[360] Vierundfünfzigste Erzählung.

Von einer gutgearteten Frau, welche bemerkt, daß ihr Mann ihre Kammerzofe küßt, darüber aber nur lacht, und nach dem Grunde befragt, nur antwortet, sie lache wegen eines Schattenbildes.


Zwischen den Pyrenäen und den Alpen lebte ein Edelmann, namens Thogas, der Frau, Kinder, eine schöne Besitzung und so viel Reichthümer und Vergnügungen hatte, daß er wahrlich glücklich sein konnte, bis auf den einen Umstand, daß er an immerwährenden Schmerzen, welche an den Haarwurzeln ihren Sitz hatten, litt. Die Aerzte hatten ihm deshalb gerathen, mit seiner Frau keinen Umgang mehr zu haben. Sie war damit sofort einverstanden, denn das Leben und die Gesundheit ihres Mannes ging ihr über Alles. Sie ließ ihr Bett dem ihres Mannes gegenüber an die entgegengesetzte Wand stellen, in gerader Linie, so daß, wenn sie den Kopf heraussteckten, sie sich gegenseitig sehen konnten. Diese Dame hatte zwei Kammerzofen, und oftmals, wenn ihr Mann und sie zu Bett gegangen waren, nahm ein Jedes noch ein unterhaltendes Buch, um darin im Bett zu lesen, und dann hielten die Kammerzofen die Kerzen, und zwar die junge beim Herrn, die ältere bei der Dame. Als nun der Edelmann sah, daß die Zofe neben ihm viel jünger und schöner als seine Frau war, machte es ihm so großes Vergnügen, sie zu betrachten, daß er oft seine Lektüre unterbrach, um mit ihr zu plaudern. Seine Frau hörte das sehr wohl, fand es aber ganz angemessen, daß ihre Diener und Dienerinnen ihrem Mann die Zeit verbringen halfen; sie nahm an, daß das seine Neigung zu ihr nicht erschüttere. Eines Abends aber, als sie länger als gewöhnlich gelesen hatte, sah die Dame nach dem Bett ihres Mannes herüber, wo das junge Mädchen stand und das Licht hielt. Sie konnte sie nur von rückwärts sehen, ebensowenig erblickte sie etwas von ihrem Mann; nur auf der Wand nach dem Ofen hin, welche in einem Bogen vom Bett ihres Mannes aus lief, sah sie auf der weißen Fläche, auf welche das volle Licht der Lampe fiel, die Schattenbilder der Gesichter ihres Mannes und der Zofe, ob sie sich einander näherten oder von einander entfernten, oder lachten. [361] Sie konnte das alles so genau sehen, als hätte sie die Gesichter selbst vor sich. Der Edelmann achtete hierauf garnicht, war vielmehr ganz sicher, daß ihn seine Frau nicht sehen konnte, und küßte das Kammermädchen. Einmal sah sich seine Frau das mit an, ohne etwas zu sagen; als sie aber sah, daß die Schattenbilder sehr oft zu dieser Vereinigung der Lippen zurückkehrten, fürchtete sie, daß dahinter noch mehr stecken möchte. Sie fing deshalb plötzlich ganz laut zu lachen an, so daß die Schatten sich davor erschreckten und zurückfuhren. Der Edelmann fragte, weshalb sie so sehr gelacht habe, sie möchte ihn an ihrer Freude theilnehmen lassen. Sie antwortete: »Mein Lieber, ich bin so dumm, über ein Schattenbild zu lachen.« Soviel er auch bat, sie sagte ihm nichts weiter; für sie hatte er nur ein Schattenbild geküßt.

