[68] [89]Schäffer-gedichte. Sylvia

B.N.


Der arme Thyrsis lag nechst unter einer eichen/
Bey quellen/ die an glantz dem hellen silber gleichen/
Und dachte lange zeit dem herben ungemach
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Und den verkehrungen in seiner liebe nach.
Doch endlich lößte sich die stimme seiner zungen/
Und sang/ daß berg und thal von diesen worten klungen:
Ach strenge Sylvia! Warumb verachtst du mich?
Die sonne brennt und wirfft die strahlen unter sich.
Lufft/ feld und erde brennt/ die kühlen ströhme brennen
Von flammen/ die auch schon die jungen lämmer kennen:
Dein Thyrsis aber fühlt mehr/ weder alle pein/
Und du alleine nur wilst schnee und kälte seyn.
So bald ich neulich dich/ (du wirst es noch wohl wissen)
Mit auffgeschürtztem rock und halb entblößten füssen/
Als eine jägerin/ durch wald und püsche ziehn/
Und jene hindin sah für deinen waffen fliehn;
So dacht ich bey mir selbst: Was fliehstu für den wunden/
O hindin/ die du doch in solchen händen funden?
Und gleich den augenblick entbrannte blut und hertz/
Ich fühlt/ ich weiß nicht was für einen seelen-schmertz:
Die mutter aber sprach: es wäre brunst und liebe.
Was solt ich ärmster thun/ daß ich verschonet bliebe?
Ich riß den engen rock biß an den gürtel auff/
Ließ meine schafe stehn/ und sprang in vollem lauff
Dir auff dem fusse nach: Allein du warffst die hände
Und deinen weissen schleyr (o allzustrenge hände!
O allzuharter schleyr!) vor mund und brüste für/
Und flohest ärger noch als wild und hirsch vor mir.
Drauff stund ich gantz erstarrt/ gleich wie die matten tauben/
Wenn ihnen pfeil und blitz den süssen buhlen rauben/
Und rieff wohl tausendmahl dir deinen namen nach;
Gleich legte sich der wind und wehte gantz gemach.
Du aber lieffst mir nach/ indem ich rieff/ zum possen/
Und hattest ohr und hertz/ wie deine brust/ verschlossen.
Wer hilfft mir ärmsten nun in meiner schweren pein?
Ich lauffe hügel an/ ich steig ins thal hinein;
Doch thal und hügel hört mein weinen und mein klagen:
Ja Echo will mich gar mit wieder heulen plagen/
Und ist zugleich betrübt. Jedoch ich wünsch allein
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Verliebt/ und auch allein bey mir betrübt zu seyn.
Sonst möchte/ wenn allhier sich falsch und wahr gesellten/
Die Nymphe meinen schmertz auch für erdichtet schelten.
Wiewol es ist umsonst mein weinen und mein schmertz:
Denn du/ o Nymphe! treibst mit allen beyden schertz.
So sehr verachtet mich nicht Phyllis und die Dore:
Dann Phyllis band mich nechst mit einem haber-rohre/
Das ihr corallen-mund mit freuden offt geküst/
Und Dore hat mich gar erst heute noch gegrüst.
Allein nicht Phyllis mund/ nicht Dorens purpur-wangen
Sind mächtig so wie du/ mein treues hertz zu fangen:
Der wald wird zeuge seyn/ die oder und der strand/
Und jener erlen-baum/ auff dessen rinden-wand
Ich unsre nahmen nächst mit thränen angeschrieben.
Ich hab es selbst gesehn/ wie ihre schrifft beklieben.
Des abends stunden sie noch weit und unvermengt:
Des morgens waren sie wie ketten eingeschrenckt.
Dreymal hab ich mit lust diß wunderwerck gelesen/
Und dreymahl bin ich fast für küssen todt gewesen/
O küsse! die nach thau – Was aber hilfft es mich?
Die nahmen sind vermählt/ die leiber scheiden sich.
Der helle Lucifer bringt schon den dritten morgen;
Und dennoch sieht man mich nicht für die schafe sorgen.
Die ziegen haben noch kein frisches graß geschmeckt;
Die jungen böcke nur die dürre brust geleckt:
Ich selber habe noch vom weine nichts genossen/
Kein stücke brod gesehn/ kein auge zugeschlossen.
Denn ohne dich vergeht mir alle schäfer-lust/
Und ohne dich ist mir auch kein geschmack bewust.
