konnte es seyn, daß die Freunde der schönen Suchis gar ihre Absicht auf das Königreich Egypten gerichtet hatten, welches einem weichlichen Tyrannen, wie Pharao Chephres, zu entreißen wenig Schwierigkeiten haben konnte. Doch dieser Tyrann hatte Meuchelmord und teuflische List auf der Seite, dieses sicherte ihm den Sieg über jeden Anschlag.

Der große Morgen kam, an welchem Tausende die Entscheidung ihres Schicksals [61] aus einem schönen Munde erwarteten. Die Ebene von Dsyse war mit den Bewunderern der Prinzessin und ihren Dienern erfüllt. Prinz Mycerin, welcher die größte Hoffnung unter allen zu haben meynte, zeichnete sich durch körperliche Vorzüge, und den Glanz seines Gefolges vor allen anwesenden Prinzen und Großen aus, und aus der Hauptstadt nahte sich der Zug, an dessen Spitze sich die schöne Suchis befand. Er bestand aus lauter weiß gekleideten Jungfrauen. Sie selbst trug ein feuerfarbenes Gewand mit goldenem Gürtel, welches sie unnennbar verschönerte. Sie leuchtete unter ihren Gespielen, wie der aufgehende Mond unter den Gestirnen.

Da sie vor den 9 Memnonssäulen überkam begrüßte sie den Gott, wie er seine Mutter die Morgenröthe zu begrüßen [62] pflegt; ein verzeihlicher Irrthum, sie war schöner als Aurore.

Sie kommt! sie kommt! riefen in der Ebene von Dsyse tausend Stimmen, als sie sich nahte, und alles warf sich vor ihr nieder. Ein huldreicher Wink gebot den Anbetenden sich zu erheben, und ein wohlgefälliger Blick, der auf die geendete Pyramide fiel, die sich in der Pracht der Morgensonne an der Seite des noch im grauen Nebel liegenden Denkmals des Tyrannen Cheops erhob, dankte den treuen Händen, die dies herrliche Monument der Liebe aufgeführt hatten.

Ich danke, danke, danke euch! sagte ihr schöner Mund zu denen, welche ihr die nächsten waren. Wenn ich euch nicht lohnen kann, so verzeiht! ich bin eine Sterbliche und keine Göttin. Thränen schwammen in ihren schönen Augen, als sie dieses sagte, das heilige Gewebe, das ihre ganze Gestalt umschleyerte, so fest und unzerstörbar es sich an dieselbe anschmiegte, war doch fein genug, den Schauern nichts von den Zügen himmlischer Wehmuth zu rauben, die sie so unaussprechlich verschönerten.

[63] Suchis reichte einigen, die sich ihr zunächst drängten, die Hand zum Kuß; eine Gnade, die vor diesem noch keinem wiederfahren war. Andere lagen zu ihren Füßen, und küßten den Saum ihres Gewandes. Mycerin allein konnte nicht zu ihr gelangen, auch vermieden ihn ihre Augen, und als sie einst doch von ohngefähr auf ihn fielen, so brach ein Strom von Thränen aus ihnen hervor, die der Prinz für Freudenthränen hielt, daß sie nun bald sein seyn würde. Er wußte, daß sie ihn liebte, und kein Zweifel regte sich in seinem Herzen, er war überzeugt sie würde, da die Wahl bey ihr stand, für ihn entscheiden. –

O, rief er, mit ihr zu leben, und dann dort in jenem Grabgewölbe, das ich ganz zur Freude des frohen Erwachens bildete, einst mit ihr zu schlummern, und nach wenig tausend Jahren zu neuem Leben hervorzugehn, welch ein Gedanke! O Mycerin! zu glücklich bist du für einen Sterblichen!

Als die Prinzessin den Fuß der Pyramide erreicht hatte, wandte sie sich noch einmal [64] zu der versammelten Menge, als wollte sie sie mit einer Anrede beglücken. Aber die Worte erstarben auf ihrem Munde, und wenig fehlte, ihren Augen wären noch einmal Thränen entströmt. – Sie konnte nicht reden, aber sie küßte ihre Hand und legte sie mit einer Miene aufs Herz, die jedermann so sehr befremdete als entzückte, und ein ängstliches Gemurmel erregte, welches man wohl einer heimlichen Ahndung hätte zuschreiben sollen. – Darauf umarmte sie ihre Jungfrauen, und nahm sieben von den geliebtesten, unter denen sich auch die Schwester des Knaben Oarsiph befand, zu sich, den Weg auf die Spitze des Wunderbaues zu beginnen. – Ein gefährlicher Pfad, von welchem niemand geglaubt hatte, daß sie ihn wagen würde.

Mycerin drängte sich hinzu, und erinnerte sie an etwas, das sie nicht zu achten schien. Er bot ihr den Arm, auch dieser wurde ausgeschlagen, sie hörte noch einige Worte, die er ihr sagte, lächelnd an, und machte sich dann von ihm los. Allein von ihren sieben Gespielen begleitet, erreichte [65] sie, vermittelst des von außen wie Stufen hervorstehenden Gesteins die Spitze des Wundergebäudes, auf welches aller Augen gerichtet waren.

Jetzt stand die schöne Gruppe unter dem schwebenden Steine. Die unabsehliche Höhe machte sie kaum noch sichtbar. Jedermann zitterte vor der Gefahr, in welcher sich die allgemein angebetete Göttin befand; doch Mycerin demonstrirte, daß hier nichts zu befürchten sey, indem er die Neugier der Prinzessin, den geendeten Bau zu beschauen, vorausgesehen, und diesen gewagten Gang so gefahrlos als möglich gemacht habe.

Man hörte kaum auf das, was der Prinz, selbst zitternd, sagte, denn aller Augen waren auf die schöne Suchis gerichtet, die jetzt ihre Hände zur aufgehenden Sonne erhob, noch einmal den Zuschauern mit einem fröhlichen Scheideblick winkte, und dann schnell unter dem schwebenden Steine verschwand.

Flammen fuhren aus der Oeffnung empor, da sie mit ihrem Gefolge nicht [66] mehr zu sehen war, der Stein sank, und ein Schrecken verbreitete sich, welchen zu schildern ich zu schwach bin.

Verzeihet, meine Zuhörerinnen, daß ich das, was ja auch das Werk eines Augenblicks war, mit so wenig Worten male. Suchis verschwand, verschwand auf ewig vor den Augen ihrer getäuschten Liebhaber; sie wurden gewahr, daß sie sich nicht den Altar der Liebe, sondern ihr ein Grab gebaut hatten. Ohnmächtig, halb außer sich, hier wüthend, dort verzweifelnd, jeder nach seiner eigenen Art, äußerte ein jeder, daß er jetzt sein, vielleicht in den letzten Augenblicken dieses Auftritts geahndetes Unglück, gewiß wußte. Die Ebene ertönte vom Geschrey des Entsetzens. Einige glaubten nicht recht gesehen zu haben, Andere sprachen von Rettung, die Dritten rechteten mit einander, den schrecklichen Vorfall nicht gemuthmaßt und gehindert zu haben. All dieses könnte ich euch umständlich sagen, aber diese Züge würden nicht ganz bezeichnen, was auf der Ebene von Dsyse vorging; nehmt also eure Phantasie zu Hülfe, und denkt euch, was ich nicht zu schildern weiß.

[67] Prinz Mycerin war in den ersten Augenblicken der Verzweifelndste, und bald darauf der Gefaßteste unter allen. Er kannte den innern Bau des muthmaßlichen Grabes der schönen Suchis besser als einer, er wußte die heimlichen Zugänge die keinem bekannt waren, und er eilte, durch dieselben in den geheimnißvollen Bau zu gelangen, wo die Geliebte seines Herzens vielleicht noch lebend zu finden seyn konnte. Das Herauffahren der Flammen, das Sinken des zerschmetternden Steins erschreckte ihn nicht, er wußte von diesen Dingen mehr als wir alle. Schnell verließ er die Versammlung, einen ihm wohlbekannten Ort zu erreichen. Schon schiffte er auf einem zwischen den Bergen angelegten Kanal, welcher zu dieser Pyramide einen ähnlichen Weg bahnte, wie der Gartenkanal zu der Pyramide des Cheops. Die unterirrdischen Gewölbe nahmen ihn auf, er zündete die mitgebrachte Fackel an. Die Gegenden des Heraufsteigens zeigten sich ihm; aber ach, sie waren verschüttet, ein Theil des überhangenden Gesteins stürzte noch vor seinen Augen herab. Das Wasser schäumte, [68] der Nachen schwankte, schon schöpfte er Wasser. Die leuchtenden Flammen verloschen. Die kalte Fluth drang unaufhaltsam herein; Mycerin ward von ihr unwiederstehlich fortgerissen, die Gedanken vergingen ihm, und es ließ sich ansehen, als ob Ein Tag die Welt zweyer der treusten und unglücklichsten Liebenden berauben sollte.

Was auch aus der schönen Suchis geworden seyn mochte, ihr Geliebter sollte leben, leben zu längerer Qual. Ein treuer Diener, der ihn nie aus den Augen ließ, und der ihm auch diesesmal, wohl sehr wider seinen Willen, in einem Fahrzeuge von weitem gefolgt war, rettete ihn. Seba, dies war sein Name, gelangte eben mit seinem Nachen in den düstern Regionen an, die ihm, einem Mitarbeiter an jenem Wunderbau nicht unbekannt waren, als der Strom den Körper Mycerins ihm und der Rettung aus dem schwarzen Gewölbe entgegen trieb; so ward ein Leben erhalten, das in den nächsten Augenblicken tausendmal verwünscht werden sollte, und das schnell von neuem aufgeopfert worden wär, [69] hätte Seba nicht einiges Ansehn über den Prinzen gehabt, der von ihm erzogen worden war. Mehr todt als lebendig, und in jeder Betrachtung nur halb gerettet, ließ sich Mycerin in seinen Palast bringen, aus welchem aber bald verneutes Unglück ihn treiben sollte.

Die verzweifelnde Menge aus der Ebene von Dsyse war im Sturm des Aufruhrs nach der Hauptstadt zurückgekommen. Alles schrie über den Tyrannen Chephres, und nannte ihn den Ursacher des Untergangs der schönsten Prinzessin, die je gelebt hatte. Seine Drohungen, die er gegen die unschuldige Suchis ausgestoßen hatte, waren bekannt, und der Verdacht der schrecklichen That fiel ganz natürlich auf ihn.

