[5] Erster Band

Vorwort zur zweiten Auflage

Es war im Sommer 1856, als ich zum ersten Male nach Nürnberg kam. Eine Reise nach der Schweiz, die ich von meiner Vaterstadt Meißen aus (das man auch zuweilen seiner alterthümlichen Bauart wegen »Klein-Nürnberg« genannt), angetreten, führte mich dahin. Man reiste damals noch nicht mit der fliegenden Eile von heutzutage – ich wenigstens war da gerade in der glücklichen Lage, an der Seite einer Freundin ohne zwingendes Ziel rein des Vergnügens willen zu reisen und Alles mitzunehmen, was sich Interessantes am Wege bot. Von all dem dünkte uns Nürnberg das Interessanteste, so bald wir es nur betraten – und nicht eher verließ ich es wieder, bis all seine Merkwürdigkeiten und Herrlichkeiten sich mir erschlossen und alle Denkmäler aus der Blüthezeit mittelalterlicher Kunst mir ihre Geschichte erzählt hatten.

Als ich im Sonnenuntergang auf der Veste stand und über die Mauern des Burggartens hinabblickte und hinein in die unzähligen Gassen und Gäßlein der[5] alten Stadt, auf all die Thürme und Giebel, die Chörlein und Brunnen, die da sprachen von einer glorreichen Vergangenheit, wie kaum eine andere deutsche Stadt sie erlebt und von der wenigstens in keiner andern so viel treu behütete Erinnerungszeichen bis auf unsere Tage gekommen, daß man Nürnberg wohl nennen mag: das Reliquienkästlein des deutschen Reichs – da ward die ganze alte Zeit lebendig vor mir und die Jahrhunderte versanken, wie der eine sinkende Tag.

Da war mir, als sähe ich da unten nicht nur Albrecht Dürers Standbild, sondern den Meister selbst, da er noch als Lehrling beim Meister Wohlgemuth arbeitete und mit dem Patriziersohn Willibald Pirkheimer das edelste Freundschaftsbündniß schloß – da sah ich die deutschen Kaiser einziehen und wie auf Kaiser Friedrichs III. Wink Elisabeth Behaim den Dichter Konrad Celtes auf offnem Markt mit dem Lorber krönte – sah wie Kaiser Maximilian I. bald auf der Veste einkehrte beim Burggrafen von Zollern, an der Seite seinen lustigen Rath Kunz von der Rosen, bald selbst Quartier nahm im Hause Scheurls, das noch unverändert steht – sah wie die Baubrüder arbeiteten nach dem System des Achtorts in der Bauhütte neben der Lorenzkirche und Hüttentag hielten – sah die beiden Loosunger und die Genannten aus den edelsten Nürnberger Geschlechtern: Tucher, Holzschuher, Muffel, Behaim u.s.w. zum Rathhaus gehen – sah hinein in [6] Peter Vischers Gießhütte und in Adam Krafts Werkstatt am Steig und –

Was ich da sah im Sonnenuntergang und im Mondschein, das sollte zu mehr werden, denn zu einem flüchtigen Reiseeindruck – als ich andern Tags noch einmal in der herrlichen Lorenzkirche weilte, dem schönsten Denkmal gothischer Baukunst und geschmückt mit Werken eines heiligen Kunsteifers, wie eben nur jene Blüthezeit des Mittelalters ihn aufzuweisen hat, da that auch ich bei all diesen Werken reiner Begeisterung und bei meiner eigenen ein Gelübde: zu versuchen, an all diese Denkmale noch selbst durch ein geschriebenes Denkmal zu mahnen.

Als ich wieder heimgekehrt, kam mir Nürnberg nicht aus dem Sinn – aber meine Aufgabe schien mir zu groß, als daß ich gleich so ohne Weiteres an deren Lösung gegangen wäre – konnte man doch von jenen Nürnberger Meistern selbst lernen, wie man mit Ernst und Fleiß arbeiten muß, will man etwas Rechtes erreichen. Ueber ein Jahr lang habe ich denn nur im Mittelalter und in Nürnberg im Geist gelebt; ein Freund und Gönner, der Culturhistoriker Hofrath Gustav Klemm, Oberbibliothekar der Königl. Bibliothek in Dresden, der früher selbst lange in Nürnberg gelebt, war mir freundlich behülflich, Alles zu suchen, was jene Bibliothek von alten Werken darauf Bezügliches enthielt – und nicht eher, bis ich durch die fleißigsten Studien ganz auf dem gewählten Schauplatz zu Hause [7] war, ging ich an meine Arbeit. Aber ich wollte in ihr nicht allein ein culturhistorisches Bild liefern, sondern auch ein poetisches Kunstwerk – wollte Ewiges dar stellen im Endlichen, wie es meine Helden – die Baubrüder, ja auch selbst gethan.

So erschien denn mein »Nürnberg« 1859. Es war mein erster historischer Roman – und ich hatte die Freude, ihn vom Publikum wie Kritik in gleicher Weise beachtet und – was bei mir viel sagen will, da mein entschiedener Parteistandpunkt mir immer viele principielle Widersacher schuf – einstimmig anerkannt zu finden. Ich darf mich mit Freuden auf die Urtheile der angesehensten Zeitungen und auf Namen berufen wie Gutzkow, Alfred Meißner, August Silberstein, Karl Frenzel, Ludwig Eckhardt, Hermann Klencke, Heinrich Kurz, Hermann Marggraf u.s.w. Was mich aber am meisten freute, das war, daß aus Nürnberg selbst mir die vielfachste Zustimmung zu Theil ward und daß Andere, wenn sie nach Nürnberg reisten, mir versicherten, mein Buch sei dafür der beste Führer.

Jahre vergingen – die letzten Sommer führten mich wieder nach »Nürnberg« – da grüßte mich dort mehr als ein Freund deutscher Kunst und Größe mit der bangen Bemerkung: »Es ist gut, daß Sie jetzt noch kommen – denn bald werden Sie Ihr Nürnberg nicht mehr finden!«

Die Stadt, die bisher die Erinnerungen ihrer reichsstädtischen mittelalterlichen Größe so treu gehütet, hatte [8] an der Zerstörung derselben begonnen – im Interesse des Nivellirungssystems der modernen Industrie sollten die alten Mauerkronen fallen sammt Thürmen und Thoren – –

Da gedachte ich wieder meines Nürnberg und da ich erfuhr, daß die erste Auflage bis auf das letzte Exemplar schon längst vergriffen war und ich darüber nur keine Mittheilung erhielt, weil der Verlag, in dem es damals erschien, an eine andere Firma übergegangen, so erschien es mir an der Zeit, jetzt eine zweite Auflage davon zu veranstalten und es namentlich auch Allen, die sich für die alte Reichsstadt und ihre einstige Kunstblüthe interessiren, nochmals zu bieten, als ein Denkmal ihrer Herrlichkeit – wie ja auch Holzschnitt und Photographie sich eben jetzt noch bemühen, festzuhalten, was noch vom alten Nürnberg steht, weil man ja nicht weiß, wie lange es noch der modernen Zerstörungssucht widerstehen kann.

Und so sende ich denn diesen Roman zum zweiten Male in neuer Gestalt und nochmals durchgesehen, wenn sonst auch unverändert, hinaus in die Welt und hoffe, daß er keine ungünstigere Aufnahme findet, als das erste Mal. Und somit grüß' ich all die Freunde, die er schon fand und die er mir selbst erwarb – und vor Allem grüße ich Nürnberg selbst und in ihm die Hüter und Förderer des »Germanischen Museums«, denen ich mein Werk nochmals zu Füßen lege.

Leipzig, 1874. Die Verfasserin.

[9][11]

An Nürnberg

Du edles Nürnberg bist wie eine Blume
Im deutschen Reich, so herrlich anzusehn!
Du blühst dir selbst und aller Zeit zum Ruhme,
Läßt Balsamdüfte durch die Lande wehn!
Und deine Zauber wirken fort und fort
In Kunst und Wissenschaft, in Bild und Wort.
Dahin zog es von je die edlen Geister,
Die gern sich sonnen in des Lebens Glanz,
Die Herrn und Fürsten und die großen Meister
Von jeder Kunst im schön verbundnen Kranz.
Dort kämpfte man zuerst für Recht und Licht
Und huldigte der Schönheit und der Pflicht.
Auch ich sah dich – und deine Steine sprachen,
Von Allen Thürmen hallte Glockenklang,
Und tausend Stimmen aus vergangnen Tagen
Vereinten sich wie feiernder Gesang,
In deinen Kirchen, deinen Monumenten,
Schrieb Kunst die Chronik mit geweihten Händen.
Die Baukunst, die dem Namen der Germanen
Die höchste Ehr im Tempelbau erschuf,
Und die, entrückt dem Eingriff der Profanen,
Die freie Steinmetzzunft weiht dem Beruf
Zu zeigen, wie das Ewige erscheint
Im Endlichen, wenn es die Kunst vereint.
[11]
Solch Ringen war's, das nach dem höchsten Ziele
Baubrüder von St. Lorenz hier gepflegt,
Wie sie einst aufgerissen die Profile
Albertus Magnus Lehre treu gehegt:
Das ward auch hier, auch mir ein Offenbaren
Vom Tempelbau des Schönen und des Wahren.
Und also ging ein Auf- und Vorwärtsstreben
Grad durch die Zeit und durch das deutsche Reich.
Die Reichsstadt durfte hoch das Haupt erheben,
Stellt' Bürgerthum dem Fürstenthume gleich,
Und nur dem Kaiser, den sie mit gebüret
Gab sie die Huldigung, die ihm gebüret.
Und edle Frauen durften stolz sich zeigen,
Die Kunst beschützen, wie die Wissenschaft,
Den Lorberkranz erwählten Dichtern reichen,
Die Anmuth fügen zu der kühnen Kraft,
Und von der Blüthe solchen Bürgerthumes
Gehört für sie ein Theil des höchsten Ruhmes.
All dies in deinen Mauern wohl geborgen
Du edles Nürnberg zeigte mir der Geist,
Und was ich sah, und was ich konnt erhorchen,
Das dich vor aller Welt noch einmal preist:
Das hab ich, wie ich mich an dir erhoben
Dich auch erhebend in mein Werk gewoben! –
Geh hin, mein Buch, und grüß die deutschen Auen
Und grüße Alle, die Begeistrung weiht,
Baubrüdern gleich, am Tempel mit zu bauen,
Auf altem Grund im Dienst der neuen Zeit!
Daß deutsche Kunst und Art bleib' unvergessen,
Das ist das Ziel, deß sich dies Buch vermessen.

Nürnberg, October 1873. Louise Otto. [1]

Erstes Capitel
Der Wandergeselle

An einem sonnenklaren Maientage des Jahres 1489 wanderte ein schlanker Jüngling auf der breiten Heerstraße, die von Westen nach Nürnberg führte, der ehrwürdigen Reichsstadt zu. Schon waren ihm viele Menschen begegnet zu Fuß wie zu Roß und hoch mit Kaufmannsgütern beladene Wagen, umgeben von zahlreichem Geleit, denn ohne solches wagte Niemand die Waaren zu versenden, die so noch oft genug in die Hände der rohen Raubritter fielen, die ihr Wesen gerade am Aergsten von ihren düstern Burgen herab in der Nähe der freien Reichsstadt trieben, deren Reichthum sie beneideten, deren Bürgerstolz sie haßten und deren Bürgern sie schon darum gern einen Verlust und Schaden zufügten, weil diese selbst oft genug den hohlen Glanz des Ritterthums verdunkelten, und wo es in ihrer Macht war, sich nicht scheuten, seine Angehörigen, [1] wenn sie dieselben eines Frevels überführen und habhaft werden konnten, nach ihren strengen Gesetzen zu strafen und zu richten.

Schon an diesem belebten Verkehr hätte der Jüngling erkennen müssen, daß er dem Ziel seiner weiten Wanderschaft sich endlich näherte – aber als er jetzt aus dem gewaltigen Reichsforste trat, durch den sein Weg zuletzt geführt: da lag sie vor ihm, die große, sich weit ausbreitende Stadt, in der doch ein Giebel dicht an den andern gedrängt den Nachbar zu überragen strebte, indeß zahlreiche Thürme miteinander wetteiferten den Himmel zu begrüßen und in kunstvollen Formen sich von ihm abzuzeichnen. Höher darüber thronte die Veste, die vor etwa fünfzig Jahren neu erbaut worden war von den Bürgern Nürnbergs, nachdem sie Ludwig der Bärtige von Baiern 1420 niedergebrannt und Markgraf Friedrich von Brandenburg sie sammt allen Rechten einige Jahre später an die Stadt Nürnberg verkauft hatte. Da und dort blinkten die grünen Wellen der Pegnitz, welche die Stadt durchströmt und in zwei Hälften schneidet: die Lorenzer und die Sebalder Seite, so genannt nach ihren Kirchen, den herrlichsten Denkmalen gothischer Baukunst. Da und dort, besonders aus den Vorstädten steigt düsterer [2] Rauch auf, der kommt aus den gewaltigen Schornsteinen der zahlreichen Gießhütten, in denen die Kunst und das Handwerk zugleich arbeiten im innigsten Verein, um nützliche Geräthe zu schaffen für den Hausgebrauch und vollendete Werke monumentaler Kunst zur Ehre Gottes für die erhabenen Tempel, in denen alle Künste sich vereinigen dem Herrn zu dienen und alles Volk ihm zuzuführen.

Auf einer kleinen Anhöhe hat der Wanderer sich niedergelassen, und indessen er die Stadt betrachtet, in die seine Sendung lautet, und ihm das Herz groß und weit wird bei ihrem Anblick und dem Gedanken, daß er da drinnen Brüder seiner Zunft und Kunstgenossen finden wird, in deren Mitte eine reiche Zukunft voll begeisternder Thätigkeit ihn erwartet, können wir ihn selbst betrachten.

Er ist lang und schlank und von edlem Wuchse, sein Gesicht glatt und fein, nur jetzt etwas von der Frühlingssonne auf langer Wanderschaft gebräunt, unter der edelgebauten Stirn scheinen hohe Gedanken zu wohnen, und noch mehr leuchtet aus den tief dunklen Augen das Feuer echter Begeisterung. Das üppige braune Haar, halblang in der Mitte gescheitelt und rundum glatt geschnitten, bedeckt ein kleiner runder Strohhut. [3] Ueber den enganliegenden Beinkleidern von bräunlichem Leder trägt er eine Art kurze Blouse von rothbrauner Farbe, am schwarzen Ledergürtel hängt ein kurzes breites Schwert und um die Schultern am festen Riemen ein ledernen Sack. Die kurzen Stiefeln von ungeschwärztem Leder bezeugen in ihrem abgerissenen Zustand auch die Weite des Weges, den sie zurückgelegt.

Nachdem er das letzte Stück Brod, das er in dem Sack gefunden, der seine ganze Habe enthielt, verzehrt, ging er auf's Neue mit rüstigen Schritten auf die Stadt zu und betrat sie bald durch ein langes düsteres Thor. Er wußte nirgend Bescheid und bog ohne Weiteres in die enge Gasse ein, die ihn in der Richtung des Kirchthurms zu führen schien, den er sich von Weitem als sein Wanderziel ausersehen. Aber bald verschwand ihm dieser vor den höher aufsteigenden nahen Giebeln, die in den engen, oft krummlinigen Straßen seinen Blick beschränkten, und er ging durch dieselben ohne Plan und Ziel, nur gelockt von der Neuzeit des Anblickes, der sich ihm bot, der Bewunderung und Freude, die ihn erfüllten.

Der Wanderer kam von Straßburg und hatte am Rhein und in Franken, das er jetzt durchzogen, wohl manchen stattlichen Bau und manche aufblühende Stadt [4] gesehen; auch war ihm wohl das Sprüchlein bekannt, demnach kein Fürst so schön wohne wie dieFugger zu Augsburg und die Tucher zu Nürnberg: aber Alles, was er hier sah, übertraf doch seine Erwartungen. Hohe, oft fünfstöckige jedoch schmale und tiefe Häuser kehrten die Giebelseite der Straße zu, so zwar, daß die verschiedenen Geschosse sich treppenartig übereinander thürmten und von der Straße aus den Aufblick nach oben beschränkten. Viele Fenster, meist hoch und weit, oft oben in Bogen gewölbt, schmückten die Häuser, symmetrisch und doch mannigfaltig vertheilt. Zuweilen vereinigten sich zwei oder drei Fensterfelder zu einem vorspringenden Chörlein, das schöne Wappenschilder von zierlicher Steinmetzarbeit schmückten. Wie der Giebel war meist auch die obere Gruppe der Fenster pyramidisch angeordnet und der Giebel selbst Treppenförmig ausgeschnitten, an manchen Häusern auch die einzelnen Stufen mit aufstrebenden Steinverzierungen gekrönt. Ueber den weiten Eingang der Häuser stieg häufig ein kunstgerechter Spitzbogen empor mit steinernem Laubwerk umwunden, oder zeigten sich buntgemalte Wappenschilder oder Zunftzeichen. Und wo ein Haus eine Straßenecke bildete, da fehlte selten an der scharfen Ecke ein vorspringender Wegstein mit einem steinernen [5] oder ehernen Standbild; bald war es ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln, bald ein Ritter mit geschwungenem Speer oder ein Lindwurm. Wo ein weiterer Platz sich zeigte, da stand inmitten gewiß ein Brunnen mit schönen Statuen oder feinem Gitter darum, oder war irgend ein künstliches Druckwerk daran, daß wie von selbst das Wasser heraus und gen Himmel sprang, an der Erde im weiten Steinbecken sich sammelnd.

Hatte der neue Ankömmling auch schon da und dort gleich schöne Bauwerke und Steinmetzarbeiten gesehen, noch nirgend war es ihm vorgekommen, daß sie so dicht zusammen sich drängten, so gleichsam den Bedürfnissen des täglichen Lebens dienten, zu ihnen zu gehören schienen. Und welch' ein wogendes Leben war das auch, das sich dazwischen bewegte! Auf Wagen oder Schleifen wurden Waarenballen von geschäftigen Händen aufgethürmt zu weiterer Versendung, oder abgeladen und in die weiten Hofräume der Häuser geschafft. Ueberall waren die Erdgeschosse Werkstätten, aus denen ein munter bewegtes Leben voll rüstiger Arbeit klang, oder Kaufläden, an deren Fenstern kunstvolle Geräthschaften oft von Gold und Silber blitzten, so daß unser Fremdling schon bei sich selbst eine solche Gasse die Goldschmiedsgasse nannte, noch ehe er wußte, daß sie [6] wirklich diesen Namen führte. Zwischen den geschäftigen Arbeitern, die aus den Werkstätten ab und zu gingen, schritten stattliche Herren, die zum Rath gingen, manche in Pelz und Sammt gekleidet, gleich als ob sie Edelleute wären, indeß sie doch nur bürgerlicher Herkunft, aber den geachtetsten Geschlechtern Nürnbergs angehörend, hatten sie unkundlich selbst vom Kaiser die Erlaubniß zu solch reicher Tracht erhalten, die sonst allein dem Adel zukam. Daneben wandelten gleich reich gekleidete Frauen, die nicht nur mit den Schleppen ihrer seidenen Damastkleider, sondern auch mit ihren weiten hängenden Aermeln die Straße fegten, dem Rath zum Trotz, der schon einmal eine Verordnung wider die Länge solcher Aermel erlassen. Aber neben dem Stolz, der wie aus der Kleidung auch aus der Haltung dieser Frauen sprach, lag auch etwas so Ehrbares und Züchtiges in ihrem Auftreten, das allen Begegnenden Achtung einflößte und die sie erblickenden Männer, mochten sie dem weltlichen oder geistlichen Stande angehören, nöthigte mit höflichen Grüßen an ihnen vorüberzugehen. Und auch unter den einfacher gekleideten Bürgermädchen, von denen manches den schönen Fremdling mit schelmischen Augen neugierig musterte, gab es liebliche Erscheinungen, an denen Alles [7] nett und sauber war, von dem goldgestickten Riegelhäubchen herab bis zum Schuh, der bis an den Knöchel reichte. Wenn sie das Wasser schöpften, am Brunnen sich neigten und dann das Gefäß zum Kopf mit den bloßen Armen emporhoben, so war so viel Grazie in diesen Bewegungen, als Würde bei dem stolzen Auftreten jener Patrizierinnen.

All' dies Leben und Treiben voll Anmuth und Schönheit der Häuser wie ihrer Bewohner war wohl geeignet den Fremden zu fesseln und gleichsam zu übertäuben, daß er ziel- und planlos durch dasselbe schritt, bis er plötzlich sich am Fuße der Veste gewahrend sich doch besann, daß er hier unmöglich auf dem rechten Wege sein könne und daß es Zeit werde, nun einmal danach zu fragen.

Er befand sich eben in einer im Augenblick ziemlich menschenleeren Gasse, als an einem der Häuser eine Thür sich öffnete und ein junger Bursche daraus hervortrat; hinter ihm hörte man polternde Stimmen und vernahm zuletzt die Worte:

»Und somit lass' es dir gesagt sein, halte dich dazu, Albrecht, und verträumere die Zeit nicht, wie es deine Art ist!«

[8] Dem knabenhaften Jüngling, dem diese Worte mit rauhem Tone ausgesprochen galten, schoß das Blut in's feine blasse Gesicht und in die klaren schwärmerischen Augen trat etwas wie eine Thräne. Er schüttelte die langen braunen Locken zurück, die so üppig fast wie Löwenmähnen auf seine Schultern niederflossen, hob einen Topf mit grüner Farbe darauf, indeß er in der andern Hand Pinsel und Richtscheit trug. Diese Hände, zumal die auf das Haupt emporgehaltene, erschienen so weiß, klein und durchsichtig, als wären sie von Alabaster künstlerisch gemeißelt. Die Gestalt war fast klein und schwächlich, aber es lag etwas freudig Selbstbewußtes in ihrer Haltung und sprach von der edlen Stirn trotz der Thräne des Unmuthes im Auge und dem Roth der Scham auf den Wangen, daß der Fremde unwillkürlich davon angezogen ward und gerade ihn sich ausersah nach dem Wege zu fragen.

»Gott grüße Euch!« rief er ihm zu; »wie es scheint, seid Ihr hier zu Hause und könnt mich berichten; wie heißt hier diese Gasse?«

»Unter der Veste,« antwortete Albrecht bescheiden den Gruß erwiedernd.

»Da bin ich wohl weit von meinem Ziel?« antwortete der Wanderer mit etwas fremdartigem Idiom, [9] »ich bin an die Bauhütte der freien Steinmetzzunft von Nürnberg gewiesen.«

»Da habt Ihr freilich dahin noch durch manche Straße und manches Gäßlein zu gehen,« antwortete Albrecht, »und da Ihr fremd hier zu sein scheint, werdet Ihr Euch schwerlich zurecht finden. Ein Stücklein Wegs aber kann ich Euch jedenfalls geleiten und ich bitt' Euch mir zu folgen. Und welche Hütte sucht Ihr wohl? Die große steinerne Bauhütte zu St. Sebald, welche die Baubrüder aufgeschlagen haben, da sie die schöne Sebaldskirche bauten, steht noch dem Rathhaus gegenüber, und bis dahin haben wir nicht weit; wollt Ihr aber in die Bauhütte bei der St. Lorenzkirche, drinnen wieder fleißig gearbeitet wird, weil ein hoher Chor und eine neue Kapelle zum schönen Bau hinzu gestiftet worden, so müssen wir auf die Lorenzer Seite über die steinerne Brücke hinüber.«

»Ihr seid hier wohl bewandert, junger Freund,« antwortete der Fremde, »es ist die Bauhütte von St. Lorenz, in die ich gesandt bin; aber wiewohl mir Euer Geleit gar willkommen ist, so will ich Euch doch nicht veranlassen um deswillen einen Umweg zu machen, da Ihr wohl keine Zeit zu verlieren habt –«

[10] Albrecht erröthete, weil er aus dieser Bemerkung schloß, daß der Fremde die scheltenden Worte, mit denen er vorhin entlassen worden, und wohl gar die Schimpfreden, die vorhergegangen, könne gehört haben. Er unterbrach ihn daher schnell, indem er antwortete: »Mein Weg führt mich auch in diese Gegend. Mein Meister ist gut und wacker, und gerade weil ich an ihm einen nachsichtigen Herrn habe, kann ich's nur seinen rohen Knechten nicht zu Dank machen.«

»Und wer ist Euer Meister?« fragte der Fremde.

»Der Maler Michael Wohlgemuth,« antwortete Albrecht; »vielleicht habt Ihr von ihm gehört, denn sein Name klingt wohl weit in das Reich hinaus, da von vielen entfernten Orten Bestellungen an ihn kommen.«

»Ei freilich kenn' ich seinen Namen und habe schon manch' ein schönes Gemälde in glänzenden Farben auf Goldgrund von ihm gesehen. Hätte ich gewußt, daß es seine Werkstatt war, aus der Ihr tratet, so würde ich der Lust nicht haben widerstehen können mich drinnen umzusehen,« erklärte der Wanderer.

Wenn Ihr hier bleibt,« antwortete der Lehrling des Malers, »so findet Ihr Euch schon ein andermal wieder in Michael Wohlgemuth's Werkstatt ›unter der[11] Veste‹, und es wird mich freuen Euch wieder zu sehen und dem Meister zuzuführen, dessen Verehrer Ihr seid!«

»Ihr wollt also wohl auch ein Maler werden?« sagte der Fremde.

»Ich hoffe es zu Gott,« antwortete Albrecht, »da er mir einmal diesen Drang gegeben, der mir keine Ruhe ließ, obwohl ich mich meinem Vater zu lieb erst dessen eigenem Handwerk widmen wollte.«

»Und wer ist Euer Vater?« fragte der Andere, in dem der etwa siebzehnjährige Jüngling immer größere Theilnahme erregte.

Dieser antwortete: »Der Goldschmied Dürer. Ich hatte immer die meiste Freude daran ihm die Risse und Zeichnungen zu machen zu seinen Werken und viel lieber zu zeichnen als zu hämmern und zu gießen. Da er es aber nicht anders wollte, dacht' ich, ich könne meine Neigung bezwingen, und gab mir alle Mühe in seiner Werkstatt. Aber zuweilen kam es mir hart an und ich grämte mich schier, daß ich darauf verzichten sollte, ein Maler zu werden. Da bat auch die Mutter den Vater für mich, und er that mich zum Meister Wohlgemuth in die Lehre – und nun hab' ich die doppelte Pflicht etwas Rechtes zu lernen und ein rechter Maler zu werden, einmal weil mir's im Innern[12] eine Stimme immer gesagt, daß für mich kein Heil ist außer bei dieser Kunst, und dann weil es meinem Vater hart angekommen, mich aus seiner Werkstatt und in die fremde Lehre zu thun. Solches sag' ich mir täglich, und werde nicht müde zu beten und zu arbeiten, damit es mir gelinge!«

»Dann wird es Euch gelingen!« rief der Fremde und legte seine Hand liebreich auf die Schultern des jüngeren Begleiters. »Durchglüht von echter Begeisterung für die Kunst wachsen uns selbst die Flügel, die uns emportragen in ihr göttliches Reich. Wie Euch zur Malerei, so drängte mich's zur Baukunst, und Nichts wäre im Stande gewesen mich ihr zu entziehen. Nicht wie Euch einem Handwerk, dem Priesterstande wollte man mich weihen, aber mich drängte es zum Hohenpriesterthum der Kunst, und ich denk' ihr zu opfern mit reinen und fleißigen Händen. Gottesdienst ist die Kunst, und selig ist es ihr zu dienen in rechter Treue, und wenn es sein muß, sich selbst ihr zu opfern!«

»Amen!« sagte Albrecht Dürer; »Ihr sprecht mir aus der Seele und es klingt fast so schön, als hört' ich meinen Freund Willibald. Aber ich darf nicht länger mit Euch plaudern. Hier an der Brücke bin ich am Ziel, und Ihr seid es bald, Ihr braucht nur über [13] sie zu gehen, dann der geraden Straße zu folgen, dann führt Euch links die dritte Gasse an Euer Ziel. Seht hier die Brücke: sie ist kunstvoll gebaut in einem einzigen Bogen nach dem Muster der Rialtobrücke in Venedig – ich kann nicht hinübergehen ohne zu wünschen, auch einmal nach Venedig selbst zu kommen. Waret Ihr schon dort?«

»Noch nicht,« antwortete der Fremde, »aber wir werden es schon beide einmal sehen. Doch vorerst muß man sich umsehen im deutschen Lande, deutsche Art und Kunst kennen lernen und bei deutschen Meistern arbeiten, ehe man in's Ausland geht. Da muß man erst fest sein in heimischer Kunst, damit die fremde sie wohl läutere, aber nicht verderbe und verdränge. Und nun habt Dank, wenn wir jetzt scheiden müssen, vielleicht such' ich Euch bald heim in Meister Wohlgemuth's Werkstatt unter der Veste, bis dahin vergeßt den Steinmetzgesellen Ulrich aus Straßburg nicht!«

Um einzuschlagen in die dargebotene Hand, legte Albrecht Pinsel und Richtscheit aus seiner Hand auf einen der vorspringenden kleinen Steinsitze an der schön geschnörkelten Hausthür, vor der er stand, und sagte:

»Da drinnen im Haus des Rathsherrn Muffel giebt's Treppengeländer anzustreichen – da gehört freilich [14] keine Kunst dazu, noch giebt's etwas dabei zu lernen, aber der Meister meint, dergleichen bringe ihm mehr ein als die künstlichen Gemälde, weshalb er solche Arbeit niemals von der Hand weis't. Seine Knechte aber denken mich zu demüthigen, wenn sie mich so in die Häuser der Vornehmen schicken mit gemeiner Arbeit, da ich lieber in der Werkstatt säße und conterfeite. Aber ich denke, es muß Alles geschehen der Kunst zu Nutz, und thue es willig. Und nun Gott zum Gruß!«

»Gott zum Gruß, wackerer Jünger der Kunst,« sagte Ulrich; »mir sei es ein gutes Zeichen, daß gerade ein solcher der erste Nürnberger war, mit dem ich in dieser edlen Reichsstadt das erste Wort gewechselt, das viele gegeben!«

Ulrich schritt über die Brücke und hatte nicht mehr weit zu gehen, da stand er vor der Bauhütte zu St. Lorenz, über deren Eingang das Wappen der freien Steinmetzzunft zu Nürnberg prangte: zwei goldene Hämmer inmitten eines himmelblauen Feldes, zur linken Seite ein Cirkel, zur rechten ein Winkelmaß. Daneben ragte die prachtvolle Lorenzkirche; die geöffneten Thüren und ein aufsteigendes Gerüst an der einen Seite zeigte an, daß man auf's Neue an ihrer Verschönerung arbeitete und neben dem ersten ein zweiter[15] Thurm seiner Vollendung entgegen wuchs. Aus der Bauhütte klang es von emsigen Meißeln und Feilen fleißiger Steinmetzen.

Ulrich näherte sich der Thür und schlug dreimal daran mit seinem Schwert.

Alsbald öffnete sich dieselbe und ein Mann in mittleren Jahren trat heraus. In seinen langen braunen Bart mischte sich das erste Grau und tiefe Linien liefen über seine hohe Stirn. Er trug eine kurze Blouse ohne Aermel, da er zur Arbeit das kurze Obergewand ausgezogen und mit einer Lederschürze vertauscht hatte. Seine grauen Lederbeinkleider reichten bis zu den Stiefeln von ungeschwärztem Leder. Um die Hüften hatte er einen breiten Gürtel, an dem allerlei Werkzeuge hingen. Er musterte den Anklopfenden mit einem prüfenden Blick, reichte ihm die Hand, nickte befriedigt zu der Art seines Händedruckes, und indem er sein Ohr dem Munde des Fremden näherte, sagte er:

»Gebt das Paßwort.«

Ulrich flüsterte es ihm leise in's Ohr.

Darauf nickte der Werkmeister zustimmend, denn das war der Herausgetretene, nahm den Gesellen an der Hand und führte ihn mit sich in die Hütte, in welche jedem Profanen zu treten verboten war, und die[16] nur dem sich öffnete, der das Paßwort der freien Maurer zu geben vermochte.

Ulrich trat ein und grüßte nach der Sitte aller Wandergesellen, die eine fremde Bauhütte betraten: »Gott grüße Euch! Gott weihe Euch! Gott lohne Euch! Euch Obermeister Erwiederung, Gruß Euch Pallirer und Euch hübschen Gesellen!«

»Gott grüße Euch!« antwortete der Werkmeister, »seid uns willkommen im Namen der freien Steinmetzzunft zu Nürnberg!« und reichte ihm noch einmal die Hand.

Dann trat der Pallirer zu ihm, der dem Werkmeister als Vorgesetzter der Gesellen und Lehrlinge zur Seite stand. Hatte der Werkmeister für die Arbeitvertheilung an die Einzelnen und das Material zu sorgen, so war es das Amt des Pallirers, wie auch sein Titel aus drückte, vorzüglich die Verschönerung der Arbeit zu berücksichtigen. Außerdem hatte Jeder von beiden noch besondere Obliegenheiten, wie der Beruf sie mit sich brachte. Der Pallirer Andreas, welchen Ulrich begrüßte, war dem Werkmeister ähnlich gekleidet, aber an Jahren jünger als dieser, groß und breitschultrig, eine stämmige fast athletische Gestalt. Sein Gesicht war wettergebräunt und rabenschwarzes Haar fiel in glatten Strähnen nach [17] hinten zurück. Er reichte dem Ankömmling die Hand und sagte auch: »Gott grüße Euch, wie wir Euch danken für Euren Gruß.«

Die Gesellen und Lehrlinge alle, die ringsum arbeiteten und, seit Ulrich eingetreten war, schon aufgehört hatten durch Meißeln und Feilen Geräusch zu machen, legten nun alle ihr Werkzeug hin, und einer ging nach dem Andern auf Ulrich zu, ihn mit Gruß und Handschlag willkommen zu heißen. Dann hielt dieser dem Werkmeister seinen Hut umgekehrt hin und sagte:

»Nun bitte ich um eine Gabe, dann um ein Stück Stein, dann um Werkzeug! Damit helfet mir auf, daß Euch Gott auch helfe.«

Darauf legte der Werkmeister, der den Lohn zu zahlen hatte, Geld in den Hut, nicht als ein Almosen, sondern als einen Vorlohn, und fragte Ulrich nach seinen Zeugnissen.

»Gott danke dem Meister und Pallirer und den ehrbaren Gesellen!« antwortete Ulrich dankend, öffnete seine Ledertasche und holte ein großes gelblich schimmerndes Papier hervor. Darauf stand mit zierlichen Buchstaben geschrieben, daß der Steinmetzgeselle Ulrich Wüll von ehrlicher Geburt sei und als Oblate im Kloster der Benediktiner erzogen; daß er mit fünfzehn [18] Jahren sich in der Bauhütte zu Straßburg als Lehrling gemeldet und darin aufgenommen worden; daß er vier Jahre als Lehrling gelernt und sich brav gehalten, darauf die Prüfung als Geselle bestanden in vorzüglicher Weise; daß er wohl erfahren sei in der geweiheten Lehre des Albertus Magnus, vertraut und geschickt in der Führung des Winkelmaßes und Richtscheites, und daß man allerlei schöne und zierliche Arbeit ihm anvertrauen könne. Und so war seiner Brauchbarkeit und Sittlichkeit das beste Zeugniß gegeben. Versehen war diese Schrift mit dem großen Siegel der Hauptbauhütte zu Straßburg, das diese Umschrift hatte und inmitten eine Mutter Gottes, auf den Feldern zur Seite Cirkel und Richtscheit.

Der Werkmeister erkannte die Echtheit dieses Documentes. Alsbald wies er Ulrich einen unbehauenen Stein an, reichte ihm das Werkzeug und hieß ihn daran ein Probestück ablegen.

Ulrich wälzte sich den schon winkelrecht behauenen Stein zurecht und begann daran mit dem Cirkel, Winkelmaß und Richtscheit zu messen, und ohne sich eines Maßbrettes zu bedienen, das Profil aufzureißen nach dem Grundsatz des Achtortes, der bei dem Kirchenbau im Großen wie im Kleinen galt. Der Pallirer[19] sah ihn dabei aufmerksam zu, und manche von den zehn Gesellen und fünf Lehrlingen, die in der Hütte arbeiteten und ihre vorige Beschäftigung wieder aufgenommen hatten, schielten von der eigenen Arbeit neugierig zu der des neuangekommenen Baubruders hinüber, und bewunderten ihn schon, weil er das Maßbrett verschmähte. Einer der Gesellen schob ihm sogar das seinige zu, weil er meinte, Ulrich habe nur keines erhalten.

Dieser aber zeigte auf das, welches zu seiner Seite lag, dankte dem Gesellen und sagte: »Wenn ich hier mitarbeite den Bau zu fördern, werde ich auch das Maßbrett zur Hand nehmen und danach arbeiten, weil dadurch Zeit und Mühe erspart wird; aber wenn ich ein Probestück ablegen soll, so muß ich zeigen, daß ich mich auf den Grundsatz des Achtortes selbst verstehe und daß ich ein Maßbrett in meinem Kopfe trage.«

Der Pallirer nickte beifällig aber schweigend dem lächelnd aufhorchenden Werkmeister zu. Alle Gesellen arbeiteten schweigend weiter, aber der, welcher seinen Platz neben Ulrich hatte, verwendete fast kein Auge von ihm, so weit als die eigene Arbeit es zuließ.

[20] Die Steinmetzgesellen nannten Alle den blonden Bruder Hieronymus zum Unterschied von andern dieses Namens, denn er fiel überall auf durch sein üppiges goldglänzendes Haar. Seine Augen waren blau und sanft, aber es lag doch ein Ausdruck von Energie in seinen Zügen, die weder schön noch regelmäßig waren, aber doch das Gepräge geistigen Adels trugen. Er gehörte mit unter die jüngeren Gesellen, obwohl er einige Jahre mehr zählen mochte als Ulrich.

Etwa eine Stunde konnte verflossen sein seit dessen Ankunft, als das Mittagsglöckchen läutete. Bei seinem ersten Klange legten Alle in der Hütte die Arbeit weg. und standen mit gefalteten Händen schweigend da, indeß der Werkmeister ein kurzes Gebet sprach. Nach dessen Vollendung, als Alle sich anschickten die Hütte zu verlassen, sagte er zu Ulrich:

»Ihr scheint ein guter und geschickter Arbeiter zu sein und Eure Zeugnisse lauten günstig. Heute werdet Ihr müde sein von der Reise, da mögt Ihr der Ruhe pflegen und Euch Quartier suchen; aber morgen um fünf Uhr, wenn sie Morgen läuten von der St. Lorenzkirche, da seid in der Hütte zum Frühgebet und zur Arbeit, da wird Euch auch der Hüttenmeister empfangen.«

[21] Ulrich dankte und trat aus der Hütte. Draußen aber faßte ihn der blonde Hieronymus unter dem Arm und sagte: »Quartier brauchst Du Dir nicht zu suchen, Bruder Ulrich, das findest Du bei mir, wir können die Mahlzeit und das Lager theilen.«

»Vergelt' es Dir Gott, Bruder Hieronymus!« sagte Ulrich, denn er hatte vorhin den Namen des Steinmetzen schon gehört und gemerkt, weil sein Träger ihm auch gefiel. »Der große Aeneas Sylvius scheint recht zu haben, der Nürnberg eine feine Stadt nennt voll wohlerzogener und gastfreier Leute.«

»Das ist wohl nur gut nürnbergisch,« antwortete Hieronymus, »und ich bin selbst ein Nürnberger Kind, aber Baubrüder, mein' ich, sollen in allen Stücken auch Brüder sein und miteinander arbeiten und streben in wie außer den Hütten.«

»Ich denke auch so,« antwortete Ulrich, »und will's Gott, so soll es Dich nicht gereuen, daß Du mir zuerst also freundlich begegnest.«

»Meine Wohnung ist nicht weit von hier,« sagte Hieronymus, »in einem Seitengäßlein von St. Katharinen.«

Bald war sie erreicht, und die Baubrüder traten in ein kleines Haus, in dem sich unten die Werkstatt eines [22] Formenschneiders und Rädleinmachers des Meister Sebald befand. Oben an der Stiege aber wartete ein altes Mütterlein, bot den Einkehrenden fröhlichen Gruß und eilte das Mittagsessen für sie aufzutragen.

»Es langt schon für Zwei!« rief sie wohlmeinend dem fremden Gast entgegen.

[23]

Zweites Capitel
Nürnbergs Geschlechter

Es war ein stattliches aber etwas düsteres Haus, in das Albrecht Dürer mit Farbentopf und Pinsel im Dienst des Meisters Michael Wohlgemuth gesandt worden war. Im Erdgeschoß befand sich ein Comptoir mit kleinen Fenstern hinter vorspringenden, aber künstlich gearbeiteten Eisengittern, welche diesen Räumen ein gefängnißartiges Ansehen gaben. Darin saß und arbeitete mit seinen Gehülfen Herr Gabriel Muffel, der Chef eines großen Handelsgeschäftes und Genannter des großen Rathes, wie denn seine Familie von Alters her zu den edelsten rathsfähigen Geschlechtern von Nürnberg gehörte.

Die übrigen Räume des Erdgeschosses dienten zu großen Waarenlagern, die ihre Vorräthe auch in die geräumige Hausflur und den Hofraum erstreckten, der durch ein Hintergebäude geschlossen war. Aufseher und [24] Auflader waren hier gleicherweise mit Verzeichnen, Schnüren und Aufpacken der Waaren viel beschäftigt, und Niemand achtete auf den jungen Burschen, der sich seinen Weg durch die Vorräthe bahnte und mit elastischen Schritten die Stiege hinaufsprang, denn seine Sendung lautete in das erste Stockwerk.

Wie lebhaft es unten zugegangen, hier war es sehr still, und Albrecht wußte nicht, sollt' er diese stille Einsamkeit ehren durch leises Auftreten und lautloses Spähen, oder sollt' er, um sich bemerkbar zu machen, sie durch irgend einen Laut unterbrechen. Er stand in einem Vorsaal mit dunkel gemalten Wänden und mehreren hohen Flügelthüren von schwerem Eichenholz mit kunstvollem Schnitzwerk und goldenen Leisten geschmückt; eben so zierte schöngeschnitztes Getäfel die Decke und der Fußboden zeigte nach venetianischer Art ein buntes Mosaik; er war mit Gyps übergossen und da hinein bunte Steinchen eingedrückt, die oben glatt geschliffen waren und schön geölt glänzten, als wären es köstliche Edelsteine. Außer der Stiege, die er heraufgekommen, zogen sich von hier aus noch andere kleine hölzerne Wendeltreppen mit zierlichen Geländern hinab und hinauf, den häuslichen Verkehr zu erleichtern.

[25] Nachdem Albrecht nach allen Seiten vergeblich gespäht und gewartet, ob nicht Jemand kommen möchte, dachte er an Wohlgemuth's Knechte, die ihn wieder roh empfangen und anlassen würden, wenn er länger bliebe, als sie die Dauer der Arbeit berechneten, und daß er schon an der Seite des fremden Wandergesellen mehr Zeit zu dem Wege gebraucht, als der Fall gewesen sein würde, wenn er ihn allein mit seinen gewohnten geflügelten Schritten zurückgelegt. Dann faßte er sich ein Herz und pochte an die eine Thür, und da dies ohne Erfolg blieb, an die zweite. Da auch hier Niemand antwortete, ihm aber gleichwohl war, als habe er dahinter seufzen hören, öffnete er dieselbe leise und schaute in ein schmales, aber tiefes Gemach, an dessen Fenster eine weibliche Gestalt an einem eichenen Pulte saß und schrieb.

Albrecht stand eine Weile betroffen still. Das Gemach selbst erschien wie ein Museum der Kunst. Der Fußboden war mit kostbaren Teppichen bedeckt, auch die Tapeten an den Wänden waren von gleichen Mustern kunstreich gewirkt, die schön geschnitzten Sessel mit gelbem Sammt überzogen und die meisten Tische hatten marmorne Platten. Darauf standen allerlei zierliche Geräthschaften für den Hausgebrauch, aber alle von funkelndem [26] Silber und Gold. Große Spiegel von venetianischem Glas wetteiferten in Glanz mit ihren goldenen Rahmen und mehrere Heiligenbilder mit bunten Farben auf Goldgrund gemalt hingen dazwischen. Das schönste Bild aber des Zimmers war seine Bewohnerin.

So ohngefähr hätte Albrecht die Madonna malen mögen. Sie war von mittelgroßer Gestalt, feinem Wuchs und zart gerundeten Formen. Röthlich blonde Locken umflutheten von der edlen Stirn herab bis zum blendendweißen Nacken das edle Antlitz, hinten hielt sie mit zwei dicken Zöpfen vereinigt ein silberner Pfeil zusammen. Der ganze Schmelz reiner Jungfräulichkeit verschönte das blendende Weiß und das zarte Roth ihres Antlitzes. Aber die blauen Augen schimmerten von Thränen und schwere Seufzer hoben ihren Busen. Sie trug ein Kleid von dunkelrothem wollenen Damast mit Puffenärmeln und einem viereckig ausgeschnittenen Schneppenleibchen. Daran hing eine kleine goldgestickte Tasche und ein Schlüsselbund an stählerner, kunstreich gearbeiteter Kette, zwei Reihen heller Bernsteinperlen umspielten den Hals.

Sie hörte nicht, daß Jemand die Thür geöffnet hatte, aber sie fühlte, daß die Strahlen fremder Blicke sie berührten, erschrocken schob sie die Papiere zusammen, [27] unter denen sie geschrieben, und wendete sich nun erst zu dem Eintretenden um.

»Verzeiht, edle Jungfrau, wenn ich Euch störe,« sagte Albrecht, »aber ich bin hierher beschieden ein Geländer anzustreichen, und fand Niemanden mir meine Arbeit anzuweisen.«

Ursula Muffel – denn die Jungfrau war die einzige Tochter des Hauses – erhob sich und sagte: »Kommt Ihr vom Meister Wohlgemuth, so will ich selbst mit Euch gehen.«

Albrecht bejahte, und während Ursula einen Blick in den Spiegel warf, mit dem angehauchten Taschentuch über die verweinten Augen fuhr und ein kleinzusammengefaltetes Papier in ihrem Kleide verbarg, hatte Albrecht ein silbernes Krucifix in die Augen gefaßt, und als Ursula sich zu ihm umkehrte, ward sie gewahr, wie er sich ganz nah auf dasselbe beugte.

»Verzeiht meine Unschicklichkeit,« sagte er fast erröthend zurückfahrend; »ich wollte nur sehen, ob ich mich nicht täusche, daß dies Stück wirklich aus meines Vaters Händen hervorgegangen – und es ist wirklich so, da ist sein Zeichen.«

»So seid Ihr ein Sohn des wackern Goldschmieds Albrecht Dürer in der Winklerstraße?« versetzte Ursula, [28] »denn bei diesem hat es mein Vater mir zum Geschenk machen lassen, da ich gefirmelt ward.«

»Ich habe es selbst gezeichnet und gegossen da ich noch in meines Vaters Werkstatt lernte,« antwortete Albrecht, »und es kann mich stolz machen, daß es in solche Hände gekommen ist.«

Indeß sie so sprachen, schritt Ursula voran über eine Flur kleiner Treppen und Gänge, bis sie im zweiten Stock an eine offene Galerie und eine noch höher führende Freitreppe kamen, an welcher, weil es die Wetterseite über dem Hofraum war, das Holzgeländer seiner ehemaligen Farbe sich beraubt zeigte, welche Albrecht wieder erneuern sollte.

»Und Ihr seid nicht bei dem Handwerk Eures Vaters geblieben,« fragte Ursula, »da Ihr doch schon ein so künstliches Werk zu Stande gebracht?«

Albrecht schüttelte mit dem Kopf: »So fragen mich wohl die Leute immer, und mein Vater selbst meinte, die Zeit sei mir nun gar verloren, die ich zuvor in seiner Lehre zugebracht; aber ich hab' einmal das Zeichnen und Malen nicht lassen können, und scheint es mir leichter jedes andere Opfer, und wär's mein Leben selbst, zu bringen, wenn man's fordert, denn daß ich der Kunst entsagen möchte. Und was ich zuvor schon[29] gelernt, das will ich Alles für sie nützen, damit mir Niemand nachsagen könne, ich habe je meine Zeit mit unnützen Dingen verloren.«

Während er das sagte, knieete er schon an dem bezeichneten Geländer und fing an zu pinseln. Ursula dachte dabei lächelnd zugleich mit vornehmer Geringschätzung und weiblichem Mitleid: Armer Junge! das ist auch eine rechte Kunst, für die es lohnt sich zu begeistern, hier das Geländer anzustreichen, eine Arbeit, die ich selbst ganz gut verrichten könnte, wenn mir's nicht um meine schönen weißen Hände wäre! – Aber bei diesem Gedankengang warf sie einen Blick auf die Hände, die hier den Pinsel führten, und sah, daß sie an Weiße und Zartheit den ihrigen nichts nachgaben, und wie jetzt von obenherein ein Strahl der mittäglichen Sonne vereinzelt durch die Skulptur des vorspringenden Dachgeländers dringend auf den Scheitel des Jünglings fiel und einen Heiligenschein um seine glänzenden Locken wob, indeß er bescheiden mit freudiger Zuversicht die niedere Arbeit verrichtete, da erschien er ihr plötzlich in einem höhern Lichte, als vorher, und was sie auch von seinem Kunstglauben halten mochte, Eines schien ihr gewiß: daß ein hohes Streben und ein edles Gemüth in diesem zarten Jüngling lebte – [30] und daran knüpfte sich die verzeihliche Selbstsucht eines eben ängstlich gefolterten Herzens, ob nicht gerade in diesem ihr der Himmel den Boten gesandt, dem sie vertrauen könne, wo sie eben vergeblich über einen solchen nachgesonnen und diese Unmöglichkeit nicht die geringste Ursache ihrer Thränen gewesen.

Nach einer langen Pause also, in der diese Gedanken und Empfindungen sie bewegt hatten, fuhr sie plötzlich mit der Frage heraus:

»Könnt Ihr lesen?«

»Ei freilich kann ich das!« sagte Albrecht, zugleich stolz auf diese Kunst, deren Erlernung damals Manchem, der in minderer Armuth aufgewachsen als er, versagt war, und auch wieder ärgerlich, daß die Jungfrau bei ihm diese Kenntniß zu bezweifeln schien.

»Könnt Ihr verschwiegen sein und wollt Ihr mir einen Dienst erweisen?« fragte sie weiter mit beklommenem Athem.

»Beides, wenn Ihr es fordert und ich das letztere wirklich vermag,« sagte er bescheiden.

Ursula's Unruhe schien zu steigen, ihre Wangen glühten höher, ihre Pulse gingen schneller, man sah es an allen Bewegungen ihres Körpers, hörte es an der noch mehr beklommenen Stimme, mit der sie sprach:

[31] »Wolltet Ihr, statt hier zu malen, wohl einen Gang für mich thun? Ich habe sonst Niemanden, den ich schicken könnte.«

»Herzlich gern,« antwortete Albrecht, »ich werde hier ohnehin nicht vor Mittag fertig.«

»Dann kommt in einer Viertelstunde wieder hinunter in dasselbe Zimmer, in dem Ihr mich vorhin fandet,« sagte Ursula und eilte die Stiege wieder hinab.

In ihrem Gemach angelangt zog sie das Papier wieder hervor, das sie zu sich gesteckt, weil sie es sonst nirgend sicher hielt. Nun mußte sie es doch von sich geben und fremden Händen vertrauen. Sie durchlas das schön geschriebene Brieflein noch einmal, drückte dann ein Siegel von weißem Wachs darauf und schrieb die Aufschrift: »An den hochedelgeborenen Herrn Stephan von Tucher.« Nun zählte sie die Minuten, bis Albrecht kam, überlegte sich zehnmal, was und wie sie es ihm sagen könnte, ohne vor ihm zu erröthen, und wußte doch keinen Rath, denn zweierlei mußte ja doch immer heraus: daß er schweigen mußte und wem er den Brief übergeben sollte.

Endlich kam Albrecht, und Ursula fühlte, daß sie sich vergeblich vorbereitet hatte, denn sie war ganz eben so um Worte verlegen, wie sie es vorhin gewesen war. [32] Die Finger zitterten sichtbar, welche den Brief hielten, und endlich sagte sie zu Albrecht:

»Eure guten Augen bürgen mir für Eure Verschwiegenheit – nicht wahr?«

»Was mir anvertraut worden, das plaudere ich niemals aus,« antwortete Albrecht, »und da ich sehe, daß Euch so sehr an meinem Schweigen gelegen, so könnt Ihr Euch doppelt darauf verlassen, daß ich das unerwartete Vertrauen einer edlen Jungfrau nicht durch eitles Ausreden mißbrauchen werde.«

»So nehmt diesen Brief und tragt ihn zu dem, an welchen die Aufschrift lautet,« sagte sie – der Name selbst schien nicht über ihre schönen Lippen zu wollen. »Kennt Ihr ihn?« fragte sie dann hastig, und damit mehr den Zustand ihres Herzens verrathend, als wenn sie den Namen selbst erröthend und zitternd ausgesprochen.

»Ei, wie sollt' ich den feinen Herrn nicht kennen!« antwortete Albrecht. »Aus meines Vaters Werkstatt ist manch' ein zierliches Silbergeräth für das schöne Haus in der Hirschelgasse hervorgegangen, und mein Meister hat den Herrn Hans von Tucher selbst conterfeiet in seiner Pilgrimstracht, in der er das heilige Land durchreist hat; danach hat er auch das Bild seines [33] Herrn Sohnes Stephan zu malen angefangen – aber es ist noch nicht fertig, weil derselbe jetzt gar nicht zum Sitzen zu bewegen.«

Ursula horchte hoch auf und sagte dann: »Nun so geht in das schöne türkische Haus in der Hirschelgasse und seht Euch darin um nach dem jungen Herrn. Aber Niemandem als ihm selbst gebt den Brief, und saget auch Niemandem, wer Euch sendet. Seht, ich hätte ja fürwahr keinen bessern Boten als Euch finden können; wenn man Euch dort kennt, so könnt Ihr ja sagen, daß Euer Meister Wohlgemuth Euch sendet.«

Der Jüngling erröthete vor der zugemutheten Lüge, die der jungen Dame sehr geläufig schien, indeß er selbst so ohne Arg und Falsch war, daß auch die kleinste Lüge ihm ein Verbrechen erschien. Er sagte darum halb verweisend: »Will's Gott, so geht es ohne Lüge ab. Vertrauen verdienen und schweigen können ist ein Anderes denn lügen, dazu bin ich nichts nütz.«

»Ihr sollt es auch nicht,« sagte Ursula beschämt; »wenn nicht im Auftrag Eures Meisters, so erinnert ihn um meinetwillen daran, daß er sein Bild soll vollenden lassen!« und wieder erschrak sie, daß sie sich durch unvorsichtige Worte verrathen, und fühlte auch, daß es ihr wie Albrecht ginge: das Lügen und Heucheln [34] war ihr auch nicht geläufig. »Und nun geht,« sagte sie nach einer Pause, »um 12 Uhr wird er wohl nach Hause kommen, und die Antwort bringt mir, wenn Ihr Nachmittag wieder kommt und hier Euere Arbeit vollendet.«

Es war immerhin kein kleines Opfer, das Albrecht Dürer der Jungfrau Ursula brachte mit diesem Gange. Da er ihr Verschwiegenheit gelobt, mochte er auch in seiner Werkstatt nicht sagen, daß er ihr Botendienste geleistet, woran die Gesellen gewiß weitere Fragen und vielleicht unsaubere Späße geknüpft hätten; wenn ihn aber jetzt Einer oder der Andere auf der Straße gewahrte, noch ehe es Mittag geläutet, so traf ihn der gerechte Vorwurf, daß er vor der Zeit von der Arbeit gelaufen und wohl noch Schlimmeres gethan als die Zeit verträumert habe, wie man ihm denn vorhin schon als Warnung mit auf den Weg gegeben. Aber eine Bitte konnte er nimmer abschlagen, und wo er Jemand helfen und einen Dienst leisten konnte, that er es immer ohne an sich selbst dabei zu denken, am wenigsten vermochte sein kindlich weiches Gemüth eine Thräne in einem Frauenauge zu sehen, ohne gerührt zu werden und den Wunsch zu haben sie zu trocknen. Hatte er auf den ersten Blick doch die holde Tochter des reichen [35] Hauses glücklich gepriesen, in dem Alles strahlte von Glanz und Pracht, von Wohlleben und Kunst, und hatte es ihm doch dann so weh gethan, daß sie nicht glücklich schien, trotzdem sie wohl Alles besaß, was das Leben schön und heiter machen konnte. Also gab es doch auch Thränen inmitten des Reichthums, und nicht nur die Sorge um das tägliche Brod oder die Sehnsucht nach höherer Ausbildung, die an den Verhältnissen des materiellen Lebens scheiterten, waren es, welche Thränen erpreßten, wie er bisher gemeint.

Unter solchen Gedanken war er, um sich weniger der Gefahr auszusetzen gesehen zu werden, so viel als möglich durch kleine Gäßchen und ihm bekannte Durchhäuser gegangen, welche bei der Nürnberger Bauart üblich waren, als er in die Hirschelgasse kam und das erst vor wenig Jahren vollendete Tucher'sche Haus betrachtete. Der Besitzer desselben, Hans von Tucher, zu den ältesten und vornehmsten Geschlechtern Nürnbergs gehörig und um seiner dem Reich geleisteten Verdienste willen vom Kaiser in den Adelstand erhoben, hatte, aus dem gelobten Lande von einer Pilgerfahrt dahin zurückgekehrt, dies Haus ganz in türkischem Geschmack erbauen lassen. Von Außen kennzeichneten es die runde Kuppel in der Mitte und die Rundthürme zu beiden [36] Seiten, und gaben ihm fast das Ansehen einer Moschee. Innen war Alles mit orientalischer Pracht eingerichtet, und Albrecht mußte gestehen, daß gegen diesen Luxus von gold- und silbergewirkten Teppichen und Tapeten, marmornen und vergoldeten Möbeln, schwellenden Sammtpolstern, schweren Seidenvorhängen u.s.w. die Einrichtung des Muffel'schen Hauses, die er vorhin bewundert, ärmlich erschien. Ja hier wetteiferte die Kunst selbst mit der Natur und bemühte sich nicht nur orientalische Pracht, sondern auch orientalische Gewächse zu entfalten. Im Hofraum befand sich unter einer runden Kuppel von buntem Glas ein Gebäude, welches einem Feentempel glich. Hohe Palmen und lauter großblätterige und wunderbar blühende Pflanzen wuchsen darin, in mussivisch ausgelegten Becken mit klarem Wasser spielten goldene Fischlein, und aus zierlichen, von Kupfer getriebenen, aber reich versilberten Figuren sprangen Wasserstrahlen, die Gewächse benetzend oder in silbernen Becken sich sammelnd.

Man wies Albrecht dahinein, als er nach dem jungen Herrn Stephan fragte, denn hier befand sich der Gesuchte und betrachtete eine große weiße Blume, die sich eben aus ihrer dichten grünen Hülle entfalten wollte. In seinen Augen schimmerte freilich keine Thräne, [37] aber es sprach finsterer Unmuth daraus, der eben so sehr mit seiner blühenden, zauberischlächelnden Umgebung contrastirte, wie die Thräne Ursulas mit dem Glanz der ihrigen.

Stephan Tucher war ziemlich groß und von stolzer Haltung, die auch in dem weiten faltigen Gewand sichtbar war, das er nach Art der Saracenen trug, um auch den Hausanzug zu dem Hause selbst zu passen. Sein dunkles Haar war sorgfältig gepflegt wie der kleine Bart über seinen Lippen und duftete nach köstlichen Oelen. In seinen Augen glühte das Element eines unruhigen Feuers, das sie zu zwingen schien sich immer hin und her zu bewegen und das die hochgeschwungenen Brauen nicht milderten. Seine Nase war stolz gehoben und ein Zug von Eitelkeit spielte um seine an beiden Seiten aufwärts gezogene Oberlippe, unter der große, blendendweiße Zähne hervorblitzten. Er galt für einen schönen Mann, schien das sehr wohl zu wissen und großen Werth darauf zu legen – vielleicht eben deshalb hatte er für den bescheidenen, schwärmerischen Albrecht nichts Anziehendes.

Er grüßte höflich, eilte sogleich auf Stephan zu, der den Gruß nicht erwiederte, sondern den Eintretenden allein mit einer Miene ansah, als wolle er fragen: [38] wer so unverschämt sei ihn zu stören? und die Worte würden wohl auch gefolgt sein, wenn nicht Albrecht sie abgeschnitten, indem er sagte: »Verzeiht, Herr, aber nur wenn ich Euch ganz allein fände, sollt' ich dies Brieflein in Euere Hände legen.«

Ohne ein Wort der Erwiederung nahm es Stephan und lös'te mit Hast das Siegel, so daß das feine Papier daneben zerriß. Mit flammenden Blicken las er:

»Hochedelgeborner, vielgeliebter Herr! Wenn Euere Minne der meinigen an Größe gleicht, so könnet Ihr harren und aushalten in Geduld, bis daß die Zeit oder die Heiligen uns helfen den stolzen Sinn der Väter versöhnen. Laßt um meinetwillen nicht Feindschaft werden zwischen Euch und Eurem Vater. Nie werde ich einen andern Mann minnen denn Euch, aber fahret Ihr fort in mich zu dringen das Gebot Gottes und der Menschen zu übertreten, so muß ich in ein Kloster flüchten und den Schleier nehmen, denn auch ich bin zu stolz die Schwiegerin eines Mannes zu werden, der in mir nur die Enkelin eines Hingerichteten verachtet. So vermelde ich Euch meinen Gruß und bleibe Euere vielgetreue Ursula.«

Getäuschte Erwartung, Leidenschaft und Zorn loderten in Stephan auf, er war in einer furchtbaren Erregung [39] und gab sich keine Mühe dieselbe zu verbergen. Er stampfte mit den Füßen und lief wie ein wüthend gewordenes eingesperrtes Raubthier in seinem Käfig hin und her. Albrecht's Gegenwart schien er ganz vergessen zu haben. Endlich fuhr er ihn an:

»Du bist ein Betrüger! wer gab Dir diesen Brief?«

Albrecht schlug die Augen verwundert auf im Bewußtsein seiner Unschuld und sagte: »Den Brief gab mir Jungfrau Ursula Muffel mit eigener Hand und war dabei sehr ängstlich, daß es Niemand erführe.«

»Es ist ihre Hand!« sagte Stephan zu sich selbst, »aber wer bist Du? Du gehörst nicht zu den Dienern ihres Hauses, aber ich habe Dich schon irgendwo gesehen; Du wirst meiner Rache nicht entgehen, wenn Du mich belügst!«

»Herr!« antwortete Albrecht mit edler Glut und entschlossen keinen unwürdigen Verdacht zu dulden: »Ich kann Eurem Gedächtniß gern zu Hülfe kommen; ich heiße Albrecht Dürer und bin Lehrling beim Meister Wohlgemuth unter der Veste, der Euch begonnen hat zu conterfeien, in seiner Werkstatt habt Ihr mich gesehen. Heut' habe ich im Hause des hochedlen Rathsherrn Muffel zu malen, da hatte Jungfrau Ursula besseres Vertrauen zu mir denn Ihr, und da sie einen[40] Boten brauchte zu Euch, auf dessen Treue und Schweigen sie bauen mochte, hat sie mich erwählt. Den Brief hat sie vor meinen eigenen Augen gesiegelt, von ihrem Schreibpult genommen und dabei geweint wie schon vorher. Sie hat mir auch geheißen ihr Nachmittag Antwort zu bringen. Und da ich von dem Gemälde geredet, das Meister Wohlgemuth von Euch begonnen, hat sie gesagt, Ihr möchtet es bald vollenden lassen.«

Während Albrecht sprach, hatten Stephan's Augen wieder auf dem Briefe geweilt, und es war als betrachte er seine Zeilen nun im mildern Lichte. »Antwort sollst Du bringen?« fuhr er jetzt empor, »wozu Antwort? Doch ja! bring' ihr diese.« Er riß die schöne weiße Blume ab, die er vorhin betrachtet hatte, und pflückte dann eine der dunkelsten Purpurblüthen eines Granatbaumes, gab beide in Albrecht's Hand und sagte: »Bringe ihr die Blumen als Antwort und sag' ihr: die rothe gleiche meiner Empfindung und die weiße der ihrigen.«

Albrecht nahm die Blumen und wollte gehen. Da besann sich Stephan doch noch, daß er sich voll roher Rücksichtslosigkeit gegen die Briefsenderin wie gegen ihren Boten benommen – und wollte beides durch eine neue Rohheit gut machen. Er nahm ein Goldstück aus [41] seiner Tasche, gab es Albrecht, der es erst nahm, weil er dachte, er solle vielleicht damit noch einen Auftrag vollziehen, und sagte: »Hier, damit Du schweigst und keinem Menschen ein Wort von diesem Botengange sagst.«

Albrecht legte das Goldstück rasch auf den nächsten Blumenstock, als sei es glühend, und es schien, als jage es auch solche Glut in sein Gesicht. Mit bebender Stimme rief er: »Um Gold thue ich weder das Rechte noch das Unrechte. Ich habe Jungfrau Ursula versprochen zu schweigen, da könnt Ihr ruhig sein.« Und während der arme Lehrling hoch aufgerichtet hinausschritt, weil er trotz all' seiner Armuth eine Demüthigung abgeworfen und das Gold nicht genommen, das ihm in anderer Weise sehr willkommen gewesen, da er oft an dem Nöthigsten Mangel litt und sich dafür schönes Werkzeug hätte kaufen können, blieb der reiche Patriziersohn zerfallen mit sich selbst, mit seiner Familie, der Geliebten und darum mit der ganzen Welt in seinem prächtigen türkischen Kiosk zurück, und verwünschte diese Pracht, weil ihm nicht vergönnt war die schönste Blume hineinzuverpflanzen, die unter Nürnbergs Jungfrauen ihm erblüht war.

[42] Und es war nur ein leidiges Vorurtheil seines stolzen Vaters, das ihn so unglücklich machte.

Sein Vater war seit seiner Rückkehr aus dem heiligen Lande Loosunger des großen Raths, wie denn überhaupt seit einiger Zeit in der Nürnberger Verfassung der Mißbrauch eingerissen war, daß nur aus den Geschlechtern der Holzschuher und Tucher die Loosunger hervorgingen.

Werfen wir, um dies und weiter Folgendes zu erklären, einen Blick auf die Nürnberger Verfassung.

Schon seit 1219 war Nürnberg zur freien Reichsstadt erhoben worden und eine Urkunde Friedrichs II. bestätigte ihr das Recht: keinen andern Schutzherrn zu haben als die römischen Könige und Kaiser. Die Stadt hatte das Recht, sich nach einer selbstgegebenen republikanischen Verfassung selbst zu regieren, und verdankte dieser gleich andern Städten des Mittelalters ihre Blüthe.

Das Stadtregiment bestand in einem großen und in einem kleinen Rath. Der erstere ward aus den vornehmsten Bürgern der Stadt gewählt, welche darum den Namen der »Genannten« führten. Der kleine Rath, der das eigentliche Stadtregiment führte, ward mit zweiundvierzig Männern besetzt, wovon vierunddreißig aus den edlen rathsfähigen Geschlechtern und acht [43] aus der Gemeine gewählt wurden. Jene vierunddreißig theilten sich in acht alte Genannte und sechsundzwanzig Bürgermeister, von denen dreizehn geschworne Schöffen waren. Von den Bürgermeistern war ein Jahr hindurch abwechselnd ein junger und ein alter Bürgermeister im Amt. Von den alten Bürgermeistern wurden sieben als oberste Regenten ausgewählt, die sieben älteren Herren (Septemviri). Aus diesen wurden drei oberste Hauptmänner (Triumviri) und von diesen wieder zwei zu Schatzmeistern (Duumviri) ernannt, welche auch die Loosunger hießen, weil sie die Loosung (Steuer) zu verwalten hatten. Der älteste dieser Loosunger (denn dieser Name war zu unserer Zeit der gebräuchliche) im Amt ward als der Vornehmste und Oberste im ganzen Rath geachtet.

Diese Loosunger standen in höchstem Ansehen, ihnen waren alle Schätze der Stadt anvertraut, sie hatten alle Einnahmen und Ausgaben zu besorgen und die auswärtigen Aemter mußten ihnen Rechnung ablegen. Zu alten Genannten wurden meistens nur solche Personen gewählt, deren Verwandte schon im Rathe und Bürgermeister waren, da sie dann während deren Lebensdauer nicht zur Würde eines Bürgermeisters oder zu einem andern höheren Grade gelangen konnten. Sie [44] hatten im kleinen Rath ihre Stimme zuletzt, und nur wenn die Frage bis zu ihnen reichte, abzugeben.

In den kleinen Rath konnten übrigens nur solche gewählt werden, die zu den alten Geschlech tern gehörten, so nannte man diejenigen Nürnberger Bürger, oder vielmehr Patrizier, deren Ahnen und Urahnen auch im Regiment gewesen. Fremdlinge und das gemeine Volk, wie die Verfassungsurkunde sich ausdrückt, hatten keine Gewalt. Nur ausnahmsweise wurden auch solche, welche erst seit kurzer Zeit nach Nürnberg gekommen, als besondere Auszeichnung, sowie Einheimische ihrer Geburt und ihres Stammes wegen in den Rath aufgenommen; doch konnten sie es nicht höher als bis zum jüngern Bürgermeister bringen.

Wenige Geschlechter nur waren es, deren Sprößlinge es bis zum alten Bürgermeister bringen konnten, noch weniger waren es, woraus die sieben alten Herren, sehr wenige, aus denen die Hauptmänner, und am wenigsten, woraus die Loosunger gewählt werden konnten. So war es denn endlich dahin gekommen, daß lange Zeit hindurch nur die Holzschuher und Tucher dieser Würde theilhaft waren.

1469 war noch Niclas Muffel Loosunger und lange Zeit einer der geachtetsten Männer gewesen, bis [45] es plötzlich an den Tag kam, daß er öffentliche Gelder veruntreuet hatte. Um ein Beispiel zu geben, ward er in strenger Haft gefangen gehalten und dann hingerichtet. Er hinterließ fünf Söhne, die vier ältesten wanderten aus, der jüngste Sohn, Gabriel, aber blieb, um das Geschlecht fortzusetzen.

Gabriel Muffel gehörte nun auch zu den Genannten des großen Rathes, und hatte es sich angelegen sein lassen, die Schmach vergessen zu machen, die durch seinen Vater auf sein Geschlecht gekommen. Waren doch nun zwanzig Jahre seit jenem Unglückstag verstrichen, bisher hatte ihn auch wirklich Niemand dasselbe entgelten lassen. Jetzt war er seit einigen Jahren Witwer und hatte nur seine Tochter Ursula bei sich, die eben an jenem unglücklichen Erichstag, da ihr Großvater gerichtet ward, zur Welt gekommen. Sie hatte nur noch einen Bruder, der sich jetzt bei einem Oheim in Mailand in der Lehre befand, um später das Geschäft des Vaters zu übernehmen.

Ursula Muffel war nicht nur eines der schönsten sondern auch der klügsten Mädchen von Nürnberg. Geschwisterlos aufgewachsen und früh der Mutter beraubt, hatte sie gleich mancher Jungfrau Nürnbergs an wissenschaftlicher Bildung Gefallen gefunden. Sie konnte nicht [46] nur lesen und schreiben, sondern verstand auch italienisch und lateinisch, und war in manchen Stücken von ihres Vaters Geschäft wohl erfahren, so daß sie ihm auch im Rechnen und Briefschreiben oft beizustehen pflegte. Dabei war sie bescheiden und sittig und auch in allen erblichen Künsten wohl geübt. Sie hatte die oberste Leitung des Hauswesens, und die Ordnung und Anmuth, die sie darin zu verbreiten wußte, legte sie auch an ihrer zierlichen Kleidung an den Tag.

Stephan Tucher, nur eben erst von weiten Reisen zurückgekehrt, hatte sie an einem Osterfeiertag gesehen bei einem Feste der patrizischen Geschlechter, und da war es ganz von selbst gekommen, wie es immer kommt: daß das Paar sich schnell zusammengefunden und nur Aug' und Ohr für einander gehabt hatte.

Stephan Tucher war stolz gleich seinem Vater und wachte selbst eigensinnig über sich seiner Patrizierwürde nichts zu vergeben. Aber Ursula Muffel gehörte zu einem alten Geschlechte. Ohne Gefahr für das Ansehen des seinigen meinte er sich ihr nähern und sich mit ihr verbünden zu können. Das Feuer seiner Leidenschaft entzündete die ihrige und führte ihn bald zu einer zärtlichen Erklärung, welche die süßeste Erwiederung fand. Ehrsam warb er sogleich bei ihrem Vater um ihre [47] Hand, gewiß, daß er, der Sohn des vornehmsten und reichsten Geschlechtes von Nürnberg, freudige Einwilligung erhalten werde. Sie warb ihm auch, natürlich mit dem Zusatz: wenn auch Herr Hans von Tucher zufrieden sei und nicht schon anders über die Hand seines Sohnes verfügt habe, was damals oft Brauch war. Stephan erklärte stolz, daß er nie einen solchen väterlichen Zwang erdulden werde, ihn auch gar nicht zu fürchten habe, und eilte eben so zuversichtlich zu seinem Vater, ihn um seinen Segen zu bitten.

Da der alte Rathsherr aber den Namen Ursula Muffel hörte, verwandelte sich das freundliche Beifallslächeln, das er erst für den Sohn gehabt, da dieser nur von Verlobung sprach mit einer schönen Tochter aus einem der achtundzwanzig Geschlechter Nürnbergs, in spöttisches Zucken von strafenden Zornesblicken begleitet, und hämisch antwortete er:

»Ich muß zu Dir sagen, wie vor dreißig Jahren Markgraf Albrecht zu Niclas Muffel sagte: ›Du Muffelmaul, so lange hast Du gemuffelt, bis Du das heraus gemuffelt hast!‹ Zehn Jahre darauf ward dieser Niclas Muffel, der so lange Loosunger gewesen, verurtheilt und gerichtet wie ein gemeiner Betrüger – und er war schlimmer als solcher, denn er stammte aus einem edlen [48] Geschlecht und war das Haupt dieser Stadt, die er schändlich betrog und auf die er Schande brachte im Reich, weil man draußen sagen konnte: die Nürnberger lassen sich die klügsten und rechtsamsten Leute schelten, und ein Haupt ihrer Stadt betrügt ihre Bürger. Darum half es Nichts, daß Fürsten und Herren, ja der Kaiser selbst Fürsprache einlegten für den Verbrecher: er mußte gerichtet werden, damit sein Blut den Rath und die Geschlechter wieder rein wasche von der Schmach, die er aufgehäuft. Und nun denkst Du das Geschlecht der Tucher mit dem der Muffel zu verbinden? das wird nie geschehen!«

Vergeblich bemühte sich Stephan dem Vater zu beweisen, daß weder Gabriel Muffel noch einer seiner Brüder betheiligt gewesen sei an der That des Vaters, und daß sowohl die Tucher selbst mit allen andern Geschlechtern das bestätigt hätten, indem Gabriel Muffel zu den Genannten des großen Rathes gehöre und alle Ehren genösse, die seinem Geschlecht zukämen. Der alte Loosunger blieb bei seiner Weigerung: daß er nie die Enkelin eines Hingerichteten in seine Familie aufnehmen werde, und da der Sohn versuchte ihm Widerstand entgegen zu setzen, und bei Ursula und ihrem Vater Ausflüchte suchte, ihnen noch die verweigerte Einwilligung [49] seines Vaters zu verbergen, ging der stolze Loosunger selbst so weit, als er Gabriel Muffel auf dem Rathhaus begegnete, zu sagen: er möge die Ehre seiner Tochter behüten, wie er die seines Sohnes, denn zu einer Verbindung beider werde er nie seine Einwilligung geben.

Im Zorn erwiederte Gabriel Muffel die Beleidigung des Hochfahrenden in gleich roher Weise, wie sie in jener Zeit gebräuchlich war, und heimkehrend verwehrte er seiner Tochter jeden Umgang mit Stephan Tucher und erklärte ihr, daß sie ihm für immer entsagen müsse. Die Liebenden fanden dennoch Gelegenheit sich einander heimlich zu sehen, ihre Liebe und ihr Leid einander zu erklären. Stephan sprach von Flucht und Entführung und vermochte oft den Ausbrüchen seiner glühenden Leidenschaft nicht zu wehren – aber die sittige Jungfrau vermochte es, und um sich selbst zu schützen und dem Willen ihres Vaters zu gehorchen, schrieb sie jenes Brieflein, für das sie keinen andern Boten fand als Albrecht Dürer.

[50]

Drittes Capitel
Die Baubrüder

Man hat es dem Christenthum mit Unrecht zum Vorwurf gemacht, daß es durch den transcendentalen Charakter, den es im Gegensatz zu dem Hellenismus annahm, die Kunst vernichtete. Wohl trat es gegen das Bestehende polemisch auf wie jede Neuerung, also auch polemisch gegen die bestehende Kunst, seine vorwiegende Geistigkeit verwarf die vorwiegende Sinnlichkeit der Antike, aber es schuf dadurch eine neue Kraft, die in neuen Formen das Unendliche im Endlichen darzustellen, oder doch zu verkünden, dazu zu erheben strebte.

Als das Christenthum eine Macht zu werden begann, waren ohnehin im Abendlande der Sinn für schöne Kunst und der gute Geschmack gleichzeitig im Absterben, und es bedurfte nicht des verrufenen angeblichen Vandalismus der Germanen, um die Kunst von den Ueberlieferungen des Alterthums in mittelalterliche Rohheit [51] zu versenken. Allerdings hausten die Germanen arg bei ihren Grenzfahrten: aber das Siechthum der abgelebten romanischen Welt war der Kunst kaum minder ungünstig als die germanische Rohheit. Die Kirche trat in's Mittel der armselig gewordenen Kunst, wo sie aus der römischen Zeit fort vegetirte das Leben zu fristen und bei den germanischen Völkern zunächst den Sinn und Eifer für die kirchlichen Bauten und deren Verzierung zu wecken und die rohen Hände zunächst an technische Arbeit zu gewöhnen. Wohl schien es nach dem Untergange Roms, als wären auch Kunst und Wissenschaft demselben Untergange geweiht. Die Hand am Schwert standen die Völker sich gegenüber, einander ihre Rechte mit blutiger Schrift beweisend und abtrotzend, Lärm und Verheerung bezeichnete die Schritte der Sieger, die letzten Tage der Kunst schienen gekommen. Da thaten die Klöster und geistlichen Stifte ihre Thore auf und nahmen die verscheuchte Himmelstochter in ihren Schutz. Die Kunst wurde von den Mönchen für eine göttliche Gabe erkannt, als ein Mittel, das Göttliche mit dem Menschlichen zu verbinden und dieses durch jenes zu veredeln.

Fast alle Mönche des sechsten und neunten Jahrhunderts, besonders die Benediktiner trieben die Baukunst, [52] und bildeten Schüler derselben. Sie zogen dann auch Laien hinzu, zunächst die in dem Kloster erzogenen Kinder, Oblaten, dann die Hörigen der klösterlichen Stifter und endlich auch andere Laien, die sich der Baukunst widmen wollten. Auf diese Weise sind die Baubrüderschaften entstanden. Das Mittelalter begehrte Genossenschaft in jeglicher Werkthätigkeit, und der Innungsgeist mag schon in der Zeit aufgekommen sein, wo die Laien noch als Hülfsgenossen der Mönche arbeiteten. Doch erst die Ablösung der Laienbauleute von der klösterlichen Dienstmannschaft gab den Baubrüderschaften den Charakter künstlerischer Selbständigkeit, den Kunsteifer und das hohe Selbstgefühl, woraus die Wunderwerke der gothischen Baukunst entstanden sind.

Die Baubrüderschaften wurden von den Päpsten besonders aufgemuntert und durch mehrere Bullen mit gewissen Freiheiten und Privilegien versehen, daher ihr Name: freie Maurer. Sie waren unter den besondern Schutz der verschiedenen Landesherren und von allen öffentlichen Lasten befreit. Ungehindert wanderten sie von einem Lande zum andern, wohin immer sie zur Aufführung großer Bauten berufen wurden. Sie hatten ihre eigenen Gesetze und eine fast militärische Disciplin; alle Potentaten gaben ihnen Freiheiten und [53] gestatteten ihnen sich selbst zu regieren, ihre Gebräuche und Ceremonien zu beobachten. Daran erkannten sie auch die fremden Baubrüder untereinander, wie sie denn auch nur diesen verständliche Symbole, Zeichen und Chiffren hatten, um Profanirung ihrer Wissenschaft zu verhindern. Wo sie sich zu einem Bau niederließen, schlugen sie in der Nähe desselben ihr Lager auf und nannten diese Werkstätte: Hütte.

Deutsche Baumeister bauten überall von den Zeiten Karl's des Großen an bis zu denen der Habsburger Friedrich's III. und Max I. Um diese Zeit gab es vier Haupthütten in Deutschland: zu Cöln, Regensburg, Wien und Straßburg. Für die Nürnberger Hütte oder Steinmetzzunft, wie dergleichen fast in allen deutschen Städten, wo kirchliche Bauten aufgeführt wurden, errichtet worden, war Straßburg die Haupthütte, wie denn der Maurerhof zu Straßburg als oberste Behörde aller Hüttenangelegenheiten erwählt ward.

So viel nur voraus von der Geschichte der deutschen Bauhütten; ihr Zustand und der Geist ihrer Mitglieder zur Zeit unserer Erzählung wird sich in Verlauf derselben entwickeln.

Als Ulrich Hieronymus in seine Wohnung begleitet, und dort dessen einfaches Mahl getheilt hatte, wiederholte [54] dieser sein Anerbieten, dieselbe für immer mit dem neuen Ankömmling zu theilen. Sie bestand freilich nur aus einem einzigen, nicht breiten, aber tiefen Gemach, in dessen Hintergrund ein Strohlager aufgeschichtet war, neben dem sich, wie Hieronymus bemerkte, allerdings noch Raum zu einem zweiten wies. In der einen langen Wand befand sich ein Schrank, der durch Hieronymus' Sonntagskleider auch nur sehr gering gefüllt war, ein paar hölzerne Sessel und Tische, auf welchen Zeichnungen und Risse nebst Zirkel und Zeichenmaterial lagen, bildeten das übrige Zimmergeräth.

Die kleine alte Frau, die ihm das Essen bereitete, begrüßte er als seine Mutter. Sie hatte Niemanden mehr als diesen einzigen Sohn auf der Welt, und da er jetzt wieder nach Nürnberg zurückgekehrt war und auf lange Zeit bei den Verschönerungen an der Lorenzkirche Arbeit gefunden, so hatte er für sich und sie diese Wohnung im Haus des Rädleinmachers Sebald gemiethet, dessen Geschäft etwas zurückging und der darum, was ein Nürnberger Meister ungern that, fremde Leute in sein Haus nahm. Die Mutter Hieronymus' hatte noch ein kleines Gemach für sich, das eine Herdstelle, wo sie für den Sohn kochte, und ihre Schlafstätte [55] in sich vereinigte. Dort saß sie meist und spann, weil sie sich von ihrer Hände Arbeit ernähren mußte.

»Wir sind zwar alle Brüder« sagte Hieronymus zu Ulrich, »und ein Streben beseelt uns Alle, ein gemeinsames Band verbindet uns Alle; aber es ist doch ein Anderes, ob der Geist unserer Lehre in uns lebendig geworden oder nur ihr Buchstabe, ob wir die Sache selbst erfassen oder nur das Symbol – nur einen solchen Bruder möcht' ich immer um mich haben, und weil mich dünkt, ich habe ihn in Dir gefunden, so möcht' ich Dich immer um mich haben.«

Ulrich drückte nach diesen Worten Hieronymus lebhaft die Hand und fragte: »Aber wodurch bist Du über mich zu einem so günstigen Schluß gekommen?«

»Wie Du das Maßbrett verschmähtest,« antwortete Hieronymus, »erkannt' ich, daß Du kein gewöhnlicher Steinmetzgeselle warst, nicht nur daß Du genug Augenmaß und Geschicklichkeit besaßest, es entbehren zu können, sondern daß Du den Muth hattest, bei einem ersten Probestück vom Gewöhnlichen abzuweichen. Und ich bewunderte Dich um so mehr, als ich erfuhr, daß Du eben erst ermüdet von der Wanderschaft kamst.«

»Darum ist mir ja auch heute zu ruhen gestattet,« antwortete Ulrich, »und ich werde von dieser Erlaubniß [56] Gebrauch machen und die müden Glieder auf Deinem Lager ausstrecken, damit ich, wenn Du aus der Hütte kommst, mit Dir die Stadt durchwandern kann, die mich anzieht, wie keine andere deutsche Stadt. Ich hoffe denn also gleich Dir, daß wir als rechte Brüder zusammen leben, und wenn ich Deine Wohnung theile, so theilst Du meinen Lohn mit mir.«

Hieronymus mußte bald scheiden, denn wer nicht zur rechten Zeit in der Hütte war, bekam Abzug am Tagelohn, und eine härtere Strafe als dieser Verlust war die damit verbundene Mißbilligung.

Als er beim Abendläuten zurückkam, fand er den neuen Kameraden am Tisch sitzen und zeichnen.

»Schon beschäftigt?« fragte Hieronymus, »ich glaubte, ich würde Dich erst wecken müssen.«

»Ich habe geschlafen,« antwortete Ulrich, »drei auch vier Stunden vielleicht, länger hielt ich's nicht aus, das war genug geruht von der Wanderschaft. Und wie ich die Augen wieder aufschlug und mich besann, wo ich war, lockten mich diese Zeichnungen, ich wollte Dich dadurch kennen lernen! Hast Du das Alles selbst gemacht?«

»Sonntags, in meinen Mußestunden,« antwortete Hieronymus; »ist etwas darunter, das Dir gefällt?«

[57] »Ja, dies hier,« sagte Ulrich, indem er einen Bogen Papier auseinander rollte. Wenn auch mit ziemlich rohen Strichen, so sah man doch an den darauf gezeichneten Figuren, daß sie ein jüngstes Gericht vorstellten, wo unter den Verdammten sich auch eine stürzende Gestalt befand, die nach der vor ihr fallenden dreifachen Krone langte.

Hieronymus sagte: »Das ist die Zeichnung eines großen Steinbildes, das sich am Münster von Bern am Haupteingange im Westen befindet. Darunter stehen in kleinen Säulennischen zu beiden Seiten der Hauptpforte, auf der einen die fünf klugen, auf der andern die fünf thörichten Jungfrauen, erstere im bloßen Haarschmuck, letztere mit lauter hochpriesterlichen Kopfbedeckungen bekleidet. An diesem Portale bin ich zuletzt mitbeschäftigt gewesen. Noch ist der Bau des Münsters dort nicht vollendet, aber da ich hörte, daß es in meiner Vaterstadt Arbeit gebe, kehrte ich hierher zurück, um ihr meine Kraft zu widmen.«

Ulrich lächelte beifällig und sagte: »Ich sehe, wir verstehen uns; auch ich habe schon da und dort solch' ein Wahrzeichen zurückgelassen, der Welt zu verkünden: daß wir Diener sind der göttlichen Kunst, Diener des Höchsten, dessen Tempel wir bauen, aber daß wir nicht [58] blinde Werkzeuge sind dieser Menschen, die sich selbst Kirchendiener nennen, aber zumeist nur sich selbst dienen; daß unser Hohenpriesterthum der Kunst ein höheres ist denn das der Kirche, und daß wir freie Maurer sind, nicht arbeitende Knechte! – Wie lange warst Du in der schönen Schweiz?« fragte er, sich selbst unterbrechend.

»Drei Jahre hab' ich dort gearbeitet,« antwortete Hieronymus; »es war eine große Zeit! Die Schlachten von Granson und Murten hab' ich mit erlebt! Da wir in Bern die Kunde von dem Sieg der Eidgenossen über den stolzen Burgunderherzog empfingen – es war vor zwei Jahren am dreiundzwanzigsten Juni, dem Tage nach der Schlacht – läuteten die Glocken des Münsters, an dem wir noch bauten, zum schönsten Siegesfest, drängten sich Tausende in ihn hinein zum jubelnden Dankgebet. Eine große Seelenmesse ward darin gehalten für die fünfzehntausend Erschlagenen, deren Gebeine nun im Beinhaus von Murten ruhen, ein Denkmal für alle Zeit, daß Gott mit diesem freien Landvolk streitet, dem er die Alpen als Hochwächter der Freiheit gesetzt hat, und die Gletscher, daß die Tyrannei auf ihnen ausgleite und sich nimmer erhalten könne. Wahrlich! ich habe Großes gesehen und erlebt in diesen [59] Tagen, und seit ich die Freiheit dieses einfachen Hirtenvolkes gesehen, das, wie es auch zuweilen selbst in Kleinlichkeiten versinkend untereinander hadern mag, doch gleich die kleine Eifersucht und den nachbarlichen Streit vergißt und vereinigt, groß und stark aufsteht gegen den Unterdrücker von Außen, mag er mit noch so stolzer Macht sich nähern – seitdem erscheint mir das reichsstädtische Wesen hier recht kleinlich und eingeschrumpft, und auch dafür wie für den Verfall der Kirche kann die Kunst allein mir Trost gewähren.«

Ulrich sagte: »Ich war zur selben Zeit in Straßburg, und auch unser Mauerhof feierte den großen Sieg in der Hütte wie im Münster. Das Jahr darauf erschien in Straßburg selbst, aber von einem SchweizerHans Eberhard Tüsch verfaßt, eine Erzählung des Feldzugs Karl's des Kühnen gegen die Schweizer, die von Allen, die lesen können, mit Begierde gelesen ward.«

»Aber ein weit höherer Geist als in diesem trockenen Bericht weht in den Kriegs- und Siegesliedern, welche die Schweizer nach diesen Siegen ertönen ließen,« sagte Hieronymus, »besonders in denen eines Dichters Veit Weber aus Freiburg, der in den Reihen der Eidgenossen selbst mitfocht. Ich hab' ihn selbst kennen und schätzen lernen. Solche Begeisterung, wie in diesen [60] Liedern weht, kann nur angetroffen werden, wo eine ganze Nation sich zu schönen Thaten für Vaterland und Freiheit erhebt; wir hier, in unseren kleinen Verhältnissen des bürgerlichen Lebens, unter dem ehr- und gewinnsüchtigen Gezänk großer und kleiner Potentaten, müssen darauf verzichten. Doch,« fügte er an's Fenster tretend hinzu, »wenn Du nicht zu ermüdet bist, heute noch Etwas von den Herrlichkeiten dieser Stadt zu sehen, so wird es Zeit, daß wir gehen.«

Beide ergriffen ihre Hüte, schnallten ihre kurzen Schwerter um und gingen hinab.

Sie waren nur erst wenig Schritte gegangen, als vor einem großen Gebäude am Katharinenhof ein dichter Menschenknäuel ihre Schritte hemmte.

»Was giebt es hier?« fragte Ulrich, und sein Führer antwortete:

»Sieh, hier ist Peter Vischer's Gießhütte, ein Rothgießer, der gestern Meister geworden. Die Rußigen machen ihm heute einen Besuch, um ihn in seiner eigenen Werkstatt zum ersten Feierabend zu beglückwünschen. Gestern hat ihm das Handwerk ein Fest gegeben, und heute kommen die Gesellen zu ihm, sich den Dank dafür zu holen. Da wird er man ches Fäßlein opfern müssen, denn wie mäßig er auch selbst leben soll, die Rußigen [61] sind ein durstiges Völkchen und lassen sich nicht gern eine Zeche entgehen.«

»Nur herein, ehrsame Zunftgenossen!« rief eine Stimme aus der Hütte, und an der geöffneten Thür zeigte sich die mittelgroße, breitschulterige gedrungene Gestalt eines Mannes von dreißig Jahren. Heiterer Lebensmuth strahlte aus seinem, jetzt noch von der Glut des Feuers geröthetem Gesicht, Gütmüthigkeit und Freundlichkeit gegen Jedermann leuchtete aus seinen hellen Augen und ein eigenthümlicher Zug von Schalkheit spielte um den Mund trotz dem Bart, der ihn umsäumte. Dabei lagerte auf der Stirn doch ein Ausdruck von Ernst und Willenskraft, der seine ganze, sonst gewöhnliche Erscheinung adelte. Er trug eine graue Arbeitsjacke, darüber eine steife Lederschürze und den Meißel in der Hand.

Ein donnerndes »Hoch!« der Rußigen antwortete ihm. So nannte man die Knechte und Gesellen der Gießhütten, deren es eine ziemliche Anzahl in Nürnberg gab, denn die Kunst in Erz und Metall zu gießen war eben damals sehr im Schwunge, und diese Rußigen waren ein zahlreiches Völkchen, das sich in Macht und Ansehen zu erhalten wußte, und wenn nicht anders, durch die Stärke seiner Muskeln und die Kraft seiner [62] Fäuste, wie durch die Hämmer, die darin geschwungen wurden.

»Dieser Peter Vischer hat ein sehr künstliches Meisterstück gemacht,« sagte Hieronymus, »das wir uns einmal ansehen können. Er ist auch von unermüdlichem Fleiß und läßt sich keine Mühe verdrießen zu lernen und sich fortzubilden.«

In diesem Augenblick ward in dem wachsenden Gedränge ein Benediktinermönch mit grauschwarzem Haar und langem wallenden Bart an die Seite der Steinmetzen geführt, so zwar, daß sein Rosenkranz an Ulrich's Schwert hängen blieb, und da dieser vorwärts schreitend das nicht bemerkte, so zerriß die Schnur und die Perlen rollten zu Boden.

Der Mönch murmelte etwas zwischen den Zähnen, das fast wie ein Fluch klang, Ulrich aber ward nicht so bald das Geschehene gewahr, als er mit höflichen Worten für seine Unvorsichtigkeit um Entschuldigung bat, und sich zu Boden bückte, die herabgefallenen Perlen zu suchen, da eben jetzt die Gesellen in die Gießhütte eintraten und dadurch das Gedränge sich verlor.

