[88] Zweiter Tag.

Am andern Morgen standen sie voll Verlangen auf, an den Ort zurückzukehren, wo sie sich tags zuvor so gut unterhalten hatten; denn jeder hatte seine Erzählung so bereit, daß er es kaum erwarten konnte, sie hören zu lassen. Nachdem sie die Vorlesung von Frau Oisille und die Messe gehört hatten, wo jeder sich Gott empfahl, damit er ihnen ein ferneres Beisammensein gnädig gewähre, gingen sie essen, indem sie sich gegenseitig verschiedene Geschichten erzählten.

Als sie sich nach dem Essen in ihren Zimmern ausgeruht hatten, begaben sie sich zur bestimmten Stunde auf die Wiese, woselbst der Tag und das Wetter ihrem Unternehmen sehr günstig schienen. Nachdem sie sich alle auf die natürlichen Sitze des frischen Rasens niedergelassen hatten, sprach Parlamente: »Da ich gestern Abend die zehnte Erzählung beendet habe, ist es an mir, die zu erwählen, welche heute die Leitung haben soll. Und da gestern Frau Oisille als die Älteste und Weiseste zuerst gesprochen hat, gebe ich meine Stimme der Jüngsten (ich will nicht sagen der Thörichtesten) und bin sicher, daß, wenn wir ihr alle folgen, wir heute den Nachmittagsgottesdienst [89] nicht so lange hinausschieben werden wie gestern. Also, Nomerfide, es ist heute an Euch, zu erzählen; aber ich bitte Euch, laßt uns den Tag nicht mit Thränen anfangen.« »Ihr braucht mich nicht darum zu bitten«, antwortete Nomerfide, »denn ich hatte schon beschlossen, Euch eine Geschichte zu erzählen, welche ich im vorigen Jahre von einer Bürgerin aus Tours vernahm; sie war in Amboise geboren und versicherte mir, bei den Predigten des Franziskanermönches, von denen ich Euch berichten will, selbst zugegen gewesen zu sein.«

Elfte Erzählung.

Von zweideutigen Redewendungen eines Franziskanermönches in seinen Predigten.


In der Nähe der Stadt Bleré in der Touraine liegt ein Dorf mit Namen Saint-Martien-le-Beau, wohin ein Franziskanermönch aus dem Kloster von Tours berufen wurde, um während der Advents- und Fastenzeit dort zu predigen. Dieser Franziskaner war mehr ein Schwätzer als ein Gelehrter, und da er manchmal nicht wußte, wie er seine Predigt zu Ende bringen sollte, flocht er Erzählungen ein, die nicht gerade sehr erbaulich für die guten Dorfbewohner waren. Eines Tages, es war der Gründonnerstag, predigte er von dem Osterlamm und wie man das des Nachts essen müsse, und als er sah, daß seiner Predigt viele schöne junge Damen aus Amboise beiwohnten, die gerade erst angekommen waren, um in dem Dorf das Osterfest zu verbringen und einige Tage dort zu bleiben, wollte er sich bei ihnen beliebt machen und fragte die weibliche Zuhörerschaft, ob sie denn wüßten, was das sei, zur Nachtzeit am Fleisch sich wohl sein lassen. »Ich werde es Euch sonst lehren, meine Damen,« setzte er hinzu. Die jungen Männer von Amboise, die mit ihren Frauen, Schwestern und Nichten gekommen und in der Kirche zugegen waren und die den guten Humor dieses Fastenpredigers noch nicht kannten, nahmen Anstoß daran. Als sie ihn aber weiter angehört [90] hatten, verwandelte sich ihr Unmuth in Lachen, besonders, als er sagte, daß man beim Essen des Osterlamms die Lenden umgürtet, die Füße in den Schuhen und eine Hand am Stocke haben müßte. Dann als er sie lachen sah und wohl wußte weshalb, verbesserte er sich schnell und sagte: »Richtig, richtig, die Schuhe an den Füßen und einen Stock in der Hand. Das ist doch gehopst wie gesprungen, meint Ihr nicht?« Alles brach in Lachen aus, das könnt Ihr Euch denken. Selbst die Damen, für die er noch allerhand andere erbauliche Bemerkungen einschaltete, konnten nicht an sich halten. Als nun seine Stunde bald zu Ende war, wollte er nicht, daß sie unzufrieden mit ihm fortgingen, und sagte: »Nun, meine Schönen, jetzt geht Ihr nun zu Euren Bekannten, und da geht das Klatschen los und das Fragen, was ist denn das für ein Bruder, der so unverschämt spricht? Scheint ein recht netter Zechkumpan zu sein! Nun ich will's Euch nur sagen, wundert Euch nicht, daß ich kein Blatt vor den Mund nehme, ich bin nämlich aus Anjou, zu Euren Diensten.«