Was auch hier die Wahrheit seyn mochte, ganz gerecht wußte sich Pharao nicht. Mit Zittern machte er Anstalten zu einer Vertheidigung, die gegen den rasenden Haufen, welcher sich wider den Palast zusammenzog, wohl sehr zweifelhaft gewesen seyn möchte, hätten nicht Hände [70] ihn gerettet, deren Hülfe dieser König nicht werth war.

Seit langen Jahren, Jahrhunderte könnte ich wohl sagen, lebte in Egypten ein fremdes Volk unter harter Sklaverey, das schon längst, bald durch Gewalt, bald durch List, seine Fesseln zu sprengen gesucht hatte. Alle diese Bemühungen waren bisher fruchtlos gewesen und seine Wünsche waren jetzt so herabgesunken, daß sie nur um Vergunst zur Reise von einigen Tagen in die Wüsten ansuchten, um daselbst – (ihr Gottesdienst war ein anderer, als der der Egyptier,) – in Ruhe ihre Neomenien zu halten. Die Bitte war klein; sie zu erlangen hielten sie einen auszeichnenden Dienst, dem Tyrannen erwiesen, für das beßte Mittel. Sie machten sich bey der Rebellion, die seine Freyheit und sein Leben bedrohte, so viel ihrer damals in der Hauptstadt waren, zur eisernen Mauer vor Pharao. Sie vertrieben die Rächer der schönen Suchis, und kehrten jauchzend zurück, nachdem sie sie bis an die Grenzen des Reichs verfolgt hatten, um nun ihren Lohn zu fordern.

[71] Ich habe mich schon zu lang bey fremden Dingen aufgehalten, um hier weitläufig seyn zu dürfen. Die Gegend der Geschichte, die sich hier vor mir öffnet, mag so merkwürdig seyn, als sie wolle, so kann ich doch im Vorübergehen nichts mehr von derselben gedenken, als daß jene unglücklichen Fremden, Statt alles Lohns für ihre Heldenthat, erneute Fesseln erhielten.

Man fand diese tapfern Leute furchtbar; Hände wie diese, durften nicht frey gelassen werden. Sie konnten das Schwerd führen, so mußte man ihnen andere minder gefährliche Werkzeuge anweisen.

Die Pyramide des Pharao Chephres war noch nicht geendet, hier gab es Arbeit für ein paarmal hunderttausend thätige Arme. Auf diese Anzahl belief sich damals die Menge des gedrückten Volks, und aus den fernsten Gegenden des Königreichs wurden sie herbeygerufen, um die Wohlthat, die ihre Brüder einem Undankbaren erwiesen hatten, mit büßen zu helfen.

Während Pharao hier auf diese Art wüthete, blieb der unglückliche Mycerin auch [72] nicht vergessen. Er war des Königs einziger Sohn, war sein Thronerbe, schon dies letzte wäre hinlänglich gewesen, ihn diesen Unmenschen verhaßt zu machen; aber der Umstand, daß er die schöne Suchis geliebt hatte, der Verdacht, er könne wohl mit ihren Rächern einverstanden gewesen seyn, stürzte ihn vollends gänzlich.

Mycerin erwartete sein Urtheil nicht, die Ausrichter desselben fanden ihn nicht mehr. Im Arm des treuen Seba war er in Gegenden geflüchtet, aus welchen ihn nur der allgemeine Ruf der Nation, und das Wohl des Landes zurückbringen konnte.

Bald sollte dieser Ruf erfolgen. Pharao Chephres konnte nicht auf die Länge des Lebens seiner Väter rechnen; schon damals tödteten Ausschweifungen schnell. Seine Pyramide sah er noch geendet, den Grund einer zweyten sah er gelegt, damit es jenen Fremdlingen ja nicht an Sklavenarbeit fehlen möchte; alsdann legte er sich hin zu sterben.

[73] Unbeklagt und unbetrauert verließ er die Welt, auch unbegraben würde sein Leichnam geblieben seyn, denn die Todtenrichter richteten über ihn, wie sie über Cheops gerichtet hatten, hätten die noch übrigen Mitglieder des Begräbnißbundes, dessen Mitglied er nicht war, sich nicht seiner erbarmt, ihn, weil er doch gleichwohl einer der Pharaonen gewesen war, dem Zahn der wilden Thiere entrissen, und ihm ungesalbt und ungeweihet ein Plätzchen im Umkreis der großen Pyramide gegönnet. Am Erwachen des Tyrannen nach dreytausendjährigen Schlafe war ihnen nichts gelegen, sie glaubten dann an dem Einen hier begrabenen schon genug zu haben.

Das Volk wußte nicht, was aus den unbegraben geglaubten Leichnamen der beyden letzten Pharaonen geworden war, und weil schon damals die Lehre von der Seelenwanderung allgemein angenommen wurde, so ging die Rede: man habe von der Stelle am See Möris, wo die königlichen Ueberreste wahrscheinlich vermodert [74] wären, zwey ungeheure Wölfe sich erheben sehn, die vermuthlich von dem nämlichen Hauche beseelt seyn mochten, der die beyden Tyrannen belebt hatte; eine Meynung, die nach dem damaligen Glauben der Völker viel für sich hatte.

Nach Pharao Chephres Tode machte sich das ganze Volk auf, dem Prinzen Mycerin, dessen Aufenthalt in der lybischen Wüste man erkundet hatte, die Krone entgegen zu tragen; mit Mühe konnte er bewogen werden, sie anzunehmen, auch trug er sie nicht lange.

Nur um eure Lasten einigermaßen zu lindern, sprach der traurige König, der die schöne Suchis noch immer nicht vergessen hatte bey seiner Thronbesteigung, nur um mir, wenn ich dies gethan habe, ein Grab zu bauen, will ich eine Zeitlang euer Pharao seyn.

Mycerin that, was er versprochen hatte. Das Land erholte sich unter seinem milden Scepter. Die zweyte Pyramide, die sein Vorgänger begonnen hatte, ward[75] ohne Mühe und Bedrückung aus Liebe für ihn geendet. Das Volk verehrte und segnete ihn, und die Todtenrichter würden schonend über ihn gesprochen haben, wäre sein Leichnam vor ihr Gericht gekommen; aber als Mycerin die Pyramide, die er nach seinem Namen nennte, geendet hatte, verhehlte er es den traurenden Egyptern nicht, daß hier sein Grab seyn sollte, ein Grab, das er entschlossen sey, lebend zu beziehen, da er, obgleich noch in der Blüthe des Lebens, schnelle Todesannäherung verspürte.

Es war ein allgemeiner Trauertag als Pharao seinen Entschluß ausführte. Alles Volk begleitete ihn zu seiner gewählten Ruhestätte. Seit dem Abschied der schönen Suchis waren um keine Person aus dem königlichen Geblüte so viel Thränen geflossen, als um Mycerin vergossen wurden. Seine Pyramide erhob sich dicht neben derjenigen, welche den Namen seiner geliebten Prinzessin führte. Er grüßte den heiligen Steinhaufen im Vorüberziehen, wie man die Bilder der Götter begrüßt, dann segnete er sein Volk noch einmal, [76] und bestieg sein Grab, in welches ihm zehn seiner vertrautesten Diener folgten; die aber nach einem und einem halben Monate zurückkehrten, und die Botschaft mit sich brachten: der beßte aller Pharaonen sey nicht mehr, er habe die Zeit seines Abschiedes so wohl berechnet, daß man ihn für einen Vertrauten der Gottheiten halten müßte, welche über das Lebensziel der Menschen wachen. Der nächste Tag nach Besteigung seines Grabes sey sein letzter gewesen, so daß Salbung und Aufbewahrung bereits an seinem Leichname gebührlich vollzogen sey.

Das Volk liebte diesen König so sehr, daß es die aufrichtigsten Thränen bey seinen Gebeinen geweint haben würde, hätte man die Grabstätten der alten Egyptier nicht für zu heilig gehalten, von menschlichem Fußtritt entweiht zu werden; über dieses war die Pyramide Mycerins unzugänglich, so wie ihre Nachbarinnen, und hatte sie vielleicht heimliche Zugänge, so wußte man es nicht.

[77] Die größte Trauer Egyptens bestand darin, daß der geliebte Mycerin keinen Thronfolger hinterlassen hatte. Das Volk blieb sieben Jahre ohne Regenten, und weil bald nach dem Tode des guten Königs auch der heilige 10 Stier gestorben war, und man nicht so leicht einen neuen finden konnte, so läßt sich, zunächst jenen sieben Theurungsjahren, die vor Alters durch einen Pharaonischen Traum verkündigt wurden, nichts traurigers denken, als diese [78] sieben, da Egypten zugleich seinen Gott und seinen König beweinte.

Böse Regenten machen ihre Vorgänger fromm, wenn gleich auch diese wenig getaugt haben sollen. Unglaublich ists fast, daß Egypten zunächst dem Andenken des edeln Mycerins auch das Gedächtniß des Königs Remphis in Ehren hielt, von welchem ich euch neulich so viel erzählt habe, ohne daß sich, wie es schien, der Held meiner Geschichte eures Beyfalls sonderlich zu erfreuen hatte.

Die Völker des Nils fanden überhaupt jetzt den einzigen Trost ihres doppelt verwaisten Zustandes in der Feyer unzähliger Feste, und so geschahe es dann, daß sie auf den Gedanken fielen, König Remphis Höllenfahrt an einem besondern Tage zu feyern.

Zum Andenken dieser euch bekannten Geschichte, mußten am Vorabend dieses Festes zwey Isispriester, die neusten in der Ordnung, um ein goldfarbnes an diesem Tage gewürktes Tuch mit Würfeln spielen,[79] welches dem Gewinner am Feste selbst um die Augen gebunden ward, und das er auf solche Art in einen zwanzig Stadien von der Hauptstadt entlegenen Tempel seiner Göttin bringen mußte, wohin er, ungeachtet er also geblendet war, nie den Weg verfehlte. Götterhände, so berichtet die heilige Sage, leiteten ihn, und am Ende seiner Wallfahrt wartete seiner Fragen um das Wohl des Landes eine göttliche Antwort.

Diese ganze Ceremonie bezog sich auf einen Ausspruch der letztverstorbenen Apis 11 welcher ohngefähr also lautete:

»Verwaistes Land! deine Herrlichkeit ist dahin! Dein König ist nicht mehr, auch mich wirst du bald verlieren! Doch wenn mein Nachfolger gefunden ist, so wird auch Egypten wiederum Könige sehen. Remphis, Cheops [80] und Chephres, die bösesten der Pharaonen, geben dem Volke des Nils einen guten Regenten. Das güldene Tuch des ersten verhülle am Feste seiner Niederfahrt ins Reich der Schatten die Augen eines Isispriesters, so werden die beyden andern, dem Suchenden, den rechtmäßigen Regenten Egyptens entgegen führen.«

Auf diese dunkeln Worte hatte man alle Ceremonien des Remphisfestes gegründet, ohne daß jedoch das Volk ihren wahren Sinn zu errathen vermochte.

