[400] Dreiundsechzigste Erzählung.

Von der beachtenswerthen Keuschheit eines französischen Edelmannes.


In Paris lebten vier Mädchen, je zwei Schwestern, von so großer Schönheit, Tugend und Frische, daß die Anbeter sich nur um sie drängten. Ein Edelmann aber, den der damalige König zum Vorsteher von Paris gemacht hatte, sah, daß sein Herr jung und in dem Alter war, um solche Gesellschaft gern zu sehen, und richtete es mit allen vieren so gut ein, daß eine jede dachte, sie sei für den König bestimmt. Sie willigten in den Wunsch des Vorstehers, der dahin ging, daß sie sich zu einem Fest einfinden sollten, welches er seinem Herrn geben wollte, dem er auch den ganzen Plan mitgetheilt hatte. Der König und noch zwei andere hochstehende Persönlichkeiten, die an dem Handel ihren Antheil haben wollten, fanden den Plan sehr gut. Als sie nach dem vierten Genossen suchten, kam ein schöner, junger und sehr hochstehender Edelmann, der 10 Jahre jünger als die drei andern war, nach Paris, und diesen luden sie zu dem Fest mit ein. Er nahm äußerlich erfreut an, während in Wirklichkeit sein Herz nicht nach solchen Dingen trachtete; denn einerseits hatte er eine schöne Frau, welche ihm schöne Kinder, mit denen er zufrieden war, gebar, und mit der er so in Frieden lebte, daß er um alles in der Welt nicht gewünscht hätte, daß sie einen Verdacht schöpfe; andererseits war er der Freund einer der schönsten Damen des damaligen Frankreich, welche er so liebte und achtete, daß alle ihm neben ihr häßlich erschienen, so daß, als er noch jung und unverheirathet war, keiner bemerken konnte, daß er mit irgend einer andern Frau Umgang hatte. Er war glücklicher, seine Freundin zu sehen und ihr seine ganze Liebe zu widmen, als in allem, was ihm eine andere hätte geben können. Dieser Edelmann ging zu seiner Frau und erzählte ihr, was der König unternommen habe, und daß er für seine Person lieber sterben als sein Versprechen erfüllen wolle. Denn wie er lieber sterben wolle, bevor er ohne Veranlassung hinterlistiger Weise, – es sei denn, daß seine Ehre ihn dazu nöthige, – einen Mord begehe, so möchte er auch, ehe er ohne eine tiefe Liebe, – welche [401] auch tugendhafte Menschen verblendet, – seinem Ehegelübde untreu würde, lieber sterben. Seine Frau liebte und achtete ihn deshalb nur noch mehr, da sie so große Ehrbarkeit mit so großer Jugend vereint sah. Sie fragte ihn deshalb, wie er sich entschuldigen wolle, da Fürsten oft diejenigen unbequem finden, welche nicht loben, was sie lieben. Er antwortete aber: »Ich habe sagen hören, daß der Weise immer eine Krankheit oder eine Reise an der Hand hat, um dieselbe im Nothfall vorzuschieben. Deshalb werde ich mich vier oder fünf Tage vorher krank stellen; Euer Verhalten kann mich dabei unterstützen.« Seine Frau sagte: »Das ist eine gute und lobenswerthe Verstellung, und ich werde nicht verfehlen, Euch mit der traurigsten Miene, die ich annehmen kann, behülflich zu sein. Denn glücklich ist, wer es vermeiden kann, Gott zu beleidigen und seinen Fürsten zu erzürnen.« Wie sie besprochen hatten, so machten sie es. Der König war sehr betrübt, durch die Frau des Edelmannes von der Krankheit desselben zu hören, die im übrigen nicht lange währte. Wegen dringender Angelegenheiten vergaß nämlich der König sein Vergnügen, dachte vielmehr nur an seine Pflicht und reiste von Paris ab. Eines Tages entsann er sich des geplanten Festes, aus dem nichts geworden war, und sagte zu dem jungen Prinzen: »Wir waren sehr thöricht so plötzlich abzureisen, ohne uns die vier jungen Mädchen zu besehen, welche, wie man uns sagte, die schönsten unseres ganzen Königreiches sein sollten.« Der junge Prinz antwortete: »Ich bin sehr froh, daß nichts daraus geworden ist; denn während meiner Krankheit befürchtete ich sehr, daß ich allein nur um dieses Abenteuer kommen würde.« Infolge dieser Worte erfuhr der König nie etwas von der Verstellung dieses Edelmannes, der von da an von seiner Frau nur noch mehr als bisher geliebt wurde.

