Das dritte Klagelied

O Ich betrübter Mann, der ich mit kranckem Muthe
Muß seinen Eyfer sehn, und seines Grimmes Ruthe!
Er hat mich nur hieher in Finsterniß geführt,
Da niemand weder Liecht, noch Tag, noch Sonne spürt,
Ist gäntzlich wider mich, wer hett' es glauben sollen,
Daß er mich für und für so übel halten sollen?
Er hat mein Fleisch und Haut verwelckt und alt gemacht,
Zerschlagen mein Gebein und gantz mich hingebracht.
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Er hat mich so verbaut, mit Gall' und Müh umbgeben,
In Finsterniß gelegt, als die, so nicht mehr leben
Und liegen schon verdeckt; er hat mich umb und an
Vermauret und bestrickt, daß ich nicht loß gehn kan,
Mir Fessel angelegt, im Fall ich gleich will ruffen,
So läst er dennoch mich vergebens auff ihn hoffen,
Und stopfft die Ohren zu. Er hat mir meinem Weg
Mit Steinen hoch vermaurt und alle Straß' und Steg
Zerstört und umbgekehrt, er ist mir nachgeschlichen,
Als wie ein Beer sich pflegt im Holtze zu verkriechen
Und wie ein grimmer Löw' an seiner Hölen liegt,
Biß er ein schwächer Wild in seinen Rachen kriegt.
Er hat noch Lust daran, im Fall er mich berücket,
Daß ich deß Weges fehl'; er hat mich gantz zerstücket
Und endlich durchgebracht; er hat als auff ein Spiel
Den Bogen auffgespannt, auß mir gemacht ein Ziel,
Den Köcher außgeleert und mir durchschiessen lassen
Die Nieren in dem Leib'. Ich bin ein Spott und Hassen,
Ein täglich Lied deß Volcks. Er hat mir auch geschenkt
Zur Speise Bitterkeit, mit Wermut mich getrenckt,
Die Zähne mir zermalmt, in Asche mich verschorren.
Jetzt ist nun meine Seel', jetzt ist sie gantz verworren
Ohn allen Rast und Ruh; ich muß ins Elend ziehn,
Muß lernen ärmer sein. Ich sprach: Mein Schutz ist hin
Und Hoffnung auff den Herrn; sieh' her doch und bedencke
Wie gar verwaist ich sey, wie Wermut mein Getrencke
Und herbe Galle war. Du denckst ja noch daran;
Mein Hertze sagt es mir, daß deines doch nicht kan
So gar mich lassen gehn; diß tröstet meine Sinnen,
Drumb hoff' ich fest' und steiff, ich will dich noch gewinnen.
Deß Herren Gnade macht, daß uns kein Trost gebricht
Und seine Gütigkeit die hat kein Ende nicht;
So offt es morgen wird, so offt auch wird sie neue
Und scheinet über uns. Sehr groß ist deine Treue.
Der Herr der ist mein Theil, spricht meine Seel in mir,
Drumb will ich auch auff ihn mich lassen für und für.
Der Herr ist freundlich dem, der hertzlich auff ihn bauet;
Er ist der Seelen Trost, die nach ihm fragt und schauet.
Es ist ein köstlichs Ding in aller Noth und Pein
Vertrauen auff den Herrn und recht gedultig sein.
Es ist ein köstlichs Ding, noch in den jungen Jahren,
Im Lentzen seiner Zeit, viel leiden und erfahren,
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Nicht widerspenstig sein, wann sich die Sonne stellt,
Als scheine sie nicht mehr, und uns was überfellt,
Den Mund thun in den Staub, die Zeit mit Hoffnung tragen,
Sich lassen Schmach anthun und auff die Backen schlagen;
Dann Gott ist nicht ein Herr, der ewig zürnen kan,
Und ob er schon betrübt, doch nimpt er wider an,
Und liebt uns mehr als vor nach seiner grossen Güte.
Ja wann er uns schon plagt, so gehts nicht von Gemüte,
Das Hertz ist nicht darbey. So muß ein Vatter sein,
Verstecken seine Lieb' und nach dein Augenschein
Uns hassen noch so sehr. Er thut, als all' auff Erden,
Die so gefangen sind, zertretten musten werden
Von seiner Füsse Krafft und gäntzlich umgebracht,
Als eines Mannes Recht für Gottes starcker Macht
Gebeuget muste sein, und dem zuviel geschehen,
Der gute Sache hat, als köndt er diß nicht sehen,
Der Herr der alles sieht, dem nichts sich bergen kan,
So weit von Ost in West die Sonn' auff ihrer Bahn
Was Welt heist überschaut. Wer darff dann nun wol sagen,
Daß diß ohn sein Gebott bey uns sich zu kan tragen,
Daß dieser Erdenbau ist ausser seiner Hut,
Und macht uns nichts zu thun, auch selber nichts nicht thut?