Ulrich sprach mit etwas fremden Accent und hatte überhaupt ein eigenthümlich melodisches Organ – der Benediktinermönch starrte ihn prüfend an, nachdem er [63] diese Laute vernommen, und während es erst geschienen, als wolle er ihn derb anlassen, sagte er jetzt nur kurz: »Bemüht Euch nicht!« und war um die nächste Ecke mit hastigen Schritten im Augenblick wie verschwunden. Wenigstens als Ulrich das herabgefallene Kreuz und eine große Perle des Rosenkranzes aus dem Staub der schlechtgepflasterten Gasse aufgehoben und dem Mönch sein Eigenthum geben wollte, war derselbe nirgend mehr zu sehen. Auch Hieronymus hatte sein Augenmerk nicht auf ihn gehabt und wußte nicht, wo er hingekommen. Vielleicht begegne ich ihm noch einmal,« sagte Ulrich; »er hatte ein ausdruckvolles Gesicht, das ich jedenfalls wieder erkenne, oder ein anderer Benediktinermönch kann uns vielleicht sagen, welcher seiner Brüder diesen Verlust gehabt; bis dahin will ich Perle und Kreuz bewahren, um sie ihm gelegentlich wieder zuzustellen.«

Wie es dunkel geworden und die abendlichen Schleier auch die schönsten Bauwerke einhüllten, das selbst die prächtige Sebaldskirche, vor der Ulrich lange bewundernd und zugleich mit dem Auge des Kenners prüfend weilte, nur noch in ihren großen Umrissen sichtbar war, kehrten die beiden Baubrüder wieder heim in ihre gemeinschaftliche Wohnung. Durch Nürnbergs Gassen [64] wogte zwar noch lange ein heiteres Leben und ein warmer Maiabend war so recht eigentlich geschaffen für die Bürgerlust, und auf den Spaziergängen an der Pegnitz wimmelte es von junger männlicher und weiblicher Welt, die sich lustig erging und begrüßte; aber wenn auch die Baubrüder nicht mehr zum geistlichen Stande gehörten, so lebten sie doch gewissermaßen abgesondert von der profanen Welt und unter strengen, selbstgegebenen Gesetzen, auf deren Befolgung mit viel größerer Strenge gesehen ward, als zur selben Zeit bei den Mönchen und Geistlichen, die gerade damals sich viel erlauben durften, so daß von den Klosterbrüdern Dinge geschahen und ihnen nachgesehen wurden, die bei den Baubrüdern strenge Bestrafung fanden. Die Hütten hielten strenger auf Moral als die Klöster, es herrschte bei den Baubrüderschaften nicht mehr der Gegensatz von geistlich und weltlich, von Geistlichen und Laien, sondern von Geweihten und Profanen. Hierin lag das erhebende und zugleich stolze Gefühl, welches die freien Maurer gleichsam durch sich selbst stützte und schützte und sie eigensinnig über die eigene Sittenreinheit wie über die ihrer Brüder wachen ließ, um sich ihrer Würde nichts zu vergeben und treu darauf zu halten, daß ihr erhabener Bund keinen Makel an seinen Angehörigen dulde.

[65] Am folgenden Morgen waren Hieronymus und Ulrich die Ersten in der Hütte – den Pallirer ausgenommen, der das Amt hatte die Thür auf- und zuzuschließen und der Erste und der Letzte in der Hütte zu sein. Bald kamen auch die andern Gesellen und Lehrlinge, und der Pallirer sprach das Morgengebet, dann ging ein Jeder still an seine Arbeit. Der Werkmeister wies Ulrich die seine an und sagte ihm, daß nachher der Hüttenmeister und der Propst von St. Lorenz, Herr Anton Kreß, kommen würden, um ihn als Mitglied der Nürnberger Bauhütte aufzunehmen.

Die Hüttenmeister waren die obersten Vorsteher einer Hütte, sie mußten für Beschäftigung der Baubrüder sorgen, waren die Vertreter der Hüttenangelegenheiten bei Kaiser und Fürsten, schlossen die Baukontrakte, wählten die Arbeiter und suchten der Kunst und ihrem Ruf zu dienen. Da die Baubrüderschaften eben nur zu Kirchenbauten sich verwenden ließen, so war es immer der Bischof, Abt oder Propst eines kirchlichen Stiftes, der sie berief, den Bauplan u.s.w. mit ihnen abzureden und zu beaufsichtigen hatte, war er verhindert, so mußte irgend ein Canonicus oder »Gottesjunker« seine Stelle vertreten.

[66] Als Herr Anton Kreß erschien, grüßte er Alle freundlich, als wären sie seinesgleichen. Das Kirchenamt von St. Lorenz war erst kürzlich zu einer Propstei erhoben worden, und Anton Kreß war der erste, der mit dieser neuen Würde bekleidet worden. Er mochte etwa fünfzig Jahre zählen. Leutseligkeit sprach aus seinen freundlichen Mienen, und wenn die wohlgepflegte Behäbigkeit seines ganzen Wesens auch nicht gerade auf sehr große Geistesgaben schließen ließ, so sah man es ihm doch an, daß er eine aufrichtige Theilnahme und Liebe für die Kunst besaß, und indem er ihr huldigte und neue monumentale Werke derselben veranlaßte, nicht nur eine Mode mitmachte, die zu seiner Zeit unter den Geschlechtern Nürnbergs sich auch Manchen für einen Kunstmäcen ausgeben ließ, der nur für die in die Augen fallende Pracht Sinn hatte und kein Verständniß für das Höhere, das über den Gesichtskreis der Alltagsmenschen hinaus lag.

Als die üblichen Feierlichkeiten bei der Begrüßung des Propstes wie des neuen Gesellen vorüber waren, sagte jener zu diesem: »Ist nicht Euer Zeichen ein Kreuz mit einem Winkelmaß durchschnitten?«

Ulrich bejahte. Die Steinmetzen führten statt ihrer Namens-Chiffren, Monogramme, welche sie als ihr Zeichen [67] in ihre Arbeit gruben. Nur in diesen wie in ihren Werken wollten sie fortleben, auf die Unsterblichkeit des einzelnen Namens verzichtend, darum sind auch nur wenig Namen von Baubrüdern und eigentlich nur die ihrer Baumeister auf die Nachwelt gekommen.

Es schien nicht, als ob der Propst damit nur eine gewöhnliche Frage gethan, sondern als ob ihm die Beantwortung derselben von besonderer Wichtigkeit sei. »Ihr seid in einem Kloster des Elsaß erzogen?« fragte er weiter. »Was ist aus Euren Eltern geworden?«

Ulrich antwortete: »Meine Eltern bestellten das Feld in der Nähe eines Benediktinerklosters und ich hütete dessen Schafe bis in mein zehntes Jahr. Da wüthete der Krieg in unserer Gegend und mein Vater mußte mitziehen. Der Feind stand uns ganz nahe, da ich auf dem Felde allein mit der Heerde war. Die Mönche waren mir immer gütig gewesen, und jetzt nahmen sie mich mit in das Kloster. Da der Feind näher rückte, die Fluren verwüstete und Feuer in unsere Hütten warf, bat ich für Zuflucht um meine Mutter, oder daß man mich zu ihr ließe ihr Schicksal zu theilen, welches es sei. Aber die Pforten des Klosters blieben verschlossen. Ich wußte wohl, daß Frauen sie nicht durchschreiten durften, aber ich war doch der Verzweiflung nahe, daß [68] man mich getrennt von meiner Mutter hielt. Da endlich der Kampf ausgetobt und der Feind weiter gezogen war, wie immer eingeäscherte Höfe, brennende Hütten und zertretene Fluren hinter sich lassend, ließ man mich heraus, und eine Anzahl Mönche begab sich mit auf den Weg, den Verwundeten Hülfe zu bringen oder die Todten zu begraben. Es gab von beiden genug, Männer und Frauen, verstümmelt und erschlagen – aber von meiner Mutter fand ich keine Spur. Leute, die sie kannten, wollten sie gebunden auf dem Pferd eines Lanzenknechtes gesehen haben, der im raschen Trabe mit ihr davongeritten. Meine Mutter war eine schöne Frau und damals etwa dreißig Jahre alt – ich kann nicht ohne Schauder an das Geschick denken, das sie vielleicht betroffen. Nie habe ich wieder etwas von ihr gehört, alle Nachforschungen, die ich selbst nach ihr anstellte und welche von den Benediktinern, wie sie mich wenigstens versicherten, nach ihr angestellt worden, blieben erfolglos. Die frommen Klosterbrüder behielten mich bei sich im Kloster, das kleine Besitzthum meiner Eltern fiel ihm anheim und ich sollte dafür von ihnen zum geistlichen Stande erzogen werden. Ich lernte nun bei ihnen schreiben, zeichnen und lesen, und da sie mit mir zufrieden waren, wie ich bei ihren Lehren mich anstellte, [69] unterrichteten sie mich in allen wissenschaftlichen Dingen. Dabei ging mir der Sinn auf für die Kunst, und ich konnte dem Drang nicht widerstehen, mich ihr ganz zu widmen. Einer der Mönche ward mein Fürsprecher, und so entließ man mich endlich und die Straßburger Bauhütte nahm mich als Lehrling auf, wo ich, wie Ihr aus meinen Zeugnissen seht, fünf Jahre gelernt und mein erstes Gesellenjahr gearbeitet habe.«

»Und von Eurem Vater erfuhrt Ihr Nichts?« fragte der Propst theilnehmend weiter.

»Einige seiner Landsleute, die zurückkamen, sagten, er sei in der Schlacht gefallen, aber ich weiß so wenig gewiß, ob das wahr ist, wie jene letzte Nachricht über meine Mutter,« antwortete Ulrich. »Es sind vierzehn Jahre seitdem vergangen, aber ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört, noch hat der Klosterbruder, der mein Gönner und Freund geblieben, je etwas von ihnen erfahren.«

»Ihr waret das einzige Kind Eurer Eltern?« fragte Kreß, dessen Theilnahme immer mehr zu wachsen schien.

»Ich hatte niemals Geschwister.«

»Und Euer ländliches Besitzthum?«

»Der Abt des Benediktinerklosters verwaltet es für meinen Vater. Wenn er oder meine Mutter nicht zurückkommen, fällt es an das Kloster.«

[70] Der Propst konnte bei dieser Antwort ein leises Lächeln nicht unterdrücken, aber er schien mit seinem Examen über Ulrich's Familienangelegenheiten zu Ende zu sein, und sprach nun von Bauangelegenheiten mit ihm.

Dieses Examen war ungewöhnlich, da es vollständig überflüssig war. Kein Jüngling ward als Baulehrling zugelassen, der nicht von ehrlicher Geburt war und nicht die besten Zeugnisse über seine Sittlichkeit und Brauchbarkeit hatte. Es verstand sich daher beides schon bei einem Baubruder von selbst, und außerdem waren dieselben fast ebenso losgerissen von allen Familienbanden wie die Geistlichen, da auch das Cölibat bei ihnen Bedingung war, daß es nie Jemanden einfiel, sich um ihre Angehörigen zu bekümmern. Anton Kreß mußte darum gerade ein besonderes Interesse für diese haben, sonst hätte er nicht diese Auskunft von Ulrich verlangt. So viel ward diesem klar, aber vergeblich bemühte er sich durch Nachsinnen zu ergründen, was den Propst zu diesen Fragen veranlassen konnte.

[71]

Viertes Capitel
Konrad Celtes

»Unter der Veste« erhob sich ein neues Prachtgebäude, das eben erst in diesem Jahr beendet worden. Es war auch nur das Wohnhaus eines Patriziers, aber fast das schönste Nürnbergs. Ein Eckhaus, breit und tief und hochaufsteigend zugleich, die immer noch Raum zu neuen Verschönerungen ließ, wie z.B. der Tragstein an der Ecke noch mit keiner Statue geschmückt war und die einzelnen Absätze des treppenartig ausgeschnittenen Giebels auch noch ihrer Standbilder harrten. Im Innern war es mit ausgesuchter Pracht und Kunst eingerichtet und bekundete den Reichthum seines Besitzers.

Dies war Herr Christoph Scheurl, der mit zu den angesehensten Geschlechtern gehörte. Erst seit wenigen Wochen hatte er dies neue Haus bezogen, nachdem seine Hochzeit mit Elisabeth Behaim stattgefunden, eine ebenbürtige Wahl, denn auch die Behaim waren ein [72] altes rathsfähiges Geschlecht und auch im Ausland durch ihre Niederlagen in Venedig und den Handel, den sie nach Portugal trieben, wohlbekannt und in großem Ansehen.

Die junge Gattin war allein. In einem prachtvollen Chörlein, das sich weit vorspringend an der Ecke des Hauses befand, saß sie am offenen Fenster und blickte träumerisch hinab auf die Straße, zuweilen auch auf eine zierliche Schrift, die auf ihrem Schooße lag.

Sie war eine ziemlich große prächtige Gestalt mit schwellenden Formen und edler stolzer Haltung. Auch in ihrem schönen Antlitz schien ein Zug von Stolz der vorherrschende zu sein. Aber man sah es auf den ersten Blick: es war nicht die Hoffarth und Eitelkeit einer verwöhnten Schönheit, es war nicht der Hochmuth auf Vornehmheit und Reichthum, was diesen Zug hervorrief: es war der Stolz eines selbstbewußten Weibes, das über das gewöhnliche Geschlecht und die gewöhnlichen Verhältnisse sich selbst emporgehoben. In diesen strahlenden Augen las man von innern Kämpfen, und der lächelnde Zug um die Lippen war nicht der des Glückes und der Befriedigung, möge sie aus naiver Unerfahrenheit oder aus beglückenden Verhältnissen kommen, sondern mehr das Lächeln einer Welterfahrung, [73] die zur Weltverachtung geworden. Sie stand etwa in der Mitte der Zwanzig und sah auch sonst nicht aus wie ein Wesen, das schon in solcher Weise mit der Welt abgeschlossen hätte – nur jenes Lächeln abgerechnet. Das Haar umwallte sie in malerisch geordneten Locken, die im Nacken goldene Nadeln emporhielten, die vordersten aber fielen auf die Brust herab. Ihr Kleid war von violetter Seide, einem Stoff, den man Zündel hieß, und nach venetianischem Schnitt, die offenen Aermel fielen bis zum Boden und ließen die weißen schöngeformten Arme ohne bedeckende Hülle; man müßte denn als solche die zahlreichen kostbaren Spangen betrachten, von denen man nicht wußte, ob ihr Werth größer sei durch die Pracht ihrer Steine und deren Fassung, oder durch die kunstreiche Arbeit ihres Verfertigers. Aehnlich geschmückt zeigten sich auch Hals und Brust. An dem kleinen vorgestreckten Fuß gewahrte man einen zierlichen Schuh von gelbem Leder mit goldener Stickerei und einem vorn lang- und emporgestreckten Schnabel; die weißen Hände waren mit vielen Ringen geziert.

Dies war vielleicht einer der Anzüge, über dessen Wohlanständigkeit und Zulässigkeit die Väter der Stadt auf dem Rathhaus lange Sitzungen hielten und danach Kleiderordnungen erließen, welche die Länge der Kleider [74] wie der Aermel, der Schnäbel an den Schuhen wie der Tiefe des Ausschnittes an Nacken und Busen, den Fall der Locken an den Köpfen vorschrieben, die Zahl der Ringe, Armbänder und Haarnadeln genau bestimmten u.s.w. um dem Luxus zu steuern. Aber indeß allerdings die gewöhnlichen Bürgerfrauen sich daran kehren mußten, weil sie sonst in Strafe verfielen und von der Straßenjugend verspottet wurden, lachten die übermüthigen Patrizierinnen über den Eifer der Rathsherren und waren doch gar wohl damit zufrieden, daß jener Bürgerstand, von dem sie selbst sich streng absonderten, dadurch in Schranken gehalten ward, es ihnen nicht gleich zu thun. Sie selbst aber verspotteten in ihrer Kleidung oft mit um so größerer Absichtlichkeit die Vorschriften des Rathes, und als derselbe gar einmal darauf verfiel, eine Steuer auf diese Ausschweifungen zu legen, trieben sie es erst recht arg, um zu zeigen, daß sie es bezahlen konnten.

So mochte der Rath versuchen was er wollte, er scheiterte damit bei den stolzen Frauen, und wenn sie ja vielleicht am ersten Tag nach einer solchen Bekanntmachung sich aus Furcht vor dem gemeinen Haufen nicht auf die Straße wagten, so entschädigten sie sich dafür durch ihre häusliche Toilette. Elisabeth vor allen gehörte [75] mit zu den eigensinnigen Frauen, die gerade nur aus Lust, einem Verbot zu trotzen, das übertrieben, woran sie sonst vielleicht gar nicht gedacht oder es selbst lächerlich oder unanständig, unpassend oder unschön gefunden hätten. Sie machte es gern bemerklich, daß Niemand wagen dürfe ihr Vorschriften zu machen.

Als Elisabeth's Blicke, wie es schien, gedankenlos hinab über die Straße schweiften, fuhr sie plötzlich zusammen und bog sich von dem Fenster zurück.

Der Gegenstand, der diese Bewegung veranlaßte, war ein Vorübergehender von mittelgroßer, stattlicher Gestalt. Sein Wamms war genau von der Kleidfarbe Elisabeth's und darüber trug er einen kleinen spanischen Mantel von schwarzer Farbe, auf dem Kopf einen kleinen runden Filzhut mit weißen Federn. Sein Haar war dunkel, und die dunklen Brauen, die in schön gewölbten Bogen sich über seinen feurigen Augen erhoben, gaben diesen einen edlen Ausdruck. Seine hohe Stirn und die kühn gebogene Nase ließen in ihm den Mann von Geist erkennen; sein Gesicht war fein, glatt und bartlos und ließ ihn dadurch noch jünger erscheinen als er war; er zählte dreißig Jahre.

Elisabeth hatte sich ihm nicht zeigen mögen; jetzt da sie glauben konnte, er werde nicht mehr heraufsehen, [76] wollte sie es wagen ihm nachzuschauen – aber er war verschwunden. Wo war er hin? in welches von diesen Häusern sollte er gegangen sein? wär' es möglich – in das ihrige? Sie trat aus dem Chörlein in das Zimmer zurück – es war ihr, als höre sie Schritte die Marmortreppe hinauf – ihr ganzes Wesen schien in Aufruhr zu kommen. Sie trat vor den großen venetianischen Spiegel, der auf goldenem Gestelle ruhend ihre ganze herrliche Gestalt zurückwarf. That sie das aus Angst, um eine Miene, eine Haltung zu suchen, diesen plötzlichen Aufruhr ihres Wesens zu verbergen; that sie es aus Koketterie, ihren Anzug zu prüfen und ihn in die ihren Reizen vortheilhaftesten Falten zu schieben? Als die Flügelthür hastig aufgeworfen ward, stand sie stolz und ruhig vor dem Eintretenden.

»Verzeiht, hohe Frau, wenn ich störe!« sagte er.

»Nicht im Mindesten, Herr Doctor Celtes,« antwortete sie mit erzwungener Fassung, »obgleich ich wenig vorbereitet war auf diesen werthen Besuch. Ich bitt' Euch, nehmet Platz.«

Sie warf sich in einen Polster von rothem Sammet, indeß er auf einem Stuhl ihr gegenüber Platz nahm. Die bunt gemalten Glasscheiben aus dem gewölbten oberen Theil der Chörleinfenster und die dichten rothseidenen [77] Vorhänge, welche diesen Schimmer dämpften, warfen ein zauberhaftes Licht auf Elisabeth.

»Ich komme, mir Euren Rath zu erbitten« – begann er und schien nach weiteren Worten zu suchen.

»Wann hätte je ein Gelehrter und Dichter, wie Konrad Celtes, des Rathes eines Weibes bedurft?« unterbrach ihn die junge Frau.

»Doch,« antwortete er; »es ist nicht das Erstemal, schöne Herrin, daß ich Euch darum bitte. Der Bischof von Worms hat mir geschrieben und mich aufgefordert zu ihm zu kommen. Ich würde dort viele gleichgesinnte Männer finden, wie überall am Rhein, und die humanistischen Studien fördern können. Seit mein edler Lehrer Rudolf Agricola in Worms gestorben, droht dort der lebendige Geist, der von ihm ausgehend die elende Scholastik von den Schulen verdrängte, zu erlahmen, wenn nicht eine Kraft von Außen ihn wieder aufrüttelt. Mein Name hat dort einen guten Klang und die Societas litteraria Rhenana, die ich zu Heidelberg gestiftet, wünscht auch meinen Besuch. Die, denen ich noch unbekannt bin, werden in mir den Schüler Agricola's sehen und mir gern gestatten ihre Lehrstühle zu besteigen. Nun rathet mir: soll ich diesem Rufe folgen und gehen – oder soll ich hier bleiben?«

[78] Elisabeth hatte während seiner Rede mit ihrer goldenen Kette gespielt, und während dieser scheinbar tändelnden Bewegung ging in ihrem Herzen eine so heftige vor, daß sie alle ihre Kräfte anstrengen mußte, die äußere Ruhe zu behaupten, mit der sie jetzt sagte: »Ihr scheint auch darin Eurem edlen Lehrer Agricola zu gleichen, daß Ihr Euch durch kein Amt wollt binden lassen, weil Ihr eine unüberwindliche Abneigung habt gegen Fesseln jeder Art, sonst könntet ihr nicht überlegen und gar um Rath fragen! ob Ihr diesem Rufe folgen sollt oder nicht.«

»So schickt Ihr mich fort?« fragte er betroffen, »und so ruhig – das hatte ich nicht erwartet!«

Sie sah ihn mit stolzen Blicken an und fuhr fort: »Ihr sagtet ja immer selbst, daß Ihr ein unstetes Leben geführt und es wohl so fortführen würdet, bis es zu Ende sei – ich glaube, der Bischof von Worms wird Euch das nicht verwehren, wenn Ihr Euch auch zu ihm begebt, so wenig, wie er es Agricola verwehrte. Hier seid Ihr ja auch nicht gebunden.«

»Ja,« rief er heftig und aufspringend, »Ihr habt Recht! es hält mich ja hier Niemand« – er griff nach seinem Hut und wollte gehen.

[79] Sie stand auch auf, riß den Hut aus seiner Hand und schleuderte ihn in eine Ecke des Gemaches.

»So werdet Ihr nicht von Euerer Freundin scheiden,« sagte sie plötzlich mit dem zartesten Schmelz einer weiblichen Stimme. »Ich habe den Lorbeerkranz auf Euer hohes Dichterhaupt gesetzt, wenn auch nur auf Befehl unseres Herrn und Kaisers, und ich bitte Euch jetzt, dies Haupt ein wenig zu neigen, damit ich dies goldene Kettlein um den Hals werfe, der niemals eine Kette tragen will – und nur diese tragen soll zum Angedenken an Elisabeth Behaim.«

Es war nicht Zerstreuung einer kürzlich Vermählten, es war Absicht, daß sie ihren Mädchennamen sagte, denn seit sie verheirathet war, hatte sie noch nicht wieder mit Konrad Celtes gesprochen. Vor ziemlich zwei Jahren war er nach Nürnberg gekommen, der Ruf seiner Dichtkunst und Beredtsamkeit war vor ihm hergezogen; alle Gelehrten und Doctoren Nürnbergs kamen ihm achtungsvoll entgegen, undAnton Koberger, der damals schon eine große Druckerei besaß, in der vierundzwanzig Pressen arbeiteten, druckte seine Werke.

Konrad Celtes war der Sohn eines fränkischen Bauern Pickel, zu Wipfelde nahe bei Würzburg 1459 geboren. Er sollte seinem Vater in der Landwirthschaft [80] und im Weinbau beistehen und sie später selbst übernehmen. Allein sein Wissensdrang ließ ihm keine Ruhe. Heimlich entfloh er aus der väterlichen Besitzung auf einem Floß den Main und Rhein hinab und ging auf die Universität nach Cöln. Darauf studirte er in Heidelberg und ward Agricola's Lieblingsjünger. Dann besuchte er die Universitäten zu Erfurt, Leipzig und Rostock, aber nicht mehr als Lernender sondern als Lehrender, dem Humanismus und den humanistischen Studien immer mehr Eingang verschaffend. Durch seine Vorlesungen sammelte er sich so viel, daß er darauf nach Italien gehen konnte, was für die Gelehrten seines Faches damals als Nothwendigkeit erschien. Zu Bologna hörte er Philipp Beroaldus den Aelteren, zu Florenz Marsilius Ficinus, zu Rom Pomponius Lätus. Von Venedig aus ging er nach Ungarn und Polen, und von da nach Deutschland zurück, wo er in Nürnberg sich niederließ. Damals – es war im Jahr 1487 – hielt Kaiser Friedrich III. daselbst einen Reichstag und blieb fast ein ganzes Jahr daselbst auf der Veste wohnen. Der alte Kaiser, obwohl er damals nur den Reichstag berufen, um von ihm ein Heer zu erbitten, seinen eigenen Geburtsort Neustadt zu schützen, den der sieghafte Ungarnkönig Mathias bedrängte und den Friedrich [81] fürchten mußte fallen zu sehen gleich Wien, und obwohl er aus seinen eigenen österreichischen Erblanden vertrieben, vom Geschick hätte gebeugt sein können, vertrieb er sich doch in Nürnberg die Zeit, als sei er der glückgekrönteste Herrscher. Um den Nürnbergern zu zeigen, daß er auch ein Freund der Wissenschaften und Künste sei – nur die Rechtswissenschaft haßte er und nannte deren Doctoren: Seductores (Verführer) – berief er deren Vertreter selbst um sich und ließ sich von den Meistersängern und Poeten ihre Werke vortragen. Bei einem öffentlichen Aufzug, der auf dem Marktplatz stattfand, bei dem er einige Nürnberger Patrizier, darunter Hans Tucher, zum Ritter schlug, um ihn damit für seine Reise in das heilige Land und die von ihm selbst verfaßte Beschreibung derselben zu ehren, nahm er auch einen grünen Lorbeerkranz, den er sich auf sammtenem Kissen hatte nachtragen lassen, und ließ Konrad Celtes vor sich führen, um ihm so vor allen Hohen des Reichs und allem Volk öffentlich die Ruhmeskrone des Dichters auf das Haupt zu setzen. Aber als Celtes schon vor ihm kniete, zögerte der Kaiser plötzlich und sandte einen seiner Ritter zu der Erhöhung, auf der Nürnbergs edle Frauen und Jungfrauen Platz genommen. Unter ihnen strahlte vor Allen Elisabeth [82] Behaim durch Schönheit und Anmuth ihres Wesens, wie durch die Pracht ihrer Kleidung hervor – und mit stolzer Haltung folgte sie dem Ritter, der ihr die Botschaft des Kaisers brachte: daß sie als die schönste Jungfrau Nürnbergs den Dichter krönen möge. Bisher hatte sie ihn nur von fern gesehen – nun stand sie dicht vor dem Knieenden und setzte zitternd den Kranz, den sie aus der Hand des Kaisers empfing, auf das edle Lockenhaupt, das sich vor ihr neigte.

Wie hätte nicht das leichterregbare Herz des Dichters erfaßt werden sollen von diesem Augenblick und ihn als den schönsten seines Lebens preisen? Wer, dem jemals für das Ringen und Streben seines Genius eine ähnliche Anerkennung, so überraschend plötzlich und vor allem Volk zu Theil geworden, könnte jemals wieder die höhere Weihe solcher Stunden vergessen? Und wie hätte Celtes, der schon durch seine Studien des klassischen Alterthums gleicherweise wie durch sein feuriges Dichtergemüth zu dem Cultus der Schönheit sich hingezogen fühlte, nicht immer daran denken müssen, daß er den Lorbeerkranz zwar wohl auf den Wink seines Kaisers, aber doch aus den Händen einer Königin der Schönheit empfing? Er pries Elisabeth als solche in [83] seinen Liedern und verherrlichte sie als seine Muse in wohlgefeilten lateinischen Versen.

Das Geschlecht der Behaim, aus dem sie stammte, galt vor allen nürnbergischen nicht nur als eines der reichsten und angesehensten, sondern auch als eines der gebildetsten und gelehrtesten der Reichsstadt. Elisabeth's Vater besaß in Venedig ein eben so reiches Waarenlager als in Nürnberg und pflegte sich wechselnd an beiden Orten aufzuhalten; auch die Tochter, für alles Große und Neue empfänglich, dabei keine Mühe und Gefahr scheuend, hatte einmal mit ihm einige Zeit in Venedig zugebracht, obwohl damals Frauen nur selten zu reisen pflegten und bei den schlechten und oft gefahrvollen Wegen Vieles erdulden und entbehren mußten, auch wenn sie den reichsten oder höchsten Ständen angehörten. Elisabeth's ältere Brüder waren mehr als gewöhnliche Kaufleute. Nicht nur daß sie sich auf das Geschäft verstanden und durch ihre kühnen Speculationen und großen Handelsverbindungen fast mit allen Völkern der Erde in Verkehr waren, und sich dadurch jene Vielseitigkeit und jenen großen Weltblick erwarben, der nur auf Reisen erlangt wird, hatten sie auch die gelehrten Schulen Italiens besucht und auch daheim den Wissenschaften obgelegen. Besonders war es Martin Behaim, [84] der ein Schüler Johannes Regiomontanus (eigentlich Camillus Johannes Müller) sich mathematischen, astronomischen und andern gelehrten Forschungen widmete und sich gern damit beschäftigte, auch die Kenntnisse seiner Schwester zu erweitern. Jetzt war er freilich seit einigen Jahren entfernt, da er in Handelsgeschäften seines Vaters nach Portugal gegangen war und eben jetzt auf portugiesischen Schiffen mit Admiral Diego Can auf weitem Ocean trieb, den Seeweg nach Ostindien zu entdecken, zu dessen Auffindung Martin Behaim's scharfsinnige mathematische Berechnungen die gegründetste Hoffnung gaben.

Der ruhmgekrönte Dichter Celtes fand bald Zutritt in diese ausgezeichnete Familie, welche die Wissenschaft so wohl zu schätzen wußte. Wie empfänglich er auch war für sinnliche Eindrücke und wie auch Elisabeth's Schönheit ihn zu den ersten Versen an sie begeistert hatte und den Wunsch in ihm erregt, bei ihr Zutritt zu erhalten, er würde der schönen Form bald überdrüssig geworden sein, wenn er sie leer gefunden. So aber fand er sie von einem kühnen, beinah männlichen Geist belebt, ausgestattet mit allen Kenntnissen, in denen damals keine anderen Frauen so bewandert waren als die Töchter Nürnbergs und Augsburgs, und er verherrlichte [85] sie nun erst recht in seinem von ihr verstandenen Latein als seine Muse.

Elisabeth's Hand fand viele Bewerber, aber sie hatte bisher noch jeden abgewiesen; dem Einen galt sie dadurch für eine stolze Spröde, dem Anderen für eine kalte Gelehrte mit einem Mannesherzen im Busen, und Manche flüsterten von einem Fürsten oder vornehmen Ritter, mit dem sie ein heimliches Verhältniß habe und der um seines Standes willen zögere sie heimzuführen, obwohl sie sich selbst gleich mancher stolzen Patriziertochter Nürnbergs nicht zu gering achte, einem Fürsten zum Altar zu folgen.

Ihr Verhältniß zu Celtes gestaltete sich bald zu dem einer süßen Freundschaft, welche an jene zarten Bande gemahnte, welche meist die französischen Minnehöfe hervorgerufen. Sie war die Herrin und er ihr Dichter. Für alle seine Bestrebungen und Arbeiten fand er in ihrem hochgebildeten Geist ein feines Verständniß und begeisternde Anregung. Wo ihr die eigenen Kenntnisse noch mangelten, da ward er ihr Lehrer, versorgte sie mit allen neuen Büchern und las ihr Alles vor, was er selbst verfaßte. Zuweilen wohl wurde die klare Ruhe dieses schönen Wechselwirkens durch stürmischere Empfindungen gestört. Zuweilen, wenn sie [86] allein waren – was nicht gerade oft der Fall war, da Elisabeth's Mutter, oder eine jüngere Schwester oder auch ihre Brüder und andere Gelehrte sie oft umgaben – geschah es, daß seine Huldigungen sich nicht nur auf den Vortrag seiner Verse erstreckten, die davon voll waren, sondern daß er ihre Hände küßte und sie in seine Arme zog, oder daß sie selbst einen Kuß der Muse zum Lohn oder zur Weihe des Dichters auf seine Stirn drückte. Dies, für beide beglückende Verhältniß währte weit über ein Jahr – und es hätte vielleicht noch lange so gewährt, wenn nicht die rohe Hand anderer Menschen zerstörend eingegriffen. Es gab auch schon damals genug scheelsüchtige Leute, gemeine Zuträger und unberufene Sittenrichter, die über die stolze Patriziertochter zischelten, welche die ebenbürtigen Bewerber verschmähe, und da der Fürst sie sitzen lasse, an den herzugelaufenen Poeten, den Bauernsohn, der Nichts sei und Nichts habe, sich wegwerfe, daß nun auch Keiner aus den Geschlechtern sie mehr werde zur Ehe haben mögen. Solche Reden wurden auch Elisabeth's Brüdern hinterbracht; seitdem beobachtete sie besonders der älteste Bruder Georg, und als er sie eines Tages wirklich überraschte, wie ihr Lockenhaupt an Celtes Schulter lehnte und sein Arm um ihre Taille geschlungen [87] war, trat er zornig vor Beide hin und warf ihnen mit heftigen Worten das Unziemliche ihres Betragens vor und erklärte Celtes für einen Verführer und Eindringling, der dem Hause, das ihn freundlich aufgenommen, nur Schande bringe: das habe man aber davon, wenn man mit den fahrenden Poeten sich einlasse, die doch Lumpen blieben, wenn auch ein Kaiser, um dem Volk ein neues Schauspiel zu geben, sie mit einem Dichterkranz kröne.

Elisabeth wollte reden und den Geliebten gegen diese Rohheit vertheidigen, aber Celtes bat sie zu schweigen und sich seinetwegen nicht mit dem Bruder zu erzürnen. »Es ist wahr,« sagte er zu diesem, »ich verehre Eure edle Schwester wie meine Muse und meine Herrin, aber nie habe ich meine Wünsche, noch meine Worte bis zu einem Ziel erhoben, das für mich aus doppelten Gründen unerreichbar ist. Ich kenne die veralteten Institutionen und den aufgeblasenen Dünkel dieser reichsstädtischen Geschlechter hinlänglich genug, um zu wissen, daß sie jede Bewerbung eines Mannes, der nicht zu ihnen gehört, und wenn er der Berühmteste der Welt wäre, für eine Beleidigung halten – und ich bin nicht der Mann, weder eine solche zu ertragen, noch eine Gnade von diesen hoffärtigen Bürgern hinzunehmen. [88] Außerdem aber fühle ich, daß es dem Poeten, wenn er seine hohe Sendung ganz erfüllen will, nicht beschieden ist, einen häuslichen Herd zu gründen. Wie mein großer Lehrer Agricola werde ich nie eine Fessel tragen, weder die eines Amtes noch eines Weibes, und wenn auch arm und entsagend, doch reich und frei in meinem Berufe leben. Findet Ihr nach dieser Erklärung, daß eine so reine, geistige Gemeinschaft wie die meinige mit dieser edlen Jungfrau nicht bestehen kann, ohne ihrem Ruf zu schaden, so muß ich freilich darauf verzichten, denn das sei ferne, daß ihr durch mich ein Nachtheil erwachse. Dann aber Schande über die Lästermäuler und Splitterrichter dieser Stadt, die das Reine und Hohe verdammen, weil sie es nicht verstehen, das Gemeine und Unsittliche aber ruhig unter sich dulden. Die reinen, seligen Stunden, die mir das poetische Streben mit dieser keuschen Jungfrau gewährte, wagt man zu schmähen – wenn aber Eure achtbaren Ehemänner sich noch ein Zuweib halten, oder Eure edlen Rathsherren in die Frauenhäuser gehen und tausend Gemeinheiten in den Badstuben geschehen, so findet Ihr das ganz in der Ordnung.«

Georg Behaim sah sich von dieser ruhigen Würde entwaffnet, er reichte Celtes die Hand und bat ihn mit[89] ihm zu gehen. Man hörte andere Leute kommen, und Elisabeth, unfähig ein Wort zu sprechen, floh in ein anstoßendes Gemach, ohne noch Wort oder Blick für Celtes zu haben.

Georg bemühte sich dem aufgebrachten Dichter das »ländlich–sittlich« auseinander zu setzen und es endlich wie eine Gnade von ihm zu erbitten, daß er seine Schwester meide. Celtes erklärte sich aus Stolz endlich bereit dazu. Als er sie nach einigen Wochen bei einem Feste wieder sah, näherte sie sich ihm, um ihm zu sagen, daß sie sich mit Herrn Christoph Scheurl verlobt habe.

Celtes wünschte ihr, daß sie glücklich werden möge – sie lächelte verächtlich. Es waren Leute in der Nähe und sie konnten nicht unbemerkt zusammen sprechen. Bald darauf war Elisabeth's Hochzeit. Ihr Gatte war wohl zwanzig Jahr älter als sie selbst und von gewöhnlichem Aeußern, ja er hatte sogar etwas Abstoßendes darin. Man konnte kein ungleicheres Paar sehen, und Niemand begriff, warum Elisabeth eine so unpassende Wahl getroffen. Scheurl gehörte zu den stolzesten oder eitelsten Männern. Er war einer der reichsten Rathsherren, hatte sich das schönste Haus gebaut und wollte auch die schönste Frau haben – natürlich mußte er [90] sich durch den Besitz Elisabeth's befriedigt fühlen, die ja ein Wink des Kaisers selbst öffentlich dazu erklärt hatte. Er spreizte sich in eitler Geckenhaftigkeit des älteren Mannes an ihrer Seite, und freute sich der Huldigungen, welche ihrer Schönheit und ihrem Geiste wurden, doppelt eitel darauf, daß die gefeierte Spröde, die so viele Bewerber ausgeschlagen, ihm so schnell ihre Hand gegeben.

Celtes hatte zu Elisabeth's Hochzeit ihr ein Carmen gesendet, aber gesprochen hatte sie ihn seitdem nicht wieder.

Und jetzt war er plötzlich bei ihr eingetreten, unangemeldet wie sonst in ihrem Elternhaus – jetzt war es, als versänken die Monate in ein Nichts, in denen sie sich nicht gesehen. Und über ein Jahr versank so – jetzt neigte sie sich wieder über ihn, wie damals mit dem Lorbeerkranz, da er sie zuerst erblickte.

»O Elisabeth!« rief er aus, »wie werd' ich zu leben vermögen ohne meine Muse? Nein, ich kann nicht fort von Euch, das Leben ist eine Wüste ohne Euch!«

Sie neigte ihre Lippen auf seine Stirn und sagte: »Dies sei mein Abschiedskuß –«

[91] Aber er sprang auf, umschlang sie heftig und sagte: »Nein, ich kann den Abschied nicht ertragen! – O Elisabeth! welch' ein Götterleben war es, das wir führten! Von da an, wo ich Euch erblickte, war ich an diese Stadt gefesselt! der ich sonst immer unstät umhergeschweift, nirgend findend, was ich suchte – mir ward hier ein himmlisches Asyl! Ewig wollte ich hier bleiben, ewig im Strahl Eurer Gunst mich sonnen. Ihr waret die Sonne, die alle Blüthen meines Geistes weckte – ohne Euch ist das Leben eine dumpfe kalte Nacht, in der alle Keime verderben!«

Willenlos, selbst wie eine gebrochene Blume, lag Elisabeth an seiner Brust und vermochte ihre Thränen nicht mehr zurückzuhalten. »Es hätte Euch ein Wort gekostet, und es war Alles anders!« sagte sie. »Ihr hab't mich verstoßen!«

»Elisabeth!« rief er und sah ihr prüfend in die überströmenden Augen, »ich gab nur den Vorstellungen und Bitten Eurer Familie nach um Euretwillen – alle meine sehnenden Empfindungen bezwang ich in heißen Kämpfen, um den Frieden Eures Hauses nicht zu stören –«

»Und der Friede meines Herzens war Euch Nichts?« fiel sie ihm in's Wort. »O Konrad, ich lebte gleich [92] Euch in einem süßen Taumel, ich fragte nichts nach dem Morgen, da das Heute so himmlisch war. Ich war wie der Epheu, der sich fest um die starke Eiche ringelt – so unauflöslich fühlt' ich mich an Euch gekettet. Da kam die Unglücksstunde, in der mein Bruder mit roher Hand aus dem holden Traum uns weckte. Ihr hießet mich schweigen, und welcher Edelsinn auch aus Eurer Vertheidigungsrede sprechen mochte – mir stieß sie einen vergifteten Dolch in das Herz!«

»Was konnt' ich anders antworten?« fragte er; »mein Mannesstolz und meine hohe Liebe zu Euch ließen keine andere Antwort zu. Die weite Kluft, die mich von Euch trennt, ward zum Abgrund, der uns Beide verschlang, wenn ich den glühenden Empfindungen Worte gegeben hätte, die mich jetzt zermartern, seit ich mich von Euch fern halten mußte und jetzt, da ich von Euch scheiden soll!«

»O, und Ihr bildetet Euch ein stark zu sein, weil Ihr zu schwach waret, vor den Abgrund zu treten?« sagte sie mit höhnischer Stimme. »Ich aber, die ich zu dem schwachen Geschelcht gehöre, fühle den Muth in mir, den Abgrund zu überspringen – aber Ihr hießet mich schweigen und erklärtet, daß Ihr niemals Liebe für mich empfunden!«

[93] »Das habe ich nie gesagt!« rief er, »eine so entsetzliche Lüge ist nie über meine Lippen gekommen – aber ich wußte, daß Ihr mir niemals angehören konntet, und darum, seit ich Euch gefunden, ward es mir klar, daß ich für immer dem Minne- und Eheglück entsagen müßte, weil mein Herz nie einem andern Weibe gehören konnte! O Elisabeth!« fügte er mit leidenschaftlicher Heftigkeit hinzu, indem er zu ihren Füßen stürzte, »das hab't Ihr doch gewußt, daß ich Euer Sklave bin, auch wenn ich mich stellte, als kenne und möge ich keine Fessel?«

»O hättet Ihr nicht die unseligen Worte gesprochen!« versetzte sie, »hättet Ihr mich zuvor gehört! Ich wollte meinem Bruder schildern, wie ich Euch liebe, und daß ich in Euch einen Ritter des Geistes sehe, davor dies Patrizierthum sich achtungsvoll beugen müsse. Daß ich Euch folgen würde, wohin es auch sei, wenn das Vaterhaus mich vielleicht verstieße. Und wäre dies geschehen, so wären wir zusammen geflüchtet! und hätte sich weder in Deutschland noch Italien ein Asyl für uns gefunden, so wären wir meinen weltumsegelnden Bruder gefolgt und auf einem jener goldenen Eilande, die er schon entdeckt, hätten wir die Stätte der Glückseligkeit gefunden, die keine Menschen dieser verdorbenen Welt gestört![94] Aber mit kalter Hand schnittet Ihr mir den Weg ab zu diesem Paradies!«

Wie vernichtet barg Celtes sein Haupt in Elisabeth's Schooß. Jetzt erst fühlte er die ganze Allmacht seiner und ihrer Liebe – und jetzt erst erkannte der Sänger der Liebe, wie viel tiefer und kühner die Liebe im Frauenherzen lebte und es zu Kampf und That begeistert, als in der Mannesbrust, die dem Stolz den Vorrang gestattete. Beschämt gestand er: »Solche Größe der Seele, die über alle Vorurtheile sich erhebt, solche Größe der Liebe glaubte ich bei keiner Frau zu finden! Ihr ließet mich nicht ahnen, daß Ihr um meinetwillen Alles opfern könntet!«

»Ich bin auch stolz,« sagte sie, »und nach Eurer Erklärung blieb mir nichts, als mich in den Wunsch meiner Familie zu fügen, wie Ihr Euch fügtet. Scheurl warb um meine Hand – es erschien mir wie ein Schutz vor mir selbst, wenn ich sie ihm reichte. Ihr hattet sie verschmäht – da war mir ja Alles gleichgültig. Ja, ich bildete mir ein, wenn ich nicht mehr als Mädchen bösem Leumund ausgesetzt sei, könnte ich wieder mit Euch verkehren, meine Liebe auf den Pfad der Freundschnft zurücklenken. Dennoch wollt' ich diesen Schritt nicht ohne Eure Zustimmung thun. Noch hatte [95] ich das bindende Wort nicht gesprochen, als ich Euch davon sagte – Ihr wünschtet wir ruhig Glück – und damit war mein Geschick entschieden.«

»Und da es einmal so ist, da das Entsetzliche geschehen,« sagte er nach einer Pause voll stummer Seufzer, heißer Thränen und noch heißeren Küssen, »so lasse uns versuchen, was Du hofftest – sei wieder meine Muse, meine Freundin –«

Sie entrang sich seinen Armen. »Nein,« sagte sie zurückweisend, »was ich mir da selbst vorgeredet, war Nichts als verwerfliche Sophistik. Unsere Empfindungen waren rein und schön, und wie auch die Alltagsmenschen sie deuten mochten: wir waren uns ihrer Unschuld bemußt. Jetzt müßten wir sie selbst verdammen, Schande und Ehebruch wäre jetzt, was erst so heilig gewesen! Nun ist kein Selbstbetrug, der kein Verbrechen wäre, mehr möglich. Nie wären diese Geständnisse über meine Lippen gekommen, wenn ich nicht diese Stunde empfände als einen Abschied für immer! Nun ich Euch noch einmal gesehen und Alles gesagt, werde ich die Trennung von Euch würdig ertragen lernen! Wir dürfen aneinander denken ohne Schuld –«

»Aber nicht ohne Reue!« unterbrach sie Celtes; »o ich Unglücklicher, Kleingläubiger!«

[96] »Auch ohne Reue!« sagte Elisabeth. »Es sollte doch so sein, wie Ihr sagtet: der Dichter soll ohne Fesseln bleiben, und um sich ganz seinem Volke hinzugeben, muß er auf die Hingabe an ein einzelnes Wesen verzichten! In Euren Werken werdet Ihr für mich fortleben, und was auch noch geschehen mag: nie kann mir das stolze Bewußtsein geraubt werden, daß ich die Muse war, die Euch zu Euren edelsten Dichtungen begeisterte!«

»Und ewig werdet Ihr es bleiben!« rief er; »ich will ringen den Lorbeer zu verdienen, den Ihr mir reichtet.«

Ein letztes Umarmen – dann trieb sie ihn fort. Aber als er hinaus war, brach ihre gewaltsam bewahrte Kraft zusammen und bis zur Ohnmacht weinend lag sie auf dem Sammetpolster.

[97]

Fünftes Capitel
Eine Zusammenkunft

An einem Juliabend, dessen Hitze ein Gewitter ahnen ließ, obwohl nur erst einzelne dunkle Wolken drohend über der Burg und den dahinter sich ausdehnenden Reichsforsten standen, ging Ursula Muffel durch die Straßen der Stadt, um ihre Freundin Elisabeth Scheurl zu besuchen. Als sie »unter der Beste« an Meister Wohlgemuth's Werkstatt vorüber kam, sah sie an der Thür desselben einen Mohren in goldgestickter Dienerkleidung stehen. Sie fuhr unwillkürlich zusammen, erröthete und fühlte ihre Schritte gehemmt, als versagten ihr plötzlich die kleinen Füße den Dienst, die doch vorher so hüpfend weitergeschritten. Sie kannte diesen Mohren: nur ein Nürnberger Patrizier hatte einen solchen im dienst. Herr Hans von Tucher hatte ihn von seiner Reise aus dem Morgenlande mitgebracht und er war der Diener seines Sohnes Stephan, der [98] es immer liebte, durch irgend eine Seltsamkeit sich vor den andern Geschlechtern hervorzuthun.

Ursula schielte durch die Fenster der Werkstatt. Da saß Albrecht Dürer und malte emsig, aber er warf einen Blick empor, der auch hinaus auf die Straße und auf Ursula traf; sie lächelte ihm zu, aber er wagte nicht lange aufzusehen, weil schon ein neben ihm farbenreibender Gesell ihn hämisch anrief:

»Was hast Du wieder auf die Straße zu stieren und auf schöne Frauenzimmer Augen zu machen, die Dich nur auslachen, Du Maulaffe!«

Albrecht antwortete: »Wenn eine edle Dame, die bei uns arbeiten läßt, hereinsieht, so ist es doch nicht meine Schuld.«

»Nun, nach Dir wird sie nicht gesehen haben,« versetzte der Geselle, und hätte gern noch rohe Späße an seine Bemerkung geknüpft, wenn nicht Meister Wohlgemuth mit einem Herrn aus dem Nebengemache getreten wäre.

Indeß war Ursula langsam vorüber gegangen und trat in Scheurl's prächtiges Gebäude. Aber so schnell, als sie konnte, eilte sie die Stiegen hinauf. Elisabeth empfing sie mit der ihr eigenen Würde, doch mit herzlichen Freudenbezeugungen über ihr Kommen.

[99] Aber Ursula war in ungewöhnlicher Aufregung. Sie zog die Freundin in das Chörlein, von dem aus man die ganze Straße auf und ab und auch bis zu Meister Wohlgemuth's Werkstatt sehen konnte, riß das Fenster auf und sagte dann Elisabeth's Hand erfassend: »Verzeiht' mir – ich kam ohnehin Dir Alles zu sagen, an Deinem Herzen mich auszuweinen – aber sage mir, sah'st Du ihn?«

»Wen denn?« fragte Elisabeth verwundert.

»Stephan Tucher,« flüsterte Ursula leise und immer mehr erglühend; »dort steht sein Mohr.«

»Gesehen hab' ich ihn nicht,« antwortete Elisabeth, »aber mein Gemahl sagte mir, er sei seit gestern wieder zurück von Augsburg und Füssen, wohin ihn sein Vater in dringenden Handelsgeschäften geschickt hatte.«

Ursula verwandte keinen Blick von der Straße. »Dort steht sein Mohr,« sagte sie noch einmal, »ob er wohl auf ihn wartet?«

»Ich war jetzt nicht am Fenster, ehe Du kamst,« antwortete Elisabeth.

In diesem Augenblick aber trat Stephan Tucher wirklich aus Wohlgemuth's Werkstatt, grüßte den ihn zur Thür geleitenden Meister und sprach dann heftig mit dem Mohren, der mit lebhaften Gesten antwortend [100] auf Scheurl's Haus deutete. Seine Blicke auf das Chörlein gerichtet kam jetzt Stephan an ihm vorüber. Da nahm Ursula einen Rosenstrauß, den sie zwischen einer abstehenden gestickten Krause an ihrer Brust trug, und warf ihn hinab auf die Straße, daß er vor Stephan's Füße fiel. Er hob ihn auf, aber sah die Geberin nicht mehr, die das Fenster zuwerfend mit einem Strom lang verhaltener Thränen in Elisabeth's Arme fiel.

»Wie lange man auch sich und seinen Schmerz und seine Leidenschaft bezwingen mag,« sagte Ursula, »einmal kommt der Augenblick, da es nicht mehr möglich.«

Elisabeth seufzte tief – sie hatte das nur zu sehr an sich erfahren. Aber Ursula meinte bei der kalten Freundin, die nur aus Gehorsam gegen ihre Familie oder aus Stolz auf das Geschlecht einen älteren Mann, der kein Gegenstand einer Herzenswahl war, gefreit haben konnte, einer Entschuldigung zu bedürfen und sagte: »Du in Deiner erhabenen Klarheit der Seele weißt freilich Nichts von diesen Kämpfen – aber Du kannst Alles verstehen, was groß und schön ist – gewiß auch meine Liebe!«

Jenes Lächeln, das aus Schmerz und Hohn sich mischte und das so oft Elisabeth's schönen Zügen eine [101] dämonische Beimischung gab, zog auch jetzt darüber hin; das vermochte sie nicht zu unterdrücken, wenn sie auch sonst jedes ihrer Gefühle in Schranken hielt, die sie nur in jener Abschiedsstunde von Konrad Celtes überschritten. Sie wußte, was sie dem Gatten schuldig war, dem sie mit freier Selbstbestimmung ihre Hand gegeben, sie heuchelte keine Liebe; aber sie wollte die Welt glauben lassen, daß sie über diese Schwachheit erhaben sei, und auch nicht vor einem vertrauten Mädchenherzen ein Geständniß ablegen, das kein günstiges Licht auf ihren Gemahl und ihre Ehe werfen konnte. Aber daß ihr dieser Vorsatz so vollständig gelang, daß kein anderes Auge auf den Grund ihres Herzens zu lesen vermochte; daß man sie für ruhig und befriedigt hielt, indeß alle Qualen verlorenen Liebesglückes und eines verfehlten Lebens ihren Nächten den Schlaf raubten und am Tage sie antrieben, durch geistige Beschäftigungen oder zerstreuende Vergnügungen vor sich selbst zu fliehen: das veranlaßte jenes bittere Lächeln, mit dem sie viel mehr noch sich selbst und ihr Geschick als ihre kurzsichtige Umgebung verhöhnte.

»Vertraue mir nur,« sagte sie mit theilnehmender Stimme; »ich weiß, daß Dich Stephan liebt und daß[102] die Väter sich dieser Verbindung widersetzen; mein Gemahl hat es mir gesagt!«

»Himmel!« rief Ursula, »so ist es schon zum Stadtgespräch geworden?«

»Mein liebes Kind,« belehrte die ältere und welterfahrenere Freundin, »wenn Du Dich darüber wunderst, dann weißt Du nicht, wie die Männer sind. Die können nicht wie wir ihre Liebe und ihr Leid still für sich tragen, denen kostet es nicht wie uns ein Erröthen oder die Furcht, ihre innigsten Gefühle falscher Beurtheilung preiszugeben. Die reden davon auf der Fechtschule und in den Trinkstuben, oder wo sie sonst zusammen kommen, und was wir mit künstlichen Schleiern als tiefes Geheimniß bergen, das tragen sie offen zur Schau. Darin müssen wir uns fügen – sogar wenn es ein Beweis ist, das unsere Liebe eben im Innern ihre Heimath findet, indeß die der Männer von außen stammt und am Aeußern haftet.«

Ursula seufzte. Sie hatte es freilich schon erfahren, daß sie Stephan gerade nach dem Bann der Väter mehr als einmal rücksichtslos aufgesucht hatte, und sie so dem Zorn des Vaters wie den Klatschereien der Leute preisgegeben; aber wenn sie ihn auch eben darum abmahnend jene Zeilen geschrieben, deren Ueberbringer [103] Albrecht Dürer war, so hatte sie doch so gern jede Unüberlegtheit und Ausschreitung seiner leidenschaftlichen Liebe vergeben. Und hatte sie nicht eben jetzt zu einer gleichen Unvorsichtigkeit sich hinreißen lassen? War es auch nicht die eigene Wohnung, aus der sie den Strauß warf; konnten nicht so gut wie Stephan selbst andere Vorübergehende sie gesehen und erkannt haben? Sie mußte daher sich und ihn entschuldigen, indem sie der Freundin aufrichtiger beichtete, als selbst dem Priester. Als sie in ihrer Mittheilung bis zu den Blumen gekommen war, die ihr der Malerlehrling als Stephan's Antwort brachte, fuhr sie fort:

»Ich konnte nicht glauben, daß mein Brief ihn dauernd erzürnen werde; hoffte, daß er nur im ersten Aufwallen unbefriedigter Wünsche in meiner Bitte um stilles Harren meine Liebe bezweifeln konnte – da hörte ich, er habe Nürnberg verlassen. Daß er fortgegangen im Grolle und ohne ein tröstendes Abschiedswort, das hat mich bitter gekränkt und mich mit Selbstvorwürfen gequält. Sie wuchsen je mehr, je längere Zeit verging, ohne daß ich von ihm hörte. Da wollte ich heute zu Dir gehen, Dir dies gequälte Herz zu zeigen. Du bist so edel und klar, weißt, was die Sitte verlangt und die Familienehre, und kannst doch sanfte [104] Empfindungen verstehen, und wärest Du selbst auch immer über sie erhaben geblieben und hättest sie nur mit empfunden in den Schilderungen des Celtes und anderer Poeten.«

Elisabeth bebte zusammen bei Nennung dieses Namens. Seit sie sich verheirathet und Celtes fort war, hatten die Lästerzungen von ehemals schweigen gelernt, und gerade Alle, die Elisabeth näher standen, ihren Stolz und ihr geistiges Streben – ihre Gelehrsamkeit, wie man es damals nannte – kannten, waren durch ihr späteres Betragen fest überzeugt worden, daß sie Celtes gegenüber Nichts empfunden als die geschmeichelte Eitelkeit, die Muse eines gekrönten Poeten zu heißen, und daß sie ohne Kampf dem Willen ihrer Familie sich fügte, die Celtes von ihr verbannte, als die Welt dies Verhältniß zu mißdeuten wagte. Ursula hatte darum die Freundin nur bedauert, daß ihr durch ein gemeines Vorurtheil der belehrende Freund geraubt ward, durch den ihr wissensdurstiger Geist die beste Nahrung gefunden. Kein Gedanke kam in ihren Sinn, daß sie die zur Rathgeberin wählte, die jeden Augenblick bereit gewesen alle Schranken zu durchbrechen, nur um dem Geliebten zu gehören, sobald dieser es von ihr verlangt hätte, wie Stephan es von Ursula verlangte. [105] Elisabeth fühlte sich von kaltem Schauer überrieselt und alles Blut drang ihr zum Herzen – unwillkürlich faßte ihre Hand nach seiner Stelle, als könne sie so es zu ruhigeren Schlägen zwingen. Warum mußten sich immer ungleichartige Elemente zusammenfinden? Warum war Celtes nicht so rücksichtslos wie Stephan gewesen, warum war Stephan nicht so rücksichtsvoll wie Celtes? So fragte sie sich – und rang dabei doch nach Worten, Ursula ihre Gedanken zu verbergen, die für sie selbst schon zu viel Bitterkeit und Beschämung hatten, als daß sie je etwas davon hätte mögen laut werden lassen. Endlich sagte sie ausweichend zu ihr:

»Du hast ja schon entschieden, indem Du ihm den Strauß hinabwarfst.«

»Es war die unbedachte Handlung eines Augenblickes,« entschuldigte sich Ursula, »des Entzückens, daß ich ihn wiedersah. Ich fand seinen Mohren hier auf der Straße, da konnte ich hoffen, er sei zurückgekehrt; ich konnte den Augenblick nicht vorübergehen lassen ohne ein Liebeszeichen; denn was auch geschehen möge, entsagen kann ich ihm nicht, – es sei denn, daß ich mich mit meinem Elend in ein Kloster flüchtete, dort nur der Erinnerung an ihn zu leben!«

[106]

Elisabeth warf den Kopf zurück: »Bist Du so unerfahren, daß Du glaubst, in den Klöstern wohne noch wie einstens stiller Gottesfriede und heilige Ruhe? Vielleicht um irgend einer zugefügten Schmach von der Welt, in der man gelebt hat, zu entgehen, mag das Kloster eine passende Zufluchtsstätte sein: aber so lange uns die Welt noch offen steht, ist es besser, es mit ihr noch zu versuchen. Du bist noch so jung, und wie starr auch der Wille der Väter sein mag, durch Ausdauer kann er vielleicht überwunden und gebrochen werden – Ihr gäbet nicht das erste Beispiel dieser Art.«

»O so mein' ich auch,« stimmte Ursula freudig bei, und mit der glücklichen Schnellkraft hoffnungsfreudiger Jugend, die so gern glaubt, was sie wünscht, lächelte sie schon im Sonnenschein eines möglichen Glückes.

»Die Tucher kommen zuweilen zu uns,« sagte Elisabeth, »vielleicht findet sich eine Gelegenheit den Vater günstiger zu stimmen!«

»O wäre es möglich!« rief Ursula und fragte weiter: »Aber was sagte Dir Dein Gatte von uns?«

»Nun Du weißt, daß mein Gemahl sich selbst lieber zu den jüngeren als zu den älteren Herren hält,« spöttelte Elisabeth, »wiewohl er sich schon seit geraumer Zeit im kleinen Rath befindet und in manchen Stücken [107] eifersüchtig ist auf den alten Tucher. Er hält es darum lieber mit dem Sohn als mit dem Vater, wenn er auch diesem alle äußere Freundlichkeit und Höflichkeit erweis't. Ist es ihm schon widerwärtig, daß sein Geschlecht sich über das seinige erhoben und für einen Scheurl nun gar keine Aussicht mehr ist, es bis zum Loosunger zu bringen, so verdrießt ihn auch Alles, was Hans von Tucher vor ihm voraus hat. Als sich dieser das prächtige türkische Haus hatte bauen lassen, eilte Scheurl sich dies Haus wo möglich noch prächtiger zu bauen, wenn auch auf gut deutsche Art, denn er will nicht etwa den Tuchern nachahmen, sondern sie überflügeln. So gönnt er es dem alten Loosunger, wenn ihm mit seinem Sohne nicht alles nach Wunsch geht, und erzählte mir mit wahrem Vergnügen, daß Stephan eine Wahl getroffen, die dem Vater nicht recht sei, und daß Stephan geschworen Dich besitzen zu müssen, es koste was es wolle. Aus Freundschaft für den Sohn und aus Neid gegen den Vater kannst Du also meinem Gemahl vertrauen und auf seinen Beistand rechnen, wo er möglich ist.«

Ursula hörte diese tröstenden Worte mit Entzücken, und Elisabeth war klug und zart genug, ihr den wahren Beweggrund von Scheurl's Sympathie für Stephan [108] Tucher zu verbergen, den ihr Gemahl ihr mit den Worten enthüllt hatte: »Dem alten Tucher gönn' ich's, die Demüthigung zu erleben, daß eine Muffel in sein Geschlecht kommt. Die Schande wird ihn wohl ein wenig beugen.«

»Ach, wenn ich ihn nur erst wiedersehe!« seufzte Ursula.

In diesem Augenblick trat ein Diener ein und überreichte der Hausherrin auf vergoldeter Schale von gediegenem Silber einen prachtvollen duftenden Strauß von purpurnen Granaten mit blühender Orange, und meldete, daß draußen der Mohr des Herrn Tucher stehe und bringe mit ehrfurchtsvollem Gruß seines Herrn diesen Strauß für die Dame, die vorhin aus dem Fenster den ihrigen verloren. Elisabeth nahm den Strauß und beauftragte den Diener: »Vermeldet Herrn Tucher meinen Gruß, und ich erwarte, daß er den Dank für diesen Ritterdienst noch heute selbst sich hole.«

Nachdem der Diener hinaus war, steckte sie den Strauß an Ursula's bebende Brust, indeß diese rief: »Um Gotteswillen, was hast Du gemacht? wenn er wirklich käme? – ich muß gehen –« Sie sprang angstvoll auf.

[109] »Undankbares Kind!« lachte Elisabeth, »in demselben Augenblick, da Du nach dem Geliebten seufztest, lockt ihn Dein Seufzer herbei, daß man wirklich an Zauberei glauben möchte, wie jetzt anfängt gang und gebe zu werden – und nun willst Du davonlaufen! Ich dachte, Du würdest meine Klugheit und Aufopferung bewundern, mit der ich jetzt Alles auf mich nehmend Dich ganz aus dem Spiele ließ! O bitte, verstelle Dich nur nicht, nachdem Du schon gebeichtet!« Damit schob sie die Freundin wieder auf das Sopha, und während diese stumm, unruhig, beschämt und mit Thränen in den Augen dasaß, die zugleich Beschämung und Stolz, Furcht und Hoffnung, Freude und Schmerz und eigentlich doch nur Liebe verkündeten, scherzte Elisabeth weiter, indem sie den gesandten Strauß noch einmal zur Hand nahm:

»Da sieht man, daß die Männer von Nichts etwas verstehen! Der Strauß ist viel zu groß, um angesteckt zu werden; ein Viertel davon reicht dazu hin, das übrige bildet noch ein Diadem für Dein Haar.«

Und während so Ursula sich stillgewährend schmücken ließ, sagte sie auf's Neue bedenklich: »Aber wenn mein Vater erfährt, daß ich trotz seinem Verbot wieder heimlich mit Stephan zusammengekommen?«

[110] »Heimlich?« antwortete Elisabeth stolz, »dann würde mich Dein Vater wohl zu jenen alten Kupplerinnen werfen, welche die Genannten öffentlich mit dem Staubbesen und dem Pranger bestrafen lassen und sich heimlich doch ihrer selbst bedienen? Beruhige Dich, mein Gemahl und meine Brüder werden uns bald Gesellschaft leisten, und Du konntest am wenigsten wissen, daß Du Stephan hier treffen würdest, da Du erst hier seine Rückkehr erfuhrst. Uebrigens fragt es sich ja auch noch, ob er kommt.«

Aber in diesem Augenblick hörte man schon einen schallenden Sporentritt auf der Stiege – Ursula kannte diesen Tritt, in dem so viel Stolz und Gewalt lag, daß die Treppen unter ihm bebten. Bald darauf öffnete ein Diener die Flügelthüre und Stephan trat ein; an seinem dunkelgrünen Wamms trug er Ursula's Rosen.

Elisabeth bewillkommte ihn als Hausfrau und sagte mit schalkhaftem Lächeln: »Es thut wir leid, daß Ihr über den Strauß im Irrthum waret und zwar in einem zwei- und dreifachen: einmal bestand er nicht aus orientalischen Granatblüthen, sondern aus bürgerlich deutschen Rosen; dann war es nicht die Hausfrau, die ihn verlor, sondern ihr Gast, und dann ward er auch nicht [111] verloren, sondern – geworfen. Ich selbst bin Euch also keinen Dank schuldig für Euren Ritterdienst, und wenn ich Euch dennoch ersuchen ließ, ihn in meiner Behausung Euch zu holen, so sehet, ob Ihr das dennoch vermöget. Erlaubt, daß ich mich jetzt einen Augenblick von Euch entferne, um meinen Gemahl von Euerer Gegenwart zu unterrichten.«

So verließ sie mit heiterem Antlitz und edlem Anstand das Zimmer – und das liebende Paar drinnen ahnte nicht, welch' quälendes Feuer unbefriedigter Sehnsucht sich hinter diesem schönen Gleichmuth verbarg, und wie es das eigene Glück aus der Hand eines Wesens empfangen, das mit gebrochenem herzen auf das gleiche Glück verzichten mußte. Oder vielmehr das Paar dachte gar nicht an sie, denn die Liebe ist immer egoistisch und denkt nur an sich selbst.

Stephan und Ursula brachten es lange zu keiner andern Erklärung, als zu Ausrufungen und stürmischen Liebkosungen. Bei ihm waren jene mit Vorwürfen der Kälte und Grausamkeit und diese mit ungezügelter Leidenschaftlichkeit gepaart. Ursula war in seinen Armen wie eine weiche, glühende und doch zarte Rose, die der Sirocco umtobt. Ihre Schwüre und Thränen, ihre [112] Schilderung dessen, was sie gelitten, daß er ohne Abschied von ihr gegangen, besänftigen ihn endlich.

Er sagte: »Ich wollte Dich nicht wiedersehen, Dich vergessen, weil Deine Liebe kein Opfer zu bringen vermochte. Es kam mir eben recht, daß an demselben Tag, wo Deine Zeilen den Bann über mich aussprachen, mein Vater eine Botschaft von Herrn Fugger erhielt, daß eine Waarensendung für uns, die von Venedig gekommen, zwischen Augsburg und Füssen verloren gegangen sei. In Füssen war sie abgegangen, aber in Augsburg nicht angekommen, und wir wußten nicht, ob hier Gewalt der Raubritter oder eine Veruntreuung der Fuhrleute die Schuld davon trage. Ich erbot mich sogleich selbst dahin zu reisen, und mein Vater war wohl damit zufrieden. Noch am selben Abend ritt ich davon. In den zwei Monaten, die ich fort war, gelang es mir wohl, die Räuber unseres Gutes zu entdecken und dasselbe zum großen Theil wieder zu erlangen; aber mit meinem eigenen Herzen bin ich nicht fertig geworden, das blieb mir geraubt; und ich mußte wieder zurück gen Nürnberg, ob ich vielleicht da es wieder heraus bekäme.«

»Du bekommst es nimmer wieder, wenn ich Dir auch zeigen will, wo es hingekommen,« lispelte Ursula [113] mit schmeichlerischem Lächeln und drückte seine Hand an ihr klopfendes Herz.

Er nahm sie auf seinen Schooß und flüsterte kosend: »Sieh dort bei Füssen ist die Gegend ein Paradies, als habe der Herr es eben erst erschaffen. Dort schäumt der Lech in einem wilden Wasserfall von den Höhen, und ringsum stehen himmelhohe Berge mit grünem Wald bedeckt. Tief unten in den Thälern blinken kleine Seen wie Sterne, die vom Himmel gefallen. Doch nein! ich dachte bei ihnen nur an Deine Augen! Da kam ich dicht bei ihnen an ein kleines Schlößlein, dahinter stand ein Bergriese, der hohe Säuling, es zu bewachen, und von allen Seiten schlossen Berg und Wald es ein. Dort dacht' ich, wenn Du bei mir wärest – nur Dir und unserer Minne zu leben – dort wäre das Paradies dann in Wirklichkeit. Von dem Fürstbischof von Augsburg, der jetzt in Füssen seinen Sitz aufgeschlagen, erfuhr ich, daß jenes Schlößlein einem habgierigen Edelmann gehört, der es gern für einen guten Preis verkaufen würde – folge mir dahin, jetzt, gleich, wenn Du willst, und der Fürstbischof, der mir wohlgewogen, würde es schon vermitteln, daß auch der Segen der Kirche uns nicht fehle.«

[114] Ursula hatte erst wie zu einem süßen Traume selig gelächelt, aber jetzt traten Thränen in ihre Augen, sie machte sich von ihm los, glitt zu seinen Füßen nieder und flehte: »Schone die Schwäche einer liebenden Jungfrau! Du zeigst mir ein Paradies – aber der Fluch des Vaters, die Gebote Gottes und der Sitte stehen an seinem Eingang – ich möchte über seine Schwelle, und weiß doch, daß mein Gewissen uns mit seinen Qualen jeden Genuß vergiften wird, wenn ich sie überschritten.«

Stephan sprang ungeduldig auf und zog sie empor, er blickte sie vorwurfsvoll und düster an und schwieg.

Mit zitternder Stimme begann Ursula wieder:

»Wir sind noch jung und können noch warten, können durch treues Aushalten das Glück der Minne uns verdienen. Wenn wir fest und treu sind, können wir den starren Sinn der Väter noch brechen. Sieh', eben jetzt hat mir Elisabeth Hoffnung gemacht, daß ihr Gemahl Mittel finden werde, Deinen Vater mit Deiner Wahl zu versöhnen, dann werden meine Bitten auch den meinigen leicht erweichen. Und wenn ich auch Dir folgen wollte – gleich wäre es ja doch nicht möglich – und sobald mein Vater weiß, daß Du wieder hier, läßt er mich gleich einer Gefangenen bewachen, daß [115] jedes Entkommen unmöglich. Und denke, wenn man uns verfolgte, entdeckte – dann hätten wir für immer die Hoffnung verscherzt, daß die Väter uns gewährten, was wir frevelhaft ihnen und der Sitte trotzend, uns erzwingen wollten. Dann bliebe mir nur das Kloster! – Horch, ich höre Draußen kommen, gieb mir noch einen Kuß zum Zeichen, daß Du mir nicht zürnst – und dann wollen wir in Gegenwart der Andern uns der Stunden freuen, die uns noch vergönnt sind, nebeneinander zu verweilen.«

Wie hätte er nicht versöhnt sein, im Innern den edleren Sinn der Jungfrau erkennen und ihr zustimmen sollen, ja sie um so höher ehren, daß sie seinen verführerischen Bitten widerstand, wenn auch seine sinnlichere Natur es anders verlangen mochte?

Es war gut, daß die Eintretende nur Elisabeth war, weil sie das Paar noch mit vereinten Lippen sah.

Stephan ergriff Elisabeth's Hand, indeß Ursula in ein kleines Nebengemach entschlüpfte, um ihr in Verwirrung gerathenes Haar zu ordnen, und sagte: »Ihr nehmt alles Edle, Hohe und Schöne in Euren Schutz: die Künstler wie die Gelehrten und die Dichter – und so auch ein liebendes Paar, dem man keine Zufluchtsstätte lassen will. Euch, hohe Frau, danke ich dies[116] glückliche Wiedersehen und vertraue ferner die Geliebte Eurer Huld.«

»Werdet Ihr jetzt hier in Nürnberg bleiben?« fragte Elisabeth; »ich möchte Euch rathen, was Ihr schon jetzt gethan, noch einmal und freudiger zu versuchen, seit Ihr Euch auf's Neue von Ursula's Liebe überzeugt hab't. Nicht um sie zu vergessen, sondern um sie zu verdienen, möcht' ich Euch in der Fremde wissen. Wenn Ihr Thaten thut oder Geschäfte leitet, welche Euch den Beifall Eures Herrn Vaters erwerben müssen und unabhängig von ihm machen, so erwerbt Ihr Euch auch vielleicht als Lohn seine Einwilligung – oder das Recht, sie zu erzwingen.«

»O Ihr hab't Recht,« rief Stephan, »Ihr les't in meinem Innern; ich dürste längst danach, etwas Großes, ein kühnes Unternehmen zu vollbringen, um mir Ursula dadurch zu verdienen, wie die Ritter der Heldengedichte mit Drachen oder Legionen von Feinden kämpften zur Ehre ihrer Dame, und dann erst des süßen Minnelohns sich würdig fühlten.«

Ueber Elisabeth's Züge flog das ihr eigenthümlich höhnische Lächeln. Sie kannte diese sybaritisch gewöhnten Patriziersöhne, die wohl einmal ihre Kraft an ein verliebtes Abenteuer wagten, aber selten zu einem ernsten [117] Streben sich ermannten. Sie dachte, daß Stephan diese Antwort doch nur gab, um nicht durch ihre Worte beschämt zu sein, und daß er wohl in diesem Augenblick so fühlen möge, aber daß von solchen schönen Empfindungen noch lange nicht auf ihre Ausdauer zu einer edlen Wirksamkeit zu schließen sei.

Sie antwortete ihm jedoch in feiner Zustimmung, aber bald war dies Zwiegespräch durch den Eintritt Christoph Scheurl's unterbrochen, welcher kam, um die Damen zu Tafel zu führen. Er begrüßte Stephan freundlichst, nahm dann den Arm der wieder zurückgekommenen Ursula, indeß Elisabeth den ihrigen in den Stephan's legte.

So gingen sie auf weichen Teppichen durch weite Corridore in ein abgelegeneres Prunkgemach, das mit fürstlicher Pracht eingerichtet war. Hier fanden sie noch einige Herren, Elisabeth's Brüder, den Propst Anton Kreß, Herrn Martin Ketzel und einige andere Genannte.

Sie nahmen an der reichbesetzten Tafel Platz. Man speiste nur von silbernen Tellern, die köstlichsten Gerichte aus silbernen Schüsseln und trank Wein von Cypern oder dem vaterländischen Rheingewächs zur Auswahl aus goldenen Pokalen von zierlich getriebener Arbeit. In der Mitte als Tafelaufsatz standen zwei hohe Figuren [118] von getriebenem Kupfer, aber versilbert, welche Wasser aus einem in der Mitte befindlichen hohen Bassin schöpften, aus dem eine Fontaine in die Höhe sprang. Wer Wasser zu trinken begehrte, der hielt seinen Becher hin, und die eine der schöpfenden Figuren, der Herr oder die Dame, gossen es hin ein.

Man lobte und bewunderte das Kunstwerk, obwohl damals ähnliche Automaten, Druck- und Uhrwerke keine Seltenheit waren, und in den Häusern der Reichen und Kunstfreunde nicht fehlen durften, und Scheurl sagte: »Ich habe es bei dem HarfenspielerHans Frey machen lassen, der in diesen Dingen ein sehr kunsterfahrener Mann ist.«

»Nicht wahr,« sagte der Propst, »er hat ein eigenes Haus auf der Zisselgasse und eine sehr hübsche Tochter Agnes

»Ei,« lächelte Scheurl, »Euer Hochwürden merkt sich doch gleich die Häuser an den hübschen Mädchen, die darinnen wohnen.«

»Nun, nun,« antwortete der Propst schmunzelnd, »die Agnes ist noch ein kleines Dingelchen von zwölf Jahren, und ich bewundere mehr noch als ihr kluges niedliches Gesicht ihren Fleiß, denn man kann nie dort [119] vorüber gehen, ohne sie die Spindel emsig drehen zu sehen.«

Indeß wandte sich Elisabeth an Martin Ketzel, einen älteren mittelgroßen Mann mit wettergebräuntem Gesicht, in dessen Zügen etwas von bigotter Gedrücktheit und kühner Unternehmungslust sonderbar miteinander contrastirte, und sagte:

»Ihr hab't uns noch wenig von Eurer Reise in's gelobte Land erzählt, da Ihr doch heute zum ersten Male in unserer Gesellschaft seid und nur erst wenige Tage zurück. Hab't Ihr nun diesmal das Maß der Entfernung der heiligen Stätten glücklich bis nach Nürnberg gebracht?«

»Ja,« antwortete Herr Ketzel, »und ich bin nicht sobald zurückgekommen, als ich schon das Rieter'sche Haus gekauft habe, das als Pilatushaus soll angesehen werden, und der wackere Steinmetz Adam Kraft soll mir die sieben Fälle Christi in Stein hauen und ein Kapellein setzen, als stünd' es auf dem Calvarienberg. Von jenem Haus am Thiergärtnerthor aus durch die Seilersgasse bis auf den Kirchhof trifft die Entfernung gerade mit meinem Maß. Dann wird man nicht mehr über meinen Verlust lächeln, sondern erkennen, daß ein rechter Mann mit Geduld, Muth und Ausdauer doch [120] durchsetzt, was er sich einmal vorgenommen, und sollt' es auch einmal scheinen, als sei schon Alles verloren – wie mein Maß.«

»Das ist eine Lehre für Euch, Herr Stephan,« flüsterte Elisabeth diesem über den Tisch zu.

Herr Martin Ketzel war nämlich von frommem Eifer getrieben, schon im Jahre 1477 mit dem thatenreichen Herzog Albrecht von Sachsen in das heilige Land gezogen, um dort die Entfernungen der heiligen Stätten vom Pilatushaus nach allen Orten bis auf Golgatha, wo sich bei der Hinführung Christi Merkwürdiges ereignet hatte, auszumessen und in Nürnberg kunstreiche Erinnerungsmale errichten zu lassen. Als er zurück kam, hatte er das Maß verloren. Aber er verzweifelte darum nicht, sondern ging einige Jahre später im Gefolge Herzog Otto's von Baiern noch einmal nach Palästina, und war eben jetzt zurückgekehrt.

Aber der fromme Eifer, welcher die Kreuzzüge hervorgerufen, und den Antheil, den man den heiligen Stätten zollte, gab sich nur noch in vereinzelten Erscheinungen kund und konnte keine allgemeine Theilnahme mehr erwecken. Mehr als nach dem alten heiligen Land drängte der Geist der Zeit vorahnend nach einer neuen Welt, wenn auch die kühnen Seefahrer vor [121] der Hand nichts weiter begehrten, als einen neuen Handelsweg nach Ostindien. Und die Nürnberger Kaufleute, die hier versammelt waren, die noch nicht berechnen konnten, wie durch die neuen Entdeckungen der Handel eine andere Gestalt annehmen, und ihre große Landhandelsstraße von Nürnberg und Augsburg über Füssen und Kempten nach Venedig veröden werde, sprachen voll froher Theilnahme mit den Geschwistern Martin Behaim's von diesem berühmten Landsmann, von dem man mit äußerster Spannung auf neue Nachrichten wartete.

Indeß, nachdem man sich nach deutscher Art lange genug von fremden Welttheilen unterhalten, kam man endlich auch auf das deutsche Reich, und Christoph Scheurl sagte zu Stephan und den beiden Damen:

»Ihr wißt wohl die große Tagesneuigkeit noch nicht, deren Kunde ich vorhin vor Eurer Anwesenheit durch einen Boten aus Frankfurt empfing, den mir ein Geschäftsfreund sandte: König Max wird in acht oder vierzehn Tagen mit dem Markgrafen Friedrich nach Nürnberg kommen.«

»Ei, so kommt er endlich einmal, er hat uns lange genug warten lassen!« sagte Elisabeth.

[122] »Sprecht Ihr ›uns‹ auf gut nürnbergisch?« fragte der Propst, »oder sprecht Ihr nur als Frauenzimmer? Dann klänge es fast wie die Worte der edlen Maria von Burgund, die Gott selig haben möge, und die auch zu ihm sagte: ›er sei das edelste deutsche Blut, nach dem sie lange verlangt habe.‹ Dann nehmt Euch in Acht, denn König Max ist allen schönen Frauen gefährlich, und sie sind es auch ihm, trotzdem er sich noch nicht hat entschließen können, einen Ersatz für seine Maria zu suchen.«

»Ich meine, Ihr wißt, daß ich gut nürnbergisch bin,« antwortete Elisabeth, ohne in Verlegenheit zu kommen, »und kein Potentat, der es nicht ist, wird mir besonders werth sein.«

»Von König Max muß sich das erst zeigen,« sagte Georg Behaim: »er ist bisher nur in die niederländischen Händel verstrickt gewesen, und im Reiche ist ja noch immer sein alter Vater das Haupt.«

Christoph Scheurl sagte: »Bis jetzt war er immer nur ein Fürst ohne Land; denn wenn er auch schon bei seiner Vermählung die Titel vieler Herzogthümer und Grafschaften und bei seiner Krönung vor drei Jahren in Aachen den des römischen Königs empfing, so ist ihm doch erst jetzt, wo der alte Erzherzog Sigismund[123] ihm Tirol und seine schwäbischen Länder als sein Erbe überwies, die erste Fußbreite Landes und sind ihm die ersten eigenen Einkünfte zugekommen. Das ist gut für Einen, der so lange nur von einem filzigen Vater, der selbst Nichts hatte, wenn ihm nicht Reichshülfe ward, abhängig gewesen.«

»So ist nun auch wirklich der Friede mit Frankreich zu Stande gekommen, wie es schon gestern hieß?« fragte Stephan; »habt Ihr genaue Nachrichten darüber, Herr Scheurl?«

»Ganz genaue,« versetzte dieser, und lächelte selbstbefriedigt, als wolle er andeuten, es sei unmöglich einen solchen abzuschließen, ohne daß er mit in's Vertrauen gezogen sei. »Der französische Gesandte kam sehr gelegen auf dem Reichstag an, den König Max jetzt auf eigene Hand in Frankfurt hielt, um vom Reiche nicht weniger als vierzigtausend Mann zu fordern zum Kriege in den Niederlanden und Oesterreich. Die Reichsstände handelten die Forderung aber glücklich herunter auf ›die eilende Hülfe‹ (sechstausend Mann stark), wovon nur zweitausend Mann gestellt waren, als der französische Gesandte mit Friedensbedingungen erschien, die für Max äußerst vortheilhaft waren, und so ward denn am zweiundzwanzigsten Juli der Friede geschlossen. Indeß nur [124] der tapfere Herzog Albrecht von Sachsen die Flamänder vollends unterwerfen soll, wird Max zum alten Kaiser nach Linz reisen, da der Waffenstillstand mit König Mathias wieder zu Ende geht – und auf der Durchreise wird er hier sich einige Tage ruhen.«

Man sprach von den Vorbereitungen, die zu dem Empfang des Königs zu machen wären, und da nun der aus immer neugefüllten Bechern maßlos getrunkene Feuerwein anfing die Köpfe und Sinne zu erhitzen, die Männer die Worte noch weniger wogen als vorher, so daß mitunter Schimpfworte fielen und rohe, derbe Spässe laut wurden, welche die weiblichen Ohren, obwohl sie schon an manchen Kraftausdruck gewöhnt waren, verletzten, so winkte Ursula Elisabeth sich zu entfernen.

Sie standen auf und Stephan wollte Ursula heimbegleiten, aber auch sein Gesicht glühte vom Wein, und sie brachte ihn endlich dadurch zum Bleiben, daß sie erklärte, wie ihr Vater ihr schon zwei Diener zum Geleit geschickt, die dann seine Gegenwart verrathen würden.

Auch Elisabeth ging in ihr stilles Frauengemach, indeß die Männer noch lange zechten und lärmten.

[125]

Sechstes Capitel
Maximilian I

Der fünfzehnte August 1489 war der Tag, an welchem die Nürnberger den künftigen Kaiser und jetzigen römischen König zum ersten Male in ihren Mauern zu empfangen erwarteten.

Die Nürnberger waren ein stolzes, eigensinniges Völkchen. Sie legten nicht etwa ein großes Gewicht auf die Gunst und Gegenwart gekrönter Häupter, denn sie meinten dazu nicht sonderlich Ursache zu haben. Was war denn in ihren Augen solch' eine blutige Krone eigentlich werth? Oft nicht halb so viel, als die in den Niederlagen der Tucher oder Behaim, der Ebener oder Haller aufgestapelten Waaren! Die meisten dieser Fürsten hatten ja kein Geld, sondern mußten es erst von ihren Unterthanen erbitten, oder durch die Brandschatzungen belagerter Länder sich zusammenrauben, und selten lebte Einer friedlich im Besitz seiner Länder, [126] sondern ward ewig in Athem gehalten von dem unruhigen Nachbar. Oft genug mußte ja der Rath von Nürnberg aushelfen mit Geld und Truppen, und daneben noch sich selbst beschützen gegen die Plackereien der Raubritter, welche die Fehdelust ihrer fürstlichen Herren untereinander nachahmten und auf ihren verwitterten Burgen von den Gütern lebten, die sie auf der Landstraße geraubt. Ein Nürnberger Raths- und Handelsherr sah verächtlich auf diese Leute herab und freute sich seines reichsstädtischen Wohlstandes, und ganz Nürnberg rühmte sich, keinen andern Herrn über sich zu erkennen, als den Kaiser. Aus denselben Gründen war auch der Respekt vor diesen Kaisern nicht gar groß, von denen auch nur wenige Kraft besaßen, das Reich in Ordnung zu erhalten und der hohen Würde sich erfreuen zu können; aber Manches, was auf diese kaiserliche Majestät sich bezog, gehörte mit zu den besondern Privilegien Nürnbergs, und auf deren Bewahrung hielt die Stadt mit eigensinniger Unverbrüchlichkeit. Dazu gehörte das Recht, die Reichskleinodien in der Heiligengeistkirche aufzubewahren, und die Verpflichtung jedes Kaisers seinen ersten Reichstag in Nürnberg zu halten. Dadurch eben, daß sie den Kaiser selbst zuweilen in ihrer Mitte hatten, daß er bei ihnen Wohnung[127] nahm, an ihren Festen sich betheiligte, mit den Rathsherren zechte und mit ihren schönen Frauen tanzte, fühlten sie sich stolz in ihrem Rechte, keine Mittelsperson zwischen sich und ihm nöthig zu haben, denn mit den einzigen, die es etwa gab, den Grafen von Zollern und Brandenburg, die sich auch Burggrafen von Nürnberg nannten, hatten sie ewige Streitigkeiten über unklar bestimmte Gerechtsame.

In der That waren diese Verhältnisse sehr verwickelter Art. Auf der Veste von Nürnberg hatte ein Burggraf seinen Sitz, der als kaiserlicher Statthalter das Landgericht über das außerhalb der Stadt gelegene nürnbergische Gebiet zu hegen hatte. Schon seit langer Zeit waren die Burggrafen zu Nürnberg aus der Familie der Zollern und Abenberg. 1427 verkaufte Markgraf Friedrich von Brandenburg die Ruinen der Veste Nürnberg (die Ludwig der Bärtige 1420 in einer Fehde mit dem Burggrafen Johann hatte niederbrennen lassen, wobei die Nürnberger zwar nicht direkt, aber indirekt betheiligt waren, indem sie »still saßen« und nicht löschen halfen) mit ihrem Zubehör und Gerechtsamen an die Stadt Nürnberg. Der Kaiser Sigismund bestätigte den Kauf und belehnte die Stadt mit den vom Burggrafen abgetretenen Rechten. [128] Dadurch glaubten die Nürnberger, welche die Veste wieder aufbauten, einen großen Vortheil erlangt zu haben. Aber dieser Handel war nur die Quelle neuer Streitigkeiten mit dem unruhigen Nachbar. Das Burggrafenthum Nürnberg theilte sich früher in zwei Linien: in die Fürstenthümer Baireuth oberhalb Gebirgs undAnspach unterhalb Gebirgs. Beide Linien vereinigte Markgraf Albrecht Achilles (er hatte diesen Beinamen wegen seiner Schönheit und Ritterlichkeit) von Brandenburg-Anspach, der Nürnberg heftig bekämpfte und ihm in acht Schlachten den Sieg abgewann. Er starb 1486 in Frankfurt, als Max I. zum König gekrönt ward, und sein Sohn Friedrich der Aeltere ward sein Nachfolger.

Dies war der Markgraf Friedrich von Brandenburg, der jetzt sammt seinen Mannen mit dem deutschen Reichsheer nach den Niederlanden gezogen war, als Max auf der Kranenburg zu Brügge gefangen saß. Jetzt war er mit auf dem Reichstag zu Frankfurt, und ward nun auf der Veste mit dem römischen Könige erwartet.

Ueberall waren die glänzendsten Vorbereitungen zu seinem Empfange getroffen worden. Fast schien es, als habe man den ganzen Reichsforst geplündert, die Stadt [129] in einen Garten mit grünen Bäumen zu verwandeln. Hinter dem Thor, durch das er kommen mußte, war eine Ehrenpforte mit zierlich in Holz geschnitzten Spitzbogen erbaut und zeltartig mit prachtvollen, in Nürnberg selbst gewebten Stoffen in den drei Farben des deutschen Reichs überkleidet. Dazwischen waren auch die Stricke verborgen, an welchen kleine Kinder schwebten, die an ihren weißen Kleiderchen goldene Flügel hatten und sich, wenn sie auch Engel vorstellen sollten, in ihrer gefährlichen Lage keineswegs wie im Himmel befinden mochten. Zwei der schönsten Jungfrauen standen oder schwebten vielmehr auch nur auf hohen Piedestalen zu den Seiten dieses kleinen gothischen Baues. Die tadellosen Gestalten waren nur wenig von dünnen, flatternden Gewändern und Blumenguirlanden verhüllt und trugen goldene, blumengefüllte Füllhörner, deren Inhalt auf den Erwarteten zu schütten. Andere, minder anstößig gekleidete Mädchen standen zum Blumenstreuen bereit. Der Magistrat hatte sich in glänzender Amtstracht auf dem Rathhaus versammelt, dem König entgegenzuziehen. Voran die beiden Loosunger Hans von Tucher und Wilhelm Holzschuher, dann die drei obersten Hauptleute, die sieben älteren Herren, alle Bürgermeister und Schöppen, der ganze große und [130] kleine Rath, darunter auch Christoph Scheurl, sein Schwiegervater Martin Behaim und Gabriel Muffel. Auch die Genannten und Patriziersöhne hatten sich eingefunden, im Reichthum einer ausgesuchten Tracht einander gerade so wie die Frauen überbietend, und unter ihnen war es Stephan Tucher gelungen, sich am meisten hervorzuthun. Alle Zünfte mit ihren Fahnen standen bereit, die Meister voran, gefolgt von dem langen Schweif der Gesellen und Lehrlinge. Auch die Steinmetzen der Nürnberger Baubrüderschaft fehlten nicht, der blonde Hieronymus trug ihre Fahne und hielt sie hoch empor, damit sie mit den goldenen Zirkeln auf strahlendem Himmelblau dem König entgegenwinke, der schon einst auf einem Hüttentag zu Wien sich selbst als Mitglied der Bauhütte hatte aufnehmen lassen und ein Baubruder geworden war. Von allen Häusern zogen sich grüne Festons über die Straßen oder unter den Fenstern hin, aus vielen derselben hingen kostbare Teppiche nach venetianischer Sitte, welche man hier so gern nachahmte, und im gewähltesten Putz schauten die Frauen daraus hervor. Durch die Straßen, durch welche der Zug kommen mußte, drängte sich die Menschenmenge Kopf an Kopf, kaum in Schranken gehalten von den Rathsdienern, Stadtschützen und Bütteln, die seit einem [131] Jahrzehent mit Wehren versehen worden waren, um sich mehr Respekt verschaffen zu können.

Ein dreimaliger Stoß in ein großes Horn auf der Veste, das Kaiser Friedrich bei seiner letzten Anwesenheit daselbst hatte anbringen lassen, das seitdem aber außer Gebrauch gekommen, gab endlich das Zeichen von der Ankunft des Ersehnten. Alles gerieth in Bewegung, selbst die Rathsherren auf dem Rathhaus, die Züge ordneten sich, die Volkshaufen auf den Straßen machten den Stadtschützen immer größere Noth, und die Frauen legten sich so weit aus den Fenstern, daß man von manchen fürchten konnte, sie möchten gar hinausfallen.

Der Zug kam nicht durch die Straße, in welcher Ursula wohnte, darum war sie zu Elisabeth gegangen. Da standen sie wieder Beide in dem zierlichen Chörlein, von dem aus sie so bequem auf die Straße sehen konnten und den Ankommenden gerade in's Gesicht. Sie hatten die großen Fenster ganz geöffnet und wurden so auch hier mehr gesehen, als an jedem andern Platz. Unwillkürlich lenkten sich schon alle Blicke nach dem überhaupt noch ganz neuen und darum ganz blank aussehenden Hause, an dem auch jetzt sein Besitzer nichts gespart hatte, die bleibende Pracht desselben noch durch nur auf diesen Tag berechneten Schmuck zu erhöhen. [132] Um die durchbrochene Arbeit an dem Chörlein noch schöner hervortreten zu lassen, waren Blumen dahinter angebracht, und durch Grün und Blumen das Ganze in einen Blumentempel verwandelt. Die Fenster waren ausgehoben und nur die oberen buntgemalten Bogenfenster strahlten im Sonnenglanz, golddurchwirkte Teppiche deckten die Brüstung, und hinter dieser standen die beiden Damen, Ursula in zartes Rosa gekleidet, Haar und Kleid mit weißen Rosenguirlanden geschmückt, und Elisabeth in grünen golddurchwirkten Brokat von auffallendem Schnitt nach portugiesischer Art. Ein dünner Schleier war durch ein funkelndes Stirnband gehalten und gleiche kostbare Steine in Gold gefaßt glänzten an ihren weißen Armen und ihrer Brust.

