[257] Vierunddreißigste Erzählung.

Zwei Mönche lauschen an einer Wand, fangen zwei Worte auf, die sie mißverstehen, und kommen vor Angst fast um.


Zwischen Niort und Fors liegt ein Dorf, namens Grip, welches dem Herrn von Fors gehört. Eines Tages kamen zwei Franziskaner von Niort her spät in diesem Dorfe Grip an und nahmen Wohnung in dem Hause eines Schlächters; da sich zwischen ihrem Zimmer und dem des Wirthes nur eine Wand von schlechtgefügten Brettern befand, bekamen sie Lust, zuzuhören, was wohl der Mann im Bett zu seiner Frau sprechen würde, und drückten ihre Ohren dicht an die Wand, wo das Bett des Mannes stand; dieser, welcher nicht an seine Gäste dachte, unterhielt sich vertraulich mit seiner Frau über Wirthschaftsangelegenheiten und sagte: »Morgen früh, meine Liebe, müssen wir zeitig aufstehen und unsere Franziskaner besichtigen; einer davon ist hübsch fett, den wollen wir schlachten, gleich einsalzen und einen guten Profit davon ziehen.« Er sprach von seinen zwei Schweinen, welche er Franziskaner nannte, aber die beiden Mönche, welche diesen Beschluß hörten, dachten nicht anders, als daß sie selbst gemeint seien, und erwarteten in großer Furcht und mit Bangen die Morgendämmerung. Der Eine von ihnen war sehr dick, der Andere mager; der Dicke wollte seinem Gefährten die letzte Beichte ablegen und sagte, ein Fleischer, der alle Gottesliebe und Furcht verloren habe, würde ihn gerade so ruhig schlachten, wie einen Ochsen oder ein anderes Thier; da sie in ihrem Zimmer eingeschlossen seien und keinen anderen Ausgang hätten, als den durch das Zimmer des Wirths, so könnten sie schon ihres Todes gewiß sein und ihre Seelen Gott empfehlen. Aber der Jüngere, welcher nicht so von Furcht erfüllt war wie sein Genosse, sagte ihm, da ihnen die Thür verschlossen sei, müßten sie versuchen, durch das Fenster zu entkommen; Schlimmeres als den Tod könnten sie sich dort auch nicht holen. Dem stimmte der Fette bei. Der Junge öffnete das Fenster, sah, daß es nicht allzu hoch war, sprang leicht herunter und entfloh so schnell und so weit er konnte, ohne auf seinen Gefährten zu warten, der dasselbe Kunststück versuchte; aber sein Gewicht verhinderte ihn aufzukommen, denn anstatt zu [258] springen, fiel er so ungeschickt hin, daß er sich ein Bein verletzte. Da er sich von dem Bruder verlassen sah und ihm nicht folgen konnte, suchte er nach einem Versteck und ersah nur ein Schweinegelaß, nach dem er sich, so gut er konnte, hinschleppte; indem er die Thür öffnete, rannten zwei große Schweine heraus, an deren Stelle sich der Mönch hinlegte; dann schloß er die kleine Thür hinter sich, hoffend, daß, wenn er Leute vorbeigehen hören würde, er rufen und Hülfe finden könnte.