Man feyerte das Fest zum siebentenmale, ohne den Wunsch des Landes nach einem Könige und das Versprechen der Gottheit noch erfüllt zu sehen; doch ging unter den Auslegern der heiligen Zeichen, ein Gemurmel, unter denen der Oberpriester im Tempel der Isis der vornehmste war, die Zeit der Verheißung sey nahe, denn wenn man die Worte des Götterspruchs reiflich überlege, so habe Egypten nicht ehe einen neuen Pharao bekommen [81] können, bis auch der Nachfolger des heiligen Stiers gefunden sey, da nun das Land vor kurzem wieder auf die letzte Art beglückt worden wäre, so könne man auch bald auf das erste hoffen.

Alles was die Hierogrammatisten, zu denen sich die Zeichendeuter zählten, vorbrachten, war wahr, des vorigen Monats hatte man einen neuen Apis eingeführt, und heute am siebenten Remphisfeste, sollte man einen neuen König finden. Diese Männer sprachen in der That, als ob die Erfüllung der Göttersprüche in ihrer Hand sey.

Der Vorabend des Festes war verflossen. Das Würfelspiel hatte entschieden. Unter lautem Zujauchzen des Volks, verhüllte man mit dem heiligen Tuche die Augen des jüngsten der 12 Isispriester, es war der treue Seba, der sich aus Gram [82] über den Tod seines Herrn in die Dienste der Göttin begeben hatte. – Er trat an den langen und gefahrvollen Pfad. Nur den zwanzigsten Theil desselben geleiteten ihn die Hände seiner Brüder, dann entfernte man sich, und überließ ihn dem Schicksal, welches, da seine Augen geschlossen waren, sein einziger Führer seyn konnte. Es führte immer richtig; man wußte kein Beyspiel, daß einer dieser wandernden Blinden sich verirret habe.

Die erste Station, welche Seba machte, war in einem auf halbem Wege liegenden Tempel des Apis. Hier war es ihm erlaubt, die Binde ein wenig abzulegen. Er brachte sein Opfer, und setzte sich in den Vorhof, um die Knaben, welche immer hier spielten, zu beobachten. Sie spielten das Königsspiel. Man hatte das Loos geworfen, es war auf ein vierjähriges Kind gefallen, das eben seine Gespielen zum Throne führten.

Wie? schrien einige Misvergnügte, die, weil sie die Aeltesten unter der Spielgesellschaft waren, näheres Recht zur Krone zu [83] haben meynten. Wie? dieser Säugling soll unser Herrscher seyn? Schweiget, sagte der kleine Regent, ihr sehet in mir das Vorbild von dem künftigen Pharao.

Seba fand das, was er hier vernahm, und in der Folge noch besser verstehen lernte, sehr bedeutend. Er schüttelte den Kopf, ließ sich die Augen von neuem verhüllen, und setzte 13 die andere Hälfte seines Weges langsam fort, der sich, wie gewöhnlich, in dem großen Isistempel endigte.

»Noch weiter! glücklicher Blinder! antwortete die Göttin, als sie nach Gewohnheit befragt wurde, noch zwey Wege und einen halben weiter, und du findest Egyptens Trost! Die Kinder des Apis malten dir ihn, die Geister der Unterwelt führen dich ihm entgegen!«

[84] So mußte also der ermüdete Seba, bey schon einbrechender Nacht die Wanderung von neuem beginnen. Mit heiligen Grauen sahen die Priester, nachdem sie ihm die Augen wieder verbunden und ihn segnend entlassen hatten, mit heiligen Grauen sahen sie, daß sich zwanzig Schritte von den geweihten Mauern zwey scheusliche Wölfe zu dem Wanderer gesellten, von welchen niemand sagen konnte, woher sie gekommen waren.

Unweisere und Unheiligere als sie, würden Gefahr für ihren wandernden Mitbruder bey solcher Gesellschaft geahndet, und ihn gerettet oder gewarnt haben, aber diese Männer sahen weiter; schweigend zogen sie sich in die Mauern ihres Tempels zurück, und nur die Deuter der heiligen Zeichen, die ein wenig geschwätzig waren, murmelten etwas von den Geistern der Pharaonen Cheops und Chephres, und von naher Erfüllung des Orakels, welches der verstorbene Apis in seinen letzten Stunden gegeben hatte.

[85] Seba merkte wohl, so wie er weiter ging, daß er zwey Begleiter zur Seite hatte, ihr Fußtritt und ihr Athem, der bey Thieren dieser Art nicht allzusanft ist, verrieth sie, aber in so fürchterlicher Gesellschaft vermuthete er sich nicht. Mehrere Stunden war er mit vieler Ruhe, in dem Wahn, von irgend einer Gattung gutmüthiger, den Göttern geweihter, und von ihnen gesandter Geschöpfe geleitet zu seyn, dahin gewallt, als ein Zufall seine Binde verrückte, und ihm die beyden Ungeheuer zeigte, die der bösesten aller Gottheiten heilig waren, Ungeheuer, unter deren Gestalt Typhon mehrmals selbst erschienen war.

Seba war der neuste unter den Dienern seiner Göttin; Mangel an Fassung bey einem so bedenklichen Vorfall war ihm zu verzeihen, er brach in ein fürchterliches Geschrey aus, seine Begleiter wiesen ihm mit grimmigen Blick die Zähne und flohen der Wüsten zu, er aber sank halb ohnmächtig auf den Sand, [86] und konnte erst nach einer langen Weile sich besinnen, wo er war, und wie viel ihm noch zur Vollendung seines geheimnißvollen Auftrags fehlte.

Wahrscheinlich hatte er sie selbst verzögert; seine Führer waren entflohen, wie sollte er finden, was hier wohl nicht zu suchen war?

Der aufgehende Mond zeigte ihm die Gruppe der Pyramiden von Dsyse. In majestätischer Größe thürmte sich die heilige gevierte Zahl vor ihm in die Höhe.

Hier? schrie Seba, mit strömenden Augen, indem er seinen Blick auf die beyden der heiligen Denkmahle richtete, die ihm die nächsten waren; hier der Trost Egyptens? – O ja! er liegt hier begraben! O Mycerin! O Suchis! hätten euch die Götter das Leben gegönnt, oder könntet ihr jetzt erwachen, wie glücklich würde Egypten unter eurer Regierung seyn!

Seba hatte noch nicht geendigt, als ein schreckliches Geheul von der Wüsten [87] her, ihm die Wiederkunft seiner entflohenen Begleiter verkündigte. Er wollte sich retten, doch bald zeigte sich ihm ein Schauspiel, welches ihn sich selbst vergessen lehrte, weil es ihn die Gefahr eines Wesens sehen ließ, dem auch der Verzagteste seinen Beystand nicht versagt haben würde.

Ein Kind, von dem Alter des kleinen Königs im Tempel des heiligen Stiers, und schön wie die Liebe, stürzte sich in seine Arme! Rette, rette mich! schrie es mit bebender Stimme, diese Ungeheuer wollen mich verschlingen!

Bey den Göttern, das sollen sie nicht! erwiederte Seba, der den zitternden Knaben in seine Arme schloß, und die einzige Wehr, die er hatte, das heilige Tuch gebrauchte, sich gegen das erste der andringenden Raubthiere zu vertheidigen; eine schwache Vertheidigung, wenn nicht göttliche Kraft in dem geweihten Gewebe gewohnt, und die kleinste Berührung mit demselben den fürchterlichen Feind tödtlich gemacht hätte. Er sank, so wie ihn ein Zipfel des Tuchs traf, entseelt zu Boden; [88] so wie bald darauf der zweyte auf ähnlichen Schlag das nämliche Schicksal erfuhr.

Wunder waren in jenen Zeiten nichts seltenes, und Seba hatte sich über das, welches eben durch seine Hand geschehen war, vielleicht noch ehe ausgewundert, als sich die Seelen der beyden verworfenen Könige, wenn sie wirklich der Sage nach die Körper dieser Ungeheuer belebt hatten, von ihrer grauenvollen Hülle loswanden, um in einer andern die angefangene Büßung fortzusetzen.

Wer bist du, du Göttersohn? sprach Seba, indem er das schmeichelnde Kind an seinen Busen drückte.

Ich bin der König von Egypten, bin ein Sohn jenes Berges, antwortete der Knabe, indem er auf eine der nächsten Pyramiden zeigte.

Bist König? Bist ein Sohn jenes Berges? Welch eine Antwort! Wer lehrte dich sie?

[89] Meine Mutter.

Wer ist sie?

Ich weiß nicht.

Wo wohnt sie?

Ich weiß nicht!

Verlangst du wieder zu ihr?

Gern! aber ich weiß sie nicht zu finden.

Willst du mit mir kommen?

Das Kind weinte.

Wie kommst du hieher?

Ich schlief, und da ich erwachte, lag ich am Fuß jenes Berges, dessen Sohn ich bin.

Woher kennst du ihn?

Meine Mutter zeigte mir ihn oft von weiten.

Seba that der Fragen noch viel an seinen kleinen Gesellschafter, und erhielt einige Antworten, die, so einfältig sie lauteten, doch sein lebhaftestes Erstaunen zu erregen schienen, und ihn in tiefes Nachdenken versetzten.

[90] Endlich fragte der Knabe, Statt fernerer Antworten selbst ängstlich noch, ob die, welche ihn hätten verschlingen wollen, wiederkommen würden? und da Seba klug genug war, dieses mit Ja zu beantworten, so hatte er das Mittel, das weinende Kind, das er wirklich für den dem Lande von den Göttern bestimmten König halten mußte, und welches außerdem auf keine Art zu bewegen war, die Gegend zu verlassen, wo seine unbekannte Mutter und sein seltsamer Vater seyn sollten, mit seinem guten Willen davon zu führen.

Seba hatte über die Reden des Kindes, und all diese Dinge seine eigenen Gedanken, aber sie waren mit so viel Dunkelheit umhüllt, daß er sich vornahm zu schweigen, bis die Zeit mehr Licht herbeybrächte. Ob es möglich war, daß dies geschehen konnte, wissen wir nicht. Seba wenigstens sollte diese Zeit nicht erleben. Er war zwar ein junger Diener seiner Göttin, aber ein schon ziemlich bejahrter Mann. Die Götter hatten ihn zu ihren Absichten gebraucht, und ruften ihn, weil sie mehr nicht von ihm forderten, bald zu sich.