Wohl Wenige zogen vorüber, ohne einen Blick auf die beiden mehr als alle andern sichtbaren Schönheiten zu werfen, und sowohl vor ihnen als vor der Gattin des hochangesehenen Christoph Scheurl neigten die Fahnenträger ihre Fahnen; selbst Hieronymus that es und flüsterte dem neben ihm gehenden Ulrich zu:

»Das ist nicht nur die schönste, sondern auch die aufgeklärteste Frau in Nürnberg.«

Unwillkürlich weilten Ulrich's Augen mit ihrem begeisterten Ausdruck lange auf der schönen Frau, so daß [133] diese halb von einem höhern Gedanken entzündet, halb von dem ihr zuweilen eigenen Muthwillen erfaßt, eine weiße Rose aus einem für den König bereitgehaltenen Blumenkorb nahm und sie gutzielend in Ulrich's Gesicht warf, indem sie zu Ursula lächelnd sagte:

»Ich bin eine begeisterte Anhängerin dieser Baubrüder, und ärgere mich doch über sie, daß sie keine Frauen unter sich dulden. Ich glaube, dieser hübsche Geselle mit der stolzen Haltung verdient schon eine Strafe, daß er mich seines Blickes gewürdigt.«

»Und Du giebst sie ihm selbst durch diese Handlung oder verdoppelst sie, indem Du die Aufmerksamkeit auf ihn lenkst?« sagte Ursula erschrocken und vorwurfsvoll.

Ulrich hatte indeß die Rose aufgefangen und antwortete mit einem stolzen verweisenden Blick. Die Rose aus profanen Frauenhänden annehmen mocht' und durst' er nicht, und gleichwohl mochte er sie auch nicht zertreten lassen. Er warf sie auf gut Glück zur Seite unter die Volksmenge.

Elisabeth's Augen flammten. Das war ihr noch nicht begegnet, daß ein Mann, der eine Blume von ihr empfangen, dieselbe weggeworfen.

Ursula sagte: »Sieh dort das hübsche kleine Mädchen mit den schwarzen Zöpfen, das Deine Rose aufgefangen [134] und jetzt mit glücklichem Lächeln sich ansteckt?«

»Welcher Schimpf!« rief Elisabeth und starrte das kleine Mädchen an, als habe sie ein Gespenst gesehen. Es war wirklich ein hübsches Kind von etwa fünfzehn Jahren, mit braunen Feueraugen und schwarzen glänzenden Zöpfen. Ihr Anzug von braunem Schetter zeigte nichts Auffallendes, als ein paar gelbe Streifen an den Aermeln. Diese Streifen, die Ursula übersehen, erblickte Elisabeth, und sie waren die Ursache ihres Entsetzens. Daran erkannte sie, daß ihre Rose in die Hand eines Judenmädchens gekommen, denn der Rath, welcher die Juden, des Reichs Kammerknechte haßte, und am liebsten ganz aus der Stadt verbannen wollte, war vor Kurzem auf den Einfall gekommen, sie durch besondere Abzeichen an der Kleidung kenntlich zu machen, damit nicht ehrbare Christenmenschen Gefahr liefen, mit den als unehrlich betrachteten Juden in Berührung zu kommen. So war den Jüdinnen jetzt aufgegeben worden, als Kennzeichen gelbe Streifen an den Aermeln zu tragen. Nur die außerordentliche Gelegenheit und das Volksgedränge, in dem man mehr auf die Züge als aufeinander blickte, waren wohl die Ursache, daß dies Judenmädchen unbemerkt geblieben und unter der Menge geduldet worden war.

[135] Fand nun schon Elisabeth die bitterste Kränkung darin, daß der Baubruder, der ihr Interesse erregte, ihre Rose wegwarf, so empfand sie es als Schmach, daß sie nun in den Händen einer Jüdin war, die sie, unbeschadet ihres Rufes »die aufgeklärteste Frau von Nürnberg« zu sein, auf's Tiefste verachtete und sich vor jeder Gemeinschaft mit ihnen entsetzte. Und wenn nun gar der Baubruder das mit Absicht gethan? war das nicht ein viel größerer Hohn für sie, als wenn er die Blume selbst unter seine Füße geworfen?

Ursula dachte wie die Freundin und bedauerte sie – aber sie hatte nicht Zeit diesem Gedanken nachzuhängen, da eben die Rathsherren unten vorüberzogen und Herr Hans von Tucher einen prüfenden Blick auf sie warf, unter dem sie zitterte wie Espenlaub. Es würde dies wohl weniger der Fall gewesen sein, wenn sie gehört hätte, wie der alte Herr zu seinem Begleiter sagte:

»Die Jungfrau Muffel ist wirklich ein holdes Kind, und ich kann es meinem Sohn nicht verdenken, daß er in sie verschossen ist – wäre sie nur nicht eine Muffelin, nichts weiter sollte mich kümmern.«

»Ja,« antwortete Herr Holzschuher, der seine alten Augen auch gern anstrengte, wenn es nach schönen[136] Frauen zu blicken gab: »Sie gefällt mir in ihrer sittigen Art auch besser, als die Scheurlin, die vor Hochmuth nicht weiß, wie sie sich geberden und kleiden soll, um nur ja den Leuten zu zeigen, wie reich und schön sie ist. Was aber Euren Sohn betrifft, so riethe ich Euch doch, ihn bald wieder fort zu schicken, denn wenn er seine Geliebte oft so sieht, so ist er nicht der Mann, auf Euer Gebot hin sich von ihr abbringen zu lassen.«

»Freilich,« antwortete der Vater; »mein Sohn ist kein Tugendspiegel, und hat wohl schon bei manchem hübschen Kinde sein Heil nicht vergeblich versucht, indeß ist die Muffelin selbst ein Muster von Zucht und Ehrbarkeit, und darauf trau' ich. Aber Ihr habt' Recht, es ist besser, der Stephan geht wieder aus Nürnberg, und sieht er wo anders schöne Frauen, so wird er sich auch zu trösten wissen.«

Als Herr Scheurl an seinem Hause vorüberkam und wohlgefällig lächelte, wie schön sein Haus und wie noch schöner seine Hausfrau sich ausnehme und Aller Blicke auf sich ziehe, konnte er sich nicht erklären, warum sie so verstört hinabstarre – aber jetzt bemerkte sie ihn und zwang sich zu einem Lächeln.

Ursula dachte indeß nicht mehr an den alten Tucher, sondern spähete nach dem Sohn. Nur um seinetwillen [137] weilte sie hier, nur um seinetwillen hatte sie sich geschmückt, nur um ihn zu sehen und von ihm gesehen zu werden. Was galt ihr denn der König? was alle die Edlen, die mit ihm kamen, und alle diese Leute, die festlich vorüberzogen? Sie dachte nur an Stephan, und nur der Augenblick, in dem er vorüberschreiten werde, war ihr der ersehnte. Sie hatte ihn seit dem Wiedersehen in diesen selben Räumen immer nur flüchtig gesehen auf der Straße oder in der Messe und von sich entfernt zu halten gewußt. Auf diesen Tag hatte sie ihn vertröstet. Freilich nicht nur auf diesen Moment, sondern auf die Festlichkeiten, die man dem König zu Ehren veranstaltete, bei denen doch Niemand von den Geschlechtern fehlen dürfe und sich Gelegenheit finden werde zusammen zu sprechen und zu tanzen. Als Stephan mit zärtlichen Liebesblicken vorübergegangen, zog sich Ursula ein Weilchen vom Fenster zurück – nun gab es ja Nichts mehr für sie zu sehen.

Aber jetzt tönte das Horn von der Veste wieder und schmetternde Trompetensignale, und das damit sich vermischende, von fern her tönende Vivatrufen der bewillkommenden Menge verkündigte, daß der König die Stadt betreten und daß die ersten Begrüßungen stattfänden.

[138] Nach einiger Zeit kam derselbe Zug wieder vorüber – aber Rosseshufe erschallten dabei, denn der König mit seinem Gefolge war in seiner Mitte.

Sein Anblick schon, seine ritterliche Art und sein freundliches Wesen hatten alle Herzen gewonnen. Ohnehin freute sich die versammelte Menge um so mehr seiner Ankunft, als sie recht eigentlich nur ein Besuch für Nürnberg war und er damit die Stadt nicht nur pflichtgemäß bei Gelegenheit eines Reichstags beehrte, sondern einzig und allein ihretwegen kam. Dazu kam auch, daß fast die ganze lebende Generation keinen andern Kaiser als den nun siebzigjährigen Friedrich III. gesehen und seiner nachgerade überdrüssig geworden war. Ein ganz anderes Ereigniß war da denn doch der Einzug dieses ritterlichen Sohnes und künftigen Kaisers, auf den das Reich so große Hoffnungen setzte, zumal gerade jetzt, wo die niederländischen Händel endlich beendigt waren wie sein Kampf mit Frankreich, und er nun einzog als ein ruhmwürdiger, sieggekrönter Held und, was bei den Nürnberger Kaufleuten die Hauptsache war, nicht mehr als ein König ohne Land und Einkünfte, schon im Besitz der Niederlande und Tirols, und im Begriff, seine Habsburgischen Erblande sich wieder zu erobern. Wußte man doch, daß er in allen [139] Stücken der entschiedenste Gegensatz seines trägen, thatenscheuen, geizigen, immer nur die unmittelbarsten Vortheile berechnenden Vaters war, daß er viel mehr Geist und Herz von seiner Mutter, der schönen und heldenmüthigen Eleonore von Portugal geerbt hatte, die ihm leider schon 1467 im erst vollendeten dreißigsten Jahre entrissen ward. Ritterlich bis zu abenteuersüchtiger Kühnheit, freigebig bis zur Verschwendung, voll Begeisterung für die große Vergangenheit des Kaiserreiches schwärmte er in dem Gedanken einer Wiedererneuerung des alten Glanzes desselben, und war so ganz ein Mann nach dem Herzen des deutschen Volkes, das in seinem bessern Theil auch die Einheit des Reichs erstarken und durch eine achtunggebietende Gestalt vertreten zu sehen wünschte.

Da erschien er nun hoch zu Roß in blitzender Rüstung von blankem Stahl mit goldenen Verzierungen. Darüber den purpurnen Sammtmantel mit goldener Strickerei und Hermelin besetzt, auf den goldenen Locken den blitzenden Helm mit wehenden Federn. Er war von ansehnlicher Größe, stark und schön gebaut, und eben jetzt in der Blüthe des Mannesalters von dreißig Jahren, in Kraft und Vollendung strahlend. Sanft gebräunt war sein Antlitz von den Strapazen im freien [140] Felde, aber seine Wangen blühten in dem frischen Roth der Gesundheit. Unter der startgewölbten Stirn glühte aus seinen blauen Augen ein liebliches Feuer und die Adlernase hatte einen gebietenden Ausdruck. Ein blonder Bart umfloß ringsum die purpurnen Lippen.

Nach allen Seiten winkte und grüßte er freundlich, nur auf ihn weilten alle Blicke, und die Jubelrufe, welche ihm zutönten, waren ein unwillkürlicher Erguß des Beifalls und der Begeisterung, die sein Anblick hervorrief.

Als er an Elisabeth's Chörlein vorüberkam, bog sich diese weit aus demselben heraus, und indeß sich die Damen an andern Fenstern begnügten mit ihren Tüchern zu wehen, warf sie dem ritterlichen König Blumen entgegen. Sie sollten zu den Füßen seines Rosses fallen, aber eine davon traf an das Ohr des edlen Thieres, daß dasselbe darüber scheu werdend hoch aufbäumte – Elisabeth stieß einen Schrei aus – da sah sie, wie ein Reiter, der zunächst hinter dem König geritten, in abenteuerlich bunte Tracht gekleidet und mit einem jener wunderlichen Gesichter, die bald wie die harmloseste Gutmüthigkeit, bald wie die schalkhafteste Bitterkeit aussehen, zu ihm sprengte und dem Pferd in die Zügel fallen wollte. Max lachte über dies Beginnen [141] und hatte es selbst schnell gebändigt, indeß sein Begleiter, der niemand Anders als sein treuer Freund und Hofnarr Kunz von der Rosen war, das Pferd von den an ihm haften gebliebenen Blumen befreite und das Schalksgesicht auf Elisabeth gerichtet, dem König einige Bemerkungen über sie zuflüsterte, die vielleicht nicht ganz zarter Natur waren. Aber Max lächelte zu ihr hinauf und neigte sein Schwert vor ihr, nahm die Blumen aus der Hand des Narren und mit ihnen dankend zu ihr emporwinkend steckte er sie an sein Schwertbehänge.

Elisabeth neigte sich tief vor dieser königlichen Huldigung – durch sie fand sie die Schmach, die sie sich vorhin angethan wähnte, wieder gesühnt; wenn dieser königliche Held sich dankend mit ihren Blumen schmückte, dann mochte immerhin der arme Steinmetzgeselle sie verächtlich bei Seite werfen! Aber sie war noch eben so verwirrt von dem Schreck über das bäumende Roß, wie von der Ehrenbezeugung des Königs, wie dessen ganzer herrlicher Erscheinung, daß sie nur ihm unverwandt die Blicke ihrer Feueraugen nachsandte; so bemerkte sie auch den Gruß des Markgrafen Friedrich von Brandenburg nicht, und nur Ursula verneigte sich vor ihm. Er ritt gleich hinter Max und [142] trug einen kurzen Sammetrock, roth, grau und weiß getheilt, eben so die Aermel, darüber einen kurzen grauen Sammetmantel mit roth und goldener Stickerei. Seit er nicht hier gewesen, war das schöne Scheurl'sche Haus neu entstanden, und er widmete ihm darum seine besondere Aufmerksamkeit. So hatte Elisabeth auch für die andern Ritter und Herren kein Auge, die im Gefolge des Königs waren, obwohl jetzt um so mehr aller Blicke auf ihr ruhten, seit sie dessen Huldigung in so auffallender Weise empfangen und allerdings in gleich auffallender Weise herausgefordert. Unter diesen Rittern befand sich einer ganz in schwarzen Sammet mit Silberstickerei gekleidet, den es nicht minder als Markgraf Friedrich zu verdrießen schien, daß Elisabeth ihn nicht gewahrte. Sein Gesicht sah ziemlich bleich und wüst aus, und in seinen dunklen Augen schien ein unheimliches Feuer zu drohen. Einen solch' unheimlichen Eindruck machte er überhaupt auf Ursula.

Zu ihr sagte Elisabeth, als Alles vorüber war: »Ursula! das ist der einzige schöne Mann, den ich je gesehen – er verdient es zu herrschen! – Das war seit langem der erste glückliche Augenblick!«

Elisabeth's ganzes Wesen war in solcher Aufregung, daß Ursula sie erstaunt betrachtete; aber sie vermochte [143] nicht weiter mit ihr zu sprechen, denn eben stürmte Stephan in das Zimmer, der eine günstige Gelegenheit gefunden, sich aus dem Getümmel fortzuschleichen, da er der Versuchung nicht widerstehen konnte, sich wenigstens auf Augenblicke der holdseligen Geliebten zu nähern.

[144]

Siebentes Capitel
Auf der Hallerwiese

An dem Tage, an welchem König Max angekommen, ward auf der Hallerwiese von den Bürgern ein großes Büchsenschießen gehalten, zu dem man ihn eingeladen. Ein großes kostbares Zelt war für ihn und Markgraf Friedrich wie die begleitende Ritterschaft aufgeschlagen worden. Zu beiden Seiten desselben befanden sich die größern Zelte des Rathes und der Familien der »Genannten«. Ringsum hatten die Zünfte ihre Fahnen aufgesteckt, die stolz und lustig über den Platz hin wehten, in dessen Mitte eine zahllose Menschenmenge sich bewegte und auf die mannigfaltigste Weise ergötzte.

Immer aber war König Max der Mittelpunkt des Festes. Auch noch ehe er selbst auf der Wiese erschienen war, hörte man doch nur von ihm allein erzählen und Bemerkungen über ihn machen, die nur zu seinem [145] Lobe waren, selbst von denen, die sich sonst noch wenig um ihn gekümmert oder von ihm erwartet hatten. Das war bei den guten Nürnbergern doch nur so lange der Fall gewesen, als er sich nicht um Nürnberg kümmerte: nun aber war er ja gekommen, nun hatten sie ihn in ihrer Mitte, nun war er auch gut nürnbergisch, und die ritterliche und leutselige Art seines Wesens verstärkte nun den günstigen Eindruck, den sein Kommen schon an sich hervorgerufen.

So sagte Peter Vischer, der Rothgießer, der heute auch nicht in der Arbeitsschürze, sondern im Sonntagsrock erschien, zu seinen Begleitern, unter denen er der jüngste war:

»Ja, das ist ein Kaiser, der noch mehr gelernt hat, als die Waffen führen und schöne Reden auf den Reichstagen halten. Der versteht seine Waffen nicht blos zu schwingen wie ein Fechtmeister, seine Stücke nicht nur zu richten und abzuschießen wie der beste Büchsenmeister, sondern würde zur Noth auch seine Schwerter und Lanzen, Helme und Panzer selber fertigen und seine Stücke selber gießen können; denn in seiner Jugend hat er die Plattnerei und Harnischmeisterei, die Geschütz- und Lagerkunst lernen müssen, als sei er selbst zum Handwerker berufen.«

[146] »Ja,« stimmte der Steinmetz Adam Kraft bei, ein schon etwas älterer Mann mit klugen Augen unter der breiten Stirn, Haar und Bart von Natur gekräuselt; »die Steinmetzerei und Zimmerei hat er auch gelernt, und ist so absonderlich für die Baukunst eingenommen, daß er sogar selbst ein Baubruder geworden. Noch kein so großer Potentat hat das bisher gethan.« Wenn Meister Kraft so viel sprach, so war es ein Zeichen, daß es ihm sehr von Herzen ging, denn er war immer ein Mann von wenig Worten, kurz angebunden, und konnte es nicht leiden, wenn von irgend einer Sache viel gesprochen ward.

Darum sagte auch der Bildschnitzer Veit Stoß, ein Pole, der erst im kräftigsten Mannesalter von Krakau nach Nürnberg gezogen war, weil man da seine Kunst besser als in seiner Heimath zu schätzen verstand: »Ei, wenn Meister Kraft einmal so in Eifer geräth, da muß es freilich etwas Großes sein.«

Und der vierte Gefährte, Sebastian Lindenast, ein kunstreicher Kupferschmied, bemerkte: Ja, wenn ich König Max früher gesehen, hätte ich wohl ihn noch lieber als den Kaiser Karl IV. in Kupfer konterfeien mögen.«

[147] »Ach, Ihr meint bei dem zierlichen ›Männleinlaufen‹ zu der Uhr des Meisters Georg Heuß, dem Ihr die Männlein so schön in Kupfer getrieben habt,« sagte Peter Vischer. »Ich meine, es wird dem König absonderlichen Spaß machen, wenn er das zum ersten Male sieht. Ich wollte, Ihr selbst und Meister Heuß wäret dabei, wenn man den Kaiser vor den Thurm der Liebfrauenkirche führt und ihn nun bittet aufzupassen. Der wird nicht wenig schauen, wenn eine Stunde um ist, und Kaiser Karl tritt heraus, dann die sieben umgehenden Kurfürsten, dann der Ehrenhold, die vier Posauner, und endlich die zwei Männlein, davon das eine läutet und das andere die Uhr umwendet.«

»Freilich mußte es Kaiser Karl IV. sein,« sagte Lindenast, »da er es war, der dies Gotteshaus ›Unserer lieben Frauen Saal‹ gestiftet. War er doch auch ein großer Freund der Kunst, wenn schon sein Geschmack sich zuweilen von der guten deutschen Art entfernte, das italienische und antikische Wesen begünstigte.«

»Nun, wer weiß, ob ihm das Vischer nicht nachmachen will,« lächelte Kraft, »er will ja auch nach Italien gehen.«

»Ja, dahin zieht es mich nun einmal,« gestand dieser; »man muß sich in der Welt umsehen, wenn man[148] was Tüchtiges lernen will, und gerade dahin gehen, wo es auch große Werke und Künstler giebt, damit man sich nicht einbildet, man leiste schon was Rechtes. Ich habe nur noch gezögert, um den König hier nicht zu versäumen, dann mache ich mich gleich auf die Wanderschaft. Aber um wieder auf Euer Männleinlaufen zu kommen: es ist schade, daß die Figuren kupfern und nicht versilbert oder vergoldet sind. Wenn dem König Euer Werk gefällt, so riethe ich Euch das Eisen zu schmieden, weil es warm ist, und den König um ein Privilegium zu bitten, Eure Arbeiten künftig versilbern und vergolden zu dürfen, wenn es Euch beliebte.«

»Ich habe auch schon daran gedacht,« sagte Lindenast.

Indeß ward dies Gespräch durch lautes Vivatjauchzen unterbrochen, denn der König Max, von seinem von ihm unzertrennlichen Hofnarren, dem Markgrafen Friedrich und vielen Rittern begleitet, war gekommen. Aber er weilte nicht lange in dem für ihn bereiteten Zelte, sondern mischte sich unter die Büchsenschützen und schoß mit ihnen um die Wette, als gehöre er mit zu ihrem Verein. Da war nun unter dieser wieder Keiner, der nicht darauf geschworen hätte: das sei der[149] trefflichste Fürst, der je auf den Kaiserstuhl zu Rense gesetzt worden.

Freilich am ärgsten fast trieben es die Frauen und Mädchen, die einfachen Bürgerinnen so gut wie die vornehmen Patrizierinnen. Er grüßte jene wie diese, und während die ersteren den Kreis der Schießenden umdrängten, in deren Mitte sich der König befand, kamen auch die letzteren, die sich sonst immer abgesondert hielten, aus ihren Zelten hervor. Sie konnten ja heute einmal eine Ausnahme machen, und wenn der König selbst sich unter die zünftigen Bürger und den gemeinen Haufen mischte, so geschah auch ihrer Ehre kein Abbruch, wenn sie das Gleiche thaten.

Herr Christoph Scheurl ließ es sich diesmal nicht nehmen, selbst den Cavalier seiner Gemahlin zu machen. Er wußte, er werde so am ersten von den hohen Personen und dem Könige bemerkt werden – und daran lag ihm Alles. Denn zu den Dingen, um die er Hans von Tucher beneidete, gehörte auch, daß derselbe in den Adelstand erhoben worden war und ein adeliges Wappen führen durfte. Danach gelüstete Scheurl, und er trachtete nach jeder Gelegenheit, die ihm eine Möglichkeit verschaffen könnte, auch zum Ritterschlag zu gelangen. Um sich hervorzuthun, hatte er sein Haus so schön [150] schmücken lassen, und auf die seiner Gemahlin widerfahrene Huldigung war er nicht minder stolz als diese selbst, ja er war entzückt über ihren Einfall, den König mit Blumen zu werfen, obwohl es genug seiner Collegen gab, die ihn darum gegen seine Ehegattin aufhetzen wollten, oder ihm wenigstens ihr Betragen mit zweideutigen Späßen entgelten ließen. Auf Alles, was man ihm in dieser Weise sagen mochte, erklärte er lächelnd: daß ihm solche Reden nur zeigten, wie sehr man ihn beneide die schönste Frau zu besitzen, und er ging heute mit um so größerem Stolz an ihrer Seite, und obwohl sie sich sonst des Tages oft mehrere Male umzukleiden pflegte, so billigte er es, daß sie gerade heute es nicht gethan – in derselben Tracht werde der König sie um so eher wieder erkennen und vielleicht einige freundliche Worte an sie richten. Stolzer als je strahlte auch Elisabeth selbst in ihrer gebietenden Schönheit, als sie so über die Wiese ging, die lange Schleppe hinter sich herziehend, umflattert vom wehenden Schleier.

Aber wenn unwillkürlich die Blicke aller Männer an ihr haften blieben und sie doch mehr bewunderten als bespöttelten, so war das umgekehrt mit den Frauen, wenigstens bei dem größeren Theil der ihr ebenbürtigen [151] Patrizierinnen. Die ließen sich hinter ihrem Rücken in vielen spöttischen und anzüglichen Reden vernehmen, und suchten sie unter sich um so tiefer zu erniedrigen, als sie sich selbst über diese ungebildeteren, kleinlichen und engherzigen Frauen erhaben fühlte. Am spitzigsten lauteten die Bemerkungen, die aus dem Munde Katharina Haller's kamen, der Gattin des Bürgermeisters Wilhelm Haller und einer Tochter des Loosungers Holzschuher. Vor länger als einem Jahrzehent hatte sie zu den gefeiertsten Schönheiten Nürnbergs gehört, und es war ihr jetzt unerträglich, diesen Platz Anderen überlassen zu müssen. Ohne den Adel eines geistigen Ausdruckes hatte ihre Schönheit zu jenem gewöhnlichen Typus gehört, der nur durch Frische und Fülle der Jugend Reiz erhält – dies Alles war jetzt verschwunden, und hatte sie früher schon auf prüfendere Beschauer auch in ihrer Blüthezeit nur einen gewöhnlichen Eindruck gemacht, so machte sie jetzt, da jene vorüber war, auf Alle einen gemeinen. Ihre sonst eitel lächelnden Gesichtszüge erschienen jetzt von Neid und Bitterkeit verzerrt, aus ihren großen Augen meinte man giftige Pfeile fliegen zu sehen, und ihre Lippen schienen sich nie anders wie zu hämischen Bemerkungen öffnen zu können. Ihre Formen waren eckig geworden, wie alle[152] ihre Bewegungen, und ihre lange knochige Gestalt bemühte sich vergeblich eine würdevolle Haltung zu behaupten, es ward nur die einer steifen Gravität daraus. Ihre Kleidung war eben so kostbar wie die Elisabeth's, aber während diese dieselbe sinnig und geschmackvoll wählte und so reizend zu ordnen mußte, daß die Pracht derselben immer mit ihrer ganzen Erscheinung harmonirte und auch dem feinsten Schönheitssinne Rechnung trug, immer vielmehr ihrem eigenen idealen Geschmack als der gerade herrschenden Mode und Sitte folgte, so band sich Katharina Haller streng an diese, nur daß sie durch Ueberladung ihren Reichthum zu zeigen suchte.

Dem entsprechend waren jetzt ihre Bemerkungen gegen ihre Begleiter über Elisabeth und zum Theil von einer nicht wiederzugebenden Gemeinheit. »Was dünkt sie sich denn Besseres als wir, daß sie meint, sie allein könne sich Alles erlauben? Sie hätte sollen darüber zur Rechenschaft gezogen werden, daß sie sich heute unterstand nach seiner Majestät mit Blumen zu werfen und das Pferd scheu zu machen, daß es bald ein Unglück gegeben hätte; aber Alles muß ihr für voll ausgehen, es mag so unschicklich sein wie es will! Seht nur – sie drängt sich mit ihrem Manne gewiß noch [153] bis zum Könige. Ich wollte, er kehrte ihr den Rücken oder sagte ihr etwas recht Demüthigendes.«

»Das ist leider von dem ritterlichen Könige nicht zu erwarten,« sagte die andere Patrizierin, Eleonore Tucher, eine Schwägerin Stephan's; »mein Mann sagt, daß König Max ein Verehrer der Frauen ist, und man müßte nicht wissen, wie die Männer sind, auf dem Thron so gut wie anderswo, sie lassen sich am leichtesten von denen fangen, die ihnen mit freiem Betragen entgegenkommen. Da ist eher zu hoffen, daß sein Hofnarr ihr etwas Demüthigendes sagt.«

»Wenn man nur an ihn kommen könnte,« sagte Frau Haller, »denn wenn es ihr wieder gelingt, von diesem edlen König ausgezeichnet zu werden, wie sie es von dem alten Kaiser ward, als er das letzte Mal hier war und sie aufforderte, den Celtes öffentlich zu krönen, so wird ihr der Kamm immer noch höher schwellen.«

»Ach ja,« sagte Eleonore etwas boshaft; »ich erinnere mich, sie saß damals gerade neben Euch, und blieb erst sitzen, ohne sich zu rühren, indeß Ihr schon aufstandet, als der Bote des Kaisers kam sie abzurufen.«

Katharina hätte bei dieser Erinnerung vor Aerger bersten mögen, denn daß damals nicht sie, sondern Elisabeth zu der Krönung des Dichters hervorgerufen ward, [154] war die Hauptursache ihres Neides und Hasses. Aber sie erwiderte Nichts, denn eben steigerten sich diese Empfindungen zum höchsten Grad, als sie gewahrte, wie König Max aus dem Kreise der Schützen trat und einem seiner ritterlichen Begleiter winkte, und dieser darauf Christoph Scheurl und seine Gemahlin vor den König führte, sie ihm vorzustellen. Verstand die Entferntstehendere auch nicht, was er sprach, so sah sie doch an seinen huldvollen Mienen, die fast mehr bewundernd als gnädig auf Elisabeth ruhten, an ihrem mehrfachen Verneigen, zartem Erröthen und dem Lächeln des Triumphes, das ihr ganzes Antlitz verklärte, daß es nur Schmeichelhaftes sein konnte. Jetzt trat auch der lustige Rath hinzu, und obwohl Elisabeth vor seinen Worten die Augen niederschlug, so zeigte doch das beifälligstolze Lächeln ihres Gemahls, daß in dem Sprüchlein des Narren nur ein cynischer Scherz die für sie darin enthaltene Huldigung begleitet hatte, wofür ihm Max lächelnd mit dem Finger drohte und Elisabeth bat, seinem getreuen Bruder die Freiheit der Rede nicht übel zu deuten, die er selbst sich müsse gefallen lassen; worauf der Narr mit komischer Geberde Abbitte that, bis ihm Elisabeth die Hand reichte, die er demuthvoll küßte.

[155] Katharina stand stumm und sprachlos vor Wuth, während Eleonore ihren Gatten Anton Tucher in der Nähe Scheurl's gewahrte und sich zu ihm durchzudrängen suchte, um wenigstens auch der Ehre der Vorstellung theilhaftig zu werden, was ihr denn auch gelang, aber ohne daß der König sich weiter mit ihr unterhalten hätte, sondern Anton nach seinem Vater fragte, der auch zur Stelle war und seinerseits nun wieder seinen Sohn Stephan vorstellte.

Indeß war der Markgraf von Brandenburg zu Elisabeth getreten und sagte:

»Es gelang mir heute nicht einen Gruß von Euch zu erhalten, als ich an Euch vorüberritt, und als getreuer Vasall begnügte ich mich zu Gunsten Seiner Majestät darauf zu verzichten.«

»Verzeiht, edler Fürst,« unterbrach sie ihn; »ich war von der Verwirrung, die ich durch meine Unbesonnenheit beinahe angerichtet, so bestürzt, daß es wie ein Flor vor meine Augen sank.«

»Nun,« lächelte der Markgraf, »diese Entschuldigung will ich unsern Rittern vermelden, die mit mir in gleicher Lage waren, und von denen Einer sich nicht so leicht beruhigen wird.«

[156] Elisabeth sah ihn verwundert fragend an, und der Markgraf fuhr fort:

»Ich vermeine wohl die schöne Jungfrau Behaim wieder zu erkennen, die vor zwei Jahren den Konrad Celtes krönte – doch wußte ich nicht, daß es die Hausfrau Scheurl's war, die in dessen zierlichem Hause thronte gleich einer Feenkönigin. So waret Ihr es doch überdrüssig, nur die spröde Muse eines Poeten zu sein, und ich sehe Euch als gute deutsche Hausfrau wieder?«

Warum mußte Markgraf Friedrich, wenn auch vielleicht unwissend, Elisabeth gerade in dem Augenblicke so durch seine Anspielungen demüthigen, wo sie sich durch die Huld des ritterlichen Königs einmal wieder erhoben fühlte und ihr Herz in stolzer Begeisterung schlug? Ihre ganze Seelenstärke gehörte dazu, um ihre Bewegung zu verbergen, so daß sie ruhig sagen konnte: »Ihr seid sehr gütig, mich so in Eurem Gedächtniß behalten zu haben; es war ein großer Kummer für die Meinigen und meinen Gemahl, daß wir uns die Ehre Eurer Gegenwart nicht zu meiner Hochzeit erbitten durften, da ihr fern von uns in den Niederlanden weiltet.«

[157] »Nun,« lächelte der Markgraf, »es findet sich wohl eine andere Gelegenheit, von Euch zu einem Familienfeste geladen zu werden; wie ich Euch aus der Taufe hob, war ich freilich noch ein junger Mann, doch denk' ich auch jetzt noch einen stattlichen Taufzeugen abgeben zu können.«

Obwohl damals solche Scherze sehr an der Tagesordnung waren bei Vornehmen wie Geringen, erröthete Elisabeth doch unwillig, und da sie eben jetzt Ursula gewahrte, die verlegen zur Seite stand, weil sie sich unter den Augen der ganzen Familie Tucher befand, und deshalb um so weniger wagte mit Stephan Wort und Blick zu wechseln, so nahm sie Elisabeth bei der Hand und sagte:

»Vielleicht erinnert Ihr Euch noch meiner lieben Freundin Jungfrau Ursula Muffel?«

»Wenigstens von diesem Morgen,« antwortete der Markgraf, »denn von dieser holden Jungfrau fand mein Gruß Erwiederung. Wo ist Herr Gabriel, Euer Vater? Mich dünkt, ich sah ihn noch nicht.«

»Dort steht er –« sagte Ursula auf ihn deutend.

Und Elisabeth flüsterte leiser zu dem Markgrafen: »Ich empfehle ihn Eurer besonderen Gnade und werde Euch das Weitere schon noch erklären.« Nachdem sie[158] die Beiden einander genähert und mit feinem Takt eine Unterredung zwischen ihnen eingeleitet, nahm sie Ursula's Arm und sagte: »Mir wird so heiß und enge in dem Menschengewühl, lass' uns ein wenig abseits dort unter die Linden wandeln.«

»Ich kann es auch nicht mehr ertragen,« sagte Ursula, »und noch hab' ich kaum ein paar Worte mit Stephan zu wechseln gewagt.«

»Jetzt beginnt es dunkel zu werden, und die Dämmerung begünstigt alle Liebenden!« tröstete Elisabeth.

Und nicht lange wandelten sie allein unter den Linden, da gesellte sich Stephan zu ihnen. Nachdem er die ersten Zärtlichkeiten mit Ursula getauscht, sagte er: »König Max ist ein Mann nach meinem Sinn, was meinst Du, wenn ich ihm folge, mir auf eigene Hand in seinem Gefolge Ruhm und Ehr und den Ritterschlag erwerbe, und dann als Lohn für meine Dienste Nichts fordere, als daß der König unsere eigensinnigen Väter versöhne?«

»Das ist ein würdiger Entschluß!« rief Elisabeth, »so segensreich ist schon die Erscheinung eines wahren Helden – sie treibt auch Andere auf die Heldenbahn!«

Ursula sagte: »Ja, vertraue Dich ihm, er ist so ein[159] ganzer Mann und Held, und hat ja mit seiner Maria auch erfahren, was rechte Liebe ist!«

Elisabeth wollte das Paar nicht stören und zog sich wieder zurück. Um sich auszuruhen und ihren Empfindungen zu überlassen lehnte sie sich an eine der Linden, die ihre Zweige, sie fast verbergend, über sie breitete, wozu auch die grüne Farbe ihres Kleides beitrug.

Sie hatte die Augen halb geschlossen und hörte jetzt eine Männerstimme sagen: »König Max hat unsere Einladung angenommen, einem Zechentag in unserer Bauhütte beizuwohnen, und Propst Kreß hat den übermorgenden dazu festgesetzt. Gebe Gott, daß es ihm Ernst ist um die heilige Kunst.«

»Ich hoffe es!« antwortete der Andere mit der melodisch klangvollen Stimme, an der wir Ulrich erkennen. »Sein Geist, der in so vielen Fächern der Wissenschaft bewandert ist, wird auch die erhabene Lehre des Albertus Magnus in ihrer ganzen Herrlichkeit erfaßt haben, und diejenigen zu würdigen wissen, welche ihre geheiligten Lehrsätze im Stein zu verwirklichen suchen. Wird er uns nur ein Kaiser, der uns die alten Privilegien in Ehren läßt und sie zeitgemäß erweitert, so geschieht schon das Beste für uns, das wir begehren können, denn die deutsche Kunst ist das, was sie ist, [160] nicht geworden durch die Fürsten, sondern trotz ihnen – und wollte König Max den Einfluß, den er dadurch, daß er Baubruder geworden ist, auf die Bauhütten üben kann, je so weit gebrauchen, daß er in guter oder böser Absicht uns Vorschriften machen wollte: so wäre er kein rechter freier Maurer, und wir hätten die Pflicht, ihn aus unserem Bunde zu stoßen, seine Gemeinschaft zurück zu weisen. Als Fürst kann er für die Kunst nichts Besseres thun, als unsere Freiheiten bestätigen, uns schirmen gegen die Buchstabensatzungen der Pfaffen, wie gegen den Fürwitz der Profanen. Die göttliche Kunst selbst in ihrer Reinheit zu bewahren und höherer Vollendung entgegenzuführen – das ruht allein in den Händen der Künstler selbst.«

»Ich wollte, König Max hörte Dich selbst so sprechen,« sagte Hieronymus.

»Sollt' es ihm gefallen, mich etwas zu fragen,« sagte Ulrich, »so werde ich ihm nicht anders antworten, denn jedem andern Baubruder.«

»Herr Anton Kreß, unser Propst, der einmal sein besonderes Augenmerk auf Dich gerichtet, wird den König schon aufmerksam auf Dich machen,« sagte Hieronymus.

[161] »Wie es ihm gefällt,« entgegnete Ulrich; »übrigens aber hat die Theilnahme dieses Mannes für mich etwas Unheimliches.«

»Sage nur Geheimnißvolles,« verbesserte Hieronymus; »worin sollte das Unheimliche liegen? Er ist ein durchaus harmloser Charakter, wie mir scheint – ein Mann, der es zur Ehrensache anrechnet, sich das Ansehen zu geben, als habe er unsere Lehre bis in ihre ganze Tiefe erschöpft, und der vielleicht kaum das System des Achtortes von ihr behalten, der sich gern als Stifter erhabener Bauten einen Namen machen möchte, weil das zumal in Nürnberg so üblich, und den Glanz der ›Geschlechter‹ erhöht – der nebenher aber gern den Freuden der Tafel huldigt, dem Bachus opfert und nach schönen Frauen schielt.«

Elisabeth war kein Wort von dieser Unterhaltung verloren gegangen, denn alle ihre Sinne waren von ungewöhnlicher Feinheit, so auch ihr Gehör, und so auch sah sie jetzt trotz der Dämmerung, daß die beiden die Festtracht der Baubrüder trugen, wie sie dieselbe am Morgen gesehen, und es schien ihr wahrscheinlich, daß der eine von ihnen der Steinmetz war, von dem sie sich an diesem Morgen durch das Weg werfen ihrer Blume beschimpft hielt. Sie rührte sich nicht und ihre [162] Gegenwart blieb den Männern verborgen. Jetzt sah sie, wie eine kleine weibliche Gestalt ihnen nachgeschlichen kam, und sich ohne bemerkt zu werden, nur einige Schritte hinter ihnen hielt. Ihnen entgegen kamen zwei andere, noch knabenhafte Jünglingsgestalten.

»Sieh' da,« sagte Ulrich, »mein kleiner wackerer Freund Albrecht Dürer! Habt' Ihr heute auch einmal die dumpfe Werkstatt verlassen und seid von Meister Wohlgemuth's Knechten befreit?«

Albrecht schüttelte Ulrich herzlich die Hand. Der Steinmetz hatte Wort gehalten und ihn eines Tages in seiner Werkstatt besucht, und seitdem war es zuweilen geschehen, daß sie an Sonntagen einander gesehen, denn Ulrich fand Wohlgefallen an dem fleißigen, kunstbegeisterten Jüngling, und dieser wieder an Ulrich's Belehrungen, durch die er besonders seine geometrischen Kenntnisse vervollkommnete.

Er stellte diesem seinen Begleiter vor: »Das ist mein lieber Freund Willibald Pirkheimer, mit dem ich aufgewachsen, da wir in einem Hause wohnen.«

»Und woll't Ihr auch ein Maler werden?« fragte Ulrich den zartgebauten und fein gekleideten Jüngling, an dessen Haltung schon man den Patriziersohn trotz der Dunkelheit erkannte.

[163]

»Nein,« antwortete Willibald mit feinem Lächeln; »ich besuche die gelehrten Schulen, und wenn mein Freund Albrecht nicht mehr hier ist, so will ich nach Italien gehen, dort die Rechte studiren und mich mit den humanistischen Studien beschäftigen – dann meiner Vaterstadt und diesem edlen König Max dienen, der wohl Kaiser sein wird, wenn ich zurückkomme.«

»Und wie gefällt denn Euch der künftige Kaiser?« fragte Hieronymus die beiden, und zu Ulrich gewendet fügte er hinzu: »Man muß das nachwachsende Geschlecht befragen, denn dem gehört ja doch die Zukunft!«

»In diesem Augenblick,« sagte Pirkheimer feierlich, »habe ich ihm Treue bei mir selbst geschworen! Alles, was ich von ihm gehört und gelesen, hatte mich schon mit Bewunderung erfüllt, aber das wirkliche Begegnen hat sie noch tausendfach gesteigert!«

»Und ich,« sagte Dürer eben so feierlich, »habe eben geschworen, ihn einst zu konterfeien, und Gott gebeten, daß es ihm gefalle, mir einen rechten Maler werden zu lassen, damit mir das wirklich vergönnt werde!«

»Der König kann zufrieden sein,« sagte Ulrich, »denn aufrichtig ist die Begeisterung der Jugend.«

Elisabeth hatte jetzt um so aufmerksamer zugehört, als sie über den König Aeußerungen vernahm, die ihr[164] selbst so ganz ähnlich hätten entströmen mögen, und sie, durch Ursula auf Meister Wohlgemuth's hübschen Lehrling aufmerksam gemacht, sich diesen gemerkt hatte, da er ja auf einer Straße mit ihr wohnte und auch nie verfehlte, im Vorübergehen an dem schönen Hause Herrn Scheurl's hinaufzugrüßen, wenn er Jemand am Fenster gewahrte. Auch der zarte Willibald Pirkheimer war ihr kein Fremder, denn seine Eltern gehörten mit zu den »Genannten« und waren den Behaim und Scheurl's befreundet, so auch Willibald's zwei Schwestern, Charitas und Clara. Während dem hatte sie nicht bemerkt, daß der schwarzgekleidete Ritter, der auch diesen Morgen unter ihrem Fenster vorüber ritt, ohne von ihr gesehen zu werden, ihr ganz nahe geschlichen war und jetzt ihren Arm erfassend sagte:

»Hoffentlich erkennt Ihr mich im Dunkeln, da es heute früh im Sonnenglanze nicht geschah?«

Sie fuhr entsetzt zusammen, als habe sie einen Geist gesehen, und wollte sich sprachlos vor Schrecken von ihm losmachen. Er hielt sie fest und sagte:

»Du sträubtest Dich ja sonst nicht, Elisabeth? Ich kam mich mit Dir zu versöhnen, die alten Zeiten zu erneuern, Dir zu gestehen, daß Du doch die Krone aller Frauen bist!«

[165] »Laß't mich!« schrie sie, »Eure Keckheit duld' ich nicht!«

»Ei, warum denn hier so allein? Erwartest Du einen anderen Anbeter? etwa den Reimschmied Celtes – oder einen Boten des Königs?«

Elisabeth's Widerstand ward jetzt zum Ringen mit ihm, und in herzzerreißenden Tönen rief sie: »Willibald! schützt mich!«

»Himmel!« rief Willibald, »es ist die Scheurlin, der Jemand unziemlich begegnet!«

Er, Dürer und die Baubrüder stürzten im Nu auf die Beiden zu. Ulrich rief den Ritter an; »Was erfrecht Ihr Euch?«

»Sind das jetzt Eure Genossen?« höhnte der Ritter verächtlich, indem er sein Schwert zog; aber auch die Baubrüder zogen die ihrigen, welche sie stets am Gürtel trugen, und im Nu schlug Ulrich dem Ritter das nun eben erfaßte Schwert aus der Hand. Als er es wüthend wieder erfassen wollte, riß sich Elisabeth von ihm los, nahm Willibald's Arm und sagte: »Kommt, kommt unter die Menschen, die Zelte!«

Hieronymus hatte das fallende Schwert aufgefangen, und der Ritter drang auf ihn ein, es ihm wieder zu entreißen.

[166] Ulrich drängte ihn mit seinem eigenen Schwert zurück, aber ohne ihn zu verwunden, und sagte: »Wir schlagen uns nicht mit Raufbolden und Stegreifrittern, die ehrbare Frauen unziemlich behandeln; das Schwert behalten wir, weil Ihr nur Frevel damit anrichten möchtet; hol't es Euch wieder beim Könige oder bei dem hochedlen Rath dieser Stadt, wenn Euch danach verlanget.«

Es kamen Leute, Stadtschützen, eine stattliche Anzahl der Rußigen, und Alle fragten, was es gebe? Der Ritter, da er wußte, daß die Bürger und Zünftigen immer geneigt waren einander wider den Uebermuth des Adels zu helfen, und daß er allein unter diesen Vielen nichts ausrichten, und wahrscheinlich als ein Brecher des Landfriedens ›eingebracht‹ werden möchte, brach sich durch die Menge Bahn und sagte drohend:

»Ich werde dem König vermelden, wessen er sich zu den Nürnbergern zu versehen hat, die sich also gegen seine Begleiter betragen!«

Man ließ ihn gehen und die Meisten schalten ihn ein Großmaul, und lachten und höhnten hinten ihm her.

Die kleine weibliche Gestalt, welche Elisabeth vorhin hinter den Baubrüdern bemerkt hatte, war auch noch da. Es war das Judenmädchen von diesem Morgen. Sie drängte sich jetzt an Ulrich und sagte:

[167] »Der Ritter da ist ein Placker und Straßenräuber, nehm't Euch vor ihm in Acht.«

»Unser einem kann er nichts rauben!« lächelte er, »aber ich danke Dir, liebes Kind! Weißt Du seinen Namen?«

Wie glücklich lächelte die Kleine! Sie wollte antworten, aber Hieronymus zog den Kameraden von ihr fort und sagte vorwerfend: »Sprich doch nicht mit der Judendirne!«

Ulrich hatte in der Dämmerung die gelben Streifen an ihren Aermeln nicht bemerkt, er bemerkte auch weder vorhin noch jetzt, daß sie die weiße Rose, die er diesen Morgen zur Seite geworfen, an ihrem Kleide trug – aber er kehrte sich jetzt schnell von ihr ab und gewahrte darum auch nicht, wie sie ihre Arme wie von einem plötzlichen Schlag getroffen herabsinken ließ und die Hände ineinander rang.

[168]

Achtes Capitel
Das Achtort

Fest an Fest reihete sich im lustigen Nürnberg aneinander, die Gegenwart des Königs zu feiern. Die Rathsherren, die reichen Kaufleute, die gelehrten Gesellschaften, die Zünfte – sie alle stritten sich miteinander, den König in ihrer Mitte zu sehen, und vor allen anderweitigen Vorstellungen und Lustbarkeiten hatte Markgraf Friedrich, der den König bei sich auf der Veste beherbergte, noch nicht dazu kommen können, selbst ein Fest zu veranstalten, und mußte damit von einem Tage zum andern warten.

Den Tag, zu welchem Max der freien Steinmetzzunft versprochen, in ihrer Mitte als Baubruder zu erscheinen, mußte er ihr allein widmen. Schon am Morgen verließ er die Veste, nur von Kunz von der Rosen, ein paar Rittern und einigem Gefolge aus der Dienerschaft des Markgrafen begleitet, und ging zu Fuß durch [169] die Stadt bis an die Bauhütte an der St. Lorenzkirche. Der König war ohne Rüstung und einfacher als sonst in ein Wamms von dunkelbraunem Sammt gekleidet, am breiten Ledergürtel ein kurzes Schwert, ein Sammtbaret mit weißen Federn auf den blonden Locken, bezeichnete ihn nur der übergeworfene Purpurmantel als Majestät. Seine Tracht ähnelte der der Baubrüder, nur daß sie von besserem Stoff war, aber die Stiefel von ungeschwärztem Leder waren gewissenhaft beibehalten.

Aus der Hütte heraus schalten die laut in den Stein hämmernden Klänge der Steinmetzen. Die Thür war verschlossen. Dreimal schlug der König mit seinem Schwert an dieselbe. Der Pallirer trat heraus, schloß sie wieder hinter sich und sagte:

»Wer Einlaß begehret, gebe das Paßwort.«

Der König trat ganz nahe zu ihm und flüsterte ganz leise ein Wort in das Ohr des Pallirers. Darauf reichte ihm dieser drei Finger seiner Hand, und der König erwiderte den Händedruck in der gleichen Weise. Kunz war hinzugeschlichen und hatte auf einem Beine stehend gelauscht, ob er nicht verstehe, was die beiden Heimliches sprächen – ohne daß ihm dies jedoch[170] möglich war. Max warf jetzt seinen Purpurmantel ab, gab ihn dem Hofnarren und sagte zu ihm:

»Hier, guter Freund; weil Du Dich heute von Max trennen mußt, magst Du ihm indessen die Königswürde bewahren.«

Kunz zog den Mund schief und sagte: »So tauschen wir einmal die Rollen vollständig: nun bin ich heute auch der König – denn daß Du eben der Narr bist, ist eine ausgemachte Sache.«

Obwohl einem Hofnarren Alles für Recht ausging, was bei Andern zum Verbrechen ward, und obwohl der König selbst als Antwort nur lachte, machte der Pallirer doch ein sehr finsteres Gesicht: nicht weil Kunz die Würde des Königs, sondern weil er die der freien Maurer durch seine Bemerkung verletzte. Max gewahrte dies nicht so bald, als er zum Pallirer sagte:

»Lass' es gut sein, mein Bruder, der Kunz da ist bei jeder Gelegenheit bereit mit mir zu tauschen, und trägt es mir immer noch nach, daß ich zu Brügge auf der Kranenburg den Tausch verweigerte, der mir Freiheit und Leben, ihm aber gewisses Verderben gebracht hätte –«

Kunz ließ den König nicht ausreden, hielt ihm seine Mütze vor den Mund und sagte: »Wenn Du mich immer verspotten willst, so werd' ich mir einen andern [171] Herrn suchen, und Du kannst Dir einen von Deinen Brüdern da drinnen für meine Stelle mitbringen.«

Max schob ihn zurück, grüßte ihn und seine Begleiter und sagte: »Nun gehabt Euch für heute wohl, Ihr Herren, und laßt Euch die Zeit nicht lang werden!«

»O den Wunsch geben wir in Gnaden zurück!« sagte Kunz. »Indeß Du mit Deinen Gesellen mauerst, werden uns die hübschesten Kinder Nürnbergs über Deine Abwesenheit trösten und wir werden diesen Trost wohl erwiedern!«

Der König hörte nicht mehr auf ihn, sondern war mit dem Pallirer in die Hütte getreten, die sich hinter ihm wieder schloß und aus der man nun laute Willkommengrüße tönen hörte.

Kunz aber hatte, so wie Max verschwunden war, seine lustige Laune verloren, denn es war ihm unheimlich zu Muthe, wenn er von ihm getrennt war, seit diese Trennung einmal so unglücklich gewesen, und er ward auch jedesmal verdrießlich, wenn er an seine Aufopferungsfähigkeit von dem König vor andern Leuten erinnert ward. Für eine That, die sich bei ihm so von selbst verstand, begehrte er nicht noch Dank von seinem Herrn. Er hatte ihn darum auch nicht ausreden lassen, [172] obwohl man überall im Reiche die Geschichte aus Brügge kannte, auf welche der König anspielte.

Als König Max nämlich von der Stadt Brügge eine Einladung erhalten hatte, daselbst Lichtmesse zu feiern, nahm er diese an, obwohl es ihm alle seine Räthe widerriethen, da die Stadt sein Regiment nicht wollte und ihre Bürger noch besonders durch französischen Einfluß wider ihn gereizt waren. Am 31. Januar 1488 zog er von etwa fünfhundert Reitern begleitet gen Brügge. Hier am Thore noch warnte ihn Kunz von der Rosen nicht hineinzugehen, weil er in sein Verderben renne. Max verwies ihm die Warnung und blieb bei seinem Entschluß. Da sagte Kunz zu ihm:

»Lieber König, ich sehe, daß Du hier mit Gewalt gefangen werden willst; da ich aber dazu keine Lust verspüre, so will ich Dir nur das Geleite bis an die Burg geben und dann zum andern Thore wieder hinaus reiten. Deinen lieben Söhnen in Brügge traue der Teufel.«

Danach handelte er auch und verließ die Stadt und den König. Sobald er aber erfuhr, daß dieser wirklich in Brügge gefangen gehalten werde, versuchte er mit zwei Schwimmgürteln versehen durch den Schloßgraben zu kommen, um vermittelst des einen derselben[173] seinen Herrn zurück über den Graben nach einem Ort zu bringen, wo er Pferde bereit hielt. Aber obwohl die Stille der Nacht ihn begünstigte, weckte er doch die im Graben wohnenden Schwäne, deren wildes Geschrei das unbemerkte Gelingen seines Beginnens unmöglich machte. Darauf lernte er das Bart- und Haarscheeren, schlich sich in die Stadt und gewann einen Franciskaner-Guardian, daß ihn derselbe als Begleiter eines andern Mönchs als des Königs Beichtvater in dessen Gefängniß schickte. Als mit ihm Kunz allein war, gab er sich zu erkennen und verlangte, der König soll sich eine Platte scheeren lassen und in der Mönchskutte entrinnen, indeß statt seiner er im Gefängniß bleibe. Standhaft verweigerte Max die Annahme dieses Opfers, und wie sehr Kunz auch flehete, weinte und zürnte, er mußte wieder gehen, wie er ge kommen. Beim Abschied sagte er zu ihm: »Wenn Du mir auch nicht vergönnst statt Deiner zu bleiben, und Dich weigerst, mit mir die Rolle zu tauschen, wenn Deine Hüter kommen und den König suchen, so werden sie auch in Dir den Narren finden.« Indeß war sein Kommen doch nicht ganz vergeblich, denn Max erfuhr von ihm den Stand seiner Sache, und ebenso kam durch ihn überall die Kunde umher, wie es [174] um den König stand. Aber erst am 16. Mai erlangte er die Freiheit. –

Etwa eine Stunde mochte König Max in der Bauhütte gewesen sein, als er aus derselben wieder heraus trat, begleitet von dem Propst Anton Kreß, dem Hüttenmeister, Werkmeister und Pallirer und gefolgt von allen Werkleuten, Gesellen und Lehrlingen, und mit ihnen zur nahen Lorenzkirche zog. Heute hatte die Arbeit noch geruht. Alle hatten drinnen in der Hütte beim Empfang des königlichen Baubruders gegenwärtig sein und seine Begrüßungsrede hören wollen, die nicht außen gesprochen werden durfte, wo auch profane Ohren ihr hätten lauschen können. Jetzt eilten alle Steinmetzen, die bei dem äußern Bau zu thun hatten, an ihre Plätze. Max selbst hatte ein ledernes Schurzfell umgethan und eine Kelle in der Hand, um zu zeigen, daß er die edle Steinmetzkunst wohl verstehe und ihrer Ausübung in der Mitte der Baubrüder und vor allem Volk sich nimmer schäme.

Im Freien ward bei solchen heiligen Bauten nur eben der wirkliche Aufbau mit Kalk und Mörtel vorgenommen. Die Steine selbst wurden erst in der Hütte behauen und mit jener kunstreichen Ornamentik versehen, oder zu jenen bald plastisch schönen, bald wunderlich [175] komischen Gestalten vollendet, welche wir noch heute an den Werken der Gothik bewundern.

Albertus Magnus, der Gründer des gothischen Baustyls, hatte zu seiner Bildung vieles aus den Schriften des Hermes Trismegistus undPlato benutzt und den berühmten Lehrsatz desPythagoras in Anwendung für den Kirchenbau gebracht. Dieser Lehrsatz gründete sich auf die Einheit, welche er in das Achtort als den Mysterienschlüssel seiner neu erfundenen Baukunst legte. Das Eine, welches die Kraft, das Unerforschliche, den Anfang und das Ende aller Zahlen einschließt, und doch selbst keine ist, weder gerade noch ungerade, läßt sich durch keine arithmetische Formel herstellen: Gott! und Gott ist Eins, ohne Anfang und Ende, ewig, was durch den Zirkel und den Kreis symbolisch ausgedrückt wird. Der Zirkel ist die Kraft, Festigkeit, das beharrliche Streben, wieder an den ersten Ausgangspunkt zu gelangen. Daher stellte Albertus das Achtort, in welches er den Zirkel stellte, das Dreieck, das den Kreis bildete, als Grundprinzip und System des Styls und der Constructionen fest.

Um den Maurern den langen und schwierigen Weg des Lernens abzukürzen und zu erleichtern, und das Erlernte praktisch durchzuführen, ward der Tempelbau [176] als Gottesdienst gelehrt, und rief Albertus diese symbolische Sprache der Alten wieder in's Leben, und paßte sie den Formen der cabbalistischen, mathematischen und geometrischen Baukunst an, wo sie in angenommenen Figuren und Zahlen als Abkürzungen weitläufiger Anordnungen im Baugeschäfte sehr gute Dienste leisteten, um so mehr, als es den Bauvereinen nicht erlaubt war, die Grundsätze der Albertini'schen Baukunst schriftlich abzufassen, denn sie mußten, um nicht profanirt zu werden, stets das strengste Schweigen darüber beobachten. Um das Geheimniß zu bewahren, bediente man sich der Symbole. Sie galten als Norm und Richtschnur bei Ausübung der Kunst, und erleichterten dem, der sie verstand, die Arbeit. Nach dieser einmal festgestellten Kunstsprache ward die Construction des Baues gebildet.

Der Geist dieser Geheimlehre wirkte segensreich, denn man nahm nur diejenigen zu Lehrlingen auf, bei denen man die Fähigkeit für ihr Verständniß voraussetzen konnte. Sie mußten sich einem ersten Examen unterwerfen, das nur diejenigen bestanden, welche mit natürlichem Verstand und einigen nöthigen Vorkenntnissen z.B. in der Geometrie und Mathematik ausgerüstet waren. Mehr noch als die strenge Strafe und[177] Entehrung, welche darauf stand, hielt das Ehrgefühl und die Achtung, welche die Baubrüder überall genossen, selbst der Nimbus des Geheimnißvollen, der sie umgab, davon zurück, die geweihte Sprache einem Profanen mitzutheilen, und die Geschichte der Bauhütten hat kein Beispiel dafür, daß dies je ein freier Maurer gethan und seinen Schwur des Schweigens gebrochen hätte. Diese geweihte Sprache war für die Bauleute unter sich Mittel der Mittheilung, besonders zu der Zeit, da die Schreibkunst noch zu den seltenen Künsten gehörte, und auch später, wo die viel beschäftigten Steinmetzen selten Zeit fanden sie zu üben. Auch die Lehrlinge wurden gleichsam spielend mit Sinn und Bedeutung der Symbole vertraut, da sie dieselben täglich vor Augen hatten und bei der Arbeit den Unterricht der älteren Kameraden benutzten. Natürlich gab es auch hier wieder verschiedene Grade, und dem Lehrling enthüllte sich nicht gleich das Ganze der Albertinischen Baulehre. Ein Symbol war oft erst wieder das Symbol eines Symbols für einen höheren Begriff, der nur den Gesellen deutlich war, und Manches war wieder noch diesen, oder doch manchen unter ihnen verschlossen, was der Werkmeister im höheren Sinne aufzufassen verstand. Diese Meister machten die Projecte, Aufrisse und [178] Grundpläne nach dem Grundsatz des Acht- und Sechsortes. Danach mußten die Gesellen in der Hütte die Profile auf dem winkelrecht behauenen Stein aufreißen und rein ausarbeiten. Man bediente sich dazu der Maßbretter, schablonenartig geschnittene Bretter, welche auf den Stein gelegt wurden und diese danach behauen. Besonders war dies eine Arbeit der Lehrlinge, indeß die Gesellen mehr nach selbständigen Entwürfen aus dem Freien arbeiteten.

König Max, der in seiner Jugend eben Alles zu lernen suchte, und der in der Mathematik und Geometrie genug Kenntnisse besaß, um bei seinen Fähigkeiten schnell die ersten Grade der freien Steinmetzkunst durchlaufen zu können, hatte sich in der Bauhütte zu Wien als Mitglied aufnehmen lassen, denn Niemand, selbst fürstliche und geistliche Personen nicht, durften die Bauhütte betreten, noch einer Zeche oder einem Hüttentage beiwohnen, wenn sie nicht selbst Mitglieder waren: nur solchen, welche das Paßwort zu geben vermochten, öffnete sich die Bauhütte, darum mußte der König heute auch alle seine Begleiter von sich lassen, weil sie sämmtlich zu den Profanen gehörten. Der Propst Anton Kreß und der Hüttenmeister hatten die Ehre seine nächsten Begleiter zu sein. Niemand nannte ihn hier König [179] oder Majestät, sondern Alle redeten ihn nicht anders an, denn mit Du und Bruder Max.

Der König besichtigte den neuen Bau an der Lorenzkirche mit Kennerblick, und da alle Baubrüder an ihre Arbeit gingen, legte er selbst mit Hand an's Werk, um zu zeigen, daß er die Baukunst noch in jedem Stück verstehe. Bald stand er auf der höchsten Gerüstspitze des neuen Thurmes mit einem Fuß, indeß er mit dem anderen nach seiner waghalsigen Gewohnheit anderthalb Schuh weit in die Luft maß. Mit seiner Rechten schwang er die Kelle, und fügte den nächsten Stein ein, weil er, wie er sagte, nicht dagewesen sei, um den Grundstein zu legen.

Unten auf dem Platz um die Kirche stand vieles Volk und jauchzte dem kühnen Fürsten zu, der so, fast dreihundert Fuß hoch, in schwindelnder Höhe über der Menge schwebte, als sei er es nicht anders gewohnt. Und die Steinmetzen lobten auch den Bruder Max, der es den kühnsten und geschicktesten unter ihnen gleich zu thun verstehe.

Und wieder stieg er herab, stand vor der prächtigen Brautthür, über deren Portal die herrlichste, kunstvoll gearbeitete Fensterrose prangte, und welche die fünf klugen und thörichten Jungfrauen schön in Stein gemeißelt [180] umstehen, und trat durch das erhabene Portal in den noch erhabeneren Raum. Der Propst, der ihn begleitete und sich nicht recht getrauen mochte, manche etwas zu tiefgehende Frage des Königs zu beantworten, hatte Ulrich neben sich gewinkt. Es bedurfte hier keiner Vorstellung. »Das ist das Monogramm des Bruders Ulrich,« sagte Kreß, auf ein Kreuz mit dem Winkelmaß durchschnitten deutend, das sich an einem Kapital befand, welches eine zierlich gearbeitete Krone von Eichenlaub schmückte. Das war der Vorstellung genug, denn Maxens Blicke, die mit Befriedigung auf den Werken ruhten, wandten sich in gleicher Weise zu dem Steinmetzen, dem es nun vergönnt war, an seiner Seite zu wandeln.

Und so gingen sie durch den erhabenen Bau, der im reinsten gothischen Baustyl die Wunderwerke desselben verkündete. Wie war hier alles Starre an Pfeilern und Gewölben verschwunden, wie hatte sich hier Alles gelös't in ein durchaus gegliedertes und bewegtes Leben. Zu prachtvollen Säulen waren die Pfeiler emporgewachsen, und ringsum aus der Außenfläche ihres Kernes schwangen sich leichte Halbsäulchen und Röhrenbündel empor, daß die Masse des Pfeilers gleich der Garbe eines lebendig bewegten Springquells aus dem [181] Boden aufgestiegen schien. In den Bögen, welche die Pfeiler verbanden, neigte sich diese Springfluth im rythmischen Spiele und doch in sicherer Geschlossenheit gegeneinander, an den Oberwänden des Mittelschiffs stieg sie in ungehemmter Kraft empor, an allen Linien des Gewölbes strahlte sie herüber und hinüber. Was noch an lastender Form die Seiten- und Oberwände hätte bilden mögen, verschwand dadurch, daß sie zu weiten und hohen Fenstern sich auseinander dehnten, während doch ein elastisch gespanntes Sprossenwerk in ähnlichen flüssigen Formen gebildet, allen Eindruck eines leeren Raumes aufhob. Die gesammte innere Architektur war zum Ausdruck von Kraft und Bewegung geworden; sie zog die Sinne und das Gemüth des Beschauers unwillkürlich aufwärts, und doch war Alles von jenem klaren Ebenmaße erfüllt, welches mit der Bewegung zugleich die erhabenste Ruhe, mit der Kraft die edelste Majestät verband. Durch die prachtvoll in schönstem Farbenglanze strahlenden Bogenfenster quoll ein Meer von Glanz und Gluth – es war gleichsam die Inbrunst eines glühenden Gefühls, bei dem tausendstimmigen Hymnus des Gebetes, der von den Steinen, welche zu sprechen schienen, widerhallte, getragen von den tausend [182] Armen und gefalteten Händen, welche die Pfeiler zur Feier des Höchsten emporstreckten.

Auch über Max kam diese weihevolle Stimmung. Er wandte sich von dem Propst, der ihm weitläufig auseinander setzen wollte, daß diese köstlich gemalten Fenster erst kürzlich von Veit Hirschvogel wären vollendet worden, dessen drei Söhne zugleich die Kunst des Vaters übten und es wohl auch zur Meisterschaft bringen würden. Obwohl Max, sonst ein Freund aller Künstler, gern von allen erzählen hörte, und sie auch selbst aufzusuchen oder zu sich zu bescheiden pflegte, so mochte er doch im Augenblick, wo ein großer Gesammteindruck ihn erfaßt hatte, Nichts vom Einzelnen hören, und sagte kurz abweisend: »Wir sprechen nachher davon,« indeß er zu Ulrich sagte: »Hier ist Leben und Bewegung, und doch ein Bau, der von Ewigkeiten spricht, der Stand halten wird im Sturm der Zeiten. Tausende haben daran gebaut, und ist doch ein Geist in dem Ganzen, und hat doch jeder einzelne Stein seine Stimme, aber alle klingen zusammen in einer großen Harmonie. Ich wollte, ich könnte das deutsche Reich erbauen wie einen Dom.«

»Erbau es nach einem solchen!« sagte Ulrich feierlich. »Du bist der erste deutsche König, der einen Einblick [183] gewonnen in die Mysterien eines solchen Baues; zeige es den Geweihten, daß Du ein echter Schüler bist des Albertus Magnus und so durchdrungen von seiner erhabenen Lehre, daß Du gar nicht anders kannst, als sie auf alle Verhältnisse anwenden. Sieh', kein Profaner hat den Schlüssel zu dem geheimen Grundprinzip unseres Tempelbaues; aber im Tempel selbst beten alle Profanen an, von der göttlichen Macht bezwungen; sie verstehen nicht die heiligen Symbole, aber die gewaltige Harmonie, die aus den Steinen redet, klingt in allen Herzen wieder, alle beten an und fühlen: so muß es sein, so lobt das Werk die Meister, die sich selbst verbergen und nur still sich freuen, daß sie Ewiges geschaffen im Endlichen, geschaffen in einem Geist und doch mit tausend Händen.«

»Bruder Ulrich,« versetzte Max, indem er dem begeisterten Sprecher tief in die Augen sah, »ich fürchte, wenn ich auch den Grundriß mache gleich dem besten Baumeister: die tausend Hände werden fehlen, die willig sind und geschickt, die Steine nach dem Plan zusammenzufügen zur Harmonie eines ewigen Baues.«

»Sie werden nur fehlen, wenn der Aufschwung fehlt, der Glaube an die Macht des Ganzen!« fiel ihm Ulrich in's Wort; »aber Beides wird kommen, wenn[184] die Stimme des Meisters ruft und sie den Grundstein gelegt sehen zu einem neuen Bau. Du hast die erhabene Sendung empfangen, das Haupt des deutschen Reichs zu sein: so stelle Dich hin mit Zuversicht in seine Mitte; sei nicht nur der Baumeister, der den Plan entwirft, sei selbst der Mittelpunkt des Sechsortes, sei die Grundlinie in dem Achtort, sei der Zirkel, der darinnen steht und den heiligen Kreis um sich zieht, und das erste Quadrat trage Wahrheit, Freiheit, Recht und Kraft an seinen Spitzen, denn darin ruhet die Signatur Gottes, und das zweite Quadrat sei die Einheit, die das Achtort bildet, und darauf allein baue weiter: dann wird das ganze Volk in Deinen Tempel strömen, preisen und danken und sich neigen vor der göttlichen Macht.«

»Fürwahr,« sagte Max, »ich möchte wissen, ob je Albertus Magnus sich hätte träumen lassen, daß seine Lehre vom Kirchenbau einmal solche Anwendung finden würde auf das Reich.«

»Warum nicht diese?« fragte Ulrich. »Er hat den Tempelbau als Gottesdienst selbst gelehrt, und solcher ist es auch den Tempel einer Nation zu erbauen; das Höchste wird vollbracht, wenn es den höchsten Maßstab an sich legt. Hier ist Leben und Bewegung, sagtest [185] Du vorhin selbst, ›und doch ein Bau, der Stand halten wird im Sturm der Zeiten!‹ Siehe, so ist es! gerade nur ein solcher vermag zu dauern, den das Leben sich frei entfalten läßt und keine Bewegung verhindert. Denke Du auch so auf dem Thron des deutschen Reichs. Hindere keine Bewegung im Volke, die nicht das Ganze bedroht, hindere keine Bewegung im Reich der Geister, gieb nicht zu, daß die Pfaffen sie jemals hindern! Was wir als Geweihte erkannt und um unsere Erkenntniß wenigstens anderen Geweihten durch Symbole mitzutheilen, und da und dort auch den Profanen, wenigstens solchen, die in den Steinen lesen können, in unsern Wahrzeichen kund thun, daß wir, die wir zum Kirchenbau berufen, doch die Gebrechen der Kirchendiener und Verfassung erkennen: das vergiß nicht draußen im Reich: herrsche mit der Krone und dem Scepter Karl's des Großen, aber laß den Kaiserthron mehr sein als einen Fußschemmel unter dem päpstlichen Stuhl.«

Max antwortete nichts mehr, weil er nichts mehr hören mochte. Nur der freie Maurer durfte eine solche Sprache reden, nur als freier Maurer durfte er sie anhören. Noch war er ja nur König, noch nicht Kaiser. Er wandte sich von Ulrich zu Anton Kreß, der [186] als stiller, staunender Zuhörer neben ihm geblieben war. Ihn schienen Maxens Blicke zu fragen: Was dünket Euch von solcher kühnen Rede?

Als Antwort flog ein väterliches Lächeln über das wohlgenährte Gesicht des Propstes und er sagte nur: »Ein begeisterter Schwärmer, der Entwürfe zu Riesenbauten in seinem Kopfe trägt, für die ein Dom von Stein noch eine zu kleine Aufgabe, so daß sie darüber hinaus sich in fremde Regionen wagen. Das legt sich mit den Jahren. Ich habe auch schon Steinmetzen gekannt, die Pläne zu himmelhohen Thürmen entworfen, und dann froh waren, wenn ein Sacramentshäuslein daraus zu Stande kam.«

Als der König mit der Besichtigung der Lorenzkirche fertig war, begab sich der Zug der Baubrüder in die St. Sebastianskirche, denn auch dies herrliche Bauwerk hatte Max noch nicht gesehen, da er ja zum ersten Male in Nürnberg war. In der großen steinernen Bauhütte, die seit dem Kirchenbau dem Rathhaus gegenüber erbaut worden und stehen geblieben, sollte das Festmahl, die Zeche gehalten werden, da diese Bauhütte größer war als jene und jetzt auch nicht darin gearbeitet ward, der Raum darin also vollkommen frei war. Man hatte sie neu mit schönem Ultramarin [187] ausmalen lassen, und überall glänzten auf dem himmelblauen Grunde Zirkel, Winkelmaß und Dreieck. Das Bild des heiligen Johannes befand sich in der Mitte auf Goldgrund gemalt, und in einiger Entfernung glänzte auf der himmelblauen Wand ein Kranz goldener Sterne darum. Das Sechs- und das Achtort waren zu beiden Seiten an die Wand gezeichnet. Unter jenem stand:


»Des Steinwerks Kunst und all' die Ding'
Zu forschen, macht das Lernen g'ring.
Ein Punkt, der in den Zirkel geht,
Der im Quadrat und Triangel steht.
Trefft Ihr den Punkt, so seht Ihr's klar,
Und kommt aus Noth, Angst und Gefahr.
Hiermit hab't Ihr die ganze Kunst.
Versteht Ihr's nicht, so ist's umsunst.
Alles, was ihr gelernt hab',
Das klagt Euch bald, damit fahrt ab!«

Die Acht war den Theosophen von jeher die wichtigste Zahl als doppelte Vier die Signatur Gottes in der sichtbaren Welt. Die Zahlen des Achtortes umgaben hier dasselbe: 1. 3. 4. 5. 7. 9. 10. 12 als solche, die alle in dem Zirkel liegen und deren Grundlage die Wurzel 1 ist. Aus Eins entspringt Drei, aus Drei: Vier, die Zahl der Buchstaben im Namen Gott, der fast in allen Sprachen deren vier hat. Unter dem Achtort stand:


[188]
»Was in Steinkunst zu sehen ist,
Das kein Irr- noch Abweg ist:
Sondern schnurrecht ein Lineal
Durchzogen vom Zirkel überall.
So findest Du Drei in Vieren steh'n
Und also durch Eins in's Centrum geh'n.
Auch wieder aus dem Centrum in Drei
Durch die Vier im Zirkel ganz frei.«

In der Mitte befand sich eine große Tafel mit blauen Bechern besetzt und hohen Armleuchtern, auf denen dicke Wachskerzen brannten, denn die Fenster der Hütte waren mit schweren Läden aus eichenem Holz mit Eisen beschlagen verschlossen, damit kein profanes Auge von außen einen Blick in die Hütte zu werfen wage.

Drinnen wurden Bundeslieder gesungen und einander zugetrunken auf das Wohl der Baubrüderschaften und auf das des Bruders Max.

Nachdem dieser schon manches schöne Wort gesprochen, das günstig für deren ferneres Gedeihen mochte gedeutet werden, und der Stoff der Reden erschöpft schien, stand er nochmals auf und sagte:

»Ich habe noch Etwas auf dem Herzen. Es ist einem meiner Ritter unter Spott und Schimpf auf dem Feste der Bürgerschützen sein Schwert entrungen worden, und seiner Beschreibung nach ist es ein Trupp [189] Baubrüder gewesen, der sich dessen unterfangen hatte. Ich will hier nicht Gericht als König hegen, aber ich will meine Brüder bei ihrem Eid befragen, wer das gewesen und wie sich die Sache verhält?«

Ulrich und Hieronymus standen auf und traten vor. Ersterer sagte: »Ich hieß den Ritter sein Schwert vom König fordern, wenn er es wieder haben wolle, da er allein entscheiden könne, ob er würdig sei es wieder zu empfangen. Bis dahin nahm ich es an mich. Ich dachte weder, daß der Ritter seine Schuld bekennen, noch daß er seinen Herrn so frech belügen würde.« Und er erzählte wahrheitsgetreu, was auf der Hallerwiese sich zugetragen, und Hieronymus bestätigte es.

»Gehörte das Frauenzimmer zu den Familien der Genannten?« fragte der König.

Hieronymus antwortete: »Es war die Gemahlin des Herrn Christoph Scheurl, Elisabeth, aus dem hochangesehenen Geschlecht der Behaim.«

Maxens Augen blitzten. Er sagte zu den Beiden: »Nicht wahr, es steht schlimm, wenn Ihr, die Ihr das friedliche Gewerbe heiliger Baukunst treibt und Euch fern halten müßt von allen holden weiblichen Wesen, genöthigt seid die Ritter eines solchen gegen einen Ritter meines Gefolges zu werden? Ich werde ihm sagen, [190] daß er sein Schwert wieder haben solle, aber erst wenn er die Ringmauer dieser guten Stadt hinter sich habe, die ich ihm befehlen werde schleunig zu meiden, da seine Gegenwart nur mir und meinen Begleitern zu Schimpf und Schande gereichen könne!«

[191]

Neuntes Capitel
Frohe Feste

Bei den Gastmählern, welche der Rath von Nürnberg auf dem Rathhause bei festlichen Gelegenheiten zu geben pflegte, war auch die Betheiligung der Frauen und Töchter der Rathsmitglieder Sitte, allein sie fanden ihren Platz an einer gesonderten Tafel. Die aufgetragenen Speisen wurden zuerst an der Tafel der Rathsherren herumgegeben, und die Frauen erhielten nur von denjenigen Schüsseln, deren Inhalt bis zu ihnen reichte.

Demgemäß waren auch die Tafeln bei einem Mahl geordnet, das der Rath zu Ehren des Königs Max veranstaltet und ihn sammt dem Markgrafen Friedrich und allen andern Rittern und Herren geladen hatte.

Als der König mit seinem Gefolge eintrat, waren die Nürnberger bereits alle versammelt und harrten in einem Halbkreis aufgestellt, die Herren auf der einen,[192] die Damen auf der andern Seite, seiner Ankunft, die schmetternde Trompetenklänge verkündeten. Die beiden Loosunger Tucher und Holzschuher wiesen ihm seinen Platz oben an der Tafel an, den unvermeidlichen Kunz von der Rosen an seiner linken Seite und an seiner Rechten den Markgrafen von Brandenburg, daran reihten sich die beiden Loosunger, und nun wechselte je ein Rathsherr mit einem Ritter ab nach strengster Rangordnung.

Kunz machte ein so erstauntes, auffallend dummes Gesicht und saß so regungslos wie vom Schreck gelähmt, daß der Markgraf zu ihm sagte: »Nun Kunz, Ihr seh't aus, als sei Euch die Butter vom Brode gefallen, und habt doch zur Zeit weder das Eine noch das Andere erhalten.«

»Aber es sieht mir ganz danach aus,« sagte Kunz, »als wolle uns dieser hochedle Rath mit trockenem Brode abspeisen, denn die Unterhaltung mit diesen Herren wird sich mir bald wie trockene Krumme im Munde wälzen, wenn nicht das Lächeln der Frauen die Butter dazu sein darf.«

Der Markgraf lachte: »Ja das ist so Nürnberger Art. Der Rath hat im Kampf wider den Putz der [193] Frauen erliegen müssen, aber bei seinen Gastmahlen weiß er noch sich in Respect und sie im Zaum zu halten.«

»Ei, das wollen wir doch sehen!« sagte Kunz und schielte fragend nach dem König.

Der aber antwortete: »Du bist mein Rath und ich nicht der Deine. Ich will hoffen, daß Dich Dein Witz nicht im Stiche läßt, uns vom trockenen Brode zu helfen!«

Kunz sprang auf, kehrte aber, da er schon einige Schritte gethan hatte, wieder um, nahm den bereits gefüllten Humpen in die Hand, der an seinem Platze stand, und sagte: »Beinah' hätte ich vergessen mich gegen eine trockene Kehle zu verwahren!«

Mit einem Satze war er an der Frauentafel und stand vor Elisabeth.

»Erlaubt, edle Frau,« sagte er, »daß ich Euren Platz für mich in Anspruch nehme, um Euch dafür den meinigen zu bieten. Sollte Euch der Tausch nicht genehm sein, so bleibt mir Nichts als meine Schalksfreiheit zu brauchen und den Sitz mit Euch zu theilen; Ihr braucht nur ein wenig zuzurücken, so haben wir Beide Platz!«

Dieser Nachsatz genügte, daß sich Elisabeth eilig erhob, erglühend dem Hofnarren in's Gesicht sah und[194] nicht wußte, was sie thun oder antworten sollte, indeß die neben ihr sitzende Katharina Haller schadenfroh lächelte und mit zärtlichem Neigen auf Kunz blickte, denn sie nahm sein Kommen und daß er gerade an ihrer Seite Platz nahm, für eine ihr dargebrachte Huldigung, und indeß ein Theil der Frauen laut lachte, verließ Markgraf Friedrich seinen Platz, ging auf Elisabeth zu, und indem er sich vor ihr verneigend ihre Hand faßte, sagte er zu den Herren an der Tafel gewendet: »Die anderen Ritter werden dem Beispiel folgen, das der lustige Rath gegeben,« und zu Elisabeth: »Erlaubt, daß ich Euch zur Tafel führe, wie es Ritterbrauch.«

Und Kunz flüsterte ihr zu: »Nehm't es nicht übel, wenn Euch der Platz des Narren werden soll; nur wenn Ihr es mir nicht Dank wüßtet, wäret Ihr eine Närrin. Ihr hörtet eben, daß mich der Herr Markgraf einen lustigen Rath genannt, und da könnt Ihr wohl meine Stelle besser ersetzen. Ich sah, wie die Adleraugen meines Königs zu Euch flogen, und obwohl er Falkenblicke hat und auch in solcher Entfernung keiner Eurer Reize ihm entgeht, so wird er sich Eures Anblickes doch lieber in der Nähe erfreuen.«

[195] Erglühend, aber mit stolzem Anstand schritt Elisabeth, von Friedrich geführt den Ehrenplatz an der Seite des Königs einzunehmen auf diesen zu, indeß die Ritter und einige jüngere Nürnberger aufstanden, um zwischen den Damen Platz zu nehmen oder sie mit sich zur königlichen Tafel zu führen. Es entstand ein buntes Gewirre, daß auch die ehrwürdigsten Rathsmitglieder, die mit Schrecken diesen Umsturz alles wohllöblichen Herkommens durch den Narren sahen, Mühe hatten durchzudringen und nur einen leidlichgeordneten Zustand herbeizuführen, wo eine völlige Anarchie einzureißen drohte. Endlich hatten wieder alle Platz genommen, und mit Elisabeth saßen noch elf Damen unter den Herren, während eben so viele Herren an der kleineren Damentafel Platz genommen, darunter auch Stephan, der den Platz neben Ursula erobert.

Max versäumte zwar nicht die Pflicht des königlichen Gastes, sich Allen zu widmen und für Jeden, den sein Wort erreichen konnte, freundliche Rede und ein gefälliges Ohr für die eines Andern zu haben, aber er hatte daneben doch immer bewundernde Blicke für Elisabeth, und eben so oft, wie er ihr eine süße Schmeichelei zuflüsterte, sprach er auch laut mit ihr über dieselben Gegenstände, welche mit den Männern zur Sprache [196] kamen, wobei sie oft klügere und geistvollere Antworten zu geben vermochte als manche von ihnen.

Einmal fragte er sie leise: »Vermißt Ihr nicht Einen unter meinen Rittern?«

Sie ließ ihre Augen umherschweifen und verneinte die Frage.

»Das nimmt mich Wunder!« sagte er, »denn um Euretwillen habe ich Eberhard von Streitberg geboten die Stadt zu verlassen.«

Elisabeth ward todtenblaß, und man sah, wie kalte Schauer ihre zarte, weiße Haut überrieselten; sie blickte vor sich nieder und vermochte nicht zu antworten.

»Habe ich das nicht recht gemacht?« fragte Max mit dem Ausdruck der Verwunderung und suchte in ihren Augen zu forschen. »Ihr hab't nur zu befehlen, so ruft ihn ein Eilbote wieder zurück, und wenn ihm Eure Vergebung wird, soll ihm auch die meinige wer den.«

»Nie, nie!« rief Elisabeth, und dann fügte sie hinzu: »Ich danke Eurer Majestät, die mich von einer großen Angst und Qual befreit hat.«

Es war hier nicht der Platz zu einem weitern Gespräch, das nicht von andern Ohren gehört werden sollte, und so ward es durch andere Unterhaltungen beendet, bei denen Elisabeth lange die stumme Zuhörerin [197] machte, denn die Nennung des Ritters von Streitberg hatte sie in eine kaum geringere Aufregung versetzt, als neulich seine Gegenwart. Um ihretwillen hatte ihn der König fortgeschickt? Was wußte er von ihr und ihm? hatte Eberhard unziemlich oder drohend von ihr gesprochen? hatte er erfahren, wie sich jener auf der Hallerwiese gegen sie betragen? durch wen denn, wenn nicht durch ihn selbst; denn mit jenen Jünglingen oder den Steinmetzgesellen, die sie beschützten, konnte der König doch unmöglich selbst gesprochen haben? Auch jene Aeußerung des Markgrafs, daß sie ihn so wenig wie den schwarzen Ritter habe bemerken wollen, fiel ihr jetzt schwer auf's Herz. Was hatte Eberhard von ihr gesprochen? hatte er Lüge oder Wahrheit geredet – es dünkte ihr Beides gleich entsetzlich! – Und doch war ihr, als könne sie jetzt erst freier athmen, seit sie von der Furcht befreit war, ihn wieder zu treffen, und es mischte sich ein Gefühl stolzen Triumphes bei, weil sie diese Befreiung der Gnade des Königs dankte – der Theilnahme, die sie in ihm erregt; so war die ritterliche Höflichkeit, mit der er sie vor allen andern Frauen Nürnbergs auszeichnete, mehr als ein momentaner Sieg ihrer Schönheit, so dachte er ihrer auch, wenn er sie nicht erblickte, und handelte für sie.

[198] Inzwischen sagte an der andern Tafel Katharina Haller zu Kunz von der Rosen: »Ihr hab't wohl die Scheurlin schon früher gekannt, weil Ihr so vertraut mit ihr seid?«

»Ei, das ist mein Vorrecht wie bei dem König so bei den schönen Frauen,« antwortete Kunz, »sie machen die vernünftigsten Männer zu Narren, und da wüßte ich nicht, warum ihnen gegenüber ein Narr aufhören sollte einer zu sein. Uebrigens wißt Ihr ja, daß mein Herr und ich selbst zum ersten Male in Nürnberg sind.«

»Deshalb hättet Ihr die Scheurlin doch schon gesehen haben können, denn sie ist einmal über ein Jahr fort gewesen, um sich in Venedig und Gott weiß wo Alles abenteuerlich umher zu treiben,« berichtete Katharina, und fügte hinzu, indem sie den Mund höhnisch spitzte: »Freilich, es ist wahr, wenn Ihr sie früher gekannt hättet, würdet Ihr sie schwerlich der erwiesenen Ehre würdigen; in der Fremde hat sie sich, wie man hört, nicht viel besser betragen denn andere fahrende Frauen, und welch' anstößiges Verhältniß sie mit dem hergelaufenen Poeten, dem Celtes gehabt, weiß ganz Nürnberg.«

Ursula, die auf der andern Seite des Narren saß und zwar nur Aug' und Ohr für Stephan hatte, vernahm[199] doch diese Schmähung Elisabeth's, die ihr das Blut in's Gesicht trieb, und sagte:

»Glaubt das nicht, Herr von der Rosen! Frag't andere ehrsame Frauen und Männer in Nürnberg nach der edlen Frau Scheurlin, und alle werden mit Achtung und Anerkennung von ihr sprechen.«

»Solche ausgenommen,« fiel ihr Stephan in's Wort, um ihre Rede zu vollenden, »die ihre geistigen und körperlichen Vorzüge ihr mißgönnen, weil sie sich dadurch in den Schatten gestellt fühlen.«

»Ereifert Euch nicht, werthe Damen und Herren,« antwortete Kunz mit um so größerer Ruhe; ich müßte kein Narr sein, wenn ich nicht wüßte, daß die Menschen sich überall gleich sind, was Neid und Verleumdung reden, spaziert bei mir zu dem einen Ohr herein, um zu dem andern wieder hinaus zu gehen, und sagt mir nur, wie wenig von den Leuten zu halten, die also sich bemühen Andere herabzusetzen; vor denen aber, welche Andere vertheidigen, nehm ich meine Kappe ab!« Damit verneigte er sich ehrerbietig vor Ursula und schüttelte Stephan die Hand.

Die gedemüthigte Katharina saß sprachlos vor Wuth da und wendete sich zu ihrer stumm gebliebenen Nachbarin [200] Beatrix Immhof, einer hübschen, stillen Jungfrau, und sagte zu ihr:

»Nun sieht man doch, daß die alte Sitte gut ist, wenn wir Frauen für uns allein speisen; die Gegenwart der Männer verbittert die Unterhaltung.«

Beatrix fühlte sich gerade nicht veranlaßt dem beizustimmen, denn neben ihr saß der Ritter Apel von Weyspriach und erzählte ihr Wunderdinge von seiner Reise aus dem heiligen Lande. Dieser wandte sich jetzt zu Frau Katharina und sagte leise:

»Ihr hab't nur einen mißlichen Platz neben dem Narren; sobald er uns einmal von seiner Gegenwart befreit, möcht' ich gern von Euch Näheres über Celtes und die Scheurlin hören, und wie die gefeierte Schönheit noch dazu gekommen, einen zwanzig Jahre ältern Mann zu heirathen, der ihr freilich das Leben nicht schwer zu machen scheint?«

Katharina nickte ihm hocherfreut und beifällig zu, aber sie hielt ihre Zunge im Zaume, so lange Kunz neben ihr saß, von dem sie noch mehr als eine derbe Anspielung über neidische und klatschsüchtige Frauen hören mußte.

Die Mahlzeit währte bis zur Dämmerung, wo sich die Frauen entfernten, um zum darauf folgenden Ball[201] sich umzukleiden; indeß zechten die Männer noch weiter, und es gehörte viel Muth und Tanzlust der Frauen dazu, zu dieser wüsten Geschellschaft wieder zurückzukehren und von den angetrunkenen Männern im Tanz sich schwenken zu lassen. Indeß war es so Sitte, selbst im ehrbaren Nürnberg, über dessen Zucht und Ordnung die Rathsherren sorgfältiger wachten, als in einer anderen Stadt geschah, und das von allen zeitgenössischen Schriftstellern als ein Muster von würdigem Anstand und feinen Sitten hingestellt wird. Aber auch von dieser Stadt schreibt Konrad Celtes selbst, der sich in ihr so wohl fühlte, wie sonst nirgends: »Bei den meisten deutschen Völkerschaften giebt es Anlaß zu blutigen Zänkereien und zu vielen andern Uebeln und Ausschweifungen, daß sie einander nach gewissen Gesetzen und Gebräuchen aus großen Bechern zutrinken, wobei sie sich wie über einen großen Sieg rühmen, wenn sie einen sinnlos und gleichsam todt zu Boden gebracht haben. Hier in Nürnberg sind die Tischgespräche gar artig und gegen die Weise der Deutschen gesetzt, ohne Händel und ohne freches Gelächter, sondern durch bescheidenes Stillschweigen niedergehalten. Das Schimpfen und Fluchen ist hier weniger an der Tagesordnung als anderswo.«

[202] Die Nürnbergerinnen kehrten also wieder zurück, nachdem sie die schweren Woll- und Sammetstoffe mit leichteren Kleidern von dünner Seide und jenem zarten Stoff vertauscht hatten, welchen die alten Dichter seiner Durchsichtigkeit wegen »gewebte Luft« nannten, Haar und Gewänder mit lebendigen Blumen geschmückt.

König Max selbst eröffnete den Tanz mit Eleonore Tucher, indeß Markgraf Friedrich mit Elisabeth tanzte. Dafür widmete der König dieser später mehr als einen Tanz und erwies ihr jede ritterliche Huldigung.

In welchen Rausch von Stolz und Glück sie auch dadurch versetzt ward, so gehörte sie doch auch jetzt nicht zu den selbstsüchtigen Naturen, die alles Andere über sich selbst vergessen. Darum sagte sie zu dem König:

»Darf ich mir eine Gnade von Euch erbitten?«

»Ihr wißt, es wird mich glücklich machen, Euch Alles zu erfüllen, was ein König erfüllen darf.«

»Nun so tanzet den nächsten Tanz mit der blonden sanften Jungfrau im weißen Kleid mit Rosen geschmückt, die eben mit Stephan Tucher an uns vorüberschwebt,« sagte Elisabeth.