Doch gönnstu einmahl uns nur einen süssen morgen;
So will ich wiederumb für meine schafe sorgen.
Die ziegen sollen fort und in die weide gehn;
Die eyter voller milch/ die böcke truncken stehn:
Ich selber aber will den Bachus wieder grüssen/
Nach frischem brodte sehn und neuer ruh geniessen.
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Und stürbe gleich mein vieh/ mein väterliches gut/
Und aller wiesen-wachs durch feur- und wassers-flut/
So will ich/ wann sie mich nur deiner nicht berauben/
Mich dennoch in der welt am allerreichsten glauben.
Wann der beperlte thau des morgens nieder fällt/
Und sich das erste licht der sonnen eingestellt/
Schau ich den tropffen zu/ indem sie sich verbinden/
Ob ich dein bildniß kan in ihren farben finden.
Ich sehe vielerley: Nichts aber ist wie du.
Das gold schleust seinen glantz für deinen haaren zu.
Der reiff muß deiner haut/ der stirne liljen weichen/
Den wangen ist nicht blut und frische milch zu gleichen/
Der mund beschämt rubin/ die zähne helffenbein/
Die augen Phöbus licht und aller sterne schein.
Vom andern weiß ich nicht/ wie einem muß geschehen;
Weil ich es/ schönste/ nur kan in gedancken sehen.
Wenn denn Aurorens schooß die rosen auffgethan/
So schau ich ihre pracht mit steiffen augen an/
Und suche deinen mund in ihren purpur-strahlen:
Doch bleib ich zweiffelhafft/ was schwerer sey zu mahlen/
Du/ oder aber sie. Ja/ wenn ich endlich dich
Im felde nirgends seh/ so übereil ich mich/
Und denck: Ist nun ihr geist in himmel gar gestiegen?
Und kan sie denn zugleich bey sternen und bey ziegen/
Des abends Sylvia/ und früh Aurora/ seyn?
So denck ich/ trifft es gleich nicht mit der warheit ein.
Ach Sylvia! du wirst nicht ewig so verbleiben.
Der tod kan seine lust mit blum und schönheit treiben/
Und du möchtst endlich wohl im alter in dich gehn/
Ich aber weiß mir nicht die schmertzen auszustehn.
Schau! Bachus liebt den wein. Weil Bachus wein wird lieben/
Soll sich dein Thyrsis auch in steten flammen üben.
Je mehr du für ihm weichst/ je weiter folgt er nach.
Denn dir zu g'ringe seyn/ ist weder schimpff noch schmach.
Ja solte gleich die zeit den spiegel dir verderben/
Und dein gesichte so wie deine jahre sterben/
So soll mir/ schönste/ doch noch deiner rosen schein/
Und deiner glieder schnee stets für den augen seyn.
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Ach stoltze Sylvia! Laß deinen zorn sich wenden/
Ich will dir/ wo du willst/ auch wohl geschencke senden.
Nicht etwa die der wald und unser garten trägt;
Nicht die das reiffe feld uns in die scheuren legt;
Nein: Sondern einen putz mit puder überschlagen/
Wie in der stadt itzund die bürger-töchter tragen/
Und einen bunten korb/ den neulich erst Serran
Mit grosser kunst gemacht/ Serran/ der kluge mann.
Der hirten gröste lust und zierrath unsers landes/
Der alle bürger so an gaben des verstandes
Gleich wie die nachtigal die raben übertrifft;
Der mich zuerst gelehrt/ wer diese welt gestifft/
Woher ihr roher teig und ihre forme kommen;
Wie städte sich gemehrt und wieder abgenommen;
Was sonn und monde seyn/ und wie ihr licht die welt
Durch seinen steten lauff in der bewegung hält:
Der sag ich/ alles mir/ nur dieses nicht gezeiget/
Wie man/ o Sylvia! dein steinern hertze beuget.
Doch wo du hierdurch auch nicht zu bewegen bist;
So weiß ich ärmster nicht/ was weiter übrig ist/
Als daß ich meinen rumpff an diesen eichbaum hencke.
Vielleicht liebst du mich todt/ weil ich dich lebend kräncke.
Schreib aber auff mein grab nur noch zu guter nacht:
Allhier hat Sylvia den Thyrsis umgebracht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Neukirch, Benjamin. Gedichte. Gedichte. Schäffer-gedichte. Sylvia. Schäffer-gedichte. Sylvia. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6084-7