[91] Er hatte noch die Genugthuung, das Kind in seinen Armen von dem Volk, das ihm auf den Wink der Götter entgegen eilte, als künftigen König von Egypten begrüßt zu sehen. Er genoß die Ehre, die ihm als dem Werkzeuge zu Erfüllung der Göttersprüche gebührte. Man versagte ihm das Glück nicht, das er sich erbat, der erste Erzieher des kleinen Prinzen zu seyn, welchem man auf Befehl des Oberpriesters der Isis den Namen Amenophis gab, aber dieses Glück hatte Seba noch nicht zwey Jahre genossen, so legte er sich hin zu sterben. Menschen, die bey allen Fügungen der Götter menschliche Ursachen herausgrübeln wollen, sagten, sein Tod sey die Folge seiner unablässigen Wanderungen in die Gegenden der Pyramiden, wo ihm der giftige Wind aus der Wüsten, und seiner ruhlosen Fahrten auf gewissen Kanälen des Nils, wo ihm der Hauch der Cerasten und Amodyten geschadet habe.

Der kleine Amenophis hatte den Alten oft auf diesen Wanderungen begleitet, und manche der Worte, die er damals [92] aus seinem Munde hörte, waren, wie es sich in der Folge auswieß, in seinem Gedächtniß hängen geblieben.

So hatte also Egypten wieder einen König, wie sich ihn der Charakter dieses Volks nur wünschen konnte. Die Aussprüche der Götter redeten von ihm, ein Gemisch der wundervollesten Ereignisse schenkte ihn dem Lande. Seine Abkunft war dunkel und geheimnißvoll. Alles, was er selbst davon zu sagen wußte, verwischte sich mit mehrern Jahren, und andere fanden noch weniger Licht darin, als Seba gefunden hatte. Dies begünstigte die Meynung: Pharao Amenophis sey ein Sohn der Götter, und die entzückten Egyptier, die so gern unmittelbar von den Regierern der Welt abhängen wollten, sahen im Geist die Zeiten ihrer alten Götterkönige wiederkehren, die Zeiten des Osiris und des großen Pharao Menes, dessen erhabene Eigenschaften, wie sie hofften, ganz in dem jungen Prinzen wieder aufleben sollten.

In dieser Hoffnung betrogen sie sich doch ein wenig. Amenophis versprach ein [93] guter, aber kein großer König zu werden. Seine Seele hing, so wie er heranwuchs, mit ganzem Ernst am Dienste der Götter, für deren Sohn man ihn gelehrt hatte sich zu halten. Sein Herz fühlte für seine Unterthanen, wie das Herz eines Vaters, seine Sitten waren unschuldig und rein wie die Sitten des Himmels. – Aber Muth zu Unternehmungen war es was ihm fehlte. Muth, das Volk gegen andringende Feinde zu vertheidigen, und Weisheit, Gesetze zu geben, oder diejenigen nach dem Bedürfniß der Zeit zu ändern, die er für heilig hielt, weil sie alt waren.

Mancherley Unordnungen rissen auf diese Art in Egypten ein, die er nicht wahrnahm, weil er sich immer mit überirrdischen Dingen beschäftigte. Eine Idee beschäftigte besonders seine Seele, und es wird vielleicht niemand unter euch seyn, welcher sie ganz misbilligen könnte.

Amenophis fühlte die brennendste Begierde, die Urheber seines Daseyns zu kennen. Ganz Egypten nannte ihn einen Sohn [94] der Götter, und er kannte sie nicht; o daß er sie einst von Angesicht zu Angesicht schauen sollte! Tag und Nacht lag er an den Stufen der Altäre und schrie und weinte zum Himmel, um mit dem Anblicke begnadigt zu werden, den ja kein irrdischer Vater seinem Kinde versagt. Er fragte jedes Orakel, verstand sich zu jedem Opfer, klopfte an jeden Tempel, denn noch wußte er nicht, welcher Gottheit er eigentlich angehöre; umsonst! der Himmel war taub bey seinen Gebeten.

Da ward ihm verkundschaftet, in den lybischen Wüsten wohne ein Prophet, welcher in jeder schweren Sache Rath zu geben wisse, und jedes Mittel kenne, wodurch sich die Gottheit für die Wünsche der Menschen erweichen lasse.

Sehr 14 leicht verstand sich der fromme Pharao zu der vorgeschriebenen Wallfahrt. Würde er doch wohl die Erfüllung [95] seiner Wünsche am fernsten Ende der Erde gesucht haben.

Der Prophet war einer von jenen menschenfeindlichen Heiligen, welche die Bosheit ihres verwahrlosten Herzens in den Dienst ihrer Götter übertragen, und den Vater der Menschen mit dem Blute seiner Kinder versöhnen zu können glauben. Er hatte nicht sobald den Wunsch des Königs von Egypten vernommen, als er folgendermaßen seinen Spruch anhub.

»Ob Pharao Amenophis ein Sohn der Götter, und welcher Gottheit Sohn er sey, das weiß ich nicht, aber wohlbekannt ist mir, daß das höchste und reinste Wesen nie eine unreine Stätte besucht. Siehe, ganz Egypten ist mit Unreinigkeit bedeckt! das Angesicht des Landes der Sonne verunstalten häßliche Flecken, wie die Beulen eines Aussätzigen. Thue hinweg, o Pharao Amenophis, thue hinweg die Fremdlinge, die die Gottheit des großen Osiris, und der unbegreiflichen Isis verkennen, thue hinweg die Frevler, welche den Thron eines Einzigen Unbekannten [96] über die Throne der Gottheiten der Natur erheben, und ihn mit Gebräuchen verehren, davon wir und unsere Väter nichts wußten; sie sind der Aussatz, sie die Unreinigkeit, die das Antlitz des Landes der Sonne verunstaltet. Ihr Blut wasche die Flecken ab, welche die Gegenwart der Gottheit von demjenigen entfernen, der ihres Anschauns begehrt. Vertreibe, vertilge, was den Göttern misfällt, so wirst du schauen, wonach du dich sehnest!«

Als der Prophet ausgeredet hatte, ging er zurück in die Höle, welche er bewohnte, und deren düsteres, menschenfeindliches Dunkel wohl der Geist seyn mochte, der ihm seine Weissagungen eingab; aber der fromme, milde Amenophis blieb, wie vom Donner gerührt zurück; einen schrecklichern Antrag hätte man seinem guten Herzen wohl nicht thun können, als Menschen zu Schlachtopfern seiner Wünsche zu machen, sollten diese Wünsche auch die frömmsten gewesen seyn, deren ein menschliches Herz sich rühmen kann.

[97] In tiefer Trauer kam er nach der Hauptstadt zurück. Er verschloß sich in die innerste Einsamkeit seines Palastes, er suchte seinen Lieblingswunsch zu bekämpfen, und als er diesen so wenig zu meistern, als die grausamen Mittel zu seiner Befolgung einzugehen wußte, so ersann er endlich einen Zwischenweg.

Nicht tödten, sagte er zu sich selbst, nicht vertreiben will ich die Unglücklichen, welche schon den Haß der alten Pharaonen erfahren mußten; aber zum Dienst der Götter brauchen will ich sie. In jener Gegend, die mir immer, ich weiß selbst nicht warum, so theuer ist, in jener Gegend, wohin immer meine frühesten und seligsten Erinnerungen zurückkehren, zur Seite der Pyramiden von Dsyse, erhebe sich ein Tempel, den ich der Gottheit weihen will, die mich auf meine anhaltenden Bitten, für ihren Sohn erkennen wird. Jene Fremdlinge seyen die Werkleute, dieses Heiligthum zu bauen; dies wird den ewigen Urhebern meines Daseyn besser gefallen, als wenn ich ihr schönstes Werk, die Menschheit, in tausendfachen[98] Gestalten zerstörte, und den Fuß ihrer Altäre mit dem Blute der Unschuldigen netzte. Dieses wird ihnen besser gefallen, als wenn ich auch das Gelindere wählte, und das Volk, das Fremdling in meinem Lande ist, in die Wüste vertrieb, wo es verschmachten müßte. Gastfreyheit ist eins der ersten Gesetze der beßten Religion der Erde. Genoß nicht selbst die große Isis ihre Rechte in dem Hause der frommen Königin Saosis, und hat sie nicht tausendfachen Segen auf den gelegt, welcher thut, wie ihr gethan ward?

Pharao urtheilte so fromm als vernünftig, und die Vorhaltung, die er seinem eigenen Gewissen that, verdient tausendmal mehr Beyfall als die Predigt des Propheten aus der lybischen Wüste.

Wir haben oft viel Gutes im Sinne, und preisen uns selbst wegen desjenigen, was in der Ausführung so herzlich wenig wird; besonders haben große Herren, die zu allem was sie thun, fremde Hände brauchen müssen, dieses Schicksal, und Amenophis blieb hiervon nicht ausgenommen. Er glaubte, seine Einrichtung mit dem Bau, [99] zu welchem der Riß sehr bald fertig war, so gemacht zu haben, daß Götter und Menschen damit zufrieden seyn könnten; ob es die ersten waren, weiß ich nicht, aber die letztern seufzten unter der Geisel der Treiber, die Pharaos Befehle nicht so mild und schonend ausrichteten, als sie gegeben waren.

In den Steinbrüchen von Oberegypten, wo Granit und Marmor zu jenem Göttertempel zu Tage gefördert wurde, dessen Ruinen wir noch heute bewundern, kamen viel der unglücklichen Fremdlinge um, die der König begnadigen wollte, ob der Arbeit, welche menschliche Kräfte weit überstieg; noch mehrere verdarben bey Grundlegung eines Gebäudes, welches die schmeichelnden Baumeister dem Könige von Egypten auf dem Papier freylich leichter vorzeichneten, als es in der Ausführung war; ein ungeheures gigantisches Werk, werth noch heut zu Tage der Zeit in majestätischen 15 Trümmern zu trotzen.