Der König lächelte: »Da hätte ich jede andere Bitte erwartet als eine solche! Wer ist das hübsche Kind?«

[203] »Die Tochter Gabriel Muffel's, der unter den Rathsherren Euch vorgestellt ward. Es giebt Leute, die es der Enkelin wollen entgelten lassen, daß ihr Großvater vor zwanzig Jahren hier als Loosunger gerichtet ward. Sie ist das edelste und sittsamste Mädchen von Nürnberg, erhebt sie durch Eure Gnade vor diesen ungerechten Menschen.«

»Es soll geschehen,« sagte der König; »aber hab't Ihr nichts Anderes zu wünschen?«

»Stephan Tucher,« fuhr Elisabeth fort, »wird Euch begleiten, wie ich höre, laßt ihn Eurer Gnade empfohlen sein.«

Max lächelte: »Darf Euer Gemahl diese Fürbitte hören?«

»Er würde sie wiederholen, wenn Ihr ihm dieselbe Gnade erwieset wie mir,« versetzte Elisabeth ruhig; »dieser Tucher liebt die Jungfrau Muffel, aber der Eigensinn der Väter widersetzt sich dieser Verbindung – nehm't Ihr das liebende Paar in Euren gnädigen Schutz.«

Max ließ seine Blicke auf Elisabeth mit reiner Bewunderung gleiten, die jetzt nicht ihren Körperreizen, auch nicht ihren Kenntnissen, sondern den Eigenschaften [204] ihres echtweiblichen Herzens galten, die sich jetzt ihm offenbarten, und sagte bewegt: »Keine andere Bitte?«

»Doch!« versetzte Elisabeth, »wenn Eure Majestät mich noch länger anhört. Heute bei der Tafel erzählte man Euch von Konrad Celtes, und wie Euer erlauchter Vater, unser gnädigster Kaiser und Herr mich ausersehen, ihm den Dichterkranz auf's Haupt zu setzen; vor all' den anderen Herren wagte ich nicht weiter von ihm zu sprechen, jetzt aber möcht' ich Euch bitten: leset seine Schriften und wollet bedenken, daß der nächste Platz neben dem Fürsten dem Dichter gebühren sollte. Ich wollte, er wäre jetzt noch hier: er würde Euch verstehen wie kein Anderer, und Ihr würdet seine Verdienste erkennen und zu würdigen wissen wie kein Anderer!«

»Ihr seid ein wunderliches Weib!« rief der König; »was kümmern Euch Andere? warum denkt Ihr nicht an Euch selbst?«

»Nur wenn ich an Andere denken kann, leb' ich mir selbst!« antwortete sie, und fügte bei sich selbst hinzu: wenn ich für Andere nicht leben kann, so will ich doch an sie denken! Dann fuhr sie fort: »Mich kümmerte es wohl, die beiden einzigen Männer, die ich als die edelsten ihres Geschlechtes verehre, berufen [205] dem gesunkenen deutschen Reiche wieder aufzuhelfen, Hand in Hand wirken zu sehen und die neue Zeit heraufzuführen, der Alle, welche denken können, sich entgegensehnen.«

Max hatte über dieses Gespräch des Tanzen vergessen – so hatte noch keine Frau zu ihm geredet. »Eine neue Zeit!« wiederholte er sinnend. »Ihr werdet mit mir die Tage der vergangenen Herrlichkeit und Kraft des Kaiserreiches wiederkehren sehen, der Thron Karl's des Großen wird seinen alten Glanz entfalten und die Ritterlichkeit jener alten Zeit sich durch mich erneuern!«

Elisabeth seufzte. Seit ihr Bruder ausgezogen war, um neue Welten zu entdecken, seitdem Celtes das Studium schöner Menschlichkeit den vertrockneten Lehren der Kirchenväter siegreich entgegen gestellt, seit der Bruder wie der Dichter ihre Lehren ihr verdeutlicht, war sie gleich ihnen mit der ganzen Inbrunst einer sehnenden und ahnungsvollen Frauenseele zu einem schönen Zukunftsglauben begeistert worden, und der König, der ihr als das Ideal eines Helden und Volksbeglückers erschien, wenn jemals einer auf einem Thron gesessen – der sprach nun von der Rückkehr zu der Herrlichkeit der alten Zeit!

[206] Aber er deutete ihr Seufzen anders und sagte: »Ihr hab't noch etwas auf dem Herzen – sprech't es aus; hab't Ihr denn keinen eigenen Wunsch, den Euer König erfüllen könnte?«

Er sah sie dabei so zärtlichglühend an, daß sie nach einigem Bedenken erröthend sagte: »Nun denn: wenn Ihr wieder einmal nach Nürnberg kommt und die Veste vielleicht nicht würdig bereitet ist Euch aufzunehmen, so betrachtet das Haus Christoph Scheurl's als das Eurige.«

»Seid versichert, ich werde Eure Einladung annehmen!« rief Max, reichte ihr zum Versprechen die Hand und küßte die ihrige. Damit verabschiedete er sich zugleich von ihr, denn der Tanz war zu Ende, und mit dem nächsten erfüllte der König Elisabeth's erste Bitte: er winkte den Narren herbei, damit er ihm Ursula zuführe. Die bescheidene Jungfrau war nicht wenig erstaunt über die ihr erwiesene Ehre, und wagte vor sittiger Verschämtheit und Bescheidenheit kaum die Augen aufzuschlagen zu dem ritterlichen König. In immer größere Verwirrung gerieth sie, als dieser sie mit Stephan Tucher neckte und an ihrer Verlegenheit sich weidete. Zuletzt aber sagte er zu ihr:

[207] »Verlaßt Euch auf Euren König! Ein wenig Prüfung müssen alle liebenden Paare bestehen, denket Ihr nur unter den Eurer an mein Wort: daß ich nicht anders denn zu Eurer Hochzeit mit Stephan Tucher nach Nürnberg zurückkehren will, wenn Ihr in rechter Treue für einander beharrt! Das möge Euch trösten!«

»O Majestät!« rief sie und suchte doch vergebens nach weitern Worten ihren Dank zu schildern. Aber da der Tanz beendigt war, eilte sie zu Elisabeth, denn sie ahnte, daß sie es war, der sie dies Glück verdankte. In ihren strahlenden Augen glänzte für Elisabeth der reichste Lohn eines Dienstes, den uneigennützige Freundschaft geleistet. Ihr Zweck war doppelt erreicht, denn außerdem, daß Ursula das königliche Wort als besten Trost empfangen, waren auch die Nürnberger, die ihr die Schande ihres Großvaters nachtragen wollten, durch die Auszeichnung beschämt, welche der König selbst ihr zu Theil werden ließ.

Unter mancherlei Festen ähnlicher Art war der dritte September herangekommen, den der König zu seiner Abreise bestimmt hatte.

Das Abschiedsmahl hatte Markgraf Friedrich auf der Veste veranstaltet und dazu nur eine ausgewählte Gesellschaft eingeladen, die, das Gefolge des Königs[208] ausgenommen, aus zwanzig Frauen und fünfzehn Männern bestand, sämmtlich den vornehmsten Nürnberger Geschlechtern angehörend. Gleich nach dem Mahl wollte der König zu Herzog Otto von Baiern nach Neuenmarkt reiten, der ihn dahin zu sich eingeladen, und von da nach Linz gehen zu seinem Vater, um die habsburgischen Erblande wieder zu erobern.

Noch einmal hatte Elisabeth das Glück, an der Seite des Königs ihren Platz angewiesen zu erhalten. Mit Staunen sah sie auf ihrem Teller eine kunstvoll gearbeitete Rose von in Gold gefaßten Rubinen mit Blättern von grünen Smaragden an eine goldene Nadel befestigt. Sie warf einen fragenden Blick auf den König, und dieser sagte:

»Die Rosen, die Ihr mir bei meinem Einzug zuwarfet, habe ich Euch zu Ehren getragen, bis sie verwelkten; aber ich werde sie immer als Angedenken an Nürnbergs edelste Frau bewahren – verschmähet dafür nicht diese Rose mir zu Ehren an Eurem schönen Busen zu tragen, sie ist von ewiger Dauer.«

Sie nahm das kostbare Geschenk erröthend und mit tiefem Verneigen und sagte: »Nicht Euch – mir selbst zu Ehren gereicht solch' bleibend Zeichen Eurer königlichen [209] Gnade. Eines Angedenkens daran, wie sie mir jetzt zu Theil geworden bedarf es nicht!«

»Sag't Verehrung!« flüsterte er ihr mit süßem Lächeln zu; »und wenn Ihr einmal etwas zu bitten hab't, am liebsten für Euch selbst oder auch für Andere: so laßt mich die Rose wieder sehen; sie wird mich an glückliche Tage mahnen, und ich werde jeden Wunsch erfüllen, den Ihr an die Rose knüpf't.«

Im Anfang fehlte diesmal die fröhliche Stimmung, die in den vergangenen Tagen geherrscht. Der König war stiller als sonst. Ward es ihm wirklich schwer, von der anmuthsvollen Nürnbergerin zu scheiden, oder dachte er nur daran, daß er nach dieser Ruhezeit voll harmloser Unterhaltung nun wieder in's Gewühl des Kampfes müsse, oder was ihm noch schlimmer dünkte, vergeblich dem Vater anliegen werde, sich zu Energie und That zu ermannen, um die angestammten Lande sich wieder zu erringen und König Mathias von dem angemaßten Thron zu stürzen? Hallte in ihm etwas von den Worten wieder, die der Baubruder Ulrich und die schwärmende Elisabeth zu ihm gesprochen, die noch mehr von ihm zu fordern schienen als den Siegeskranz des Helden und die Herrscherwürde Karl's des Großen? Wer lies't in den Seelen Derer, die das Schicksal auf [210] den höchsten Platz gestellt, daß sie von Allen gesehen werden und doch von den Wenigsten erkannt?

Auch Stephan Tucher, der nun schon dem Gefolge des Königs beigezählt war und dann mit ihm aufbrechen sollte, saß still neben Ursula, nicht minder beklommen von der nahen Abschiedsstunde wie von der Gegenwart seines Vaters und Bruders, die zwar jetzt in der gewissen Zuversicht, das Stephan, wenn er nur einmal von Ursula getrennt sei, ihr auch nicht treu bleiben werde, jetzt seine Huldigungen für sie weniger mißfällig bemerkten, aber ihn doch immer beobachteten, was ihn noch mehr in der Seele der Jungfrau beengte denn in der eigenen. Ebenso schien der Ritter von Weyspriach zu beklagen, daß er von Beatrix Immhof scheiden mußte, für die er an seine Erzählungen aus dem Morgenlande manche Galanterie geknüpft; und so gab es noch manchen fremden Herrn und manche für ritterliche Artigkeit empfängliche Nürnbergerin, die alle das Ende dieser harmlos fröhlichen Festtage bedauerten, und darum schon im voraus die gute Laune verloren hatten, so daß die ersten Gänge der auserlesenen Mahlzeit ziemlich still eingenommen worden waren, bis endlich Kunz von der Rosen sich in's Mittel schlug und in langer mit vielen Späßen und Seitenhieben »auf [211] Männlein wie Weiblein«, wie er sich ausdrückte, gewürzten Rede sich für den einzigen Vernünftigen und Alle für Narren und Närrinnen erklärte, die mit dem Gedanken an die künftigen Entbehrungen sich schon die gegenwärtigen Genüsse verdarben und durch eigene Schuld in Gift verwandelten.

Das half endlich und ebenso der massenhaft genossene Wein, der die Zungen löste zu freier Rede und fröhlichem Lachen, so daß die Unterhaltung bald die lebhafteste ward, die man je in diesen Tagen geführt.

Da hob der König die Tafel auf. Es war das Zeichen zum baldigen Aufbruch.

Kunz trat zu Elisabeth und Ursula und flüsterte ihnen zu: »Ich wollte Euch wohl einen guten Rath geben, wenn Ihr mir mit ein paar anderen Frauen hinausfolgtet in die anderen Gemächer.«

Elisabeth hatte bis jetzt immer die Einfälle des Narren zu ihren Gunsten gefunden, warum sollte sie ihm jetzt nicht vertrauen? Sie folgte ihm also mit Ursula, Beatrix, Eleonora Tucher und ein paar anderen Frauen.

Er führte sie durch verschiedene Corridore und Säle bis in das Gemach des Königs. »Seht,« sagte er, »da liegt die Rüstung, die er zu dem Ritt anlegen [212] wird – da liegen seine Stiefel und Sporen. Ich weiß aber, er gebe etwas darum, wenn er einen Grund fände, heute noch hier zu bleiben. Wer weiß, giebt es nicht ein Unglück wenn wir reiten, denn ich glaube, es wird Mancher von uns schief im Sattel sitzen. Nun aber nimmt der König nie einen einmal gegebenen Befehl zurück, es sei denn, er würde durch einen Scherz oder von den Fürbitten schöner Frauen dazu gebracht; wäret Ihr nicht alle froh, wenn wir noch heute hier blieben und noch einmal zusammen tanzten, statt allein auf den schlechten Wegen zu Pferd die Balanze zu verlieren?«

Alle riefen: »O wenn das möglich wäre!«

Kunz hob Maxens Stiefel empor, legte den einen der gewaltigen Ritterstiefel von unbeschreiblicher Last auf Elisabeth's weiße Arme, den andern gab er Frau Tucher und sagte:

»Nun wohl, hier habt Ihr seine Stiefel, versteckt sie, so kann er nicht fort; aber eilt, damit er uns nicht bei der That erwische.«

Wirklich hörte man draußen Tritte, und Kunz entfloh mit den Frauen durch eine kleine Tapetenthüre eine düstere Treppe hinab. Hier wurden die Stiefel in den finstersten Winkel gestellt, und auf einem anderen [213] Weg kehrten die Nürnbergerinnen wieder in den Speisesaal zurück.

Der König mit den Rittern hatte sich entfernt, sich zum Fortritt zu rüsten. Markgraf Friedrich, der nicht mit nach Neuenmarkt wollte, war noch da bei seinen anderen Gästen. Da meldete ihm ein Diener: es sei unbegreiflich, aber die Stiefel Sr. Majestät wären verschwunden und hätten doch vorhin bei der Rüstung gestanden.

Der Markgraf wollte aufschäumen über die Fahrlässigkeit des Gesindes, da trat Elisabeth vor und sagte:

»Wir wollen es nur gestehen: wir haben Sr. Majestät Stiefel und Sporen verborgen, damit er noch heute bei uns in Nürnberg bleibe.«

»Und mit uns tanze!« fügte Eleonora hinzu; »da kann er der Reiterstiefel und Sporen entbehren.«

Der Markgraf lachte und ging zum König. Es dauerte nicht lange, so brachte er ihn wieder; fröhliches Jauchzen empfing ihn und die Trompeten schmetterten.

»Sehet!« sagte Elisabeth, als der König zu ihr trat: »schon habe ich nun bei Euer Majestät etwas für mich selbst erbeten – und ich hätte auf die Rose, nun mein höchstes Kleinod gedeutet, wenn Ihr's verweigert.«

[214] Max nahm den Scherz gnädig auf und war gern bereit noch zu bleiben. In die Stadt sandte man Boten, noch andere Herren und Damen zum Tanz zu holen, der noch die ganze Nacht durch währte.

Noch einmal durfte Elisabeth die Huldigungen des Königs empfangen, noch einmal Ursula mit Stephan in trauter Nähe die Schwüre ewiger Treue tauschen – aber auch die plötzlich noch geschenkten Stunden verflogen und verrauschten, und endlich kam doch die letzte, die den Abschied brachte. – –

Am folgenden Tage war es sehr still in Nürnberg. Der König war in aller Frühe und Stille mit seinem Gefolge zur Stadt hinausgeritten, als könne er sonst noch einmal zurückgehalten werden.

»Die Gefangenschaft war weder so lang noch so langweilig wie die zu Brügge!« flüsterte Kunz ihm zu.

Die Nürnberger aber hatten Mühe, sich wieder in das alte Geleise ihres thätigen Lebens zurückzufinden.

[215]

Zehntes Capitel
Elisabeth

Die frühe Dämmerung des Septemberabends brach schon herein, als eine vermummte Frau an dem »schönen Brunnen« vorüber schlich in die Winklerstraße, um von hier in das Hinterhaus des Pirkheimer'schen Hauses zu gelangen, in dem sich des Goldschmieds Albrecht Dürer Wohnung und Werkstatt befand. Die Gesellen waren aus derselben entlassen, aber der Meister arbeitete noch allein in dem dumpfen Gewölbe bei einer kleinen Flamme, die ihm zugleich Licht und für seine Arbeit die nöthige Hitze gab.

Eben hatte er ein Silberstäbchen an die Flamme gehalten, die sein ehrliches, von Sorgen und Arbeit gefurchtes Gesicht beleuchtete, als es draußen pochte Die Störung kam ihm ungelegen und sein Herein klang nicht etwa freundlich.

[216] Darauf trat eine weibliche Gestalt ein, von einem brauen Mantel umhüllt und über den Kopf ein großes schwarzes Tuch, das auf dem Kinn zusammengeknüpft, auch über die Stirn so weit vorstehend herunterhing, daß von dem darunter befindlichen Gesicht nicht viel mehr zu sehen war als eine spitzige Nase und ein großer Mund mit schadhaften Zähnen.

»Guten Abend, Meister Dürer,« sagte die Eintretende; »es ist wohl ein wenig spät, daß ich komme, aber ich hab' versprechen müssen, meinen Auftrag nur an Euch allein auszurichten, darum wählt' ich die jetzige Zeit. Aber ehe ich meine Bestellung mache, müßt Ihr mir versprechen auch keiner Seele weder jetzt noch künftig ein Wort davon zu sagen.«

Der Goldschmied dachte: das wird auch eine rechte Bestellung sein, welche diese Frau für mich hat – vielleicht aus Silberhellern einen Ring zu machen, oder wer weiß, ist es nicht Schlimmeres? ist es nicht vielleicht gestohlenes Gut, das sie bei mir verwerthen will oder umschmelzen lassen? Er hatte oft solche Versuchungen zu bestehen, und hatte sie immer mit der ganzen Kraft einer redlichen Seele tapfer bestanden, wenn auch der verheißene Gewinn noch so groß und die Sorge noch größer war, wie er sein Weib und seine achtzehn [217] Kinder vor Mangel und Noth behüten möchte. Darum sagte er auch jetzt:

»Das Versprechen zu schweigen gebe ich nur dann, wenn ich es mit gutem Gewissen halten kann. Ist das bei Euch der Fall, so ist ein Wort so gut wie tausend, ich verspreche zu schweigen und schweige. Ist's aber keine ehrliche Sache, so sag' ich Euch voraus, daß weder Furcht noch Gewinn, weder Bitten noch Drohungen mich abhalten werden, sie an's Tageslicht zu bringen. Ueberlegt es Euch also vorher, ob ich der rechte Mann für Euch bin oder nicht.«

»Der seid Ihr ganz gewiß, Meister Dürer,« antwortete das Weib; »ganz Nürnberg weiß, daß es keinen ehrlicheren Gold- und Silberschmied hier giebt denn Euch, Ihr werdet also schweigen?«

»Bei jedem ehrlichen Handel, ich bin keine Plaudertasche,« antwortete der Meister.

»Nun denn,« begann die Frau, »nicht wahr, die schöne Rose von Rubinen und Smaragden in lauterm Golde gefaßt, die unser allergnädigster König Max der Scheurlin zum Geschenk gemacht, ist von Eurer Arbeit?«

»Allerdings,« antwortete der Goldschmied, »ich darf mich dessen rühmen.«

[218] »Hab't Ihr sie noch treu im Gedächtniß?« fragte die Frau.

»Gewiß,« antwortete Dürer; »ich habe sie ganz allein selbst gefertigt, und vergesse nie, was meine Hände mit so viel Mühe gearbeitet. Mein Sohn Albrecht hatte mir die Zeichnung dazu gemacht und die habe ich auch noch.«

»Desto besser,« antwortete die Fremde; »nun denk't Euch das Unglück: die Scheurlin hat die Rose verloren –«

Dürer ward blaß vor Schrecken und Aerger. »Wie kann man ein solches Kleinod verlieren!« rief er entrüstet; »diese leichtsinnigen Weiber! Diese kostbaren Steine! dieses Kunstwerk, an dem ich so viel Tage und Nächte mit Fleiß und Mühe gearbeitet, vielleicht im Staube zertreten!«

»Ich glaube, es ist noch schlimmer!« sagte die Frau mit Achselzucken. »Sie hat sie in die Pegnitz fallen lassen, und darum keine Hoffnung sie jemals wieder zu bekommen. Darum verschweigt sie auch den Verlust, um sich nicht lächerlicher vor den Leuten zu machen, die ihr des Kaisers Gunst beneideten; am ängstlichsten verbirgt sie ihn aber vor ihrem Mann, und damit er [219] denselben nie entdecke, wünscht sie, Ihr möchtet ihr eine ganz gleiche Nadel machen.«

Dürer schüttelte den Kopf. Er konnte sich lange nicht zufrieden geben weder über den Untergang seines Kunstwerkes, noch über den Leichtsinn einer Frau, die einen Gegenstand, dessen hoher Werth durch den Geber ihr noch verdoppelt sein mußte, nicht vorsichtiger zu bewahren verstand. Endlich sagte er: »Und was denkt denn die Frau Scheurlin, daß die Nadel gekostet?«

»Sie ist reich, sie zahlt denselben Preis wie der König,« antwortete die Frau. »Nennt den Preis.«

»Zweihundert Reichsgulden.«

»Und bis wann kann die Nadel fertig sein?«

»Unter drei bis vier Wochen ist's gar unmöglich; ich muß erst sehen, daß ich die passenden Rubine bekomme.«

»Gut, in drei Wochen werde ich wieder kommen.«

»Ich kann sie ja der Frau Scheurlin schicken, so bald sie fertig ist, weil ich die Zeit nicht genau bestimmen kann.«

»Um's Himmels Willen nicht!« rief die Frau, »damit es nicht etwa Jemand von der Dienerschaft erfährt, und es mit Absicht oder aus Versehen dem Herrn Scheurl verrathen könnte, hat sie mich zu Euch gesandt, darum darf es keine Menschenseele weiter wissen, und [220] darum nahm ich Euch ja das Versprechen des Schweigens ab, wie auch Ihr darauf rechnen könnt', daß ich schweigen werde.«

»Aber wenn nun inzwischen Herr Scheurl die Nadel vermißt?«

»So wird seine Gattin sagen, daß sie Euch dieselbe zur Reparatur gegeben, weil sie ein Steinlein daraus verloren,« antwortete scheu die Frau.

»Nun, dann könnte ja auch dasselbe gesagt werden, wenn ich ihr die neue Nadel schickte, und sie käme ja nicht gleich in die rechten Hände.«

Die Frau war offenbar über diese Bemerkung bestürzt und suchte vergeblich nach einer Gegenrede. Endlich sagte sie: »Die Frau Scheurl hat es aber einmal so befohlen, wie ich sagte, daß die Nadel wieder bei Euch abgeholt werden soll. Ihr könnt' ruhig sein, Ihr brauch't sie nur gegen baare Bezahlung abliefern. – Und was die erwähnte Lüge betrifft, so war sie ja nur für den äußersten Nothfall ausgesonnen, und Frau Scheurl hofft, daß sie derselben nicht bedürfen werde, infern Ihr nur keine Unklugheit begeht.«

»Nun, so komm't in drei Wochen wieder, ich will mein Möglichstes thun, das Werk noch einmal zu vollenden.« [221] So war Dürer's letzter Bescheid und die Frau entfernte sich endlich.

Ein paar Tage darauf, am Sonntag Nachmittag, hatte sein Sohn, der Malerlehrling Albrecht, seine Freistunden, die er stets am liebsten im Elternhause zubrachte und auch da sich nicht immer Ruhe von der Arbeit gönnte, da es in diesen Mußestunden oft noch eine Zeichnung für den Vater zu fertigen gab. Eben saß er über einer solchen, aber nicht in der heute verschlossenen Werkstatt, sondern in der Wohnstube, in der die Mutter Barbara die Spindel drehte, dabei immer wohlgefällig nach dem Lieblingssohne blickend. Er war ihr drittgeborener; der älteste, der das Handwerk des Vaters lernte, war schon fort auf die Wanderschaft nach den Niederlanden, wo auch der Vater, der aus einem ungarischen Dorfe stammte, sich seine größte Geschicklichkeit erworben hatte. Das zweite Kind war gestorben, und so noch mehrere, aber dennoch war es noch ein ganzes Häuflein braungelockter Buben und Mädchen, das die enge Stube bevölkerte. Alle waren sehr einfach, aber reinlich gekleidet, das kleinste Kind lag noch in einer hölzernen Wiege, deren abgenutztem Zustand man es ansah, wie viele Insassen sie schon gehabt; und indem sie Frau Barbara mit dem Fuß in Bewegung [222] setzte, indeß sie mit den Händen glatte Fäden zu neuen Gewändern spann, da begriff man unter dieser Umgebung wohl, daß auch am Sonntag die Hände und Füße dieser Mutter sich keine Ruhe gönnen durften, die für so Viele zu sorgen hatten.

Mitten in dies Gewirr trat noch ein schlank- und zartgebauter Jüngling, der durch seine Kleidung und Manieren ausgezeichnet, wenig in diese fast ärmliche Handwerkerfamilie zu passen schien, Willibald Pirkheimer. Im Vorderhaus, das er mit seinen Eltern und Schwestern bewohnte, sah es freilich anders aus als hier; da herrschte der ganze Luxus des Reichthums mit feiner Sitte und dem Sinn für das Schöne wie für die Wissenschaft gepaart, da hatte der eifrig studierende Sohn des Hauses ein Gemach ganz für sich allein, in dem reiche Bücherschätze ihn umgaben und Niemand ihn stören durfte; aber die Freundschaft für Albrecht, mit dem er aufgewachsen, den er sich einst vor allen Knaben und jetzt vor allen Jünglingen zum vertrautesten Genossen ausersehen, zog ihn hierher und ließ ihn jede der Schranken überspringen, die hier die Besitzenden und hochangesehenen Geschlechter von den eigentlichen Bürgern, zumal den ärmeren Handwerkern trennten. Albrecht und Willibald hatten sich mit der [223] ganzen Schwärmerei jugendlich begeisterter Gemüther aneinander geschlossen, und waren nicht nur zusammen aufgewachsen, sondern oft mit einander verwachsen, daß sie auch von ihren übrigens sich fernbleibenden Familien als zusammengehörig betrachtet wurden. Die Frau Pirkheimer erwiederte den bescheiden ehrerbietigen Gruß der Frau Dürer stets nur mit vornehmem Kopfnicken und vermied jeden Umgang mit der armen, vielbekinderten Frau; aber so oft der Albrecht kam, ward er in Pirkheimer's Familie wie das Kind vom Hause angesehen, denn er war einmal Willibald's Kamerad, und trat wieder dieser aus seinen prächtigen Räumen in die engen der schlichten Handwerkerfamilie, so wurden auch auf ihn weiter keine Rücksichten genommen, denn er war einmal Albrecht's Kamerad.

So war es auch jetzt. »Ei, es ist schön, daß Ihr kommt,« sagte Frau Barbara ihm traulich zunickend; »Albrecht hat schon immer nach Euch ausgeschaut, und würde uns bald davon gelaufen sein Euch aufzusuchen, wenn er da nicht erst noch Etwas für den Vater zu zeichnen hätte.«

»Ich wäre auch schon früher gekommen,« sagte Willibald, »aber die Frau Scheurlin kam zur Mutter und hielt mich noch ein wenig auf.« Er lächelte dabei[224] Albrecht zu, ihn durch seinen Blick an das kleine Abenteuer auf der Hallerwiese zu erinnern, und sich über seine Zeichnung beugend fragte er: »Was zeichnest Du denn da?«

Albrecht antwortete: »Mein Herr Pathe, Anton Koberger, hat bei meinem Vater ein Bibelbeschläge bestellt, und da es gerade für ihn ist, wollt' ich gern die Zeichnung machen; ich bin gleich fertig.«

»Das ist hübsch!« sagte Willibald; »ein paar gefaltete Hände und ein Schwert und eine Palme, die sich kreuzen.«

»In Silber ausgeführt wird es gut aussehen,« bemerkte der Vater. »Albrecht wird mir fehlen, wenn er in einem halben Jahre fortgeht. Die Zeichnung zu der Nadel, die Se. Majestät der Scheurlin verehrt, ist auch von ihm.«

»Danach wollt' ich schon fragen,« sagte Willibald; »ich habe das Kunstwerk eben in der Nähe an ihr gesehen und bewundert.«

»Jetzt eben?« fragte Meister Dürer.

»Sie zeigte es meiner Mutter.«

»Das ist sonderbar!« sagte der Goldschmied und versank in Nachdenken. Dann ging er hinaus in die einsame Werkstatt, wie um zu überlegen, was nun zu[225] thun sei. Hatte die Scheurlin die Nadel verloren und wiedergefunden, so würde sie doch die neue abbestellen lassen; die Sache kam ihm erst sonderbar, dann verdächtig vor, die fremde Frau war es ihm gleich gewesen. Er hatte auch dem königlichen Diener, der die Nadel hatte anfertigen lassen, versprechen müssen, für Niemanden eine gleiche zu machen. Wie er auch geglaubt hatte, nach seinem Gewissen zu handeln, jetzt schien es ihm mit diesem Gewissen nicht verträglich, die Doublette zu verfertigen.

Nach einer Weile reiflicher Ueberlegung rief er Albrecht und Willibald heraus, fragte diesen noch einmal, ob die Scheurlin die Nadel wirklich jetzt getragen, und da er entschieden bejahte, sagt er zu den Beiden:

»Eilt hinüber und seh't, ob die Scheurlin noch da ist, und wenn sie es ist, so sag' ihr, Albrecht, daß vor drei Tagen Jemand bei mir auf ihren Namen eine große Bestellung gemacht hätte, ich wisse aber nicht, ob es eine Betrügerei sei oder nicht, und ließe sie bitten, mir einen Augenblick Gehör zu schenken, damit ich mich mit ihr verständigen könne. Sie mag Dir sagen, wo und wann, wenn sie sich nicht in meine Werkstatt herüber bemühen will.«

Die Freunde eilten den Auftrag auszuführen.

[226] Es war die höchste Zeit, denn Elisabeth schlüpfte schon in zierlichen Schnabelschuhen die teppichbelegte Marmortreppe hinab.

»Ei, sieh da, meine beiden kleinen Ritter!« rief sie den Jünglingen zu.

»Noch verdienen wir diese Namen nicht,« sagte Willibald, »wenn wir sie auch noch einmal zu bewähren hoffen. Ich will dereinst versuchen, mir unter Kaiser Maxens Fahnen ein Ritterschwert zu erwerben.«

»Und während Pirkheimer ihm dienen will mit Schwert und Feder, werde ich's nur mit dem Pinsel versuchen,« sagte Albrecht.

»Ei, ich hörte schon neulich Aehnliches von Euch,« sagte Elisabeth, »und freute mich, wie Ihr wünschtet des Königs Bild zu malen.«

»Wer weiß, thut er's nicht einmal, und auch für Euch, hohe Frau,« sagte Willibald; »Ihr tragt da schon ein Werk von seiner Hand – die Rose, die aus seines Vaters Werkstatt hervorgegangen, hat er gezeichnet.«

Albrecht erröthete verlegen, und Elisabeth sagte: »Das ist gewiß ein gutes Zeichen, wenn Ihr schon etwas für die edelste deutsche Majestät arbeiten durftet; [227] ich wußte bis jetzt nicht, daß Euer Vater der Künstler war, dessen Werk ich trage.«

»Er hat mich eben an Euch abgeschickt,« sagte Albrecht und richtete nun den Auftrag des Vaters aus.

Elisabeth war höchlich erstaunt und sogleich bereit, dem Sohn zu dem Vater zu folgen. Dies Erstaunen steigerte sich zur Entrüstung, als sie mit dem Goldschmied allein war und von ihm das Zwiegespräch mit jener fremden Frau erfuhr, während er nicht mehr an einem Betrug zweifelte, da er sein Werk, die Nadel, wiedersah. Aber was konnte der Zweck dieses Betruges sein?

»Wenn ich die Frau wieder zu Gesicht bekomme, so laß ich sie festnehmen,« sagte Meister Dürer.

»Laßt uns einstweilen gegen Jedermann schweigen,« sagte Elisabeth, »und wenn die Frau in drei Wochen wiederkommt, so wird es Euch leicht sein, sich ihrer zu bemächtigen und vielleicht gesteht sie Euch gleich, wer sie zu dem Betrug gebraucht – dann laßt Ihr sie laufen; außerdem hat aber die Justiz ja genug Mittel, Verstockte zum Geständniß zu bringen. Uebrigens danke ich Euch für Euer Verhalten, und da ich einmal hier bin, so möcht ich mir ein silbernes Kästchen mitnehmen – wie dies hier.« Sie deutete auf ein solches als [228] den ersten passenden Gegenstand, den sie unter dem kleinen Vorrath fertiger Geräthe erspähen konnte, um durch dessen Ankauf wenigstens in Etwas den Meister für seine Ehrlichkeit zu belohnen. Der Handel war schnell geschlossen und sie fügte hinzu: »Euer Sohn giebt mir wohl das Geleit und nimmt das Geld dafür in meiner Wohnung in Empfang?«

»Es hat ja Zeit,« sagte der Meister. Da sie aber erklärte, daß sie das Kästchen, wie klein es auch war, nicht selbst tragen werde, so ward doch Albrecht zu ihrer Begleitung gerufen.

Er wollte bescheiden hinter ihr gehen, aber sie unterhielt sich mit ihm von seiner Kunst und blieb an seiner Seite.

»Euer Freund Willibald Pirkheimer,« sagte sie, »hat mir vorhin Euer Konterfei gezeigt, das Ihr schon vor fünf Jahren mit dem Stift auf Pergament gezeichnet hab't. Ich hätte es nicht geglaubt, daß Jemand dies von sich selbst im Stande wäre, wenn ich nicht die Unterschrift gelesen: ›Das hab' ich aus einem Spiegel nach mir selbst konterfeiet im Jahr 1484, da ich noch ein Kind war.‹ Lautet es nicht so?«

»Ja,« versetzte Albrecht erröthend: »Willibald hätte es Euch nicht zeigen sollen, jetzt geriethe es schon besser. [229] Ich habe das Bildniß meines Vaters zu malen angefangen, und ich hoffe, das soll ähnlich werden.«

»Wie lange werdet Ihr noch hier bleiben?«

»Bis Ostern, dann ist meine Lehrzeit beendet, dann will ich mich in Deutschland umsehen. Ich wollte erst gern nach Colmar zu Martin Schongauer, aber der Meister starb zu früh für die Kunst und für mich!«

»Möchtet Ihr nicht nach Italien? Ich könnte Euch Empfehlungen nach Venedig mitgeben.«

»O wie gütig seid Ihr, edle Frau! Ich werde Euch später daran erinnern – vielleicht wenn ich einer Empfehlung würdig bin. Erst will ich im deutschen Reiche mich umsehen, fest werden in deutscher Art und Kunst, ehe ich das wälsche Wesen auf mich wirken lasse. Der deutschen Kunst und dem deutschen Vaterlande will ich dienen: ich habe keinen höhern Wunsch, und wenn ich es je dahin bringe ein Meister zu werden, so soll man mich als deutschen Meister kennen.«

So und ähnlich weiter sprechend war Elisabeth bis an ihr Haus gelangt und mit Albrecht in ihr Wohnzimmer getreten. Sie schellte nach Wein und Confekt für ihn, und bat ihn zuzulangen, bis sie aus einem andern Gemach ihre Goldchatulle geholt, absichtlich blieb sie lange, damit Albrecht ohne Verlegenheit dem seltenen [230] Genuß sich widmen könne. Dieser aber nippte nur bescheiden von dem edlen portugiesischen Rebensaft und ohne zu essen schob er ein paar kleine Stücke Backwerk in seine Tasche, um die kleinen Geschwister damit zu erfreuen.

Als Elisabeth wieder zurückkehrte, überreichte sie ihm das Geld in einer kleinen Ledertasche zum Umhängen und sagte: »Der Inhalt ist meine Schuld für Euren Vater. Die Tasche wird Euch auf der Wanderschaft vielleicht nützlich sein.«

Albrecht stand unschlüssig und verlegen, was er thun und antworten sollte; Elisabeth kam ihm zuvor, indem sie sagte: »Ich habe mich nicht geweigert, das Geschenk des Königs anzunehmen als ein Andenken; Ihr werdet dies werthlose Andenken von einer Frauenhand nicht zurückweisen, und Euch dabei derer erinnern, die in den Besitz Eurer Rose gekommen. – Aber nun noch ein Wort. Ich habe von allen Seiten nur Euer Lob gehört, von Eurem Meister, Euren Hausgenossen, Eurem Freund, auch von meiner Freundin Ursula Muffel, die Eurer Verschwiegenheit dankbar eingedenk ist; ich glaube, Ihr hab't mir schon denselben Dienst geleistet, ohne daß ich Euch darum bat, wenigstens hat Euer Freund [231] Pirkheimer mich dessen versichert – ich meine den Vorfall auf der Hallerwiese.«

»Ueber meine Lippen ist kein Wort davon gekommen!« betheuerte Albrecht.

»Es ist jeder Frau unangenehm, wenn von dergleichen gesprochen wird,« warf Elisabeth hin. »Ihr scheint jene beiden Baubrüder zu kennen?«

»Nur den Einen von ihnen, mir scheint er ein außerordentlicher Mensch!«

»Sein Name?«

»Ich kenn' ihn nur als Ulrich von Straßburg.«

»Und warum erscheint er Euch als außerordentlich?«

Albrecht zuckte die Achseln. »Er ist so begeistert für die Kunst, er ist so aufgeklärt und voll großer Anschauungen, dabei so freundlich und mild, zum Beispiel gegen Lernbegierige wie ich, trotzdem daß ich, wie uns die Baubrüder nennen, ein Profaner bin und er mir gewiß nicht mehr von seinem Wissen mittheilen wird, als seine Gesetze erlauben.«

»Hab't Ihr ihn seit jenem Tage wiedergesehen?«

»Ja, aber wir haben wenig zusammen gesprochen; sein Gönner, Herr Anton Kreß, der Propst von St. Lorenz war bei ihm.«

[232] Elisabeth hatte ihr Examen beendet. Albrecht hatte erwartet, da sie einmal nach seiner Bekanntschaft mit den Baubrüdern fragte, sie werde ihm ihren Dank für Ulrich auftragen, denn eigentlich war es doch nur dieser, der sie aus den Händen des Ritters befreit. Allein Elisabeth brach das Gespräch ab. Sie drang nur noch in Albrecht, alles noch dastehende Confekt seinen kleinen Geschwistern mitzunehmen, und damit war er entlassen.

Elisabeth warf sich wie erschöpft auf einen Polsterstuhl und lehnte das stolze Haupt müde zurück.

Wie war ihr denn? So lange der König hier war, hatte sie in einem glücklichen Rausch gelebt. Er erschien ihr als das Ideal eines Mannes, eines Helden auf dem Thron. Und sie war es vor allen Frauen, der dieser auserlesenste aller Ritter auch die auserlesensten Huldigungen weihte. Sie hatte sie annehmen dürfen ohne Furcht, sie durfte daran zurückdenken ohne Scham und Reue, denn es knüpfte sich nichts Unwürdiges oder Erniedrigendes daran. Vor aller Augen hatte er sie ausgezeichnet vor allen Nürnbergerinnen, und vielleicht noch stolzer und glücklicher als sie selbst war ihr Gemahl über die ihr zu Theil gewordene Gunst. Das Versprechen des Königs, das nächste Mal in seinem Hause seine Wohnung aufzuschlagen, machte ihn zum [233] glücklichsten Sterblichen; er knüpfte daran sogleich die Hoffnung, daß er dann wohl an das Ziel seiner Wünsche gelangen und den Adelstand, nach dem er lange trachtete, erlangen werde, ja wenn er in etwas mit seiner Gemahlin nicht ganz zufrieden war, so war es eben nur, daß sie nicht schon jetzt die Adelswürde vom Könige erbeten, da ihr dieser gewiß keine Bitte abgeschlagen hätte. Wohl gab es Leute genug, welche durch boshafte Bemerkungen und heimliche Zuträgereien oder verstohlene Winke Scheurl auf den König hatten eifersüchtig machen und die Treue und Tugend seiner Gattin verdächtigen wollen; allein er wies alle solche Angriffe als erbärmliche Waffen des Neides und der Mißgunst zurück, und war und blieb stolz darauf, daß es gerade seine Gattin war, welche den Sieg in der Gunst des Königs über alle andere Frauen davon getragen. Vielleicht hätten so auffallende Huldigungen, wenn ein anderer Mann sie gewagt, ihn sowohl gegen denselben wie gegen seine Gemahlin, die sie nicht zurückwies, sondern mit sichtlichem Wohlgefallen annahm, aufgebracht; allein von dem Könige dargebracht, hatte er einen andern Maßstab dafür. Nicht etwa den einer gemeinen Bedientenseele, die sich geehrt fühlt, wenn sein Herr sich zu ihm herabläßt, und die sich als Ehre anrechnet, was [234] sie von anderer Seite als Schimpf empfinden würde: sondern weil er wußte, daß seine Gemahlin zu stolz war, sich jemals zu einer Buhlerin wegzuwerfen, und weil er weiter schloß, daß dieser königliche Nebenbuhler ihn ja nur auf kurze Zeit verdunkelte, und weil er Elisabeth genug kannte, um zu begreifen, daß sie von dem ersten Ritter und königlichen Helden ihres Zeitalters ausgezeichnet, nun um so ruhiger auf die Huldigungen anderer Männer verzichten werde – und beinahe kaufmännisch berechnete der reichsstädtische Handelsherr, daß der eine durch seine Entfernung auf den Thron, wie durch den Raum ungefährliche Nebenbuhler ihm die Furcht vor jedem andern erspare; denn aus den gewöhnlichen Alltagsmenschen ihrer Umgebung konnte ihm keiner erwachsen, der mit dem Einen sich hätte messen können.

In dieser Beziehung war Elisabeth wirklich von ihrem Gatten verstanden, wie wenig er sonst auch der Mann war, die Höhen und Tiefen eines weiblichen Charakters zu ermessen, wie dieser Elisabeth's. Sie hatte den Triumph ihres Geistes und ihrer Schönheit mit vollen Zügen genossen, wie der König hier war, von Begeisterung war sie durchzuckt worden bei dem Gedanken, daß dieselbe Männerhand, welche ihre kleine [235] Hand zärtlich drückte, die Geschicke einer Welt und das Scepter über viele Lande zu halten berufen war. Herrlich war es ihr erschienen, die Gedan ken des Mannes zu erforschen, auf den viele Millionen Augen voll Hoffnung und Erwartung blickten: von ihm die Rettung aus verwilderten Zuständen hofften, eine neue Aera, eine neue Form für ausgelebte Verhältnisse, und göttlich die eigenen Gefühle neben ihm auszusprechen, aus den Flammen des eigenen Geistes Funken in das Licht des seinen zu werfen, mit einem kühnen Wort vielleicht die Anregung zu geben zu einer kühnen That, oder wieder durch eine weiblich sanfte Fürbitte Befreundeten zu nützen – das gewährte ihrem ganzen Wesen eine vollere Befriedigung und gab ihr einen höheren Schwung als die leidenschaftlichen Erregungen, an denen Gemüth und Sinnlichkeit den größeren Antheil haben.

Aber jetzt war dieses Glück vorüber. Es schien, als wolle ihr Geschick ihr nur zeigen, wozu sie Beruf und Macht habe, was ihr Genüge und Beseligung geben könne, um es dann nach kurzem Besitz wieder von ihr zu nehmen! –

Die Muse eines Dichters und die Freundin eines Königs! Das Schicksal hatte sie dieser seltenen Gunst [236] gewürdigt; aber jetzt war Beides vorüber! Max war nur wie ein leuchtendes Phänomen neben ihr aufgetaucht, und jetzt erglänzte es in unerreichbarer Ferne. Sie sah wohl noch sein Leuchten – aber wie stolz und eitel sie auch war, sie wagte doch nicht sich einzubilden, der König werde unter den Sorgen der Krone und des Krieges noch ihrer gedenken. Sie sagte sich, daß er so wie ihr wohl schon vielen Frauen gehuldigt und vielen andern noch huldigen werde in seiner ritterlichen Weise, daß, wenn nicht andere Bürgerinnen, doch Edelfräulein und Fürstinnen ihr Bild verlöschen würden. Und Konrad Celtes? Sie zweifelte nicht, daß sie in seinem Herzen fortlebte wie in seinen Liedern; sie war sich ihrer geistigen Gaben genug bewußt, um zu wissen, daß er für das Verständniß seines geistigen Wesens keinen Ersatz für sie bei andern Frauen finden werde – aber sie konnte nicht ohne Schmerz und Bitterkeit an ihn denken. Er hatte sie doch nicht geliebt, so wie sie ihn liebte, sonst hätte er ihr nicht entsagt, da sie noch frei war – ach, warum gab es keinen Mann, der zu lieben verstand wie sie selbst, mit solcher Kraft und Hingebung und Treue?! Weil sie an Celtes zu der Erkenntniß gekommen war, nach einem Ideal zu jagen, für welches das Leben keine Verwirklichung [237] habe, hatte sie dem ungeliebten Mann ihre Hand gegeben, um sich vor neuen Kämpfen zu bewahren.

Und nun mußte gerade jetzt wieder eine Gestalt aus der goldenen Morgenzeit ihrer Jugend, die sie für immer zu vergessen wünschte, gleich einem Gespenst vor ihr auftauchen? Jener Augenblick auf der Hallerwiese, da sie Eberhard von Streitberg wiedersah, gehörte zu den schrecklichsten ihres Lebens!

Sie war erst siebzehn Jahre alt, da sie ihn in Venedig kennen lernte. Leicht war es dem feurigen und damals auch äußerlich anmuthigen Ritter, das liebesehnsüchtige Herz der Jungfrau zu gewinnen, und im ganzen Sonnenglanz der ersten Liebe, von Italiens Sonne doppelt verklärt, flossen ihnen Tage und Monde dahin. Sie schworen sich ewige Liebe und Treue, und Elisabeth zweifelte nicht, daß ihre Eltern in Nürnberg ihren Bund segnen würden. Es kam schon vor, daß ein Ritter, der nicht besonders mit Schätzen gesegnet war, und Streitberg schien das auch nicht zu sein, sich's noch zur Ehre schätzen mußte, wenn ein reichsstädtischer Bürger ihm die Tochter mit der reichen Mitgift gab, die Einwilligung ihrer Eltern erhalten werde. Da sie von Venedig scheiden mußte, und er das belagerte [238] Wien zum Ziel hatte, gelobten sie einander Treue und Schweigen, bis es ihm möglich sein werde nach Nürnberg zu kommen. Ueber ein Jahr verging so getrennt, zuweilen durch ein zärtliches Brieflein unterbrochen.

Endlich meldete ihr ein solches, daß er komme, daß er sie bitte ihn vor dem Thiergärtnerthor zu erwarten, damit ihr erstes Wiedersehen nach so langer Trennung ohne Zeugen sei, dann wolle er sie zu ihren Eltern begleiten. Liebeselig erfüllte sie seinen Wunsch noch vor der bestimmten Stunde. Die angegebene Stelle pflegte sonst menschenleer zu sein. Sie erstaunte eine verschleierte Dame dort zu finden.

»Elisabeth Behaim,« fragte diese, »Ihr wartet auf Eberhard von Streitberg?«

Und da Elisabeth schwieg, gab ihr die Fremde den von Elisabeth selbst geschriebenen Brief.

Elisabeth rief: »O er kann nicht kommen, und sendet mir seine Mutter oder Schwester? oder wer seid Ihr, die er seines Vertrauens würdigt?«

Die Fremde nahm Elisabeth's Arm und sagte: »Wir wollen in die Stadt gehen, hier ist es so einsam, ich erzähle Euch unterwegs; Eberhard schrieb Euch, daß[239] er Euch nach Hause begleiten und um Euch werben wolle, und Ihr glaubtet das?«

»Ich habe nie an seinem Wort gezweifelt!« sagte Elisabeth zuversichtlich.

»Armes Kind!« rief die Fremde, »Eure Unschuld spricht aus Euren Mienen wie aus Eurem Brief, darum kam ich, Euch und mich vor Schande zu bewahren, Ihr wißt wirklich nicht, daß Eberhard seit zehn Jahren verheirathet ist?«

»Ihr lügt!« rief Elisabeth.

»Ich bin seine Gattin, die er einst liebte wie Euch vielleicht auch; könnte er ehrlich um Euch werben, käme er in Euer Haus; so bestellte er Euch vor das Thor, um Euch zu entführen. Euer Brief fiel in meine Hände statt in seine, und so kam ich statt seiner. Glaubt Ihr mir nicht, so schreibt ihm nur, was Ihr von ihm gehört, und das Ihr ihn im Elternhaus erwartet, wie einer sittsamen Jungfrau ziemt!«

Was auch Elisabeth noch fragen und zweifeln mochte: es blieb bei diesem Resultat, und es blieb dabei, nachdem sie an Eberhard geschrieben und durch Andere Erkundigungen über ihn einzog. Er war verheirathet; indeß er in der Welt herum abenteuerte, lebte seine Gattin einsam auf Streitberg, und jetzt, da sie hörte, [240] daß er zurückkehre, war sie ihm entgegengereist, um auf dem Schloß eines seiner Freunde bei Nürnberg, des Herrn von Weyspriach, mit ihm zusammenzutreffen; sie kam ihm doppelt ungelegen, als sein Brief an Elisabeth eben fort war, dessen Antwort in die Hände der unglücklichen Gattin fiel.

Da Eberhard seinen Plan vereitelt sah, so schied er wieder aus der Gegend, und Elisabeth hörte nur, daß er in's heilige Land mit Weyspriach gereist. Freilich nicht zu einer Buß- und Betfahrt, sondern zu neuen Abenteuern.

Acht Jahre waren seitdem vergangen. Elisabeth, so gräßlich in ihrer Jugendliebe betrogen, unschuldig eine Schuldige, den Mann ihrer Liebe als einen Gegenstand der Verachtung erkennend, wollte wenigstens sich davor bewahren, Anderen ein Gegenstand des Spottes zu werden, und trug die ganze Centnerlast ihres Schmerzes allein als ihr Geheimniß, daß sie jetzt tausendmal ängstlicher hütete als zur Zeit des Glückes. Sie suchte ihr Herz gegen die Liebe zu verhärten und setzte jedem Manne kalten Stolz entgegen. So vergingen fünf Jahre. Da schmolz die Eisrinde unter der Gluth der Poesie, aber auch Celtes erkannte ihr Herz nicht ganz, [241] so zog es sich zusammen, und durch eine ewige Fessel wollte sie es zwingen ruhig zu schlagen.

Und jetzt, nach acht Jahren hatte der Verräther ihrer Jugendgefühle sich wieder zu ihr zu drängen gewagt; hatte er mit dem Markgrafen, mit dem Könige von ihr gesprochen – oder durch wen sonst – sollte jetzt verrathen worden sein, was sie als unauslöschlichen Schimpf empfand? Nimmer hatte sie seinen Namen wieder über ihre Lippen gebracht, weder den Markgrafen noch den König nach ihm fragen mögen, wie sehr sie diesem auch seine Verbannung dankte.

Aber hatte sie nicht für sich zu fürchten, nun er ihr wieder einmal genaht? Das quälte und ängstete sie, und sie versank in vergebliches Sinnen darüber, wie über die Geschichte, die ihr der Goldschmied Dürer erzählt.

[242]

Elftes Capitel
Hexen und Wegelagerer

Als die Baubrüder Ulrich und Hieronymus eines Abends in der Dunkelheit an ihre Wohnung kamen, sahen sie in einem Winkel der Hausthür irgend ein Wesen zusammengekauert hocken. Da sie eintreten wollten, erhob es sich, zupfte Ulrich leise, so daß dieser unwillkürlich an sein Schwert griff, indeß eine leise Stimme sagte:

»Ich habe Eure Wohnung ausgekundschaftet und auf Euch gewartet; nicht war, Ihr seid Ulrich von Straßburg und jener ist der blonde Hieronymus?«

»Wir schämen uns unserer Namen nicht!« sagte Ulrich, der gewahr ward, daß es ein weibliches Wesen mit langen Zöpfen war, das sich an ihn drängte; weiter vermochte er in der Dunkelheit Nichts zu erkennen, und da er eine Weile vergeblich auf einen Nachsatz zu der Anrede gewartet, sagte er unwillig das Mädchen [243] zurückschiebend: »Geh' fort, wir sind Baubrüder und mögen weder von ehrbaren Frauen noch weniger von verlaufenen Dirnen etwas wissen, die zur Nachtzeit in den Straßen lauern.«

Das Mädchen stieß einen Schrei aus und sagte: »Ich kann Nichts wider die innere Stimme, die mich antreibt ein Unglück zu verhüten, wo es möglich. Ihr habt Eberhard von Streitberg erzürnt, und er wird sich rächen an Euch und an Ihr!«

»Es ist wohl gar das Judenmädchen?« rief Hieronymus, es jetzt erkennend; »packe Dich in das Judenquartier, in das Du gehörst, und laß uns in Ruhe!«

Das Mädchen fing an zu weinen.

»Wenn Du es gut meinst,« sagte Ulrich besänftigend, »so gehe ruhig Deines Weges; ich sagte Dir schon einmal, daß uns auch der gefährlichste Raubritter Nichts rauben kann, denn wir haben Nichts, und mit seinem Schwert hat sich unseres schon gemessen, falls er uns nach dem Leben trachten sollte.«

»Ihr habt Nichts?« fragte das Mädchen ermuthigt, aber doch wie mit vorwurfsvollem Tone, und fügte wehmüthig hinzu: »O Ihr habt unendlich viel, wenn Ihr einen ehrlichen Namen habt, aber den trachtet Euch der Ritter zu rauben; er will Euch beschimpfen[244] und vernichten, indem er aussprengt: Eure Mütter wären – Hexen!«

»Unsinn!« rief Hieronymus; »es sollt' einer wagen mein Mütterlein zu beschimpfen, das jedes Nürnberger Kind als die bravste Frau kennt von Kindesbeinen an!«

»Er wird einen Makel auf Euch werfen, um Euch zu schaden, zweifelt nicht daran!« rief die Jüdin.

»Er mag's versuchen!« lachte Hieronymus; »komm, Ulrich, laß' uns nicht länger hören auf dies alberne Geschöpf!«

»Verachtet Ihr für Euch meine Warnung,« sagte sie seufzend, »so hört doch die für die Dame, der ihr damals beistandet. Laßt sie wissen, daß sie sich unter keinem Vorwand soll aus der Stadt locken lassen, daß sie –«

»Ach, laß uns in Ruh,« sagte Hieronymus; »geh' selbst zur Scheurlin und sag' ihr was Du willst, uns geht sie Nichts an!«

»Doch, doch!« rief das Mädchen, »ich kann nicht zu ihr! wir Ausgestoßenen dürfen ja weder bei Tag noch bei Nacht die Schwellen dieser stolzen Geschlechter überschreiten! Und doch möcht' ich das Unheil verhüten, da ich es einmal weiß! O wollt denn auch Ihr mich nicht hören?« wendete sie sich an Ulrich; »Ihr dürft [245] mich nicht verrathen und werdet es schon nicht – es sagt ja Niemand, der nicht zu unserm Volk gehört, daß er mit der armen Rachel geredet – aber ich sage die Wahrheit. Vor dem Thor draußen vor der Veste in dem kleinen Häuslein am Waldessaume wohnt die Amme der Scheurlin; übermorgen im Dunkeln wird man sie dahin locken, und derselbe Ritter von neulich wird sie überfallen und mit sich schleppen.«

»Aber woher weißt Du das?« fragte Ulrich.

»Darauf darf und kann ich nicht antworten!« rief Rachel; »aber einen Eid kann ich ablegen, daß ich die Wahrheit rede und daß es so geschehen wird.«

»Gut,« sagte Ulrich, »wenn Dich Dein Gewissen treibt, eine schlechte That zu verhindern, und Du uns gerade dazu berufen hältst, so wollen wir versuchen dasselbe zu thun. Wehe Dir aber, wenn Du nur einen frechen Scherz mit uns getrieben!«

Rachel schüttelte sich: »Ihr braucht mir nicht mit den Strafen zu drohen, die mein warten könnten, den Staubbesen oder die Henkershände die Zunge auszureißen, die falsch geredet, und allen Marterwerkzeugen – es ist noch keine Lüge aus meinem Munde gekommen! Ihr werdet es erfahren und mir künftig glauben. Warnt die Scheurlin – ich thäte es, könnt' ich schreiben.«

[246] »Es soll geschehen,« sagten die Baubrüder zugleich, »und nun geh' in Deine Gasse und gieb Dich zufrieden.« Sie traten durch die Hausthür, die sie hinter sich verschlossen, denn sie sahen einen andern Baubruder die Straße herauf kommen, und wollten nicht, am wenigsten an ihrer Hausthür, mit einem weiblichen Wesen betroffen werden, noch dazu mit einer verachteten Jüdin, denn den Baubrüdern war durch ihre Gesetze aller Umgang mit dem weiblichen Geschlecht verboten und es hieß in ihren Statuten: »Welcher Geselle mit ehrbaren Frauen geht, soll Urlaub bekommen und den Wochenlohn in die Büchse legen; wer aber mit berüchtigten und bösen Frauen sich führt, den soll man ganz aus dem Handwerk verweisen.« Zu den letztern würde man Rachel gerechnet haben, schon weil sie Jüdin, war sie dabei auch unschuldig wie ein Kind.

Als die Beiden allein in ihrem Gemache waren, sagte Hieronymus: »Es ist eine wunderliche Geschichte. Etwas thun müssen wir! aber was?«

»Das Mädchen redete aufrichtig aus einem geängsteten Herzen,« sagte Ulrich; »aber warnen können wir die Scheurlin nicht, um so weniger, als wir die Quelle auch nennen dürfen, und es auch, ohne daß man uns belogen, Alles nur Hirngespinst oder Pläne sein können, [247] die nicht zur Ausführung kommen. Laß uns übermorgen mit einigen Steinmetzen einen Spaziergang nach dem Feierabend vor jenes Thor machen, aber Keinem etwas weiter sagen; da findet es sich dann, ob Jemand unserer Hülfe bedarf.«

»Es ist der beste Rath,« stimmte Hieronymus bei; »obgleich das Mädchen uns selbst ja vor dem Raubritter warnte, dem wir nun entgegen gehen. Wie, wollte er nicht aussprengen, unsere Mütter wären Hexen?«

Ulrich nickte sinnend mit dem Kopfe. »Deine Mutter kennt hier Jedermann,« sagte er, »und zum Glück ist man hier noch vernünftig und glaubt nicht an den neuen Unsinn, der von herrschsüchtigen Priestern ersonnen worden, um nicht nur über den Glauben, sondern auch über Ehre und Leben des deutschen Volkes die Herrschaft zu erhalten. Aber in meiner Heimath hat der Hexenglaube schon lange Zeit manches Opfer geheischt – dort waren wir ja Frankreich, seiner Wiege näher. Dir allein kann ich sagen, was noch nie und gegen Niemand über meine Lippen gekommen: Da mir die Benediktiner die nöthigen Zeugnisse gaben, sagte Pater Anselm, mein Gönner, vertraulich zu mir: ›Forsche und frage draußen im Reich nicht mehr nach Deiner Mutter. Wir haben Dir das Zeugniß ehrlichen Herkommens [248] gegeben, ohne das Du nicht freier Maurer werden kannst, und es ist auch wohl verdient; aber später hat man Deiner Mutter üble Dinge nachgesagt, forsche und frage nicht weiter!‹ Vergeblich beschwor ich ihn mir mehr zu sagen, wenn er mehr von ihr wisse; aber er behauptete, daß ein Schwur seine Zunge binde und daß ich nicht weiter forschen und fragen dürfe. Darum traf mich jene Drohung doch sonderbar.«

»So geh' übermorgen lieber nicht mit,« sagte Hieronymus bedenklich, »wenn es auf eine Begegnung mit demselben Ritter abgesehen –«

»Nein!« rief Ulrich entschieden, »das wäre Furcht und Feigheit; mich gelüstet dem Mann gegenüber zu stehen, der es vergeblich wagen soll, meine Mutter oder mich zu beschimpfen.«

»Es ist auch dummes Zeug!« tröstete Hieronymus; »es wäre zum ersten Mal, daß in Nürnberg und nun gar in der Bauhütte von Hexen die Rede wäre. Dazu ist es zu hell in den Köpfen; und wenn auch der Rath und die ganze Verfassung erstarrt ist in den alten Formen, so hat das auch sein Gutes: das widersteht auch der neuen Finsterniß und der gewaltsam heraufgeführten Nacht. Hier kümmert sich Niemand um die Bulle Pabst Innocenz' VIII. und selbst die Geistlichen[249] scheuen sich davon Notiz zu nehmen. Die freidenkenden Gebildeten lächeln höchstens darüber, und in unserer Gemeinschaft würde Jeder sich selbst brandmarken, der an den Teufel anders dächte, als um ihn als darstellbares und allgemeinfaßliches Symbol zu benützen, die Sittenverderbniß der Zeit in wie außer der Kirche zu geißeln.«

»Ja,« sagte Ulrich, »es that mir wohl, diesen Geist in Nürnberg zu finden! Aber eben so hat es alle meine Hoffnungen auf König Max verringert, weil er schon vor fast drei Jahren in einem römisch-königlichen Brief vom 6. November 1486 aus Brüssel die päpstliche Bulle in allen Stücken genehmigt, die Inquisitoren in seinen Schutz nimmt und allen und jeden Unterthanen des Reichs befiehlt, ihnen bei Vollziehung ihrer Geschäfte alle Gunst und Hülfe zu leihen. Und das ist geschehen trotz dem Widerspruch der Gebildeten und vieler würdigen Geistlichen, die in ihre Predigten dem Volke die Versicherung gaben, daß es keine Hexen gebe, oder daß es wenigstens Nichts sei mit ihren angeblichen Künsten, durch welche sie den Menschen und andern Geschöpfen schaden sollten. Das ist geschehen trotz dem Buche De Lamiis pythonicis mulieribus von Ulrich Molitor (Müller) aus Kostnitz, eines Doctors der päpstlichen [250] Rechte zu Padua, worin er den Glauben an die Macht des Teufels zur Bewerkstelligung der angeblichen Zaubereien bestreitet und alles davon Erzählte für Erdichtungen oder für Werke der Einbildungskraft erklärt, obwohl er zugiebt, daß diejenigen Strafe verdienen, die durch Armuth und Unglücksfälle zum Bösen versucht, sich wenigstens der Absicht nach dem Dienst des Teufels ergeben. Aber anstatt diesem Urtheil der Vernünftigen sind die Fürsten und Universitäten dem Boten der Unvernunft beigetreten. Die Universität zu Cöln hat auf Begehr der Inquisitoren Heinrich Krämer und Jacob Sprenger ein beifälliges Gutachten über den ›Hexenhammer‹ ausgestellt, und gerade König Max mußte es sein, der ihm die vollste Bestätigung gab; ich glaube, der alte Kaiser Friedrich hätte es nimmer gethan – da thut es der Sohn; was bei dem Vater die Entschuldigung für sich gehabt, daß es von einem schwachsinnig gewordenen Greise stamme, das gereicht dem Sohn im blühendsten Mannesalter zu ewiger Schmach.«

»Ich habe mich bisher wenig um diese Dinge gekümmert,« sagte Hieronymus; »ich habe sie für zu einfältig gehalten, als daß man großes Gewicht darauf legen sollte, und wenn man aus Frankreich oder auch vom Rhein und Westfalen Hexengeschichten und Processe [251] hörte, so habe ich gemeint, solch' dummes Zeug könne sich doch nicht auf die Dauer erhalten, man könne die Thorheit ruhig mit ansehen, sie werde bald in sich selbst zerfallen.«

»Ja,« sagte Ulrich, »verachte man nur die Unvernunft, dem gewissen Sieg der Vernunft durch sich selbst vertrauend, und setze sich jener nicht mit aller Kraft entgegen, so wächst sie zur riesenhaften Macht empor. Das ist das Unkraut, das man unter dem Weizen nachsichtig duldet und das ihn dann erstickt. So scheint es hier zu gehen! Vor einem halben Jahrhundert verbrannte man die heldenmüthige Retterin Frankreichs Jeanne d'Arc, weil dem einfachen Mädchen aus dem Volke gelungen war, was Helden umsonst versuchten, und der politische Parteienhaß verdammte sie als Zauberin. Vor dreißig Jahren wurden zu Arras in Artois eine Menge von Menschen durch die Habgier schändlicher Ankläger und noch schändlicherer Richter der Gemeinschaft mit dem Teufel verdächtigt und schuldig befunden. Der Chronikenschreiber Monstrelet erklärt, daß diese ganze Anklage nur erfunden worden, um einige angesehene Personen in Schaden und Unglück zu bringen. Man ließ erst nur schlechte Leute gefangen nehmen, welche nun durch Marter und Pein gezwungen [252] wurden die Namen der Personen, die man ihnen vorsagte, als solche zu nennen, welche mit ihnen dem Teufel gehuldigt und Hexensabbath gefeiert. Die Angegebenen wurden dann wieder so grausam gefoltert und gemartert, bis sie endlich auch gestanden – und dann wurden sie auf unmenschliche Weise hingerichtet oder verbrannt. Aber trotzdem, daß so ein Gelehrter versuchte diese Schändlichkeit zu enthüllen und zu erklären, wollte man nun an andern Orten auch von Zauberei und Teufelsspuk hören, und die Finsterlinge, denen stets die Dummheit des großen Haufens und der Glaubenseifer edlerer Naturen willkommen ist ihr Reich zu kräftigen, fanden hier ein treffliches Netz, es immer weiter auszuwerfen und mehr darin zu fangen.«

»Wenn ich nicht irre,« sagte Hieronymus, »sind es etwa fünf Jahre, daß Papst Innocenz die Bulle erließ, durch welche der Hexenglaube und das damit verbundene Rechtsverfahren die kirchliche Weihe erhielt; aber Du überschätzest wohl die Schädlichkeit ihres Einflusses.«

»Gewiß nicht!« eiferte Ulrich; »die Dominikaner und Professoren der Theologie Heinrich Krämer in Oberdeutschland – und Jakob Sprenger am Rhein waren schon zu Inquisitoren ernannt, als sich noch viele der besseren und aufgeklärteren Geistlichen ihrem [253] Verfahren widersetzten; aber seit der päpstlichen Bulle und noch mehr seit der päpstlichen Bestätigung wagt das Niemand mehr, die Geistlichen wie die Laien haben sich gefügt, denn diejenigen, welche es nicht thaten, wurden ihrer Stellen verlustig. Der ›Hexenhammer‹, der erst kürzlich erschienen, enthält eine förmliche Hexengerichtsordnung, die nun überall gelten soll. Unsinn, Dummheit und Unflätherei wetteifern darin mit der schauderhaftesten Grausamkeit, und unzählige Frauen sind bereits als ihre Opfer gefallen. Das Schlimmste ist nur, daß die weltlichen Gerichte ihr Ansehen allein dadurch zu behaupten wähnen, daß sie den geistlichen Gerichten nicht die Spitze zu bieten, sondern ihnen zuvorzukommen suchen; so kommt es endlich zu einem förmlichen Wetteifer, wer mehr Teufels- und Hexenspuk aufspüren und wer seine Opfer gräßlicher foltern und bestrafen kann.«

Die Beiden sprachen noch lange so über ein einmal angeregtes schreckliches Thema und über eine, durch ein einziges Wort heraufbeschworene Gefahr, die nun wie ein Damoklesschwert über Ulrich's Haupte hing; denn kam der Verdacht eines unehrlichen Herkommens auf einen Baubruder; war seine Mutter der Schande verfallen, so verfiel er derselben mit und ward [254] für immer aus der Gemeinde der freien Maurer ausgestoßen und dadurch zugleich gewissermaßen für vogelfrei erklärt.

Als der zweite Abend nach diesem herankam, zogen die Baubrüder, ohngefähr zehn an der Zahl, vor das Thor an der Veste sich im Walde zu ergehen. Keiner, außer Hieronymus und Ulrich, ahnte dabei eine andere als die von diesen angedeutete Absicht, die schöne Waldluft zu genießen und an der Natur selbst Muster der Ornamentik zu studieren. Denn wie überhaupt die himmelanstrebenden Säulen der gothischen Dome, die oben in Zweigen und Aesten sich auseinander theilten, in den deutschen Hainen majestätischer Buchen und schlank aufstrebender Tannen ihre Vorbilder hatten, so bildete man jetzt mit immer wachsenderer Vorliebe für das Vegetabilische die Verzierungen an Säulen und Thüren, Piedestalen und Kapitälern dem lebendigen Laube in durchbrochener Steinarbeit nach, und die strebsamsten Steinmetzen, immer bemüht nach eigenen Anschauungen Neues und Eigenes zu schaffen, statt nach alten Maßbrettern zu arbeiten, suchten und zeichneten sich selbst ihre Muster in der Natur.

Jeder der Baubrüder hatte seine Ledertasche umhängen, und an die Stelle des Abendbrodes, das darin[255] steckte, bis es unterwegs verzehrt ward, sammelte man schön geformte Blätter hinein, sie gelegentlich als Modelle zu benutzen. Das kurze Schwert trug Jeder umgegürtet, nur bei der Arbeit trennten sie sich davon.

Als sie an der von der Jüdin bezeichneten Hütte vorüber kamen, sagte Ulrich: »Mich dürstet, und hier sehe ich nirgends eine Quelle oder einen Brunnen; ich denke, man wird mir hier einen Trunk Wasser nicht versagen.« Er schlug mit seinem Schwert an die verschlossene Thür, nur der eine Steinmetz Erwin, der auch Durst verspürte, wartete mit ihm.

Endlich öffnete man, und eine alte Frau fragte unwirsch, was es gäbe. Als Ulrich sein Begehr sagte, entfernte sie sich in ein inneres Gemach, um ein Trinkgefäß zu holen. Auf einem Schemel in der unsauberen Hausflur saß ein Mann in städtischer Dienertracht, der Ulrich zunickend zu ihm sagte, wahrscheinlich um seine Anwesenheit in diesem üblen Lokal zu rechtfertigen:

»Wenn Ihr nicht ganz verdurstet seid, möcht' ich Euch nicht rathen hier zu trinken! drinnen liegt eine alte Frau im Sterben – wer weiß, was ihr fehlt. Wir sind herausgegangen, weil sie die Amme meiner Herrin gewesen.«

[256] »Ja,« sagte Ulrich, »es ist auch ein schlechter Dunst hier: wenn Eure Herrin noch drinnen ist, möcht' ich Euch rathen bald mit ihr zu gehen, damit ihr kein Leid geschieht! ohnehin wird es bald dunkel, und da treibt sich hier oft schlechtes Gesindel herum; das ist kein Weg für Damen.«

»Das hab' ich auch gesagt,« bestätigte der Diener.

Die Frau kam mit dem Wasser, drinnen hörte man ächzen und stöhnen; Erwin schüttelte sich jetzt vor dem Wasser, und Ulrich goß es draußen weg statt zu trinken und winkte dem Diener heraus.

»Warum wartet Ihr nicht lieber außen?« fragte er ihn.

»Weil es ein verrufenes Haus ist; man schämt sich, wenn einen Jemand sieht; die Frau, die heraus kam, giebt sich mit Zaubereien ab, und ich kann nicht Jedermann erzählen, daß die Frau Scheurlin aus lauter christlicher Barmherzigkeit drinnen bei ihrer Amme sitzt, deren Sterben man ihr vorhin vermeldete und sie beschwören ließ herauszukommen, weil sie sonst nicht sterben könne.«

»Eben weil es ein verrufenes Haus ist,« sagte Ulrich, »solltet Ihr außen Wache stehen, um zu beobachten, daß sich nichts Verdächtiges zeigt. Wir sind[257] hier in der Nähe, ruft nach uns, wenn Ihr eines Beistandes bedürfet.«

Damit ging er mit Erwin, der zu ihm sagte: »War es nicht die Scheurlin, die Ihr gegen einen Ritter vertheidigt, wie der König hier war, und die er selbst vor allen Frauen ausgezeichnet?«

»Ja,« antwortete Ulrich; »wer weiß, droht ihr nicht wieder eine Gefahr, diese frechen Raubritter sind zu allen Schändlichkeiten fähig. Erst vor wenig Tagen ist bei Niclashausen ein Waarentransport überfallen worden, ein Trupp ritterliches Raubgesindel hat die Kaufleute und ihr Geleit in die Flucht geschlagen und ihre Waaren auf ihre Burgen geschleppt. Der Nürnberger Rath denkt immer sich allein helfen zu können, wenn die Reichsstadt aber nicht bald zum schwäbischen Bunde tritt, so wird das Uebel immer ärger werden.«

Als die Beiden wieder zu den Andern kamen, theilten sie ihnen das eben Erfahrene mit, und Hieronymus sagte: »Es kann ja Einer von uns nahe bei der Hütte bleiben, dem furchtsamen Diener und der barmherzigen Frau zum Schutz, und die andern rufen, wenn es nöthig.«

Ulrich war dazu bereit, aber er blieb so unter den[258] Bäumen versteckt, daß er auch von der Hütte aus nicht gesehen werden konnte.

Plötzlich sprengte ein geharnischter Ritter an ihm vorüber, er sprang vom Pferd und band es an einen Baum; in der Ferne hörte man noch mehr Pferdegetrappel. Zu Fuß ging er an die Hütte und lauschte am Fenster. Ein mattes Licht schimmerte daraus. Außen war es dunkel geworden. Ulrich schlich ihm leise so weit nach, als er es wagen konnte, um nicht gesehen zu werden.

Es dauerte noch eine Weile, da trat Elisabeth aus der Hütte von dem Diener gefolgt. Der Ritter näherte sich ihr und bot ihr sein Geleit, wie es schien – Ulrich verstand keine Worte – er hörte einen schrillenden Hülferuf Elisabeth's, dann des Dieners, dann einen gellenden Pfiff des Ritters. Auch Ulrich ließ einen lauten Ruf ertönen und stürzte auf den Ritter zu: die Schwerter blitzten im Dunkeln, der Diener floh, der Ritter hielt Elisabeth; an seinem Panzer prallte Ulrich's Schwert machtlos ab, aber ihn traf das des Ritters in die Seite, er wankte – noch knieend hielt er Stand; da kamen die andern Baubrüder, kamen auch die Knappen; Erwin hatte sich des ledigen Pferdes des Ritters bemächtigt und war nach Nürnberg gejagt um Hülfe [259] zu holen; sie kam schnell, da das Häuschen nur eine Viertelstunde von der Stadt. Indeß währte das Getümmel und Gewirre fort – vergeblich hatte der Ritter versucht Elisabeth mitzuschleppen; der knieende Ulrich hatte ihn in die Hand gehauen, daß er sie lassen mußte. Da die Bewaffneten aus der Stadt kamen, schwang sich der Ritter auf das Pferd eines im Kampf gestürzten Knappen, und es gelang ihm mit den andern zu entfliehen. Der Knappe, ein Steinmetzgeselle und Ulrich lagen für todt am Boden; Elisabeth war zurück in die Hütte geeilt, nicht um sich zu retten, sondern um Wasser und Linnen und die Frau, welche sie bewohnte, zu holen den Verwundeten beizustehen. Die Frau folgte ihr mit Jammergeschrei; Elisabeth sagte verweisend: »Das nützt nichts – helft!« und neigte sich über den regungslosen Ulrich. Jetzt erst erkannte sie ihn, da ein Kienspan, den die Alte mitgebracht, ihn beleuchtete. Jetzt erst überrieselten sie kalte Schauer, jetzt erst war es mit ihrer Kraft vorbei. »Todt! für mich!« hauchte sie verzweiflungsvoll. Er schlug die Augen auf, und es war, als entströme ihnen ein verklärender Strahl, dann schloß er sie wieder, um seine Lippen zuckte der Schmerz – vielleicht war es zum letzten Male.

[260] Indeß hatten die Baubrüder und die herbeigeholten Stadtmilizen aus Stangen, die sie an der Hütte fanden, und Aesten, die sie im Walde brachen, Tragbahren bereitet und die drei Verwundeten darauf gelegt. Jetzt kam auch Herr Scheurl, von dem Diener benachrichtigt, mit zahlreicher Begleitung und einer Sänfte für seine Gemahlin.

Als sie im Hause angekommen und er eine Erklärung von ihr forderte, konnte sie ihm keine andere geben, als daß gegen Abend ein Knabe zu ihr gekommen, den ihre ehemalige Amme, die jene Hütte mit einer ihr verwandten Holzhauerfamilie theile, schon oft als Boten zu ihr geschickt, um ihr zu sagen, daß die kranke Amme nicht ersterben könne, wenn sie nicht noch einmal sie gesehen. Sie sei darum mit dem Diener dahin gegangen, indeß ihr Gemahl nicht dagewesen. Die Amme war noch am Leben, aber nicht bei Bewußtsein, in der Hütte Niemand zu Hause als die alte Frau. Vergeblich habe sie lange gewartet, ob der Amme nicht ein lichter Augenblick komme, und dann sei sie endlich gegangen, da sie die Nacht gefürchtet. Der Ritter, der sich zu ihr gedrängt, habe das Visir geschlossen gehabt, sie könne nicht wissen, wer es gewesen.

[261] Daß sie in ihm Eberhard von Streitberg erkannt, verschwieg sie ebenso, wie sie den Vorfall auf der Hallerwiese verschwiegen, und bat ihren Gemahl um ihres Rufes willen die Geschichte nicht erst vor den Rath zu bringen und zu einer Untersuchung, die doch zu Nichts führe, da die Nürnberger ja keinen hängen, den sie nicht hätten; zu den Verwundeten aber solle er den besten Bader schicken und ihnen auf seine Kosten die beste Pflege angedeihen lassen, oder wenn sie stürben – sie schauderte bei dem Gedanken – das beste Begräbniß.

Für sich allein sann sie weiter nach, welch' ein Netz von Verrätherei sie umspinne. Dies Ereigniß hatte etwa vier Wochen später stattgefunden als ihr Besuch bei dem Goldschmied Dürer. Drei Wochen nach diesem war der Meister bestürzt zu ihr gekommen und hatte ihr erzählt, wie Tags vorher nicht jene alte Frau, sondern ein Knappe mit geschlossenem Visir zu ihm gekommen und die Nadel verlangt habe. Er sei wohl vorbereitet gewesen eine alte Frau festzunehmen, aber nicht einen geharnischten Mann. Dennoch habe er ihm kurz und rund erklärt, daß er die Nadel niemals machen werde, da man ihn belogen und die Besitzerin sie nie verloren habe. Da der Knappe sein Schwert gezogen, [262] habe er nach Hülfe geschrieen, aber ehe sie gekommen, sei Jener fort gewesen, nachdem er Vieles in seiner Werkstatt zertrümmert. Meister Dürer kannte den Knappen so wenig wie jene Frau; mit der Beschreibung derselben stellte aber Elisabeth jetzt Vergleichungen an, und der Gedanke gewann Wahrscheinlichkeit, daß jene alte Frau in der Goldschmiedswerkstatt und in der Hütte dieselbe gewesen. Dennoch suchte sie vergebens in diesen Ränken, welche offenbar nur gegen sie geschmiedet waren, einen Zusammenhang zu erblicken.

Kaum grübelte sie auch mehr darüber, als sie sich mit den Gedanken quälte, daß ihretwegen Blut geflossen, daß man sich um ihretwillen geschlagen, wohl gar gemordet!

Bald erfuhr sie, daß der Knappe wirklich todt sei. Das ertrug sie noch am leichtesten, denn er war einmal in die Hand der Nürnberger gefallen, und als ein Angreifer und Friedensbrecher wäre er entschieden gehangen worden, ja man würde ihm schon aus Rache, um dem verhaßten Raubadel wenigstens in seinen Dienern und Helfershelfern ein drohendes Beispiel zu geben, den höchsten Platz am Galgen angewiesen haben. Und wenn er nicht gleich gestanden, wer sein Herr gewesen und Alles was er wußte, so würde man ihn in den Marterkammern [263] unterm Rathhaus »in der Güte befragt haben«, wie die Redensart hieß, hinter der sich die Anwendung der gräulichsten Marterwerkzeuge von den Händen der Folterknechte versteckte. So war es ein Glück für den Knappen, daß er nur todt in die Hände der Sieger gefallen war.

Aber die Baubrüder, die nur die Beschützer einer wehrlosen Frau gewesen? Für sie sandte Elisabeth heiße Gebete zum Himmel empor, da sie hörte, daß sie noch lebten, aber schwer an ihren Wunden darniederlagen. War es doch derselbe Steinmetzgeselle, der sie schon einmal vertheidigt – derselbe, der schon einmal ihre Aufmerksamkeit erregte und doch ihre Rose verschmähte. Zum zweiten Male war er ihr Retter geworden, hatte sie zum zweiten Male mit Gefahr seines Lebens beschützt. Wie eine Beschämung lastete das auf ihr, doppelt, da er das erste Mal vielleicht den Ritter gekannt, und sie überhaupt es seiner Verschwiegenheit dankte, daß von diesem Vorfall Nichts in der Stadt herum gekommen. Sie ahnte nicht, wie viel sie ihm zu danken hatte – aber schon das, was sie erkannte, drückte sie wie eine Last! –

[264]

Zwölftes Capitel
Eine Jüdin

Es war ein wüstes Durcheinander in dem Gemach, in dem Rachel, das Judenmädchen, einige Ordnung herzustellen suchte. Große Kisten und Laden waren übereinander gehäuft, einige von ihnen geöffnet und halb ausgepackt; kostbare Stoffe und Pelze quollen daraus hervor. Rachel stäubte sie aus, um sie vor Insekten zu sichern oder auch davon zu befreien, je nachdem es sich nöthig zeigte. Zuweilen hielt sie bei dem Geschäft inne und lauschte durch die angelehnte Thür in ein zweites, ziemlich leeres und armselig eingerichtetes Gemach, das mit den hier aufgehäuften Schätzen auffallend contrastirte. Aus diesem führte eine zweite, jetzt verschlossene Thür hinaus auf die Treppe, und Rachel wollte nur nicht verhören, wenn Jemand komme und klopfe.

[265] Jetzt hörte sie draußen schlärfende Schritte die Stiege heran – es waren die ihres Vaters; da brauchte sie nicht zu öffnen, denn er wußte draußen den verborgenen Winkel, wo die abgeschraubte Klinke zu dem Thürschloß lag, das ohne dieselbe nur von innen geöffnet werden konnte. Sie hörte ihn danach suchen, dabei gewohnte Flüche murmelnd, endlich öffnete sich die Thür.

Der Jude Ezechiel war ein Mann von mittlerer Größe, dabei hager und von geschmeidigem Wesen. Der Typus seiner Gesichtszüge war entschieden orientalisch, eine große hervorragende Nase über einem vorstehenden Mund, den ein grauschwarzer Bart umwallte. Dürftiger war das Haupthaar, aber die Augenbrauen buschig, ein listig lauerndes Augenpaar beschattend. Er trug einen schwarzbraunen, bis auf die Füße reichenden Talar, eine buntstreifige Schärpe um den Leib und an dem linken Aermel die von dem Nürnberger Rath für Männer wie Frauen israelitischer Abkunft gleicherweise vorgeschriebenen drei gelben Streifen.

Die Furchen seiner Stirn erschienen heute noch einmal so tief als gewöhnlich und prophezeiten nichts Gutes. Da er eintrat, herrschte er Rachel zu: »Geh' hinein und bleib drinnen bei Deiner Arbeit, aber mache [266] dabei kein Geräusch, damit nicht merkt die alte Jacobea, daß Jemand drinnen. Sie kann Dich einmal nicht leiden. Geh' hinein, denn sie folgt mir auf dem Fuße und wird gleich da sein.«

»Nun,« sagte Rachel, »ich kann sie auch nicht leiden, und es hat uns auch noch kein Glück gebracht, daß Ihr Euch mit ihr eingelassen.«

»Still, rede nicht von Dingen, die Du nicht verstehst; Geh' hinein, sag' ich!« rief der Jude leise aber drohend, und Rachel gehorchte. Sie ging wieder in das zweite große Gemach und schloß die Thür hinter sich, aber sie dachte nicht daran, wieder an die vorige Arbeit zu gehen, sondern lehnte sich lauschend an die Thür, um kein Wort von dem zu verlieren, was die alte Jacobea drinnen mit ihrem Vater sprechen würde.

Als diese eintrat, rief sie: »Es ist Alles verunglückt, und war Alles so schön gegangen! Alle waren abwesend, mein Sohn wie seine Frau und der große Bube, um vor heute nicht wieder zu kommen. Die alte Marthe, die Amme der Frau Scheurlin, kam durch das Pulver, das ich ihr in den Brei gerührt, in einen Zustand, daß sie Nichts von sich wußte und irre redete; da konnt' ich getrost den kleinen Buben gegen Abend zur Stadt schicken, der Scheurlin melden zu lassen, daß [267] die Amme in Todesnöthen nach ihr verlange. Wie klug sich auch die Scheurlin dünken mag, sie ging glücklich in die Falle, und brachte nur einen einzigen Diener mit. Wohl eine Stunde saß sie da bei der Irreredenden, bis es dunkel war; ich sagte erst, sie solle warten, bis mein Sohn käme, der sie mit heimgeleiten könne. Aber sie wollte nicht, und wie sie hinausging, lauerte draußen schon der Ritter und ich hatte die Widerspänstige glücklich in seine Arme geliefert. Da hör' ich draußen noch andere Stimmen als die ihrige schreien – ein ganzer Trupp Baubrüder kämpfte mit dem Ritter und den Knappen, dann kamen gar Bewaffnete aus der Stadt; es hat Leichen und Verwundete auf dem Platz gegeben – der Ritter ist nur verwundet, aber ohne Beute entkommen. Den Nürnberger Rath fürcht' ich nicht, noch weniger das Gericht des Burggrafen, denn ich habe meine Sache zu klug angefangen, kein Verdacht kann mich treffen – aber den Ritter und seine Kumpane werd' ich nun auf dem Halse haben.«

»Mißlungen!« rief der Jude, »zum zweiten Male mißlungen – und durch Euch!«

»Hoho!« rief die Alte; »durch Euch oder Eure Sippe! Verrathen worden ist's! Was haben die Steinmetzen [268] da draußen zu suchen? im Leben habe ich nicht so viele beisammen dort im Walde gesehen! Sind doch dieselben Beiden mit dabei gewesen, die den Streitberg schon auf der Hallerwiese angefallen und denen er's dankt, daß der König selbst ihn aus Nürnberg verwiesen. Der Ritter hat geschworen sich dafür zu rächen, und nun hat er hoffentlich wenigstens dem Einen den Garaus gemacht!«

Mit verhaltenem Odem hörte Rachel dies Alles! Trotz ihrer Jugend war sie doch durch den Druck, unter welchem sie lebte, der sowohl auf ihr durch ihre nächste Umgebung als durch den Fluch lastete, der auf allen Juden ruhete, so daran gewöhnt sich selbst zu beherrschen, daß sich ihrer bis zum Ersticken geängsteten Brust kein Laut entrang, noch daß sie der Versuchung unterlag, die Thür zu öffnen und selbst zu fragen: »Welcher ist der Todte?«

Und sie war seine Mörderin! sagte sie sich verzweiflungsvoll. Das hatte sie nicht gedacht. Warnen hatte sie Ulrich wollen vor seinem mächtigen tückischen Feind und vor dem bösen Leumund, der ihm drohte – und weil er ihrer Warnung nicht achtete, sowohl um dieser Nachdruck zu geben als auch aus Mitleid mit der schönen Frau, der ein so schmähliges Schicksal [269] drohte, hatte sie ihm davon gesagt. Sie meinte nicht anders, als daß Ulrich sie vorher warnen werde, der drohenden Gefahr sich auszusetzen, und konnte weder beurtheilen, daß er dies unterlassen werde, besonders weil er es noch bezweifelte, noch daß er erst bereit sein würde der wirklichen Gefahr gegenüber sie mit seinem eigenen Leben zu beschützen. War er oder Hieronymus todt, so kam sein Blut über sie; aber sie konnte es nicht ändern, daß zu den Vorwürfen ihres Gewissens auch der Jammer des Herzens kam, wenn Ulrich das Opfer war. Und schon leuchtete die Anklage des Verrathes gegen sie durch die Worte der Alten hindurch; aber was sonst Rachel schon in namenlose Angst versetzt hätte vor den Vorwürfen und Strafen der Ihrigen, versank jetzt vor den Schrecken und der Qual, die ihr die Todesnachricht verursachte.

»Nun, so ist er ihn ja los,« sagte der Jude gleich gültig; »aber wenn Ihr versteht zu schweigen, so ist ja auch weiter Nichts dabei, als daß wir sind betrogen um den Lohn und haben gemacht ein schlechtes Geschäft, statt daß wir gemeint haben zu machen ein gutes. Wird wohl dem Ritter vergehen sich hier noch länger umherzutreiben, wenn er sieht, daß die feinen Nürnbergerinnen nicht gleich für Jeden sind zu haben.«

[270] »Der läßt keinen Schimpf auf sich sitzen!« rief die Alte. »Wird ihm kaum Recht sein, daß der Ulrich von Straßburg ehrlich auf der Landstraße gestorben! Dem, der ihm beim Könige den Schimpf bereitet, dem schwor er einen noch größern anzuthun; nun ist er gestorben, ehe er ihn gebrandmarkt hat, denn das wär' uns gelungen und wenn auch alles sonst mißlänge.«

»Sollt' ich nicht meinen,« begann der Jude, »müßte Euch nicht sonderlich lieb sein, wenn man hier in Nürnberg auch anfinge von Hexen zu reden; hat mir neulich Einer aus Costnitz erzählt, daß daselbst sind viele Frauen verbrannt worden, die vielleicht auch nicht mehr gethan, denn« – er verschluckte das: »Ihr«, welches folgen sollte, und sagte statt dessen: »denn Trunke gebraut und Zaubersprüchlein im Munde geführt.«

Die Alte wollte auf's Neue auffahren, als es draußen klopfte. »Ihr thut wohl besser jetzt zu gehen,« sagte er; »geschehene Dinge sind nicht zu ändern, und man muß sie nur betrachten, wenn man noch Nutzen aus ihnen ziehen kann.«

»Wir werden wohl noch von einander hören!« sagte Jacobea, und zog ihr dunkles Kopftuch fester zusammen, so daß nur ein schmaler Streifen von ihrem Gesicht zu sehen war. So drückte sie sich zur Thür hinaus, [271] durch welche ein anderer Jude trat, einen großen Kasten auf dem Rücken, den er mit Waaren aus dem Lager Ezechiel's zu füllen gedachte. Er gehörte zu den vertrauten Geschäftsfreunden, welche auch Eintritt in das zweite Gemach hatten und die darin aufgehäuften Schätze besichtigen konnten.

Unter den Juden Nürnbergs, obwohl sie nur auf einen besondern Stadttheil beschränkt und durch strenge Verordnungen von der übrigen Bevölkerung geschieden waren, gab es doch auch besitzende, reiche Leute, welche dennoch in unermüdlicher Thätigkeit beflissen waren, das schon Erworbene immerfort zu mehren, ohne doch jemals einen wirklichen Genuß von dem Gewinn zu haben, denn derselbe mußte, um gesichert zu sein vor fremden, besonders christlichen Augen, durch Verborgenheit gehütet werden. Denn immer ward den Juden, »des Reichs Kammerknechten«, Alles mißgönnt; sie mußten größere Abgaben geben als alle Andern, ja es war schon da und dort vorgekommen, daß sie eine Auflage ganz allein hatten bezahlen und bei manchem Unglück Schadenersatz hatten leisten müssen, wenn dabei auch ein Zusammenhang mit ihrer Schuld noch so gesucht erschien.

[272] Ezechiel gehörte zu diesen reichen Juden, und wie tiefe Verachtung man ihm auch öffentlich zeigte, es gab doch Christen genug, die in der Stille ihre Zuflucht zu ihm nahmen und seine Verschwiegenheit mit hohen Procenten erkauften. Vielen war er eine unentbehrliche Person. Er lieh Geld gegen Zinsen und verlieh ebenso auf Kleidungsstücke und Kostbarkeiten. Viele derselben blieben als ungelöste Pfänder in seinem Besitz und lieferten ihm zugleich ein Waarenlager für einen ansehnlichen Trödlerkram. Eine bedeutende Verstärkung erhielt dieser jedoch oft durch ein zwar einträgliches, aber ziemlich anstößiges Geschäft. Er zog nämlich meist in Begleitung seiner Tochter oder seines Sohnes Benjamin trödelnd in der Umgegend umher; aber gewöhnlich kam er mit gefüllterem Sack zurück, als mit dem er ausgezogen, und war doch gar wohl mit seinem Handel zufrieden. Während die großen Kaufleute von Nürnberg ihre Waaren meist nur mit großer Bedeckung von Reisigen weiter in's Land zu führen wagten, da die Raubritter und Wegelagerer jetzt ihr Wesen ungescheuter denn jemals trieben, besonders in den nahen Reichsforsten und oft bis unter die Mauern der Burg, wandelte der Jude mit seinen Kindern einsam, aber sicher, trotz den oft reichen Schätzen, die sie bei sich trugen. Das doppelte [273] Räthsel lös't sich leicht: Wo jene die Stehler machten, war er der Hehler. Oder wenn man das nicht sagen kann, da die Raubritter ihr Wesen so ungescheut trieben, daß sie gar keines Hehlers bedurften, sondern mit frecher Hand nur nach dem rohen Recht des Stärkeren räuberisch an sich rissen, was den schwächer bewahrten Handelsleuten abzunehmen war, ihrer Beute oft noch sich rühmend: so war diese doch oft der Art, daß sie für ihre Verhältnisse selbst nicht immer brauchbar erschien – da war denn in diesen Räuberhöhlen, welche den stolzen Namen Schlösser führten, der Jude Ezechiel eine sehr willkommene Erscheinung. Von ihm erhielt man für diese unnützen Waaren nützlichere und dem augenblicklichen Bedürfniß entsprechende nach freier Auswahl, oder baares Geld, und der Jude wußte dabei den Handel immer zu seinem Vortheil zu lenken, wenn er dabei auch immer jammerte und klagte, als habe er nichts als Verlust davon. Aber damit allein waren die Geschäfte des Juden noch nicht erschöpft. Da eben Leute aus allerlei Volk zu ihm ihre Zuflucht nahmen, so war er auch von tausend Dingen unterrichtet, die in den stolzesten Patrizierhäusern wie in den verdächtigsten Schlupfwinkeln der niedrigsten Klasse vor sich gingen und andern Blicken sich verhüllten, und [274] darum wußte er in tausend Stücken Rath, den er sich so gut wie seinen Trödlerkram bezahlen ließ.

So, als er auf das Schloß des Ritters von Weyspriach kurz nach der Abreise des Königs Max gekommen, auf dem der aus Nürnberg verwiesene Eberhard von Streitberg einstweilen ein Asyl gesucht, um von da aus seine Ziele zu erreichen, erhielt der Jude von den Rittern den Auftrag auszukundschaften, welcher Goldschmied Nürnbergs die Rose gearbeitet, welche der König der Scheurlin geschenkt. Er sollte eine ganz gleiche danach anfertigen lassen. Da der Jude erfuhr, daß Meister Albrecht Dürer der Verfertiger war, ein Mann, der sich weder durch Bestechung noch Drohung zu einer unredlichen Handlung verleiten ließ, und der sich um keinen Preis in ein Geschäft mit einem Juden würde eingelassen haben, so kam er darauf, durch die alte Jacobea, welche er zu ihm sandte, zu seinem Ziel zu gelangen.

