Siebente Erzählung.

Ein Kaufmann in Paris täuscht die Mutter seiner Geliebten, um ihr Verhältniß vor derselben zu verbergen.


In Paris lebte ein Kaufmann, der der Geliebte einer Tochter seiner Nachbarin war, oder genauer gesagt, mehr von dieser geliebt wurde, als er selbst sie liebte. Denn dieses Verhältniß diente ihm nur zum Vorwand, um ein anderes mit einer hochgestellten Dame [47] dahinter zu verbergen. Sie ließ es geschehen, daß er sie betrog, weil sie ihn so sehr liebte, daß ihr garnicht mehr in den Sinn kam, daß eine andere Frau unter solchen Umständen ihn von sich gestoßen hätte. Anfangs war der Kaufmann selbst immer dorthin gegangen, wo sie sich aufhielt; jetzt ließ er sie einfach kommen, wohin er wollte. Ihre Mutter, welche eine sehr sittenstrenge Fran war, merkte das und untersagte ihr, unter der Androhung sie in ein Kloster zu stecken, jeden weiteren Umgang mit ihrem Geliebten. Sie war diesem aber mehr zugethan als sie ihre Mutter fürchtete und ließ von ihm nicht ab. Eines Tages nun war sie ganz allein in einem Kleiderzimmer, als er zu ihr kam, und da sie sich ungestört glaubten, begannen sie sofort mit einander zu kosen. Eine Kammerfrau hatte ihn aber in das Zimmer eintreten sehen und benachrichtigte sofort ihre Mutter, die eiligst und voller Zorn nach der Kammer stürzte. Als das junge Mädchen sie kommen hörte, rief sie unter Thränen: »O weh, mein Geliebter, jetzt werde ich meine Liebe zu Dir theuer bezahlen müssen. Hier kommt meine Mutter, und ihre Befürchtung wird ihr nun zur Gewißheit werden.« Der Kaufmann aber faßte sich schnell, lief der Mutter entgegen, nahm sie fest in seine Arme und warf sie auf ein Sopha nieder. Sie wußte garnicht, was das zu bedeuten hätte, und fand in ihrer Angst keine anderen Worte als, was er wolle, und ob er den Verstand verloren habe. Er hörte aber nicht auf, sie an sich zu drücken, als wäre sie das schönste Mädchen der Welt, und wenn sie nicht so laut geschrieen hätte, daß alle ihre Diener und Kammerfrauen zusammenliefen, wäre ihr wahrscheinlich passirt, was sie für ihre Tochter befürchtete. So mußten sie die arme Alte mit Gewalt aus den Armen des Kaufmanns befreien, ohne daß sie je erfuhr, welchem Zufall sie diese merkwürdige Situation verdankte, denn ihre Tochter hatte sich inzwischen in ein benachbartes Haus geflüchtet, wo eine Hochzeit gefeiert wurde Sie und ihr Geliebter haben hinterdrein noch oft auf Kosten der nichtsahnenden Alten gelacht.

»Hier habt Ihr also ein Beispiel, meine Damen«, sagte Hircan, »wie die Klugheit eines einzelnen Mannes eine alte Frau hinters Licht geführt und einer jungen die Ehre gerettet hat. Und [48] wenn Ihr die Personen näher gekannt und die Unverfrorenheit des Kaufmanns und die Verwunderung der Alten gesehen hättet und hättet nicht gelacht, dann müßte ich freilich sagen, daß Ihr Euer eigenes Gewissen fürchtet. Mir genügt es, durch diese Geschichte zu beweisen, daß die Geistesgegenwart der Männer im Nothfall eben so helfend zur Hand ist, wie die der Frauen, damit Ihr Euch nicht fürchtet, wenn Ihr in ihre Hände fällt. Denn solltet Ihr einmal den Kopf verlieren, so werden sie schon bedacht sein, für Eure Ehre Sorge zu tragen.« Longarine sagte ihm: »Ich muß zugeben, Hircan, daß die Geschichte eine ganz amüsante und die darin zu Tage tretende Schlauheit eine große ist; dennoch ist es kein Beispiel, das man den Mädchen zur Befolgung empfehlen sollte. Es mag wohl einige geben, denen Ihr gern einreden möchtet, daß es nachahmungswerth sei; aber zum Beispiel seid Ihr doch nicht dumm genug, etwa zu wünschen, daß Eure Frau oder eine andere Dame Eures Herzens solches Spiel spielten. Ich glaube vielmehr, keiner würde ihnen schärfer auf die Finger sehen und ihnen besser heimleuchten als gerade Ihr.« »Wenn eine der von Euch Genannten«, sagte Hircan, »sich auf solche Sachen einließe und ich nichts davon wüßte, ich würde sie wahrhaftig deshalb nicht weniger schätzen.« Parlamente unterbrach ihn hier mit den Worten: »Es ist überhaupt nicht anders möglich, als daß ein böser Mensch auch mißtrauisch sei; wirklich glücklich ist aber nur der, dem keine Gelegenheit zum Mißtrauen gegeben wird.« Longarine sagte: »Ich habe noch kein großes Feuer gesehen, das nicht viel Rauch gegeben hätte, aber ich habe oft genug viel Rauch gesehen, wo kein großes Feuer war; ebenso oft argwöhnt der Böse Schlimmes, wo es nicht ist.« Hircan sagte: »Ihr habt wirklich so gut gesprochen, Longarine, und so gut die Ehre der mit Unrecht verleumdeten Frauen vertheidigt, daß ich Euch das Wort zu einer neuen Erzählung gebe; nur rührt uns nicht etwa wieder mit übermäßigen Lobeserhebungen der ehrbaren Frauen zu Thränen, wie es Frau Oisille gethan hat.« Longarine lachte herzlich und begann wie folgt: »Wenn ich Euch also zum Lachen bringen soll, so soll es diesmal wenigstens nicht auf Kosten der Frauen geschehen; vielmehr sollt Ihr aus meiner Erzählung ersehen, wie geneigt sie sind zu täuschen, wenn ihre [49] Eifersucht mit ins Spiel kommt, und was dabei herauskommt, wenn sie ihre Männer täuschen wollen.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Erster Tag. 7. Erzählung: [Ein Kaufmann in Paris täuscht die Mutter seiner Geliebten]. 7. Erzählung: [Ein Kaufmann in Paris täuscht die Mutter seiner Geliebten]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EEE-6