[100] Als sich der König einst nach Dsyse begab, den Fortgang seines Baues zu sehen, als schon Tausende über seinen grausamen Begnadigungen umgekommen waren, da geschah es, daß ihm plötzlich die Augen geöffnet wurden. Zwar hatten die Aufseher des Baues, die das weiche Herz ihres Pharao kannten, jeden Anblick entfernt, der seine Menschlichkeit hätte empören können, aber ein Mann war gegenwärtig, der für die Unterdrückten sprach, und dem Könige zeigte, was man ihm mit einem Schleyer verhüllte. Dieser Redner zählte sich selbst zu jenem unterdrückten Volke, und seine Worte waren eindringender, da er für seine Brüder sprach.

Pharao war sehr leicht zu belehren. Er schauderte ob den Geheimnissen der Bosheit, die ihm enthüllt wurden, er änderte auf der Stelle was zu ändern war, und [101] da der Fürsprecher seines Volks gar nicht völlige Entlassung von der Arbeit zu fordern schien, so that er ihm damit volle Gnüge, daß er den Werkleuten Aufseher von ihrem eigenen Geschlecht gab, und ihnen etwas bessere Nahrung, und einen kleinen Sold aussetzte.

Dem Könige traten die Thränen in die Augen, da er sah, wie bald der Arme zu befriedigen ist, und wie leicht es den Großen und Reichen fällt, durch Willfahrungen, die er in seinem Ueberfluß kaum gewahr wird, Danksagungen hervor zu locken, wo vorher Thränen und Seufzer strömten.

Er umarmte den Fürsprecher seiner Brüder und dankte ihm, daß er ihm die Augen geöffnet hatte, auch setzte er ihn zum obersten Aufseher des ganzen Werks, welches dieser mit einigen Einschränkungen annahm.

Wie heißest du? fragte er ihn am Ende.

[102] Oarsiph! war die Antwort.

Wohl, Oarsiph, erwiederte Pharao, laß mich dich nimmer missen, wenn ich hierher komme mich an deiner Weisheit zu laben.

Von diesem Tage an kam Pharao Amenophis oft nach dem Tempel zu Dsyse, und der weise Oarsiph, dessen Namen ihr schon einmal gehört haben müßt, ermangelte nie, sich zu dem Könige zu gesellen, der bald sein Freund ward.

Oarsiph war ein schöner junger Mann, kaum acht bis zehn Jahr älter, als der damals neunzehnjährige König von Egypten. Die Vorzüge seines Geistes kamen der Schönheit seines Körpers gleich. Der junge Monarch lernte viel von ihm. Die Priester der egyptischen Gottheiten hätten nicht alles hören dürfen, was unter den beyden Freunden verhandelt ward.

Glaubt denn Pharao, fragte Oarsiph eines Tages, als der König ihm die geheimsten Wünsche seines Herzens, das noch immer nach dem Anschaun der Götter strebte, [103] enthüllt hatte, glaubt er denn, daß wir die Gottheit schauen können, wie ein Mensch den andern schaut? oder dünkt er sich im Ernste einen Sohn des höchsten Geistes, so wie er gewiß ein Menschensohn ist? – Siehe, mir ist von den Dingen, die über uns sind, vielleicht ein Wörtlein mehr bekannt, als den Priestern der Gottheiten von Erde und Stein, die das Herz des edelsten Königs irre leiten, aber von Pharaos himmlischer Abkunft weiß ich nichts, zu Kenntniß der irrdischen möchte ich vielleicht im Stande seyn, ihm eine Anweisung zu geben.

Wie, Oarsiph? schrie der König, du solltest wissen, wem ich das Leben danke? – Götter oder Menschen, offenbare sie mir, und du sollst der Nächste seyn nach mir im Königreich! Siehe das Heiligthum zu Heliopolis bedarf eines Oberpriesters, du bist weiser und frömmer als der, den es kürzlich durch den Tod verlohr, nimm ein die Stelle, die dich dem Könige gleich macht, dich in vielen Fällen noch über ihn setzt. Du hast keinen Gleichen im Lande als den Oberpriester der Isis.

[104] Oarsiph erröthete über der großen Gnade seines königlichen Freundes. Macht und Hoheit wars zwar eigentlich nicht, was ihn reizte, aber die Gelegenheit Menschen zu belehren, die mit dem Amt eines Erklärers der göttlichen Geheimnisse so genau verbunden war, setzte seine große Seele in Feuer; den Beruf, ein Lehrer der Nationen zu seyn, fühlte er schon damals in seinem hochschlagenden Herzen.

Ich nehme es an, was mir Pharao anbietet, sagte er nach einem kurzen Stillschweigen, aber den Preis für so hohen Gewinn kann ich nur unvollkommen darlegen. Hier ist alles, was mir einst im heiligen Gesicht kund ward; kann der König Licht da finden, wo selbst ich nur Dunkelheit sehe, so halte er sein Versprechen, sonst nehme er die Gnade zurück, die er mir anträgt, ich mag nicht genießen, was ich nicht verdienen kann.

Rede, sprach Amenophis, das Hohepriesterthum ist dein, deine Worte mögen meine Wünsche befriedigen oder nicht! Habe ich doch wohl ehe geschworen, bloße [105] Winke über das, was meine Seele zu wissen strebt, mit der Hälfte meines Königreichs zu erkaufen.

Als ich einst, fuhr Oarsiph fort, auf meinem Lager verborgenen Dingen nachsann, kam folgendes Wort zu meinen Ohren: »Zu großen Dingen bist du bestimmt, o Oarsiph! – Pharao Amenophis wird dich auf die erste Stufe deiner Größe leiten. Wenn er, der Sohn des Grabes, er, der einem Löwen und einer Jungfrau sein Leben dankt, in der Ebene von Dsyse die Erde durchwühlt, die Urheber seines Daseyns zu finden, dann wird Oarsiph über derselben herrschen. Er wird die Fesseln seines Volks leichtern, wenn auch nicht lösen, er wird seine Feinde demüthigen, wenn auch nicht aufreiben, denn er muß Rechenschaft geben dem Könige, welcher nach Jahren wieder hervorgehen wird, aus dem Grabe, in welchem er fand, die ihn gebahr, Oarsiphs Mutter und die seinige!«

Wie? schrie Pharao, der seinen Freund nicht ausreden lassen konnte, deine Mutter [106] und die Meinige? und also Brüder, Brüder wären wir? O Oarsiph! laß uns jeden Theil deines Götterspruchs sorgsam beherzigen. Geheimnisse der Weisheit liegen in dem kleinsten Worte desselben verborgen! Heil mir! ich habe die Kenntniß meines Ursprungs gefunden! ich werde einst in Mutterarmen liegen, und hier, hier umarme ich einen Bruder, zu welchem nicht ohne Ursach mein Herz mich beym ersten Anblick hinriß!

Die beyden Freunde umarmten sich als Brüder, obgleich Oarsiph die Möglichkeit, daß sie es anders, als auf symbolische Weise seyn könnten, nicht ganz eingestehen wollte. Darauf folgten ernste Ueberlegungen der Plane, die in Pharaos Herzen aufgingen, und die von dem weisen Fremdlinge nicht ganz gebilligt wurden. Doch er erkannte in dem unwiderstehlichsten Triebe seines königlichen Freundes, auf die in seinem Nachtgesichte angegebene Art, seiner Herkunft nachzuspüren, und während seiner Abwesenheit, von welcher er nicht glauben wollte, daß sie Jahre dauern könne, [107] ihm alle Macht im Königreiche zu überlassen, die Fügung einer höhern Hand.

Oarsiph ward als Oberpriester zu Heliopolis eingeführt, und Pharao begann auf der angegebenen Gegend die Erde durchgraben zu lassen. Auf die Stelle, wo die Werkleute zuerst einschlugen, ward in der Folge jenes räthselhafte Bild gesetzt, eine Anspielung auf die geheimnißvolle Geburt des Königs. 16 Ein Wesen, von vorn einer schönen geschleyerten Jungfrau, von hinten einem liegenden Löwen gleich, wacht am Eingange der Geheimnisse, welche die Nachwelt nie ganz enthüllen wird.

[108] Die Werkleute hatten noch nicht lange gearbeitet, als sie auf unterirrdische Gänge stießen, welche zeigten, daß Menschenhände hier nicht zum erstenmale geschäftig waren. Als der Obertheil der Gewölbe zerbrochen war, sahe man sich in weiten Räumen, in welchen es sich bequemlich wandeln ließ. Labyrinthische Wendungen führten zu einem rauschenden Strome, der sich von oben herabstürzte.

Ich kenne diese Gegenden, schrie Pharao, indem er sich zu Oarsiph wendete, ich kenne sie, oder alles was mir aus der Vergangenheit vorschwebt, ist ein Traum! In Gängen wie diesen, habe ich am Mutterarm meine ersten Schritte versucht, auf Wassern, wie diesen, schiffte ich in der Folge mit dem weisen Seba, den mir das Schicksal zu früh entriß. Er mußte Dinge wissen, oder wenigstens ahnden, die mir entfallen sind, er würde mich richtig zu dem Endzweck geleitet haben, den ich nun aufs Ungewisse verfolge. Tönen mir nicht noch die Worte in den Ohren, die er oft zu mir sagte und die ich als Knabe nicht verstand?

[109] Wenn Amenophis, sprach er zu mir, den Stuhl der Pharaonen besitzt, so muß er fleißig in diesen Gegenden verweilen; die süßesten Freuden der Natur werden ihm in diesen Dunkelheiten begegnen. – Wenn er dann dieses gesagt hatte, so stießen wir oft auf eingestürzte Felsenwände, die uns den Weg verdämmeten, und uns zur Rückkehr nöthigten. Hindernisse, wie diese, rief er denn zuweilen, kann nur ein königlicher Arm hinwegräumen; wenn Amenophis König seyn wird, so vermag er freylich mehr, als wir jetzt beyde vermögen. – So sprach Seba, und warum mußten mir seine Reden so gänzlich entfallen? Dank dir, Oarsiph, daß du das Mittel warest, mir sie zurück zu rufen! Mit deinen Rathschlägen ist die Hand der Götter, sie können nicht mislingen!

Aber wie kam Seba, fragte Oarsiph voll Verwunderung, in diese Regionen, zu denen uns nur Spaten und Grabscheit den Weg öffnen konnte?

Pharao wußte es nicht, doch meynte er, ihm sey es, als wenn ein Kanal zwischen [110] den Bergen zu diesen düstern Gewölbern geführt habe, auf dessen Richtung er sich nicht mehr besinnen könne.

Die unterirrdischen Wege wurden immer ebener und gebahnter. Hülfe von mehrern Händen wurde fast unnöthig. Der König, dessen aufgeregte Phantasie nun stündlich den größten Geheimnissen entgegen sah, wollte die Gegenwart fremder Personen hier nicht mehr um sich dulden, selbst Oarsiph schien ihm lästig zu werden und er entließ ihn.