Parlamente mußte hier laut lachen und sagte: »Sie würde ihn noch mehr geliebt haben, wenn er es lediglich nur aus Liebe für sie gethan hätte; wie dem aber auch sei, er ist jedenfalls sehr lobenswerth.« Hircan sagte: »Es scheint mir nicht besonderes Lob zu verdienen, wenn ein Mann aus Liebe zu seiner Frau die Keuschheit bewahrte; dann hat er so viele Gründe, daß er fast dazu verurtheilen ist. Erstens gebietet es ihm Gott, und sein Gelübde [402] bindet ihn. Dann ist die Natur im Zustande der Sättigung nicht so sehr der Versuchung und dem Verlangen unterworfen, wie in dem der Entbehrung. Liegt aber nur Liebe zu einer Freundin vor, von der man keine andere Befriedigung erhält, als sie zu sehen und zu sprechen, wobei man oft nur kurze Antworten erhält, und ist diese Liebe so tief und fest, daß man sie, was auch geschehen möge, nicht vertauschen will, so ist das nicht nur eine lobenswerthe, sondern eine ganz wunderbare Keuschheit.« »Das ist kein Wunder«, sagte Frau Oisille, »denn wo das Herz sich ganz giebt, ist dem Körper nichts unmöglich.« Hircan sagte: »Denen nicht, die schon wie die Engel sind.« »Ich will nicht nur von denjenigen sprechen«, sagte Oisille, »die durch Gottes Gnade schon ganz in ihn aufgegangen sind, sondern von den gewöhnlichen Geistern, wie man sie unter den Menschen allenthalben findet. Wenn Ihr Acht gebt, werdet Ihr finden, daß diejenigen, welche sich und ihre Neigungen der Vervollkommnung der Wissenschaften gewidmet haben, nicht nur das Vergnügen des Fleisches ganz und gar vergessen, sondern sogar die nothwendigsten Dinge, wie Essen und Trinken. Denn so lange die Seele im Körper herrscht, bleibt das Fleisch fast unempfindlich. Daher kommt es auch, daß diejenigen, welche schöne, ehrbare und tugendhafte Frauen lieben, eine solche innere Zufriedenheit daran haben, sie zu sehen und sprechen zu hören, daß das fleischliche Verlangen ganz ruht. Die, welche eine solche Befriedigung nicht zu verspüren imstande sind, sind die Fleischlichen, die, in ihr Fett eingehüllt, garnicht erkennen können, ob sie eine Seele haben, oder nicht. Ist der Körper aber dem Geiste unterthan, so ist er den Unvollkommenheiten seiner Konstitution gegenüber gewissermaßen unempfindlich, und zwar in dem Maße, daß allein ihr Wille sie selbstbeherrscht macht. So kenne ich einen Edelmann, der, um zu zeigen, daß er seine Dame mehr als irgend eine andere liebte, mit allen seinen Genossen gewettet hatte, eine brennende Kerze oben mit bloßen Fingern zu halten; er sah seine Dame dabei an und hielt die Kerze so fest, daß er sich bis auf den Knochen verbrannte. Und dabei sagte er noch, er spüre keinen Schmerz.« Guebron sagte: »Mir scheint, der Teufel, der ihn besessen hatte, hätte einen heiligen Laurentius aus ihm machen sollen, denn es giebt nur wenige, deren [403] Liebesfeuer so groß ist, daß sie das einer Kerze nicht fürchten. Wenn mich eine Dame für sie etwas so Schmerzvolles hätte thun lassen, so würde ich eine große Belohnung gefordert oder meine Liebe zu ihr unterdrückt haben.« Parlamente sagte: »Ihr möchtet also Eure Stunde haben, wie Eure Dame die ihre hatte, wie einmal ein Edelmann in der Nähe von Valencia in Spanien that, dessen Geschichte mir ein sehr ehrenwerther Gouverneur erzählt hat.« »Ich bitte Euch«, sagte Dagoucin, »nehmt meinen Platz und erzählt sie uns, denn ich denke mir, sie muß gut sein.« Parlamente sagte: »Nach dieser Erzählung, meine Damen, werdet Ihr Euch zweimal bedenken, etwas zu verweigern, und nicht denken, daß die Zeit immer dieselbe bleibt; sondern, da Ihr ihre Unbeständigkeit kennt, werdet Ihr auch an die Zukunft denken.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Siebenter Tag. 63. Erzählung: [Von der beachtenswerthen Keuschheit]. 63. Erzählung: [Von der beachtenswerthen Keuschheit]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F34-F