Wie murren dann die Leut' in ihrem sichern Leben?
Ein jeder der mag Zanck mit seiner Sünd anheben.
Last uns in unsern Sinn und in uns selber gehn,
Zu suchen, was wir thun, und für den Herren stehn,
Mit wahrer Buß und Reu hin nach dem Himmel wenden
Und heben zu ihm auff das Hertze mit den Händen.
Wir haben deinen Zorn durch Sünd herfür gelockt,
Drumb hast du uns gar recht mit schwerer Handt gedruckt,
Hast billich dich ergrimmt und under deinem Volcke
So sehr herumb gewürgt, hast eine dicke Wolcke
Rings umb dich her gespannt, hast allen Weg und Bahn
Dem Beten abgestrickt, daß niemand für dich kan.
Wir sind durch deinen Grimm Koth, Wust und Unflat worden
Für dieser gantzen Welt und aller Völcker Orden.
Sie sperren auff ihr Maul, so viel der Feinde sind;
Uns plaget Noth und Angst, die Bach der Thränen rinnt
Mir strömig Tag und Nacht, im Fall ich solche Schmertzen
Der Tochter meines Volcks mir neme recht zu Hertzen.
Mein' Augen sind ein See, ein Quell, das nicht vergeht,
Das allzeit weiter fleust und doch voll Wassers steht,
Biß daß mir noch der Herr hoch auß der Lufft wird geben
Den Anblick seiner Gunst. Mein Auge frist mein Leben,
[252]
Weil sie so elend' ist, die Tochter meiner Statt.
Wie wann ein Steller sich bey seinem Garne hat
In den gemachten Pusch betrüglich hingesetzet
Und rückt die Vögel weg; so hat mich auch behetzet
Deß argen Feindes List, sie haben eine Grufft
Und Grube mir gemacht, daselbsten unverhofft
Mein Leben hingeraubt und mich umbher verschlossen
Mit Steinen allerseits, mit Wasser übergossen
Mein kranckes Häupt und mich, daß ich versuncken bin;
Da sprach ich bey mir selbst: Nun bin ich gar dahin,
Doch rief ich gleichwol noch, Herr, auß dem tieffen Grunde
Auff deinen Namen zu, und du hast auff der Stunde
Mein Flehen angehört. O meines Lebens Liecht,
Verstopffe ja dein Ohr für meinem Seufftzen nicht:
Komm, nahe dich zu mir, komm wann ich sehnlich ruffe,
Sprich zu mir: Sey getrost, erharre mein und hoffe.
Herr, rette meine Seel' und führ ihr Recht hinauß;
Sey meines Lebens Schutz, sonst ist es mit ihm auß.
Herr, laß mich weiter nicht so grosses Unrecht leiden,
Sitz auff den Richterstul, hilff meine Sach entscheiden.
Du siehest, wie sie sind, wie falsch und liftiglich
Sie wenden alles Thun und Trachten wider mich.
Du hörest ihre Schmach, es ist dir unverborgen
(Was birget sich vor dir?) daß ihre gantze Sorgen
Auff meinen Schaden gehn, daß sie sich, wann die Nacht
Uns überschatten will und wann Aurora wacht,
Bereden wider mich; all' ihre Red' und Sagen
Gehn einig nur dahin, wie sie zusammen tragen,
Was mein Verderben sey; wann man sie auffstehn sieht
Und gleichfals schlaffen gehn, so muß ich sein ihr Lied.
Vergilt es ihnen, Herr, und gib, was sie erwerben,
Laß sie in Furcht und Angst durch deinen Fluch verderben,
Verfolge sie mit Grimm, o grosser starcker Heldt,
Tilg' ihren Nahmen auß auff dieser gantzen Welt.

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TextGrid Repository (2012). Opitz, Martin. Gedichte. Geistliche Dichtungen. Die Klag-Lieder Jeremia. Das dritte Klagelied. Das dritte Klagelied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-642A-4