Geh, mein Freund, sagte er eines Tages zu ihm, und überlaß mich dem, was hier meiner wartet. Die Geheimnisse der Unterwelt fordern Einsamkeit, und dich ruft das Amt meines Stellvertreters in die obern Regionen. Geh, und vergiß nicht den Eingang zu schließen, du weißt, daß, ob ich Jahre hier verweilen müßte, es mir an nichts fehlen kann. Wie du in meiner Abwesenheit mein Zepter führen wirst, darum sorge ich nicht; siehe, in diesem Briefe, den ich von dem Propheten aus der lybischen [111] Wüsten erhielt, und den ich ohne Rechtfertigung zu fordern, in deinen Händen lasse, einen Beweis meines unbeschränkten Zutrauens.

Pharao legte mit diesen Worten ein Blatt in Oarsiphs Hände, umarmte ihn, bog einen Seitengang ein, und verschwand vor seinen Augen.

Das Blatt enthielt folgendes:

»Ich habe dem großen Pharao übel gerathen, als ich ihm die Vertilgung der Fremdlinge gebot, und noch übler hat er mir gehorcht! O Amenophis! siehe zu, wen du geschont, und wem du getrauet hast! – O Egypten! Egypten! Pflegerin der großen Isis! deiner warten schreckliche Jahre. Dein Schützer stürzt sich in das Grab, und läßt dich in den Händen der Fremden! Sie werden dich zerrütten, werden deine Eingeweide zerreißen, und ich, ich war, wenigstens auf entfernte Weise, die Ursach deines Elends! – Dafür lohne mir dieser Stahl. Wenn Pharao Amenophis diese [112] Zeilen liest, wird der unglückliche Prophet aus der lybischen Wüsten nicht mehr seyn. O daß sein Blut die zürnenden Götter dem Vaterlande versöhnen könnte!«

Was denkt man von mir, schrie Oarsiph, als er diese Worte gelesen hatte. Hält man mich für fähig, das Zutrauen meines Königs zu täuschen? Pharao! Pharao! kehre zurück, und nimm alle Gewalt aus meinen Händen wieder, die du in denselben niederlegtest! Ich zittre vor der Möglichkeit verkannt zu werden, und vor der noch schrecklichern, Mistrauen zu verdienen!

Oarsiph verband mit den lauten Klagen, von welchen er die unterirrdischen Gewölber wiederhallen ließ, die emsigste Bemühung, den entflohenen König wieder zu finden, aber sie war vergebens. Der Weg, durch welchen er den frommen Amenophis verschwinden sahe, schien hinweggezaubert zu seyn. Der Suchende stieß auf eingestürzte Felsenwände, auf rauschende Wasser, aber auf keinen Pfad, den ein menschlicher Fuß hätte betreten können. [113] Mehrere Tage irrte er so umher, bis ihn seine Leute fanden, und ihn, da er ihnen den Verlust des Königs gestand, inständig baten, Egypten nicht durch Aufopferung seines Lebens doppelt unglücklich zu machen.

So kehrte also Oarsiph in die Oberwelt zurück, und fand keine Schwierigkeit, das Zepter, das ihm Pharao anvertraut hatte, zu behaupten. Dieser gute Stellvertreter eines guten Prinzen hatte fast keinen Widersacher als seinen Rebenbuhler in der Gewalt und Würde, den Oberpriester der Isis. Oarsiph der es unmöglich fand, den rohen egyptischen Pöbel jetzt schon zu bessern Erkenntnissen anzulehren, deren er sich rühmte, stiftete für die Reiferdenkenden die Geheimnisse zu Heliopolis; Ursach genug für den Liebhaber der Finsterniß und des Aberglaubens ihn zu hassen und zu verfolgen.

Amenophis hatte sich von dem Arme eines Freundes losgemacht, um sich Ereignissen entgegen zu stürzen, die er nicht kannte, und die sich eben darum mit allem Reiz des Wunderbaren vor seiner ahndenden [114] Seele ausbreiteten. Ihm war es, als betrete er, seit er in diesen düstern Regionen allein war, heiligen Grund, als umwehe ihn fühlbarer die Gegenwart der Gottheit. Er hörte die Stimme Oarsiphs, der ihm in den labyrinthischen Gängen nicht zu folgen wußte, aber er verstopfte sein Ohr vor derselben. Er wollte allein seyn, allein mit den Wesen, die diese Gegenden bewohnten, und deren Ruf seine aufgeregte Phantasie oft deutlich zu hören glaubte.

Schon zwey oder dreymal hatte er einen Laut vernommen, welcher seinem mit dem Lallen des Echos ausgesprochenem Namen glich. Hier tönte alles wieder, jedes Flüstern, jeder Hauch prallte hörbar vom Gestein der Seitenwände zurück, welche sich jetzt mit dem hellpolirtesten Marmor kleideten. Die Fackel in der Hand des Wanderers vervielfältigte sich tausendfach, und schon mehrmals hatte er geglaubt, aus der Ferne eine Gestalt sich nahen zu sehen, die ihm mit einer leitenden Flamme entgegen leuchtete, und die nichts war, als der Umriß seiner eigenen Gestalt. Amenophis [115] antwortete dem geglaubten Rufe, eilte dem gewähnten Führer entgegen; es war nichts als Täuschung seines glühenden Gehirns, und er sank, zehnmal also betrogen, voll Unmuth auf einem Steine nieder, dergleichen er seit einigen hundert Schritten viel in der Mauer, als gleichsam zur Ruhe des Wanderers bestimmt, gefunden hatte.

Es ist eins der allerpeinlichsten Gefühle, immer einem Etwas entgegen sehen, das nicht kommt, und sich endlich überzeugen müssen, es sey nur ein Geschöpf unserer Einbildungskraft, das wohl nie zur Wirklichkeit werden möchte. Amenophis erfuhr diese Qual im höchsten Grade, und bald gesellten sich zu ihr noch andere Beängstigungen, deren Wichtigkeit sein Leben bedrohte.

Zwey Tage lang war er schon herumgeirret, aus gebahntern in ungebahntere Gegenden, aus diesen wieder in jene, bis er endlich inne ward, daß er im Kreise wanderte, und immer jene Orte wieder sah, die er schon einmal betreten hatte. Hier, nach dieser Entdeckung war es, da er sich [116] voll Verzweiflung niederwarf und den nahen Tod vor Augen zu sehen glaubte. Die letzte seiner Fackeln drohte in seiner Hand zu verlöschen; er fühlte Hunger und Durst, und fand, daß ein köstlicher Nahrungsbalsam, den ihm die Weisen seines Königreichs als ein vieljähriges Erhaltungsmittel mitgegeben hatten, ihn nicht vor dem Verschmachten schützen würde, eben so wenig Zutrauen konnte er zu dem Mittel haben, sich in dieser Dunkelheit ewiges Licht zu verschaffen, das er gleichfalls bey sich führte, und von welchem ihm schon Oarsiph gesagt hatte, er solle sich nicht zu sehr darauf verlassen.

Oarsiph würde sich der thörichten Wanderung seines königlichen Freundes ernstlicher widersetzt, und dieser sie vielleicht nicht so unternommen haben, wenn nicht beyde gedacht hätten, der Weg hinauf und hinab blieb unverschlossen, und man könnte auf diese Art zu jeder Stunde Hülfe in die Tiefe hinabbringen oder holen, da man dieselbe bedürfen würde.

[117] Diese Hoffnung war vergebens. Eine unsichtbare Hand schien den Weg zur Gemeinschaft mit der Oberwelt abgeschnitten zu haben. Oarsiph strebte umsonst zu seinem königlichen Freunde zu gelangen, und dieser suchte eben so vergeblich wieder zu demjenigen zu kommen, von dessen Hand er sich absichtlich losgemacht hatte. Unzählige Versuche wurden von Seiten des Wanderers gemacht, sich auf diese Art zu retten, aber er vermochte nichts, als seinen gewöhnlichen Kreislauf, der ihn in einigen Stunden allemal an die nämliche Stelle zurückbrachte, ohne daß ein Seitenweg ihm zeigte, woher er gekommen war, oder wo sich dieses ruhelose Umherirren enden könne.

Endlich verlosch auch der letzte Schimmer des sorgsam geschonten Ueberrests der Fackel, und Amenophis glaubte sich nun ganz der Verzweiflung zum Raube überlassen.

Doch ein Strahl der Hoffnung senkt sich oft in die düsterste Tiefe des Verderbens. Während der königliche Wanderer die phosphorischen Materien hervorsuchte, [118] die man ihm mitgegeben hatte, um bedürfenden Falls den Abgang der Fackeln zu ersetzen, ward er gewahr, daß ein viel helleres Licht, als er hier erwarten konnte, ihm aus einer unabsehlichen Höhe entgegen kam; es war nicht mehr dunkel um ihn, sondern vom Augenblick zu Augenblicke vermehrte sich eine falbe Dämmerung, die ihn deutlicher sehen ließ, wo er war, als zuvor das täuschende Licht der Fackel gethan hatte.

Er sahe bald, daß er bey dem großen Zirkel, den er in seinen Wanderungen beschrieb, allemal eine Mauer zur rechten Hand hatte, in welcher hier und da Oeffnungen angebracht waren, durch welche das dämmernde Licht, das er wahrnahm, hereinfiel.

Der wandernde König schöpfte aus diesem Anblick Hoffnung zu möglicher Rettung. Er schaute durch eine der untersten Oeffnungen. Ein fürchterlicher Anblick! unter sich eine schwarze unabsehliche Tiefe, über sich eine eben so schwindelnde Höhe. Unten im Abgrunde rauschte Wasser, oben [119] trat eben über einer Art von offenem Giebel, den vielleicht nur die unabsehliche Ferne als eng und klein vorstellte, den Mond aus einer Wolke hervor, der die bisherige Dämmerung zu hellem Tage machte.

Es war eine Art von Brunnen in welchen Amenophis schaute, aber weißer Marmor kleidete seine Seitenwände, und gab den Glanz des Mondes, der gerade hineinfiel, leuchtend zurück.