Mit diesen Worten beendete er seine Predigt und verließ seine Zuhörer, die mehr zum Lachen aufgelegt waren über seine Anzüglichkeiten als zum Weinen über die Leidensgeschichte unseres Herrn Jesus Christus, deren Erinnerungsfest in jenen Tagen gefeiert wurde. Seine anderen Predigten während der Festtage waren von derselben Güte. Wie Ihr wißt, sammeln diese Mönche Almosen, um auch ihren Osterkuchen zu haben; man giebt ihnen dann nicht nur Eier, sondern auch andere Sachen, wie Wäsche, Spinnwolle, Würste, Schinken, Speckseiten und dergl. Und als er nun am Mittwoch nach Ostern seine Fürbitten hielt, an denen es dann solche Leute nicht fehlen lassen, sagte er: »Meine Damen, es drängt mich, Euch für die Freigebigkeit, die Ihr unserm armen Kloster erwiesen habt, zu danken; aber ich muß Euch doch sagen, daß Ihr die Nothdurft unseres Klosters nicht recht erkannt habt, denn der größte Theil von dem, was Ihr gegeben habt, sind Würste, und daran fehlt es uns Gott sei Dank nicht, unser ganzes Kloster ist ja damit vollgepfropft. Was sollen wir nun mit so vielen machen? Wißt Ihr was, meine Damen? Ich meine, es wäre das Beste, Ihr mischtet Eure Schinken unter unsere Würste, das wäre ein gutes Almosen.« Dann setzte er seine Rede und den Skandal fort, machte zotige Bemerkungen und rief schließlich voller [91] Verwunderung aus: »Nun, was denn, meine Herren und Damen von Saint-Martin, ich bin erstaunt, daß Ihr Euch um nichts und wieder nichts, nur um meinetwillen beleidigt fühlt und allenthalben von mir herumerzählt und sagt: ›Was für eine schlimme Sache, wer hätte denken können, daß der würdige Pater die Tochter seiner Wirthin schwanger machen würde?‹ Nun, das ist was Rechtes, um darüber die Augen aufzureißen! Wahrhaftig, meine Schönen, Ihr müßtet Euch doch etwas mehr wundern, wenn das Mädchen den Mönch schwanger gemacht hätte.«

»Nun, meine Damen«, sagte Nomerfide, »das ist doch eine nette Nahrung, mit der dieser Prediger die Heerde Gottes speiste. Und dann war er noch so unverschämt, von seiner Sünde von der Kanzel herab zu sprechen, von wo nur Reden zur Belehrung der Menschen und zur Ehre Gottes gehalten werden sollen.« »Wahrhaftig«, sagte Saffredant, »das ist ein Meisterkerl von einem Mönch; beinahe so wie der gute Bruder Anjibault, auf dessen Rechnung alle Witze, die man nur in Gesellschaft erzählen kann, gesetzt werden.« »Immerhin finde ich das garnicht lächerlich, besonders an solchem Ort«, sagte Frau Oisille. »Aber Ihr vergeßt zu sagen«, wandte Nomerfide ein, »daß zu jener noch garnicht so fernen Zeit die guten Dorfbewohner, sogar die Städter nicht minder, die sich doch viel besser dünken als jene, solche Prediger viel mehr achteten, als andere, die das Evangelium rein und lauter verkündeten.« »Jedenfalls war er nicht dumm, für die Würste Schinken zu verlangen«, sagte Hircan, »denn es ist mehr daran. Und wenn es auch eine devote Person zweideutig aufgefaßt hätte (wie er wohl ohne Zweifel), so hätten sich er und seine Genossen nicht schlechter dabei gestanden, und die Dirne auch nicht.« »Aber hier seht Ihr recht, was für ein unverschämter Patron er war«, sagte Frau Oisille; »er verdreht die Worte, wie es ihm ansteht, thut nicht anders, als hätte er mit seinesgleichen zu thun und wünscht damit nur ganz unverhohlen, daß die armen Frauenzimmer ihm Gehör schenken und sich von ihm lehren lassen, wie man Fleisch zur Nachtzeit genießt.« »Ihr vergeßt nun wieder hinzuzufügen«, warf Simontault ein, »daß auch eine ganze Menge junger, wohlgenährter Kaufmannsfrauen von Amboise darunter waren, deren Lehrmeister er schon ganz gern gewesen [92] wäre, nicht im Braten, sondern ... nun, Ihr versteht mich schon.« »Halt, halt! Simontault«, rief Parlamente, »vergeßt Ihr denn ganz Eure gewohnte Bescheidenheit, oder bedient Ihr Euch derselben nur gerade, wenn es Euch vortheilhaft erscheint?« »Nein, meine Gnädige«, erwiderte er, »der unehrenhafte Mönch hat mich nur augenblicklich von ihr abweichen lassen. Damit wir aber auf unsere Erzählungen zurückkommen, bitte ich Nomerside, die mit der ihren diese Ablenkung verursacht hat, ihre Stimme weiter zu geben, damit wir etwas zu hören bekommen, was uns diesen unerquicklichen Zwischenfall vergessen läßt.« »Da Ihr mich zu Eurem Mitschuldigen macht«, sagte Nomerside, »will ich mich an Einen wenden, der unseren Fehler wieder gut machen wird. Dagoucin soll es sein, der eher stürbe, als daß er eine Thorheit erzählen würde.« Dagoucin bedankte sich bei ihr für ihre gute Meinung und begann: »Die Geschichte, die ich Euch erzählen will, soll Euch zeigen, wie die Liebe selbst einen rechtschaffen angelegten Mann verblenden und wie Büberei selbst durch Wohlthaten nicht ausgeglichen werden kann.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Zweiter Tag. 11. Erzählung: [Von zweideutigen Redewendungen]. 11. Erzählung: [Von zweideutigen Redewendungen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F29-9