An dem Gastmahl in Nürnberg, an welchem der Ritter von Weyspriach die gehässigen Gesinnungen kennen lernte, welche die Hallerin gegen die Scheurlin hegte, hatte er von dieser im Interesse seines Freundes Streitberg mehr zu erfahren und sie mit zu seiner Bundesgenossin zu machen gesucht. Bei ihrem späteren [275] Wiedersehen war zwischen ihnen ein Plan verabredet worden, eine von Streitberg mit der Scheurlin gewünschte Zusammenkunft zu veranstalten. Wie sehr auch die Hallerin wünschte, die beneidete und darum verhaßte Feindin zu demüthigen, so wollte sie sich doch erst lange nicht zu einer Vermittlerin hergeben, obwohl Weyspriach nichts von ihr verlangte, als daß sie Elisabeth mit andern Gästen zu sich lade und sie dann in ein abgelegenes Gemach locke, in dem ein von ihr verschmähter Liebhaber – der Ritter nannte absichtlich keinen Namen – sie ungestört treffen könne. Nur um einen Preis war sie bereit das zu thun: wenn sie eine, derjenigen Elisabeth's ganz gleiche Nadel erhalte, die sie nun, wo der König fort war, auch als ein Geschenk seiner Huld ausgeben, dadurch Elisabeth demüthigen und sich an ihr rächen könne – ja die Hallerin bestand entschieden darauf, nicht früher ihre hülfreiche Hand zu bieten, bis sie in den Besitz der Nadel gesetzt worden.

Doppelt ungelegen war es darum den Rittern, durch die Antwort des Goldschmieds sich so hingehalten zu sehen. Als endlich die drei Wochen vorüber waren, sandten sie nächtlicher Weile ein paar ihrer Knappen mit der für die Nadel geforderten Summe zu Meister[276] Dürer, und der Knappe mußte froh sein mit einer abschlägigen Antwort davon zu kommen.

Nun war die Hülfe der Hallerin verwirkt – ja man mußte noch froh sein, wenn sie in ihrem Aerger nicht plauderte und den Ritter, der ihr durch ein Versprechen Hoffnungen erregt, die er nicht erfüllen konnte, in seinem Vorhaben zu stören suchte. Doch erhielt sie die Furcht, durch eine Mittheilung zum Nachtheil des Ritters zugleich sich selbst zu schaden, bei dem Vorsatz des Schweigens; aber sie hoffte, daß sich eine Gelegenheit finden werde dem Ritter zu zeigen, daß man eine Nürnberger Patrizierin nicht ungestraft hintergehe, und wartete auf dieselbe. Vergessen würde sie die Täuschung nie.

Indeß hatte Weyspriach wenig Neigung, für Eberhard von Streitberg noch fernere Schritte zu thun, und verwies diesen allein auf die Hülfe des Juden, als dieser wieder mit seiner Tochter auf seinem Hausirergange in das Schloß kam. Er schlug die alte Jacobea als Bundesgenossin vor, die mit Elisabeth's Amme in einem Hause wohnte; aber man wollte dem Juden nicht allein trauen und behielt ihn so lange bei sich, bis Rachel nach Jacobea gesandt mit dieser zurückkam. So verhandelte man in der Gegenwart des Mädchens, das [277] man seiner stillen Weise nach beinah' nicht anders wie ein einfältiges, dem Vater blind gehorsames Kind betrachtete. Ja noch mehr! Streitberg, der schon in Nürnberg doch so viel über die beiden Baubrüder erkundet hatte, um ihre Namen zu wissen, forderte sowohl von dem Juden als von Jacobea Rath und Mittel sich an ihnen zu rächen. Wie hätte ein Eberhard von Streitberg je den Schimpf mögen auf sich sitzen lassen, sich sein Schwert von den Händen eines Steinmetzen entwinden zu sehen – eines Menschen also, der von Früh bis Abends mit diesen Händen arbeitete und unter strengen Regeln sein Leben verbrachte, indeß er, der stolze Ritter, der jede Arbeit, auch wenn sie dem Dienste der erhabensten Kunst galt, tief gering achtete, und mit roher Willkür auf den Landstraßen raubte was er brauchte, wenn einmal ein beutereiches Kriegerleben sich ihm nicht gleich nach Wunsche bot – er, der in unzähligen Turnieren den ebenbürtigen Gegner aus dem Sattel gehoben und mit verwegenem Muthe bei kecken Abenteuern so gut wie in wilder Schlacht Heldenthaten verrichtet!

Mit der kecken Zuversicht, die ihm immer eigen, hatte er danach von König Max sein Schwert zurückgefordert und wider die Baubrüder geklagt, die ihn in[278] der Mehrzahl auf der Hallerwiese überfallen und ihm unter frechen Scherz- und Schimpfworten sein Schwert entrissen. Aber er hatte dabei nicht gedacht, daß der König selbst ein Baubruder war und den Worten freier Steinmetzen mehr Vertrauen schenkte als einem Ritterwort; noch weniger wußte er, daß Elisabeth schon vor allen Frauen Nürnbergs vor den Augen des Königs Gnade gefunden. So hatte er erst nur die königliche Antwort erhalten, daß die Sache untersucht werden solle, um darauf den noch größern Schimpf zu erleben, daß ihm der König sein Schwert zwar wieder sandte, aber mit der Bemerkung, daß er es nur außerhalb der Stadt tragen dürfe, und mit der Verweisung aus derselben und der Drohung, daß er, falls er nicht gehorche, als ein Friedensbrecher dem Gefängniß und Gericht der Stadt werde überantwortet werden. Wie sehr Streitberg auch wüthen mochte: es blieb ihm nichts übrig als zu gehorchen, und er mußte noch froh sein, daß er doch keinen öffentlichen Schimpf erleben, sondern sich den Anschein geben durfte, als riefe ein Geschäft ihn fort.

Er zog sich indeß auf Weyspriach's Veste zurück, und ward immer mehr von Zorn erfüllt, als er vernahm, wie der König Elisabeth auszeichnete, bei deren [279] Anblick seine ganze alte Leidenschaft für sie wieder erwacht war.

Eberhard von Streitberg war eine jener ungebändigten Naturen voll roher Kraft und starker Gefühle, ohne den Willen dieselben jemals zu zügeln, da er ohne sittliche Grundsätze war. Seine feurige Leidenschaftlichkeit und die augenblickliche Wahrheit seiner Empfindungen machte sein Glück bei liebebedürftigen und gefühlvollen Frauen, die von seiner äußern ritterlichen Erscheinung und einzelnen heroischen Eigenschaften seines Charakters bestochen, ohne denselben näher prüfen zu können, in ihm das Ideal eines Helden fanden. So hatte er früh das Herz des Edelfräuleins Helene von Heideck gewonnen und sie als seine Gattin heimgeführt. Aber bald ward er ihrer überdrüssig, und nur um wieder frei leben zu können, nahm er Kriegsdienste und abenteuerte in allen Ländern umher. So kam er nach Venedig, wo er Elisabeth Behaim kennen lernte und mit leidenschaftlicher Gluth sich an sie hing. Er erkannte ihren sittlichen Werth hinlänglich, um zu wissen, daß sie allen Verführungskünsten eines Mannes widerstehen werde, auf dessen Herz ein anderes Wesen frühere Rechte habe, und so verleugnete er dieses. Ja, als er sich mit Elisabeth verlobte, leitete ihn vielleicht auch [280] die Hoffnung, seine verlassen hinsiechende Gattin könne sterben, oder der einmal begonnene Betrug sich weiter fortsetzen lassen. So verbrachte er ein Jahr fern von Elisabeth und der Heimath, bis ihn seine Leidenschaft in die Nähe Nürnbergs trieb und er nur daran dachte, Elisabeth an sich zu reißen, zu entführen, gleichviel was daraus entstehe. Da ward sein Plan vernichtet, ohne daß er sie wiedergesehen. So verließ er auf's Neue die unglückliche Gattin und zog weit fort in's heilige Land, um sich bei minder zurückhaltenden Schönen für Elisabeth's Verlust zu trösten. Dennoch konnte er sie nie ganz vergessen, eben weil er sie nie besaß. Als er darum mit Weyspriach aus Palästina zurückgekehrt erfuhr, daß König Max nach Nürnberg komme, schloß er sich dem Gefolge des Markgrafen Friedrich von Brandenburg an. Er durfte Elisabeth nun wiedersehen in ihrer ganzen Schönheit, die, wenn er sie mit ihrer jugendlicheren Erscheinung von einst verglich, nur die Veränderung erfahren, daß sie eine üppig blühendere geworden war, und daß an die Stelle einer schwärmerischen Sinnigkeit in ihrem Angesicht der Stempel stolzen Selbstbewußtseins und geistiger Hoheit getreten, um an sich zu erfahren, daß sie den ganzen alten Zauberbann auf ihn übe. Um so mehr verdroß es ihn, daß sie [281] sein Vorbeireiten unter ihrem Chörlein gar nicht bemerkte, und da er auch inzwischen nicht erfahren, was aus ihr geworden, so wendete er sich mit der Frage danach an Markgraf Friedrich, und war frech genug, wie er von ihrer Verheirathung hörte, sich zu rühmen, daß er einst ihre Gunst besessen.

Auf der Hallerwiese wollte er die frühern Rechte auf sie geltend machen, dachte er durch die Sprache seiner Leidenschaft Versöhnung und Erhörung zu finden; denn er meinte, Elisabeth habe indeß wohl genug das Leben kennen gelernt, um überspannten Begriffen von Liebe, Pflicht und Treue entsagt zu haben, um so mehr, als er erfuhr, daß sie dem ältern Gatten wohl nur aus kindlichem Gehorsam oder seines Reichthums und Ansehens wegen ihre Hand gegeben – ja sein Egoismus zog daraus den für sich günstigen Schluß, daß sie wie ihn wohl nie wieder geliebt, und er sich darum nur zu zeigen brauche, um die alten Gefühle wieder zu erwecken. Da nahm dies erste Wiedersehen für ihn einen so schimpflichen Ausgang.

Nun lechzte die entflammte Leidenschaft nach einer Gewaltthat und nach Rache an den Baubrüdern.

Unbeachtet von Allen war Rachel, mit gegenwärtig in einem Winkel an der Thür kauernd, scheinbar vor[282] Müdigkeit eingeschlafen, als ihr Vater, Jacobea und der Ritter von Streitberg den Plan zur Entführung Elisabeth's entwarfen. Daran knüpfte sich die andere Frage, wie die Baubrüder zu bestrafen, wie sie es empfinden sollten, daß ein Ritter nicht ungerächt sich beleidigen lasse.

Der Adel, der durchaus keinen Kunstsinn besaß und überhaupt keiner Begeisterung für das Ideal fähig war und jedes höheren Aufschwunges baar, der über die einseitigen Begriffe von Ritterehre und Standeswürde hinausreichte, mit der es sich ganz wohl vertrug, fleißige Bürger zu berauben und ehrsame Frauen zu entführen, wenn es nur mit der nöthigen Frechheit, welche man Kühnheit nannte, geschah – dieser Adel haßte die Baubrüderschaften oder verachtete sie doch, wie er Alles verachtete, was nicht vor der feudalen Herrlichkeit sich beugte. Dieser Adel war bei seinen Bauten mehr auf sicheres und festes Wohnen als auf Schönheit bedacht. Vorüber war auch bei ihm jener fromme und gläubige Sinn, der in früheren Zeiten wohl Fürsten und Herren vermocht hatte, bei einer gelungenen Unternehmung Kirchen oder Kapellen oder Klöster zu stiften, vorüber die ganze religiöse Begeisterung, die in den Kreuzzügen und unzähligen Gelübden zu kirchlichen Zwecken sich [283] offenbarte: das alte, zu seiner Zeit edle und begeisterte Ritterthum war im Absterben und hatte nur einer Art von Raufboldthum und beispielloser Verwilderung der Sitten Platz gemacht. Im Gegensatz dazu war das Bürgerthum in würdiger Haltung, besonders in den freien Reichsstädten emporgeblüht, und man setzte in ihm, besonders in Nürnberg eine Ehre darein, die Kunst zu pflegen und zu beschützen. Es war vielmehr Begeisterung für die Kunst an sich, wenn man will, auch Ehren- und Modesache, daß die Nürnberger Patrizier förmlich mit einander wetteiferten, Stiftungen, wenn nicht zu neuen Kirchen selbst, doch zu den Verschönerungen der alten zu machen. Der Adel blickte verächtlich auf dies schöne Kunststreben, und wenn König Max in vielen Beziehungen als ritterlicher Held ihren Hoffnungen gerecht war, so war ihnen doch sein Sinn für Kunst und Wissenschaft eine sehr überflüssige Beigabe. Daß er selbst freier Maurer geworden und mit den Baubrüdern als mit Seinesgleichen verkehrte, konnten sie ihm vollends nicht vergeben. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätten sie wohl versuchen mögen, die Genossenschaft freier Maurer, die sich nach eigenen Gesetzen regieren durfte, als eine gemeinschädliche [284] Verbindung zu verdächtigen; aber so wie die Sachen standen, konnten sie nur versuchen, sich an dem Einzelnen zu rächen. –

»Laßt uns nur machen,« sagte Jacobea und nickte dem Juden zu, da diese Frage aufgeworfen ward. »Ich weiß, daß die Steinmetzen sehr streng auf ehrliches Herkommen und auf sittenreinen Wandel halten, strenger als Mönche und Geistliche, die es damit nicht gar zu genau nehmen – können wir dem blonden Hieronymus und dem Ulrich von Straßburg nachsagen, daß sie mit Frauenzimmern zusammen zu kommen pflegen und daß sie von zweifelhafter Herkunft sind, so werden sie mit Schimpf und Schande aus der Genossenschaft verwiesen.«

»Das ist ein guter Rath!« sagte Streitberg; »in Straßburg hat es ja Hexen gegeben – wer weiß, gelingt es nicht ihn zu einem Hexensohn zu stempeln!« –

Das war die Unterredung, welche Rachel mit angehört und welche sie vermocht hatte, die Baubrüder aufzusuchen und zu warnen.

Rachel war trotz der Umgebung, in der sie aufgewachsen und die sich wahrlich weniger durch eigene Schuld als durch die barbarischer Christen in einem ununterbrochenen heimlichen Krieg gegen dieselbe befand, [285] dem kein Hülfsmittel zu schlecht war, mit einem weichen Gefühl und zartem Gewissen begabt, das offenbare Schlechtigkeiten als solche empfand und vor ihrer Vollziehung schauderte. Gleichwohl war sie eine zu gehorsame Tochter und erkannte in ihrem Vater das würdige Oberhaupt der Familie, dem sie blinden Gehorsam schuldig war. So kam sie in fortwährende Conflikte, in denen sie sich oft nur durch etwas wie Instinkt einer unverdorbenen weiblichen Natur für das Eine oder Andere entschied. So war es hier gewesen. Der Baubruder Ulrich, der ihr die Rose zugeworfen, der dann sie freundlich »liebes Kind« genannt, war zum Abgott ihres Herzens geworden; es mochte geschehen was da wolle – ihn mußte sie warnen. Und warum nicht durch ihn auch die schöne Frau, der er hülfreich beigestanden? Rachel's ganzes mädchenhafte Gefühl sträubte sich dagegen, ein Weib in die Gewalt eines rohen Mannes fallen zu lassen! Wenn sie diese Bubenstücke zu hintertreiben suchte, so konnte sie dies auf keine andere Weise als die geschehene versuchen – durfte weder ihren Vater noch andere Betheiligte angeben, wenn sie nicht selbst sich verrathen und dadurch die Möglichkeit abschneiden wollte, künftig noch Aehnliches zu verhüten.

[286] Und nun hörte sie, daß Ulrich erschlagen, nun war sie es selbst, die ihn dem Tod entgegengesandt!

Sie durfte auch jetzt sich durch kein Wort verrathen – aber selbst wenn der Fluch des Vaters sie träfe, welcher Fluch konnte denn sie mehr entsetzen als das Blut des Baubruders, das über sie kam? –

[287]

Louise Otto
Nürnberg
Culturhistorischer Roman aus dem 15. Jahrhundert

[1] Zweiter Band

1. Kapitel. Gobelins

Erstes Capitel
Gobelins

Die kalten Strahlen einer halbverschleierten Wintersonne brachen sich auf den Eisflächen der Pegnitz. Frisch gefallener Schnee lag auf den Dächern von Nürnberg, schmückte die zierlichen Giebelkanten mit glänzendweißem Besatz und wölbte über jedes Chörlein noch einen zweiten Baldachin, so weich und anschmiegend, als sei er aus sammetener Decke gewoben. Aus den Essen wirbelte grauer Rauch empor, am dichtesten aus den hohen Schornsteinen der Gießhütten.

In dem mit Marmor und Eisengittern von durchbrochener Gießarbeit verziertem Kamin in Elisabeth Scheurl's Wohnzimmer brannten große Eichenknorren, um den weiten Raum mit behaglicher Wärme zu erfüllen.

Die Thür des Nebenzimmers stand offen und auch darin loderte ein prasselndes Feuer. Dies Gemach erschien [1] zu einem Arbeitszimmer umgeschaffen. An der Wand befand sich eine große Holztafel, auf deren himmelblauem Grund eine Auferstehung Christi gemalt war. Der Engel des Herrn saß im leuchtenden Gewand im Grabe, die Jünger und Frauen standen bestürzt davor, zur rechten Seite zeigte sich der Auferstandene, die ganze Gestalt vom goldenen Heiligenschein umflossen. Die Farben waren sehr bunt und lebhaft, die Gestalten lang gezogen und eckig, aber einzelne Gesichter von sprechendem Ausdruck. In der im Vordergrund stehenden Maria Magdalena erkannte man ohne Mühe Elisabeth's Conterfei. Daneben lehnten noch kleinere Holztafeln mit schwebenden oder betenden Engeln, umgeben von Palmen oder Sternen, aus denen meist Ecken in verschiedenen Zusammensetzungen gebildet waren.

An den beiden hohen Bogenfenstern, von denen die schweren Damastvorhänge zurückgeschoben waren, um ungehindert alles Licht einzulassen, das die kurzen Wintertage spendeten, standen zwei ungeheure Stickrahmen, noch nicht groß genug, um den Stoff zu fassen, der darin verarbeitet werden sollte, und darum noch an den Seiten aufgerollt war. Hier sah man ein mühevolles Werk weiblicher kunstgeübter Hände begonnen. Das große aufgestellte Gemälde von der Hand des [2] Malers Hans Beuerlein diente als Muster, und sollte sich hier in damals üblichem Gobelinsstich noch einmal wiederholen. Ganze Körbe, von Wolle und Seide in strahlenden Farben, und mit Gold und Silberfaden angefüllt, standen bereit, das reichste Material zur Verarbeitung zu bieten.

Etwa seit Jahresfrist war Elisabeth auf den Gedan ken gekommen, die Töchter der edlen Geschlechter Nürnbergs aufzufordern, mit ihr vereint einen Teppich vor das Hochaltar der Kirche von St. Lorenz zu sticken, an deren Verschönerung gerade jetzt so begeistert gearbeitet ward. War doch damals alle Kunst zu einem Ganzen vereint in der Kirche und strebte alle Kunstbegeisterung diesem erhabenen Mittelpunkt zu – so auch die der Frauen. Elisabeth aber ging immer Allen gern mit einem leuchtenden Beispiel voraus, stand immer gern an der Spitze und ordnete Alles nach ihrem Sinn und Geschmack, der denn auch durch seine Veredlung und Reinheit berufen war, vor dem Anderer zur Geltung zu kommen. Ihr geachteter Name wie ihr Reichthum fielen dabei nicht minder in die Wagschaale, und auch ihre Feindinnen und Neiderinnen mußten sich damit begnügen, sie im Stillen zu verspotten und zu verleumden, öffentlich aber ihr den[3] Vorrang zu lassen und persönlich ihr höflich zu begegnen. Bei einem so regen Geiste, wie dem Elisabeth's, und einem so glühenden Herzen, wie in ihrer Brust schlug, dem sie doch nicht mehr die einstige laute Sprache gestatten durfte und wollte, war das Bedürfniß um so dringender, immer für ein Großes oder Allgemeines zu wirken, durch ein edles Streben und eine anregende Thätigkeit sich selbst im Gleichgewicht zu erhalten. Ihr klarer Verstand erkannte das selbst, und halb berechnend, halb nur ahnungsvoll gestaltete sie darnach ihr Leben.

Ziemlich zwei Jahre war sie nun verheirathet. Christoph Scheurl war nach wie vor befriedigt und stolz durch ihren Besitz, ließ sie ungehindert über seinen Reichthum verfügen und freute sich, wenn sie denselben anwendete, den Glanz und die Ehre seines Namens zu erhöhen, wie es sowohl durch Unternehmungen wie die obige geschah, als auch dadurch, daß sie die Bevorzugten des Handwerkes und der Kunst theils für sich arbeiten ließ, theils mit einem Kreise von Gelehrten um sich versammelte, und so bestrebt war, so viel als möglich nicht nur mit den andern Nürnberger Geschlechtern zu wetteifern, sondern auch den Medicäern und anderen italienischen Großen es nachzuthun, so viel es in ihren [4] Kräften war. Daneben erfüllte Elisabeth treulich jede Pflicht der deutschen Hausfrau, war gegen ihren Gemahl so aufmerksam wie er gegen sie, und wie er sie, ließ auch sie ihn gern in allen Stücken gewähren. Bei ihr war die Begeisterung für die Kunst und alle höheren allgemeinen Angelegenheiten aus innerster Empfindung hervorgegangen, zum wahren Lebensbedürfniß geworden; bei ihm war nur Eitelkeit und Ehrgeiz dabei das leitende Motiv, im Uebrigen lebte er seinen Geschäften als Kaufmann und Rathsmitglied, und fand mehr Gefallen an Zechgelagen und Schmausereien als an gelehrten Gesellschaften und Kunstbestrebungen. Gern überließ er diese seiner Gemahlin, und diese grollte ihm ebenso wenig darüber, wenn er Tage und Nächte außer dem Hause in wüsten Gesellschaften zubrachte, die trotz der Betheiligung vornehmer und hochangesehener Rathsmitglieder keineswegs zu den mäßigen und sittenreinen gehörten. So lebte dies Paar glücklich und zufrieden vor den Augen der Welt; der Gatte war es wirklich, denn ihm genügte dieser äußere ungestörte Lebensgenuß, und sein Herz, das wohl einst auch Leidenschaften gekannt und wärmere Empfindungen, war jetzt doch längst alt und kalt geworden, nicht mehr gemacht für zartere Regungen, die in seinem männlichen Alltagsleben, dessen [5] Freuden im wechselnden Besuch der Trinkstuben und größerer Gastereien bestanden, gänzlich untergegangen. Elisabeth gehörte zu den edlen Frauenseelen, welche von sittlichen Grundsätzen erfüllt still dulden und entsagen, und den Schein des Glückes bewahren, auch wo sie dieses selbst als verloren erkennen, um sich so wenigstens vor dem Mitleid zu sichern, das sie wie eine Schande empfinden, wenn die Lebensschicksale, welche es hervorrufen, nicht, wie z.B. schmerzliche Verluste durch den Tod, Sendungen einer höheren Macht sind, sondern Folgen eigener und fremder menschlicher Handlungen.

Ueber ein Jahr war vergangen, seit sie auf's Neue das Opfer eines Complots hatte werden sollen, das Eberhard von Streitberg gegen sie eingeleitet. Die Erschütterungen, welche damit verbunden waren, das plötzliche Wiedersehen, der Schrecken, die ganze nächtliche Scene eines blutigen und ungewissen Kampfes, wohl auch der lange Aufenthalt nach solcher Erregung im feuchten Walde und der nächtlichkalten Luft – dazu der Entschluß, vor wie nach über Eberhard von Streitberg zu schweigen und das, was er ihr einst gewesen war, und dabei doch die Furcht, Alles, was ihr Stolz jahrelang verschwiegen, verrathen zu sehen; die Anstrengung, [6] um das demüthigende und schmerzende Geheimniß zu bewahren, alle verfänglichen Fragen zurückzuweisen, auch der Kummer und die Sorge um die doch nur um ihretwillen im Gefecht Verwundeten oder Erschlagenen – obwohl damals ein nach dem Recht des Stärkeren gemordetes Menschenleben selbst auf ein zartes weibliches Gewissen nicht mit so zermalmender Qual fiel, wie in späteren menschlicheren, zu höheren Anschauungen und reinerer Sittlichkeit geläuterten Jahrhunderten: so war dies Alles vereint doch genug, mit Elisabeth's Seele auch ihren Körper zu ergreifen und sie auf das Krankenbett zu werfen.

Herr Scheurl hatte sich beeilt, alle gelehrten Aerzte und Wunderdoctoren Nürnbergs um ihr Lager zu versammeln, so daß sie der eine mit seinen Mixturen und Salben immer mehr quälte als der andere, der eine ihr am Fuß, der andere am Arm zur Ader ließ, so daß sie – Dank ihrer guten Natur, aber wahrscheinlich trotz der Kunst der Aerzte – zwar mit dem Leben davon kam, aber doch erst, als es draußen wieder Lenz ward, sich nach Monden voll Fieber und Qualen wieder zu erholen begann. So war ihre Krankheit auch die natürliche Ursache, daß sie, in der ersten Zeit völlig bewußtlos und dann nur mit ihren Angehörigen und [7] der Dienerschaft in Berührung kommend, weder irgend eine Aufklärung über das gegen sie geschmiedete Complot erhielt, noch einem ähnlichen zum Gegenstand dienen konnte – und später wollte sie selbst lieber Alles vergessen wissen, als noch durch Fragen daran erinnern. Noch ehe sie selbst erlag, hatte sie den berühmtesten Bader zu den verwundeten Baubrüdern gesandt, und er hatte ihr die Nachricht gebracht, daß der eine leichter verwundet sei, der andere aber, Ulrich von Straßburg, sehr gefährliche Wunden habe, ohne Bewußtsein sei und wahrscheinlich sterben werde. Die Mutter des blonden Hieronymus, bei dem er wohne, pflege ihn, wenn der Baubruder in der Hütte arbeite. »Für mich gestorben!« hauchte Elisabeth – und von da an verlor sie die Besinnung. Anfangs, in ihren Fieberphantasien war sie immer mit Ulrich beschäftigt, sah ihn verwundet vor sich liegen, betete bald für ihn als ihren Retter, und schalt ihn bald, daß er sich überall in ihren Weg dränge, nur um sie zu demüthigen, sie wieder an die Schmach zu erinnern, die er ihr bereitet, als er die Rose aus ihrer Hand auf das Judenmädchen warf. Allmälig jedoch, wie das Fieber nachließ, schienen diese Bilder und Erinnerungen zu schwinden, ja sie es sorgfältig zu vermeiden, durch irgend etwas [8] wieder an die Ereignisse jener Nacht gemahnt zu werden. Es schien ihr am Angemessensten, ihre Umgebung glauben zu machen, als habe sie dieselben wirklich ganz und gar vergessen.

Jetzt, im Januar 1491 ist jede Spur der langen Krankheit von ihr verschwunden. Hat ihr edles Antlitz noch nicht ganz die frühere Frische und ihre majestätische Gestalt die frühere Fülle wieder erlangt, so erscheint ihre Schönheit dadurch nicht beeinträchtigt, daß der Eindruck, welchen sie jetzt macht, mehr ein geistig erhebender als ein sinnlich verlockender ist.

Vielmehr als sie selbst schien ihre Freundin Ursula Muffel in dieser Zeit gelitten zu haben, welche jetzt zu ihr in das Zimmer trat. Ihre sanften Züge drückten Leid und Sehnsucht aus, und ihren Augen sah man es an, daß sie manche kummervolle Nacht durchwacht und manche Thräne vergossen.

Die neue Glocke auf dem Thurm der Sebaldskirche hatte nicht lange zwölf Uhr geschlagen, als Ursula zu Elisabeth kam. Die übliche Zeit des Mittagessens war bei den Vornehmen wie bei den Handwerkern gleicherweise elf Uhr, und da man sich für gewöhnlich auch in den reichsten Häusern auf wenige Gänge beschränkte, dafür nur wenn Gäste zugegen waren oder bei außerordentlichen [9] festlichen Gelegenheiten die Gänge in's Unzählige steigerte und oft gleich von Abend bis zu Mittag bei Tische saß, so war eine gewöhnliche bürgerliche Mahlzeit in einer Stunde beendet. Um Ein Uhr pflegten sich an den bestimmten Tage die Stickerinnen bei Elisabeth zu versammeln.

Ursula sagte Elisabeth begrüßend: »Ich komme früher als die Andern, weil ich von Dir hören wollte, ob es wahr ist, daß für den nächsten Monat ein Reichstag hierher ausgeschrieben ist und ob König Max auch mitkommen wird?«

Elisabeth's Augen leuchteten bei dieser Nachricht. »Ich habe noch Nichts davon gehört,« antwortete sie; »aber mein Gemahl ist unwohl und heute nicht zu Rath gegangen. Hat Dein Vater diese Nachricht von dem Rathhaus mitgebracht?«

»Ja,« versetzte Ursula; »er kam entrüstet heim, und da ich ihn nach der Ursache seines Aergers fragte, sagte er, daß der Kaiser einen Tag nach Nürnberg ausgeschrieben, aber nur die Fürsten und nicht die Städte dazu geladen. Näheres erfuhr ich nicht und setzte meine Hoffnung wie immer auf Dich.«

Elisabeth seufzte und legte liebend ihren Arm um die ihr vertraute Freundin, der sie schon lange keinen[10] freudigen Trost mehr zu geben vermochte und auch jetzt deren Hoffnung nicht rechtfertigen konnte.

Seit Stephan Tucher den Fahnen des Königs Max gefolgt war, hatte er Anfangs an Ursula so oft geschrieben, als es im Felde und in der damaligen Zeit, wo die Briefe immer nur einer zufälligen und unsichern Gelegenheit anvertraut werden konnten, eben möglich war. –

Nachdem König Mathias von Ungarn Anfang April 1490 plötzlich in Wien gestorben war, hatte König Max den Krieg um seine östreichischen Erbländer begonnen. Am neunzehnten August hatte er seinen feierlichen Einzug unter dem Jubel des Volks in Wien gehalten, unter Lobgesängen in der St. Stephanskirche dem Herrn der Heerschaaren gedankt und auf offenem Markt die Huldigungen des Raths und der Gemeinde empfangen. Diesen glorreichen Tag hatte Stephan an Ursula geschildert – aber seitdem hatte sie keine Nachricht wieder von ihm erhalten. War er in der Schlacht gefallen? war er ihr untreu? hatte er sie vergessen?

Das Erstere war wohl möglich, denn König Max war mit bairischen Hülfsvölkern in Ungarn selbst eingebrochen, um auch dieses zu erobern, und hatte am ersten November selbst Stuhlweißenburg, die Krönungs- [11] und Begräbnißstadt der ungarischen Könige genommen – da konnte wohl Stephan mit bei dem Sturme gefallen sein. Aber von zurückkehrenden Nürnbergern, die auch mit unter den bairischen Hülfsvölkern gewesen, hörte sie, daß er noch am Leben sei. Aber Keiner brachte ihr einen Gruß von ihm. Freilich waren diese Rückkehrenden eigentlich Ausreißer aus dem bairischen Heere; denn in diesem war zwischen Reiterei und Fußvolk Streit über die Theilung der gemachten Beute entstanden, so daß das Fußvolk, als es weder von dieser den gewünschten größern Antheil, noch den rückständigen Sold ausgezahlt erhielt, rottenweise davon zog, wodurch der König sich genöthigt sah, sein Vordringen nach Ofen aufzugeben und sich nach Oestreich zurückzuziehen. Schwerlich würde der ritterliche, dem König ergebene Stephan mit denen, die den König verließen, gemeinschaftliche Sache gemacht haben. Allein jetzt war dieser nach Wien und dann nach Linz zurückgekehrt zum alten Kaiser Friedrich, der im October die Reichsacht über Regensburg ausgesprochen, das sich an den Herzog Albrecht von Baiern angeschlossen, der gegen des Kaisers Willen sich mit dessen Tochter Kunigunde vermählt, die der Vater deshalb verstoßen. Indeß sich Max jetzt bemühte hier ein Friedenswerk zwischen dem [12] Vater und dem Schwager zu stiften, während Friedrich die Hülfe des Schwäbischen Bundes und des Löwlerbundes für sich wünschte, hörte Ursula, und zwar von Stephan's eigener Schwägerin Eleonore Tucher, die bei einer festlichen Gelegenheit mit ihr zusammenkam, daß es Stephan in dem lustigen Wien sehr wohl gefiele, daß er ihrem Gatten geschrieben, wie es nirgend schönere Frauen und freiere Sitten gebe, wie dort, und daß es sich da gar angenehm von den Strapazen eines gefahrvollen Feldzuges ausruhen lasse.

Anfangs suchte Ursula für diese Nachricht Trost in der Hoffnung, daß dieselbe gefälscht sei, und bat Elisabeth um ihren Beistand, ihr den Brief oder doch Gewißheit über seinen Inhalt zu verschaffen. Wirklich erhielt ihn Elisabeth durch ihren Gemahl von Anton Tucher. Eleonore hatte Nichts hinzugesetzt oder erlogen: im Gegentheil, der aus Wien datirte Brief enthielt, was sie gesagt, noch begleitet von den rohen Ausdrücken und schmutzigen Späßen, welche damals, besonders unter der Männerwelt üblich waren. Das war der Brief eines lebenslustigen Mannes, der an jeden Genuß sich hingiebt, welchen der Augenblick bietet, unbekümmert, ob derselbe mit den Grundsätzen der Sittlichkeit sich vereinen lasse, unbekümmert, ob daheim eine [13] treue sehnsüchtige Geliebte seinen Schwüren vertraut und kummervoll die Stunden zählt, bis sie einen Gruß von ihm empfängt.

Elisabeth wollte Ursula gern die bitterste Kränkung ersparen, und sagte ihr nicht, daß sie selbst diesen Brief gelesen, aber doch daß ihr Gemahl das von Eleonore Gesagte bestätigt. Indeß fügte sie hinzu, es könne ja sein, daß Stephan seinem Bruder nur darum in einem solchen Ton geschrieben, um ihn und seinen Vater glauben zu machen, daß er Ursula aufgegeben und vergessen habe, da sie sich ja immer diesem Verhältniß widersetzt. Wie gern auch Ursula diesem Trostgrund Eingang in ihr banges Herz vergönnte: es blieb doch immer die Frage, warum er ihr nicht geschrieben, da doch sonst seine Briefe sie immer erreicht und sich noch stets gefällige Liebesboten gefunden hatten. Nur einmal war ein Brief von ihm verloren gegangen, aber das immer erwartend, hatte er wiedergeschrieben; so war dies auch ein Trost wohl für einige Wochen, auch Monate – aber nicht für ein halbes Jahr, wo er nicht mehr im Kampfe, sondern näher war und andere Briefe von ihm nach Nürnberg gelangten.

Und Elisabeth war auch eine Trösterin, welche selbst nicht glaubte, obwohl sie den Grundsatz hatte, jeden [14] schönen Traum in anderen Herzen so lange als möglich fortzunähren, da die Enttäuschung und das Leid immer zu früh genug komme; sie wußte, daß für ein liebendes weibliches Gemüth der peinlichste Zustand des Schwankens zwischen Furcht und Hoffen immer noch besser sei, als die entscheidende Gewißheit von der Unwürdigkeit und Untreue des geliebten Gegenstandes – sie konnte so aus Erfahrung empfinden! aber ihr eigenes Herz war ja selbst zu sehr verletzt worden in seinen heiligsten Empfindungen durch den Verrath eines Mannes, als daß sie nicht auch für andere Mädchen und von andern Männern die gleichen Erfahrungen erwarten sollte. Einem schönen, eitlen und heißblütigen Manne wie Stephan traute sie nur so lange Ausdauer in seiner Neigung zu, als das Weib, das seine Leidenschaft erregte, ihm nahe war und nicht andere verführerischere Frauen ihn lockten. Aber nimmer hätte sie Ursula's Herz in ähnlichen Besorgnissen bestärken mögen, sie trachtete darnach ihr so lange als möglich das Schreckliche zu ersparen, woran gerade stille und tiefe, reine Frauengemüther zu Grunde gehen. Bei solchen Betrachtungen mußte sich Elisabeth selbst gestehen, daß sie trotz ihrer geistigen Kraft und ihrer erheuchelten stolzen Ruhe auch zu den Zugrundegegangenen gehörte, weil [15] sie nicht mehr an das Ideal zu glauben vermochte, weil sie in zweifelhaften Fällen eher das Schlechte und Schlimme voraussetzte, als das Gute und Angenehme.

Kam nun wirklich König Max zu einem Reichstag in nächster Zeit nach Nürnberg, so war weit eher zu erwarten, daß bei dieser Gelegenheit Ursula's Geschick entschieden werde, als das von Krieg oder Frieden im deutschen Reich, oder was immer der Kaiser von den zähen Reichsfürsten und dem schleppenden Gang der Verhandlungen fordern mochte.

War Stephan treu, so würde er nicht verfehlen, im Gefolge des Königs sich wieder in sein Vaterland zu begeben, sei es auch nur für die Dauer des Reichstages. Blieb er aber ohne genügenden Grund aus, den man wohl von irgend einem seiner Gefährten erfahren konnte, so bestätigte dies seine Treulosigkeit; denn für so schlecht hielt ihn keine der Frauen, daß er kommen werde, um noch durch seine Gegenwart sein unschuldiges Opfer zu verhöhnen.

Wie natürlich, daß diese erste Nachricht von der baldigen Anherkunft des Königs einen ganzen Sturm von Empfindungen in Ursula erregte. Hatte sie doch auf die Huld dieses gütigen und ritterlichen Königs ihre ganze Hoffnung von da an gesetzt gehabt, wo er[16] im Tanze sie ausgezeichnet und ihr sein Wort gegeben, nicht anders denn zu ihrer Hochzeit mit Stephan Tucher wieder zu kommen, infern sie einander nur Treue bewahrten, und wenn sie sich auch immer sagte, daß ein so viel bewegter Monarch mehr zu denken und zu thun habe, als um das Geschick eines Liebespaares sich zu bekümmern, so hoffte sie doch sonst, daß, wenn Stephan in des Königs Geleit zurück nach Nürnberg käme und dieser, wie er versprochen, in Scheurl's Hause wohne, so werde Elisabeth wohl Gelegenheit finden, ihre Schützlinge seiner Gnade zu empfehlen. Wie würde sich Stephan beeilen ihr seine Rückkehr, seine Hoffnungen zu melden! – hatte Ursula vorher gedacht – und jetzt schwieg er, wie er seit einem halben Jahre geschwiegen! –

Außer den Regungen theilnehmender Freundschaft waren es noch Gefühle ganz anderer Art, welche bei dieser Nachricht Elisabeth ergriffen.

Wenn König Max wiederkam – würde er auch derselbe sein wie vor ziemlich zwei Jahren? Damals kam er eben aus den Niederlanden, ein sieggekrönter Fürst, der einen ehrenvollen Frieden geschlossen. Er kam nur nach Nürnberg, die alte freie Reichsstadt zum ersten Male zu begrüßen, er lebte unter ihren Bürgern [17] harmlose festliche Tage, gefeiert und geehrt von Allen, und sie wieder ehrend durch sein leutseliges Wesen und die frohe Art, wie er sich unter sie mischte, mit ihnen gemeinschaftlich freute.

Wie anders jetzt, wenn er Reichstag hielt! Da würden alle Fürsten und Herren, alle Großen des Reichs ihn umgeben und von den Nürnberger Bürgern trennen – schien doch der Senat ihn schon zu grollen, weil er nur die Fürsten und nicht die Abgesandten der Städte geladen: – es war eine Zurücksetzung, die gerade den Bürgerstolz am tiefsten verwundete. Auch in Elisabeth lebte der gleiche Stolz, der sich dagegen empörte. Wie oft sie auch die angenehmen Tage zurückgewünscht hatte, an denen König Max in Nürnberg weilte und ihr die ritterlichsten Aufmerksamkeiten widmete – tausendmal lieber wollte sie ihn nie wiedersehen, als wiedersehen und von ihm übersehen werden. Sie war immer stärker ein Unglück zu ertragen als eine Demüthigung, welche sie dem spöttischen Lächeln ihrer Feindinnen und Neiderinnen preisgab.

Die Sorgen des Reichstages mußten jetzt auf dem König lasten und noch schlimmere. Zwar hatte er seine Erblande wieder, aber er hatte doch den weiteren Eroberungszug nach Ungarn aufgeben müssen. Schlimmere [18] Sorgen aber waren in seinen eigenen Familienangelegenheiten erwachsen. Nicht nur der Zwist zwischen dem Vater und dem Schwager – Härteres hatte Max persönlich betroffen. Er hatte sich inzwischen um die Hand der Herzogin Anna von Bretagne beworben, und während er in Ungarn beschäftigt war, hatte er sich mit ihr durch Procuration – der Prinz von Oranien war sein Stellvertreter – zu Rennes trauen lassen. Aber am französischen Hofe ließ man sich durch diesen Schein der Ehevollziehung nicht abhalten, an Verhinderung des Unglücks zu denken, das durch Gründung eines fremden Fürstenhauses im Herzen der Monarchie herbeigeführt werden mußte, und faßte deshalb den Plan, Anna mit König Karl von Frankreich selbst zu verheirathen, obwohl dieser schon seit seiner Kindheit mit Maximilian's Tochter, Margaretha von Burgund, verlobt war. Karl wußte Anna endlich zu vermögen, um ihr Land und ihr kleines deutsches Hülfsheer zu retten, sich ihm zu ergeben und am 6. November 1491 den Heirathsvertrag mit ihm zu unterzeichnen. Im December erfolgte die päpstliche Lösung ihrer Verbindung mit Max. So erscholl eben jetzt durch ganz Europa das Volksgeschrei, der König von Frankreich habe dem römischen Könige seine Gemahlin entführt [19] und seine Tochter verstoßen. Maximilian's Aufbrausen bei der Nachricht von der ihm zugefügten Beschimpfung kannte keine Grenzen, und da seitdem erst nur kurze Zeit verflossen war, so konnte man wohl denken, wie er nicht empfänglich sein würde für harmlose heitere Festlichkeit wie in früherer Zeit, und vielleicht noch weniger für Gründung des Liebesglückes Anderer, da es ihm eben selbst auf so schmähliche Weise versagt war.

Und wenn er wiederkam – würde er sein Wort halten und in Scheurl's Hause Wohnung machen? Geschah es nicht, so fand Elisabeth schon darin eine Zurücksetzung – und geschah es, so erwachten jetzt schon die Sorgen der Hausfrau in ihr, den hohen Gast auch würdig und glänzend genug zu empfangen.

Die beiden Freundinnen wurden im Gespräch über diese Angelegenheiten unterbrochen, als ihre stickenden Genossinnen erschienen: Elisabeth's Schwester Margaretha, Beatrix Imhof, Crescentia Rieter, Charitas und Clara Pirkheimer und andere Jungfrauen aus den rathsfähigen Geschlechtern, denn nur solche hatte Elisabeth zu der Arbeit berufen.

Alle eilten die unterbrochene Arbeit neu zu beginnen.

Mit den Schwestern Pirkheimer pflegte Elisabeth den Umgang am liebsten, Ursula ausgenommen. Sie[20] waren beide von dem regsten Eifer für wissenschaftliche Studien sowohl als frommes Wirken beseelt, so daß man sie bald die gelehrten, bald die frommen Schwestern nannte. Zu jeder Arbeit waren sie bereit und tüchtig und für jedes Streben begeistert, das sich über die gewöhnlichen Lebenssphären erhob. Ihre Bildung war eine außerordentliche und besonders durch das früher gemeinschaftliche Lernen mit ihrem Bruder Willibald geförderte. Jetzt, wo er fern war und inzwischen auch ihre Mutter gestorben, hatte ihr Sinn sich dadurch immer mehr von den lauten Freuden der Welt abgewendet, ihren stillen Studien und einem beschaulichen Leben zu.

Jetzt waren sie auch die Eifrigsten bei der Stickerei der Gobelins, ja sie hatten es sich nicht nehmen lassen, beide allein die Figur des Auferstandenen zu sticken, darin eine besondere Befriedigung findend. War nun auch die schöne Elisabeth weltlicheren Sinnes als die beiden, von der Natur gerade nicht mit körperlichen Vorzügen ausgestatteten Schwestern, so erkannte sie doch ganz deren innern Werth und ehrte ihre frommen Lebensanschauungen, wenn sie auch selbst sich zu freieren emporgeschwungen. Es war immer ein klarer Friede um diese Beiden, der ihr wohl that und den sie ihnen [21] um so mehr beneiden konnte, als ihre unruhig bewegte Seele nur den Schein desselben zu behaupten suchte.

Sie fragte jetzt die Schwestern nach ihrem Bruder Willibald, von dem sie wußte, daß er Ritterdienste bei dem Bischof von Eichstädt, eines der Häupter des schwäbischen Bundes, genommen.

»Zu unserer Freude,« sagte Charitas, »wird er bald das Schwert mit der Feder vertauschen, um in Italien die unterbrochenen Studien fortzusetzen. Im rohen Kriegerhandwerk können es wohl Andere ihm gleich thun, aber mit seinem freien Geiste und seiner umfassenden Bildung paßt er besser in die stille Werkstatt der Gelehrten und wird seiner Vaterstadt und dem Reiche bessere Dienste leisten können, als mit dem Schwert. Kommt der Bischof von Eichstädt zum Reichstage her, so wird er ihn begleiten und kurz bei uns verweilen, ehe er auf lange Zeit nach Italien geht.«

»Ihr wißt es also auch schon von dem Reichstag?« fragte Ursula gespannt.

»Mein Vater sagte es diesen Mittag,« antwortete Clara.

Auch Crescentia Rieter mit Margaretha Behaim, die jüngste in diesem Verein, stimmte dieser Nachricht bescheiden bei.

Draußen ließen sich eben Männerschritte vernehmen[22] – Elisabeth hoffte, es werde ihr Gemahl sein, der nun auch die aufregende Kunde empfangen, und komme sie mitzutheilen – aber sie hatte sich getäuscht; statt seiner trat der Maler Hans Beuerlein ein, um zu sehen, welche Fortschritte der Gobelin mache, zu dem er das Gemälde geliefert.

Er war ein mittelgroßer Mann in den Fünfzigen, seine Gestalt hatte er in einem großen Zipfelpelz von dunkler Farbe gehüllt und auf dem Kopfe trug er eine Art Mütze von rother Farbe, ein Schläplein, wie diese wunderliche Kopfbedeckung hieß.

Freundlich gab er sein Lob über die vorgeschrittene Frauenarbeit zu erkennen, aber als er sich über Ursula's Schulter bog, ihr Werk zu betrachten, sagte er: »Aber was ist denn das: Ihr stickt der armen Maria Magdalena graue Haare statt der blonden – würde es Euch doch selbst sehr kränken, wenn man Euch plötzlich mit grauen Haaren sehe!

Erröthend erkannte Ursula das Unheil, das sie angerichtet, indeß ihre Gedanken ganz anders beschäftigt gewesen als mit ihrer Arbeit. Durch langes Sehnen und Harren, Fürchten und Hoffen schon zum Aeußersten erschöpft, brach sie in Thränen aus und rief: »Ach, das ist gewiß eine schreckliche Vorbedeutung!«

[23] Der Maler lächelte: »Trennt es herzhaft wieder her aus und macht den Fehler gut, den ihr begangen, so macht Ihr auch die Vorbedeutung zu Schanden. So ist's Männerart; aber die Frauenzimmer sehen immer Alles gleich mit weinerlichen Augen an, bis sie gar nichts mehr erkennen können.«

»Ei freilich!« entgegnete Elisabeth, »das ist bequeme Männerweisheit, die sich immer ihr Schicksal leicht macht: Wenn Ihr dies Haar mit einer falschen Farbe gemalt hättet, so bedürfte es nur einiger Pinselstriche von Eurer Hand aus einem andern Farbentopf, um dies Grau wieder in das schönste Blond zu verwandeln; das Frauenloos ist aber: hundert Stiche mühevoll aufzutrennen und wieder hineinzunähen – ein Geschäft, das vieler Geduld und Zeit bedarf; nimmer unterzieht sich jetzt ein Mann einem solchen, um seine Fehler gut zu machen.«

»Ei, was höre ich, Frau Elisabeth?« rief der Maler: »aber so geht es immer, wenn sich einmal ein Mann allein unter die Frauenzimmer wagt, da muß er immer sich Allerlei gefallen lassen – statt Hahn im Korbe zu sein, ist man der Hirsch, den die Windspiele umzingeln und ankläffen.«

[24]

2. Kapitel. Propst und Mönch

Zweites Capitel
Propst und Mönch

Auf dem Steig bei den zwölf Brüdern standen mehrere niedere Gebäude durch einen großen Hof verbunden. Vor dem Eingang am großen Hofthor, über dem sich ein zierlicher Spitzbogen mit durchbrochener Arbeit erhob, befand sich ein steinerner Lindwurm, der aus seinem weiten Rachen Wasser spie, das auch jetzt im Winter lustig daraus hervorquoll, nur daß es da und dort am Rande des Wasserbeckens, wenn es über dasselbe plätscherte, zu seiner kunstreichen Steinmetzenarbeit noch spitze Zapfen von Eis ansetzte und auch den Rachen des Ungeheuers mit einem Bart von silberhellglänzenden Eisfasern umgab, daß es dadurch eine noch einmal so drohende Miene erhielt.

Drinnen im Hof, ein langes Gebäude rechts war die Werkstatt des Meisters Adam Kraft. Hier arbeitete er umgeben von seinen Gesellen und Knechten. Eine große, glatte Steintafel lehnte vor ihm, an der er fleißig [25] feilte, um Figuren in Lebensgröße als Hochbilder daran herauszumeißeln.

Neben ihm standen Herr Martin Ketzel und der Propst Anton Kreß. Ersterer, der bei ihm die sieben Fälle Christi in ebenso vielen einzelnen Steintafeln und zwei Kapellein bestellt hatte – eine so große Arbeit, daß sie leicht mehrere Jahre bis zu ihrer Vollendung erfordern konnte, war gekommen, um einmal nachzusehen, wie weit sie vorgeschritten, und hatte auch den als Kunstförderer bekannten Propst dazu mitgebracht. Adam Kraft hatte ihnen die beiden fertigen Hochbilder gezeigt, lächelnd ihr Lob vernommen, ohne selbst viel dazu zu sagen, und jetzt fuhr er in seiner Arbeit fort, um den Besuch seiner Gönner sich weiter nicht kümmernd.

Neben ihm stand sein neuester Handlanger, ein Bauernknecht aus dem nächsten Dorfe, den man nicht anders als den Riesen-Jacob nannte, so groß und stark war sein Gliederbau. Meister Kraft hatte ihn kürzlich bei seiner Werkstatt vorübergehen sehen und ihn gefragt, ob er sich von ihm wolle zum Handlanger dingen lassen? Da es im Winter für den Knecht keine Arbeit und schlechte Zeit gab, so nahm er das Anerbieten für diese Zeit an. Er hatte gemeint, er sei gewählt worden, [26] weil er wohl fünf für andere starke Männer Körperkraft besaß und mit Leichtigkeit große Steinblöcke da und dorthin tragen konnte, die Andere nur mühsam fortzuwälzen vermochten; indeß erstaunte er nicht wenig, als der Meister nur selten solche Leistungen von ihm verlangte, dafür ihn aber oft an seine Seite nahm, und indeß er selbst die kunstreichsten Formen in den Stein trieb, dem Riesen-Jacob mit der größten Genauigkeit zeigte und erklärte, wie man selbst das mache und wie er versuchen müsse, ihm das nachzuthun. Der rohe Bauernbursche, der nur mit Ochsen und Pferden umzugehen verstand, Bäume zu fällen, und in Zeiten, wo die Ritter ihren Unterthanen und Hörigen die Ochsen geschlachtet und die Pferde entführt hatten, um sie bei ihren Raubzügen oder im Kriegsdienst zu verwenden, wohl auch selbst am Pfluge ziehen mußte – der verstand kein Wort von dem, was ihm der Meister sagte, lachte nur und wagte kaum einen rohen Versuch, den Meißel in den Stein zu treiben.

Die ihm nahe stehenden Steinmetzgesellen aber lächelten einander zu und merkten hoch auf, denn sie wußten: so war einmal ihres Meisters Art. Nie war er dahin zu bringen, Einem von ihnen, der bei ihm lernte, etwas ordentlich zu zeigen und mit seinen Gesellen [27] über seine Arbeit zu sprechen; aber von Zeit zu Zeit miethete er sich einen unwissenden Bauernknecht als Handlanger, und dem zeigte er alle Dinge, als ob er den kunstbegierigsten Steinmetzen vor sich hätte – so ward es auch jetzt.

Meister Kraft hatte eben zur Abwechslung und um seine rechte Hand ruhen zu lassen, den Meißel einmal in die linke Hand genommen, mit der er in gleicher Weise geschickt zum Arbeiten war, als sich die Thür öffnete und die Frau Meisterin, mit vielen Knixen vor dem Propst, und Herrn Ketzel, einen Benediktiner-Mönch in die Werkstatt geleitete.

»Der fromme Vater da,« sagte sie zu dem Propst, »hat Euer Hochwürden schon überall gesucht, bis man ihn hierher gewiesen, indem man ihm gesagt: er würde Euch bei dem Drachen finden!«

»Ei, ei,« sagte der Propst, der immer zu einem Späßchen aufgelegt war und die Worte dabei nicht wog, oder auch seinen Witz dann für den gelungensten hielt, wenn er damit andere Personen in Verlegenheit bringen konnte, man hat dem frommen Bruder gesagt, daß er mich bei einem Drachen fände, und da ist er gleich auf den Einfall gekommen, mich bei der Frau Meisterin zu [28] suchen? – Was meint Ihr dazu, Meister Kraft? wie ist es mit dem Hausdrachen?«

Der Riesen-Jacob lachte unmäßig, und auch die Gesellen hatten Mühe sich das Lachen zu verbeißen, die Lehrlinge konnten ein leises Kichern nicht unterdrücken; alle wußten wohl, daß der Meister seit zwei Jahren erst mit dieser seiner zweiten Frau verheirathet in der glücklichsten Ehe lebte, aber auch daß, seitdem sie in das Haus gekommen, ein schärferes Regiment darin eingeführt worden. Die Lehrlinge mußten manche Hausarbeit verrichten helfen, kehren, schwemmen und räumen, denn im ganzen Gehöfe wie im Haus und überall duldete sie keine Unsauberkeit und verbannte sie auch aus den verborgensten Winkeln; den Gesellen rechnete sie auch die Freistunden pünktlich nach, und hielt es ihnen vor, wenn einmal einer über den Durst getrunken oder sonst einen Unfug verübt. Ihr Mann grollte meist nur still oder schickte fort, mit wem er unzufrieden war; sie aber suchte den Leuten in's Gewissen zu reden, sie durch moralische Vorstellungen und Kernsprüche zu bessern. So war ihr von den Leuten, die zwar Respekt vor ihr hatten, aber denen das frühere lose Regiment doch besser behagte, als dies strengere durch sie geführte, bald der Beiname des Hausdrachen [29] gekommen, und sie hatten keine geringe Freude, als jetzt selbst der geistliche Herr sie damit neckte.

Meister Kraft aber, obwohl er das ernste Gesicht auch zu einem Lächeln verzog, fühlte doch, daß er seiner Hausfrau sich annehmen müsse, und sagte kurz und gut: »Wir leben ja als Adam und Eva im Paradies und da kann wohl Einer leichtlich denken, Drache oder Schlange müsse sich einschleichen, und wie es immer gewesen, zur Frau zuerst; draußen aber sitzt er im Stein gezaubert vor dem Thor und weiset wohl den Weg zu uns, aber nicht uns hinaus.«

»Das ist brav,« sagte Herr Martin Ketzel, »daß Ihr Eure Hausehre in Schutz nehmet.«

Der Meister schien schon nicht mehr auf das zu hören, was weiter um ihn vorging, sondern trieb den spitzen Stahl immer tiefer in den sich gestaltenden Stein, daß es lustig klang und Funken und Sand um ihn sprühten und stäubten.

Ketzel wendete sich darum zu Frau Kraft und sagte: »Es ist wirklich wundersam, daß Meister Adam auch eine Eva gefunden.«

Diese erröthete und fuhr sich mit der Schürze über's Gesicht, der Meister lächelte schlau und der Propst sagte:

[30] »Das Wunder ist nun eben nicht so groß; wißt Ihr denn nicht, daß die Frau Kraft eigentlich Magdalena heißt, so steht sie im Kirchenbuch, und nur dem Meister da zu Gunst hat sie sich selber umgetauft, weil er sich's einmal in den Kopf gesetzt, keine Andere als eine Eva zu freien.«

»Ei was!« rief die Meisterin sich entschuldigend, »der Kraft ist auch nicht Adam getauft, sondern Ulrich, und hat sich selbst den Namen gegeben; warum soll eine Frau nicht das gleiche Recht haben?«

»Wenigstens wenn es ihr Mann ihr giebt!« sagte Meister Kraft, der doch seine Frau nicht wollte übermüthig werden lassen und sich die Oberherrschaft sichern.

Während dieses Gespräches war der Mönch an einem Seitenfenster stehen geblieben, das dem geöffneten Hofthor schräg gegenüber war, so zwar, daß man durch dasselbe auf die Straße und die bei dem Lindwurm Vorübergehenden sehen konnte. Anfangs blickte der Mönch nur mürrisch da hinaus, ungeduldig, daß der Propst, den er schon allenthalben gesucht, nun statt sich mit ihm zu entfernen, kurzweilige Späße trieb, die seiner Würde sehr wenig gemäß waren. Jetzt aber blickte der Mönch schärfer hin, wie gefesselt durch eine außerordentliche Erscheinung; ein sonderbares Zucken [31] flog über sein erdfahles Gesicht und seine dunklen Augen blitzten unter den grauen Augenbrauen.

Jetzt wendete sich der Propst zu dem schweigenden Mönch und sagte: »Aber Ihr werdet Eile haben, ich bin bereit Euch zu begleiten. Gehabt Euch wohl, Meister Kraft. Gottes Segen mit Euch Beiden: Adam und Eva! Herr Ketzel, guten Fortgang zu Euer frommen Stiftung in so wackeren Meisters Händen. Besucht mich bald einmal in der Propstei zu einem Becher edlen Rheinweins, wie er in meinem Keller lagert.« Er lächelte und schmunzelte dabei schlau, denn sein immer voller Weinkeller, obwohl täglich aus ihm geschöpft ward, machte ihm mehr Freude, als eine volle Kirche.

Martin Ketzel verstand den Wink, daß der Propst jetzt seine Begleitung nicht wünsche, er blieb daher zurück, als sich dieser mit dem Mönch entfernte, und sagte zur Meisterin:

»Ich muß schon noch ein Weilchen bei Euch verziehen, denn die geistlichen Herren da scheinen unter vier Augen zu verhandeln zu haben, wobei sie weltliche Ohren nicht gebrauchen können.«

Frau Eva war auf den Propst noch ärgerlich wegen des Drachen und sagte: »Es ist auch besser, [32] man hört es nicht; der Herr Propst hat immer andere Dinge im Kopfe, als man bei einem Kirchenhaupt erwarten möchte, und der Mönch sah auch nicht aus wie Einer, der Frieden im Kloster gefunden und sich wohl fühle in seinem Berufe.«

Meister Adam runzelte die Stirn und winkte seiner Frau schelmischstrafend zu, als wolle er sagen, daß sie wohl Recht habe, daß man aber vor den Leuten in der Werkstatt nicht so reden dürfe.

Gleichzeitig aber sagte der Riesen-Jacob: »O den Mönch da, den Bruder Amadeus, den kenne ich. Ich habe vorletzten Sommer als Handlanger einmal im Kloster mitgearbeitet – da hab' ich ihn in seiner Zelle heulen und toben hören, und weil ich darnach fragte, hat mir der Pförtner gesagt, da sei der Bruder Amadeus seit einem Jahre zum ersten Male mit einem Auftrag in Nürnberg gewesen und ganz verstört wiedergekommen; er wäre seitdem nicht mehr zu bändigen – von Buße und Besserung wollt' er gleich gar nichts hören.«

»Laßt doch das unnütze Reden!« sagte der Meister; »wir loben den Herrgott in unserer Kunst und in den Werken, die wir ihm zur Ehre mit allem Fleiß bereiten[33] – mögen sie in den Klöstern thun und treiben, was sie wollen!« –

Herr Martin Ketzel verabschiedete sich und die Meisterin gab ihm das Geleite bis zu dem Brunnen vor dem Hausthor. Es begann zu schneien, und der Lindwurm, dem große Flocken um den geöffneten Rachen spielten und an seinen Eiszapfen zu weichem Flaumenbart sich ansetzten, sah grimmiger aus als je vorher. Bei diesem Anblick schien die Erbitterung Frau Eva's auf den Propst auf's Neue erregt zu werden, und indem sie, nachdem Herr Ketzel sich entfernt, das Hofthor donnernd zuwarf, murmelte sie leise zwischen den weißen Zähnen: »Der Propst soll auch noch einmal an mich denken! will er mich einmal einen Drachen schimpfen, so mag er auch noch erfahren, daß ich's ihm gegenüber sein kann!« –

Indessen ging der Propst Kreß mit dem Benediktinermönch durch das Schneegestöber seiner Wohnung zu. Das Wetter war eben nicht darnach, Leute auf die Straße zu locken, welche nicht gerade die Nothwendigkeit heraustrieb. Auch die unverdrossenen Nürnberger suchten bei solchem Wetter lieber in ihren Häusern ihre Geschäfte abzumachen, als wie sonst auf Gassen und Märkten sich umherzutreiben. Darum begegneten die [34] Beiden nur Wenige und der Propst sagte zu seinem Begleiter:

»Ich bin neugierig zu wissen, wie es kommt, daß Ihr Urlaub erhalten und was Ihr für einen Auftrag habt?«

Der Mönch sagte mit einem fast verächtlichen bittern Lächeln: »Durch strenge Buße erhielt ich den Urlaub – und mein Auftrag ist allerdings so einfach, daß ich ihn Euch auf offener Straße sagen kann, auch wenn ganz Nürnberg uns zuhörte: am Sakramentshäuslein in unserer Kirche ist über Nacht der Aufsatz eingefallen und zertrümmert worden; wir brauchen kunstfertige Hände, das nicht nur zu repariren, sondern ganz neu wieder herzustellen – aber es soll bald geschehen, damit das Werk zur nächsten Feier wieder würdig vollendet ist. Das ist mein Auftrag an Euch, Herr Propst.«

»Hättet Ihr ihn doch gleich in der Werkstatt des Meister Adam Kraft gesagt,« antwortete der Propst, »das ist der kunsterfahrenste Mann in solchen Sachen –«

»Nicht doch!« fiel ihm der Mönch ein, »wir wollen in unserer Kirche kein Werk von profanen Händen, wenn es auch jetzt Sitte wird, zuweilen solche Steinmetzen in die Klöster zu berufen; der Auftrag ging an[35] Euch und den Hüttenmeister der St. Lorenzkirche, uns zwei der geschicktesten Baubrüder zu senden – den, dessen Zeichen ein Kreis ist mit einem Winkelmaß durchschnitten –«

Es war, als hemme eine plötzlich fallende Schneelavine die eilenden Schritte des Propstes – so blieb er einen Augenblick erschrocken und regungslos stehen! aber es fiel nicht ein Flöckchen mehr vom weißgewölbten Himmel herab, als vorher gefallen, und Nichts ließ sich sehen und hören, sein erschrockenes Stillstehen zu veranlassen. Aber er griff jetzt den Mönch heftig unter den Arm, entweder um sich zu stützen oder ihn eilend mit sich weiter zu reißen, und sagte:

»Amadeus! kein Wort weiter davon hier auf der Straße – das besprechen wir drinnen in der Propstei.«

»Ich gehorche,« sagte Amadeus; »aber jetzt seht Ihr es: nicht ich bin der Erregte, sondern Ihr seid es.«

So gingen sie schweigend und eilend noch die kurze Strecke nebeneinander, bis sie in die Propstei zu St. Lorenz kamen. Der Propst schlug mit dem eisernen Klöppel, der eine kolossale Eichel an einem Zweig von Eichenblättern darstellte, auf ein aus der Thür vorspringendes Eichenblatt gleichfalls von eiserner Arbeit, dreimal rasch nacheinander, und gleich darauf ward die Thür von [36] unsichtbaren Händen geöffnet und sprang eben so schnell hinter den Eingetretenen wieder zu.

In einem hochgewölbten Zimmer des Erdgeschosses loderte ein mächtiges Feuer, hohe Polsterlehnstühle, mit verschossenem braunen Sammet bezogen, standen am Kamin. Herr Anton Kreß deutete darauf und sagte:

»Ihr werdet müde sein und habt noch einen weiten Weg zu machen, wenn Ihr vor Nacht zurück müßt.«

»Die zwei Stunden bis zum Kloster,« sagte Amadeus, »werden mich nicht erschöpfen, wenn ich den Weg hierher nicht vergeblich gemacht habe.«

Eine Frau in mittleren Jahren, die Wirthschafterin des Propstes, trat ein, nahm dem Propst seinen Pelzmantel ab und brachte ihm einen Hausrock, blies mit dem Blasebalg in den Kamin, legte neue Scheite auf, warf dabei neugierige Blicke auf den Mönch und schien Lust zu haben, sich allerlei im Zimmer zu thun zu machen, um gegenwärtig bleiben zu können.

Der Propst aber sagte zu ihr: »Bringt uns schnell einen Krug Wein, etwas Brod und Schinken, und dann sehet auf den Boden; mich dünkt, die Fenster standen offen und der Schnee wird sich drinnen häufen.«

Ehe nicht die Wirthschafterin wiedergekommen war, das Verlangte gebracht und auf einen kleinen Eichentisch [37] am Kamin zwischen den Lehnstühlen zurechtgestellt, auf denen die Beiden Platz genommen, sprachen sie kein Wort zusammen. Erst da sie sich entfernt, sagte der Propst:

»Nun, Amadeus, Euren Auftrag?«

»Ich habe ihn schon gesagt,« versetzte dieser; »der hochwürdige Abt läßt Euch sagen, uns zwei der geschicktesten Baubrüder aus der Lorenzer Bauhütte zu senden, noch besser, sie mir gleich mitzugeben. Da im Winter ja doch nur in der Hütte und nicht außen an der Kirche gearbeitet werden kann, so meinen wir, Ihr könnet sie jetzt entbehren.«

»Gleich heute geht das nicht,« antwortete Kreß unruhig; »ich muß es erst mit dem Hüttenmeister besprechen – – aber jetzt sind wir allein, hier hört uns Niemand, darum jetzt keine unnützen Redensarten mehr: wie hab't Ihr es angefangen, daß man gerade Euch und gerade mit diesem Auftrag zu mir gesendet?«

»Ich rede die Wahrheit,« antwortete Amadeus; »ich bin still und fromm geworden, habe Buße gethan und verstanden mich selbst zu zähmen, so ist mir der Abt wieder geneigt worden wie vordem. Heute um Mitternacht hatte mich die Pflicht der Buße allein in die Kirche geführt – da sah ich das Sakramentshäuslein[38] zertrümmert, und meldete es dem Abt noch zur selben Stunde zuerst und schlug ihm auch vor, daß wir es eilend wollten durch Nürnberger Baubrüder wieder herstellen lassen, und da er weiß, daß Ihr mir gewogen, und da ich der Erste war, der das Unglück gesehen, so gab er mir Urlaub und sandte mich hierher. Und soll ich weiter die Wahrheit reden: der Abt kümmert sich nicht um die Monogramme Euerer Steinmetzgesellen, ich aber kenne das des Einen und bitte Euch: sendet uns den mit dem Zeichen des Kreises, den das Winkelmaß durchschneidet.«

»Amadeus! was soll daraus werden?« sagte Kreß unruhevoll, lehnte sich bekümmert in seinen Stuhl zurück und drehte hastig einen Daumen um den andern an seinen über den wohlgenährten Leib gefaltenen Händen.

»Da Ihr mir keine Gewißheit geb't, will ich sie mir selbst suchen!« antwortete Amadeus.

»Und wenn Ihr sie hab't, so wird sie Euch in's Verderben stürzen!« warnte der Propst.

Der Mönch lächelte: »Dem bin ich so oder so verfallen, daran liegt nicht das Geringste.«

»Da habt Ihr recht,« antwortete der Propst, »aber mit oder ohne Gewißheit; schon durch Euer Forschen, eine einzige Unvorsichtigkeit, ein verdächtigendes Wort [39] werdet Ihr den edlen Jüngling in's Verderben stürzen, sei er, wer er sei – das bedenkt!«

»Ich werde ihn nicht verrathen,« antwortete Amadeus, »und schon am wenigsten dann, wenn er mein –«

»Halt!« fiel ihm der Propst in's Wort; »Ihr hab't es gezeigt, wie wenig Ihr Eurer mächtig seid! Ich hab' ihm meine Gunst erwiesen, aber nur als wackerem Künstler, und sonst bin ich ihm immer fern geblieben; aber ich habe im Verborgenen über ihn gewacht und ihn geschützt, wo es Noth that. Schon wollte sich der böse Leumund an ihn wagen, schon munkelte man über sein Herkommen und wollte seine Mutter verunglimpfen – noch haben ihn die Zeugnisse geschützt, die er mitgebracht, noch glaubt er denselben fest. Er ist stolz und edel und sein Lebenswandel frei von jedem Makel; er ist hochbegeistert für seine Kunst und kennt kein anderes Streben und kein anderes Glück, als ihr zu dienen: nun drängt Euch an ihn, forscht und spähet und macht ihn selber irre an sich selbst und seinem Herkommen, nehm't ihm die Ruhe des Gemüthes, den freudigen Stolz auf niedere, aber brave Eltern, auf die Zeugnisse der Benediktiner – und Ihr vernichtet in ihm die frohe Kraft des Schaffens, die Zuversicht, die ihn jetzt beseelt; aber noch mehr: findet und bringt [40] Beweise, lähmt seine Hand, seinen Muth, macht ihn zum Lügner und Heuchler – noch mehr: nehmt ihm die ehelichen Eltern, verrathet Alles, was ihr jetzt denkt, im halben Wahnsinn vielleicht hofft – kaum Tage werden vergehen, und er wird ein Ausgestoßener sein aus der Zunft der freien Steinmetzen; Schimpf und Schande wird über ihn kommen, die seine stolze Seele nicht erträgt; mit Fingern wird man auf ihn zeigen, und es wird ihm nirgends eine Freistatt werden für sich und seine Kunst und sein ganzes verfehltes und verunehrtes Leben!«

Anton Kreß hatte lange nicht so viel und im Eifer gesprochen; kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, und wer ihn jetzt gesehen, der konnte ihm manches vergeben und denken, daß in diesem Manne doch ein guter Kern war, an den man nur einmal zu pochen brauchte, so klang er hell und rein, trotz der dichten Hülle alltäglicher Erscheinung, die ihn umgab. In seinen Augen standen Thränen, und während der Ausdruck seines Gesichtes sich drohend auf den Mönch richten sollte, ward er vielmehr angstvoll und flehend.

Dieser starrte vor sich nieder und sagte dann: »Wenn man fünfzehn Jahre im Benediktinerkloster ist, so lernt man sich selbst beherrschen.«

[41] »Das ist nicht wahr, Bruder Amadeus, das ist von Euch nicht war!« antwortete rasch der Propst; »denkt, in welchen Zustand Ihr vor anderthalb Jahren kamet, da Ihr zuerst ihn wiedergesehen, nur seinen Namen und sein Alter erfahren hattet – und als Ihr darauf hörtet: er sei todt!«

»Eben weil ich das nicht vergessen kann!« sagte Amadeus; »es kam zu plötzlich – und ich erlag. Seitdem hab' ich gebüßt und mich geprüft, und bin vorbereitet. Aber wie könnt Ihr denken, daß ich etwas thun oder sagen würde, das Ulrich's Dasein vergiften könnte? Ihr habt Ulrika vor mir verborgen, daß ich weder weiß, ob sie noch unter den Lebenden wandelt oder nicht – und wenn ein Wunder selbst mir Ulrich zugeführt, so habt Ihr kein Recht, Euch dem entgegen zu stemmen.«

Der Propst sah zwar noch kummervoll aus, aber um seinen Mund spielte ein schlaues Lächeln, mit dem er sagte: »Glaubt Ihr wirklich an die Wunder der Heiligen? Die haben wohl auch um Euretwillen das Weihbrodgehäuse umgeworfen? Was bildet Ihr Euch ein, daß sie noch weiter thun werden? – Antwortet mir lieber kurz und bündig: Was gedenkt Ihr zu thun, wenn ich nun wirklich Ulrich von Straßburg und seinen [42] treuen Gefährten, den blonden Hieronymus auf Arbeit in das Kloster sende?«

»Ihr kennt die strengen Regeln des Ordens,« sagte der Mönch: »ich werde ihn nur beim Gebete sehen, und wenn ich mit ihm zu sprechen komme, so wird das nicht allein sein.«

»Ich kenne die gelockerten Ordensregeln,« versetzte der Propst, »und daß es jetzt in den Klöstern nicht so streng hergeht wie ehedem und wie die Welt noch glauben soll, aber doch nicht glaubt: Ihr werdet es schon schlau anfangen, daß ihr mit Ulrich allein zu sprechen kommt – Ihr werdet darum doch keine Ruhe finden und die seine werdet Ihr ihm rauben.«

»Nun denn,« antwortete der Mönch aufstehend, »was hinderte mich denn gleich selbst in die Bauhütte zu gehen, ehe ich zu Euch ging, und dort meinen Auftrag zu sagen?«

»Ihr habt das Paßwort nicht und hättet keinen Einlaß gefunden,« entgegnete der Propst.

»Aber der Hüttenmeister wäre herausgekommen,« versetzte Amadeus, »und ich hätte mein Gesuch vorgebracht; ich hätte auch draußen warten können, bis Ulrich herauskam, und ihn begleiten; noch mehr: als Ihr vorhin beim Meister Kraft mit seiner Ehefrau scherztet, [43] da sah ich Ulrich draußen beim Lindwurm vorübergehen – ich hätte auf ihn zueilen können, mit ihm reden, was ich gewollt, ohne daß ich erst meine Bitten bei Euch erschöpfe. Urtheilt, ob ich mich bezwingen kann und gehorsam sein, daß ich das nicht that? Ich weiß auch, daß er beim Rädleinmacher Sebald beim Sonnenbad wohnt, und könnte jetzt zu ihm gehen, statt mit Euch nutzlose Worte zu wechseln – wenn ich nicht ein Gelübde und noch mehr: wenn ich nicht seine Ruhe berücksichtigen wollte. Was also habt Ihr noch zu fürchten? Kann ich aufrichtiger gegen Euch sein, als ich es gewesen bin? Verdiente ich nicht dafür, daß Ihr es auch wäret? Geb't mir Gewißheit, und Ihr ersparet mir weiter zu forschen!«

»Ich habe selbst keine Gewißheit!« sagte der Propst nach langem Sinnen und mit sich selbst Ringen; »wie oft soll ich es Euch sagen! Er ist nicht der einzige Oblate, der in jenem Kloster erzogen worden, und ich mag keine Nachforschungen anstellen, die ihm schaden könnten. Ich liebe und achte diesen wackern Gesellen und erweise ihm meine Gunst, mag er mir nahe stehen oder nicht; es bringt durchaus keinen Nutzen, Geheimnissen nachzuspüren, bei denen wir Gott danken müssen, daß [44] sie es vor der Welt sind – mögen sie es auch vor uns sein und bleiben.«

»Wohlan!« sagte Amadeus, »so laßt mich Eurem Beispiel folgen – ich will nur thun wie Ihr und Nichts verrathen, was dies alte Herz dabei empfindet.«

Er reichte dem Propst seine Hand; dieser nahm sie, stand auch auf und sagte: »Euch selber träfe der größte Fluch, wenn Ihr Fluch und Schande auf Ulrich brächtet.«

»Ich will Nichts als meine alte Hand segnend auf seinen Scheitel legen – vielleicht find' ich dann die Ruhe, die mir bis jetzt noch niemals geworden.«

»Ich will Euch vertrauen,« sagte Kreß; »vertraut mir auch. Wie Ihr alles Auffallende vermeiden wollt und müßt, will und muß ich es auch. Morgen in der Hütte werd' ich mit dem Hüttenmeister sprechen, ihm sagen, daß Ihr die geschicktesten Steinmetzen verlangt, und daß es eine Ehre für die sein wird, welche wir senden. Ulrich und Hieronymus sind die besten; wählt der Werkmeister sie selbst und schlägt sie vor, so werde ich freudig beistimmen – einen Vorschlag selbst kann und mag ich nicht machen; ich habe Ulrich schon mehr als einmal gegen seine Neider und Feinde geschützt – ich werde Nichts thun, was sie vermehren könnte. – [45] Und nun eilt Euch, damit Ihr zur rechten Zeit heim kommt, ehe sie zur Hora läuten. Dem Abt vermeldet meinen Gruß und daß übermorgen die Steinmetzen kommen würden; die Bedingungen wird ihnen der Werkmeister schriftlich mitgeben. – Da, leert noch einen Becher, ehe Ihr in die Winterkälte hinauswandert.«

»Auf Ulrich's Wohl – und Euch zum Dank!« sagte Amadeus, mit seinem frischgefüllten Humpen an den des Propstes stoßend. Dann zog er die Kaputze über sein Haupt, nahm seinen Wanderstecken und verließ das Haus.

Der Propst sah ihn bekümmert nach und überließ sich eine Weile bangen und traurigen Gedanken. Aber es war seine Gewohnheit, denselben nie zu lange nachzuhängen; er schellte der Wirthschafterin und sagte ihr, daß er noch einmal ausgehen werde – er hatte das Bedürfniß sich in heiterer Gesellschaft zu zerstreuen, und die Collegen und Rathsherren, in deren Mitte er sich bald gesprächig und frohgelaunt wie immer bewegte, merkten ihm nicht an, daß er eben eine so ernste und ihn quälende Unterredung gehabt.

[46]

3. Kapitel. Die beiden Baubrüder

Drittes Capitel
Die beiden Baubrüder

An demselben Abend, an welchem die Baubrüder Ulrich von Straßburg und der blonde Hieronymus Gegenstand des Gespräches zwischen dem Propst und dem Mönch gewesen waren, saßen die ersten Beiden wie gewöhnlich allabendlich zusammen in ihrer schlichten Wohnung. Die Mutter des Hieronymus hatte ihnen einen großen Topf Suppe im Zimmer gekocht und nickte fröhlich lächelnd mit dem wankenden Kopfe, selbst die größte Freude darin findend, daß sie es ihren Söhnen so behaglich gemacht, denn auch Ulrich war ihr im Laufe der Zeit wie ein zweiter Sohn geworden – nannte doch ihr Hieronymus ihn auch Bruder.

Ist es doch auch immer von jeher Frauen- und Mutterart gewesen, an das Wesen sich am innigsten zu schließen, das die meisten Sorgen, Mühen und Aengsten verursacht, und hatte nun doch auch Mutter Martha [47] dies Alles um Ulrich empfunden, seit man ihn länger als einem Jahr in einer Septembernacht für todt in das Haus getragen, aus mehr als einer Wunde blutend. Wochenlang hatte er damals bewußt- und regungslos zwischen Tod und Leben gerungen, und wenn auch der berühmteste Bader Nürnbergs im Auftrag Herrn Christoph Scheurl's alltäglich mehrmals kam, seine Wunden neu zu verbinden, und Hieronymus alle Nächte an seinem Lager wachte, am Tage mußte er doch zur Arbeit in die Bauhütte, und da war es immer seine Mutter, die den Kranken mit sorgsamer Hand pflegte und jede Liebeswohlthat ihm erwies. Zum Glück war wenigstens dabei kein Mangel, wie wenig Ulrich auch selbst besaß; denn wenn ein Baubruder krank war und nicht zur Arbeit kommen konnte, so erhielt er dennoch aus der Hütte den vollen Wochenlohn ausbezahlt, damit er davon verpflegt würde. Nun nahm auch der Bader durchaus keine Bezahlung und brachte alle Medicamente unentgeltlich mit. Auch der Propst Kreß sprach öfter vor und sandte immer von seinen Vorräthen aus Küche und Keller, besonders wie der Kranke einmal so weit war, daß er sich deren bedienen konnte. Ein paarmal kam in der Dämmerung auch ein fremder Knabe, der Größe nach etwa fünfzehn Jahre alt, brachte Wäsche, [48] Geld und Erfrischungen für den Verwundeten, fragte immer sehr angelegentlich und ängstlich nach ihm, und suchte sich wenigstens zwischen die Thür zu drängen, um einen Blick auf den bewußtlosen Ulrich zu werfen. Wenn die alte Frau ihn fragte: woher das komme? antwortete der Knabe stets: er habe schwören müssen, es nicht zu sagen und sie solle auch mit Niemanden davon reden. Anfangs nahm es die Frau und auch Hieronymus hatte Nichts dagegen; als aber nach etwa sechs Wochen Ulrich's Fieber nachließ, er wieder zur Besinnung kam und man ihn allmälig Alles erzählte, was indeß für ihn geschehen, widersetzte sich sein Stolz solchen Gaben, und er verpflichtete seine treuen Pfleger, dergleichen nicht mehr anzunehmen, nur von seinem Vorgesetzten und Gönner, dem Herrn Propst, meinte er sich nicht weigern zu dürfen. Aber von fremden Leuten erklärte er Nichts zu nehmen, und auch dem Bader sagte er, daß er seine Wunden im Dienste christlicher Pflicht, aber nicht in dem des Herrn oder der Frau Scheurl sich geholt, daß weder sie ihm verpflichtet wären, noch er sich ihnen verpflichten wolle. Der Bader erzählte ihm, daß Frau Scheurl seit derselben Zeit am hitzigen Fieber darniederliege und daß sie schwerlich mit dem Leben davonkommen werde. Uebrigens aber bemühte [49] er sich, so wie bei Elisabeth, auch bei Ulrich und Hieronymus vergeblich, nähere Aufklärungen über einen Vorfall zu erhalten, über den die widersprechendsten Gerüchte umliefen.

Als der fremde Knabe mit seinen Gaben wieder kam, ließ ihn Ulrich selbst an sein Lager kommen, um zu erforschen, wer ihn sende. Der Knabe ward glühendroth vor Verlegenheit, brachte fast kein Wort hervor, und da Ulrich jede Annahme aus fremder Hand verweigerte, auch Hieronymus und seine Mutter hinzukamen, mit Fragen und sogar Drohungen in den Knaben drangen, die Wahrheit zu gestehen, sprang er weinend auf, eilte fort und kam niemals wieder.

Ulrich aber sagte zu Hieronymus: »Mir klang die Stimme bekannt, und solche braune flehende Augen hab' ich auch schon gesehen; meinst Du nicht, es könne der Bruder des Judenmädchens gewesen sein, das uns warnte und zu Elisabeth's Schutz sandte, oder dieses selbst?«

Hieronymus hatte nicht daran gedacht, er hatte den Knaben jetzt zum ersten Male gesehen; die Vergleiche, die er nun anstellte, schienen allerdings Ulrich's Vermuthen zu bestätigen, aber er wollte nicht daran glauben, auch dem Kameraden es ausreden, was ihm als [50] Schmach erschien: wenn dies Judenpack, wie er sich ausdrückte, solchen Antheil an einem freien Maurer nehme, in seine Wohnung sich schleiche und sie doppelt verunehre durch Gaben, die nun Anfangs doch angenommen und verbraucht worden – das dünkte ihm ein unauslöschlicher Schimpf! Und um nicht wirklich die Gewißheit zu erlangen, vermied er danach zu forschen – und seitdem sahen die Baubrüder wirklich weder von dem Judenmädchen noch dem fremden Knaben etwas wieder.

Während Ulrich noch in Gefahr schwebte und bewußtlos war, diente es Hieronymus zu einiger Beruhigung, daß noch eine größere Anzahl der Baubrüder bei jenem nächtlichen Vorfall betheiligt gewesen. Wenn auch der Rath, da Herr Scheurl selbst keine Untersuchung wünschte, die Sache dahin gestellt sein ließ, so waren doch die Gesetze der Baubrüder strenger als die des Rathes und ließen sich nicht beugen und umgehen wie jene. In Gegenwart aller freien Steinmetzen, des Propstes, Hüttenmeisters, Werkmeisters und Pallirers wurden sämmtliche Baubrüder über den Vorfall abgehört, denn es war ihnen streng verboten, Händel und Raufereien anzufangen und ihre Schwerter, die sie an der Seite trugen, anders zu brauchen als im Fall der [51] äußersten Nothwehr oder zum Schutze Hülfsbedürftiger, unschuldig Bedrängter, zur Ehre Gottes. Da nun aus allen Aussagen nichts anderes hervorging, als daß sie auf den Hülferuf einer von einem vermummten Ritter und seinen Genossen wehrlos überfallenen Dame herbeigeeilt waren, und man erfuhr, daß dies die Gattin des hochangesehenen Herrn Christoph Scheurl gewesen und dieser sich den Baubrüdern nicht nur dadurch dankbar erwies, daß er den Verwundeten seinen Bader sandte, sondern auch daß er eine große Summe Geldes an die Lorenzbauhütte selbst sandte, aus Dankbarkeit gegen die Baubrüder, die ihm beigestanden, damit sie davon eine Zeche feierten und gleicherweise auch Fürbitte in ihrer Kirche thäten für die Genesung seiner Gemahlin – so ward das Betragen der Baubrüder als unschuldig und rechtlich befunden, und jeder Verdacht beseitigt, der von einigen war auf Ulrich geworfen worden: weil er schon zum zweiten Male Händel mit einem Ritter um einer Dame Willen gehabt. Denn gleich den Tempelherren mußten sich die Baubrüder von allen zärtlichen Regungen und Beziehungen frei erhalten, und wenn sie auch noch in stärkere Strafen verfielen, wenn sie mit bösen oder berüchtigten Frauen umgingen, als mit ehrbaren, so durften sie sich doch [52] auch nur diesen nähern, wenn es die Nothwendigkeit gebot.

Weil Ulrich hierbei unschuldig befunden, und was man wider ihn vorgebracht, sich als böser Leumund erwies, so fußten sowohl Hieronymus als sein Gönner, der Propst darauf, wenn es galt, andere böse Gerüchte niederzuwerfen, die über ihn umliefen. So wollte Einer wissen, daß er ein paar Abende vor seiner Verwundung im Abenddunkel ein Judenmädchen mit zu sich in das Haus genommen; ein Anderer, daß er nicht nur nicht wisse, was aus seinen Eltern geworden, sondern auch nicht, wer sie gewesen, ja daß seiner Mutter als Zauberin der Proceß gemacht worden. Aber die Zeugnisse des Maurerhofes zu Straßburg und der Benediktiner wurden dem doch entgegen gehalten, der Propst und der Hüttenmeister bedrohten Diejenigen mit Strafen, die solchen entgegen einfältigen Gerüchten Glauben schenken wollten – und so waren diese zum Schweigen gebracht, lange bevor Ulrich wieder in der Bauhütte erschienen, und da auch Hieronymus ihn nicht damit aufregen wollte, so erfuhr er gar nichts von der Gefahr, die über ihm geschwebt zugleich, als der Todesengel seine Fittiche um ihn schwang.

[53] Erst als das Frühjahr kam, vermochte er wieder sein Schmerzenslager zu verlassen, aber dann dauerte es noch lange, ehe er wieder in der Hütte arbeiten und den Meißel kräftig schwingen konnte wie vordem. Die Wunde, die er an der Brust empfangen, schmerzte ihn dann immer auf's Neue, und er mußte sich erst allmälig wieder an die Arbeit gewöhnen. Inzwischen war doch die Zeit für ihn daheim nicht ganz verloren gewesen. Der Propst hatte ihm alle neuen Bücher geschickt, die aus Anton Koberger's Druckerei hervorgegangen und auch sonst noch erschienen waren, darunter die Schedel'sche Chronik von Nürnberg, Conrad Celtes' Beschreibung derselben Stadt, Regiomontan's Kalender, Tucher's Reise in das gelobte Land und die ganze heilige Schrift. Ulrich studirte eifrig alle diese Bücher und so nebenbei übte er sich, sobald es ging, im Zeichnen, machte Risse zu großen Münstern nach dem System des Sechs- und Achtortes, wie zu kleinen Weihbrodgehäusen, zu Säulen, Portalen und Ornamenten – wagte sich an die größten Aufgaben der Kunst und zeichnete dabei das Kleinste mit demselben Fleiße.

Etwa ein paar Wochen mochte er wieder regelmäßig gleich den andern Steinmetzgesellen in die Bauhütte zur Arbeit gehen, als er an einem schönen Herbsttage [54] mit andern Baubrüdern außen am Kirchthurm auf schwindelnder Höhe selbst zu arbeiten hatte. Da rief ihn ein Handlanger im Auftrag des Werkmeisters von der Arbeit fort, hinunter in's Schiff der Kirche zu kommen, wo man ihn bedürfe.

Unten fand er den Werkmeister und Pallirer mit einigen Steinmetzen in der Nähe des Hochaltars, und bei ihnen stand der Propst, der Maler Hans Beuerlein, Frau Elisabeth Scheurl mit Ursula Muffel und Charitas Pirkheimer. Zeichnungen, Gemälde und Teppichstoffe lagen vor dem Hochaltar ausgebreitet.

Es war zum ersten Male, daß die Genesenen sich wiedersahen nach jener verhängnißvollen Nacht. – Ulrich war inzwischen bei Herrn Scheurl gewesen und hatte ihm für seine Güte gedankt – seiner Gemahlin hatte er nichts zu sagen. War es nicht an ihr, ein dankendes oder doch erkenntliches, theilnehmendes Wort an ihn zu richten? – Sie that es nicht – aber sie erröthete und zitterte unwillkürlich bei seinem Anblick und stützte sich auf Ursula.

Der Propst erklärte ihm, daß diese edlen Frauen die Kirche mit einem Teppich beschenken wollten, daß Meister Beuerlein das Gemälde als Muster zu dem Mittelstück gefertigt, daß sie aber über die Ornamentik [55] in den Kanten noch nicht einig wären, da sie mit der der umstehenden Säulen harmoniren sollten – und daß er ja wohl allerlei Zeichnungen, die dem entsprächen, von Laub und Schnörkeln in seiner Krankheit angefertigt, die er eilends aus seiner Wohnung holen möge.

Ulrich bejahte, aber der blonde Hieronymus, der auch mit zur Berathung gezogen war, ließ es sich nicht nehmen, statt seiner die Zeichenrollen aus der gemeinschaftlichen Wohnung zu holen, da Ulrich noch nicht zum schnellen Laufen tauge und indeß auch lieber hier seinen Rath mit ertheilen möge. Darüber fand zwar erst ein edler Wettstreit Statt, aber der Propst und Charitas Pirkheimer billigten Hieronymus Vorschlag und ließen ihn gehen und Ulrich bleiben. Anfangs schien es, als fühle sich Elisabeth durch Ulrich's Nähe – die sie zugleich wünschte und floh – peinlich berührt und von einer Verlegenheit ergriffen, die ihrem sonstigen selbstbewußten und stolzen Hervortreten gänzlich fremd war; nachdem er aber auch, ohne weiter seine Worte an sie zu richten, mit dem Propst und dem Maler sich über den vorliegenden Gegenstand in ein kunstverständiges Gespräch vertieft, aus dem man deutlich erkennen mochte, daß jene eigentlich die Schüler waren und der einfache Steinmetzgeselle der Meister: [56] da war es, als ob auch Elisabeth plötzlich sich zusammenraffe – mit kühner Sicherheit mischte sie sich in die Unterhaltung, ließ das Licht ihres Geistes glänzen und die Strahlen ihrer Kunstbegeisterung in blühender Bilderpracht sich entfalten. Als Hieronymus mit Ulrich's Zeichnungen zurückkam, und als er selbst mit einem Fuß auf den Altarstufen knieend sie vor den Beschauenden entrollte, sprach Elisabeth zu ihm, als Beuerlein mit Andern in einiger Entfernung Anderes betrachtete: »Warum seid Ihr nicht Maler geworden? Ihr wäret ein großer Künstler!«

Da schüttelte er stolz das lange Haar aus dem edlen, von der Krankheit noch bleichem Gesicht, und stolz und groß in Elisabeth's flammende Augen blickend, sagte er: »Die Kunst ist doch nur eine, ob wir ihr dienen mit Meißel und Richtscheit oder mit Malerstab und Pinsel – sie hat nur einen Zweck: Gott zu dienen und damit zugleich Andere zu demselben Gottesdienst zu entflammen. Mir gilt es mehr in unserer freien Brüderschaft, namenlos, nicht als ein eitler Einzelner, sondern als das Glied eines Ganzen, eines Leibes, wie es der Herr Jesus Christus gesagt hat, zu streben, zu schaffen, nicht für profanen Ruhm, sondern für die Ewigkeit des Kunstwerkes.«

[57] Elisabeth antwortete darauf nur: »Stolzer Maurer!« aber Charitas Pirkheimer, die seine Worte auch vernommen, rief in einer Art von Verzückung: »Ja! so ist der rechte christliche Sinn: selbst Nichts sein wollen und ganz aufgehen im gemeinschaftlichen Streben, dem Höchsten zu dienen.«

Ulrich's Zeichnungen waren zur Einfassung des Bildes auf dem Teppich gewählt worden. Seitdem arbeiteten die Nürnbergerinnen bei Elisabeth daran und die Baubrüder verrichteten die gewohnte Arbeit in ihrer Hütte, so daß sie nichts wieder von einander sahen und hörten.

So war der Winter zur Hälfte vergangen.