Es war natürlich, daß der Schauer mehr zu sehen wünschte, als ihm durch seine enge Lücke sichtbar war. Nahe vor derselben zeigte sich etwas, wie ein eiserner Stab. Die Furcht, bey weitern Hinausbeugen einen Sturz in die jähe Tiefe unter ihm zu thun, machte, daß er, indem er Kopf und Schultern weiter hinausdrängte, um zu spähen, was hier eigentlich sey, und ob aus diesem Winkel Hoffnung der Befreyung aus seinem Kerker kommen könne, diesen vermeynten Anhalter ergriff, sich einige Festigkeit zu geben. – Unseliger Einfall! Schnell genug, doch zu spät um[120] sich zu retten, fühlte er, daß er Statt des festen Eisens ein dickes Seil gefaßt hatte, welches von der Höhe in den Abgrund hinabhing, und das, dafern dies wirklich ein Brunnen war, vermuthlich diente, das Wasser aus der Tiefe hinauf zu winden.

Kaum hatte Amenophis das Seil gefaßt, als die Füße unter ihm losgingen, und er sich durch eine unwiderstehliche Gewalt aus der Oeffnung, durch welche er sich gedrängt hatte, vollends hervor gerissen fühlte. Unter ihm schwankten Gewichte, über ihm begannen mit großem Getöse Räder in Gang zu kommen. Er fühlte sich hinweggeführt, von seinem Stande gerissen, schwebend in der freyen Luft, schwebend über einem Abgrunde, in welchem er nun das Toben eines fallenden Wassers noch fürchterlicher vernahm.

Man kann sich keinen schrecklichern Zustand denken als den seinigen. Ein Glück wars, daß ihm das Entsetzen nicht die Besinnung benahm. Seine einzige Rettung bestand jetzt darin, sich an dem Seile, das [121] der Vorwitz in seine Hände gebracht hatte, fest zu halten. Er mußte es dem Schicksal überlassen, was nun sein Loos seyn sollte: unablässiges Schweben über dem Abgrunde, schnelles Hinabstürzen in die grauenvolle Tiefe, oder, wozu ihm die noch immer fortdauernde Bewegung der Getriebe über ihm Hoffnung machte, Hinaufsteigen in höhere Gegenden, die schon darum besser für ihn seyn mußten, weil sie der Oeffnung, die das Licht hereinließ, näher waren.

Das Letzte erfolgte. Nachdem er noch zweymal den schon vorhin vernommenen Ruf, der aber nicht seinen, sondern den Namen Onuphis aussprach, gehört, und ihn, weil er das zu seiner Rettung für nöthig hielt, beantwortet hatte, schwirrten die Räder über ihm stärker, und er fühlte sich allmählich hinaufgewunden bis an eine Stelle, von wo es ihm gar eigen dünkte, einige Schattengestalten wahrzunehmen, die das Getriebe in der Höhe regierten.

Die Fragen: Wo bin ich, und was hat dies alles zu bedeuten? wären wohl [122] hier sehr natürlich gewesen, aber ich weiß nicht, ob sie in der Seele des Schwebenden aufstiegen; über seine Lippen gingen sie gewiß nicht. Er fühlte nichts als seine Gefahr, und der Gedanke, daß ein Hauch sie vermehren könne, lehrte ihn schweigen.

Er war jetzt einem Boden, worauf sichs fußen ließ, nahe. Noch einigemal schwankte das Seil. Ein kühner Sprung und er war gerettet. Er sah jetzt jene Gestalten näher und deutlicher, aber sie sahen auch ihn, und da das, was sie aus der Tiefe herausgewunden hatten, ihre Befremdung erregen mochte, so entflohen sie, und ließen den Geretteten in neuer Verlegenheit zurück.

Jetzt konnte sich der Abentheurer jener Fragen nicht länger enthalten, er that sie laut, und unter ihm antwortete das Echo! – Er befand sich auf einem großen geräumigen Platze, dessen Mitte die Oeffnung ausmachte, aus welcher er dem Abgrunde entschwebt war. Ueber ihm lachte der heitere wolkenlose Himmel, und das Gestirn [123] der Nacht, das in all seiner Herrlichkeit über silbernen Düften einher wandelte.

Die Oeffnung, durch welche er dieses entzückende Schauspiel zwischen den Mauern, die sich von allen vier Seiten über ihm zusammenthürmten, erblickte, und die ganze Form dessen was ihn umgab, ließ ihn keinen Augenblick länger zweifelhaft, wo er sich eigentlich befinde, in der obersten Spitze einer der Pyramiden, deren Wunderbau er so viele Jahre hindurch von außen mit Erstaunen betrachtet hatte, ohne die Möglichkeit oder die Mittel zu kennen, zu dem Anschauen ihrer innern Beschaffenheit zu gelangen, ja ohne dasselbe nur zu wünschen. Pharao Amenophis, der geglaubte Sohn der Götter war immer zu sehr mit überirdischen Dingen beschäftigt, als daß er Neugier für die Wunder der Erde hätte haben sollen.

Der Wanderer wußte jetzt wo er war, das, was er gesehen hatte, ließ ihn auch muthmaßen, daß er sich nicht allein hier befinde. Wenn nicht Geister hier geschäftig, so befand er sich unter Menschen, von [124] denen er Hülfe erwarten konnte. Er erhob seine Stimme, diese Hülfe zu fordern. Aber unter ihm antwortete nur das Echo, Erwiederung von menschlichem Munde ließ sich nicht vernehmen.

Er tappte rund umher an den glatt polirten Marmorwänden nach einem Ausgang. Umsonst! Keine Spur von einer Oeffnung, wodurch ein körperliches Wesen könne hereingekommen oder verschwunden seyn.

Als Amenophis dieses fruchtlosen Spähens müde war, ergriff er ein andres Mittel, seiner Neugier, oder vielmehr seinem Verlangen nach völliger Rettung Gnüge zu leisten.

Im Mondschein zeigte sich eine Treppe, die sich von der Platform, wo er stand, hinauf wand, zu der obersten Spitze der Pyramide. Ohne darüber nachzudenken, daß diese Stufen eines Theils über dem offenen Abgrunde hingen, dem er kaum entkommen war, wagte er sich hinauf, und welch ein Anblick wars, der hier ihm lohnte! [125] Welch eine Aussicht, die sich seinen Augen öffnete!

Er sah, daß er sich in seiner Meynung nicht betrogen hatte, er befand sich wirklich auf der Spitze der einen Pyramide von Dsyse. Zur Seite thürmten sich die drey andern riesenmäßig empor, und rund umher lag in der feyerlichen Ruhe der Nacht eine Gegend, welche der zauberische Schimmer des Gestirns der Isis zu einem Elysium machte. Dort das hochthürmigte Memphis, hier die Silberfluthen des Nils, weiter hin malerische Gruppen von Bäumen und buschigten Gebirgen, und näher der angefangene Bau des Tempels, den er zu Ehren der himmlischen Urheber seines Daseyns begonnen hatte, und der schon weit genug vorgerückt war, um von der schwindelnden Höhe bemerkbar zu seyn, und mit seinen Säulengängen und Prachtbogen, welche einen gigantischen Schatten ins Thal warfen, die ganze Scene malerischer zu machen.

Der Anblick war hinreichend schön, selbst ein Herz voll Angst, wie es das Herz [126] des Schauers in diesem Augenblicke gewiß war, konnte sich seinen Reizen nicht verschließen. Doch endlich wurden die süßen Gefühle der Bewunderung von andern verdrängt, die minder angenehm waren. Amenophis hatte hier nicht sowohl eine schöne Aussicht, als da ihm die Hoffnung auf überirdische Entdeckungen fast ganz vergangen war, Mittel gesucht, aus einem Orte zu entkommen, wo er sahe, daß er hülflos verschmachten mußte.

Nichts, als die Unmöglichkeit einer solchen Rettung lag ihm auch hier vor Augen. Er befand sich gerade auf der Spitze derjenigen Pyramide, die unter allen ihren Schwestern, von außen, die unzugänglichste war. Sie bestand aus den glättesten hellpolirtesten Granitplatten, welche die Gebirge von Oberegypten je mögen geliefert haben. Der Mond spiegelte sich in den glatten Seiten des Wundergebäudes, so wie sie sich von der Spitze ins Thal hinab dehnten, und sein Glanz machte die Gefahr ganz sichtbar, welche der erste gewagte Fußtritt auf diesen ungangbaren Pfad mit sich bringen mußte.

[127] Amenophis, den die Vorstellung von dem Schicksal, das ihm in diesen öder Steinhaufen bevorstand, kühn machte, setzte den Fuß mehr als einmal hinaus über das Geländer, das die Oeffnung umgab, aber eben so oft zog er ihn wieder zurück, und ward endlich schlüssig, wenigstens jetzt noch eine Wanderung zu verschieben, die nur durch ein Wunder hätte glücken können.

Sein Auge zog sich schwindelnd zurück, er konnte die Vorstellung von dem fürchterlichen Hinabgleiten auf solch einem Wege nicht länger ertragen. Ist dieses, sagte er zu sich selbst, indem er die Treppe, die ihn heraufgeleitet hatte, wieder hinunter stieg, ist dieses, wie die Sage berichtet, die Pyramide der Tochter Cheops, so weiß ich nicht, wie ihr der Tod, den sie auf dieser Spitze soll gefunden haben, nicht früher, nicht auf dem entsetzlichen Wege, den sie herauf zu gehen hatte, entgegen kam.

Amenophis wußte die Geschichte der schönen Suchis, und er hatte sie nie anhören können, ohne für diese unglückliche Prinzessin tief zu fühlen; auch jetzt kamen [128] ihm Thränen bey ihrer Erinnerung in die Augen, und er langte mit einer Bewegung in der untern Region, aus welcher er heraufgestiegen war, an, welche dasjenige, was wir sonst beym Andenken an das Schicksal unbekannter, längst verstorbener Personen zu empfinden pflegen, weit übertraf.

Nicht hier, große Götter, rief er, indem er sich auf eine der steinernen Bänke warf, die auf der Plattform hier und da angebracht waren, nicht diesseits des Grabes ists also, daß ihr der Tugend lohnet, und unschuldige Wünsche, die ihr selbst in die Seele legtet, ihre Erfüllung sehen lasset! Suchis und Mycerin wünschten sich das Glück der Liebe und fanden den Tod, Amenophis wünschte sich die Kenntniß derer, die ihm das Leben gaben, und was er findet, wird wohl auch nichts anders seyn, als Untergang und Verderben. Aber dort in jenen glücklichern Gegenden, jenseit des schwarzen Sees, lächelt ja wohl noch endlich frommer Liebe Befriedigung. Suchis wird ihren Mycerin, und Amenophis seine Aeltern umarmen, sie wenigstens anbetend [129] schauen, wenn sie zu kindlicher vertraulicher Liebe für ihn zu hoch seyn sollten.

