[227] Siebenundzwanzigste Erzählung.

Ein einfältiger Sekretär bewirbt sich um die Liebe der Frau eines seiner Collegen, wird aber von dieser angeführt.


In Amboise lebte in Diensten einer Prinzessin als ihr Kammerdiener ein ehrbarer Mann, der die Leute, die in sein Haus kamen, vor Allem aber seine Collegen gern bewirthete. Vor nicht langer Zeit traf einer der Sekretäre der Prinzessin bei ihm ein und wohnte bei ihm zehn bis zwölf Tage. Dieser Sekretär war so häßlich, daß man ihn eher für einen Kannibalenkönig als für einen guten christlichen Bürger hätte halten können. Obwohl ihn sein Wirth und College als Freund und Bruder aufgenommen hatte und ihn aufs Beste behandelte, versuchte er jenem doch einen Streich zu spielen, der nicht nur aller Ehrbarkeit bar war, sondern auch bewies, daß er überhaupt kein Anstandsgefühl in seinem Herzen hatte; er machte sich nämlich daran, mit unziemlichen und unerlaubten Anträgen der Frau seines Collegen nachzustellen, die alles eher als eine leichtfertige und liebessüchtige Frau war, da sie ganz im Gegentheil für die ehrbarste und anständigste der ganzen Stadt galt. Sie durchschaute die Absichten des Sekretärs, wollte aber lieber sich verstellen, damit sein frevelhaftes Verlangen an den Tag käme, als daß durch eine einfache Weigerung ihrerseits niemand etwas davon gemerkt hätte. Sie that deshalb, als wären ihr seine Anträge ganz recht. Er dachte nun nicht anders, als daß er sie gewonnen hätte, berücksichtigte garnicht, daß sie schon fünfzig Jahre alt war, daß sie den besten Ruf hatte und ihren Mann liebte, und ging ihr nicht von der Seite. Eines Tages nun, als ihr Mann im Hause beschäftigt und sie beide allein in einem Zimmer waren, gab sie ihm zu verstehen, daß sie nur keinen sicheren Ort wisse, wo sie mit ihm allein sein könnte, worauf er ihr sofort sagte, sie solle nur auf den Oberboden gehen. Sie stand auf und bat ihn, voraufzugehen, sie werde folgen.

Er lachte, machte ein süßliches Gesicht, wie ein Affe, dem es gut schmeckt, und ging die Treppe hinauf. Dann in der Erwartung der Erfüllung seines Wunsches und mit einem Feuer in der Brust, das nicht hell brannte wie von Zweigen des Wachholderbeerstrauches, [228] sondern qualmte wie von schlechter Kohle, lauschte er, ob sie ihm nachkäme. Anstatt herauftrippelnder Schritte hörte er jedoch ihre Stimme: »Wartet nur ein wenig, mein Verehrter, ich will erst meinen Mann fragen, ob es ihm recht ist, daß ich zu Euch gehe.« Ihr könnt Euch denken, wie sein Gesicht, von Thränen des Zorns überströmt, ausgesehen haben mag, das schon, wenn er lachte, so häßlich war. Schleunigst kletterte er hinunter, heulte und bat, sie möchte um Gottes willen nichts sagen und nicht die Freundschaft zwischen ihm und seinen Collegen zerstören. Sie antwortete: »Ich bin nur überzeugt, daß Ihr ihn so sehr liebt, daß Ihr mir überhaupt nichts sagen wolltet, als was auch ihm, wenn er es hört, nur angenehm sein kann; deshalb will ich es ihm mittheilen.« Sie that es auch, wie sehr er auch bat und sie abzuhalten versuchte. Er floh und schämte sich ebensosehr, wie ihr Mann zufrieden war, als er von der Täuschung hörte, durch die sie ihn bestraft hatte. Ihm genügte auch die Tugend seiner Frau, und er ließ sich die frevelhafte Absicht seines Genossen gleichgiltig sein, um so mehr, da die ganze Schande, die er seinem Hause hatte anthun wollen, nur über ihn selbst gekommen war. »Aus dieser Geschichte ist zu entnehmen«, beendete Emarsuitte ihre Erzählung, »daß Leute, die etwas auf sich halten, sich hüten müssen, Menschen bei sich zu sehen, deren Herz und Gewissen nichts von Gott, von der Ehre und einer wahren Liebe weiß.«

»Wenn auch Eure Erzählung kurz war«, sprach Oisille, »so ist es doch die hübscheste, welche ich jemals zum Ruhme einer ehrbaren Frau vernommen habe.« »Bei Gott!« rief Simontault, »das ist kein besonderer Ruhm für eine ehrbare Frau, einen Mann abzuweisen, der so häßlich war, wie Ihr den Sekretär beschreibt; wenn er schön und brav gewesen wäre, dann hätte sich erst ihre Tugend bewiesen. Und da ich daran zweifle, würde ich Euch, wenn die Reihe an mir wäre, eine Geschichte erzählen, die ebenso hübsch wie diese ist.« »Daran soll es nicht fehlen«, sprach Emarsuitte, »ich gebe Euch meine Stimme.« Darauf fing er folgendermaßen an: »Die Leute, welche bei Hof oder in einer großen Stadt leben, dünken sich meist so klug, daß alle anderen Männer ihnen gegenüber nichts gelten; dennoch aber giebt es in allen Ländern und [229] allen Ständen Leute, welche listig und boshaft genug sind. So kommt es, daß, wenn die Menschen, welche sich für die Klügeren halten, einen Fehler begehen, der Spott darüber viel großer ist, wie ich es Euch in einer Geschichte beweisen will, die unlängst passirte.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Dritter Tag. 27. Erzählung: [Ein einfältiger Sekretär bewirbt sich um die Liebe der Frau]. 27. Erzählung: [Ein einfältiger Sekretär bewirbt sich um die Liebe der Frau]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EE8-1