Als Ulrich und Hieronymus jetzt zusammen saßen, sagte der Erstere: »Als ich vorhin zur Vesperstunde bei Meister Kraft's Wohnung vorüberging, betrachtete ich mir die schön gefrorenen Wasserstrahlen an dem Lindwurm vor seinem Hofthor, und wie so mein Blick hinüber nach dem Fenster der Werkstatt streifte, war es mir, als sähe ich dort denselben Benediktinermönch am Fenster stehen, der mir gleich an dem ersten Tage meines Hierseins begegnete, wo mein Schwert seinen Rosenkranz zerriß. Du weißt, diese zünftigen profanen Nürnberger Steinmetzen lieben es nicht, wenn Einer [58] von uns in ihre Werkstatt tritt, sonst wär' ich hineingegangen, mir Gewißheit zu holen und ihm zu seinem Eigenthum zu verhelfen, das ich freilich nicht bei mir hatte und das ich auch inzwischen schier vergessen. Mir schien, der Propst stand bei ihm – sobald ich ihn sehe, werde ich nach dem Mönche fragen.« Er suchte das Kreuz, das wohl verwahrt in einer kleinen Lade lag, und Hieronymus sagte:

»Hättest Du Dir wirklich von diesem einmaligen Sehen die Züge des Mönches, der uns schnell entschwand, so genau gemerkt, daß Du über Jahr und Tag ihn wieder erkanntest?«

»Er hatte etwas Eigenthümliches in seinem Gesicht, das man nicht vergißt,« sagte Ulrich, »und merkwürdig: entweder in meinen Fieberphantasien oder in meinen Träumen ist mir dieselbe Gestalt mehrmals wieder erschienen, nur in der letzten Zeit hatte ich sie vergessen.«

Jetzt unterbrach das Mütterchen die Beiden und sagte: »Wißt Ihr es denn, daß übernächste Woche die Potentaten und großen Herren zum Reichstag kommen, und daß zwar der alte Kaiser Friedrich auf der Veste mit dem Burggrafen, König Maximilian aber beim Herrn Scheurl wohnen wird? Da wird seine Hausfrau [59] nicht wissen, wo sie hin soll vor Hoffahrt und Hochmuth.«

Ulrich sagte? »Gönnt ihr doch den unschuldigen Stolz, wenn er sie nun einmal glücklich macht!«

»Unschuldig?« sagte die Mutter; »nun, ich will dem König Max, für den einmal Alle eingenommen sind, da er noch etwas Neues ist, nichts Böses nachsagen – aber man weiß, wie die großen Herren sind, und von dem heißblütigen König laufen genug Geschichten um von verliebten Abenteuern – das heißt dann nichts, als ein ritterlicher Scherz! ja, die Art, die zu wählerisch ist, um mit gemeinen Frauenspersonen sich einzulassen, die für jeden zu haben sind, die macht die meisten Frauen unglücklich und ist allen eitlen und hoffärtigen Frauen gefährlich, die sich selbst auf ein gnädiges Lächeln was zu Gute thun. Ich bin alt geworden in Nürnberg, ich weiß, wie weit her es ist mit den guten Sitten bei diesen bevorzugten Geschlechtern und mit der Unschuld ihrer Frauen.«

»Ihr mögt Recht haben,« sagte Ulrich; »aber der Stolz der Frau Scheurl ist doch anderer Art; die will herrschen mit ihrem Geist und einem Streben über das Gewöhnliche hinaus.«

[60] »Mir macht Ihr nichts weiß,« eiferte die alte Frau; »stolzirt sie doch wie eine Königin einher, und scheint doch keine andern Gedanken zu haben, als ihren Putz und ihre Schönheit zu zeigen; auch die lange Krankheit hat sie nicht gebeugt und bekehrt.«

»Ihr seid nun einmal wider sie,« sagte Ulrich.

Hieronymus trat jetzt auf die Seite seiner Mutter. »Verdrossen hat mich's auch,« sagte er, »daß sie ihr eigenes Bild als Maria Magdalena auf den Teppich sticken läßt, und Du selbst hieltest es ihr ja damals vor: daß man im Dienste der Kunst und des Heiligsten sich selbst vergessen und aufgeben müsse – seine Person und seinen Namen; ich sah es wohl, wie sie blaß ward bei Deinen Worten.«

»Mochte sie eine Lehre daraus ziehen, wenn sie wollte,« sagte Ulrich; »doch sollte es kein Vorwurf sein. Für das Gemälde ist sie auch nicht verantwortlich, das ist so Meister Beuerlein's Art; er kann fast gar nicht anders malen, als conterfeien; die Personen zu den anderen Figuren kennen wir nur nicht, und daß er die schönste Nürnbergerin in den Vordergrund gestellt, wird ihm Niemand verargen.«

Mutter Martha schüttelte mit dem Kopf. »Wenn [61] Ihr einmal streiten wollt, so ist mit Euch nicht durchzukommen!«

Ulrich reichte ihr versöhnlich die Hand und sagte: »Ihr solltet froh sein, wenn wir die Frauen in Ehren halten – und doch selbst ihnen fern bleiben.«

Die alte Frau ward jedesmal gerührt, wenn sie daran dachte, welches schwere Gelübde die jungen Männer hatten leisten müssen. Zwar war es ihr ganz recht, wenn sie dachte, daß ihr Hieronymus so immer bei ihr bleibe und daß sie sein Herz nie mit einem andern Weibe zu theilen brauche, auf das sie doch eifersüchtig geworden, selbst wenn sie mit aller Uneigennützigkeit einer Mutter ihrem Sohne sein Glück gegönnt hätte. Ihre Sucht, das weibliche Geschlecht vor ihnen zu verdächtigen und herabzuwürdigen, entsprang mit aus ihrem Bedauern und der gutmüthigen Absicht, den jungen Männern dadurch ihr Fernhalten von allen Frauen und allen Regungen des Herzens zu erleichtern; indeß war sie aber auf Elisabeth gerade darum erbittert, weil sie doch die Ursache war von Ulrich's schweren Wunden, wenn die Mutter auch nicht wußte, daß es nicht bloßer Zufall war, daß die Baubrüder sie beschützt und vertheidigt hatten. Wie unschuldig auch Elisabeth selbst daran sein mochte: der alten Frau ward sie dadurch [62] immer ein hassenswerther Gegenstand, daß ihre Söhne um ihretwillen gelitten – und zwar doppelt, als sie aus späteren Gesprächen derselben entnommen, daß die Gerettete auch beim Wiedersehen mit Ulrich kein Wort des Wiedererkennens und Dankes für ihn gehabt.

Jetzt scholl plötzlich von der Straße, auf der es vorhin ganz winterlich still gewesen, ein wüster Lärm empor, und Frau Martha öffnete gleich neugierig das Fenster, um zu sehen, was es gebe, oder vielleicht zu hören, denn es war dunkler Abend draußen, nur von den Dächern leuchtete der Schnee, indeß der auf der Straße nur hie und da noch seinen weißen Glanz behalten hatte.

Man hörte rohe, lallende und höhnende Männerstimmen, dazwischen jammerten unverständliche Reden eines alten Mannes und eine helle weibliche Stimme rief laut und immer lauter nach Hülfe. Von oben konnte man nur unterscheiden, daß von einem Trupp Männer zwei Personen umringt waren und bedroht, gemißhandelt zu werden.

Ulrich und Hieronymus nahmen ihre Schwerter und eilten auf den Ruf hinab, obwohl Mutter Martha warnte und bat, sich doch nicht in Gefahr zu begeben und in Händel zu mischen, wo man ja nicht einmal[63] wissen könne, wem das Unrecht geschehe; solchen Straßenunfug zu verhindern, sei das Amt der Büttel und Stadtknechte, aber nicht der freien Steinmetzen.

Aber Ulrich entgegnete: »So müssen wir wenigstens aushelfen, bis die Stadtknechte kommen und ihre Schuldigkeit thun. Wo Zwei von Zehnen umzingelt nach Hülfe schreien, da kann man doch nicht ausbleiben.«

»Um so weniger,« sagte Hieronymus, »wenn die Zwei, wie es scheint, ein wehrloser Greis und ein zitterndes Weib sind.« –

Gleichzeitig mit den Baubrüdern trat auch der Rädleinmacher Sebald aus seinem Hause, und mehr als eine Hausthür öffnete sich; Männer, in ihrer Abendruhe gestört, traten heraus und aus den Fenstern der obern Geschosse blickten da und dort weibliche Köpfe; die Lampen, die hinter ihnen brannten, warfen einzelne hellere Lichtstrahlen auf die Straße.

Ulrich und Hieronymus fragten gleich andern Herzueilenden, was es gäbe?

»Ein Judenhund bellt und heult und seine Kleine winselt! hört Ihr es nicht?« antwortete eine rauhe Stimme.

»Mit Juden braucht sich Niemand einzulassen!«[64] rief Hieronymus. »Ihr solltet Euch schämen, wenn Ihr es gethan?«

»Die Dirne ist trotzdem nicht so übel!« rief eine andere Stimme; »Schade, daß sie eine Jüdin ist – im Sonnenbad könnte sie sonst gute Geschäfte machen – meint Ihr nicht so, Herr Badmeister?«

Der Angerufene war vor die Thür des Gebäudes getreten, welches das »Sonnenbad« hieß und ein öffentliches Badehaus war. Es war aber allgemein bekannt, daß in diesem wie in den meisten Badehäusern schöne Mädchen gehalten wurden, die Männerwelt anzulocken. Der Bademeister rief zornig: »Solcher Schimpf sollte meinem Hause nimmer widerfahren, daß ich eine Judendirne darin duldete!«

»Hau't den alten Kerl vollends zusammen, damit der Spektakel ein Ende hat!« rief ein Anderer aus dem Trupp.

Solche und ähnliche beschimpfende und drohende Reden wurden von einer Anzahl Handwerksgesellen gesprochen, die von einem Zechgelage meist betrunken zurückkamen und zugleich ihren Witz wie ihren Zorn an einem Judenpaare auszulassen suchten, die so unglücklich gewesen waren, ihnen in den Weg zu kommen. Andere Leute, welche der Lärm herbeigelockt, hörten nur [65] neugierig zu, manche sogar sich dabei belustigend, und die meisten zogen sich theilnahmlos zurück, als sie hörten, daß es Juden waren, welche hier gemißhandelt wurden.

Ulrich aber drängte sich mitten durch die Gesellen, welche ihre Knittel über dem Rücken des seine Unschuld betheuernden und um Erbarmen flehenden alten Juden schwangen, hieb zwei dieser aufgehobenen Stöcke mit seinem Schwert zurück und herrschte den Gesellen zu: »Hat der Mann da ein Unrecht gethan, so ruft die Stadtknechte, daß sie ihn in Gewahrsam nehmen, oder wir wollen ihn selbst auf die Büttelei führen; aber ihn hier zu beschimpfen und zu zerbläuen habt Ihr kein Recht, und wenn Ihr es thut, so verdient Ihr zehnmal größere Strafe als er selbst!«

Wie er so sprach, durch seine gebietende Haltung und Rede, die Allen ganz unerwartet kam, die Aufgeregten im ersten Augenblick verblüffte, warf sich Rachel zu seinen Füßen, die neben ihrem Vater stehend, von Angst und Scham über die Reden der Gesellen, ihre Berührungen und allen angethanen Schimpf fast vernichtet, regungslos und gebückt die Hände vor ihr Gesicht haltend, und rief:

[66] »Wir haben nichts gethan, als daß wir uns verspätet und nun noch auf der Gasse sind! Ihr seid ein Christ und ein Mensch, aber diese da sind keine Men schen.«

»Ich glaube, das Mädchen hat Recht,« sagte Ulrich, der sie wiedererkannte. »Sage, was geschehen; ich glaube Dir mehr als diesen, denn sie sind betrunken und haben sich unter das Vieh erniedrigt!«

Rachel stieß einen hellen Ton wie ein freudiges Triumphgeschrei aus und sagte: »Wir hatten uns im Schneefall verspätet, diese da kamen dort um die Ecke aus der Trinkstube und wollten Kurzweil mit mir treiben; der Vater stieß sie zur Seite, und weil ich mich ihrer nicht anders erwehren konnte, sagte ich, daß ich ein Judenmädchen sei, damit sie mich ziehen ließen; da rissen sie mir und dem Vater da die Bündel ab – seh't, es waren Sachen darin, sie haben sie an sich genommen oder im Schnee verstreut!«

Ulrich vernahm diese Rede, obwohl die Gesellen sie zuweilen mit höhnischem Ruf überschrieen, auf Ulrich losschlagen wollten, und doch wieder vor seinem und Hieronymus geschwungenem Schwerte zurückwichen, auch weil jetzt die früheren müssigen Zuschauer hinzutraten [67] und den Gesellen selbst den Rath gaben, das Judenpack laufen zu lassen.

Gleichzeitig jammerte der Jude Ezechiel: »Sie haben uns überfallen, aus unsern Bündeln gerissen die schönen Sachen, die ich erst gekauft für mein theures Geld! Seh't Ihr nicht die Reiherfedern und den Sammetmantel da« – er deutete auf einzelne Gesellen, die solche Gegenstände noch in den Händen oder auf den Schultern trugen.

»Nun!« rief Ulrich, »gegen Spitzbuben und nächtliche Straßenräuber wird es doch Schutz in Nürnberg geben und Strafe für sie.«

Jetzt rückten, von dem Lärm herbeigelockt, einige Mann der Stadtwache an, indeß es bereits einige ernüchterte Gesellen für gut fanden leise zu entweichen; ein paar warfen die den Juden abgenommenen Gegenstände weg, ein paar andere aber nahmen sie mit sich.

Bei dem Anrücken der Wache und noch anderer herzueilender Personen bekam die Scene ein anderes Ansehen: nur drei Gesellen waren noch auf dem Platz; Andere waren müssige Zuschauer, und es war nun Streit darum, wer hier Streit angefangen oder im größeren Rechte sei – die Gesellen oder die Baubrüder, und Ulrich konnte Rachel zuflüstern: »Flieh' doch, damit [68] Du nicht wenigstens mit auf die Büttelei mußt« – und sie war wie im Nu in demselben Augenblick entschwunden, indeß ihr Vater, mehr als auf Leben und Freiheit und auf sein Kind, auf die Waaren, die er bei sich getragen, bedacht, davon zu erhaschen suchte, was von den Gesellen im Schnee verstreut war.

Da die herzugekommene Stadtwache nur aus fünf Mann bestand, wußte ihr Führer nicht recht, wie er hier von seiner gesetzlichen Autorität Gebrauch ma chen sollte. Die Baubrüder stellten sich selbst auf seine Seite, erklärten sich ihm in allen Stücken gehorsam zu zeigen und betheuerten friedlich, daß sie nur bis zu ihrem Kommen einen mit seiner Tochter mißhandelten Mann vor einem Trupp betrunkener Gesellen beschützt hätten, was die Zuschauer bezeugten, indeß die Gesellen riefen: es war Judenpack! und dem stimmten auch die Anwesenden bei.

Das änderte die Sache sehr. Die Juden durften nur bis zur Dämmerung durch die Stadt gehen. Wurden sie im Dunkeln dabei betroffen, so waren sie strafbar und mußten dafür entweder sitzen oder Geldbuße zahlen. So waren auch diese hier auf unrechten Wegen gegangen, und überhaupt war es eine sehr herkömmliche Sache, wenn Juden verspottet und gemißhandelt[69] wurden – freilich sie zu berauben und todtzuschlagen, in welcher Gefahr diese beiden gewesen, das gehörte sich nicht.

Die Stadtwache ergriff den alten Juden, der noch nach seinen Sachen suchte, und nahm ihn mit, damit er diese Nacht in Haft und morgen zur Bestrafung für die Uebertretung des gesetzlichen Verbotes, im Dunkeln die Stadt nicht zu betreten, an die Schöppen abgeliefert werden könne. Vergeblich jammerte er um seine Tochter, vergeblich suchte man nach ihr: sie war verschwunden. Den Andern ward nur gesagt ruhig nach Hause zu gehen, um nicht auch als Ruhestörer verhaftet zu werden.

Alles verlief so zuletzt ziemlich ruhig; denn solche Vorfälle gehörten eben nicht zu den Seltenheiten, und ein Tumult endete oft so schnell, wie er begonnen.

Ulrich und Hieronymus waren die ersten, die wieder in ihr Haus zurückgingen.

Von oben kam ihnen Mutter Martha bis an die Treppe mit einem brennenden Kienspan entgegen. In schrecklicher Angst hatte sie oben vom Fenster herab zugesehen, und jetzt konnte sie den Augenblick nicht erwarten, zu sehen, ob nicht wieder einer ihrer Lieblinge eine Wunde davon getragen.

[70] Wie das plötzliche Licht kam, fuhr von der untersten Stufe der kleinen Windeltreppe eine Gestalt erschrocken empor und sagte: »Verzeiht! – Ihr hießet mich fliehen, und ich konnte mich nicht anders sichern. O, Ihr waret mein Beschützer und werdet mich auch jetzt nicht verrathen. Ach, wenn ich Euch danken könnte!«

Ulrich stand etwas bestürzt vor Rachel, denn er war allerdings nicht darauf vorbereitet sie hier zu finden; Hieronymus aber herrschte ihr zu: »Hier kannst Du nicht bleiben; wir haben Dich vor Mißhandlung geschützt, aber wir mögen keine Gemeinschaft mit Dir!«

Von oben rief Martha, die nur Rachel's Stimme hörte und ihr Gesicht sah, auf das gerade der Schein ihrer Holzflamme fiel: »Ach, da ist ja der Knabe, der immer kam, wie Ihr krank waret, und die geheimnißvollen Gaben brachte.«

Rachel wandte ihr Gesicht der Dunkelheit zu, um seine glühende Röthe zu verbergen, und schlich nach der Hausthür; aber da sie dieselbe öffnen wollte, sprang Ulrich ihr nach, hielt sie zurück und sagte! »Jetzt darfst Du nicht hinaus – es sind noch zu viel Leute draußen.«

Sie sah mit seligem Dankesblick zu ihm auf.

Hieronymus zog die Stirn in Falten und sagte rauh: »Ja, das fehlte noch, daß sie Jemand aus dem [71] Hause kommen sähe, das wir bewohnen – es wäre denn, wir würfen sie hinaus, um uns selbst vor Schande und übler Nachrede zu sichern!«

»Um Jesus Christus Willen!« rief Mutter Martha, »es ist ein Mädchen und wohl ein verrufenes Frauenzimmer – oder gar eine Jüdin?« denn vom Fenster aus hatte die Spähende natürlich gehört, daß es sich unten mit um eine solche gehandelt.

Ulrich aber sagte: »Komm' mit hinauf, hier unten möchte Dich Meister Sebald finden, oder noch andere Leute.«

Sie folgte ihm ohne ein Wort zu erwiedern, oben öffnete er die Kammer der Mutter Martha, schob Rachel dahinein und sagte: »Hier warte und ruhe aus – wenn es draußen still geworden und Niemand mehr in den Nebenhäusern wacht oder auf der Straße geht, werde ich Dich hinauslassen.«

Er wollte schnell durch die Thür zurück und sie allein lassen. – »Sagt mir nur noch,« rief sie angstvoll, »nach welcher Seite mein Vater entkam, oder was aus ihm geworden?«

Ulrich zögerte mit der Antwort, endlich sagte er doch: »Die Stadtwache hat ihn mitgenommen, aber es [72] wird ihm nichts geschehen, als daß er Strafe zahlt für sein nächtliches Umherschweifen.«

Rachel brach in Thränen aus – Ulrich ging und verschloß die Thür hinter sich.

Als er zu Martha und Hieronymus zurückkehrte, rief Jene: »In meine Kammer sperrt Ihr die Jüdin?«

»Das hättest Du der Mutter ersparen können!« sagte Hieronymus vorwurfsvoll, »sie hat es nicht um Dich verdient.«

Ulrich sah betrübt auf die Beiden. »Ich konnte sie doch nicht zu uns nehmen,« sagte er, »und mögen wir auch sonst keine Gemeinschaft mit den Juden – wer des Schutzes bedarf, den schütze ich – er mag gehören, zu wem er will, und sein, wer er will – ja ich schütze ihn, es sei auch gegen wen es wolle!«

Seine Augen flammten dabei bedeutsam, fast drohend. Er ging an's Fenster und schaute auf die Straße.

Die alte Frau saß händeringend in einer Ecke und jammerte bald über die Entdeckung, daß ein Judenkind, gleichviel ob Knabe oder Mädchen, in Ulrich's Krankheit ihn mit seinen Gaben bedacht, daß sie selbst sie angenommen – bald darüber, daß eine Jüdin in ihrer christlichen Kammer sei – daß ihre Söhne sie versteckt. Nein – nicht Söhne! ihr eigener Sohn [73] zürnte ja selbst darüber und hätte das nimmer gethan; jetzt zeigte es sich recht deutlich, das Ulrich ein fremder Mensch war, der sie gar nichts anginge.

Die Baubrüder ließen sie reden und sagten beide nichts dazu – Hieronymus nicht, weil er im Grunde der Mutter beistimmte, und Ulrich nicht, weil er sich verletzt fühlte und weil er nicht wollte, daß es im Zimmer noch lauter werde und Rachel in der Kammer nicht höre, was es ihn koste, auch jetzt sie zu sichern. –

So war es etwa elf Uhr geworden – in allen Fenstern waren die Lichter verlöscht und es war ganz still auf den Straßen. Ulrich sagte: »Ich werde jetzt Rachel hinauslassen,« und ging zu ihr. »Du kannst jetzt gehen,« sagte er; »Ich will Dir den Riegel an der Hausthür öffnen, es ist ganz still draußen – aber sprich kein Wort!«

»Könnt Ihr mir vergeben?« sagte sie; »könnt ich's vergelten –«

»Es ist nichts zu vergeben!« antwortete er.

»Doch, doch!« rief sie, »es ist eine alte Rechnung!«

»Still!« sagte er, »ich bat Dich nicht zu sprechen.«

Sie gehorchte mit einem Seufzer und folgte ihm schweigend die Treppe hinab – ebenso öffnete er die[74] Thür, und ohne Lebewohl und Gutenacht schieden sie von einander.

Als Ulrich wieder in sein Zimmer kam, legte er sich auch schweigend nieder. Mutter Martha aber öffnete in ihrer Kammer Thür und Fenster und räucherte unter dem von Holz geschnitzten Christus, der darin hing, um ihn wieder zu versöhnen für den Frevel, daß ein Judenkind in seiner Nähe geweilt.

[75]

4. Kapitel. Geheimnißvolles

Viertes Capitel
Geheimnißvolles

Am Morgen nach dem nächtlichen Abenteuer, welches Ulrich und Hieronymus zum ersten Male in ihrem Leben in eine Art von Zwiespalt gebracht hatte, waren sie stumm aufgestanden und hatten auch so ihr Morgenbrod genossen. Es war noch dunkel, als sie die Stiege hinabgingen, da hörte Ulrich von seinem Tritt berührt die Stufen etwas wie eine kleine Kugel hinabrollen. Er tappte unten danach, wo der Laut verhallt war, und fühlte einen Ring mit einem großen Stein in seinen Händen.

Draußen vor der Hausthür besah er seinen Fund und zeigte ihn auch Hieronymus. Es waren die ersten Worte, welche sie zusammen redeten.

»Es scheint ein werthvolles Kleinod zu sein,« sagte Ulrich; »ein goldener Ring, einen großen Stein in der Mitte, der noch mit einem Kranz von gleichen Steinen eingefaßt ist – wer kann ihn verloren haben?«

[76] »Wer anders als das Judenkind?« sagte Hieronymus, »es ist ja Niemand in das Haus gekommen.«

Ulrich schüttelte den Kopf. »Wie käme die zu solchem Kleinod?«

»O dies Judenpack sammelt immer Schätze, um die es die Christen betrügt,« rief Hieronymus, »und wer weiß, auf welche unlautere Weise noch die Dirne dazu gekommen, die sich seit Jahr und Tag so unerträglich an uns hängt, und wenn man einmal sie lange losgeworden zu sein scheint und sie fast vergessen hat, so ist sie wieder da in einer andern Gestalt uns zu belästigen gleich einem bösen Kobolt, mit dem jede Bewegung unheilvolle Folgen hat.«

»Hieronymus!« mahnte Ulrich, »wir haben es mehr als einmal gesagt, daß wir ohne Grund andern Menschen nicht eher das Schlechte zutrauen wollten als das Gute, nach dem Grundsatz der heiligen Schrift: Was du nicht willst, daß dir die Leute thun sollen, das thu' du ihnen auch nicht! Warum ihn einmal verleugnen? Warum dies Judenmädchen, das mir ein unschuldiges, aber gepeinigtes Kind zu sein scheint, zu einer Verbrecherin stempeln?«

»Die Juden sind einmal die Ausgestoßenen, auf denen der Fluch des Herrn ruht, den sie sich selbst täglich [77] neu verdienen!« rief Hieronymus. »Hast Du Dein Glaubensbekenntniß geändert, so brauchst Du doch nicht mir dasselbe zuzumuthen – und außerdem hätte ich wenigstens erwartet, daß Du meine Mutter schonen und ihr nicht so ihre Liebe vergelten würdest!«

»Hieronymus!« sagte Ulrich ernst, »Du sahest selbst, daß ich nicht anders handeln konnte. Du eiltest selbst mit mir den Unglücklichen zu Hülfe, Du gewährtest sie ihnen, wie ich auch, nachdem wir erfuhren, daß sie zu den Ausgestoßenen gehörten –«

»Ja,« fiel ihm der unzufriedene Kamerad in's Wort, »ich gewährte sie ihnen, wie ich sie auch einem Hunde würde gewährt haben, der von einer tollen Meute angefallen. Die Hülferufenden vor Mißhandlung zu schützen und dann der Wache zu übergeben, war unser würdig; aber das Mädchen bei uns zu verstecken – dieser Schimpf macht meine Mutter unglücklich und wird uns Beide in Schimpf und Schande bringen, wenn, was sehr wahrscheinlich ist, der Vorfall in der Hütte zur Sprache kommt.«

»Dann,« sagte Ulrich, »werde ich den Schimpf und die Strafe auf mich allein nehmen und sagen, daß ich das nicht nur gethan, weil ich gar nicht anders konnte, sondern auch gegen Deinen Willen; und damit man[78] dies glaubt, will ich mir noch heute eine andere Wohnung suchen und Deiner Mutter nicht mehr zur Last fallen.«

Während er so sprach, drehte er den Ring noch in der Hand. Hieronymus sah darauf und sagte:

»Wirf den Ring in den Schnee, mag ihn finden, wer will.«

»Dadurch, daß ich ihn fand, ist er mir anvertraut worden,« antwortete Ulrich; »ich hoffe den rechtmäßigen Eigenthümer dazu noch finden zu können.«

»Wohl, er wird eine neue Berührung mit Rachel herbeiführen!« sagte Hieronymus mit spöttischem Lächeln.

Ulrich zuckte die Achsel als Antwort.

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander und betraten so aufgeregt und verstimmt die Hütte. Es war die höchste Zeit, daß sie kamen, denn schon begann das Morgengebet – wer später erschien, mußte Strafe geben und seinen halben Tagelohn »in die Büchse legen.«

Schweigend gingen dann Beide an ihre Arbeit. Nach ein paar Stunden kam der Propst Kreß und redete leise und eifrig in einer entfernten Ecke heimlich mit dem Werkmeister, wobei er seine Augen immer auf Ulrich und Hieronymus richtete.

[79] Dieser bemerkte es zuerst und flüsterte Jenem zu: »Jetzt kommt es schon zur Sprache.«

Ulrich antwortete stolz: »Du brauchst Dich nicht zu fürchten, ich werde Alles auf mich allein nehmen« – und er meißelte ruhig an der kleinen Statue eines Johannes weiter, die unter seinen Händen aus dem Stein hervorzuspringen schien.

Nach einer Weile wurden die Beiden von dem Hüttenmeister aufgerufen. Ulrich näherte sich mit gewohntem stolzen Gange, Hieronymus finsterblickend mit niedergeschlagenem Auge.

Der Werkmeister theilte ihnen mit, daß sie sich Beide morgen in das ein paar Stunden entfernte Benediktinerkloster zum heiligen Kreuz begeben sollten, um ein halb zertrümmertes Weihbrodgehäuse wieder herzustellen. Er nannte ihnen den Lohn, den sie bekommen sollten, und fügte hinzu, daß sie diese Gunst theils ihrem Fleiß und ihrer Geschicklichkeit, theils der Empfehlung des Herrn Propstes dankten.

Mit Erstaunen empfingen die Baubrüder diesen ehrenvollen Auftrag, da sie eben eine ganz andere Rede erwartet hatten, und besonders Hieronymus richtete sich noch einmal so groß auf und blickte, die vorige Angst von sich werfend, mit leuchtenden Augen um sich, indeß [80] Ulrich seine dankenden Blicke auf den Propst richtete. Aber zu seiner Verwunderung begegnete er in dessen sonst immer freundlichen Gesicht einen Ausdruck von Besorgniß und Kummer, der demselben sonst ganz fremd war. Wie segnend legte der Propst seine Hände auf die Häupter der beiden Gesellen und sagte: »Ziehet mit Gott! und möge er Euch gnädig sein bei dem neuen Werke zu seiner Ehre.« Dann flüsterte er Ulrich zu: »Kommt heute nach dem Feierabend noch zu mir, ich will Euch noch ein Schreiben mitgeben an den Herrn Abt.« Dann verließ er eilends die Hütte.

Als die Baubrüder zum Mittagessen nach Hause gingen, sagte Ulrich: »Nicht wahr? das war eine vergebliche Angst?«

»Wer kann es wissen?« antwortete Hieronymus; »möglich, daß dies Zusammentreffen bloßer Zufall; möglich auch, daß der Propst, der Dich einmal in seinen besonderen Schutz genommen, diese Entfernung für Dich wohlthätig findet und selbst veranstaltet; möglich auch, daß, was eine Gunst erscheint, eine Verbannung ist, und indeß unsere Feinde Zeit haben uns bis zu unserer Rückkehr Schimpf und Schande zu bereiten!«

»Dummes Zeug!« antwortete Ulrich, und konnte doch die trüben, mitleidigen Blicke des Propstes nicht [81] los werden, der sonst bei ähnlichen Gelegenheiten nur freundliche und heitere für ihn gehabt hatte.

Aber beide theilten die Kunde doch fröhlich als Glück und Ehre der Mutter Martha mit. Sonst wäre sie in lauter stolze Glückwünsche ausgebrochen – heute, wo sie auf Ulrich zürnte und um ihren Sohn sich ängstete, sagte sie in kummervollem Tone:

»Nun werde ich allein sein, wenn der Büttel kommt Euch vor den Schultheißen zu citiren, oder wenn das Judenmädchen sich untersteht mir wieder über den Hals zu kommen.«

»Das ist bald fortgejagt,« tröstete Hieronymus, »und was der Büttel bei uns zu suchen hätte, wüßt' ich wahrhaftig nicht.«

»Und meinetwegen habt Ihr in Eurer Wohnung auch nichts mehr zu fürchten,« sagte Ulrich; »ich werde mir eine andere suchen, sobald wir wieder aus dem Kloster zurück sind, so könnt Ihr morgen schon sagen, daß ich nicht mehr bei Euch wohne.«

Mutter Martha entfärbte sich und hätte bald vor Schreck die Suppenschüssel hingeworfen – daß Ulrich sich von ihr und ihrem Sohne trennen könne, das schien ihr gar nicht mehr möglich; doch saß ihr Groll zu tief, [82] als daß sie schon heute ein versöhnliches Wort zu ihm hätte reden können. –

Als Ulrich am Abend zu dem Propst kam, führte ihn die öffnende Wirthschafterin nicht in dessen gewöhnliches Wohnzimmer, sondern in ein kleines Seitengemach, das einen besondern Eingang hatte, und bedeutete ihn zu warten. Durch die hohe eichene Flügelthür schallte das Gelächter überlauter Zecher.

Da der Propst so viel auf seine geistliche Würde hielt, um nicht öffentliche Trinkstuben zu besuchen, so suchte er sich dafür in den Häusern guter Freunde oder noch öfter in seinem eigenen Hause zu entschädigen. Es war bekannt, daß der Keller des Propstes am besten in der ganzen Stadt gefüllt war, daß er die feinsten wie die schwersten Weine enthielt und daß er mit keinem derselben geizte – ja, er trank seinen Gästen immer eifrig zu, und rechnete es sich als ein Verdienst und das Zeichen eines guten Wirthes an, wenn seine Gäste betrunken wurden, im besten Falle taumelnd heimgingen, oder auch noch in seinem Zimmer bewußtlos zu Boden sanken und halbe Stunden brauchten ihren Rausch auszuschlafen. Solche Niedergetrunkene wurden dann in das Cabinet gewälzt, in dem jetzt Ulrich wartete und dem man deshalb den Namen der [83] Todtenkammer gegeben. Zum Glück hatte sie jetzt noch keinen Insassen.

Heute würde sich der Propst keine Gäste geladen haben, da er sich vorgenommen, ernsthaft mit Ulrich zu sprechen; allein auswärtige Amtsbrüder und Genossen waren unerwartet und gehörig ausgefroren angekommen, sie saßen nun jetzt schon ein paar Stunden mit ihm beim Mahl und vertilgten immer mehr von der edlen Gottesgabe, die sie mißbrauchten, bis sie dadurch sich selbst und gewaltsam unter das Thier erniedrigten. Für einen Helden galt, wer am meisten saufen konnte – so nannten sie auch selbst ihr unmäßiges Trinken, das auch auf keinen andern Namen mehr Anspruch zu machen hatte und wenn bei Einigen in allerlei kaum glaublichen und nicht zu schildernden Rohheiten die viehische Lust ausbrach, oder Andere wie Todte da lagen, so galt dies meist als das fröhlichste Ende eines fröhlichen Gelages – bei Fürsten und Geistlichen ebenso gut, ohne daß diese darum in der öffentlichen Meinung verloren, wie bei Bürgern und Gesellen.

Mit rothglühendem Gesicht trat der Propst vor Ulrich – er hatte ganz vergessen, daß er ihn herbestellt; jetzt fiel es ihm ein und auch welche Warnungen er ihm hatte mitgeben wollen; aber er war seiner Sinne[84] zu wenig mächtig, um selbst zu wissen, was er sprach. Er gehörte zu den gutmüthigen und gemüthlichen Naturen, die in der Trunkenheit sich durch Geschwätzigkeit und Zärtlichkeit offenbaren, gleich sehr zum Lachen wie zum Weinen geneigt, je nachdem die Veranlassung dazu reizt.

»Ach, Du bist es, mein guter Junge!« sagte er zu Ulrich; »Du kommst, ehe Du in das Kloster gehst – nun, möge der Gang Dir nicht zum Unglück werden – Du weißt, ich meine es gut mit Dir – ich wußte mir nicht zu helfen, ich mußte nachgeben, Dich hinschicken, da der Werkmeister gleich darauf einging.«

»Ein Unglück?« sagte Ulrich und dachte an Hieronymus' Argwohn: »ich meinte, man habe uns eine Gunst erwiesen, und kam, sowohl Euch dafür zu danken als Euren Auftrag zu empfangen.«

»Ach ja!« sagte der Propst und rieb sich die erhitzte Stirn, »es ist gewiß eine Gunst. Ich wollte nur sagen, daß Ihr im Kloster vorsichtig sein sollt – nicht mit den Mönchen reden – es darf bei Strafe nicht sein – auch nie ein Wort laut werden lassen von dem, was Ihr drinnen sehet und höret – es geht die Laien nichts an – und Euch könnte es nur schaden.«

[85] »Ich werde mich gewiß der erwiesenen Gunst nicht unwerth erweisen,« versetzte Ulrich; »indeß erlaubt mir eine Frage: Ich sah Euch ehegestern beim Meister Kraft mit einem Benediktinermönch am Fenster stehen, der mir derselbe zu sein schien, welcher mir vor –«

Entsetzt sprang der Propst auf Ulrich zu und drückte seine Hand auf dessen Mund, ihm die Rede abzuschneiden: »Um aller Heiligen Willen, vollendet nicht! Wißt Ihr – ahnt Ihr es denn wirklich schon? – Nein! denkt lieber gar nicht daran – denkt lieber, es sei nicht – es wäre ja schrecklich, wenn es wäre, und noch schrecklicher, wenn es an den Tag käme!«

Jetzt war die Reihe zu erschrecken an Ulrich. Er sah wohl, daß der Wein in diesen unzusammenhängenden Reden schäumte, aber irgend einen Hintergrund mußten sie doch in des Propstes Seele haben.

»Ich verstehe Euch nicht,« sagte er; »was ich fragen wollte, ist etwas Ungefährliches und Geringes. Ich hatte bald nach meiner Ankunft in Nürnberg das Unglück, im Gedränge mit meinem Schwert den Rosenkranz eines Benediktinermönchs zu zerreißen; das kostbare Kreuz, das daran hing, ist mir zurückgeblieben, und ich möchte es gern seinem Eigenthümer zurückgeben: nun schien es mir, als hätte ich denselben Klosterbruder [86] neben Euch gesehen; wenn er vielleicht es war, der die Sendung des Abtes vom heiligen Kreuz Euch überbrachte, so wollte ich nur fragen, ob ich das Verlorene dem Abt oder dem Mönch übergeben sollte? Was ist dabei das Unglück?«

Der Propst hatte mit äußerster Anspannung seiner Sinne und Kräfte zugehört, er wischte sich den Schweiß von der Stirn und fragte: »Weiter weißt Du gewiß nichts von dem Mönch?«

»Nichts!«

»Nun, dann danke Gott, daß Du es nicht weißt!«

»Aber ich irrte mich nicht, es war derselbe?«

»Derselbe! ach, es ist schrecklich, daß es immer derselbe!«

»Soll ich ihm das Kreuz geben?«

»Thue es, aber höre nicht auf seine Reden – er ist halb wahnsinnig – sprecht nicht mit ihm, wenn es Jemand sieht und hört – aber dem Abt gebt das Kreuz auch nicht – da gebt es lieber noch dem Bruder Amadeus selbst – aber hört nicht auf ihn; er hat wunderliche Einfälle und fixe Ideen.«

»Amadeus heißt er?«

»Amadeus; aber laß Dich nicht irre von ihm machen, ich beschwöre Dich. Er ist schon lange im Kloster, aber [87] er war früher ein vornehmer Ritter und büßt um seine Sünden, die er damals begangen; er hat viel Unglück angerichtet, er könnte Dich auch unglücklich machen – wie er Deine Mutter unglücklich gemacht hat –«

»Meine Mutter? sagt Ihr?« rief Ulrich aufhorchend in äußerster Bestürzung.

»Mutter sagt' ich?« rief der Propst; »nein, das sagt' ich nicht; ich meinte meine Schwester, wenn ich's sagte – bedenke, daß er wahnsinnig – und mit mir – was meinst Du, mit mir ist es wohl auch nicht richtig? Hörst Du, wie drinnen die Pokale klingen! – Warte, Du sollst auch nicht dursten, der Wein erfreut des Menschen Herz!«

Mit diesen Worten ging er zu seinen Gästen zurück und sandte ihm durch die Dienerin einen großen gefüllten Humpen heraus, ließ ihm sagen, er möge nur austrinken, dann käme er wieder. Ulrich trank mit Maß, er war in der peinlichsten Stimmung. Bisher hatte er den Propst nie anders gesehen als in der Bauhütte oder Kirche, oder wenn er ihn in der Krankheit besuchte, da war er immer nüchtern gewesen – jetzt sah er wohl, daß er betrunken war und nicht wußte, was er sprach; aber es schien ihm doch, daß er spreche, was er denke und fühle, und gerade nicht sprechen [88] wollte. Welch' ein Zusammenhang konnte zwischen diesem Amadeus und seiner Mutter und ihm selbst sein? Es fiel ihm ein, daß in seiner Kindheit, als flüchtige Söldnerschaaren im Elsaß sein Heimathsdorf verwüstet, indeß er selbst Obdach im Kloster gefunden, Einige gesagt hatten, daß seine Mutter ein Lanzenknecht auf seinem Pferde fortgeschleppt! Konnte dies nicht auf den Befehl eines Anführers geschehen sein, oder doch ein solcher – vielleicht dieser Amadeus sie als seine Beute an sich gerissen haben? Aber was wußte der Propst davon? was wußte denn er von seiner Mutter, da er doch nach dem Schicksal seiner Eltern wie seinem ganzen Herkommen gleich bei seinem Eintritt in die Bauhütte gefragt hatte. Aber gerade seitdem hatte er ihm auch jene ungewöhnliche Theilnahme bewiesen, die Ulrich anfangs befremdet und fast bedrückt hatte, an die er aber im Laufe der Zeit sich selbst gewöhnt, so daß es ihm endlich zu Etwas geworden, das gar nicht anders sein könne, und das er nur etwaigen besondern Empfehlungen seiner Kunstleistungen an den Kunstfreund zuschrieb. Außer jenem ersten Gespräch in der Bauhütte hatte der Propst nie wieder mit ihm von seinen Eltern gesprochen. Wenn er etwas von seiner Mutter wußte, warum hatte er es ihm nicht gesagt? – Und wenn es nur Unglückliches [89] und Unwürdiges war? Wenn nun jener elsässische Benediktinermönch, Bruder Anselm, der es ihm auf die Seele gebunden, nie nach seiner Mutter zu forschen, weil man ihr üble Dinge nachgesagt, damit Recht hatte? Und wenn es dieser Amadeus war, der sie in üblen Ruf gebracht? – Ulrich fühlte ein Gefühl von Haß, das er bisher kaum gekannt, gegen den Mann in sich aufsteigen, der seine Mutter unglücklich gemacht; er fühlte, daß er strenge Rechenschaft von ihm fordern müsse, Rache und Sühne verlangen für seine Mutter. Aber er sollte ja nicht nach ihr forschen und fragen! Und mitten durch alle diese Gefühle und Gedanken klang auch als Echo die Warnung des Judenmädchens: »Sie wollten aussprengen, Eure Mutter sei eine Hexe gewesen!« und daß ihm Hieronymus später einmal gesagt, man habe während seiner Krankheit wirklich einmal ein derartiges Gerücht in die Hütte gebracht, aber durch seine Zeugnisse von Straßburg und die Bürgschaft des Propstes sei es vernichtet worden. Seitdem war auch nichts wieder davon verlautet.

Ulrich leerte den Becher fast ohne es zu wissen unter diesen von allen Seiten auf ihn eindringenden Gedanken. Des Weines gänzlich ungewohnt, fühlte er ihn bald glühend durch seine Adern rollen, indeß ein Anderer [90] vielleicht vieler dieser Pokale hätte leeren können, ohne in gleicher Weise erregt zu werden.

Umgekehrt hatte indeß der Propst versucht, sich durch ein niederschlagendes Pulver zu ernüchtern, oder wenigstens in eine ruhigere Umfassung zu bringen. Er kam jetzt zurück mit dem Brief an den Abt in der Hand. Ulrich schob denselben in seine Ledertasche und fragte:

»Ist's ein Uriasbrief?«

Der Abt sah den Steinmetzgesellen verwundert an, legte seine Hand auf seine Schulter und sagte: »Ich dächte, Ihr hättet von mir Beweise genug, daß Ihr mir vertrauen könntet und wissen, ich fördere Euer Wohl in allen Stücken!«

»Ja gewiß,« sagte Ulrich und drückte dankbar des Propstes Hand; »darum darf ich Euch auch ganz vertrauen und um eine neue Gunst Euch bitten: sag't mir, was Ihr von meiner Mutter wißt?«

Der Propst stand bestürzt. Auf eine solche directe Frage war er nicht vorbereitet; er war sich so weit klar, zu wissen, daß ihm vorhin wohl unvorsichtige Aeußerungen entschlüpft waren, aber er konnte sich nicht besinnen, was und wie viel er verrathen. Um jeden Preis mußte er das wieder zurücknehmen, aus Ulrich's [91] Seele zu verdrängen suchen. Nach einer Pause antwortete er:

»Hab't Ihr nicht selbst erzählt, daß ein feindlicher Kriegshaufe Eure Mutter fortgeschleppt und daß Ihr seitdem nichts von Ihr gehört? Meine Schwester hatte ein ähnliches Schicksal – sie ward auch eine Kriegsbeute im Elsaß, und erzählte von einer Genossin ihrer Leiden, die vielleicht Eure Mutter gewesen sein konnte, denn sie hieß Ulrike und stammte aus Eurem Dorfe.«

»Und was ist aus Ihr geworden?« rief Ulrich.

»Darauf kann ich Euch keine Antwort geben,« versetzte der Propst.

»Aber Eure Schwester kann es, weiß wenigstens ihr damaliges Schicksal – o sag't mir, wo sie weilt, damit ich mir von ihr die langersehnte Kunde hole.«

»Das ist unmöglich,« antwortete der Propst. »Meine Schwester ist Nonne im Kloster der heiligen Klara hier in Nürnberg, Du wirst sie niemals sehen und sprechen. Ich selbst darf sie nur einmal im Jahr besuchen. – Gebt es auf, nach Dingen zu forschen, die unerforschlich sind und deren Enthüllung Euch keinen Gewinn bringen würde. Laßt das Vergangene und die Todten ruhen, es thut nicht gut, in die Gräber zu blicken und die Särge wieder zu öffnen – es könnte ein Pesthauch von [92] ihnen in's Leben strömen und es vergiften. Leb't Eurer Kunst und geh't in Gottes Namen dahin, wo Ihr immer ihr dienen könnt. Forschet nichts Unnützes, am wenigsten bei dem Bruder Amadeus – er hat nur zuweilen klare Augenblicke, auf seine irren Reden könnt Ihr nimmer etwas geben. Meidet ihn lieber ganz. Wenn Ihr aber zurückkommt und mir beichtet, was er mit Euch gesprochen, so will ich Euch seine unglückliche Lebensgeschichte erzählen, durch die er in diesen wüsten Zustand gekommen – jetzt ist dazu keine Zeit. Und nun gehab't Euch wohl, meine Gäste harren auf mich. Die Ordensregel verlangt, daß Ihr nicht mit den Mönchen sprecht; wenn Ihr Euch dawider vergeht, wird man Euch im Kloster bestrafen und es in Eure Zeugnisse schreiben, daß sich die Strafe in der Hütte wiederhole. Aber nicht mit einer Drohung will ich scheiden: der Herr segne Euch und gebe Euch Frieden!«

Damit war Ulrich entlassen.

Als er in die kalte Winternacht hinaustrat, war es ihm, als ob sich das ganze Firmament mit ihm drehe. Sie flimmerten und glitzerten auch gar so hell diese Millionen von Sternen, und es war, als suchten sie einander an Schimmer und Glanz zu überbieten. Ulrich blickte hinauf und wünschte in den Sternen zu lesen. [93] Gleich den Meisten seiner Zeitgenossen war er erfüllt von dem Gedanken, daß sie eine Sprache redeten, welche die Wissenschaft erlernen könne und daraus das Geschick des Menschen deuten.

Indem er so fragende Blicke zu dem funkelnden Firmament emporrichtete, mahnten ihn die sechszackigen Sternlein an das doppeltgenommene Dreieck und das heilige Sechsort seiner Kunst – da ward plötzlich seine aufgeregte Seele groß und stille und er fühlte wieder begeistert, daß es für ihn keine höhere Aufgabe geben könne, als dieser Kunst zu leben, die auch berufen war, erhabene Werke zu schaffen auf der Erde, welche würdige Abbilder waren jener Wunderwerke des Himmels und gleich ihnen die Augen der Menschen tröstend und freudig zu ihm emporführten.

[94]

5. Kapitel. Reichstag

Fünftes Capitel
Reichstag

Anfang Februar war der Reichstag zu Nürnberg anberaumt worden, der erste, auf dem König Max daselbst erschien, obwohl noch von seinem greisen Vater begleitet. Kaiser Friedrich nahm wie gewöhnlich seine Wohnung auf der Veste, und der Burggraf Friedrich von Zollern war schon einige Tage vor ihm erschienen, um ihm das Quartier würdig zu bereiten. König Max hielt Wort und sandte seine Boten an Herrn Christoph Scheurl, ihm zu melden, daß er in seinem Hause um ein ›Stübchen‹ bitte. Herr Hans von Tucher, der diese Ehre gern für sich in Anspruch genommen, wählte nun den edlen Kurfürsten Friedrich von Sachsen, der sich bereits von seinen Zeitgenossen den wohlverdienten Beinamen des Weisen erworben, zu seinem Gaste. Die geistlichen Herren von Mainz, Worms und Trier sollten in der Propstei bei Anton Kreß wohnen, der Bischof von Eichstädt bei dem Rath Pirkheimer einkehren, [95] dem er den Sohn Willibald mitbrachte – und so hatte der Rath von Nürnberg lange Sitzungen zu halten, bis er glücklich für alle Kurfürsten, Pfalzgrafen, Bischöfe, Fürsten und Herren, ihre Gesandten wie ihre Begleiter die passenden Wohnungen aufgesucht und bestimmt hatte. Es war dies keine Kleinigkeit, sondern eine Verhandlung, die zu vielen Reibungen der Patrizier wie der Geschlechter führte. Den allgemein geachteten Kurfürsten von Sachsen wollte Jeder gern bei sich haben, ebenso den Herzog Georg von Baiern mit dem Beinamen: der Reiche; denn die Nürnberger achteten nach Kaufmannsweise den gar hoch, der Schätze zu erwerben oder die schon überkommenen zu wahren verstand. Auch den Grafen Eberhard von Würtenberg, der von sich sagen konnte, daß er, wenn er ganz allein durch sein Land gehe und ermüdet sei, getrost sein Haupt in den Schooß jedes Würtenbergers könne schlafen legen; so wie den Kurfürsten Johann von Brandenburg, den man auch als bürgerfreundlich und für das Wohl seines Landes im Innern sorgend kannte, wünschte man als Gast – aber der meisten andern Fürsten und Herren, die theils als Wüstlinge, theils als rohe Tyrannen oder nur auf Kriegsruhm und Ländervergrößerung, oder als Schützer des Adels und seiner Rauf- [96] und Raublust dem fleißigen Bürgerstand gegenüber bedacht waren, hätte sich Jeder gern in seiner Wohnung verwehrt. Da es darüber in der Rathsstube selbst zu keiner Einigung kommen wollte, sondern die sonst so ruhigen Herren in diesem Streite sich immer mehr erhitzten bis er endlich sogar in das Gebiet der Schimpfworte, Grobheiten und Thätlichkeiten gerieth: so kam Hans von Tucher, um die Würde der Versammlung zu retten, auf den Einfall, das Loos entscheiden zu lassen, da auf eine andere Weise keine Einigung zu erzielen war. Als Belohnung für seinen Rath und weil er und Herr Holzschuher als oberste Loosunger sich doch als Häupter der Stadt betrachteten, behielt er sich aber vor, daß der Kurfürst von Sachsen bei ihm und bei jenem Herzog Georg der Reiche wohnen solle, ihre Namen also nicht mit auf die Zettel kamen, die in der Loosurne gemischt wurden. Wie verständig dieser Rath auch war und von Allen, wenn auch von Einigen mit Murren angenommen ward, so bereute Hans Tucher doch gar bald, ihn gegeben zu haben, als der ihm verhaßte Gabriel Muffel gerade den Grafen Eberhard im Bart wie ein großes Loos ziehen mußte! Ihm würde er nur den allerwiderwärtigsten und verhaßtesten Potentaten oder nur den geringsten Abgesandten gegönnt [97] haben – und nun mußte er gerade den allerbeliebtesten erhalten. Tucher ging in seinem Aerger so weit einzuwenden, daß Muffel's Haus wohl nicht geräumig und würdig genug geziert sei, einen solchen Fürsten zu empfangen; aber Muffel entgegnete seines unerwarteten Glückes sich freuend:

»Groß genug ist mein Haus, und ist es nicht mit orientalischer Pracht gleißend von Gold und Marmor gleich dem Euren geschmückt und überladen, so ist es dafür echt deutsch einfach und fest, und eignet sich gerade für einen so biedern deutschen Herrn, der schon manchmal mit der Hütte eines Landmanns vorlieb genommen. Gebt Acht, er wird sich wohler fühlen in dem Haus von deutscher Art erbaut und von deutscher Sitte bewohnt, und nicht lüstern sein nach der türkischen Herrlichkeit, die Ihr ihm zu bieten hättet.«

In welchen neuen Zorn auch der alte Tucher über diese Worte ausbrach, es blieb ihm doch unmöglich eine Aenderung des einmal durch seinen eigenen Vorschlag Entschiedenen herbeizuführen, und er hoffte sich nun nur dafür an Gabriel Muffel zu rächen, daß er seinen Sohn Stephan im Geleit des Kaisers wiederkehren sehen werde, vollkommen geheilt von seiner Leidenschaft für Ursula Muffel durch schönere Frauen Wiens, Italiens [98] und Ungarns, und daß er die einst blühende Mädchenrose, die jetzt der Gram gebleicht hatte, daß sie indeß um ein Jahrzehent gealtert erschien, gewiß nicht mehr begehren werde.

Einzeln hielten die Fürsten und Herren ihren Einzug. Aber keiner kam ohne einen ganzen Schweif von Rittern und Reisigen mitzubringen, ja im Gefolge mancher waren mehr denn hundert Pferde. Kaum begreiflich schien es, wie eine so ungeheuere Menge von Menschen und Thieren noch Platz finden solle in Nürnberg, das zwar mit zu den großen, aber auch zu den bevölkertsten Städten gehörte, denn es zählte damals über hunderttausend Einwohner. Denn nicht allein die kamen, die zum Reichstag berufen waren, und das waren eben diesmal weniger als sonst, da in der Eile, mit welcher Max den Reichstag ausgeschrieben, er die Abgesandten der Städte nicht auffordern lassen und auch sonst, sowohl der kurzen Zeit wegen als überhaupt aus Lauheit gegen die Angelegenheiten des immer mehr in sich zerfallenden deutschen Reiches, viele Fürsten es nicht der Mühe werth hielten sich einzustellen. Aber dafür strömten zahllose Volksmassen herbei, welche die Neugier lockte oder der Erwerb. Aus Nah' und Fern kamen Ritter und Bürger sammt ihren Frauen, die hohen [99] Herrschaften zu sehen und den Festlichkeiten beizuwohnen, die immer an die Reichstage sich knüpften; kamen Gelehrte, Dichter und Künstler, um hier ihre hohen Gönner zu begrüßen oder neue zu finden, oder doch sich gegenseitig zu treffen, wohl auch Bestellungen zu erhalten, oder sich selbst doch Stoff und Anregung zu neuen Werken zu suchen. Aber es kam auch niederes Gesindel ohne Zahl: Gaukler und Possenreißer, Bettler und Diebe, Wucherer und Betrüger, Wahrsagerinnen und fahrende Frauen – Tausende strömten herzu trotz der Winterszeit, vielleicht daß sie sich bei der langen Dunkelheit um so besseren Gewinn für alle diese Gewerbe versprachen, welche das Licht zu scheuen hatten. Die Nürnberger aber sangen ihre Verslein auf die einen wie die Andern. Von dem niedern Volke hieß es:


»Da kommen die Gaukler und fahrenden Frauen,
Die haben zum Reichstag ein gutes Vertrauen;
Und ob auch gleich sonst es Niemand hätt' –
Die mästen gewiß dabei sich fett.«
Und beim Einzuge der Reichstagmitglieder klang es gerade nicht feiner:
»Hier kommen hochgeborene Fürsten und Herren,
Die sehen, essen und trinken gern;
Sie geben Dirnen und Buben genug,
Das ist aller Freiheiten Fug.«

[100] So urtheilte damals das deutsche Volk über seine Vertreter, und zwar ungescheut wie ungestraft; aber zu mehr brachte es auch der mittelalterliche Volkswitz nicht, als wie dazu, sich über das deutsche Reich und seine Gesunkenheit lustig zu machen und sich damit doch selbst in's Gesicht zu schlagen.

Endlich kam auch der deutsche Kaiser und der römische König. Ein unabsehbarer Zug von Hofleuten, Rittern und Reisigen war in ihrem Gefolge.

Der alte Friedrich, obwohl schon an den Siebzigen, saß dennoch noch immer stattlich zu Roß und schaute mit dem Gleichmuth, den er sich durch sein ganzes Leben zu bewahren wußte, vor sich aus. »Unwiederbringlicher Dinge Vergessenheit ist die größte Glückseligkeit auf Erden«, war sein Wahlspruch, den er sogar damals, als er von Wien nach Neustadt, aus seinen Erblanden vertrieben, unaufhaltsam flüchten mußte, in jedem Gasthofe, in dem er eingekehrt, bis er an den Rhein kam, auf den Tisch schrieb oder in die Fensterscheiben grub – vielleicht weniger zur Mahnung für Andere als zum Beweis, das Kaiser Friedrich sich über Alles zu trösten wisse und dem Stern des Hauses Habsburg vertrauend fast unthätig zuwartete, bis die Dinge sich wieder zu seinem Gunsten gestalteten. Uebrigens [101] wendete er diesen Wahlspruch doch auch nicht auf Alles an: denn eben jetzt konnte er es noch immer nicht vergessen, daß Herzog Albrecht von Baiern ihm die eigene Tochter Kunigunde sammt Regensburg schon vor langer Zeit geraubt, und hatte dem eigenen Sohne Max gezürnt, der eine Vermittelung ersuchte. Ja Friedrich kam hauptsächlich mit hierher, um, wenn nicht die Hülfe des Reichs, doch die der einzelnen Fürsten und Städte wie des Adels zu gewinnen, die zu dem schwäbischen Bund und dem Löwlerbund gehörten, welche beide gestiftet waren, die willkürlichen Fehden im Reiche niederzuhalten und sich untereinander gegen übermüthige Lehensherren oder ungehorsame eigenmüthige Reichsvasallen beizustehen, gleicherweise wie die Städte und ihre Bürger gegen die Bedrückungen und Raubanfälle des Adels zu schützen. Jetzt war es Friedrich, der nicht nachgeben mochte und auch Vergangenes nicht vergessen konnte und gegen Regensburg drohte, das Albrecht befestigte:

»Ob man die Stadt auch ganz zumauere, will ich doch hinein, und sollt ich durch ein Spältlein schlüpfen.« –

Neben ihm ritt der goldlockige König Max. Noch ebenso heldenhaft und schön war seine Erscheinung, wie vor zwei Jahren, wenn auch vielleicht die Sorgen, die [102] ihn jetzt bedrückten, vornehmlich die Sorgen um die immer noch nicht beendeten Flandrischen Händel, die der heldenhafte Herzog Albrecht von Sachsen, seit Jahr und Tag fast ohne alle Reichshülfe gelassen, mit einem kleinen Heer in den immer wieder aufständigen Provinzen allein zu schlichten suchen mußte, und dann um die neue Ungebühr, die ihm der König von Frankreich erwiesen – wenn auch diese Sorgen vielleicht ein paar Furchen auf seiner Stirn gezogen, welche die Krone mehr drückte als der Helm des Ritters, den er mit größerem und froherem Stolze trug, als jene. Er grüßte noch ebenso leutselig wie bei seinem ersten Einzug, und gewann sich noch ebenso alle Herzen, wie damals, die durch eine edle ritterliche und huldvoll um sich blickende Erscheinung zu gewinnen waren.

Unter seinem Gefolge erblickte man auch einige Nürnberger, die mit ihm gezogen waren, ihm ihr Schwert zu weihen und im Kampfe für ihn sich ihre Sporen zu verdienen. Darunter befand sich Stephan Tucher in strahlender Rüstung, deren stählerne Schilder durch goldene Einfassungen miteinander verbunden waren; ein weißer Federbusch wehte von dem glänzenden Helm. Sein Schwert hing an einer rosenfarbenen Schärpe mit silbernen Fransen – war es blinder Zufall oder [103] bewährte Treue, daß er doch so Ursula's Farben trug? Sein Antlitz glänzte von Heiterkeit und Gesundheit – etwas wettergebräunter war es geworden – aber sonst lächelte es gerade so stolz und selbstgefällig wie vordem.

Gleich hinter dem König ritt sein treuer Bruder und lustiger Rath Kunz von der Rosen, der ihn, seit ihn einmal Kerkermauern von seinem Herrn getrennt, nie wieder verlassen hatte. Er war es auch, der, da der Zug sich dem Stadtthor näherte, plötzlich voraussprengte und durch ein Seitengäßlein reitend sagte: sein Pferd sehne sich nach dem Stall und er nach der Herberge, so wollten sie sich beides ohne Ceremonienmeister suchen.

So durch enge Gäßchen trabend, die eigentlich den Reitern verboten waren, gelangte er vor Scheurl's Haus unter der Veste, als der Herr desselben mit andern Rathsherren und Edlen nach der andern Seite hin dem König entgegen zog, um ihn feierlich in sein Haus zu führen. Kunz konnte recht wohl berechnen, daß er auf diese Weise, indem er sich nicht nur einen Umweg, sondern auch alle aufhaltenden Empfangsfeierlichkeiten ersparte, um eine halbe Stunde früher als der König selbst in die für ihn bereitete Wohnung kam. Er wollte sich den Spaß machen, vor ihm einzutreffen, die Hausfrau [104] vielleicht durch verfrühtes Kommen noch in den letzten Vorbereitungen zu stören, oder sich dann gleich selbst als Hauswirth zu geberden und Herrn Scheurl in seiner eigenen Wohnung gleich einem fremden Herrn zu empfangen. Dergleichen Späße waren nun einmal seine Weise und gehörten in der damaligen Zeit mit zu den Hauptbelustigungen.

Der Thorweg, welcher, an einer andern Seite als die Hausthür befindlich, in den Hof des Scheurl'schen Hauses führte, stand weit geöffnet, eben so die Thüren der Ställe, und Alles war bereitet, darin mindestens ein paar Dutzend Pferde aufzunehmen. Aber kein Stallknecht ließ sich sehen, alle Leute waren davon gelaufen dem kaiserlichen Zuge entgegen.

Kunz sprang vom Pferde, führte es am Zügel an eine gefüllte Krippe, streichelte es. und sagte zu ihm, indem er es anband: »Nun sieh, für Dich ist der Tisch gleich gedeckt; Du wirst eher und besser bedient als Kaiser und König, und auch als sein lustiger Rath; ich muß sehen, ob ich auch ein so gutes Quartier finde wie Du.«

Er ging über den Hof in die weite Hausflur, schüttelte den Schnee von seinen Füßen und dachte, indem er mit seinen nassen gewaltigen Reiterstiefeln auf die[105] schönen weichen Teppiche von venetianischer Weberei trat, die sich die marmornen Treppen herunterschlängelten und an den Stufenfugen mit blitzenden Metallhaltern befestigt waren: »Nun, das laß ich mir gefallen! Am Ende hat Aeneas Sylvius doch recht, wenn er behauptet, daß kein Potentat so schön wohne wie die Bürger von Nürnberg und Augsburg, und wenn mein Herr an seine Worte denkt, die er einmal als Jüngling sprach, da ihm der geizige Vater einige Münzen geschenkt und darüber schalt, daß Max keine bessere Anwendung davon mache, als sie an andere Knaben zu vertheilen: »Ich will kein König des Geldes werden, sondern eines Volkes und derer, die Geld haben – so erfüllt es sich wenigstens einmal bei den Nürnbergern: die haben Geld, was sonst ein rarer Artikel im lieben deutschen Reich, besonders am kaiserlichen und königlichen Hofe und auch anderwärts – den reichen Jörge ausgenommen, der in der Schatzkammer zu Burghausen mehr Gold und Silber birgt, denn jemals eine Kaiserkrone eingebracht.«

Auch auf der Treppe und im Corridore begegnete ihm Niemand, doch wehte hier schon eine behagliche Wärme, aus unzähligen Kaminen hörte man Feuer knistern und lodern.

[106] Jetzt steckte er leise seinen Kopf durch die eine Flügelthür, da es ihm war, als ob er hinter derselben sprechen höre, und der Narr machte eines seiner eigenthümlichsten halb schlauen und halb verblüfften Gesichter bei dem Gewahren einer Gruppe, die er gerade jetzt nicht erwartet hatte.

Auf dem gelbplüschenen, mit Gold gestickten Divan saß Elisabeth – Kunz erkannte sie noch sehr wohl, auch wenn er sie nicht hier als die Herrin des Hauses erwartet hätte. Er hatte sich auch die Schönheit von Nürnberg recht gut gemerkt, die seinen königlichen Herrn wie mit Zauberschlingen an sich gezogen und doch verstanden hatte ihn in Schranken zu halten, daß es bei einer ehrbaren Huldigung verblieben war, und jetzt, da der Schalk sie wiedersah, fand er sie nicht minder reizend und meinte, daß man lange suchen könne unter den deutschen Fürstinnen, bis man eine fände, die sie an angeborener Majestät übertreffe. Freilich, fügte er hinzu, scheut sie sich auch nicht sich gleich einer Königin zu schmücken.

Sie trug ein Kleid von kornblumenblauem Brokat mit einem breiten Besatz von weißem Pelz um seinen Saum, die eng anliegenden Aermel waren gleichfalls mit Pelz besetzt, so daß die kleine weiße Hand sich fast [107] darin zu verlieren schien. Ein gleicher Pelzbesatz lief um den Ausschnitt des Kleides, in der Mitte der Brust von der funkelnden Demantrose des Königs gehalten. Eine dicke goldene Schnur mit großen Quasten schlang sich um die Taille des Schneppenleibchens. Ein Kopfputz von blauem Sammet und weißen Federn schmückte ihr Haupt, dessen glänzend kastanienbraunes Haar in üppigen Locken zum spielenden Schleier des blendend weißen Nackens ward.

Vor ihr kniete ein Mann von mittlerer Größe, in ein Wamms von kirschbrauner Farbe gekleidet, aus dessen Aermelschlitzen weiße Puffen hervorsahen, ebenso waren die Beinkleider, die Stiefel von gelbem Leder mit kleinen Sporen. Ein Degen hing an seinem Gürtel und ein kleiner schwarzer Sammetmantel um seine Schultern. Ein hohes Baret von schwarzem Sammet lag neben ihm auf dem hohen Lehnstuhl. Kunz vermochte sein Gesicht nicht zu sehen, das küssend auf Elisabeth's Hand ruhte, indeß ihre andere auf seinem kurzgeschnittenen dunklen Haupthaar lag. Sie hatte sich vorwärts über ihn gebeugt, ihr Gesicht glühte und verrieth gleich dem unruhig wallenden Busen die innere Bewegung. Sie hatten beide geschwiegen, ehe Kunz geöffnet hatte, [108] und bemerkten ihn dennoch nicht, Eines im Andern verloren, so daß er Elisabeth sagen hörte:

»Celtes! steh't auf! Wohl ist es oft mein stilles Verlangen gewesen Euch wiederzusehen, wie es mein größtes Glück war, wenn ich von Euch las und Euren Namen preisen hörte; aber ich durfte es nur dann wünschen, wenn diese Begegnung geschehen konnte, ohne die alten Schmerzen und Kämpfe aufzuwühlen! – Seh't, ich trage ein Joch, das mir Pflichten auferlegt, und da es denn einmal mein Loos, so ringe ich Tag und Nacht danach, daß ich es mit Würde trage und mir selbst nicht noch mehr Unheil bereite, als das Schicksal schon über mich verhängt. Ihr seid ein Mann! seid frei von kleinlichen Rücksichten und Pflichten, seid immerdar der Herr Eurer eigenen Handlungen und Niemanden davon Rechenschaft schuldig denn Euch selbst. Ein leichteres Loos ist Euch zu Theil geworden und ein erhabenes dazu. Die edle Poesie hab't Ihr zur göttlichen Lebensgefährtin empfangen, und Euer herrlicher Beruf ist's, die deutsche Jugend zu vaterländischem Sinn zu entflammen und vom Zwange inhaltloser Formen zu den lebensvollen Ideen des Humanismus zu führen – geb't Euch an dies Streben mit ganzer freier Kraft dahin, und nach Jahrhunderten noch wird man Euer Andenken[109] feiern. Wer berufen ist zu leben für Jahrhunderte und für die Menschheit, der muß darauf verzichten können, dem Glück des Augenblicks und seinem eigenen Herzen zu leben!«

Konrad Celtes, der erst vor wenigen Augenblicken bei Elisabeth eingetreten, und auch nur erst an diesem Morgen mit seinem Gönner, dem Bischof von Worms, angekommen war, hatte zwar gemeint, er könne ihr nun ruhig und als Freund begegnen. Aber vor ihrer lebenswarmen Gegenwart waren alle früheren Empfindungen wieder in ihm aufgewacht und er hatte sie in seine Arme schließen wollen.

Elisabeth, mit dem feinen Ahnungsvermögen eines liebenden Frauengemüthes, oder wenn man will, mit dem klugen Abwägen aller kleinen Möglichkeiten, das Künftige aus dem Gegenwärtigen berechnend, hatte zuweilen daran gedacht, daß Celtes wohl einmal in sein liebes Nürnberg zurückkehren werde, ja sie hatte es jetzt gewünscht – aber viel weniger aus persönlichem Interesse, sondern weil sie es für Celtes als ein Glück betrachtete, wenn König Max mit ihm zusammenkam und ihm seine Aufmerksamkeit schenkte, und wie hätte das besser geschehen können, als jetzt, wo der König in ihrem Hause wohnte und der Kaiser, der ihm zum Dichter [110] krönen ließ, selbst in Nürnberg weilte. Ja, sie hatte lange mit sich gekämpft, ob sie nicht Celtes um dieses Glückes Willen eine Botschaft senden solle, herzukommen; aber sie hatte doch eine Mißdeutung derselben gefürchtet, ja sich selbst nicht recht getraut, ob nicht persönliche und unrechte Empfindungen dabei im Spiele wären, und darum Alles dem Schicksal überlassen. Immerhin aber hatte sie sich auf diese Möglichkeit vorbereitet und sich mit der ganzen weiblichen Würde ihres Wesens gewaffnet, um sich für ein Wiedersehen mit Celtes gerüstet finden zu lassen, damit es ihr gelinge, nicht nur sich selbst zu bezwingen, sondern auch, wenn es nöthig sein sollte, jeden Ausbruch seiner früheren Empfindungen verhüten, oder doch vor leidenschaftlichem Unheil sichern zu können. Vielleicht hätte auch sie sonst nicht die Kraft gefunden, sich seinen Armen zu entziehen und die obigen Worte zu ihm zu sprechen.

Da sie ihn zurückwies, war er vor ihr auf die Knie gesunken und lauschte ihren Worten wie einem Liede, das nicht minder schön erscheint, wenn es auch auf das schmerzlichste ergreift.

»O es ist ein Fluch, der auf allen Poeten ruht!« rief er; »wir müssen unglücklich, elend und verlassen sein, damit wir in das Reich der Poesie uns flüchten[111] und unter tausend Schmerzen eine erträumte Welt der wirklichen entgegenstellen – den frischen Kranz des Lebens müssen wir opfern, damit ein dürrer Lorbeerkranz auf unsern Grabhügeln anschelle. Elisabeth! Ihr seid so kalt und grausam wie die Welt – ich hoffte Euch anders zu finden!«

Sie erhob sich zürnend: »Dann wehe mir und Euch, wenn Ihr das hofftet, wenn Ihr während dieser Trennung den Glauben an mich und an Frauentugend verloret!«

Bestürzt faßte er den Saum ihres Gewandes und rief: Elisabeth! thut, was Ihr wollt, aber vergebt mir und zürnt nur nicht!«

»So seid ein Mann!« antwortete sie; »versündigt Euch nicht an Frauenwerth – versündigt Euch nicht an der Gottesgabe der Poesie, die Euch geworden! – Ihr wißt nicht, wie es ist: alle diese Schmerzen empfinden und keine Sprache dafür haben – das Entsagen ist schwer: aber das Schwerere ist, ein einmal auferlegtes Joch noch edel zu ertragen! – Steht auf – mich dünkt, ich höre Jemand – wenn es schon der König wäre!«

Celtes erhob sich und Elisabeth blickte nach der Thür, mit welcher Kunz von der Rosen vor einem[112] Weilchen unwillkürlich geknarret hatte, da ihn diese Scene, deren Zuschauer er geworden, selbst bewegte. Erst hatte er gemeint, hier einen begünstigten Liebhaber bei einer ungetreuen Gattin zu finden, und eine solche Gelegenheit ließ er selten, wie oft und bei welchen hohen Personen sie ihm auch ward, vorübergehen, ohne die Betheiligten durch seinen Spott und seinen oft sehr derben Spaß zu züchtigen. Aber durch Elisabeth's würdevolles Betragen wendete sich schnell seine Meinung zu ihren Gunsten – ja er zerdrückte eine Thräne im Auge, weil er gar wohl begriff, daß eine Frau von solchen Herzens- und Geistesgaben, wie Elisabeth, neben einem so hohlen Menschen wie Scheurl nur unglücklich sein könne. Und zugleich nahm er sich vor, seinem königlichen Bruder zu warnen oder zu beaufsichtigen, daß er die Tugend und Treue dieser edlen Frau nicht etwa auch versuche auf die Probe zu stellen.

Als er jetzt bemerkte, daß sich das Paar nicht mehr allein fühlte, warf er seine Narrenkappe zur Thür herein, gerade vor Elisabeth's Füße und sagte:

»Es ist nicht Sitte, edle Frau, daß der Narr seine Kappe abnimmt weder vor König und Kaiser, denn er hat eben nicht nöthig Jemanden Respect zu erweisen – vor Euch aber hab' ich ihn – und wenn ich hundert [113] Hüte aufhätte, ich zöge sie alle vor Euch und würfe sie Euch demüthig wie die Kappe zu Füßen.«

Elisabeth erschrak sowohl vor der plötzlichen Erscheinung wie vor diesen Worten, welche sie ungewiß ließen, ob der Narr etwas von diesem Gespräch gehört oder nicht; aber immer ihrer selbst Meisterin hob sie die Mütze auf, ob auch Rosen sich mit einem lustigen Katzenpuckel danach beugte, überreichte sie ihm und sagte:

»Willkommen in Nürnberg – wenn Ihr Euch auch auf sonderbaren Wegen müßt eingeschlichen haben, daß Niemand von der Dienerschaft Euch zuvorkam. Wo ist Euer königlicher Herr?«

»Bruder! wolltet Ihr sagen,« fiel er ihr in die Rede. »Was den betrifft, so wird er bald kommen, als ihn die guten Nürnberger, die sich überall herzudrängen, dazu kommen lassen – und was mich betrifft, so wißt Ihr, daß unsereins die Wege sich immer nach Belieben sucht und gelegentlich durch ein Spältlein schlüpft, wenn's ihm auf dem breitgetretenen Wege zu eng wird.«

»Ich freue mich,« sagte Elisabeth, »daß ich gleich jetzt Gelegenheit habe, Euch Herrn Doctor Konrad Celtes vorzustellen, von dem Ihr sicher so viel Gutes und [114] Großes gehört hab't, als er von Euch, Herr Kunz von der Rosen.«

Die Männer schüttelten zwar einander die Hand, aber es geschah nicht mit der rechten Herzlichkeit. In Celtes kochte es ingrimmig, wenn er sich dachte, daß Kunz ihn jetzt belauscht, und es sogar durch seine Worte an Elisabeth zu verstehen gab, ohne es zu gestehen – und Kunz hatte ein Vorurtheil gegen den Gelehrten, nach der Scene, welcher er beigewohnt. Er sagte zu sich: den Frauen gegenüber taugen doch diese Herren von der Feder so wenig wie die vom Schwerte – und fügte hinzu: ich möchte eigentlich wissen, welche Zunft da etwas taugte.

Indeß war Kunz doch harmlos und Celtes redegewandt genug, eine Unterhaltung zu Stande zu bringen, deren Anknüpfungspunkt natürlich die hohen Ankommenden waren. Elisabeth entfernte sich einen Augen blick, um nachzusehen, daß die Dienerschaft besser auf dem Platze sei, als sie bei Rosen's Ankunft gewesen. Wie sie zurückkam, wollte sich Celtes beurlauben, aber Elisabeth selbst duldete es nicht und sagte:

»Ihr werdet mich nicht um die Gelegenheit betrügen, Euch selbst seiner Majestät vorzustellen, die ich immer gewünscht, gleich Euch selbst.«

[115] Mit feinem Takte fühlte sie, daß gerade so Celtes' Besuch bei ihr alles Anstößige vor Anderen verlor, wenn sie sagen konnte, daß er gekommen sei, um mit unter den Ersten zu sein, welche die Ehre hätten dem König vorgestellt zu werden.

Jetzt klang es unten von Rosseshufen und Freudengeschrei; Elisabeth ging dem König Max bis an die Treppe entgegen, Kunz stand an ihrer Seite und lachte die Ankommenden aus, daß er schon eine halbe Stunde vor ihnen im warmen Nest geruht.

Herr Scheurl wollte dem König seine Hausfrau vorstellen, er aber sagte: »Ei so wenig ich meines Wortes vergessen, so wenig vergaß ich der schönen Frau Elisabeth,« und küßte ihr die Hand, indem er seine feurigen Blicke mit Entzücken über ihre herrliche Erscheinung streifen ließ. Denn in der That konnte er sie vielleicht in keinem günstigeren Augenblicke sehen, als da sie noch Mitten in der Erregung war, die ihr das Wiedersehen mit Celtes und sein Ungestüm, darauf das Erschrecken durch den Narren bereiteten – und nun kam noch dieser stolze Triumph dazu, den ritterlichen König bei sich zu empfangen, von ihm unvergessen zu sein und dieselben Schmeichelworte aus seinem Munde [116] zu vernehmen, auf die verzichten zu müssen sie zuweilen gefürchtet hatte.

Nun war ja der ersehnte Augenblick da, wo sie den Dichter und den König einander zuführen konnte – sie that es mit der ganzen ruhigen Würde ihres eigensten Wesens.

[117]

6. Kapitel. Im Kloster

Sechstes Capitel
Im Kloster

Seit Ulrich von Straßburg erkannt hatte, daß sein Freund Hieronymus in seinem Vorurtheil gegen die Juden verrottet und unverbesserlich sei, hielt er ihn auch in andern Stücken einer gleichen Engherzigkeit für fähig und während er ihm sonst fast seine geheimsten Gedanken mitgetheilt hatte, fühlte er sich jetzt veranlaßt, gegen ihn über sein Gespräch mit dem Propst zu schweigen, welches so viele bange Zweifel und unheimliche Fragen in ihm aufgeregt hatte.

Die Baubrüderschaften im Allgemeinen waren nicht nur in ihren speciellen Kunstleistungen, sondern auch in der Freiheit ihrer Lebensanschauungen und ihrer religiösen Ansichten ihrer Zeit voraus. Aber wie, besonders in großen Uebergangsperioden, wie der Ausgang des Mittelalters in seinem Schooße trug, sich immer Altes und Ausgelebtes mit Neuem und Weitausgreifendem oft in einem Individuum und noch öfter in gesellschaftlichen [118] Gliederungen beieinander findet, so war es auch bei den Baubrüderschaften selbst und ebenso bei ihren einzelnen Mitgliedern. Der Geist des Albertus Magnus und seiner Geheimlehre der christlichgothischen Baukunst wirkte noch mächtig fort, und wie die Säulen der erhabenen Dome in immer kühneren Schwingungen aufstiegen, wie der ganze Bau und in ihm wieder jeder einzelne Stein zu leben schien und dabei aus der Begeisterung, damit Gott und dem Christenthum zu dienen, eine Begeisterung für die Kunst an sich und ihren eigensten Cultus neben, oder auch über dem christlichen geworden war: so lebte wohl auch in den Brubrüderschaften ein höher und weiterstrebender Geist, als er sonst in ihrer Umgebung sich kund that – aber ebenso war auch etwas Versteinertes und unwandelbar Feststehendes in ihren Gesetzen und Statuten, das keine Reform derselben zuließ und Jahrhunderte lang dieselben äußern Formen und Bestimmungen bewahrte, als wären gerade sie das Wesentlichste der Sache.

Dieselben Steinmetzen, welche sich ungestraft erlauben durften Tiara und Inful zu verspotten und in ihren auf ewige Dauer berechnenden Steingebilden zur Hölle fahrende Mönche und Nonnen, Könige und Bischöfe, ja Kaiser und Päpste dem Hohne der Zeitgenossen [119] wie der Nachkommen preiszugeben – dieselben Steinmetzen mußten gewissenhaft zur Beichte gehen, und verfielen den schwersten Strafen der eigenen Hüttengesetze, wenn sie irgend eine kirchliche Handlung verabsäumten. Dieselben Freidenker, welche sich über das gesunkene Kirchenthum erhaben fühlten, waren doch die Feinde derer, welche sich nicht dazu bekannten – die allgemeine Verachtung, welche damals die Juden traf, wie der Haß gegen die Türken als den Erbfeind der Christenheit, war auch im Bekenntniß der Baubrüder eine Hauptstelle, und auch die Aufgeklärtesten unter ihnen waren ganz und gar von diesem Vorurtheil erfüllt. Wir haben gesehen, wie Hieronymus auf das Mächtigste von ihm beherrscht ward – ebenso wenig war Ulrich ganz frei davon, aber er hatte doch an die Worte des Meisters denken lernen: »Unter allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm« – und hielt es nicht für unmöglich, daß Rachel zu diesen Rechtthuenden gehören könne – wenn schon sie so unglücklich war eine Jüdin zu sein!

Aber Hieronymus wollte nichts von einer solchen Anschauung wissen und fürchtete zumal auch, daß Ulrich sich und ihn in Schimpf und Schande in der Hütte bringen werde, wenn ein Zufall oder vielleicht Rachel [120] selbst verriethe, daß er mit ihr gesprochen und sie in seiner Wohnung verborgen gehabt hatte, in die sie früher schon mehr als einmal sich gedrängt. Wie den Baubrüdern jeder Verkehr, auch mit ehrbaren Frauen, als Vergehen angerechnet ward, galt der mit einer Jüdin als doppeltes Verbrechen, denn man achtete eine solche gleich der verworfensten Dirne, mochte sie auch unschuldig sein wie ein Kind.

Zu den andern Vorurtheilen sowohl der Zeit als der Baubrüderschaften, die darauf ihre Gesetze gründeten, gehörte die Nothwendigkeit ehelicher Geburt zu sein. Alle unehelichen Kinder galten als rechtlos, und der Makel, den sie so mit auf die Welt brachten, heftete sich an ihr ganzes Leben. Bei ihnen erwiesen sich allein die Klöster als eine rettende Zufluchtsstätte, in der sie vor dem Fluch gesichert waren, der sich draußen an ihr ganzes Leben knüpfte. Fast von allen Handwerken und Aemtern waren sie ausgeschlossen, und die Fürsten verfügten über sie ganz wie über Leibeigene. Das »Wildfangsrecht« z.B., ein Recht deutscher Fürsten, alle Unehelichgeborenen ohne Weiteres in ihre Kriegsdienste zu zwingen, erhielt sich viele Jahrhunderte. Dieser Fluch der bürgerlichen Unehrlichkeit mußte [121] diese Unglücklichen, die ihm verfallen waren, von Haus aus gleich selbst in die Bahn unehrlicher und verbrecherischer Gewerbe treiben und prägte sich tief als das Bewußtsein einer unschuldigen Schuld in alle empfindungsfähigen Gemüther. Darum waren auch Eltern noch außer der Angst vor der persönlichen Schande und Strafe, die ihnen selbst widerfuhr, eifrig bedacht ihren Kindern ehrliche Namen zu verschaffen, sei es auch auf die betrügerischste Weise. Oft genug entdeckte sich später der Betrug, und dann verfielen die unschuldigen Kinder doppelter Schande. Daher war es auch eine sehr gebräuchliche Drohung oder ein Mittel der Rache, an dern Personen nachzusagen, daß sie nicht von ehelichem Herkommen seien; denn oft ließ sich eines so wenig als das andere erweisen, und schon der Zweifel ward doch in manchen Augen zum Makel.

Am strengsten aber unter allen Genossenschaften hielten die Bauhütten darauf, keinen Lehrling aufzunehmen, der nicht genügende Zeugnisse über sein Herkommen hatte. Die ganze Brüderschaft ward als profanirt betrachtet, wenn sie einen solchen unter sich geduldet hätte, Ulrich selbst hatte sich schon bei Rachel's erster Warnung vor der Möglichkeit entsetzt, daß man nur versuchen könne, seinen Eltern Unwürdiges nachzusagen, [122] und jetzt entsetzte er sich doppelt vor den Bedenklichkeiten, welche durch die Worte des Propstes in ihm aufstiegen. Es gab für ihn kein größeres Unheil, als wenn wirklich ein Flecken auf sein Herkommen kam. Während er sich sonst darüber niemals Gedanken gemacht, waren sie nun plötzlich gewaltsam in ihm aufgeregt – und da er selbst kaum wußte, was er selbst glauben, fürchten oder hoffen sollte, so hütete er sich jetzt wohl Hieronymus ferner in diesem Stück zu seinem Vertrauten zu machen, ja er war zugleich fest entschlossen, seine Wohnung nicht mehr mit ihm zu theilen, damit, wenn ja der fürchterlichste Schlag über Ulrich hereinbräche, der Kamerad nicht durch ihn noch mehr sich mit beschimpft fühlen könne, als alle die andern freien Steinmetzen.

Obwohl er sich im Aeußern mit Hieronymus ausgesöhnt, so vermied er doch mit ihm ferner über den Gegenstand ihres Zwistes zu sprechen, sowohl wie über das tiefverworrene Bangen, mit dem er dem Kloster und dem Bruder Amadeus entgegenging. Da er aber doch mit Hieronymus früher von diesem Mönch gesprochen, als er den Verlust des Kreuzes wieder erwähnt, so sagte er ihm nur, auf Befragen nach demselben darauf [123] aufmerksam gemacht, daß dieser Mönch, welcher Amadeus heißt, an zeitweiligen Geistesstörungen litte.

So hatten sie an einem hellen Wintertag ziemlich die Hälfte des Weges nach dem Kloster zurückgelegt, als sie es in der Ferne von Rüstungen und Schwertern im Sonnenschein funkeln sahen und Rosseshufe den frischgefallenen Schnee emporwirbeln. Als der reisige Zug näher kam, gewahrten sie an seiner Spitze einen geistlichen Herrn zu Pferde, und erkannten an seiner Tracht, an seinen Insignien und Farben den Bischof von Eichstädt, umgeben von vielen Rittern und einem ganzen Troß von Knappen und Dienern. Hinter ihm ritt ein nach Studentenart gekleideter Jüngling, der einige Worte an den Bischof richtend, dann seitab zu den Baubrüdern sprengte, die ehrfurchtsvoll grüßend am Wege standen.

»Mit Vergunst,« sagte er zu den Beiden, die durch ihre Kleidung Allen als Baubrüder kenntlich waren; »wackere Brüder der freien Steinmetzzunft, mich dünkt, wir sind uns schon vor Jahr und Tag im lieben Nürnberg begegnet, und da ich nach langer Entfernung mich der theuren Vaterstadt wieder nähere, und Ihr die ersten Nürnberger Gesichter seid, die mir in den Weg kommen, so möcht ich Euch fragen, ob Ihr mir [124] vielleicht eine Kunde geben könnt, wie es in meinem Elternhause ergeht – es ist das der Pirkheimer?«

»Ihr seid es, Junker Willibald!« antwortete Ulrich; »bald hätte ich Euch nicht erkannt, denn Ihr seid größer und stärker geworden im bischöflichen Kriegsdienst, als bei den heimischen Studien. Ich denke, Ihr werdet die Euren im erwünschten Wohlsein treffen. Eurem Herrn Vater bin ich erst gestern begegnet, und Eure edlen Jungfrauen Schwestern flicken fleißig mit an einem Teppich für dieselbe Lorenzkirche, an der wir bauen.«

»Ei, das ist eine gute Kunde,« antwortete Willibald, »sogar von meinen Schwestern wißt Ihr! Ja, sie sind gern bei einem frommen Werke – daran erkenne ich, daß sie noch unverändert sind! Der kunstliebende Propst, Herr Anton Kreß, hat das wohl angeordnet.«

»O nein,« versetzte Hieronymus; »nicht nur die Ehre der Ausführung, auch die des ganzen Plans gebührt den Frauen.«

Und Ulrich fügte hinzu: »Die edle Frau Scheurl war kaum von ihrer langwierigen Krankheit genesen, da sie es beginnen ließ.« Er sprach diesen Namen absichtlich laut und faßte dabei einen Ritter in dunkler Tracht und von bleichem Ansehen scharf in's Auge, der [125] eben jetzt sein Visir niederschlug, das er vorhin offen getragen.

»Gott sei Dank,« sagte Willibald Pirkheimer, »der die edle Frau erhalten –«

»Und sie auch ferner beschützen wird,« rief Ulrich ungewöhnlich laut; »König Max hat seine Wohnung in Scheurl's Haus genommen – das wird ihr auch wohl Schutz gewähren.«

Jener Ritter war den Andern, die während dem schon einen ziemlichen Vorsprung erreicht, nur langsam und zögernd nachgeritten, und nachdem Ulrich Willibald noch auf seine Frage Antwort gegeben, wohin und in welcher Absicht sie auf dem Wege seien, sagte der erstere auf jenen Ritter deutend: »Kennt Ihr diesen da?«

»Das eben nicht; ich weiß nur, daß er Eberhard von Streitberg heißt und dort mit dem Ritter von Weyspriach erst unterwegs mit seiner Begleitung zu uns gestoßen.«

Ulrich sann eine Weile nach. Dann sagte er leise: »Ich kenne jenen Herrn als einen gefährlichen Wegelagerer, der auf den Landstraßen den harmlosen Kaufleuten auflauert und ehrbare Frauen überall verfolgt; warnt die Nürnbergerinnen vor ihm, wenn Ihr den Nürnberger Rath nicht warnen wollt!«

[126] »Das ist eine starke Anklage!« sagte Willibald.

»Ich kann sie aufrecht erhalten, wenn es sein muß!« sagte Ulrich; »aber Ihr wißt, wir freien Steinmetzen mengen uns nicht gern in profane Händel, und jetzt gebietet mir mein Beruf wohl eine Woche fern zu sein von Nürnberg. Kommt Ihr aber mit Frau Elisabeth Scheurl zu reden, so nennt Ihr nur im leichten Erzählerton die Namen der Ritter, die mit Euch kamen – dies thut als Gegendienst für die guten Nachrichten, die Ihr von mir empfinget. Und nun Glück auf den Weg und zur Heimkehr! Ich denke, wir sehen uns in Nürnberg wieder!«

Als auch Willibald sich verabschiedet hatte und der ganze Zug verschwunden war, sagte Hieronymus: »Ich erkannte den Ritter auch, mit dem Du auf Tod und Leben gerungen, aber ich hatte wenig Lust mich noch einmal in einen solchen Händel zu mengen und verdenke Dir, daß Du es gethan. Frau Elisabeth mag sich von ihrem königlichen Anbeter vor einem zudringlichen Entführer beschützen lassen – das wird ihr lieber sein, als von den armen Baubrüdern, denen sie es doch keinen Dank weiß. Du aber hast einen kecken und hinterlistigen Feind, dem kein Mittel zu schlecht ist, zu seinem Ziele zu kommen, auf's Neue herausgefordert[127] – denn er erkannte uns so gut, wie wir ihn erkannten.«

Ulrich versetzte: »Hoffentlich erkannte er nur mich, und Du hast nichts für Dich zu befürchten.«

»Das bliebe sich gleich,« antwortete Hieronymus; »man kennt uns als unzertrennliche Gefährten.«

»Wir müssen aufhören es zu sein,« antwortete Ulrich, »wenn Dir meine Handlungen Sorgen oder Verdrießlichkeiten bereiten.«

»Zu diesem Vorschlag ist es zu spät!« antwortete Hieronymus doppelsinnig.

Beide gingen eine Weile schweigend nebeneinander. Da hob sich auf einem Hügel am Waldessaum das einsamstehende Kloster der Benediktiner vor ihnen empor. Das goldene Kreuz darauf flimmerte hell im Sonnenlicht, das auf den beschneiten Dächern spielte und mit seiner erwärmenden Kraft ihm einzelne Tropfen erpreßte, die sich zu funkelnden Eiszapfen gestalteten.

Sie hatten nicht gar weit mehr zu gehen, da standen sie vor den Oeconomiegebäuden des Klosters, welche sich auch den Laien erschlossen – ja, als sie durch den Hof schreitend in ein hallenartiges Zimmer des Erdgeschosses kamen, saßen mehrere Wanderer darin, die hier nur eingekehrt waren, um auszuruhen und sich [128] durch einen Trunk Meth oder Wein zu stärken. Es gehörte damals mit zu den Mißbräuchen, die am häufigsten eingerissen waren, daß, wenn auch nicht in den Klöstern selbst, doch in den ihnen zugehörigen Oeconomien Wein geschenkt ward – aus dem, was früher eine freie Gabe mildthätiger Gastfreundschaft, war eine gute Einnahmsquelle für die Klosterkasse geworden.

Hier waren die Baubrüder nur eingetreten, als ein junger Novize, als solcher an seiner braunen Kleidung und dem kurz geschnittenen, aber doch nicht geschorenen Haar kenntlich, auf sie zukam und beiden nach einander die Hand drückte; an der Art, wie es geschah, erkannten sie in ihm einen Bruder, einen freien Steinmetzen.