Sobald der Morgen gekommen war, schliff der Schlächter seine großen Messer und rief seine Frau, um mit ihr seine beiden fetten Schweine zu schlachten. Als er bei dem Stall ankam, wo der Mönch versteckt war, öffnete er die Thür und fing an, laut zu rufen: »Kommt heraus, meine Franziskaner, heute wollen wir schöne Blutwurst von Euch machen.« Der Franziskaner, der sich auf seinem Bein nicht halten konnte, sprang auf allen Vieren aus dem Stall und schrie so laut er konnte um Gnade. Wenn der arme Mönch Angst hatte, so ging es dem Schlächter und seiner Frau nicht anders, denn sie dachten, der heilige Franziskus sei aufgebracht darüber, daß sie ein Thier einen »Franziskaner« genannt hätten. So knieten sie vor dem armen Klosterbruder nieder und baten den heiligen Franziskus und seinen Orden um Verzeihung, so daß auf der einen Seite der Franziskaner, und auf der anderen der Fleischer um Gnade riefen, ohne daß sie sich eine Viertelstunde lang verstehen konnten. Endlich erkannte der gute Pater, daß der Schlächter ihm kein Leid anthun wolle, und erzählte ihm, warum er sich in diesen Schweinestall versteckt habe, worauf ihre Furcht sogleich in Lachen verwandelt wurde, in das jedoch der arme Mönch, dem sein Bein weh that, nicht einstimmen konnte; doch führte ihn darauf der Fleischer in sein Haus, wo er sogleich verbunden wurde. Sein Gefährte, der ihn in der Noth verlassen hatte, rannte die ganze Nacht weiter, so daß er am Morgen im Hause des Herrn von Fors ankam; dort beklagte er sich über den Schlächter, von dem er glaubte, er habe seinen Genossen getötet, da er ihm nicht nachgefolgt war. Der Herr von Fors schickte sogleich in das Dorf Grip, um die Wahrheit darüber zu erfahren; nachdem man ihm diese berichtet hatte, fand er keinen Grund, darüber zu weinen, und erzählte es[259] sogleich der Dame seines Herzens, der Herzogin von Angoulême Mutter Franz I.

»Sie sehen, meine Damen«, fuhr Nomerfide fort, »daß es nicht gut thut, Geheimnisse ungebeten zu erlauschen und die Worte Anderer mißzuverstehen.« »Habe ich es nicht gesagt«, rief Simontault, »daß Nomerfide uns nicht weinen, sondern lachen machen würde? Wir haben es reichlich besorgt!« »Und was besagt das?« sprach Oisille; »daß wir geneigter sind, über eine Thorheit zu lachen, als von weisen Thaten zu hören.« »Gewiß«, sagte Hircan, »das ist uns angenehmer, weil es unserer Natur ähnlicher ist, die wir selbst nicht weise sind; Jedermann freut sich über Seinesgleichen, der Thor über Thorheit und der Kluge über Weisheit; aber ich glaube, es giebt weder einen Narren noch einen Weisen, der nicht über diese Geschichte lachen würde.« »Es giebt Leute«, sagte Guebron, »deren Herz so mit Liebe zur Wissenschaft erfüllt ist, daß man ihnen erzählen könnte, was man wollte, sie würden nicht lachen, denn sie haben eine solche Freude im Herzen und sind so gemäßigt in ihrem Vergnügen, daß sie nichts erregen kann.« »Wo findet man diese?« fragte Hircan. »Ich rede von den Philosophen vergangener Zeiten«, antwortete Guebron, »die weder Freude noch Traurigkeit empfanden; wenigstens ließen sie es sich nicht merken, so hoch hielten sie das Verdienst, sich selbst und ihre Leidenschaften zu besiegen.« »Und das finde ich sehr gut«, sprach Saffredant, »man soll seine lasterhaften Leidenschaften bekämpfen; aber bei einer natürlichen Leidenschaft, die nichts Böses an sich hat, halte ich einen solchen Sieg für überflüssig.« »Dennoch aber«, sagte Guebron, »hielten auch das die Anderen für eine große Tugend.« »Es ist auch nicht gesagt«, meinte Saffredant, »daß von jenen alle weise waren; es war unter ihnen mehr Schein von Verstand und Tugend zu finden, als diese selbst; jedenfalls seht Ihr, Guebron, daß sie alle böse Dinge tadelten.