»Diese Geschichte ist mir eingefallen«, fuhr Saffredant fort, »als Ihr von der Dame erzähltet, welche die Geliebte ihres Mannes liebte.« »Nun wahrhaftig«, sagte Emarsuitte, »wenn mir das meine Zofe angethan hätte, ich würde ihr die Kerze auf ihrer Nase zerschlagen haben.« »Ihr seid sehr heftig«, sagte Hircan, »das hätte aber eine schöne Wirkung gehabt, wenn Euer Mann und Eure Zofe sich gegen Euch zusammengethan und Euch durchgeprügelt hätten; wegen eines Kusses muß man nicht erst so viel Lärm schlagen. Besser wäre es noch gewesen, wenn seine Frau keine Worte gesagt und ihn sich ruhig die kleine Erholung hätte nehmen lassen, die ihn vielleicht von seiner Krankheit geheilt hätte.« Parlamente warf ein: »Sie befürchtete ja eben, daß die Fortsetzung dieses Zeitvertreibes ihn nur noch kränker gemacht hätte.« »Sie gehörte nicht zu denen«, sagte Oisille, »von denen unser Heiland gesagt hat: ›Mir haben Euch betrübt, und Ihr habt nicht geweint, und wir haben Euch vorgesungen, und Ihr habt nicht getanzt‹. Denn als ihr Mann krank war, weinte sie, und als er vergnügt war, lachte sie. So müßten alle guten Frauen die Hälfte des Guten und Schlechten, der Freude und der Traurigkeit ihrer Männer tragen, und sie lieben und ihnen gehorsam sein, wie die Kirche Jesus Christus befiehlt.« Parlamente sagte: »Unsere Männer müßten zu uns also so stehen, wie Jesus Christus zur heiligen Kirche?« Saffredant antwortete: »Das thun wir auch und, wenn möglich, [362] würden wir ihn übertreffen; denn Jesus Christus ist nur einmal für die Kirche gestorben, und wir sterben alle Tage für unsere Frauen.« »Sterben!« rief Longarine aus; »mir scheint, daß Ihr alle hier jetzt wie blanke Thaler ausseht gegen Kupfergeld, das Ihr vor der Heirath wart.« »Ich weiß wohl, weshalb«, sagte Saffredant, »weil jetzt unser Werth auch oft anerkannt wird; aber unsere Schultern fühlen es wohl, lange schwere Last getragen zu haben. Ihr hättet nur einen Monat lang genöthigt sein sollen, den Panzer zu tragen und auf bloßer Erde zu schlafen, Ihr würdet schon Sehnsucht nach dem Bett und nach der Last Eurer guten Frau haben, über die Ihr Euch jetzt beklagt. Man sagt aber mit Recht, daß alle Dinge sich ertragen lassen, nur nicht das Wohlergehen, und die Ruhe kann man erst recht würdigen, wenn man sie verloren hat.« Oisille sagte: »Diese gute Frau, welche lachte, wenn ihr Mann fröhlich war, mußte doch wohl sich etwas Gewalt anthun, um ruhig zu bleiben.« »Ich glaube«, sagte Longarine, »sie liebte mehr ihre Ruhe, als ihren Mann, da sie sich nichts, was er auch thun mochte, zu Herzen nahm.« Parlamente erwiderte: »Sie nahm sich sehr wohl zu Herzen, was für sein Gewissen und seine Gesundheit nachtheilig sein konnte; sie wollte aber auch nicht aus einer Mücke einen Elephanten machen.« »Wenn Ihr von Gewissen sprecht«, sagte Simontault, »so bringt Ihr mich nur zum Lachen; das ist eine Sache, um die sich, wie ich möchte, eine Frau nicht kümmern sollte, außer im Nothfall.« Nomerfide sagte: »Dann wäre es ja nur am Platze, wenn Ihr eine Frau hättet, wie diejenige, welche nach dem Tode ihres Mannes klar zeigte, daß sie das Geld mehr als ihr Gewissen liebte.« »Ich bitte Euch«, sagte Saffredant, »erzählt uns die Geschichte, und zu diesem Zwecke gebe ich Euch das Wort.« Nomerfide antwortete: »Ich hatte mir eigentlich nicht vorgenommen, eine so kurze Geschichte zu erzählen; da sie aber gerade ein Beispiel für meine Bemerkung ist, will ich sie jetzt mittheilen.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Sechster Tag. 54. Erzählung: [Von einer gutgearteten Frau]. 54. Erzählung: [Von einer gutgearteten Frau]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F6A-6