»Gott grüße Euch und Gott leite Euch!« rief er; »Ich hoffte, daß Ihr diesen Morgen kommen würdet, und begab mich darum hierher Euch zu erwarten. Nun darf ich auch Euer Führer sein. Kommt mit hinüber in's Kloster und stärkt Euch dort erst mit Speise und Trank von der Wanderschaft – unter diesen Profanen und Laien hier ist nicht gut sein.«

Eben so herzlich erwiederten die Ankömmlinge den Gruß und Ulrich sagte: »Das hätten wir nicht gedacht, [129] hier plötzlich einen Bruder zu finden; aber wie ist denn Dein Name?«

Und Hieronymus fragte: »Und was hat Dich vermocht, Dich aus der thätigen Mitte freier Steinmetzen hierher zurückzuziehen? Willst Du wirklich unser lebensvolles Wirken mit der todten Ruhe hier vertauschen?«

»Mein Name ist Konrad,« antwortete der Novize, »Eure andern Fragen beantworte ich einmal später in einer ruhigen Stunde. Es ist eine traurige Geschichte – und mir blieb keine Wahl! Einstweilen denkt daran, daß ich nicht Verachtung, sondern nur Mitleid verdiene.«

Ulrich seufzte leise und betrachtete voll innigster Theilnahme den jungen Mann. Er sah blaß und abgehärmt aus. Seine dunklen Augen waren mit bläulichen Ringen umgeben, die ihren Glanz noch erhöhten. Seine ganze Haltung und sein fahles Ansehen, so wie seine heisere Stimme weckten die Befürchtung, daß er an einer verzehrenden Krankheit litt. Ulrich fühlte sich voll innigsten Mitgefühls zu ihm gezogen, indeß Hieronymus den Bruder mit einigem Mißtrauen betrachtete, der, sei es freiwillig oder gezwungen aus der Brüderschaft geschieden war, um aus einem fleißigen freien Steinmetzen ein fauler, eingesperrter Mönch zu[130] werden – wie es Hieronymus nannte. Denn obwohl diese ganzen Brüderschaften einst aus den Klöstern und zumal aus denen der Benediktiner hervorgegangen waren, so sahen sie jetzt doch mit derselben Geringschätzung auf sie herab, wie auf weltliche Profane.

Drinnen im innern Kloster, als der Pförtner sie eingelassen und Konrad sie durch einen schön gewölbten düstern Kreuzgang geführt, empfing sie ein anderer Mönch in einem kleinen wohl durchheizten Seitengemach und bewirthete sie auf's Beste. Ein anderer Bruder ging, den Abt von ihrer Ankunft zu benachrichtigen.

Nach einer Ruhestunde wurden sie zu diesem beschieden, dem Ulrich das Schreiben des Propstes Kreß überreichte.

Der Abt empfing sie mit Wohlwollen, und besonders nachdem er das Ueberbrachte gelesen, drückte er ihnen warm die Hand, und nachdem er sich mit ihnen von dem Propst, von dem zu erwartenden Reichstag und andern weltlichen Dingen unterhalten, forderte er sie auf, ihn in die Kirche zu begleiten, um daselbst das Werk, das ihrer harrte, in Augenschein zu nehmen. Der Novize Konrad und noch ein paar andere Mönche und Novizen schlossen sich ihnen an.

[131] So traten sie in die alte, im romantischen Styl erbaute Klosterkirche, die später noch manchen An-und Ausbau erfahren hatte, da die Baukunst schon dem gothischen Styl sich zugewendet und, nebenbei mit italienischer Pracht geschmückt, jenen ruhigen und erhabenen Eindruck vermissen ließ, welchen nur die tadellose Reinheit eines bestimmten Styls hervorzubringen vermag. Es war ein Mißklang zwischen dieser weiten romantisch gewölbten Eingangspforte, den leichten Spitzbogen, welche die bunt gemalten Fenster umschlossen, und den schlanken Säulen kühner Gothik, aus denen der hohe Chor sich bildete. Es war Ulrich gleich bei seinem Eintritt, als ob ein Geist der Unruhe und Zerfahrenheit ihn in dieser Kirche packe, die an den Seitenaltären besonders mit Reliquienschreinen, in denen die heiligen Gebeine in Gold und Juwelen gefaßt von Reichthum strotzten und von frommen Spenden und Prachtgeräthen hierin Ueberladung zeigte, indeß das reine Künstlerauge vergeblich nach schön gemeißelten Ornamenten und nach dem Ausdruck genialer Schöpfungen suchte, wie sein eigener Kunsteifer sie versuchte: das Geistige zur Erscheinung zu bringen im Stein, das Ewige darzustellen im Endlichen.

Ein einziges reines Kunstwerk dieser Art hatte die[132] Kirche besessen, und das war eben jetzt zerstört. Es war das Weihbrodgehäuse neben dem Hochaltar, darin das Allerheiligste aufbewahrt war. Es war dies ein kleines gothisches Kunstwerk von kundiger Hand nach dem Albertinischen System des Achtortes säulenartig aufgeführt. An der einen Seite stand eine Statue der Madonna, an der andern Seite die des Johannes. Gothische, mit zierlichem Laubwerk umrankte Spitzbogen stiegen darüber empor, auf dessen höchster Spitze ein Engel schwebte. Dieses durchbrochene Thürmlein, das sich über dem Hostienschrein selbst befunden hatte, war herabgefallen und lag sammt dem Engel halbzerschmettert daneben. Es sollte die Aufgabe der herzugerufenen Baubrüder sein, diese Stücke wieder zusammenzufügen, wo es thunlich, oder durch neue zu ergänzen. Der feine Sandstein, dessen man dazu bedurfte, lag bereit.

Als sie in die Kirche eingetreten waren, lagen einzelne Mönche vor den verschiedenen Altären betend auf den Knieen. Sie ließen sich durch die Kommenden nicht in ihren frommen Uebungen stören und sahen sich nicht nach ihnen um. Ulrich warf auf jeden von ihnen einen Blick, so gut es im Vorüberbergehen und von Weitem gehen wollte, ob er vielleicht Amadeus unter ihnen gewahre. [133] Doch sah er ihn nicht. Nur über Einen blieb er im Zweifel, der in einer Seitennische nicht weit vom Hochaltar in einer dunklen Ecke knieete und den Kopf so tief geneigt hatte und in die gefaltenen Hände gedrückt, daß keine Spur von seinem Gesicht zu sehen war. Die große Gestalt und der Kranz von grauschwarzem Haar um sein Haupt gemahnte an ihn – aber unter den mehr als hundert Mönchen, welche das Kloster einschloß, konnten viele dergleichen haben.

Hieronymus und Ulrich bewunderten und prüften das Kunstwerk, seine Zerstörung bedauernd, und letzterer sagte nach genauer Untersuchung desselben sowohl als der Wölbung der Kirche und allen, das Tabernakel nah' und fern umgebenden Gegenständen zornig aufflammend und mit großer Bestimmtheit:

»Herr Abt! hier ist ein unerhörter Frevel geschehen. Dies Thürmlein ist nicht von selbst herabgefallen, das hat die vandalische Hand eines Niederträchtigen herabgeworfen. Hier ist noch schlimmeres und Schändlicheres geschehen denn Kirchenraub – hier ist bloßer Muthwillen geübt worden am Allerheiligsten – am Allerheiligsten, das die Kirche bewahrt und besitzt, am Allerheiligsten auch der Kunst. Das ist das Werk einer gewaltsamen, absichtlichen Zerstörung von menschlicher [134] Hand. Habt Ihr keine Untersuchung angestellt, den Schuldigen zu finden? Ich denke, ich darf mich rühmen, beseelt zu sein vom Geiste christlicher Milde und Vergebung – aber gegen solch' ungeheuren Frevel, den nur ein Mensch verübt haben kann, der allen Sinnes für das Heilige baar zu einer Bestie herabgesunken, die aus Bosheit sich an einem Tabernakel vergreifen kann, dem jeder fromme Christ nur mit einer Kniebeugung sich nähert, und die so ihre Rohheit und Scheußlichkeit an einem erhabenen Meisterwerk der Kunst auslassen kann, das ein Heiligthum an sich ist, auch wenn es an einer andern Stelle stünde und eine profane Bestimmung hätte – für eine solche Bestie kenne ich kein Erbarmen!«

Er hatte laut und vom heiligen Feuer entflammt gesprochen; der tiefgebückte Mönch war noch tiefer zusammengesunken und hatte einen jammernden Ton von sich gegeben; der Abt und die Mönche sahen einander erstaunt an und Konrad sagte:

»Ich habe dasselbe gleich gesagt, aber Niemand hat mir glauben wollen – so mußte ich schweigen.«

»Das ist wahr,« sagte der Abt; »aber es ist doch auch ganz unmöglich, daß hier ein solcher schauderhafter Frevel geschehen konnte.«

[135] »Aber immerhin möglicher, als daß dies wohlgefügte Werk von allein herabstürzen konnte!« sagte Hieronymus kaltblütig, der nun auch seinerseits dasselbe untersucht; »ohnehin hat der Frevler seine Sache nicht einmal täuschend und geschickt gemacht, sondern nur mit einiger Scheu vor dem Allerheiligsten, die doch noch in seiner verworfenen Seele gewesen sein muß; er hat dies selbst verschont, und diese Statuen, die nothwendig mit hätten zertrümmert werden müssen, wenn etwa dies Werk, morsch und schwankend geworden, wie es aber durchaus nicht gewesen sein kann, bei einer geringen Veranlassung zusammengestürzt wäre. Der Frevler hat sich mit dieser gothischen Spitzsäule begnügt, oder er ist verscheucht worden und hat sein Zerstörungswerk in einem Zustand zurücklassen müssen, der jedem scharfblickenden Auge die willkürliche Menschenhand verrathen mußte.«

»Aber es kann ja Niemand in diese Mauern,« rief der Abt, »denn wer herein gehört; Fenster und Thüren zeigten keine Verletzung, durch die ein Bösewicht hätte eindringen können.«

Hieronymus zuckte die Achseln und sagte: »Wenn er nicht von außen kam, ist er von innen gekommen.«

[136] »Das ist eine Beschimpfung unser Aller!« rief ein Mönch und blickte zornig um sich.

Ulrich sagte gelassener: »Und wie meinet Ihr denn, daß die Sache zugegangen? Von einem Erdbeben hat man nichts gehört, und Gewitter giebt es im Winter ebenso wenig, oder sie sind doch so selten, daß Ihr es Euch gemerkt haben würdet – war ein solches und meintet Ihr, ein Blitz oder Donnerschlag habe das Werk getroffen?«

Alle verneinten.

»Wann geschah es denn? und war Niemand in der Kirche? Ich denke, sie wird auch Nachts nicht leer?« sagte Hieronymus.

»Es scheint, Ihr geberdet Euch, als wäret Ihr als Inquisitoren in unser Kloster gekommen!« sagte der Abt übel gelaunt, daß man es für möglich halte, in seinem Kloster, das sich immer eines guten Rufs erfreut, an solche Rohheiten zu glauben, wie sie kaum außerhalb desselben vorfielen; denn selbst der gemeine sittenlose Haufe hatte Achtung vor der Kunst, besonders an den heiligen Stätten und auch vor diesen selbst; das Verbrechen des Kirchenraubes gehörte mit zu den seltensten und darum auch mit der Kirchenschändung zu[137] denen, welche am härtesten und fast immer mit dem Tode bestraft wurden.

»Ihr seid es, der Ehre des Klosters und unser aller Ehre schuldig, daß die Sache auf's Strengste untersucht werde, und dann auch zur Kenntniß dieser Steinmetzen gebracht, die außerdem in ihre Hütte ein schlechtes Vorurtheil gegen uns mit hinausnehmen möchten!« sagte einer der Mönche.

»Es wird geschehen!« antwortete der Abt. »Amadeus soll uns im Conclave noch einmal darüber berichten.« Zu Konrad gewendet sagte er: »Führe die Steinmetzen in die Seitenhalle, in der sie das Material zu ihrer Arbeit finden werden, und versammle die andern Bauleute um sie, damit sie nach ihrer Vorschrift arbeiten.«

Es geschah, wie er gesagt hatte. Ungefähr acht Mönche und Novizen, die nicht ganz unkundig der Kunst waren das Winkelmaß zu führen und mit dem Meißel zu arbeiten, waren zur Verfügung der Baubrüder und halfen diesen vorerst das Material ordnen u.s.w. Nach den Vorschriften der freien Maurer sowohl als der Klosterbrüder durfte bei der Arbeit weiter nichts gesprochen werden, als was unmittelbar zu ihr gehörte, und daran banden sich denn auch Alle.

[138] Nicht lange Zeit war vergangen, als Ulrich noch einmal in die nebenan liegende Kirche ging, um ein Maßbrett an die darin befindlichen Trümmer des Tabernakels zu halten. Ein Mönch knieete dabei – es war derselbe, der vorhin an dem dunklen Seitenaltar geknieet. Jetzt fuhr er empor. Ulrich erkannte in ihm den Bruder Amadeus. Der Augenblick war günstig; es war Niemand weiter in der Kirche, als am Eingang ein Novize, welcher denselben kehrte.

»Wir sind uns schon einmal begegnet,« sagte Ulrich leise, da der Mönch zusammenfuhr; »mein Ungeschick riß das Kreuz von Eurem Rosenkranz – hier habe ich es Euch mitgebracht.«

»Ihr erkennt mich wieder?« sagte Amadeus.

»Ja – und ich weiß auch Euren Namen: Amadeus.«

»Nun wohl,« sagte dieser mit sonderbaren Blicken auf Ulrich schauend, »so behaltet das Kreuz als Andenken – an einen Mönch, der schon lange zu sterben wünschte und nun Euch sein Todesurtheil dankt.«

Ulrich dachte: der Propst hat Recht – Amadeus scheint wahnsinnig zu sein. Amadeus mochte diesen Gedanken des Schweigenden errathen und fuhr fort:

»Ich rede Wahrheit, wie Ihr sie geredet, Ulrich! Du warst der Einzige, der kein Recht hatte mein Urtheil[139] zu sprechen. Aus Liebe zu Dir beging ich den Frevel – ich wollte meine Hand segnend auf Deinen Scheitel legen – es ist meine Sühne, daß ich durch meinen Sohn sterbe! Gott vergebe Dir, wenn es ein Vatermord ist, den Du auf Deine Seele ludest!«

Ein Mönch an einer Seitenpforte näherte sich und rief: »Bruder Amadeus!«

»Sie holen mich in's Gericht!« flüsterte er noch Ulrich zu; »lebe wohl und schweige. Lebt Deine Mutter noch und siehst Du sie wieder, so sage Ihr, daß Du sie an mir gerächt hast – und daß ich mit dem Namen Ulrike auf den Lippen sterben werde!«

Heftig eilte er davon.

Ulrich sah ihm nach und fühlte sich von eigenthümlichem Grauen erfaßt. Was war das? was hatte er gehört? waren das die Worte eines Wahnsinnigen? Fast schien es so. Und doch! wenn sie mehr waren als Wahnsinn? oder dieser Wahnsinn doch nur der Nachhall einer Wahrheit? Wenn ein Zusammenhang war zwischen ihnen und denen, welche die Trunkenheit des Propstes schwatzte?

Ulrich hielt den zertrümmerten Engel in der Hand, der von dem Tabernakel herabgefallen – er hatte keine [140] Flügel mehr. So erschien er sich selbst in diesem Augenblicke – so herabgestürzt und aller Schwingen der Kunstbegeisterung beraubt – er mußte sich gewaltsam zusammenraffen, um wieder zur Arbeit zurück zu seinen Genossen zu kehren.

[141]

7. Kapitel. Das Schönbartlaufen

Siebentes Capitel
Das Schönbartlaufen

Ursula Muffel befand sich in einem Zustande des peinlichsten Harrens, schon seit sie gehört, daß der Reichstag in Nürnberg gehalten werde und daß Hans Tucher auch seinen Sohn Stephan in der Begleitung des Kaisers mit zurückerwarte. Aber dies Harren ward zur schrecklichsten Aufregung, als sie erfuhr, daß Stephan wirklich in den Schooß seiner Familie zurückgekehrt sei, daß er wie einst unter den Söhnen der Patrizier und Kaufleute Nürnbergs für den blühendsten und durch Ansehen und Haltung hervorstechendsten geltend, jetzt auch unter den königlichen Begleitern zu den stattlichsten und zu denjenigen zählte, die sich durch Pracht und Schmuck ihrer Kleidung von Andern auszeichneten und ebenso sorgfältig ihre Körpergaben pflegten. Ursula hörte, daß Stephan's Angesicht von Frohsinn, Gesundheit und Schönheit glänze – und ein Blick in ihren [142] Spiegel warf ihr dafür nur ein angstvoll betrübtes Gesicht zurück.

Er war da und kam nicht – das paßte nicht zu seiner sonst so feurigen Natur, der gegenüber sie ihre ganze Sittsamkeit hatte zusammennehmen müssen, um nicht dem Ungestüm der männlichen Leidenschaft zu erliegen. Und nun konnte er nach einer so langen Trennung zurückkehren, ohne Alles daran zu setzen, sie wiederzusehen? – War er ihr untreu geworden? hatten andere, verführerischere Frauen ihn verlockt – oder hatte er eine würdigere Gefährtin gefunden? – Oder hatte er ihr entsagt aus Gehorsam gegen seinen Vater – oder vielleicht selbst aus Bürgerstolz, der es doch verschmähet, sich mit der Enkelin des Gerichteten zu verbinden? – Oder hielt eine feindliche Macht sie getrennt? hatte man ihm falsche Nachrichten von ihr gebracht – etwa daß sie ihm untreu sei? oder entsagen wolle und müsse, oder wie sonst sich seiner unwürdig gemacht?

Alle diese Fragen erneuerten sich in Ursula mit fieberhaftem Ungestüm – und den größten Kampf kostete ihr gerade die letzte. Gewann diese die Wahrscheinlichkeit der Bejahung, dann war es ja an ihr zu dem Geliebten zu eilen, ihn von ihrer Treue, ihren [143] unveränderten Empfindungen zu überzeugen. Aber sie hatte doch keine Bürgschaft für diese Ursache seines Zurückbleibens von ihr, und so hielt sie sich gewaltsam von einem solchen entscheidenden Schritt zurück, der ihren jungfräulichen Stolz und ihre keusche Mädchenzartheit dem Spotte und der Verachtung preisgeben konnte, wenn ihre Voraussetzung und mit ihr Stephan sie getäuscht.

Die Anwesenheit des Grafen von Würtemberg und seines Gefolges in ihrem sonst so stillen Hauswesen, dessen Aufsicht sie führte, gab ihr wohl nebenher zu thun und zu denken in Menge, um so mehr, als Herr Gabriel Muffel mit seiner Bewirthung des hohen Gastes alle Ehre einlegen wollte, damit nicht die andern Genannten Ursache fänden, sich über ihn lustig zu machen, und das Hans von Tucher seinen Hochmuth nicht an ihm üben könne. Ursula mußte es sich auch darum um so angelegener sein lassen, sich selbst die Zufriedenheit ihres Vaters zu erwerben, als sie diese in andern Dingen verscherzt hatte: erst überhaupt durch ihr Liebesverhältniß mit Stephan und dann auch, als durch dessen Entfernung dieses dem Vater gelöst erschien, durch ihre Weigerung jedem andern Bewerber ihre Hand zu reichen. Zwar war der Vater auch tief bekümmert, daß er die [144] einzige Tochter von Tag zu Tag trauriger und leidender werden sah – doch da er eben meinte, daß ihr Eigensinn dies selbst verschuldete, so ward er dadurch nicht milder gegen sie gestimmt.

Jetzt, wo er hörte, daß Stephan mit dem König zurückgekommen und in seinem Gefolge den Ritter spielte, wo die Tucher und Holzschuher dafür sorgten, zu Muffel's Ohren gelangen zu lassen: wie viele schöne Edelfräulein ihr Herz an Stephan verloren, und wie er mit einem derselben bald Hochzeit halten werde – jetzt forderte er doppelt von der Tochter, daß sie vor den Leuten in gleich stolzer Haltung erscheine, und zürnte ihr doppelt, daß er sie ihnen nicht auch als Braut vorstellen konnte. Während er sonst an ihr mehr auf bürgerliche Einfachheit gehalten, verlangte er jetzt, daß sie auch in ihrer Kleidung mit den stolzesten Nürnbergerinnen wetteifere und bei keiner öffentlichen Lustbarkeit fehle. So, da die Fastnacht kam, sollte in wenig Tagen das »Schönbartlaufen« stattfinden, und zwar in der glänzendsten Weise, da der Reichstag versammelt war. Ursula wollte sich weder bei der Schlittenfahrt noch bei dem Ball, der ihr folgen sollte, betheiligen, aber ihr Vater bestand darauf, und da beides in Maskenanzügen vorgeschrieben war, ließ er ihr selbst [145] dazu die schönsten bestellen. Es waren noch einige Tage bis dahin, und Ursula dachte darüber nach, wie sie dem entgehen könne; denn wenn Stephan sie verlassen hatte, für den allein sie gelebt, so war sie fremd im Leben und es dünkte ihr nicht mehr hinein zu gehören: wenn er sie verstoßen und verachten konnte, so meinte sie die Verachtung der ganzen Welt auf sich geladen zu sehen, und ihren Hohn nicht nur zu finden, sondern auch zu verdienen.

So saß sie an einem früh hereingebrochenen Winterabend allein in ihrem Gemach. Der Burggraf von Zollern hatte an diesem Tag eine Jagd im nahen Forst veranstaltet, welcher die meisten Fürsten und Herren beiwohnten. Auch der Graf von Würtemberg war mit den meisten seines Gefolges dabei, ebenso ein Theil der Nürnberger Rathsherren, darunter auch Herr Muffel. Unter ein paar Stunden war wohl noch Niemand zurück zu erwarten.

Ursula konnte sich einmal ihrem Schmerze überlassen. Von innerem Frost geschüttelt saß sie am Kamin, dessen nicht mehr hell lodernde Gluth einen milden Schimmer auf ihr bleiches Antlitz warf. Wehmüthig blickte sie auf das helle Grün ihres Kleides, dessen Farbe der Hoffnung sie zu höhnen schien. Ihre kleinen [146] Hände, zart und durchsichtig wie Milchglas, ruhten gefaltet in ihrem Schooß. Es war immer dasselbe Gebet, das sie betete zur Mutter Gottes und zu allen Heiligen: ihr Stephan wiederzugeben oder sie abzurufen von der verödeten Erde! Und wie sie schon hundertmal gethan, zog sie die goldene Kapsel hervor, die Stephan's von Meister Wohlgemuth in Miniatur gemaltes Conterfei verschloß, das er ihr beim Abschied geschenkt. Sie küßte das Bild und flehte, ihn nur noch einmal wiedersehen, noch einmal so küssen zu können – und dabei lächelte sie unter Thränen – –

Da klangen draußen hastige Männertritte – sie näherten sich ihrem Gemach – vielleicht Einer von des Grafen Leuten, der im Dunkeln fehl gegangen, denn diesem abgelegenen Zimmer kam Niemand nahe, der nicht ausdrücklich zu ihr gesandt war – schon ruckte die Thürklinke – oder war es ihr Vater, der früher zurückkam? – vor ihm hatte sie Stephan's Bild, das Tag und Nacht tief verborgen an ihrer Brust ruhte, immer sorgsam verhehlt – sie wollte es schnell verstecken, aber das Kettlein verwickelte sich in die steifen Zacken des Spitzenkragens, der ihren Busen umgab – die Thür sprang auf und ein Mann in einem schwarzen Mantel gehüllt stand vor ihr.

[147] Sie fuhr empor und rief: »Was dringt Ihr hier ein – Niemanden geziemt hier der Zutritt!«

Aber ungestüm faßte er sie in seine Arme und rief: »Auch mir nicht?« Der Mantel sank von seinem Haupt wie von seiner Schulter und zeigte Stephan's ritterliche Gestalt.

»Stephan!« rief Ursula mit dem Jubellaute des Entzückens mitten im Schrecken; aber jener war noch mächtiger bei der durch Gemüthskämpfe körperlich leidend gewordenen zarten Jungfrau – ohnmächtig lag sie in seinen Armen.

Er trug sie auf das Sopha und lehnte sie an sich. Er sah sein Bild offen vor sich, das Zeichen ihrer Treue – einen Augenblick sah er voll Mitleid und aufsteigender Selbstvorwürfe auf die bleiche Geliebte, die der Gram um ihn vielleicht bald ganz zu Grunde gerichtet; aber schnell schützte er sich vor jedem Gewissensskrupel mit der eitlen Meinung, daß er wieder gut machen könne, was er verbrach, und mit dem würdigen Vorsatz, es wirklich zu thun.

Er rief Ursula mit den zärtlichsten Namen und bedeckte sie mit seinen Küssen. Da schlug sie die Augen auf und rief:

[148] »Stephan – Du bist es wirklich – Du bist noch wie einst!«

Er antwortete ihr mit Liebkosungen und rief: »O wohl mir, wenn Du auch bist wie einst! – Ich konnte es nicht länger ertragen, ich mußte Dich sehen, geschah es auch, indem ich ein gegebenes Wort gebrochen.«

»Du hast Dein Wort gegeben, mich nicht zu sehen?« rief sie und machte sich von ihm los. »Du hast mir nicht geschrieben – Du bist schon einige Tage hier – Andere sagten es mir – ich sah Dich nicht – ich hoffte umsonst auf ein Zeichen ach! ich weiß es wohl, die Väter nähren noch den alten Groll – aber Du selbst, Du hast mich gelehrt, daß Liebe stärker sein soll als väterliche Gewalt –«

»Und darum bin ich hier!« rief er; »nur einen kurzen Augenblick. Ich benutzte die Dunkelheit und die Abwesenheit Deines Vaters wie der Andern, um zu Dir zu dringen. Niemand darf es wissen – nur Elisabeth Scheurl.«

»Ach, ich habe auch vergeblich auf sie gezählt!« rief Ursula; »seit der König hier ist, habe ich auch kein Wort von ihr gehört, und sie hatte mir doch gleich Nachricht geben wollen – über Dich.«

[149] »Erst gestern habe ich mit ihr vertraulich sprechen können,« sagte Stephan, »und sie ist wohl auch viel mit sich selbst beschäftigt – Alles erklärt sich später. Nur wenige Minuten kann ich bei Dir weilen, ich konnte es nur nicht länger ertragen Dich nicht zu sehen – ich mußte die Gewißheit Deiner Liebe von Deinen Lippen holen!«

»Hast Du je an mir zweifeln können?« fragte sie unter seinen Küssen.

»Man sagte mir, daß Du eine Braut des Himmels geworden,« antwortete Stephan; »Du hattest mir mit diesem Entschluß schon früher gedroht, ich mußte daran glauben, da ich kein Lebenszeichen von Dir empfing.«

»Aber wie war es möglich, daß Du –«

Er ließ Ursula nicht ausreden. »Wir haben jetzt keine Zeit zu Fragen und Erklärungen; lesen wir nicht Eines in den Augen des Andern, fühlen wir nicht am Schlagen unserer Herzen, daß wir einander angehören wie einst? In drei Tagen sehen wir uns beim Schönbartlausen, und dann wird sich Alles erklären und entscheiden. Du wärest doch dazu gekommen?«

»Nur wenn mich mein Vater gezwungen,« antwortete sie: »ich habe mich bis jetzt geweigert!«

[150] »Nun, so laß Dich zwingen!« antwortete er heiter, »und zu dem Maskenfest am Abend erlaube mir, daß ich Dir selbst den Maskenanzug schicke, damit ich Dich aus Tausenden sogleich erkenne. Ich erscheine in der prächtigen Tracht eines Sarazenen und werde mich Dir schon bemerklich machen. Bis dahin glaube und liebe und hoffe! Ein neues Leben wird uns seine goldenen Thore öffnen!«

»O ich fühle es schon in mir, seit Du bei mir bist!« rief sie mit seligem Lächeln.

»Aber verrathe mich nicht!« bat er wiederholt; »indem ich zu Dir mich schlich, that ich, was ich nicht lassen konnte; aber Niemand darf es erfahren – am wenigsten der König.«

»König Max?« fragte Ursula; »was geht es ihn an?«

»Frage mich nicht – ich muß scheiden!« und obwohl er so sprach und schon beide aufgestanden waren, verrann doch Minute nach Minute, ehe der letzte Kuß gegeben und das letzte zärtliche Lebewohl gesprochen war. –

Da er fort war, sank Ursula auf ihre Kniee und weinte wie ein Kind. Jetzt erst, mitten in diesem plötzlichen Glück, kamen alle verhaltenen Thränen ihres Unglücks zum Ausbruch. Jetzt erst, wo alles, was sie [151] indeß bei dem Gedanken gelitten, daß ihr Stephan könne genommen sein, genommen durch das Schrecklichste, was einem liebenden Wesen begegnen kann: durch Untreue, wie eine Last, unter der sie Tag und Nacht nur seufzend zu athmen vermochte, von ihr abgesunken – jetzt erst wagte sie einen vollen Blick auf die Größe derselben und in den Abgrund von Leid und Lebensöde, der neben ihr immer offen gegähnt hatte. Jetzt, wo die Gefahr überstanden war, wo nach einer furchtbaren Nacht eine leuchtende Sonne ihr aufgegangen, schaute sie noch einmal bebend zurück in die Nacht – und dankte inbrünstig dann dem Herrn, der sie nun in demselben Augenblick verscheucht, in dem Ursula noch unter den bängsten Zweifeln und Schmerzen gerungen hatte.

Zwar wußte sie weder, was indeß geschehen war, noch was geschehen sollte – was sie indeß zu fürchten gehabt, noch was sie zu hoffen hatte – indeß, sie fragte nicht darnach. Sie hatte Stephan wiedergesehen, er war zu ihr mit der alten Liebe und Zärtlichkeit zurückgekehrt – noch fühlte sie seine heißen Küsse im Nachhall der Empfindung, das genügte ja, ihr Herz mit Jubel zu erfüllen und ihre Seele mit [152] Freudigkeit neuer Hoffnung und dem Muth gegen alle Hemmnisse ihres Liebesglückes zu kämpfen.

Vielleicht war es gut, daß ihr bald heimkehrender Vater etwas berauscht war und sich darum sofort niederlegte, sonst wäre ihm vielleicht die Veränderung aufgefallen, die indeß mit seiner Tochter vorgegangen; denn das erneute Liebesglück hatte ihre erst gebleichten Wangen geröthet, und der Wiederschein einer Seligkeit, die sie plötzlich überkommen, strahlte aus ihren Augen und von ihrer Stirn. Am andern Tage, wo sich die hochgehenden Wogen des Entzückens ein wenig gelagert hatten, zeigte sie dem Vater ein ruhig heiteres Wesen, und er war seit langer Zeit einmal zufrieden mit ihr, als sie sich als gehorsame Tochter bereit zeigte, dem Schönbartlaufen beizuwohnen und nur sagte, er müsse ihr auch den Scherz gestatten, am Abend in einer Maske zu erscheinen, die er selbst zuvor nicht sehen dürfe – sie möge gern wissen, ob der eigene Vater sie wiedererkennen werde.

Gabriel Muffel war wohl damit zufrieden, und machte ihr nur zur Bedingung, daß die Maske recht schön und reich sein müsse, damit sie nicht einfacher, sondern wo möglich prächtiger erscheine als andere Rathsherrentöchter.

[153] Das in Nürnberg als Fastnachtsfest eingeführte »Schönbartlaufen« stammte vom Jahre 1349. Damals hatte die Fleischerzunft von Nürnberg bei einem Aufstand der andern Zechen dem Rathe ihre Treue erwiesen und dafür von Kaiser Karl IV. einen Freibrief auf einen öffentlichen Aufzug in Larven erhalten, welcher das »Schönbartlaufen« genannt ward. Als der dazu gehörige Aufwand anfing der Fleischerzunft beschwerlich zu werden, trat aus den höheren Ständen eine Gesellschaft zusammen, welche ihr zur Aufrechterhaltung und Vervollkommnung dieses Festzuges behülflich war, und am Ende denselben unter dem Namen der Fleischer ganz an sich brachte. Es waren meist junge Patrizier, und der Rath ordnete ihnen förmliche Hauptleute bei, welche zugleich die Züge anführen und auf Ordnung sehen mußten.

Wie an jenem Sommertage, an welchem König Max einzog, so war auch an dem sonnigen, aber kalten Wintertage, an welchem das Schönbartlaufen stattfand, Ursula Muffel bei Elisabeth Scheurl, um aus deren Chörlein den Zug mit anzusehen. Die Reichstagsmitglieder waren auf dem Rathhaus versammelt, vor welchem jener begann und wieder endete. Die Betheiligung der Frauen dabei war keine andere, als daß sie [154] an den offenen Fenstern standen, die Vorüberziehenden mit Backwerk warfen und dafür von ihnen mit Tannenzweiglein statt Blumen beworfen oder mit Rosenwasser bespritzt wurden. Elisabeth und Ursula erschienen in kostbare Pelze gehüllt und die Gesichter nur so weit verschleiert, daß sie selbst bequem um sich sehen konnten, an dem geöffneten Fenster des Chörlein.

Sie hatten seit der Reichstag begonnen einander heute zum ersten Male wiedergesehen, und Ursula hätte von Elisabeth gern mehr über Stephan erfahren; aber Elisabeth wich ihren Fragen aus, beschwor sie nicht zu verrathen, daß sie ihn gesehen, und nur bis zum Festabend in fröhlicher Hoffnung zu warten, an dem sich ihr ja Alles erklären werde. Und da Ursula weiter fragte: ob es Elisabeth nicht möglich gewesen, Stephan und sie dem Schutze des Königs Max zu empfehlen und an sein Versprechen zu mahnen, antwortete sie nur, daß der König jetzt nicht als ein harmloser Gast in Nürnberg sei, welcher der Stadt die Ehre seines Besuches erwiese, sondern daß er zu einem eilig berufenen Reichstag gekommen, von dem er Hülfe und Steuern verlange, ihm Ungarn zu retten und ihn an Frankreich zu rächen – und daß er, ohnehin schon übelgelaunt angekommen, hier es noch mehr geworden, [155] als die Stände sich schwierig zeigten seine Forderungen zu bewilligen – da wage man nicht ihn um eine Gnade zu bitten, die hohe Häupter wie er nur in frohen Ruhestunden gewährten, wo die Krone sie nicht drücke und ihnen nicht die Fähigkeit raube, an anders denn an die Sorgen darum zu denken. »Uebrigens aber,« schloß sie, »werden die Majestäten heut' Abend mit beim Tanz erscheinen, vielleicht fügt es sich da, wie damals auf der Veste, daß ein gutes Wort eine gute Statt findet.«

Durch die mit Menschen erfüllten Straßen machten sich jetzt Vermummte in Narrenkleidern mit Kolben und Peitschen in der Hand Platz. Die Menge wich zur Seite um noch eine Stufe oder Erhöhung zu erobern, von welcher aus der Zug gesehen werden könnte, der nun folgte. Voran kam ein Reiter mit bunten Bändern und Schellen behangen und sein Schimmel nicht minder. Er hatte vor sich einen großen Sack, aus welchem er Nüsse auf die Straße warf, welche die Jugend begierig aufzulesen war und unter Geschrei und Balgen darum rang. Dann folgten vier andere Reiter, ebenfalls phantastisch bunt gekleidet mit Körben vor sich auf dem Sattel, worin sich Eier befanden. Sie warfen damit nach den Frauen an den Fenstern wie auf den Straßen; aber die Eier waren mit Rosenwasser gefüllt[156] und richteten da, wo sie trafen, keinen Schaden an, als daß die duftende Flüssigkeit verspritzte.

Dann kamen die Schönbartleute selbst mit ihren Schutzhaltern, Hauptleuten und Spielleuten in mannigfaltigen Vermummungen, unter denen es nicht an derben Anspielungen auf die Hauptangelegenheiten des Tages und die Gebrechen der Zeit fehlte. Dann folgte auf einer von vielen Pferden gezogenen großen Schleife eine Maschine, Hölle genannt, die ein künstliches Feuerwerk in sich faßte und zuletzt am Rathhaus angezündet ward. In dieser Hölle gewahrte man außer ergötzlichen Bildern aus der Natur und dem Menschenleben auch satyrische Darstellungen, wie der Nürnberger Witz sie liebte: einen Venusberg mit schönen Frauen; einen Backofen, worin Narren gebacken wurden; eine große Büchse, welche böse Weiber schoß; einen Vogelherd, worauf man Narren und Närrinnen fing; ein Glücksrad, welches Narren und Närrinnen herumdrehte, die sich einander jagten; eine Galeere, auf welcher Mönche und Nonnen aneinander gekettet ruderten, und noch mehr dergleichen. Darauf folgten vielspännige Schlitten mit maskirten Personen in prächtigen Pelzen, dahinter saßen Spielleute auch in bunte Trachten gekleidet, die lustig aufspielten. Daran schlossen sich etwas [157] entfernter kleine Rennschlitten mit Geharnischten besetzt, die sich mit Turnierstangen einander auszustechen und herunterzuwerfen versuchten – ein Spiel, welches das Gallenstechen hieß und das auch zu andern Zeiten in Nürnberg angestellt ward.

Unter diesen Geharnischten befand sich Stephan Tucher. Ursula's Augen hatten ihn erkannt, auch wenn er nicht zu den Frauen hinaufgeschielt hätte; aber er wollte ihnen auch eine Probe seiner Geschicklichkeit geben, und mit seiner Turnierstange gewandt ausholend, gelang es ihm, einen andern Geharnischten von seinem Schlitten zu werfen, daß er unter dem Gelächter des Volkes im Schnee sich wälzte. Diesem wollte sich der Herabgeworfene am schnellsten entziehen indem er aufstehend sich in Scheurl's Hausthür drängen wollte.

»Dort gehört Ihr nicht hin! Lauft nur Eurem Schlitten nach!« rief Stephan eifersüchtig und drohte ihm mit seiner Lanze.

Jener aber warf seinen Helm ab, und Stephan er kannte mit Mißbehagen Georg Behaim in ihm. Den Bruder Elisabeth's hatte er nicht dem allgemeinen Spotte preisgeben wollen; indeß blieb ihm nichts anderes übrig als weiter zu fahren und sein Turnierheil[158] auch an Andern zu versuchen, damit Behaim nicht in dem, was er ihm gethan, eine besondere Absichtlichkeit suche. Es gelang ihm auch noch Manchem herabzuwerfen, indeß er selbst vor jedem Angriff fest saß – so aber errang er sich den Preis des Gallenstechens.

Als es vollständig dunkel geworden, ward auf dem Markt das Feuerwerk abgebrannt, und das war zugleich das Zeichen zur Versammlung der Masken im Tanzsaal des Rathhauses.

Da wimmelte es von allerlei schönen und wunderlichen Masken. Männer und Frauen wetteiferten miteinander an Pracht und Absonderlichkeit der Kleidung, und manche Freiheit herrschte dabei, die zu anderen Zeiten die bedenklichen und sittenstrengen Nürnberger nicht dulden mochten.

Verschiedenartige Aufzüge fanden dabei statt und possenhafte Darstellungen ergaben sich aus ihnen von selbst. Sie wurden von der Tribune aufgeführt, die für den Kaiser und den König wie die anderen zum Reichstag gekommenen Fürsten erbaut war und auf welcher diese Platz genommen. Denn sie waren nur als Zuschauer und ohne Masken erschienen, und auch König Max beobachtete diesmal eine strengere Zurückhaltung und Etiquette als bei seinem ersten Aufenthalt in [159] Nürnberg. Vielleicht war er überhaupt nicht wohl gelaunt durch die geringe Willfährigkeit, welche der Reichstag zeigte, auf seine Forderungen einzugehen; vielleicht wollte er auch sich den stolzen Nürnbergern, damit sie nicht etwa übermüthig würden, mehr in der Würde seiner Majestät zeigen, als sie ihn früher gesehen, damit sie nicht vergessen, daß sie doch seine Unterthanen wären, wenn sie auch sonst sich ihrer reichsbürgerlichen Freiheit rühmen mochten. Er sah ernst, fast finster in das Maskenspiel, und nur der unverwüstliche Kunz von der Rosen vermochte durch irgend eine ihm in's Ohr gezischelte Bemerkung zuweilen ein Lächeln um seinen Mund zu zaubern.

Mit den bängsten Empfindungen warf Ursula Muffel zuweilen einen scheuen Blick auf den König Max. Seit dem Wiedersehen mit Stephan Tucher plötzlich in ihren Hoffnungen so kühn gemacht, als sie noch vorher verzagt und verzweifelnd gewesen war, hatte sie, von Stephan und Elisabeth auf diesen Abend vertröstet, an die Möglichkeit gedacht, daß es ihm oder ihr selbst gelingen werde sich heute dem König zu nähern und um seine Fürsprache bei den erbitterten Vätern nachzusuchen. Und wie in dieser schien sie sich in jeder Hoffnung getäuscht zu haben, denn auch Stephan hatte sich [160] noch nicht zu ihr gefunden, und so oft sie auch eine Sarazenenmaske sah oder zu sehen glaubte – wenn sie selbst sich ihr näherte, erkannte sie immer, daß es nicht Stephen war.

Da trug sie nun selbst den prachtvollen Anzug einer Sultanin, den er ihr gesendet, und je mehr der Glanz desselben die Blicke Anderer auf sich zog, und je länger Stephan säumte sich ihr bemerkbar zu machen, die er doch auf den ersten Blick hätte kennen müssen, je bänger ward ihr in dem sie umdrängenden Gewühl. Aber noch größer ward ihre Bestürzung, als sie einen riesengroßen Bären, der bald auf allen Vieren lief, bald auf den Hinterpfoten ging und allerlei Purzelbäume machte, immer hinter sich herkommen sah. Sie mochte sich wenden, wie sie wollte, sie konnte dem Ungethüm nicht entgehen – es drängte sie immer näher an die Schranken der fürstlichen Zuschauer. Wußte Ursula auch recht gut, daß im Bären auch nur ein Mensch steckte, so ward ihr diese Zudringlichkeit dadurch beinah' um so lästiger – in diesem Augenblick hätte sie nichts dagegen gehabt, wenn ein wirkliches Ungeheuer sie zerrissen hätte, so entmuthigt und trostlos fühlte sie sich; daß sie aber ein Mensch so absichtlich, wie es schien, zur Zielscheibe seiner widerwärtigen Grimassen und damit[161] des allgemeinen Gelächters machen konnte – das empörte sie noch vielmehr. Und nun kam auch von der andern Seite ein Löwe und bedrängte sie nicht min der. Da stand sie jetzt gerade mitten zwischen den beiden Bestien, ganz nahe vor der kaiserlichen Tribune. Außer der Maske verhüllte noch ein mit Silber durchwebter Schleier, der an einen Turban von weißer Seide und silbernen Verzierungen befestigt war, ihr Gesicht und Hals. Sie trug ein weißes mit Silber gesticktes Seidenkleid, das weite weiße Atlasbeinkleider und gelbe Stiefelchen sehen ließ, darüber eine Tunika von rosa Sammet mit silbernen Fransen und Tressen, ringsum mit Perlen gestickt, die auch in dichten Schnüren um Arme, Hals und Taille sich wandten. So stand sie zwischen den Ungeheuern, die den Raum um sie fast freigemacht und so auch längst von Elisabeth verdrängt hatten, an deren Seite sie vorher immer versucht hatte zu bleiben.

Aber obwohl nicht inmitten des Saales wie Ursula und minder beobachtet, war doch Elisabeth in keiner besseren Situation.

Durch Konrad Celtes und ihre eigenen Studien mit der Liebhaberei für das Klassische und Antike erfüllt, dem eben damals die Humanisten die Bahn brachen[162] und das sich auch bereits in die deutsche Kunst einzuschleichen begann, hatte sie ein griechisches Kostüm gewählt. Ein in der Taille durch einen goldenen Gürtel und an den Achseln auch von Juwelen und Gold blitzende Agraffen zusammengehaltenes weißes Atlasgewand umfloß sie bis auf die in purpurne Sandalen gekleideten Füße in malerisch nach ihren schönen Körperformen sich schmiegenden Falten. Darüber ein zweites Purpurgewand mit Gold besetzt, das über die rechte Schulter getragen die linke frei ließ und dafür unter dem Arm um die Hüfte sich breitete. Ein goldenes Diadem wand sich durch ihre Locken und im Arm hielt sie eine mit Blumen umwundene Lyra. Eine als Sterndeuter in einen schwarzen Talar mit in Silber darauf gestickten Sternen und Himmelszeichen gekleidete männliche Maske hatte sie zum Tanz aufgefordert und eine Zeitlang stumm im Reigen geführt, dann aber sie einmal so heftig an sich gedrückt, daß sie nur mit Mühe einen Aufschrei zurückhielt.

Anfangs sprach der Unbekannte nicht; jetzt flüsterte er ihr leise zu: »Elisabeth, erkennt Ihr mich wirklich nicht? Ich muß es schließen, weil Ihr nicht gleich wieder um Hülfe riefet und mich überfallen und wegweisen ließet, weil es Euch jetzt besser gefällt, statt die [163] Huldigungen eines tapfern Ritters anzunehmen, Euer Herz zwischen einen König, einen fahrenden Poeten und einen rohen Steinmetzgesellen zu theilen und das eheliche Treue gegen Euren ehrsamen Herrn Gemahl zu nennen.«

Elisabeth erkannte Eberhard von Streitberg – sie strebte sich von ihm loszumachen, und sah sich nach allen Seiten um, wie ihr das gelingen könne, ohne Aufsehen zu erregen, und ob sie nicht eine bekannte Maske sehe. Wohl gewahrte sie nicht gar weit von sich Konrad Celtes, der auch ein griechisches Kostüm trug und mit dem sie vorhin schon getanzt, aber nur wenig Worte gewechselt hatte, da sie seit seiner Rückkehr eine ernste Zurückhaltung gegen ihn beobachtet! aber ihn wollte sie am wenigsten zu ihrem Schutz herbeirufen – er sollte am wenigsten die Beschimpfung erfahren, die Streitberg einst der vertrauenden stolzen Jungfrau angethan, noch wollte sie diesem dadurch eine Bestätigung seiner eben ausgesprochenen Anklage geben, die ihr Blut fast erstarren machte. Sie wußte bereits, daß Streitberg wieder in Nürnberg war – Willibald Pirkheimer hatte Ulrich's Auftrag erfüllt und mit welch' feiner Gewandtheit er es auch that, die schon den künftigen Staatsmann zeigte – er hatte dabei [164] doch auch erzählt, daß er die Baubrüder auf dem Weg zum Kloster gesprochen, und die sinnige Elisabeth hatte den Zusammenhang geahnt. Sie war auf ihrer Hut, und darum auch heute zum ersten Mal zu einer öffentlichen Lustbarkeit gegangen, und zwar mit dem festen Entschluß, sich durch nichts dem Maskengewühl entlocken zu lassen, um jede ihr Gefahr bringende Annäherung Streitberg's zu verhindern. Auch wechselte sie ihren Anzug mehrmals, um nicht von ihm erkannt zu werden – und nun war es doch geschehen.

Als sie um sich sah, fielen ihre Augen auf die giftigen Blicke der Hallerin, die sie in ihrer Nähe in einer aufgeputzten, aber geschmacklosen Maske einer jüdischen Königin erkannte – und Elisabeth ahnete richtig, daß diese es war, welche Streitberg dazu verholfen sie zu erkennen.

Elisabeth fühlte sich unfähig ein Wort zu erwiedern – doppelt, da sie von ihrer Feindin sich beobachtet und belauscht sah; wenn sie nicht antwortete, konnte Streitberg doch vielleicht nachdenken, er habe sich getäuscht – sie ergriff den Arm eines Spielmannes, der eine Harfe im Arm eben an ihr vorüberkam, und sagte ihre Stimme verändernd:

[165] »Die Spielleute gehören zusammen!« und zog ihn mit sich in den Kreis der Tanzenden.

Streitberg aber gab seinen Arm einem zierlichen Blumenmädchen und rief Elisabeth nach: »Seid ohne Furcht – mich gelüstet nicht mehr nach Eurer Schönheit, die vor zehn Jahren sich mir bot; aus den Sternen kann ich's Euch weissagen, daß Ihr von der Liebe nichts mehr zu fürchten habt, sondern nur noch von dem Haß.«

In diesem Augenblick erklang lärmende Janitscharenmusik und ein großer Aufzug kam in den Saal. An seiner Spitze ein prächtig gekleideter Pascha, ihm nach eine ganze Schaar von Sarazenen. Einige, die den Zug als türkische Leibwache geleiteten, machten ihm durch das Maskengewühl Platz, so daß er gerade der Tribüne zuschritt, vor welcher eben Ursula zwischen dem Bären und Löwen stand. Der Pascha schlug den beiden Ungeheuern die Köpfe ab – und da es geschehen, sprangen ein paar Narren aus den Thierhüllen und suchten die Zuschauer durch allerlei Purzelbäume zu belustigen. Die Türken mit den musicirenden Janitscharen schlossen einen Halbkreis um ihren Pascha, der vor Ursula knieete und in sprechenden Pantomimen [166] zur Belohnung für seine Heldenthat um ihre Hand flehte.

Ursula erkannte Stephan in dem vor ihr Knieenden, und war dadurch nur um so mehr bestürzt über diese ganze Scene, in der sie so öffentlich und ahnungslos zur Heldin einer halb ernsten, halb komischen Aufführung gemacht worden war, wie sie dem Geschmack der damaligen Zeit entsprach. Diese öffentliche Schaustellung verletzte nicht nur die schüchterne Jungfrau, sondern erschreckte und quälte sie auch: denn was würden die Väter – was würde ganz Nürnberg dazu sagen? Nun war gewiß für sie und Stephan Alles verloren! –

In diesem Augenblick schlug es Mitternacht, und der Ceremonienmeister verkündete nach einem Tusch der Spielleute, daß alle Masken, Vermummungen und Bärte verschwinden müßten. Alle leisteten Folge – auch Ursula – aber ohne den Schleier zu heben; Stephan hielt die Zitternde an seiner Hand, und indem auch er die Maske abnahm, führte er sie vor den König Max, der sich von seinem thronartigen Sitz erhoben hatte und das Paar zu sich winkte.

»Der Maskenscherz ist vorbei!« begann der König; »weil mir aber die letzte Vorstellung gar absonderliches Vergnügen gewährt, so möchte ich, daß ihr Verfasser [167] und Hauptdarsteller, unser getreuer Kriegshauptmann Ritter Stephan von Tucher sich eine Gunst erbäte, die wir ihm gewähren könnten, und richten dasselbe Verlangen an die Heldin des Stückes, Jungfrau Ursula Muffel.«

Das Paar knieete vor den König nieder und Stephan sprach:

»So flehe ich die königliche Majestät mein Brautwerber zu sein bei dieser edlen Jungfrau und bei ihrem Vater!«

»Und was meint Ihr dazu?« fragte der König die erglühende Braut.

Sie wagte kein Auge aufzuschlagen und lispelte: »So möge Euer Majestät die Väter uns und einander versöhnen.«

Von gleichem Ingrimm ergriffen waren Hans Tucher und Gabriel Muffel herbeigeeilt, da sie die Namen ihrer Kinder nennen hörten, und beide ihren Ohren nicht trauten – sich zu verkleiden hatten die Rathsherren unter ihrer Würde gefunden, sie waren in ihrer besten Amtstracht und hatten nur vorher Larven getragen.

Der König winkte sie zu sich und sagte: »Wie diese Beiden den deutschen König nicht vergebens gebeten [168] haben, so werdet auch Ihr, gestrenge Rathsherren, uns und sie nicht vergebens bitten lassen, und nicht im Eigensinn gegen Euer eigen Fleisch und Blut wüthen, sondern das liebende Paar einander verloben, wie ich es selbst verlobe.«

Wie widerstrebend auch und mit welchen mürrischen Blicken, die Nürnberger Rathsherren hatten doch so viel Respect vor König Max und noch mehr vor dem öffentlichen Auftritt, daß sie gute Miene zum bösen Spiele machten.

Muffel sagte: »Ich habe nichts dagegen, wenn nicht Herr Tucher widerstrebt.«

Und dieser erwiederte: »Wenn seine Majestät die Wahl meines Sohnes billigen kann, so hebt das mein Bedenken auf« – und er warf doch dabei einen vielsagenden und verächtlichen Blick auf Muffel.

Stephan umarmte den künftigen Schwiegervater, und als der alte Tucher Ursula's weiße Stirn küßte und ihr so nahe in die thränennassen Augen sah, dachte er: Ich glaube wirklich, ich könnte keine sanftere Schwiegertochter bekommen – und das ist auch etwas werth, da er sie mir mit in das Haus bringt.

Alle Anwesenden brachten dem neuen Paar ein donnerndes Hoch – der König erklärte, daß die Hochzeit [169] noch stattfinden müsse, so lange er hier sei, und Kurfürst Friedrich von Sachsen erbot sich den Bräutigam in die Kirche zu führen, indeß Graf Ulrich von Würtemberg der Braut das gleiche Anerbieten machte.

Elisabeth und ihr Gemahl waren auch herzugekommen. Ursula lehnte sich an die Freundin und flüsterte: »Das ist Dein Werk!«

Elisabeth lächelte und warf einen Blick auf König Max, der ihn mit einem Anflug von Wehmuth erwiederte. Es war, als sagten sich diese Beiden: Ein Glück, das uns selbst versagt ist, haben wir Andern bereitet. Max hatte es doch einst besessen an der Seite Maria's von Burgund – aber Elisabeth sah es sich seit aller Zeit und für alle Zeit versagt.

Gleich darauf brachen die Fürsten auf, auch Elisabeth mochte nicht länger bleiben, indeß das Fest selbst bis zum Morgen währte.

[170]

8. Kapitel. Eine Hochzeit

Achtes Capitel
Eine Hochzeit

Nur wenig Wochen währte der in Eile berufene Reichstag.

Der Kaiser hatte schon vorher das bei Gelegenheit des Flandrischen Feldzugs so gut erprobte Aufgebot an die Reichsstände ergehen lassen, bei Verlust ihrer Lehen dem römischen Könige zu Hülfe zu ziehen. Aber die Berechnung, solche Aufgebote zur Gewohnheit zu machen, täuschte. Die Kurfürsten und Fürsten bewilligten zwar eine Halbjährige Hülfe von 8600 Mann, protestirten aber gegen die kaiserlichen mit Gebot und Zwang ausgerüsteten Mandate, erklärten diese Hülfe aus freiem Willen, nicht Kraft dieser Mandate zu leisten, und behielten sich das Recht vor, nach Gutdünken Geld zu zahlen oder Mannschaft zu stellen. Desgleichen erklärten sie sich gegen diese eilig berufenen Reichstage und bemerkten, daß sie unfruchtbar ausfallen müßten, wenn [171] nicht alle Stände des Reichs dazu aufgefordert würden. Daher wurden außer dem obigen alle andere Gegenstände der Verhandlung bis auf einen nächsten größern Reichstag vertagt, der auch zu besserer Jahreszeit gehalten werden sollte.

Stephan und Ursula mußten also mit der Hochzeit eilen, was auch Beiden ganz recht war, da der König selbst ihr beiwohnen wollte. In Muffel's Hause fehlte nun die mütterliche Frauenhand, die Vorbereitungen zu einem solchen Fest zu leiten, und es fehlte auch der Raum dazu, da der Würtemberger Fürst das Haus mit seinem Gefolge füllte. Darum bot Elisabeth Scheurl das ihrige dazu an und übernahm es die Hochzeit darin auszurichten.

War es doch fast allein ihr Werk, daß Ursula das Ziel ihrer Wünsche erreichte.

Wohl war Stephen Tucher von leidenschaftlicher Liebe für Ursula entflammt gewesen, und in der Trennung von ihr, im neuen Element des selbstgewählten Kriegerlebens hatte sich diese Flamme eine Zeitlang an süßen Erinnerungen und verlockenden Zukunftsträumen wie durch die Briefe der Geliebten genährt. Allein Stephan war eine vorwaltend sinnliche Natur und sein feuriges Temperament, durch keine sittlichen Grundsätze [172] oder wenigstens nicht durch eine vorwaltende Stärke derselben genugsam gezügelt, war nicht dazu geeignet, die Treue seiner Liebe in den Prüfungen der Trennung auf die Dauer zu bewähren. Ein Brief von ihm an Ursula, in dem er ihr geschrieben, daß sie ihren nächsten Brief nach Wien adressiren möge, war verloren gegangen; von einem Nürnberger Freund seines Vaters erhielt er die Nachricht, daß Ursula, um ihrem Vater zu gehorchen, ihm entsagen und in ein Kloster gehen wolle: da sie ihm nicht antwortete, erschien ihm dieser Umstand glaubwürdig – ja er glaubte ihm gern, weil eben eine verlockende Wienerin, in allen Stücken das Gegentheil seiner frommen und keuschen Ursula, ihn reizte. Der verführerischen Leidenschaftlichkeit einer üppigen Frau gegenüber erschien ihm Ursula's sittsame Jungfräulichkeit als Kälte und unnatürliche Tugendschwärmerei. Um seine wankende Treue zu rechtfertigen, sagte er sich, daß Ursula keiner wahren Liebe fähig sei, sonst habe sie ihm nicht widerstanden, da er sie entführen wollte, ihn nicht selbst fortgetrieben – jetzt führte sie dieselbe Ueberspannung in ein Kloster; er habe längst vorausgesehen, daß es mit ihr so kommen werde – wer hieß ihn auch eine solche Heilige zu lieben? Da war seine Wienerin ein ganz anderes lustiges Weltkind! In ihren [173] Armen vergaß er die stille Ursula und konnte bald darauf jenen Brief an seinen Bruder Anton schreiben, durch den er seiner Familie so viel Freude und seiner Ursula so viel Kummer bereitete – das letztere ebenso wenig ohne Absicht, als das erste; denn er dachte, wenn sie als künftige Nonne höre, wie leicht er sich über sie getröstet, werde dies eine verdiente Strafe für ihre übertriebene eiskalte Strenge sein. Denn mit dem ganzen Egoismus des gewöhnlichen Mannes fand er nun sein Betragen nicht nur ganz gerechtfertigt, sondern bemühte sich auch noch Ursula verdächtigen und verdammen und alle Schuld von sich auf sie wälzen zu können. Sie wandelte auf einem Irrpfad, und er ging allein den richtigen Weg durch's Leben.

Da kam ihm plötzlich die Kunde von dem Reichstag, der nach Nürnberg ausgeschrieben, und daß er mit Andern den König begleiten könne; er freute sich seiner Vaterstadt sich im Glanz der Ritterschaft zu zeigen und von seinen Heldenthaten erzählen zu können, denn er hatte sich in der That in mehr als einem Gefecht und Sturm durch persönliche Tapferkeit ausgezeichnet. Da er Abschied von seiner schönen Wienerin nehmen wollte, fand er sie in den Armen eines Andern – und jetzt erst erkannte er ganz den Werth einer leidenschaftlichen [174] Frau, die, weil sie dem Einen nicht widersteht, sich Jedem leicht ergiebt – indeß Stephan nur seiner Persönlichkeit und einem wahren Liebesfeuer diese Macht über sie zugetraut. Er schied mit Bitterkeit und Zorn im Herzen, die beide um so größer waren, da er eigentlich auf Niemanden weiter hätte zürnen sollen als auf sich selbst, und doch seinem Gewissen nicht vergönnen wollte, ihm dies mit deutlicher Stimme zu sagen.

So kam er nach Nürnberg. Ob er daselbst verbleiben oder dem König Max zu neuen kriegerischen Unternehmungen folgen wollte, war er noch unentschieden. Halb sehnte er sich nach der friedlichen Ruhe da selbst, nach dem weichlicheren Leben und dessen verfeinerten Genüssen, die er in der Vaterstadt zu finden gewohnt war; aber halb verknüpfte sich ihm auch mit diesem Wohnen bei seiner Familie und in der arbeitsamen Reichsstadt ein Gedanke von Langeweile, der ihn abschreckte. Das Kriegerleben hatte seine großen Gefahren und Strapazen – aber es ließ sie in immer wechselnden Bildern vergessen, es gab nicht nur Tage, sondern auch Wochen der Ruhe dazwischen, die in wechselnden Städten Abwechslungen und Genüsse aller Art boten; er wußte, daß er als Krieger sich ungestraft Manches erlauben durfte, was man dem Bürger der [175] Reichsstadt als Vergehen anrechnete – und so wollte er seinen Entschluß noch dem Zufall zur Entscheidung überlassen.

Von seiner Familie ward er ehrenvoll und herzlich empfangen, Niemand sprach mit ihm von Ursula, und er selbst mochte Niemanden nach ihr fragen – er wollte nicht den Unglücklichen spielen um eines Mädchens Willen, das, statt mit ihm zu fliehen, es vorgezogen hatte, die Braut des Himmels zu werden.

Nach einigen Tagen traf ihn Herr Christoph Scheurl, der, wie er damals der Vertraute seines Liebesverhältnisses gewesen und es begünstigt hatte, um dem stolzen Loosunger Tucher eine Demüthigung zu bereiten, jetzt sein Haupt immer höher hob, da der König bei ihm seine Wohnung genommen, dennoch jenen Plan immer noch mehr zu vervollständigen strebte.

»Nun, Herr Stephan,« sagte er, »meine Gemahlin hat täglich nach Euch gefragt und erwartet Euch in unserm Hause zu sehen, um den König für Euch und Ursula an sein gegebenes Wort zu mahnen.«

Da erst klärte es sich für Stephan auf, daß Ursula weder Novize noch Nonne geworden, sondern nur ganz zurückgezogen von dem Weltleben in Treue und Bangen seiner Rückkehr geharrt hatte. Stephan war bestürzt [176] und beschämt – er eilte zu Elisabeth. Er beichtete ihr nicht, er schob alle Schuld auf Ursula, die ihm nicht mehr geschrieben, an deren Standhaftigkeit er schon da habe zweifeln müssen, als sie sich geweigert mit ihm zu fliehen; er habe es glauben müssen, daß sie in ein Kloster gegangen, und gestrebt sie zu vergessen, da sie ihm nicht gehören könne.

Elisabeth wußte genug von Stephan und war genug Kennerin eines solchen Männerherzens, um zu verstehen, daß es ihm leicht geworden war, sich über Ursula's Verlust zu trösten – und daß er eigentlich weder die treue Liebe der reinsten Jungfrau, noch alle die Thränen verdiene, die sie um ihn geweint, noch alle die Schmerzen und Kämpfe, die sie um seinetwillen ausgehalten, und die ihr doch so schwer geworden, weil sie der eigene Vater ihr bereitet und ihr zartes Gewissen ihr immer vorwarf, daß sie ihm nicht so gehorsam war und ihn nicht so erfreute, wie er es von ihr forderte. Aber Elisabeth kannte ebenso wohl Ursula und das liebende Frauenherz. Sie wußte, daß diese nur in Stephan lebte, daß er ihr Ein und Alles war, daß sie selbst ihn niemals lassen werde, außer wenn er selbst sie von sich stieße, und daß es kein entsetzlicheres Geschick für sie gab. In dem Gedanken, daß Stephan [177] ihrer Liebe nicht werth sei, würde Ursula am wenigsten Trost gefunden haben – viel näher lag ihr der, daß sie nicht seiner werth war, sich selbst würde sie allein alle Schuld beimessen und mit peinvollen Selbstvorwürfen sich zu Grunde richten. War doch schon jetzt ihre sonst ungestörte Gesundheit dahin und ihr sonst blühendes Ansehen in ein bleiches gewandelt, das deutlich von geknicktem Lebensmuthe sprach. Darum ward Elisabeth Ursula's warme Fürsprecherin. Sie schilderte, was sie gelitten und noch leiden müsse in ihrer unwandelbar treuen Liebe – und in Stephan's Herzen wurden die alten Empfindungen wach. Noch mehr! er begriff, welch' andern Werth ein weibliches Gemüth habe, das so immer sich selbst getreu bleibe in seiner stillen, schönen Weise, als jenes leidenschaftliche Erglühen sinnlicher Frauen, das nur den Sinnen gilt und die Gegenstände wechselt. Ja auch der männlich ritterliche Geist wachte in ihm auf, der ihn anspornte, die schon feige aufgegebene Geliebte, die er nicht besitzen sollte, sich nun und plötzlich zu erobern. Schnell und kühn wollte er handeln, und ein Augenblick sollte Alles sühnen, um Ursula und den widerstrebenden Vätern zu zeigen, was er vermöge.

[178] Da kam wie gerufen Kunz von der Rosen zu dieser Unterredung. Er hatte Anfangs seine schöne Wirthin da er sie mit Stephan, dessen Glück bei den Frauen ihm bekannt war, abermals in Verdacht, daß sie wieder eine Prüfung ihrer Treue gegen den ungeliebten alten Gatten zu bestehen habe und Stephan vielleicht minder entschieden zurückweise wie Konrad Celtes. Aber schnell mußte er wieder anderer Meinung werden, als sie ihm zurief, er komme zur guten Stunde, um seinen klugen Rath zu ertheilen und einem langgeprüften Liebespaar zur schönen Vereinigung zu verhelfen. Nun erzählte sie ihm Alles – und wie König Max einst ihr und Ursula versprochen, ihnen beizustehen, wenn sie nach Stephan's Rückkehr dessen bedürfen würden.

Kunz war immer gern bereit mit seinem trefflichen Herzen und klugen Kopfe, Anderen zu ihrem Glück zu verhelfen – er sann ein Weilchen nach, und da man ihm die Frage bejahet, ob nicht in wenig Tagen ein Maskenfest stattfände, war er schnell mit seinem Plane zu Stande. Stephan sollte am Ende eines Fastnachtsspieles mit der Geliebten vor den König treten und von diesem öffentlich ohne Weiteres verlobt wer den. Er selbst wollte vorher Max dafür stimmen – und Elisabeth, meinte er, brauche ihn nur um seinen Beistand [179] zu bitten oder im Nothfall ihm die Nadel zu zeigen, so werde er gern ihren Wunsch erfüllen.

Es war ganz im Geiste dieser Zeit, die sich um zartere Frauenempfindungen wenig kümmerte, daß somit Ursula ohne ihr Wissen zur Theilnehmerin einer öffentlichen Darstellung gemacht ward, als auch, daß es eine Ueberraschung für sie sein sollte, ihr ersehntes Glück so plötzlich und ungeahnt zu empfangen – ja Kunz verlangte, sie solle auch bis dahin Stephan gar nicht sehen und im Ungewissen über seine Treue gelassen werden, um dann in ihm mit einem um so glänzenderen Lohn der ihrigen überrascht zu werden.

Allein die feiner fühlende Elisabeth drang in Stephan, Ursula wenigstens aus dem qualvollen Zustand zu reißen, in dem sie sich befand, seit sie von seiner Rückkehr wußte, ohne ihn gesehen zu haben, und in dem sie an ihn verzweifeln mußte. Und so eilte er heimlich zu ihr, sobald es geschehen konnte, gab ihr neues Leben und neue Hoffnung, ohne die ihr zugedachte Ueberraschung ihr zu verrathen.

Lag in dieser plötzlichen Entscheidung auf dem Maskenfest immerhin etwas Gewaltsames, so hatte sie doch gerade für Ursula das Gute, dadurch, daß sie ihr selbst ganz unvorbereitet kam, sie aller Bedenklichkeit [180] überhoben zu haben und auch ihrem Vater gegenüber vor allen Vorwürfen geschützt zu sein, die sie etwa verdient hätte, wenn sie ihm gegenüber in ein solch' heimliches Complot sich eingelassen. Im Grunde war auch Gabriel Muffel mit der Entscheidung ganz zufrieden, da sie der König herbeigeführt hatte, und dem Vater nichts übrig blieb, als zu gehorchen. Durch diese persönliche Theilnahme des Fürsten am Geschick Ursula's war ja auch ihr Vater geehrt, und keiner der Rathsherren konnte sich rühmen, eine größere Ehre erfahren zu haben. Er war dadurch gewissermaßen an Allen gerächt, die ihm noch immer durch schnöde Zurücksetzungen die That und das Geschick seines Vaters wollten entgelten lassen. Der reiche und stolzangesehene Stephan Tucher war ihm ein ganz erwünschter Eidam – nur mochte er ihn nicht durch eine Demüthigung vor seinem hochfahrenden Geschlechte erringen noch die Geringschätzung seines Vaters ertragen und sich nachsagen lassen, daß er ihm selbst die Tochter verkuppelt gegen den Willen seiner Familie. Nun waren mit Eins alle diese Bedenken weggefallen, der alte Loosunger mußte auch gute Miene zum bösen Spiele machen, und Gabriel Muffel durfte sich freuen, seine einzige Tochter glücklich zu sehen, um die er jetzt immer bekümmert [181] gewesen, wenn er ihr selbst auch oft gezürnt hatte, daß sie – unglücklich war.

So war es Ursula nun, als sei sie aus einem bösen Traum erwacht, als sei eine lange finstere Nacht vergangen und umspiele sie nur ein rosiger Sonnentag. In ihrem Herzen, im Hause überall sah sie nur Friede und Freude, wo vorher nichts als Kampf und Schmerz gewesen. Stephan bekannte ihr, daß er die Nachricht von ihrem Entschluß in's Kloster zu gehen, geglaubt und daß er versucht habe, sie in den Armen einer verbuhlten Wienerin zu vergessen – und über diese, wie über andere seiner Verirrungen leicht hinweggehend, machte er nicht nur Ursula sondern auch sich selbst glauben, daß er im Grunde seines Herzens ihr doch so treu gewesen, wie sie ihm – die keinen Augenblick aufgehört hatte an ihn zu denken und für ihn zu beten.

Ursula glaubte und vergab, und war selig in ihrer Liebe – sie hatte ja den Theuern wieder und war am Ziel ihrer kühnsten Wünsche.

So kam der Hochzeitstag heran.

Es war ein milder Februartag. Schon einige Tage vorher war der Schnee geschmolzen, und wenn es auch über Nacht wieder fror, so schien doch die Sonne schon warm und hell herab, als freue sie sich[182] selbst über den glänzenden Hochzeitstag, dem sie zur herrlichen Sebaldskirche leuchtete. Dergleichen war auch in Nürnberg noch nicht gesehen, wenn schon es immer viel von prächtigen und absonderlichen Aufzügen voraus hatte.

Voran schritten die glänzend geputzten Ceremonienmeister und Stadtmilizen, die dann außerhalb der Kirche ein Spalier bildeten, dem Zuge Platz zu machen. Dann kamen zwölf Jungfrauen aus den edelsten Geschlechtern Nürnbergs, die beiden Schwestern Pirkheimer, Beatrix Imhof und Andere – sie waren die Brautjungfern der Braut und trugen ihr brennende schön bemalte Wachskerzen vor. Ihnen folgte die Braut im reichsten Schmucke, den Stephan's Prachtliebe ihr gesendet; sittsam und bescheiden schritt sie einher, nur wissend, wie glücklich und geehrt, aber nicht wie schön und bewundert sie war. Ihren langen Schleppenmantel von schwerer weißer Seide mit Silber gestickt trugen Edelknaben, die ihr der Kaiser selbst gesendet, und ihre Hand ruhte in der des erlauchten Grafen Eberhard von Würtemberg. Mit warmer Leutseligkeit blickte der hohe Herr zu der zarten Jungfrau herab, und ein befriedigtes Lächeln ward trotz seines großen dunklen Bartes, der ihm den Beinamen gab, bemerkbar. Viel wohler war ihm so bei einem [183] bürgerlichen Familienfeste, das wirklich wenigstens zwei glückliche Herzen selig begingen und das seine Theilnahme ehrte, als bei prunkenden Hof-und Siegesfesten, die oft dem Volke nur Thränen kosteten oder mit seinem Blute erkauft waren.

Dann kam der stattliche Bräutigam Stephan in flimmernder Rüstung, den König Max noch vor wenig Tagen gleich seinem Wirth Herrn Christoph Scheurl öffentlich zum Ritter geschlagen und ihnen so die Adelswürde verliehen, die Stephan's Vater zwar schon für seine gedruckte Reisebeschreibung über den Orient erhalten hatte, aber doch nur für sich allein, während sie jetzt Stephan und Scheurl auch für ihre Nachkommen erhielten. Ihn geleitete Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, der immer bereit Frieden und Freude zu stiften und das Gute zu fördern, wo er es konnte, auch Stephan mit dem anfänglich grollenden Vater versöhnt hatte und nun durch seine persönliche Theilnahme, als wahrer Freund des Hauses sich zeigte, das er bewohnte.

Ihnen folgte der lange Zug der Verwandten und Gäste. Hans von Tucher führte Elisabeth von Scheurl, die als neue Edelfrau zwar weder stolzer noch prächtiger gekleidet einherschritt, als sie schon immer gethan, [184] aber heute vielleicht noch schöner war als sonst, weil der Strahl einer milden Rührung auf ihrer Stirn ruhte, mit der sie sich sagte, daß es ihr Werk war, daß die geliebte Ursula dies schöne Fest des menschlichen Lebens begehen konnte. Gabriel Muffel führte Frau Eleonore Tucher, Stephan's Schwägerin, und so folgten noch viele Paare, bis die Spielleute kamen, die lustige Weisen aufspielten, indeß vom Sebaldsthurme alle Glocken feierlich läuteten, bis der Zug durch die herrliche Brautthür die Weihrauch durchduftete, festlich geschmückte erhabene Kirche betreten hatte und Braut und Bräutigam am Hochaltar vor den trauenden Priester knieeten.

Eine große Menschenmenge war in der Kirche versammelt, und als Elisabeth um sich blickte, gewahrte sie Eberhard von Streitberg mit dem Propste Anton Kreß im Gespräch. Sie hatte jenen seit dem Maskenfest nicht wiedergesehen, denn wie schon vor diesem, seit sie nur wußte, daß er hier war, hatte sie jeden Ausgang vermieden, um ihm nicht zu begegnen, und ihn darum auch nicht wiedergesehen, noch von ihm gehört. Was wollte er immer wieder hier, wenn er nicht ihretwillen kam? was mußte sie von ihm fürchten? was hatte er mit dem Propst so angelegentlich zu reden [185] und dabei auf sie herabzublicken, als sei sie der Gegenstand des Gespräches? – Ihr grauete, und doppeltes Weh erfaßte sie an dieser heiligen Stelle, an der sie selbst ein frevelhaftes Ja zu dem ungeliebten Mann gesprochen, weil jener Einst-Geliebte sie um den Glauben an die Liebe und an die Männer betrogen hatte. Sie war froh, als die Trauung vorüber war und sie sich diesen Basiliskenblicken wieder entziehen konnte.

In ihrem Hause ward das glänzende Hochzeitsfest gefeiert, dem auch der König mit Kunz von der Rosen und andern seinen Rittern selbst beiwohnte. Auch der Markgraf von Brandenburg war erschienen und noch viele hohe Gäste, sammt Allen, die am Hochzeitszug sich betheiligt.

Auch Konrad Celtes war zugegen. König Max selbst hatte seine Gegenwart gewünscht und beschlossen, den Dichter ganz an sich zu fesseln, Elisabeth sah ihren Wunsch erreicht, ihr eigenes Streben dazu war mit einem glücklichen Erfolg gekrönt: in ihrem eigenen Hause sah sie den König und den Dichter vereint und sich nahe gebracht, wie sie schon vor zwei Jahren zu König Max gesprochen: »Mich kümmert es wohl, die beiden einzigen Männer, die ich als die edelsten ihres Geschlechtes verehre, berufen, dem gesunkenen deutschen Reiche wieder [186] aufzuhelfen, Hand in Hand wirken zu sehen und die neue Zeit heraufzuführen, der Alle, welche denken können, sich entgegensehnen.«

Elisabeth beobachtete gegen Celtes wie gegen den König eine gleich strenge Zurückhaltung – eine strengere als vordem. Weder dem Einen noch dem Andern hatte sie ein Alleinsein mit ihr gestattet, obwohl der königliche Gast in einer aufgeregten Stunde einen Versuch gemacht hatte. Sie hatte sich Kunz von der Rosen zu ihrem Schützer und vertrauten Freund gewählt und ihm darauf gesagt, daß sie von ihm fordere, dafür einzustehen, als des Königs kluger Rath, daß jener das Recht der Gastfreiheit nicht verletze, noch daß sie selbst genöthigt werde es zu thun. Kunz nahm dabei noch einmal vor der ernsten Frau die Narrenmütze ab und sagte, daß er sich freue, unter allen feinen Kunststücklein Nürnbergs das feinste bei ihr zu finden: das schöne Weib eines alten Gatten, das ihm, selbst dem schönsten und mächtigsten Herrscher gegenüber, die Treue bewahre – und er werde Alles aufbieten, daß solch' heilig Kunstwerk selbst unverletzt bleibe, ja unbedroht von jedem Vandalismus.

Seitdem war ihr der König mit erneuerter Achtung begegnet, und als sie an dem Hochzeitsfest, da er im[187] Gespräch mit Celtes war, in seine Nähe kam, rief er sie zu sich und sagte:

»Nun, edle Frau – seid Ihr nun mit mir zufrieden? Mir fiel eben ein, wie ich einst mit Euch tanzte und Euch versprach, jede Bitte zu erfüllen, die Ihr an mich richten möchtet: Ihr batet für das Brautpaar und für Konrad Celtes – für Euch selbst wußtet Ihr nichts, und endlich besannt Ihr Euch darauf, daß ich einmal in Eurem Hause wohnen möchte. Das ist geschehen und auch das Andere ist erfüllt: das Brautpaar ist heute vermählt und Konrad Celtes wird mich begleiten und im Dienste des römischen Königs Größeres noch wirken können, als in dem des Bischofs von Worms.«

»Majestät,« sagte Elisabeth, »verzeiht, wenn ich noch nicht die rechten Worte fand für meinen Dank!«

»Nicht Dank!« antwortete er. »Als ich Euch die Rose gab, sagte ich Euch, daß ich, wenn Ihr sie mich wiedersehen ließet, Euch jeden Wunsch erfüllen würde, den Ihr daran knüpft. Die Rose habt Ihr wohl mir immer zu Ehren getragen, aber einen Wunsch habt Ihr nicht daran geknüpft.«

»Ihr sagt es selbst,« antwortete sie, »daß Ihr heute alle meine Wünsche erfüllt habt – für mich selbst ist[188] nichts mehr übrig zu wünschen –« und zu hoffen! dachte sie dabei und lächelte befriedigt, weil sie vor uneingestandenen Schmerzen hätte weinen mögen. »Die Rose bleibt mir als Talisman,« fuhr sie fort, »wer weiß, welche Gnade ich noch einst damit von Euch erbitte – heute kann ich Euch nur danken für die schon erwiesene.«

Der König schüttelte mit dem Kopf und meinte, sie wolle nicht nur darum nichts von ihm erbitten, damit er nicht dafür zum Danke Unziemliches von ihr verlange – er wendete sich darum fast unwillig, weil er beschämt war von ihrer klaren Frauenhoheit, schweigend von ihr ab.

Konrad Celtes blickte sie wohl traurig an, aber er verstand sie doch nicht ganz – nur das weiche Gemüth in Kunz fühlte, welch' eine Tiefe von Schmerz und Entsagung sich hinter diesem stolzen Lächeln verbarg – er konnte sich nicht helfen: er mußte ihr die Hand drücken und dann einen Augenblick sich abwenden, damit Niemand die Thräne sähe, die in seinem Auge stand.

[189]

9. Kapitel. Verurtheilung

Neuntes Capitel
Verurtheilung

Im Benediktinerkloster hatte man den beiden Baubrüdern zu ihrem Nachtquartier eine gemeinschaftliche Zelle angewiesen, welche sich etwas gesondert von den eigentlichen Mönchzellen nahe am Thor bei der Wohnung des Pförtners befand.

Ermüdet von dem ziemlich weiten Weg, den sie zurückgelegt, und von der Arbeit die sie nach kurzer Ruhe vorgenommen, warfen sie sich bald auf das ihnen bereitete Lager.

»Neugierig bin ich,« sagte Hieronymus, »wie sich die Geschichte mit dem Sacramentshäuslein aufklären wird. Wer weiß, welche rohe Hand sich daran mag vergriffen haben.«

»Kaum kann es anders als in einem Anfall von Wahnsinn, einen Wuth-Paroxismus geschehen sein,« sagte Ulrich.

[190] »Wer weiß, ob nicht ein widerwilliger Novize oder ein Mönch, der vielleicht ein vorschnell abgelegtes Gelübde bereut, diese Empfindungen im tollen Frevel an dem Allerheiligsten ausgelassen; wer weiß, ob nicht der Abt schon etwas davon ahnte oder wußte und sehr ungelegen durch Dich an seine Pflicht erinnert ward,« bemerkte Hieronymus.

»Vielleicht erfahren wir es von dem Bruder Konrad,« antwortete Ulrich, »der schon unsere Ansicht ausgesprochen und doch damit zurückgewiesen worden war.«

»Hast Du ihn schon nach dem Bruder Amadeus gefragt?« begann Hieronymus nach einer Pause; »der Abt sagte ja, daß dieser noch einmal Bericht über das zerstörte Tabernakel ablegen sollte – und sagtest Du nicht, daß er an Geistesstörungen leiden solle?«

Ulrich antwortete: »Ich sprach nichts mit Konrad, was Du nicht gehört.« Nach einigem Besinnen fügte er hinzu: »Ich traf Amadeus in der Kirche und wollte ihm das Kreuz geben; da rief man ihn ab – ich konnte nicht wagen weiter mit ihm zu sprechen – er schien mir allerdings nicht recht bei Sinnen zu sein.«

Hieronymus sagte nur noch unter Gähnen: »Die Räthsel werden sich wohl lösen, es kommt ja immer Alles an den Tag – ich bin zu müde, um mir jetzt[191] noch lange den Kopf darüber zu zerbrechen.« Bald darauf ließ er ein lautes Schnarchen hören und bewies, daß der ermüdete Körper den Schlaf gefunden, den er bedurfte.

Ulrich bedurfte ihn wohl nicht minder, aber ihm blieb er fern. Er setzte sich in seinem Lager auf, stützte den wirren Kopf in die Hand, den Ellenbogen auf eine Strohschicht gestemmt, ob so vielleicht das emporgehobene Haupt ihm leichter werde und der Alp weiche, der auf seiner Brust zu ruhen schien. Das Bild seiner Mutter Ulrike, die er über Alles geliebt, stand vor ihm. Er rief es sich zurück in all' der zarten Sorge, mit der sie über seine Kindheit gewacht; er hatte den sanften schmerzlichen Zug der Entsagung nicht vergessen, der ihrem edlen Antlitz seinen eigenthümlichen Ausdruck gab, noch die ganze stille Würde ihres Wesens, mit der sie sich vor den andern Bäuerinnen seines Heimathdorfes auszeichnete, trotzdem sie die niedrigsten Arbeiten verrichtete gleich ihnen, ja oft das Schwerste vollbrachte, indeß der Vater ein faules Leben führte, ihr keine Arbeit erleichterte und nur that, was er mußte. Dieser war ein gewöhnlicher roher Bauer, der die Mutter mit Härte und den Sohn mit Gleichgültigkeit behandelte, oder sich gar nicht um ihn kümmerte. Es war darum [192] doppelt natürlich, daß dieser nur an der Mutter hing, es herausfühlte, daß sie unglücklich war, und darum, als ihm beide Eltern verschwunden, den Verlust des Vaters leicht verschmerzte, über den der Mutter aber lange Zeit untröstlich war. Sie war es auch gewesen, die ihn als Hirtenknaben dem Kloster zugeführt und immer gewünscht hatte, daß er von den weisen Benediktinermönchen mehr lernen möge, als außerhalb des Klosters dem Kinde eines Dorfes möglich war, in dem es keine Schule gab, noch sonst Jemanden, ein Kind zu unterrichten. Ihr eigenes sinniges Gemüth nur, das aus allen Werken und Walten der Natur das Schöne mit offenem Auge herausfand, hatte auch schon früh die Augen des bildsamen Knaben dafür geöffnet und damit den ersten Grund schon unbewußt gelegt zu seiner Liebe für die Kunst. Sechszehn Jahre waren nun seit der Trennung von dieser theuern Mutter vergangen. Man hatte ihn erst lange mit der Hoffnung hingehalten, daß sie wohl wiederkehren werde, und er hatte es sich selbst für unmöglich gedacht, daß sie ihn verlassen und nie wieder nach ihm fragen könne – und da es nicht geschah, nahm er an, sie sei todt, und wenn er dann betete, richtete er seine Gebete, statt an die Mutter Gottes, an [193] seine eigene verschwundene Mutter, die sich ihm zur Heiligen verklärt hatte.

Da mußte ihm, als er aus dem Kloster in die Bauhütte zu Straßburg ging, der Benediktinermönch Anselm den doppelten Glauben an seine Mutter durch das Gelübde zu rauben versuchen, das er ihm abnahm: nie nach seiner Mutter zu forschen, weil man Unwürdiges von ihr gesagt. Er hatte diesen Schwur gehalten, die Kunst selbst war ihm sein Alles; Mutter, Heilige, Geliebte, war seine Religion geworden; er hatte sich losgerissen von allen irdischen Banden, von allen Wünschen, Plänen und Hoffnungen, die nicht Hand in Hand gingen mit seinem kunstgeweihten Streben – und nun, seit er hier in Nürnberg war, kamen diese Mahnungen an seine Vergangenheit, an seine Mutter.

Der Propst Kreß und Amadeus sprachen von ihr wie von einer Unglücklichen, Verirrten, noch Lebenden – Amadeus nannte ihren Namen Ulrike. So gab es zwei Wesen auf der Welt, die dem Sohn von der Mutter Auskunft geben konnten – und vielleicht hatte er diese Auskunft zu scheuen, vielleicht weihete sie ihn der Schande, ward ihm zum Fluch! Was war denn Amadeus seiner Mutter, was war er denn ihm? Was redete er denn zu ihm von Liebe zu ihm, die ihn zu[194] einem Frevel getrieben – von Vatermord und Gericht? War es Wahnsinn? und war nicht etwas Ansteckendes in diesem Wahnsinn?

Als strecke der Wahnsinn in einer grausen Gestalt seine Krallen nach Ulrich, als setze er sich auf sein Lager, rückte ihm näher und näher und schaue unverwandt auf ihn mit hohlen Augen, aus denen rothglühende Blitze schossen – und als wandele er sich dann in die Gestalt des Mönches Amadeus – so war es Ulrich! Dann wieder sah er seine Mutter vor sich, die frommen Augen auf ihn gerichtet, segnend und betend, aber dann war er in der Bauhütte, die schwarz ausgeschlagen war; die Baubrüder umstanden ihn und spieen ihn an, und der Hüttenmeister zerbrach das Richtscheit über ihm, indeß der Pallirer sein Monogramm aus den Steinen kratzte – und dann hing sich Rachel, das Judenmädchen, an ihn – plötzlich erschien die stolze Elisabeth Scheurl und neigte sich über ihn – da war es, als wichen alle Dämonen und alle Qualen – sein Herz ward groß und ruhig.

Er wußte nicht, ob das Bilder waren einer wachen, zum Fieber erhitzten Phantasie, eines von mannigfachen Eindrücken geängsteten Gemüthes, oder eines Traumes, der seinen Schlaf beunruhigt – er ward sich nur bewußt, [195] daß von alledem Elisabeth's Bild der letzte und bleibende Eindruck gewesen – der Gedanke an sie war ihm durch die Begegnung mit Streitberg gekommen – und er hing ihm noch nach, um eine Weile Amadeus und seine Worte zu vergessen.

Am folgenden Morgen wohnten die Baubrüder der gemeinschaftlichen Messe mit bei, dann gingen sie still an ihre Arbeit. So verging eine Woche eintönig und ohne Unterbrechung. Amadeus sahen sie nicht, mit Niemand sprachen sie, nur mit Konrad wechselten sie zuweilen einige Worte.

Eines Tages gegen Mittag berief man sie in's Conclave.

Sie fanden alle Klosterbrüder versammelt. Der Abt saß in der Mitte vor einem schwarzbeschlagenen Eichentisch, auf dem sich Schreibgeräth und Aktenstücke befanden. Zwei Mönche saßen daran ihm zur Seite, die andern standen.

Als Alle versammelt waren, erhob sich der Abt und sagte: »Ich habe Euch Alle in einer traurigen Angelegenheit berufen müssen. Ein schweres Verbrechen ist in unsern Mauern, in unserer Kirche verübt worden; einer unserer Brüder hat es im Wahnsinn begangen. Höret die Mittheilung.« Er winkte dem beisitzenden[196] Mönch, und dieser las nach einer salbungsreichen Einleitung.

»Am ersten Tage des Hornung hatte der Bruder Amadeus die Nachtwache in der Kirche. Nach Mitternacht läutete er im Kloster, wo man läutet, wenn ein Feind in der Nähe ist, oder Feuer, oder dem Kloster irgend eine Gefahr droht. Bleich und zitternd vor Schrecken meldete er, daß während er sich in der Kirche an einem Seitenaltar befunden, plötzlich ein Krachen durch die Wölbung gegangen, alle Thüren zusammengeschlagen seien, wie eine Wolke von Staub neben dem Hochaltar aufgestiegen, und er dann hinzueilend gesehen, daß derselbe durch das Herabfallen des oberen Theils des Sacramentshäusleins entstanden. Wir eilten Alle in die Kirche und sahen das Werk der Zerstörung, sonst war nichts darin geschehen und Alles unverändert. Der Novize Konrad stellte auf, daß das Werk nur gewaltsam und von Menschenhand könne abgebrochen sein, aber Niemand konnte dem Glauben schenken. Es ward beschlossen, das Weihbrodgehäuse so schnell und schön als möglich wieder herstellen zu lassen und Einen aus unserer Mitte gen Nürnberg zu senden zu seiner Hochwürden dem Herrn Propst Anton Kreß, uns zwei Baubrüder zu senden. Bruder Amadeus bat um diese [197] Sendung als Gunst, und weil er der Erste gewesen, der die Zerstörung gesehen und den heftigsten Schrecken gehabt, so erhielt er den Auftrag, und da er am Abend zurückkehrte, schien er ihn auf's Beste ausgerichtet zu haben. Da behaupteten die herbeigerufenen Baubrüder, daß die Zerstörung nur von Menschenhand geschehen sein könne; wir beriefen Bruder Amadeus noch einmal genauen Bericht von ihm zu hören. Kein Verdacht hatte sich gegen ihn geregt. Er aber fiel auf seine Kniee und bekannte freiwillig, wie er sagte, durch die Worte Ulrichs von Straßburg im Gewissen getroffen, wie durch die Angst, daß man statt seiner einen Unschuldigen verdächtigen könne, daß er selbst mit eigenen frevelhaften Händen in jener Mitternacht das Kunstwerk herabgerissen und zerschlagen. Nichts hat er angegeben, was ihn zu der ungeheuren, himmelschreienden That verleitet haben könne – er hat die Größe seines Verbrechens eingesehen und ist darauf gefaßt, es mit dem Tode zu büßen. Da er aber schon früher, besonders vor anderthalb Jahren, Spuren und Ausbrüche von Wahnsinn gezeigt, und er sonst nichts begangen, wodurch man ihn einer solchen Versündigung an dem Allerheiligsten für fähig halten könnte, so ist nicht anders anzunehmen, denn daß ihn wieder der Wahnsinn ergriffen [198] hat. Er ist darum in seiner Zelle an die Kette gelegt worden und wird als Wahnsinniger behandelt werden. Alle Tage werden wir für seine Seele beten, damit der böse Geist von ihm weiche.«

Wohl Keiner hatte diesen Bericht ohne Schauer vernommen – aber am meisten war Ulrich davon ergriffen. War Amadeus ein Wahnsinniger? war er es nicht?

Gerade jetzt hielt ihn Ulrich am wenigsten dafür. Die Worte, die ihm so erschienen: »Sie holen mich in's Gericht« – und: »ein Mönch, der Euch sein Todesurtheil dankt« – die waren nun sehr klar und wahr. Denn war auch hier kein Todesurtheil ausgesprochen, so hatte Amadeus doch nach seinem Bekenntniß ein solches erwarten können, und das Schicksal, das ihm nun bereitet war, erschien ihm selbst jedenfalls härter als der Tod. Und waren nun die andern Worte auch klar und wahr: »Aus Liebe zu Dir beging ich den Frevel; ich wollte meine Hand segnend auf Deinen Scheitel legen – es ist meine Sühne, daß ich durch meinen Sohn sterbe!«

Kalte Schauer durchrieselten Ulrich – eine furchtbare Angst kam über ihn, eine gräßliche Empfindung, die er noch nie gekannt: vielleicht ein Verbrechen wider [199] die Natur begangen zu haben, da er nur meinte, daß er Worte der Gerechtigkeit geredet.

Konnte es denn sein? war denn Amadeus wirklich in einer Beziehung zu seiner Mutter gewesen? war er ihr Entführer vielleicht in jenem Kampfe, der die Mutter dem Sohn geraubt? oder hatten sie noch früher, ehe er denken konnte, ehe er war, einander nahe gestanden – war nicht jener Bauer, den er nie geliebt, sein Vater – war es dieser Mönch? Mußte er ihn dann hassen oder lieben? War er nicht der Urheber seiner und seiner Mutter Schande – und doch seines Lebens?

Wie sich kreuzende Dolche durchzuckten ihn diese Gedanken, schnitten in seine Seele, wühlten in seinem Herzen.

Draußen im Kreuzgang kam er in Konrad's Nähe. Wie im Vorübergehen drängte er sich dicht an ihn und sagte: »Ich muß Dich allein sprechen, wann kann es geschehen?«

»Ich komme zu Nacht in Deine Zelle,« antwortete Konrad.

»Nein – da ist Hieronymus mit.«

Konrad sah Ulrich verwundert an: wie mochte ein Baubruder dem andern nicht trauen? »Ich will darüber nachdenken und es Dir bei der Arbeit sagen.«

[200] »Aber verschieb' es nicht lange!« drängte Ulrich.

Mehr durften sie nicht wagen zusammen zu sprechen.

Ulrich's sonst so kräftige und geschickte Hände zitterten bei der Arbeit. Er vermochte kaum das Richtscheit gerade zu halten, noch den Meißel da hineinzusetzen, wo er ihn hin haben wollte. Hieronymus sah ihm verwundert zu. Aber Keiner sprach. Wie gestern arbeiteten die Mönche und Novizen mit ihnen.

Da sie von der Arbeit gingen, sagte Konrad zu Ulrich: »Komm um Mitternacht in die Kirche an das Tabernakel. Der Bruder Martin hat die Nachtwache, der stört uns nicht.«

»Ich komme gewiß!« antwortete Ulrich.

Als er mit Hieronymus wieder in der Schlafzelle allein war, sagte dieser: »Es ist doch eine sonderbare Geschichte mit dem Sacramentshäuslein – glaubst Du, daß der Mönch wirklich verrückt ist, oder daß man uns nur etwas damit weiß machen will?«

»Meinst Du?« gegenfragte Ulrich; »ich weiß nicht, was ich dazu denken soll. Nur ein Wahnsinniger scheint mir so etwas thun zu können, das gar keinen Zweck hat – oder könntest Du Dir hierbei einen denken?«

»Wenn es nun doch ein verzweiflungsvoller Mönch wäre, der das Leben nicht mehr ertragen könnte und[201] vielleicht unfähig zum Selbstmord etwas thun wollte, danach man ihn zum Tode verurtheilte?« sagte Hieronymus.