« Diogenes trat das Bett Platos mit Füßen, weil es seines Erachtens zu weichlich war, und weil er seine Verachtung für den eitlen Ruhm und die Lüsternheit Platos zeigen wollte, indem er sprach: »Ich trete Platos Stolz mit Füßen.« »Aber Ihr erzählt nicht alles«, sagte Guebron. »denn Plato antwortete sogleich, daß er das in der That thäte, [260] aber mit noch größerem Eigendünkel; denn sicher zeigte Diogenes eine solche Verachtung von Luxus nur aus Anmaßung und Prahlerei.« »Um die Wahrheit zu sagen«, sprach Parlamente, »ist es unmöglich, daß wir uns selbst nur aus uns selbst heraus besiegen, ohne ein gut Theil Stolz anzuwenden, welcher gerade das Laster ist, welches wir am meisten fürchten sollen, denn er kann nur bestehen auf Kosten der Anderen und Verachtung seiner Nebenmenschen«. »Habe ich Euch doch heut früh vorgelesen,« sagte Oisille, »daß die, welche glaubten, weiser zu sein, als die anderen Menschen, und welche durch eine Erleuchtung von oben erkannten, daß ein Gott der Schöpfer aller Dinge sei, indem sie meinten, diese Erkenntniß aus eigener Kraft gewonnen zu haben, sich diesen Ruhm selbst zulegten, anstatt ihm dem zu geben, von dem er kam, dann aber zur Strafe nicht nur unwissender und unvernünftiger als die anderen Menschen, sondern sogar als die Thiere gemacht wurden; sie waren im Geiste verwirrt, sie nahmen sich, was Gott allein gehört, und zeigten ihre Geistesverwirrung in der Unordnung ihrer Leiber, indem sie die natürlichen Gesetze ihres Geschlechts vergaßen und umdrehten, wie uns der Apostel Paulus in seiner Epistel an die Römer berichtet.« »Es giebt keinen unter uns«, sagte Parlamente, »der nicht nach dieser Epistel eingesteht, daß alle äußeren Sünden nur die Früchte der inneren Sündhaftigkeit sind, welche um so schwieriger auszurotten ist, je mehr sie von wunderbaren Tugenden verdeckt ist.« »Demnach«, sagte Hircan, »sind wir Männer unserem Heil näher als Ihr; denn wir verbergen diese Früchte nicht und kennen ihre Wurzel; aber Ihr dürft nicht wagen, sie zu zeigen, Ihr thut scheinbar so viele schöne Werke und kennt dabei kaum die Wurzel des Stolzes, welche unter so schöner Decke wächst.« »Ich gestehe Euch«, sagte Longarine, »daß, wenn uns der Glaube an Gottes Wort nicht den Sitz der Sünde zeigt, welche wir im Herzen tragen, Gott uns sehr gnädig ist, wenn er uns über ein sichtbares Hinderniß straucheln läßt, wodurch unsere verborgenen Gedanken sich offenbaren können; glücklich sind deshalb diejenigen, welche im Glauben so gedemüthigt sind, daß sie nicht nöthig haben, ihre sündhafte Natur in Aeußerlichkeiten zu bethätigen.« »Aber seht«, rief Simontault, »wo wir hingerathen sind! Ausgehend von einer großen Narrheit, sind wir[261] bei der Philosophie und Theologie angelangt. Lassen wir diese Streitfragen denen, welche besser damit Bescheid wissen als wir; hören wir lieber, wem Nomerfide das Wort geben will.« »Ich gebe es Hircan«, sagte diese; »aber ich empfehle ihm die Ehre der Damen an.« »Ihr hättet mir das zu keiner besseren Zeit sagen können«, sprach Hircan, »denn die Geschichte, welche ich bereit habe, ist ganz dazu angethan, Euch zu gefallen. Ich werde Euch in derselben darthun, daß die Natur der Frauen und Männer an sich zu jedem Laster neigt, wenn sie nicht durch die Güte desjenigen beschirmt wird, dem die Ehre eines jeden Sieges zuzusprechen ist. Und um Euch die Kühnheit zu dämpfen, welche Ihr zeigt, wenn man Eure Ehre angreift, will ich Euch ein Beispiel erzählen, welches die lautere Wahrheit ist.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Vierter Tag. 34. Erzählung: [Zwei Mönche lauschen an einer Wand]. 34. Erzählung: [Zwei Mönche lauschen an einer Wand]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EFA-C