Amenophis hatte, da er so mit sich selbst sprach, und die Augen tief vor sich hin auf den Boden senkte, nicht wahrgenommen, daß er nicht mehr allein war, jetzt machte ihn die zweymalige Nennung seines Namens, der mit einem unbeschreiblich süßen Tone ausgesprochen wurde, plötzlich aufmerksam. Er richtete die Augen empor, fuhr auf und sahe eine Gestalt sich gegen über stehen, welche der zauberischen Beleuchtung, in der sie von Mondsstrahlen umgeben, da stand, nicht bedurft hätte, um für überirdisch gehalten zu werden.

Eine große majestätische Frau, wie wir die große Einzige, die Mutter aller Dinge, die Göttin Isis malen! Der Himmel war in ihren Blicken, und ihre Arme breiteten sich aus, mit überschwenglicher Liebe, den zu umfangen, der halb mit Furcht, halb mit freudigen Entzücken zu ihren Füßen gesunken war.

[130] Amenophis! rief sie. – Ists möglich, Amenophis! du Lieber! du lang Erwarteter! Du Sohn meines Herzens, ists möglich, daß ich dich endlich hier finde?

Und ists möglich, große Göttin, stammelte Amenophis, daß du dich endlich meiner Thränen erbarmtest und dich mir zeigtest?

Göttin, Amenophis? – fragte die Erscheinung, für wen hältst du mich?

O ich weiß nichts, schrie der junge König, indem er sich an ihren Busen schmiegte, weiß nichts, du Unbegreifliche! als daß mich jetzt Mutterarme umfangen; dies einzige sagt mir mein Herz. Behaupte unter den Göttern einen Rang, welchen du willst, mich kümmert das nicht, oder sey, ich bitte dich, sey lieber eine Sterbliche, damit ich dich inniger lieben, dich fester umfassen könne! Mir ists in diesem Augenblicke, als möchte ich ungern ein Wesen blos anbetend verehren, das mir so nahe verwandt ist, das, ich fühle es, einen Theil von meinem eigenen Selbst ausmacht.

[131] Die Thränen der Unbekannten strömten, sie drückte den Freudetrunkenen, der seine Gefühle nicht auszureden vermochte, fester an ihr Herz! – Amenophis! rief sie, besinne dich! Ja! ich bin deine Mutter! dein Herz täuscht dich nicht! Aber eine Göttin bin ich nicht, ich bin Suchis, die unglückliche Suchis, deren Schicksal du so eben beweintest, und die wahrlich diesen Augenblick nicht mit allen Freuden der Götter vertauschen würde.


[132] Erlaubt mir, meine Zuhörerinnen, über das, was dieser wohl ganz unerwarteten Entdeckung folgte, einen Vorhang zu ziehen. Der Sohn in den Armen der Mutter! Amenophis und die Tochter Cheops, durch die nächsten heiligsten Bande der Natur verknüpft, so lang getrennt und nun auf die wundervolleste Art wieder vereinigt! ich weiß, ihr fühlt alles, was in diesen Worten liegt. Jene beyden Glücklichen fühlten es auch, aber die Art, wie sie es äußerten, bleibe von mir ungeschildert.

Laßt mich ruhigere Augenblicke wählen, um euch wieder zu ihnen zu führen, jene Augenblicke, da es zwischen beyden zu nähern Erklärungen kam, zu Erklärungen, die auch euch zu Hinwegräumung aller Unbegreiflichkeiten noth seyn werden.

Das geglaubte Grabgewölbe der schönen Suchis war nicht das, was es dem verzweifelnden Amenophis vor einigen Augenblicken [133] zu seyn geschienen hatte, es war in keiner Betrachtung ein Wohnung des Schreckens und des Verderbens. Die finsterste Höle würde dem entzückten Sohne im Arm seiner Mutter ein Himmel gewesen seyn, mit ihr würde er Tod und Elend getrotzt haben; aber hier war von solchen traurigen Dingen gar nicht die Rede, und der Ort, an welchen ich euch wieder in die Gesellschaft der beyden Glücklichen führe, ist ein prächtiges wohlerleuchtetes Zimmer; Erfrischungen aller Art fehlen nicht den Verschmachtenden zu laben, und zwey Frauenspersonen von guten Ansehen sind beschäftigt, ihn und seine königliche Mutter zu bedienen, auch ihr Blick hängt voll Liebe an dem Neuangekommenen, und er kann sich nicht entbrechen, da sie sich ihm als alte Bekannte, als Pflegerinnen seiner frühsten Kindheit darstellen, ihre Theilnahme mit Dankbarkeit, ihre gutherzigen Liebkosungen mit Gegenliebkosungen zu beantworten.

Ja, meine Mutter, rief der jetzt gelassenere Amenophis, ja, mein Herz [134] sagt es mir, daß alles, was ich hier höre, wahr ist. Die Gegenstände, die sich meinen Augen darbieten, entsprechen den frühsten Erinnerungen meiner Seele, Bilder, die bisher nur dunkel aus meiner Phantasie hervorgingen, werden auf einmal klar und deutlich. Ich weiß, hier habe ich schon ehemals gelebt, in diesen theuren Armen habe ich schon ehemals geruht, und diese guten Frauen, du treue Möris, und du Andere, deren Namen ich vergessen habe, sind Pflegerinnen meiner ersten Lebensjahre gewesen. Eurer waren damals, dünkt mich, mehr; doch dieses und tausend andere Unbegreiflichkeiten sinds eben, was ich deutlicher enthüllt zu sehen wünschte. Wie kann Suchis meine Mutter, wie ich ihr Sohn seyn? Welch Wunder erhielt sie lebend? Was brachte uns hieher, und was entfernte mich von Euch? Welches ist das Geheimniß meiner Geburt, und welches die Möglichkeit uns so zu treffen? Dieses alles, alles muß ich wissen! – Suchis! liebe, theure, angebetete Mutter! Verzeihe [135] deinem Sohne ein Verlangen, das mit der Liebe zu dir so nahe verwandt ist! Verzeihe es ihm und befriedige es so schnell und so umständlich als du vermagst! –

Und Suchis verzieh, und erzählte, was ihr in der Folge umständlicher hören werdet.

Fußnoten

1 Neith, die zu Sais verehrte Göttin. Die Egypter verstanden unter dieser reinen jungfräulichen Gottheit, die sie eine Tochter des ersten Gottes nannten, die reine Himmelsluft. Ihr zu Ehren wurde einmal im Jahr, oder bey außerordentlichen Gelegenheiten, ein Lampenfest gefeyert.

2 Der Hippopotamus, ein dieser Gottheit geweihtes Thier, ward daselbst verehrt.

3 Jede der vier Seiten beträgt so weit man sie heute zu Tage hervorragen sieht 500 Fuß. Daß der Grund des Gebäudes tief im Flugsande verborgen liegt, ist gewiß, obgleich die Mährchenerzählerin hier die Sache wohl etwas übertreibt.

4 Diese unerklärbaren Gebäude nur einigermaßen zu untersuchen kostete Lebensgefahr, was muß es gekostet haben sie auszuführen! Man lese Maillets Beschreibung des Innern der großen Pyramide.

5 Diese und die andern hieher gehörigen Beschreibungen stimmen ziemlich mit Maillets Nachrichten überein.

6 Mycerin: Ein Löwe, so wie Suchis, eines der heiligen Krokodile; die Egypter liebten die Namen den Göttern geweihter Thiere ihren Kindern zu geben.

7 Ob dies zu den Zeiten der Erzählerin schon geschehen war, läßt sich nicht mit Gewißheit bestimmen; Sultan Mahomed der Erste wird gemeiniglich als der Eröffner der großen Pyramide des Pharao Cheops angegeben. Die andern drey die man nach ihren Erbauern, Chephres, Mycerin und Suchis nennt, sind noch uneröffnet.

8 Lotus, eine Wasserpflanze, die mit unserer Nymphea eine Aehnlichkeit hat.

9 Ob Almé in Berechnung der Distanzen ganz richtig ist läßt sich nicht entscheiden, was das Mährchen von der Bildsäule Memnons anbelangt, welche die Morgenröthe allemal mit lieblichen Glockenton empfing, so ist es zu bekannt, um hier erwähnt zu werden.

10 Auch diese egyptische Mythe ist wohl zu bekannt, um hier weitläufig erwähnt zu werden. Egypten verehrte seinen Osiris unter der Gestalt eines schwarzen Stiers, welcher mit besondern Eigenheiten begabt seyn mußte, und der also so leicht nicht zu finden war. Sein Tod erregte allgemeine Trauer, und dann Bewerbung um einen Nachfolger des Gottes. Ein gutes Zeichen für das Land soll es gewesen seyn, wenn er sich nicht so bald finden ließ. War er indessen gefunden, so hörte das während der ganzen Vakanz dauernde Wehklagen des Landes auf, und verwandelte sich in den Jubel, mit welchem der neue Gott eingeholt wurde.

11 Der heilige Stier gab Antwort, theils durch den Mund seiner Priester, theils durch die Reden in seinem Vorhof spielender Kinder.

12 Die Anzahl dieser Weisen war bestimmt, nur alle sieben Jahr, oder beym Absterben eines alten, ward ein neuer Priester gewählt.

13 Die alten Schriftsteller geben jedesmal dem geblendeten Priester am Remphisfeste zwey Wölfe zu Wegweisern. Hier scheint es, daß dieses schreckliche Abentheuer dem Priester Seba zum erstenmale begegnete.

14 Manetho ist größtentheils der Ueberlieferer dieser Fabel.

15 Auch jetzt sind noch Ueberbleibsel davon zu sehen. Savary hält den großen Sphinx, von welchem hernach die Rede seyn wird, für die einzig übrige von einer ganzen Gallerie solcher zu diesem Tempel gehöriger Bildsäulen.

16 Der große Sphinx, davon noch jetzt ein Theil über den Sand, damit die Zeit dieses ungeheure Werk überschüttet hat, hervorragt. Nach den Zeugnissen der Alten soll er, so wie es damals ausgemessen ward, da er noch ganz sichtbar war, 130 Fuß in der Länge und 62 in der Höhe betragen. Dieses Sinnbild aller Räthsel ist von gelben Marmor, und liegt zwischen dem Wasser und der Pyramide des Pharao Chephres, ohngefähr einige hundert Schritte von beyden entfernt.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Märchen. Alme oder Egyptische Märchen. Dritter Theil. Das Todtengericht oder Geschichte der Pyramiden von Dsyse. Das Todtengericht oder Geschichte der Pyramiden von Dsyse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EAE-5