»Dann hätte er ja seinen Zweck nicht erreicht,« bemerkte Ulrich.

Sein Kamerad lächelte: Denkst Du, man wird sich begnügen ihn in Ketten zu legen, bis er etwa wieder zur Vernunft käme? Man wird ihn darin verhungern und umkommen lassen.«

»Meinst Du?« fragte Ulrich entsetzt.

»Ich müßte diese Mönchsjustiz nicht kennen!« sagte Hieronymus gähnend und legte sich ruhig schlafen.

Ja, er kann schlafen! dachte Ulrich; er ist ja unschuldig an dem, was dem Unglücklichen geschieht – er hätte vielleicht geschwiegen – nur ich enthüllte den Frevel und forderte Rechenschaft dafür – – Hieronymus kann schlafen – ihm sagt sein Gewissen nicht, daß er vielleicht einen Vater ermordet – ihn klagt das Wimmern dieses Verschmachtenden nicht an als seinen Mörder – und ihm ist nicht die Wahl geboten: nach einer entsetzlichen Enthüllung zu verlangen, oder ihr zu entfliehen und sich die Möglichkeit zu rauben, je Gewißheit über sich selbst zu erhalten. O du glücklicher Hieronymus!

[202] Zum ersten Mal stieg in Ulrich's edler Seele etwas auf wie Neid gegen ein anderes Wesen, und aus seiner Brust rang sich ein dumpfer Seufzer, indeß sein Kamerad friedlich und tief Athem holte im ruhigen Schlaf.

Leise erhob sich Ulrich, da es schon lange elfmal an der Klosteruhr geschlagen, und schlich durch den finsteren Kreuzgang in die Kirche. Der Mond, der sich zum letzten Viertel neigte, war eben aufgegangen und leuchtete durch die gothischen Fenstern herein, an denen Eisblumen aufblüthen, indeß silberner Schnee in den steinernen Bogen und Zacken hing.

Er trat in die Kirche. Konrad erwartete ihn schon an der bestimmten Stelle.

»Der Bruder Martin ist dort in der Ecke eingeschlafen,« sagte er, »wir können ungestört zusammen reden. Er ist ein guter Alter, der mir manchen Trost zugesprochen und manche Freundlichkeit gewährt. Dafür such' ich ihm wieder andere zu erweisen. Da er den Schlaf, ungern entbehrt, so habe ich schon ein paar Mal hier für ihn gewacht: aber da dies eigentlich kein Novizenamt ist, so muß er mit in der Kirche sein für den Nothfall; doch erfreut er sich auch in einem Kirchenstuhl eines gesegneten Schlafes. Es paßte gerade, daß er heute die Wache hat – sollte er wirklich erwachen und [203] Dich hier finden, so drückt er mir zu Liebe auch ein Auge zu; wir haben also in keinem Fall etwas zu fürchten. – Es freut mich, ungestört mit Dir plaudern zu können – aber mir schien auch, Du habest etwas Wichtiges auf dem Herzen. So rede!«

»Gewiß!« antwortete Ulrich, »und ich vertraue Dir – kein Baubruder wird den andern verrathen!«

»Meine Hand darauf!« sagte Konrad; »könntest Du in mein Herz sehen!« und er reichte ihm die Hand mit dem Drucke der freien Steinmetzen.

»Sage mir, was Du von Amadeus weißt!« bat Ulrich; »verhält sich Alles so, wie wir heute vernommen?«

»Alles,« antwortete Konrad.

»Ist Amadeus wirklich wahnsinnig?«

Der Novize zuckte die Achseln: »Ich kann es mir selbst nicht anders denken – doch möcht' ich auch keinen Eid darauf ablegen; ich habe ihn außerdem sehr vernünftig sprechen hören, doch bin ich noch kein Jahr im Kloster, und die Andern sagen, daß er früher schon solche Anfälle gehabt.«

»Und was wird nun sein Geschick sein?«

»Auf jeden Fall ein schreckliches; in dem finstern Loch an der Kette bei Wasser und Brod wird man ihn verschmachten lassen – vielleicht auch einmauern –«

[204] »O Gott! und ich habe ihm dies Loos bereitet!« rief Ulrich außer sich; »Du sagtest, daß Du schon auf die willkürliche Zertrümmerung aufmerksam gemacht und daß man Dir nicht glaubte; man wollte vielleicht diese schreckliche Strafe vermeiden – und nur durch mich ist der Schuldige gefunden und zum Opfer geworden!«

»Du sagtest ja selbst, daß ein solcher Frevel Strafe verdiene!« entgegnete Konrad verwundert.

»Im Eifer für die Kunst vergaß ich den Menschen!« seufzte Ulrich. »Kannst Du mir nicht helfen, diesen Amadeus zu sprechen.«

»Wozu sollte das führen? – es wird auch gar nicht möglich sein.«

»Konrad – ich beschwöre Dich – verrathe mich nicht! Hilf mir! Ich muß ihn sprechen – ich glaube, er ist ein Verwandter von mir. – Hast Du nie etwas von seinem frühern Geschick – seiner Herkunft gehört?«

»Daß er einst ein stolzer Ritter gewesen und vor ungefähr dreizehn Jahren in das Kloster gekommen, hat er mir selbst erzählt. Er habe schwere Sünde auf sich geladen gehabt und sich in diesem Walde das Leben nehmen wollen – da er aber das Schwert gegen sich selbst erhoben, habe ihm ein Mönch dasselbe entreißen wollen, so daß er sich nur verwundet; der Mönch, eben [205] der Bruder Martin, der dort schläft, hatte den Bewußtlosen mit in das Kloster genommen und hier den an der Wunde und einem hitzigen Fieber schwer Darniederliegenden verpflegt. Als er wieder zu genesen begann, blieb er im Kloster, um wenigstens für die Welt draußen todt zu sein, und ward Mönch, um seine Sünden zu büßen. Das hat er mir selbst erzählt, da er mich fragte, warum ich so jung schon Zuflucht in diesen Mauern suchte.«

»Du wolltest uns Deine Geschichte erzählen!« sagte Ulrich.

»Ich glaubte, Du habest mich darum hierher bestellt,« antwortete Konrad, »aber Du scheinst jetzt nicht aufgelegt, sie zu hören?«

»Doch« – versetzte Ulrich; »vielleicht gleicht sie der meinen.«

»Da sei Gott vor!« rief Konrad im schmerzlich abwehrenden Tone. »Aber ich kann Dir Alles mit wenig Worten sagen. Meine Mutter war eine Wittib in Regensburg, und da mich meine Liebe frühe zur Kunst zog, so lernte ich dort in der Bauhütte und ward in die Zunft der freien Steinmetzen aufgenommen. In dem Hause, in dem wir wohnten, hatte die Tochter unserer Hausfrau ein Auge auf mich geworfen, aber ich [206] wollte meinem Gelübde treu bleiben und folgte nicht ihren Lockungen, obwohl ich das Mädchen selbst lieb hatte und es mir manchen schweren Kampf kostete, in meinem Vorsatz fest zu bleiben. Das Mädchen war unglücklich und liebeskrank; ihre Mutter machte mir Vorwürfe und fragte, ob ich ihr die Tochter ermorden wolle oder nicht? Ich hatte keine andere Antwort, als meinen Schwur als Baubruder, der mich zum Cölibat verdammte – da sagte sie: dann wisse sie einen Rath. Ich blieb dennoch von ihr zurückgezogen. Nicht lange darauf erhielt meine Mutter eine gerichtliche Vorladung, deren Inhalt ich nicht erfuhr, und wieder nicht lange darauf ward mir in der Bauhütte angekündigt, daß man mich aus derselben stoßen müsse, denn meine Zeugnisse seien falsch gewesen: ich sei nicht von ehrlicher Geburt. Meine Mutter habe mich zwar für das Kind ihres Gatten ausgegeben – aber jetzt habe sie selbst auf Befragen gestanden, daß ich der Sohn des reichsten Nürnberger Patriziers Christoph Scheurl sei. Ich sei dadurch unwürdig bei der Genossenschaft freier Maurer zu bleiben. Um meiner Jugend Willen aber und weil ich noch in den untersten Graden sei, wolle man mich nicht mit Schimpf und Schande ausstoßen, dafern ich selbst meinen Austritt erkläre, um mich in ein Kloster zurückzuziehen. [207] So mußte ich diese Zufluchtsstätte wählen, um nicht als Geächteter einen ewigen Schimpf auf mich zu laden. So kam ich hierher. Das ganze Unheil hatte unsere Hausfrau angestiftet, der es bekannt war, daß kein unehrlich Geborener Baubruder sein durfte. Sie wollte dadurch ihrer Tochter und vielleicht mir selbst zum Glück verhelfen und dachte, ich könne als profaner Steinmetz mit ihr verbunden überall Arbeit finden – so hatte sie verrathen, was ihr meine Mutter schon einst vor vielen Jahren in einem Moment unbedachter Eitelkeit offenbart: daß ich eigentlich ein vornehmer Herr sein sollte, da ein Rathsherr von Nürnberg mein Vater. Ich aber flüchtete vor der Schande in's Kloster, deren Bestrafung auch nur dadurch meiner Mutter erspart blieb. Das unglücklich liebende Mädchen ist gestorben – und ihre Mutter hat durch dies gewaltsame Eingreifen so den Tod des eigenen Kindes und unser Aller Unglück verschuldet!«

Ulrich fühlte sich bei dieser Erzählung von kaltem Schauer geschüttelt – er war keines Wortes fähig, da der Jüngling geendet – umarmte ihn und sagte nur: »Bruder!«

»Du verachtest mich deshalb nicht?« fragte Konrad.

[208] »Nein!« rief Ulrich; »denn ich glaube mehr an den Gott der Liebe, denn an den der Strenge, der die Sünden der Väter an den Kindern heimsucht bis in's dritte und vierte Glied!«

»Dank Dir dafür!« antwortete Konrad. Nach einer Pause, in der jeder seinen Gedanken nachhängen mochte, sagte er: »Und warum willst Du zu Amadeus?«

»Ich muß ihn um Vergebung bitten« – sagte Ulrich; »er wollte mir etwas sagen vorgestern Morgen, als man ihn abrief – ich muß es wissen.«

»Vielleicht kann es morgen Nacht geschehen – verlaß Deine Zelle um Mitternacht, ich will Dich an Deiner Thür abholen, wenn es mir möglich wird, Dich in das unterirdische Gefängniß zu führen.«

So trennten sie sich, noch aufgeregter als wie sie gekommen.

[209]

10. Kapitel. Die Juden

Zehntes Capitel
Die Juden

Der Jude Ezechiel, der an dem Abend, wo eine Schaar von einer Zeche heimkehrender Handwerksgesellen ihn überfallen und gehänselt und die Baubrüder ihn beschützt hatten, von der Stadtwache mitgenommen und eingesperrt worden war, mußte mehrere Tage zur Strafe für seinen Gang durch die Stadt zu einer den Juden nicht vergönnten Stunde in einem düstern Loche zubringen, ohne daß sich weiter Jemand um ihn kümmerte.

Es war nicht das erste Mal in seinem Leben, und was ihn dabei jammerte, war nicht sowohl die Haft und der gräßliche Aufenthalt, als die Zeit, die er dabei für sein Geschäft verlor, und die Voraussicht auf die Schuldbuße, die er für sein Betreten des verbotenen Stadttheils zahlen mußte, ganz abgesehen davon, daß er schon auf der Gasse von den Gesellen so gut wie ausgeplündert worden war, und was er von seinen[210] Waaren noch selbst zusammengerafft, das hatte er dennoch nicht gerettet: denn was die Stadtsoldaten und Gefängnißwachen davon für sich verlangten, das mußte er ihnen geben, damit sie nur nicht gar zu unglimpflich gegen ihn verfuhren. Ein Trost war es ihm, daß Rachel entkommen und nicht mit ihm eingefangen war; das hübsche Mädchen wäre in diesen Händen wahrscheinlich einer rohen und schimpflichen Behandlung ausgesetzt gewesen. Aber worin dabei die Hauptfreude des Juden bestand, war, daß auf diese Weise doch der kostbarste Gegenstand, den der letzte Handelsgang in seinen Besitz gebracht, gerettet war: ein Ring von Gold mit einem ganzen Kranz herrlicher Edelsteine besetzt, den er seiner Tochter anstecken ließ, um ihn so unter deren wollenen Fausthandschuhen am sichersten zu wahren. Von dem Ritter von Streitberg, der wieder auf Weyspriach's Schlosse eingekehrt war, ehe er nach Nürnberg kam, hatte er diesen Ring zum Pfand gegen Darleihung einer ziemlich großen Geldsumme erhalten, die der Ritter bedurfte, um standesgemäß zur Zeit des Reichstags in Nürnberg zu erscheinen. Aber es sollte nur ein Pfand sein, das der Ritter versprochen in vier Wochen wieder einzulösen; bis dahin hoffte er das Geld zu erhalten – wenn nicht durch seine rechtmäßigen Einkünfte: durch [211] Straßenraub oder Glücksspiel, denn in dem damals noch nicht lange aufgekommenen Kartenspiel, das, ursprünglich als ein Kriegsspiel, eine beispiellos schnelle Verbreitung fand, wie denn in Nürnberg es bald eine ganze Zunft von Kartenmachern und Malern gab. Der Jude aber hatte schon oft erfahren, daß die Verfallzeit solcher Pfänder kam, ehe sie eingelös't waren, und daß auf diese Weise sich die besten Geschäfte machen ließen. Er hatte dieselbe Hoffnung auch in diesem Falle.

Indeß war Rachel in derselben Nacht, in der Ulrich sie beschützt hatte, durch die finstersten Gäßlein sich schleichend, wohlbehalten in ihre Wohnung gekommen, in der ihr Bruder Benjamin zurückgeblieben. Nicht ohne Mühe hatte sie den Schlafenden erweckt, der nun in dieser Winternacht die Seinen nicht mehr erwartet hatte.

Sie erzählte ihm, was vorgefallen. Der Bruder wunderte sich höchlich, daß sie christliche Beschützer gefunden und noch dazu hochmüthige Baubrüder, die da vollends meinten, wie er sich ausdrückte, aus ganz anderem besonderen Teige geschaffen zu sein, denn andere Menschenkinder. Rachel sagte ihm aber nicht die Namen derselben, noch daß sie schon seit früher sie kenne – alles, was sie hierauf bezog, war und blieb ihr Geheimniß.[212] – So wenig wie sie, so wenig wußte Benjamin einen Rath für den Vater; da er weiter nichts verbrochen, so hofften sie, daß man ihn nach einigen Tagen wieder entlassen werde, und daß ihnen nichts übrig bliebe, als ruhig auf ihn zu warten.

Erst am Morgen, da sich Rachel auf die Ereignisse der Nacht wieder besann, entdeckte sie mit Schrecken den Verlust des köstlichen Ringes, dessen sorgfältige Bewahrung ihr der Vater auf die Seele gebunden. Vergeblich suchte sie in ihrer Wohnung überall danach, wo sie ihre Sachen abgelegt. Hier war er nicht. Unterwegs konnte sie ihn nicht verloren haben, da sie die Handschuhe darüber getragen. Sie besann sich, daß sie diese in der Behausung der Baubrüder ausgezogen und erst an der Hausthür wieder an. Dort nur konnte er sein. Was blieb ihr anders übrig, als dort danach zu suchen, zu fragen?

Aber sie durfte sich nicht am Tage dahin wagen, auch hatte sie nicht den Muth, Jemand anders als Ulrich danach zu fragen, und darum mußte sie die Stunde des Feierabends abwarten. Indeß war es ihr unmöglich den ersten Tag auszugehen, sie fürchtete ihrem Bruder von dem Verlust zu sagen, und ohne genügenden Grund zum Ausgang ließ er sie nicht fort; es kamen [213] auch immer Leute, die es verhinderten, Judennachbaren und die ganze Sippe, die sich theilnehmend und wehklagend nach Ezechiel erkundigten. Endlich am zweiten Abend, wo Benjamin auch ausgegangen, konnte Rachel sich fortschleichen.

Aber als sie glücklich das Haus des Rädleinmachers Sebald erreicht und sich im Finstern die Treppe hinaufgeschlichen hatte, nun an der Thür lauschte, die zu den Baubrüdern führte, ob sie dieselben darin sprechen höre und ob sie allein seien – kam Frau Martha aus der entgegengesetzten Thür, einen brennenden Kienspan in der Hand. Als sie das Judenmädchen erkannte, stieß sie einen Schrei des Abscheues aus, dem bald die schrecklichsten Schimpfreden folgten.

»Verzeiht!« entgegnete Rachel zitternd; »ich wollte nur nach einem Ring fragen, den ich vorgestern hier verloren.«

»Das ist eine elende Finte!« rief Martha; »Du gemeine, freche Dirne! ich müßte nicht wissen, warum Du kommst! Aber Du kamst auf alle Fälle umsonst, denn beide Baubrüder sind weder hier, noch in Nürnberg, sondern heute in's Kloster zum heiligen Kreuz gegangen; dort wird Ulrich von Straßburg dafür Buße thun, daß er sich mit Dir eingelassen und Schimpf und [214] Schande über dies Haus gebracht – nie wird er wieder hierher zurückkehren. Nun weißt Du wohl genug – mache, daß Du fortkommst, Du schändlicher Balg!«

»O Gott!« rief Rachel; »Euer Schimpf trifft mich unverdient – ich kam um den kostbaren Ring –«

»Spare Deine Lügen, mir machst Du nichts weiß!« eiferte die Alte, »und wenn es wahr wäre, so laß Dir gesagt sein, daß Niemand von uns einen Ring aufheben wird, den Du verloren – wir haben weder Verlangen nach Hexengold, noch nach Sündenlohn. Unterstehst Du Dich wieder zu kommen, so lass' ich Dich vom Meister hinauswerfen und auf die Büttelei schaffen – heute will ich's noch selber thun!« Sie riß das Mädchen am Arme, gab ihr von hinten einen Fußtritt. der sie einige Stufen der Stiege hinabschleuderte, und spie nach ihr.

So ward Rachel vertrieben.

Das war das Resultat einer Stunde, die sie mit großen Schwierigkeiten erkauft und auf die sie ganz andere Hoffnungen gesetzt hatte. Die Behandlung, die sie erfahren, erregte ihren ganzen Zorn und alle Bitterkeit und Verzweiflung, über das Loos voll Schimpf und Qual, dem sie durch ihr ganzes Volk verfallen war, drohte ihr Herz zu zersprengen: dazu kam der Schmerz, [215] daß sie Ulrich nicht wiedergesehen, ihn nie wiedersehen werde, wenn er wirklich in's Kloster gegangen, um ein Mönch zu werden, wie sie denken mußte – und dazu kam noch ein anderer unklarer Gedanke, indem hinter einem tiefen Weh doch eine heimliche Freude lauerte: war er in's Kloster gegangen – um ihretwillen? um zu büßen – oder um sich zu bewahren? – Und diese Fragen verscheuchte wieder die Angst: was der Vater sagen werde, wenn sie gestehen mußte, daß der Ring verloren.

So waren die verschiedensten Empfindungen in ihr aufgeregt und alle waren sie quälender Art. Da hörte sie, nachdem Benjamin Erkundigungen nach dem Vater eingezogen, daß er zu zwei Wochen Gefängniß bei Wasser und Brod im finstern Keller und zu einer großen Geldbuße verurtheilt sei wegen nächtlicher Betretung eines um diese Stunde den Juden verbotenen Stadttheils und Betheiligung am nächtlichen Unfug. Natürlich war das nur bittere Nachricht für die Kinder, die an dem Vater hingen, und doppelt, weil sie wußten, wie viel er schon unter dem nächtlichen Unfug gelitten und wie wenig er ihn selbst verschuldet. Aber sie waren es schon gewohnt, daß da, wo Juden und Christen zusammen gekommen waren, allemal gegen die Juden [216] entschieden ward, auch wenn das Recht auf ihrer Seite sonnenklar gewesen.

Inzwischen kam die alte Jacobea mehrmals und fragte nach Ezechiel. Rachel haßte die Alte, von der sie wußte, daß sie sich immer nur zu bösen Anschlägen gebrauchen ließ, und suchte sie immer kurz mit dem Bemerken abzuweisen, daß ihr Vater wohl noch lange im Gefängnisse schmachten müsse; wenn er frei sei, möge er selbst zu ihr kommen, wenn sie Nöthiges mit ihm zu reden habe.

Die Alte, welche dem Mädchen mißtraute, ging trotzig fort, und kam dennoch wieder gleich am Tage nach Ezechiel's Freilassung. Rachel hatte nichts von ihr gesagt. Jacobea sagte ihm dies als neuen Beweis, daß seiner Tochter nicht zu trauen sei – und drang darum in ihn, mit ihr unter vier Augen zu sprechen und Rachel nicht erfahren zu lassen, was sie jetzt verhandelten.

Dann sagte sie ihm, daß der Ritter von Streitberg bei seinem jetzigen Herritt nach Nürnberg demselben Baubruder, Ulrich von Straßburg, begegnet sei, den er gehofft habe im Kampf um die Frau Scheurl ermordet zu haben. Oder vielmehr, er nannte uns Lügner, die wir ihm die Nachricht von seinem Tode gebracht hatten, [217] den wir damals doch wirklich glaubten, oder dann doch wenigstens hofften, daß er an den Wunden auf dem langen Krankenlager sterben, oder doch wenigstens zeitlebens ein Krüppel bleiben werde. Zweimal also hatte er ihn als seinen Beleidiger und als den Beschützer der Scheurl getroffen – und jetzt war dieser kaum seiner ansichtig geworden, als er auch schon dem Junker Pirkheimer einen Auftrag an sie gegeben, der es deutlich verrathen habe, daß sie in genauen Beziehungen zu einander ständen. Und da ich eingestehen mußte, daß es uns voriges Jahr noch nicht gelungen, einen Makel auf seine Geburt und seine Mutter zu werfen, so hat er nun einen neuen Racheplan ausgedacht, Beide zusammen zu verderben: dem Paare Gelegenheit zu heimlichen und verbrecherischen Zusammenkünften zu geben, und sie da Beide der Rache des Gatten und der öffentlichen Schande preiszugeben, die für sie doppelt groß ist, mit einem Steinmetzgesellen sich eingelassen zu haben – ihn aber träfe harte Strafe und wahrscheinlich Ausstoßung aus der Bauhütte.

Ezechiel schüttelte den Kopf und meinte, daß dies eine Sache sei, die gar nicht in sein Geschäft schlage, mit der er sich darum nicht einlassen könne und sie allein der klugen Jacobea überlassen müsse.

[218] »O was Ihr kurzsichtig seid!« rief diese; »hätte das in meinem Leben nicht von dem weisen Ezechiel gedacht! Aber freilich, das Eine könnt Ihr nicht wissen, wenn Ihr nicht selbst darauf gekommen seid, weil in dem Ring, den Euch Streitberg gegeben, ein E B steht.«

»So genau hab' ich mir noch gar nicht angeschaut den Ring,« versetzte der Jude.

»E B,« wiederholte Jacobea: »das heißt Elisabeth Behaim – den hat sie als Mädchen dem Ritter von Streitberg gegeben. Da sie nun nichts mehr von ihm wissen will, so wird ihr sehr viel daran liegen, wenn sie ihn wieder in ihre Hände bekommt. Gehet darum damit zu ihr – sag't ihr, daß ihn Euch Streitberg zum Pfande gegeben, und daß Ihr ihr ihn für dasselbe Geld lassen wollt – wenn ihr damit gedient sei.«

»Lassen für dasselbe Geld?« rief der Jude; »oho! ich glaube, da ist zu machen ein gutes Geschäftchen!«

»Das mein' ich wohl auch!« rief Jacobea; »es ist, als hättet Ihr in einen Glückshafen gegriffen, daß der Ring in Euren Händen. Dadurch, daß ihr ihn ausliefert, erwerbt Ihr Euch das Vertrauen der stolzen Frau – und dadurch, daß sie sieht, Ihr wißt ihr Geheimniß, hab't Ihr sie schon ganz in den Händen. Wer einmal eins von einer solchen Frau weiß, dem [219] vertraut sie auch noch ein zweites an. O müßt' ich nur nicht fürchten, von ihr erkannt zu werden, ich wollte diese Sache vortrefflich anfangen! Ihr redet dann von Ulrich von Straßburg, sag't, wie Euch sein Schwert beschützt, und daß Ihr ihm zu lebenslänglichem Dank verpflichtet seid –«

»Meint Ihr das nicht im Ernst?« fragte Ezechiel.

»Ei ja doch! dafür, daß er Euch der Wache übergab und ihr so schwere Strafe bekommen hab't!« lachte Jacobea höhnisch.

In dieser Weise ging die Unterredung noch eine Weile fort und in's Genauere ein im Hin- und Herberathen.

Als Jacobea fort war, verlangte Ezechiel von Rachel den Ring: es war ihm gar nicht eingefallen, daß er nicht da sein könnte, er hielt ihn für gut aufgehoben bei den andern Kleinodien.

Da mußte Rachel das Geständniß machen, daß sie ihn verloren.

Ezechiel brach in Jammer und Wuth darüber aus; erst hielt er es für unglaublich – ja er glaubte, Rachel könne irgend wodurch geahnt oder gehört haben, daß Jacobea irgend einen Plan mit dem Ringe verbinde, und ihn deshalb verstecken, weil sie immer nichts von [220] der Alten wissen wollte und es schon eben jetzt auf's Neue durch ihr Betragen bewiesen; aber die Tochter schwor hoch und theuer, daß sie nicht wisse, wo der Ring hingekommen, und gestand endlich, daß sie ihn im Hause des Meisters Sebald verloren, in das sie sich geflüchtet, weil aus diesem die Baubrüder gekommen, die ihnen geholfen hätten und die sie dann auch ein paar Stunden in einer finsteren Kammer versteckt, bis es draußen ruhig geworden und sie sicher habe nach Hause gehen können. Und dort und nirgend anders könne sie den Ring mit dem Handschuh abgestreift haben. Daß ihr die beiden Baubrüder und ihre Wohnung schon von früher gar wohl bekannt, verschwieg sie, wie es auch immer ihr alleiniges Geheimniß geblieben war, daß sie in Männerkleidern während Ulrich's Krankheit häufig dahin gegangen war und ihm allerlei Unterstützungen gebracht hatte – Gegenstände, die sie freilich ihrem Vater veruntreut: aber doch nur so, daß sie vorgab, dieselben in seinem Trödlerkram verkauft zu haben und das Geld dafür behalten zu dürfen bat, um es zu irgend einem Bedürfniß, Kleidungsstück oder dergleichen für sich verwenden zu dürfen; denn eine solche Bitte schlug ihr der Vater niemals ab, der sie gern geputzt sah, um den Reichthum des Vaters zu bezeigen – natürlich [221] nicht auf der Straße, wo dergleichen den Juden verboten war und Ezechiel sich auch immer den Christen und besonders der christlichen Obrigkeit gegenüber arm zu stellen suchte, damit er nicht noch mehr von ihr gebrandschatzt würde, sondern bei den jüdischen Festen, die sie nur in ihren Häusern und in der Synagoge, allein unter ihren Glaubensgenossen feierten.

Wohl aber erzählte sie, daß sie die Baubrüder Ulrich und Hieronymus nach dem Ringe habe fragen wollen, daß sie aber von deren Mutter Martha mit Schimpf empfangen und zur Treppe hinabgeworfen worden sei – zugleich auch die Nachricht erhalten habe, daß die beiden Baubrüder in's Kloster zum heiligen Kreuz gegangen seien.

»Gewiß hat die Alte den Ring und verhehlt ihn nur, um selbst damit zu machen ein gutes Geschäft; diese Christen denken ja noch obendrein, daß es verdienstlich ist, den Juden abzujagen so sauer erworbenes Gut. Du hättest laufen sollen zu allen Goldschmieden Nürnbergs und beschreiben den Ring, damit keiner ihn etwa kaufe, sondern der Frau abnehmen, wozu sie auf unrechte Weise gekommen.«

»Ich wußte ja nicht, ob Jemand wissen durfte, daß der Ring uns anvertraut worden sei,« sagte Rachel.

[222] »Ach, wenn es sich handelt um einen so großen Verlust, darf man sich von keinem Bedenken abhalten lassen, wiederzukommen zu seinem Kleinod oder dem Geld,« belehrte der Vater.

»Die Baubrüder sind ehrlich,« sagte Rachel, »und wenigstens Ulrich von Straßburg kennt kein Ansehen der Person; wenn der den Ring hat gefunden, so giebt er ihn uns ganz gewiß wieder heraus.«

»Hast ein gutes Zutrauen zu diesen christlichen Bauleuten!« höhnte der Alte; »das sind die Rechten.«

»Sie haben uns ja geholfen –«

»Nur um mit den andern Gesellen Streit anzufangen und mich in's Loch zu bringen – schöne Hülfe!«

»Nein, daran sind sie unschuldig; ich danke meine Rettung ganz allein diesem Ulrich; er hat mich nicht nur auf der Straße, er hat mich auch im Hause vor der rohen Frau beschützt. Wenn er weiß, wo der Ring hingekommen, so hilft er uns zu unserem Eigenthum – darauf schwör' ich!«

»Du redest, wie Du es verstehst! Wenn ihn hat der Ulrich, so ist das gerade das allergrößte Unglück. Der giebt ihn der Scheurlin – und dann sind wir Alle geprellt.«

Rachel starrte den Vater fragend an.

[223] »Hast Du nicht gesehen, daß in dem Ring ein E B steht? Er hat einst Elisabeth Behaim gehört. Daran wird der Ulrich gleich denken, mit dem sie sich eingelassen, und wird ihr ihn geben« – – Aber Ezechiel besann sich, daß er eben Jacobea versprochen, seine Tochter von ihrem Plan nichts ahnen zu lassen, und so schwieg er. Er hatte sich niedergesetzt, die Ellenbogen auf den Schooß gestemmt und den Oberkörper vorgebeugt hatte er sein runzliches Gesicht in die Hände gedrückt, daß nur der lange Bart darunter hervorwallte, und so saß er da und sann nach, wie er diese Sachen noch leiten könne. Nach langem Schweigen sich wieder aufrichtend sagte er:

»Vor allen Dingen mußt Du doch zu den Goldschmieden gehen und fragen, ob ihnen Jemand hat zu verkaufen gebracht den Ring oder wirklich verkauft.«

Rachel schickte sich an zu gehorchen, ohne weiter ein Wort zu erwiedern. Aber auch sie hatte dabei ihre stillen Gedanken. Was redete da der Vater von Ulrich und der Scheurl? Was wußte er weiter, was konnte er wissen, als daß damals der Baubruder sein Leben gewagt, und war das doch auf ihre, Rachel's Veranlassung geschehen, hatte doch damals erst Ulrich noch erklärt, daß ihm die Scheurl nichts anginge, und daß[224] lieber Rachel selbst sie warnen möge – nur auf ihre Bitten hatte er Jener sich angenommen. Dann, wußte sie, waren Beide, Elisabeth wie Ulrich, gleichzeitig über ein halbes Jahr in Todesgefahr gewesen und hatten so in keiner Weise einander sich nähern können. War es nachher geschehen – oder dachte es nur ihr Vater, hatte nur Streitberg diesen Verdacht? Rachel war wohl selbst noch unschuldig und rein geblieben; aber in der gemeinen Sphäre, in der sie lebte, in der sie nicht nur selbst die gemeinsten und unsittlichsten Dinge geschehen sah, sondern es oft mit anhören mußte, wie gerade die christlichen Vornehmen der Stadt niedere Buhlschaft trieben und zur Ausführung dahin führender Bubenstücke sich ihres Vaters oder der alten Jacobea bedient: da hatte sie gerade keinen großen Respect vor der Unschuld und Tugend der honetten Nürnberger. Elisabeth's hohe Schönheit und die Art von Stolz und Freiheit, mit der sie sich über manche hergebrachte Form hinwegsetzte, hatten schon zu manchem nachtheiligen Gerücht über sie Veranlassung gegeben – und seit jetzt König Max, der sie bei seinem ersten Hiersein so öffentlich ausgezeichnet, gar in ihrem eigenen Hause eingekehrt war, nannte sie der gemeine Volkshaufe seine heimliche Buhlerin, und fand eine neue Bestätigung dafür darin, [225] daß ihrem Gatten der König den Adel verliehen. Freilich war es nun ein weiter Abstand von dem höchsten Haupte in Deutschland, das die römische Königskrone trug und dazu bald auch die deutsche Kaiserkrone fügen würde, bis zu dem armen Steinmetzgesellen herab, der nichts sein nannte – nicht einmal einen Namen. Aber für Rachel erschien dieser Abstand ausgeglichen – in ihren Augen gab es keinen edleren, herrlicheren Mann als diesen Baubruder – sie fand es ganz in der Ordnung, wenn das Weib, für das er sein Leben gewagt, ihn in ihr Herz geschlossen hatte; aber eben so überzeugt war sie von Ulrich's hohem sittlichen Werth, daß er weder sein Gelübde der Keuschheit verletzen, noch gar ein ehebrecherisches Verhältniß eingehen werde. Was sie jetzt von ihrem Vater gehört, hielt sie für Lüge, und nur das für möglich, daß zwischen Elisabeth und Ulrich ein Band der Dankbarkeit sich geknüpft haben könne – wie ja auch zwischen ihm und ihr selbst, und daß es jetzt mehr als je ihre Pflicht sei, Alles daran zu setzen, Ulrich vor den finstern Plänen zu behüten, die jedenfalls gegen ihn im Werke waren, und wieder unter der eigenen Betheiligung ihres Vaters – wenn nicht Ulrich dagegen schon Schutz im Kloster gefunden. Aber bei der Vorstellung, er könne für immer dahinein gegangen [226] sein, empfand Rachel doch einen heißen Schmerz, der ihr bittere Thränen erpreßte: denn dann sah sie ihn ja niemals wieder und konnte die Schuld der Dankbarkeit nicht abzahlen, die sie gegen ihn empfand.

Dies Alles überlegend war sie in die Stadt und in die Goldschmiedsstraße gekommen, wo die meisten Gold- und Silberarbeiter wohnten. Die meisten von ihnen machten mit den Juden heimliche Geschäfte, und so war bei ihnen die Jüdin weder eine fremde, noch gar zu mißliebige Erscheinung. Aber bei Allen erhielt sie auf ihre Frage nach dem Ringe dieselbe Antwort. Es hatte keiner einen solchen zu sehen bekommen, und so beschrieb sie ihn nur für den Fall, daß ihn etwa später noch Jemand zum Verkauf böte.

Dann ging sie auch in die Winklerstraße zum Goldschmied Albrecht Dürer. Er war nicht allein. Sein alter Freund, der Harfenschläger und Mechaniker Hans Frey, war bei ihm, so wie der Junker Willibald Pirkheimer. Vater Dürer hatte gestern einen Brief von seinem Sohn Albrecht erhalten, der nun seit länger als einem Jahre in Calmar lebte, wo er den berühmten Maler Martin Schöngauer zwar nicht mehr am Leben gefunden hatte, aber von dessen Brüdern Schön (Schöngauer war nur der angenommene Künstlername des [227] Malers) herzlich aufgenommen worden war. Jetzt wollte er seinen Wanderstab weiter setzen und in deutschen Landen lernen, um in ein paar Jahren wieder nach Nürnberg zurückzukehren. Ein Brief des Lieblingssohnes war immer ein Ereigniß in dem Leben des Vaters Dürer von größter Wichtigkeit und Freude, und um diese mit Andern zu theilen, von denen er wußte, daß sie den Jüngling eben so herzlich liebten, hatte er Frey und Willibald zu sich rufen lassen, damit sie auch mit von Albrecht hörten. Willibald war der geeignetste Vorleser für die Worte der ihm wohlbekannten Freundeshand.

Die Drei sahen nicht eben freundlich auf, als durch den Eintritt des Judenmädchens eine Störung in ihre Vorlesung kam. Kurz beantwortete Meister Dürer ihre Frage nach dem Ringe mit Nein.

Dennoch zögerte Rachel zu gehen; sie hatte vorhin Willibald von dem alten Frey Junker Pirkheimer nennen hören, und besann sich, daß sie ihn früher in Ulrich's Gesellschaft gesehen – wer weiß, wußte nicht dieser, was ihn in's Kloster getrieben, denn sie selbst wußte nicht, daß Willibald inzwischen von Nürnberg entfernt gewesen. Sie faßte sich darum ein Herz und sagte sich an ihn wendend:

[228] »Verzeiht, Junker Pirkheimer, aber mich dünkt, daß Ihr mit dem Baubruder Ulrich von Straßburg bekannt seid; er hat uns in großer Gefahr beigestanden, und mein Vater möchte ihm gern einen Theil seiner Dankesschuld bezahlen; er ist jetzt nicht in Nürnberg, und wir wüßten gern, ob und wann er wieder hierher zurückkehrt.«

Willibald maß das Mädchen mit verwunderten Blicken – einmal, daß die Jüdin es überhaupt wagte, ihn anzureden, und dann, daß sie nach einem Baubruder fragte. Er antwortete kurz: »Wann er wieder zurückkommt, weiß ich nicht. Jetzt ist er wohl noch auf Arbeit im Benediktinerkloster zum heiligen Kreuz, in das er mit seinem Kameraden berufen ward.«

Rachel wußte genug, dankte und ging. Mit dieser Nachricht kam sie heim. Ihr Herz war leicht, denn Ulrich war nicht in's Kloster gegangen, um Mönch zu werden! Ihrem Vater brachte sie die gewisse Kunde, wo er war und daß er später, aber wohl noch nicht gleich zurückkehren werde.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren,« sagte er, »wir müssen in's Kloster – die Baubrüder müssen uns Rede stehen, ob sie nicht gefunden den Ring; wenn sie [229] nicht gutwillig Rede stehen, muß es versucht werden mit List und Drohung.

Rachel's Augen strahlten von der Hoffnung Ulrich wiederzusehen. Zuversichtlich sagte sie: »Mit Drohung richtet Ihr bei dem nichts aus – laßt mich ihn bitten, und er wird uns den Ring geben, wenn er ihn gefunden, oder wenn ihn Jemand sonst im Hause hat, versuchen, uns dazu zu verhelfen.«

[230]

11. Kapitel. Vater und Sohn

Elftes Capitel
Vater und Sohn

Wieder waren mehrere Tage nach jener nächtlichen Unterredung zwischen Ulrich und Konrad vergangen, und die Wiederherstellung des Tabernakels beinahe vollendet, als der Novize zu dem Baubruder sagte:

»Diese Nacht wird es möglich sein. Warte um Mitternacht vor Deiner Thür – ich hole Dich ab sobald ich kann.«

Schon lange vor dieser Zeit, sobald Ulrich merkte, daß Hieronymus fest schlief, der einen gesunden festen Schlaf hatte und nicht eher aufwachte, bis zur gewohnten Stunde zum Aufstehen, wenn er nicht mit Gewalt geweckt ward, stand er vor seiner Zellenthür. Heute schien der Mond nicht mehr, es war ganz still und finster im Kloster.

Todtenstille – Finsterniß und Kälte – es war eine schaurige Nacht!

[231] In Ulrich nur pochte es laut und heiß von den Schlägen seines Herzens, wenn auch kalte Schauer ihn überrieselten – und die Finsterniß, die über seinem Leben lag, drohte ein schreckliches Licht zu erhellen, das vielleicht zur Brandfackel werden konnte, all' seine Zukunftspläne und Hoffnungen zu verzehren! War es kein Frevel, daß er selbst die Hand danach ausstreckte und nach den Funken dieses schrecklichen Lichtes begehrte?

Er fühlte, er konnte und durfte nicht anders handeln.

Endlich kamen ganz leise Tritte; er rührte sich nicht, bis eine leise Stimme rief: »Ulrich, komm! Wo ist Deine Hand?«

»Konrad, hier!« antwortete Ulrich eben so leise und reichte ihm die Hand.

»Ich muß Dich führen,« flüsterte jener; »wir haben einen weiten Weg, aber sprich nicht und halte Dich nur an mich. Tappe nicht an den Wänden, Du könntest Thüren streifen, hinter denen man nicht fest schliefe; es wäre schlimm für uns Beide, wenn man uns entdeckte.«

»Du wagst so viel um meinetwillen!« seufzte Ulrich.

»Wir sind Baubrüder!« antwortete Konrad; »ich halte fest an dem Gelübde von einst! – Aber nun still, keinen Laut mehr!«

[232] So wandelten sie schweigend weiter durch die finstern Gewölbe. Bald schienen es, dem Hall der Fußtritte nach, obwohl Beide mit bloßen Füßen wandelten, weite Hallen zu sein, bald waren es enge Gänge und Biegungen, wo sie an den Seiten die Wände streiften. Konrad hatte recht: es war ein weiter, endlos scheinender Weg. Dann stiegen sie eine Treppe hinab, und daran schloß sich wieder ein enger Gang, noch schmaler als jeder frühere – eine kellerartige Luft voll Dumpfheit und Moder herrschte hier.

»Jetzt können wir Licht machen!« sagte Konrad, nachdem er eine Eisenthür aufgeschlossen und wieder hinter sich zugemacht hatte; »wenn nur der Zunder fängt in der feuchten Luft.«

»Sind wir am Ziel?« fragte Ulrich.

»Wir haben nicht mehr weit – hier können wir auch sprechen, da hört uns Niemand. Hast Du die Uhr im Kopfe? Länger als eine Stunde können wir uns nicht verweilen,« sagte Konrad, indem er den Stahl an den Feuerstein schlug.

»Wie hast Du es heute möglich gemacht mich hierher zu führen?« sagte Ulrich; »oder warum nicht schon früher – kein Mensch ist uns begegnet.«

[233] »Sieh,« sagte Konrad, »das hab' ich ausgekundschaftet: dort hinter jener Thüre führt ein unterirdischer Gang bis in eine Kapelle, die am Waldessaume steht; der Weg ist gegraben worden, um für den Fall einer Belagerung oder eines Ueberfalles hier einen Ausgangspunkt zu haben; aber freilich wird er oft auch benutzt, wenn Einer der Obern sich einmal ohne Erlaubniß auf ein paar Stunden aus dem Kloster entfernen will. Da ich heraus bekam, daß dies Einer heute beabsichtigte, und weiß, daß die Thür nur von innen geöffnet werden kann und dann offen bleiben muß, so wußte ich, daß der Weg uns frei sein würde; aber wir dürfen nicht lange säumen – Jener ist schon ein paar Stunden fort und man weiß nicht, wann er zurückkommt – ich konnte nicht eher unbemerkt aus meiner Zelle.«

»Aber wo hast Du den Schlüssel her zu Amadeus Gefängniß?« fragte Ulrich.

»Schlüssel?« sagte Konrad verwundert; »den giebt es nicht – er ist eingemauert.«

»Eingemauert?« rief Ulrich; »wir können nicht zu ihm?«

Konrad's Zunder hatte endlich gefangen, indeß lange alle Funken aus dem Stahl vergeblich hervorgesprungen waren. Jetzt zündete er damit ein kleines Lämpchen [234] an, das er in einer Art Blechlaterne unter seiner Kutte verborgen bei sich getragen. Während er noch den Zunder anblies, konnte er nicht antworten; der glimmende Docht warf einen blendenden Schein auf Ulrich's todtbleich gewordenes Gesicht.

»Ich meinte, ich hätte Dir das gesagt,« antwortete Konrad jetzt dem Entsetzten. »Es ist hier eine Reihe solcher Katakomben. Wenn eine spätere Zeit diese Löcher öffnet und Menschengebeine darin findet, wird sie meinen, es seien hier Todtengrüfte gewesen – nun, es sind auch welche, aber für die lebendig Begrabenen. – Weil Amadeus sein Verbrechen als Wahnsinniger büßt, so hat man ihn nicht zum Tode verurtheilt. Man hat ihn nur hier eingemauert, aber ein Loch in der Mauer gelassen, durch das man ihm täglich Wasser und Brod hereinschiebt und Gebete vorspricht.«

»Das ist gräßlich!« rief Ulrich; »da wäre ja der Tod eine mildere Strafe!«

»Ich glaube, er wird bei ihm nicht lange auf sich warten lassen – indeß so lang' er noch lebt, wird er nach einer Labe schmachten; ich konnte es nicht über's Herz bringen, hierher zu gehen, ohne sie ihm zu bieten – warte, laß mich erst allein zu ihm – ich glaube, hier ist das Loch.«

[235] Er leuchtete an der Wand hin, wo man frischgemauerte Steine sah; ungefähr eine Elle vom Erdboden entfernt war zwischen den Steinen ein Raum von etwa einer halben Elle ein Quadrat gelassen. Konrad brachte die Lampe dahin und rief: »Amadeus!«

»Licht – wer kommt?« rief von innen eine heisere Stimme; »ist denn schon wieder ein Tag vorbei?«

»Nein,« antwortete Konrad; »sieh her – ich bin Konrad, den Mitleid zu Dir treibt – hier ist einmal Wein statt Wasser!« Er schob eine thönerne Flasche durch die Oeffnung und sagte: »Da nimm und trink'!«

»Dank!« rief es von innen und man hörte gierig schlucken. Dann rief Amadeus: »Gott, was hast Du gethan! wozu hab' ich mich verführen lassen! – Verhungern will ich, damit dies gräßliche Leben ende! und nun wird es noch länger währen – das vergaß ich über das thierische Bedürfniß. Aber habe Dank, daß Du kamst – mit Dir kann ich reden – sind die Baubrüder noch im Kloster?«

»Ja,« antwortete Konrad, »und Ulrich von Straßburg ist in Verzweiflung über Dein Loos, weil er meint Deine That an das Licht gebracht zu haben.«

»In Verzweiflung?« fragte Amadeus. »Sage ihm,[236] daß ich ihm vergeben – aber daß ich nicht wahnsinnig bin. Nicht wahr, Du bist auch ein Baubruder gewesen?«

»Ja darum bin ich sein Bruder,« antwortete Konrad.

»Nun, dann sage ihm allein – aber Niemanden Andern, daß ich den Frevel mit Wohlbedacht beging; ich wünschte Ulrich einmal zu sehen und zu sprechen – und damit er in's Kloster selbst beschieden würde, schien es mir zweckmäßig, eine Arbeit für den geschicktesten Baubruder nöthig zu machen – darum zertrümmerte ich das zierlichste Werk in der Kirche! aber das sage ich nur Dir für ihn – die Andern mögen immerhin glauben, daß, was ich klug berechnet, eine That des Wahnsinnes und blinder Wuth gewesen! Bring' ihm meinen Gruß und meinen Segen.«

»Geb't ihn ihm selbst – hier ist er!« antwortete Konrad, und indem er sich von der Oeffnung zurück zog, neigte sich Ulrich an diese Stelle.

»Amadeus!« sagte er in tiefster Seele bewegt, »ich habe Euere Worte vernommen – die eigene Unruhe und Angst trieben mich hierher – ich wäre längst gekommen, wenn es möglich gewesen wäre!« Er neigte sein Haupt durch die Oeffnung, der Schein der Lampe fiel voll auf sein edles Antlitz.

[237] Amadeus preßte dieses Haupt zwischen seine beiden Hände und starrte auf Ulrich. »Habe Dank, daß Du kommst – ich wollte Dich nur einmal sehen und meine Hand segnend auf Deinen Scheitel legen. Beim ersten Sehen, da Du meinen Rosenkranz zerrissest, floh ich vor Dir, weil Du Ulriken glichest – mir war, als habe ich ihr Gespenst gesehen. Seitdem konnt' ich keine Ruhe finden – alle Schmerzen und Wünsche, die ich seit länger als einem Jahrzehent mit mir selbst in diesen Mauern begraben wähnte, wachten in mir auf; damals war ich allerdings wie wahnsinnig – ich wüthete gegen mich selbst und das Kleid, das ich trug – dann geißelte ich mich selbst und ließ mich geißeln, bis ich ein hitziges Fieber bekam und still ward – und dann hieß es, ich habe Buße gethan und sei genesen und wieder begnadigt!«

»Ihr kanntet meine Mutter?« unterbrach ihn Ulrich.

»Ob ich sie kannte?« rief Amadeus; »so Zug für Zug lebt ihr Bild in meinem Herzen, daß ich an ihm Dich erkannte! Wenn sie noch lebt, so sage ihr –«

»O Gott!« rief Ulrich, »ich weiß nichts von ihr, von dem Augenblick an, wo unser Heimathdorf im Elsaß verwüstet ward, indeß ich im Kloster eine Zuflucht gefunden – sag't mir, was Ihr von ihr wißt!«

[238] »Es ist doch besser, ich nehme das Geheimniß mit in das Grab,« sagte Amadeus nach einigem Besinnen; »oder vielmehr ich behalte es darin – ich bin schon im Grabe! – Ulrich, wenn es sich Dir jemals entschleiert, so mache Dir dennoch keinen Vorwurf, daß Du mich in dies Grab gebracht; es ist eine Sühne für meine Schuld und Rache für Deine Mutter; Du warst berufen dies Amt zu vollstrecken – ich will meine Hand segnend auf Dein Haupt legen. Du hast es nun schon gehört, daß es nicht gemeine Bestialität meiner Natur war, die mich den Frevel an dem Heiligthum begehen hieß, für den Du so entsetzlich strafende Worte hattest, daß ich erst in diesem Augenblick, da Du sie sprachst, fühlte, ich habe wirklich eine Schandthat begangen. Es war ein Frevel und eine Verirrung – aber in dem Augenblick einer ungezügelten Sehnsucht überlegt man weiter nichts, als daß man das Mittel wählt, was sie am sichersten zu befriedigen verspricht. Ich erreichte meinen Zweck, ich durfte gen Nürnberg zum Propst Anton Kreß gehen und Dich von ihm zur Arbeit erbitten – es ahnte mir nicht, daß ich damit einen doppelten erreichen würde: daß Du das langersehnte Ende meines Lebens herbeiführen werdest!«

[239] Ulrich antwortete: »Amadeus! hier hört uns Niemand, Konrad's Verschwiegenheit bin ich sicher; wahrscheinlich versteht er uns nicht einmal – er steht dort fern, um zu wachen, daß uns Niemand entdeckt – ich weiß von dem, was Ihr mir nun verschweigen wollt, zu viel, um die Ruhe finden zu können, die Ihr vielleicht denkt mir durch Euer Schweigen zu bewahren, und wieder zu wenig, um in irgend einer Gewißheit gegen das Quälende meiner Ahnungen einen Trost zu finden – was wißt Ihr von meiner Mutter? warum nehm't Ihr Antheil an mir?«

»Weil ich glaube, daß Du mein Sohn bist!« rief Amadeus; »nun weißt Du es!« fügte er erschöpft hinzu.

Ulrich zuckte zusammen und unterdrückte mühsam einen Schrei. Nun müßt Ihr Alles sagen,« sagte er tonlos.

»Vor achtundzwanzig Jahren,« sagte Amadeus, »war Amadeus von Wildenfels ein stolzer feuriger Ritter, als er bei einem Reichstag in Kostnitz die liebreizende Ulrike Kreß kennen lernte, die dort als eine alleinstehende Verwandte in der Familie lebte, in deren Haus er wohnte. Ein Vierteljahr hatten sie sich täglich gesehen und mehr und mehr geliebt; obwohl der Ritter wußte, daß die Seinigen einer Verbindung mit einer [240] Bürgerlichen entgegen sein würden, so verlobte er sich doch mit ihr und versprach, sobald er aus dem Kampf, in den er eben mitziehen mußte, heimkehren werde, sie zum Altar zu führen. Aber in der Aufregung der Trennungsstunde nahmen sie das dann verheißene Glück voraus. – Ein Jahr verging, ehe der Ritter zurückkehren konnte. Er fand Ulrike, die eine Waise war, nicht mehr in Kostnitz; von der Familie, bei welcher sie gewohnt, erfuhr er nur, daß sie vor einem halben Jahr dieselbe verlassen habe, und daß man ihr auch nie wieder die Aufnahme in sie gestatten werde, weil sie sich derselben unwerth gemacht. – Ueberall forschte ich vergeblich nach ihr; von einem gemeinschaftlichen Bekannten hörte ich einmal, daß man etwa vor einem halben Jahre eine weibliche Leiche im Rhein gefunden habe, und daß man glaube, es sei Ulrike gewesen, die sich, um der Schande zu entgehen, den Tod gegeben. Verzweiflungsvoll irrt' ich noch immer umher nach ihr fragend und suchend, aber nirgend erhielt ich eine andere Antwort. Ich entsann mich, daß sie einen Bruder Anton gehabt hatte, der Geistlicher war – ihn fand ich endlich in Worms, aber es ging ihm wie mir: er wußte auch nichts von seiner Schwester.«

[241] Ulrich hörte mit äußerster Spannung zu und sagte: »Meine Mutter war eine geborene Waise –«

»Höre weiter!« sagte Amadeus. »Jahre vergingen, und man sagt ja, daß die Zeit jeden Schmerz heilt. Ich heirathete ein ebenbürtiges Edelfräulein, das mich zärtlich liebte und das ich glücklich machte. Ich selbst war es wohl auch einige Zeit – aber das Umhertreiben in Kampf und Gefahr in allen Landen war mir lieber, als daheim auf meinem Schlosse zu sitzen bei Weib und Kind. So kam ich auch einst an der Spitze einer Schaar in das Elsaß, und dort gab es bei einem Dorfe ein Gefecht, welches dasselbe ganz verwüstete. Wer kampffähig war, mußte mitziehen, und die Frauen, die unsern Leuten gefielen, wurden auch nicht geschont. Da hört' ich den Namen Ulrike – in der dürftigen Tracht einer Bäuerin erkannt' ich die Geliebte meiner Jugend nach zehn Jahren der Trennung wieder und sie erkannte mich. Die Zeit und Alles, was inzwischen geschehen, versank vor uns – wir hatten Beide einander für todt beweint – wir lebten und hatten uns wieder! So wunderbar zusammengeführt, gehörten wir einander an. Ich erfuhr von ihr, daß ihr ein halbes Jahr nach der Trennung von mir die Kunde gekommen, daß ich im Kampf geblieben sei, und [242] daß sie verzweiflungsvoll von ihren gegen sie wüthenden Verwandten in die weite Welt geflohen sei – um den Tod zu finden. Wohl war ihr oft die Versuchung gekommen, Hand an sich selbst zu legen, aber gerade um ihrer Mutterschaft Willen hatte sie ihr widerstanden. So war sie immer rheinab gepilgert, arbeitend oder bettelnd, je nachdem es gekommen. In einem Stall, auf einem Meierhof im Elsaß, wo man sie mitleidig aufgenommen, hatte sie einen Knaben geboren. Dort durfte sie eine Zeitlang bleiben, und so viel es ihre Kräfte erlaubten, mitarbeiten. Ein Bauernbursche, der auch hier arbeitete, fand Wohlgefallen an ihr; in seiner Heimath hatte er eben ein kleines Grundstück geerbt, und da er es ohne Frau nicht bewirthschaften konnte, so fragte er die fleißige Ulrike, ob sie mit ihm ziehen wolle, sie wollten sich hier trauen lassen und er ihr Kind als das seine anerkennen – in seinem Dorfe wisse man viel, ob sie schon ein Jahr verheirathet wären oder nicht. Mußte sie es nicht als ein Glück betrachten, so sich vor Schande bewahrt und die Zukunft ihres Knaben gesichert zu sehen? Freilich war es ein großer Schritt abwärts aus dem höheren Bürgerstande, dem sie angehört, zu der niedern Frau des rohen Bauers, [243] die sie nun ward. Aber sie fühlte sich ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft – sie mußte froh sein, wenn sie in dieser untersten Stufe ihr wieder angehören konnte. Sie wollte auch todt und vergessen sein für Alle, die sie sonst gekannt – so war sie dessen am gewissesten, und alles Leid, das ihr nun das Leben noch zu bieten wagte, das betrachtete sie als Strafe und Buße für ihren Fehltritt. Glücklich war sie keinen Augenblick gewesen, außer durch ihr Kind, das ihr einziges blieb. Ihr Mann hatte sie später viel mißhandelt und gepeinigt. So bekannte sie mir – so fanden wir uns in der alten Liebe. Es war leicht, sie von ihrem Peiniger zu befreien; gegen hohen Sold ging er mit uns – er willigte darein, sich von Ulriken zu scheiden und nie wieder in das Elsaß zurückzukehren.«

Amadeus holte tief Athmen, Ulrich faßte seine Hand und sagte: »So seid Ihr mein Vater!«

»Wenn das die Geschichte Deiner Mutter ist,« sagte Amadeus, »nur das wußt' ich nicht gewiß –«

»O es trifft Alles,« sagte Ulrich, »bis auf jenen Namen.«

»Sie hatte ihren Geschlechtsnamen verändert, auch ihr Mann hat nie ihren wahren erfahren, und den meinigen [244] nicht eher, als bei meiner Rückkehr, da ich sie von ihm forderte – kaufte.«

»Weiter – was ward weiter?« bat Ulrich.

Jetzt kam Konrad, blies die Lampe aus und sagte: »Man kommt, wir müssen fort.«

Ulrich warf seinen Meißel durch die Oeffnung und sagte: »Der Sohn muß den Vater befreien! Hier – meißele von innen die Steine locker – in ein paar Nächten komme ich zurück und befreie Dich.«

»Fort, fort!« drängte Konrad.

So schnell es in der Dunkelheit und bei den verwickelten Wegen ging, eilten die Beiden zurück.

»Nun weißt Du es, daß Dein Geschick das meinige ist!« sagte Ulrich leise zu ihm.

»O hättest Du es doch nie erfahren!« jammerte Konrad, »hätte ich Dich doch nicht hierher geführt und Amadeus wäre damit gestorben.«

»Nein, er darf hier nicht sterben und verderben!« rief Ulrich, »und wenn es dadurch gleich die ganze Welt erführe und alle Schmach mich träfe: ich kann nicht hierher gekommen sein, um der Mörder meines Vaters zu werden – ich muß sein Retter sein!«

»Still jetzt!« gebot Konrad.

[245] So erreichten sie wieder Ulrich's Thür. »Sinn' auf Mittel, wie wir ihn retten – und habe Dank!« sagte er zu Konrad; »ich habe viel gehört – aber das Ende noch nicht!«

»Ich will sehen, was ich thun kann – armer Bruder!« sagte Konrad.

So schieden sie.

Der folgende Tag verging für Ulrich peinlich wie die Nächte. Konrad flüsterte ihm zu, daß es ihm erst am dritten Tage möglich sein werde ihm beizustehen.

Ulrich war wie im Fieber. Wenn sein Vater indeß stürbe? – und wenn auch nicht, wie sollte der Plan der Rettung gelingen? Immer machte er einen neuen, und verwarf ihn wieder, weil irgend ein unüberwindliches Hinderniß oder ein Mangel dabei war. Gern wagte er sein Leben selbst – was war es ihm jetzt? vielleicht war es in Kurzem dem Schimpf und der Schande geweiht – seine That selbst, ein Wort von Amadeus konnte verrathen werden und ihn verrathen! – Konrad hatte Recht: wenn Amadeus hier starb, so war mit ihm sein Geheimniß vermauert – draußen, ein flüchtiger, von Kerker und Alter geschwächter Mann, konnte es mit ihm selbst leicht an den Tag kommen. Und war ihm denn dieser Mann, der seine Mutter unglücklich[246] gemacht und den er nie gekannt hatte? Und war es denn wirklich seine, Ulrich's, Schuld, daß er hier für den Frevel litt, den er ja in der That begangen? Hatten nicht Hieronymus und Konrad gleich ihm die Untersuchung gefordert?

Der Versucher rief diese Frage in Ulrich auf; aber sein Gewissen und der Ruf der Natur sprachen gleichzeitig: Hebe Dich weg! Lieber unschuldig leiden für eine fremde Schuld, als sich selbst vor äußerm Unglück schützen durch das Aufsichladen einer eigenen Schuld.

Eines Morgens meldete ihm der Pförtner, daß drüben im Oeconomiegebäude Leute wären, die nach Ulrich von Straßburg fragten. Mitten in der Nacht wären sie ganz erfroren angekommen und hätten um Obdach gebeten, das man ihnen auch nicht verweigert – obwohl sie Juden wären, Vater und Sohn. Da sie gehört, daß er hier sei, hätten sie nach ihm verlangt.

Ulrich war zwar wenig erbaut von dieser Nachricht, die ihn in ein zweideutiges Licht setzte; aber er ging, denn er gedachte des Ringes, den er gefunden und an einer Schnur sich umgehangen – ja er erzählte gleich dem Pförtner ohne Weiteres, daß sie wahrscheinlich wüßten, daß er einen Ring gefunden, den die Juden [247] vor seinem Haus verloren, und den er noch nicht abgegeben, weil auch er seiner Sache nicht gewiß sei.

Man hatte den Juden nicht in der allgemeinen Herbergsstube Quartier verstattet, sondern nur auf einem Heuboden.

Dort fand Ulrich den Vater Ezechiel und seinen – Sohn; aber in der Männertracht erkannte er Rachel.

Die Unterhaltung kam schnell zu Stande. Nach Rachel's erster Frage nach dem Ringe ließ er sich denselben von ihr beschreiben, und da die Beschreibung paßte, lieferte er ihn sogleich aus.

Ezechiel war überglücklich und redete etwas von Finderlohn.

Ulrich wies das stolz zurück und wollte sich entfernen – da fiel sein Blick auf ein Bündel, das der Jude neben sich liegen hatte, dachte daran, wie derselbe immer einen Trödlerkram mit sich zu führen pflegte – ein Gedanke schoß plötzlich in ihm auf; aber ehe er ihn noch ausgesprochen, begann Ezechiel:

»Wir sind Euch verpflichtet zu gar so viel Dank – Ihr solltet uns nicht halten für zu schlecht, ihn Euch abzutragen. Hab't Ihr nicht errathen, wen das E B bedeutet in dem Ring?«

[248]

»Darüber habe ich nicht nachgedacht,« antwortete Ulrich.

»Ei, was hieße es denn anders, als Elisabeth Behaim?« schmunzelte der Jude. »Ich will ihr ihn wieder ausliefern und will sagen, daß Ihr ihn gefunden.«

»Das ist nicht nöthig,« sagte Ulrich, und im Augenblick mit ganz andern Dingen beschäftigt, fuhr er fort: »Hab't Ihr da nicht einen Mantel und ein Sammetbaret in Eurem Bündel? Wolltet Ihr es mir verkaufen, ohne Jemanden davon zu sagen – so würde ich daran Euren Dank erkennen.«

»O, Schweigen gehört zum Geschäft!« rief Ezechiel.

Und Rachel fiel ihm in's Wort: »Von verkaufen ist nicht die Rede: wählt Euch aus, was Ihr von den Sachen wünschet – es ist Alles zu Eurem Dienst; aber Geld nehmen wir nimmer von Euch!«

»Nein, gewiß nicht!« murmelte der Vater.

Ulrich wählte ein Baret und einen langen schwarzen Mantel aus, und bat Rachel, es ihm recht fest in ein weißes Leinentuch zusammen zu wickeln. Er ließ sie ungewiß, ob er sie in der Verkleidung erkannte oder nicht. Sie willfahrte dienstfertig seinem Wunsch. Er gab ihr zum Danke die Hand – sie drückte sie erglühend und demüthig an ihre Lippen; dann ging er.

[249] Er eilte mit dem Päckchen in seine Zelle und verbarg es unter das Stroh seines Lagers. Dann ging er an die Arbeit.

Konrad flüsterte ihm zu: »Heute Nacht!«

Er wußte genug; es war auch die höchste Zeit – denn morgen hatten die Baubrüder ihr Werk vollendet und sollten wieder zurückkehren.

Wie das erste Mal gingen Konrad und Ulrich stumm durch die Klosterhallen bis zu den unterirdischen Gewölben. Ulrich trug außer dem Kleiderpäckchen auch die Maurerkelle und Kalk bei sich, den er sich gleichfalls heimlich verschafft.

Konrad zündete am Ziele die Lampe an und rief: »Amadeus!«

Niemand antwortete.

»Amadeus!« rief Ulrich lauter.

Alles blieb stumm.

»O Gott, wenn wir zu spät kommen – wenn er todt ist!« wehklagte Ulrich. Mit starker Hand griff er in die Oeffnung und riß die nächsten Steine heraus. Es ging leicht – Amadeus mußte sie von innen mit dem Meißel gelockert haben.

Bald war das Loch so groß, daß ein Mensch hindurch konnte. Ulrich griff mit der Hand hinein – [250] und fuhr zurück; etwas Naßkaltes hatte sie berührt – eine Ratte war darüber gesprungen.

War es der Schrei, den er dabei ausstieß, oder das Geräusch der fallende Steine, oder die Berührung seiner Hand – jetzt begann Amadeus sich zu regen und zu röcheln. Ulrich beugte sich zu ihm hinein und flößte ihm Wein ein. Nach einer Weile kehrten die halbentschwundenen Lebensgeister zurück.

»Amadeus!« rief Ulrich, »wir kommen Dich zu befreien. Flüchte aus diesem Loch, aus dem Kloster – komm!«

Konrad und Ulrich reichten ihm die Hände – sie zerrten ihn heraus.

Der Sohn hielt den Vater in den Armen.

»Ulrich!« rief dieser jetzt, »ich soll wieder leben?«

»Ja, Dein Ulrich ist nicht Dein Mörder, sondern Dein Befreier – aber eile! wir haben keine Zeit zu verlieren. Konrad geleitet Dich und beredet das Uebrige mit Dir – ich mauere indeß Dein Gefängniß wieder zu.«

Konrad zog den halbbewußtlosen Amadeus zur Eile treibend mit sich fort. Indeß mauerte Ulrich die aufgerissenen Steine wieder ein und harrte bei der Arbeit Konrad's Rückkehr.

[251]

12. Kapitel. Rückkehr

Zwölftes Capitel
Rückkehr

Es war wieder still geworden in Nürnberg. Der Reichstag hatte diesmal nicht viel über einen Monat gedauert. Da man das voraus sah, da nicht alle Stände berufen und auch die berufenen nur höchst unvollzählig erschienen waren, so war diesmal überhaupt das Zuströmen der Fremden geringer gewesen als sonst, und darum war so schnell wie der Schnee auch die Fremdenmenge geschmolzen und dann verschwunden, die sich eine Zeitlang durch Nürnbergs Straßen bewegt hatte.

Gerade an dem Tage, an welchem Kaiser Friedrich und König Max aus Nürnberg zogen, kehrten die Baubrüder zurück aus dem Kloster und begegneten noch dem Zug.

»Beinah' ist es,« sagte Hieronymus, »als wären wir, gerade so lange der Reichstag währte, aus Nürnberg[252] verbannt gewesen – vielleicht hätte sonst unser königlicher Baubruder von Dir noch einmal die Wahrheit zu hören bekommen!«

Ulrich schüttelte traurig den Kopf. So lange der alte Kaiser Friedrich noch lebt und des Reiches Haupt ist, der an nichts denkt als an die Vergrößerung der Hausmacht der Habsburger durch eine kleinliche und eigensüchtige Politik, die immer nur rechnet und speculirt, aber niemals offen handelt und entscheidet mit selbstbewußter That, noch weniger aber daran denkt, daß er das deutsche Reich zu einer Macht erheben sollte, sondern nur zusieht, wie Deutschland seiner Familienmacht zu Ansehen verhelfen könne: so lange sind auch Maximilian's Hände gebunden. Seit fünf Jahren ist er nun römischer König und sieht sich die deutsche Kaiserwürde gesichert; er hat nicht nöthig sich erst auszuzeichnen, um ihr Bewerber zu werden. Hätte er sie aber damals gleich mit empfangen, wo er zum römischen König gekrönt ward, und wäre damals gleich das Reich den alten energielosen Kaiser los geworden; so hätte Max wohl mit frischer ritterlicher Jugendkraft den Scepter ergriffen und eine neue Aera für Deutschland heraufgeführt. Aber er konnte nicht, wie er wollte – daran schon hat sich die feurige Jugendkraft gebrochen und in [253] auswärtigen Händeln abgenutzt. Fast ist er fremd geworden im Reich, und es liegt ihm weniger am Herzen als das flandrische Erbe seiner Kinder. Nun hat er schon in die Politik des Vaters sich finden und fügen lernen, und Habsburgs Hausmacht ist auch seine Loosung. Ich fürchte, nun wird es zu spät, daß er die Hoffnungen rechtfertige, die man auf ihn setzen durfte.«

Hieronymus stimmte bei, aber fügte doch hinzu: »So lang' er wenigstens die Kunst beschützt und ein rechtes Mitglied der freien Maurer bleibt, dürfen wir noch nicht an ihm verzweifeln. Vielleicht,« lächelte er etwas hämisch, »hat auch die Scheurlin ihn wieder mehr für deutsche Art begeistert.«

»Du scheinst jetzt immer mehr die Ansicht Deiner Mutter über die edle Frau zu theilen,« sagte Ulrich, »obwohl Du einst der Erste warst, der sie mir als die schönste und gelehrteste Nürnbergerin zeigte. Doch, da wir einmal auf Deine Mutter kommen – grüße sie von mir und sage ihr, wie ich ihr danke für alle Güte und Liebe, die sie mir erzeigt, so lange ich bei ihr wohnte, aber –«

»Du denkst doch nicht mehr daran, von mir zu ziehen?« sagte Hieronymus bestürzt, da inzwischen dieser [254] Punkt gar nicht berührt worden war. »Die Judengeschichte hat sich indeß ja auch erledigt.«

Ulrich hatte nämlich im Kloster die Begegnung mit Ezechiel ihm erzählt, der gekommen sei, den Ring wieder zu fordern, den er auf diese Weise los geworden, ohne darum Rachel oder Elisabeth mit in diese Erzählung zu verflechten, wie er auch Hieronymus nichts von Amadeus und seinen Beziehungen zu ihm vertraut. Hieronymus hatte nur etwas eifersüchtig gesehen, daß Ulrich und Konrad in einem vertraulichen Verkehr zusammen gekommen waren, aber er hatte keine Ahnung von der Grundlage desselben und auch weiter kein Interesse danach zu forschen. Seit aber Ulrich bei ihm auf hartnäckig bewahrte Vorurtheile gestoßen war, wollte er ihn um keinen Preis zum Vertrauten des Geheimnisses seiner Geburt machen, noch überhaupt dieses dadurch, daß er es noch einem Menschen mehr wissen ließ, um so eher dem Verrath eines Zufalls, wenn nicht einer Absicht aussetzen. Aber beides war auch um so eher möglich, wenn er mit Hieronymus und seiner Mutter wohnen blieb – einmal sträubte sich sein Stolz dagegen, dann die Furcht vor Entdeckung und vor allem der Vorsatz, in die Gefahren und die Beschimpfungen, die ihm drohen konnten, auf keinen Fall seinen vertrautesten [255] Freund mit zu verwickeln. Er blieb daher jetzt fest bei seiner Erklärung, sich eine Wohnung für sich allein zu suchen, wie sehr auch Hieronymus in ihn drang bei ihm zu bleiben. Er mußte sich endlich darein ergeben und mit Ulrich's Versicherung begnügen: daß diese äußere Trennung ja keine innere sei, daß sie auch außer der Bauhütte sich täglich sehen und ihre Sonntage und Freistunden nach wie vor zusammen zubringen würden. –

In jener Nacht, wo Ulrich Amadeus aus seiner Gruft befreit und dann dieselbe wieder zugemauert hatte, war er dabei bis zu Konrad's Rückkehr aus dem unterirdischen Gange beschäftigt gewesen. Dieser meldete ihm dann, daß er Amadeus glücklich bis in die Kapelle gebracht, hinter deren Altar die Fallthür sich öffnete. Dort aber hatte er nicht bleiben dürfen, weil so schon die äußerste Gefahr war, daß ein rückkehrender Mönch da ihn fände. Er hatte ihn heißen in den Wald fliehen und dann weiter in der Flucht sein Heil versuchen, so erschöpft und elend er auch war. Die andern Sachen schützten ihn wenigstens von Weitem vor Entdeckung; Lebensmittel auf ein paar Tage hatte er mit bekommen – weiter etwas für ihn zu thun, lag für seine Retter außerhalb der Grenzen der Möglichkeit.

[256] Im Kloster verlautete nichts über ihn. Ein paar Tage später sagte Konrad, man spreche davon, daß Amadeus in seinem Kerker verschieden, und habe das Loch, darin er sich befunden, einfach zugemauert.

Die Baubrüder hatten nach Vollendung ihres Werkes ihren ausbedungenen Lohn bekommen, und Ulrich erhielt von dem Abt einen Brief zur Uebergabe an den Propst Kreß.

Er hätte auch fragen mögen, wie bei jenem Brief, welchen der Propst ihm mit in das Kloster gab: »Ist's ein Uriasbrief?« – aber er widerstand der Versuchung, das Wachssiegel, das sich ohne sichtbare Beschädigung hätte lösen und wieder befestigen lassen, zu heben und einen Blick in die Schrift zu thun. Wie verhängnißvoll sie auch sein mochte – er beeilte sich, sie abzugeben gleich am Tage seiner Ankunft.

Der Propst ward bleich vor Schrecken, da er das gelesen, und warf verzweiflungsvolle Blicke tiefsten Mitleids auf Ulrich.

Der Abt meldete ihm, daß es ihm leid thue, den einst von dem Propst in's Kloster als frühern Freund aufgefundenen Amadeus, der sein Schützling geblieben sei, nicht vor einer verdienten Strafe schützen zu können. Er sei verdächtigt worden, das Tabernakel zertrümmert [257] zu haben – der Abt habe die Sache unterdrücken wollen, da jedoch die fremden Baubrüder, besonders Ulrich von Straßburg, auf strenge Untersuchung gedrungen, sei die Sache durch Amadeus eigenes Geständniß offenkundig geworden, und er habe ihn verurtheilen müssen, als wahnsinnig eingemauert zu werden; seit ein paar Tagen sei er todt.

Der Propst gab Ulrich den Brief zum Lesen und sagte: »Gestehe mir Alles.«

Ulrich kniete nieder und neigte demüthig sein Haupt. »Ihr werdet mich eines Verbrechens zeihen,« sagte er, »und mich beschuldigen, daß der Sohn den Vater in's Verderben gebracht; ich beging noch ein zweites Verbrechen: der Baubruder entzog der geistlichen Gerechtigkeit ein Opfer und dem Kloster einen Mönch – ich habe Amadeus zur Flucht geholfen!«

»Weh' Dir und ihm!« rief der Propst und verhüllte sein Gesicht.

»Ich bin bereit selbst das Opfer zu sein!« sagte Ulrich; »überliefert mich als einen Verbrecher dem geistlichen Gericht – laßt mich auch so still einmauern und von der Welt verschwinden; es erspart mir dann ein Leben der Schande, das vielleicht auf mich wartet.«

[258] Der Propst rang die Hände, hatte Thränen in den Augen und seufzte: »Ach, warum mußte ich so schwach sein, seiner Bitte nachzugeben und Dich hinsenden! Warum seinen Worten trauen – er versprach zu schweigen gegen Dich und gegen Alle.

»Klaget ihn nicht an!« sagte Ulrich; »ich will Euch Alles beichten, wie es kam, was ich gehört und was ich gethan.« Und er beichtete getreulich Alles, nur Konrad verrieth er nicht, sondern sagte nur, daß ihm ein geistlicher Bruder beigestanden, den er nicht nennen werde und dem seine eigene Sicherheit gebiete für immer zu schweigen. »Und nun,« schloß er, »richte ich an Euch die Frage: »ist meine Mutter Euere Schwester und lebt sie noch?

Der Propst schloß den jungen Mann in seine Arme. »Ich bin Dein Ohm,« sagte er, »und liebe Dich vielleicht mehr als Dein Vater! aber ich wollte nie, daß Du ein Geheimniß erfuhrest, dessen Entdeckung für Dich gefährlich werden kann. Aber ich hoffe, daß es dennoch bewahrt werde – Du wirst Dich nicht selbst verrathen und unglücklich machen.«

»Lebt meine Mutter noch?« wiederholte Ulrich.

»Sie lebt,« antwortete der Propst nach einigem Bedenken, »und ganz in Deiner Nähe, aber für immer[259] von Dir getrennt – sie ist hier und Nonne im Kloster der heiligen Clara!«

»O darum zog es mich so hierher nach Nürnberg!« rief Ulrich.

»Sie weiß nicht, daß Du hier bist; sie weiß nur, daß Du ein tüchtiger und braver Baubruder geworden, und freut sich, daß Du der Kunst und Gott getreulich dienest, und daß so mehr aus Dir geworden, als wenn sie bei Dir und mit Dir in dem Dorfe geblieben wäre, das für Deine Heimath galt,« antwortete der Propst.

»Und wie kam sie hierher?« forschte Ulrich weiter, »und hat mir Amadeus in Allem die Wahrheit erzählt?«

»Die volle Wahrheit!« bestätigte der Propst, »und damit Du nicht am unrechten Orte forschest, so will ich seine Geschichte vollenden. – Als er mit Deiner Mutter floh, hatte er nicht den Muth ihr zu gestehen, daß er daheim ein liebendes Weib und Kinder besitze. Ulrike folgte ihm vertrauend nach Frankfurt, wohin er damals im Kriegsdienst mußte, und nur das schmerzte sie und ihn, daß sie Dich nicht bei sich hatten; allein es tröstete sie, daß sie Dich im Kloster sicher und in guten Händen wußten, bis sie Dich würden können zu sich kommen lassen. Amadeus versprach ihr, sich mit ihr trauen zu lassen, sobald die kirchliche Scheidung von ihrem Mann [260] erfolgt sei – indeß hoffte er auch die seine zu bewerkstelligen. So vergingen Monate. Ein Kriegsbefehl rief ihn nach Würzburg, er nahm sie auch dahin mit; aber während er sie dort, um im Felde zu dienen, allein zurücklassen mußte, erschien plötzlich seine Gemahlin bei ihr. Ein Gefährte ihres Gatten hatte ihr hinterbracht, daß dieser um eines gemeinen Weibes Willen, das er auf der Landstraße aufgelesen, die Scheidung von ihr fordere, und die liebende Frau wollte jenes selbst sehen und durch Geldanerbietungen von ihm trennen. Für Deine edle Mutter war es genug, den Beweis zu erhalten, daß Amadeus durch andere heilige Pflichten gebunden sei, um zu wissen, was sie zu thun hatte. Mit Stolz wies sie alle Anerbietungen zurück und erklärte, daß sie Amadeus fliehen und für ihn todt sein wolle, ehe er um ihretwillen die Seinen unglücklich mache. Sie hatte inzwischen gehört, daß ich Geistlicher in Nürnberg sei – in der Verzweiflung erschien es ihr als Trost, sich dem Bruder zu vertrauen, bei ihm eine Zuflucht und Schutz zu suchen. So kam sie zu mir. Ich hatte sie als todt beweint, und mit der wiedererstandenen Unglücklichen, die schon so viel gebüßt, rechtete ich nicht über ihre Verirrungen – ich empfing sie als liebender Bruder. Aber bei mir konnte sie nicht bleiben, [261] ich brachte sie in's Kloster der heiligen Clara, eine Zufluchtsstätte, die sie selbst ersehnte. Dort ist ihr Leben ein dem Himmel geweihtes und ein stillglückliches gegen das, welches sie einst bei dem rohen Gatten führte. Todt zu sein für die Welt und für Alle, erschien ihr als der beste Trost. In dem Kloster, das Dich aufgenommen, nannte sie mir den Bruder Anselm als den, welchem ich vertrauen könne. Mit ihm setzte ich mich in Verbindung, er allein erfuhr ihr Geschick und berichtete uns über Dich, so lange Du im Kloster warst. Du galtest dort als ehrlicher Sohn des dörflichen Paares, und so hielt man Dich auch nicht ab, als Du in die Bauhütte von Straßburg wolltest, und gab Dir für den Maurerhof mit anderen Zeugnissen auch das Deiner ehrlichen Geburt. Amadeus, als er die Geliebte nicht mehr fand, wo er sie zurückgelassen, suchte sie zum zweiten Male überall vergebens – endlich leitete ihn ihre Spur zu mir. Ich verhehlte ihm die Wahrheit nicht und daß Ulrike eine Braut des Himmels geworden. Ich rechtete nicht mit ihm, ich sprach nicht strafende Worte, ich suchte ihn nur zur Rückkehr zu seiner Gattin zu bewegen, und selbst wenn er das nur als Buße für seine Leidenschaft betrachten sollte. Aber er wollte nichts davon wissen – nur das sagte ich ihm [262] nicht, in welches Kloster Ulrike gegangen. Er schied von mir wie ein Wahnsinniger. Im Walde hatte er einen Versuch gemacht, sich das Leben zu nehmen. Benediktinermönche fanden ihn dort – und das Uebrige weißt Du.«

Ulrich weinte an der Brust des theilnehmenden Mannes, der das beste Herz und weichste Gemüth besaß, wenn auch manche Schwachheit sich daran knüpfte.

»Halte Du Dich frei von der Leidenschaft,« sagte der Propst theilnehmend, »hüte Dein Herz und Deine Sinne! Alle, die das nicht thun, die richten nur Unglück an für sich selbst und für Andere.« Und weiter fuhr er fort: »Sage Niemanden ein Geheimniß, das treu bewahrt bleiben soll – auch nicht Deinem besten Freund – Du hast es dann nicht mehr in Deiner Gewalt – verrathe Dich auch Deinem Kameraden Hieronymus nicht.«

Ulrich schüttelte das Haupt und sammelte sich endlich so weit, um zu erzählen, daß er eben darum auch nicht dessen Wohnung mehr theilen möge.

Der Propst billigte dies und hieß Ulrich diese Nacht mit in der Propstei bleiben, da er noch keine andere Wohnung hatte. So sprachen sie noch lange mit einander von der Vergangenheit und von der möglichen [263] Zukunft. War Amadeus glücklich entkommen? wer konnte es wissen? Er war so schwach und hinfällig gewesen von dem martervollen Kerker – wohin konnte er geflohen sein? War er umgekommen im Walde und fand man ihn lebend oder todt, so konnte eine Untersuchung seiner Flucht vielleicht die verrathen, die ihm dazu geholfen, und dann hatten sie die härteste Strafe zu fürchten. Und war er glücklich weiter entkommen: was würde er nun beginnen? Mußten sie nicht jeden Tag denken, die Sehnsucht nach dem Sohn und der Wunsch von Ulrike zu hören, werde ihn eines Tages wieder zurückführen nach Nürnberg zu dem Propst oder Ulrich, und er sich selbst und diesen der schrecklichsten Gefahr aussetzen und vielleicht auch Andern in seiner zuweilen doch halbwahnsinnigen Art Alles verrathen?

Aber was halfen diese bangen Fragen, auf die Keiner eine Antwort geben konnte! –

An demselben Tage hatte der Jude Ezechiel bei der Frau von Scheurl, wie sie jetzt hieß, noch einmal Eintritt verlangt, der ihm schon mehrmals verweigert worden. Die Dienerschaft hatte auch jetzt wieder gedroht, ihn hinauszuwerfen. Da entschloß er sich zum Aeußersten. Er gab den Ring einem Diener und ließ sagen: er ließe nur fragen, ob die Herrin den Ring [264] behalten wolle, oder ob er ihn dem Eigenthümer wieder zurückgeben solle.

Das wirkte. Sogleich ward er vorgelassen.

Elisabeth war ohnehin in schmerzlicher Aufregung. Mit kurzem Abschied war König Max geschieden, und nur Kunz von der Rosen hatte ihr zugeflüstert, daß, wenn es sich einmal treffen solle, daß ein Kaiser oder König einer stolzen Nürnberger Patrizierin doch einen Dienst erweisen könnte, so möge sie sich gleich lieber an den Narren wenden, der habe ein besseres Gedächtniß und wisse närrisch genug, oft sicherer das Ziel zu erreichen.

Konrad Celtes war mit dem König gegangen, um wieder ein unstetes Reiseleben zu führen und im Wirken für die humanistischen Studien und dem Streben im deutschen Volke den Sinn für das Vaterland und seine Geschichte zu beleben, sein unruhiges Herz zum Schweigen zu bringen. Er hatte Elisabeth's Gebot geehrt und war ihr nicht wieder allein genaht. Aber was half es ihr, daß sie so als tugendhaftes Weib weder dem König noch dem Poeten eine Freiheit verstattet, die sich nicht mit den Pflichten gegen ihren Gemahl vertragen hätte: Ursula selbst, die einzig durch sie Hochbeglückte, fühlte sich verpflichtet ihr zu hinterbringen, wie viel Angriffe auf Elisabeth's guten Ruf sie zurückweisen müsse, wie [265] man sie beschuldige, den Poeten, ihren frühern Geliebten wieder rücksichtslos bei sich empfangen zu haben und dem königlichen Gast in jeder Beziehung eine gefällige Wirthin gewesen zu sein. Sie ahnte, daß Streitberg und die Hallerin dies Gift gegen sie verstreut – und sie hatte keine Waffe dagegen, als ihr reines Gewissen und das Zeugniß ihres Gemahls. Das fiel freilich bei den Nürnbergern leicht genug in die Wagschaale; der hoffärtige Rathsherr war geadelt worden – und damit hieß es, sei er schadlos gehalten, wenn ihm auch ein Schimpf durch sein Weib geschehen.

Elisabeth konnte diesen Gerüchten nur erneuten Stolz entgegensetzen, aber sie hätte kein zartfühlendes Weib sein müssen, wäre sie nicht doch davon verwundet worden.

Und nun, wo sie hoffte, daß Streitberg, um dessentwillen sie fast nie ihr Haus verlassen, sich wieder aus der Stadt entfernt, sah sie den Ring vor sich, durch den sie sich ihm einst verlobt hatte.

Sandte er ihr ihn, oder wie kam er in die Hände des Juden? Wie auch Vorurtheil und Stolz sich dagegen sträubten, sie mußte selbst und allein mit diesem sprechen.

Ezechiel erzählte, daß Ritter Streitberg den Ring bei ihm versetzt, um ihn später wieder einzulösen, daß [266] aber der Steinmetz Ulrich von Straßburg, der den Ring bei ihm gesehen, gesagt habe, er müsse der Frau von Scheurl gehören, der gewiß sehr viel daran gelegen sei, ihn wieder zu erhalten, und daß er somit eigentlich in dessen Auftrag zu ihr komme.

Elisabeth erschrak und erröthete nacheinander. Was hatte dieser Ulrich, der christliche Baubruder, mit dem verstoßenen Juden zu thun? was ging es Ulrich an, ob sie ein Interesse an dem Ringe habe oder nicht? Sie mochte sich in kein Gespräch mit dem Juden einlassen – sie fragte ihn nur, wie viel er für den Ring fordere?

Ezechiel nannte eine hohe Summe, und Elisabeth ging in ein Nebengemach, um aus einer Schatulle das gewünschte Geld zu holen.

Der Jude ward dreister, schilderte, welche Unannehmlichkeiten er haben werde, wenn Streitberg sein Pfand nicht wieder erhalten könne, und wie er nur Ulrich's Vorstellungen nachgegeben, und ob die edle Frau nicht dafür an diesen einen Dank zu bestellen habe.

Elisabeth sah zürnend auf, dann wandte sie dem Juden den Rücken, hieß ihn sich augenblicklich entfernen, und verschwand in das Nebengemach.

[267] Einen Augenblick stand Ezechiel bestürzt – dann sah er sich überall um, und schnell seinen Vortheil wahrnehmend, nahm er ein gedrucktes Buch und riß aus demselben die Titelseite, auf welcher Elisabeth's Name stand, und sagte bei sich: Das bring' ich ihm als von ihr – er wird schon in die Falle gehen, wenn er nicht schon darin sein sollte, und vielleicht wählt er mich zu seinem Liebesboten. Halb und halb hab' ich ihn ja schon in der Hand, denn die Sachen, die er mir im Kloster abverlangte, hat er zu keinem rechtlichen Zweck gebraucht. Das ist ein Geheimniß, daß ich mich stellen werde zu wissen und auszuplaudern drohen, wenn ich ihn einmal wohin haben will, wo er nicht mag. So bekommt man die Leute an's Fädchen.

[268]

[1] Dritter Band

1. Kapitel. Ein Seefahrer

Erstes Capitel
Ein Seefahrer

Von herrlichem Frühlingswetter begleitet war das Osterfest herangekommen. Die Lerchen wirbelten im Sonnenschein triumphirende Auferstehungslieder, die Zugvögel kehrten zurück und suchten die alten Nester, oder bauten sich neue. Sie fanden an den Giebeln von Nürnberg, wie in den Bäumen seiner Gärten, manch' ein trauliches Plätzchen, darin sie nisten konnten, wo sie sich zwitschernd als gern gesehene Gäste niederließen. Sie flatterten um die hohen Zinnen der Burg und wiegten sich auf den Zweigen der Linde, welche die Kaiserin Kunigunde im Schloßhof gepflanzt.

Auf einem Spaziergange mit ihrem Gemahl hatte Elisabeth diesem Spiele zugesehen, und obwohl dabei heiter lächelnd, doch im Innern schmerzlich bewegt sich gefragt: ob und wann je einmal die Zugvögel wiederkehren würden, die im Winter nur kurze Zeit unter [1] ihrem Dache geweilt: König Max und Kunz von der Rosen, oder Konrad Celtes? Sie suchte jede heftige Regung in sich zu unterdrücken; aber sie fühlte sich seitdem wieder so allein und unverstanden an der Seite des ungeliebten und ungebildeten Gatten, der für alle höheren Interessen des Lebens kein Verständniß hatte, und nur aus Eitelkeit den Schein um sich zu verbreiten suchte, als ob Kunst und Wissenschaft in ihm einen Verehrer hätten, während er innerlich ihnen doch ganz fremd blieb.

Aber indem Elisabeth so auch wieder heimgekehrt an die Zugvögel unter den Menschen dachte und selbst Leid empfand, nicht zu ihnen zu gehören – kam plötzlich einer von denselben zurück, den sie am wenigsten erwartet hatte.

Ihr Bruder Georg trat bei ihr ein, und mit ihm ein älterer Mann in portugiesischer Tracht von schwarzem Sammet, mit gelben Puffen von Atlas in den Aermeln seines Wammses, einen runden Hut mit langer schwarzer Feder, auf seiner Brust ein schimmerndes Ritterkreuz. Er mochte etwa sechzig Jahre zählen und war von mittlerer Größe, aber die Straffheit seiner Haltung war die eines Jünglings. Sein braunes Haar, das die breitgewölbte vorspringende Stirn umspielte,[2] war nur mit wenigen Silberfäden untermischt, ebenso der Bart, der Oberlippe und Kinn bedeckte. Die Stirn zeigte einige Runzeln, aber vorherrschend in der Mitte über der Nase die tiefe Furche des rastlosen Denkens. Seine Gesichtsfarbe schien von einer tropischen Sonne gefärbt zu sein und erhöhte den blitzenden Glanz seiner Augen, die feingebildeten Hände zeigten sich wettergebräunt und hart.

Georg begrüßte die Schwester und sagte: »Ich bringe Dir einen Gast, Elisabeth.«

Sie verneigte sich mit edlem Anstand, aber einem fragenden Blick auf den Bruder, von dem sie zu erwarten schien, daß er den Fremden ihr vorstelle, und sagte: »Waret Ihr schon bei meinem Gemahl, oder hab't Ihr ihn nicht daheim gefunden?«

»Dieser Besuch gilt vor allem Dir und dann erst ihm,« sagte Georg.

»So ist es!« sagte der Fremde, und ließ seine Augen so durchdringend und prüfend auf Elisabeth's Antlitz und Gestalt ruhen, daß sie, unwillig diesen Blicken ausweichend, fragend zu Georg sah, als fordere sie von ihm eine Erklärung oder Schutz gegen einen Fremden.

[3] Dieser aber ergriff ihre Hand und rief: »Erkennt mich Elisabeth wirklich nicht?«

Da stieß sie einen Schrei aus und mit dem Jubelrufe: »Martin, Du bist's!« sank sie in seine Arme.

Er drückte sie fest an seine Brust und sagte: »Ich hätte Dich gleich wieder erkannt, wärest Du mir auch noch so unerwartet begegnet, und bist Du auch in den zwölf Jahren meiner Abwesenheit aus einer zarten Jungfrau ein blühendes Weib geworden; Deine Augen und Dein Mund sind geblieben, wie sie waren – und die giebt es nicht weiter so auf der Welt.«

»Aber wie konnte ich Dich auch hier erwarten?« rief Elisabeth; »eher glaubt' ich Dich am Capo di Tormentos oder weiter auf fernen Meeren schiffend, auf denen Du an wundersamen Inseln landetest, die zuvor Dein Prophetengeist aufsteigen sah aus dem dunklen Ocean!«

Martin Behaim lächelte: »O mehr als eine wundersame Insel, das ganze indische Königreich Congo haben wir entdeckt, als unter Diego Can unsere Schiffe immer weiter segelten in's Unbekannte hinein. Und der Herrscher von Congo, wie die meisten seiner Bewohner empfingen uns mit ungewöhnlicher Freundlichkeit; sie traten in Verbindung mit dem mächtigen [4] König von Portugal, in dessen Namen wir landeten, ja sie ließen sich taufen, und wo vorher mißgestaltete heidnische Götzenbilder standen, ist das christliche Kreuz aufgerichtet worden. Das ist eine neue Art von Kreuzzügen: neue Welten gilt es aufzusuchen und zu entdecken – nicht mehr rückwärts nach Osten wie der blinde schwärmerische Glaube – vorwärts nach Westen geht das Streben der hellsehenden Wissenschaft! – Und sprich nicht mehr von Capo di Tormentos! Diesen Namen schrieb ich Dir wohl damals, als ich mit Bartolomeo de Diaz das Vorgebirge von Afrika erreichte; er hatte es so wohl genannt zur Erinnerung an die hier ausgestandenen Drangsale, aber der Monarch Joiro, voll froher Erwartung nach glänzenderen Entdeckungen, gab ihm den bedeutungsvollen Namen ›Kap der guten Hoffnung‹ – und den wird es nun wohl für immer behalten. Jetzt hab' ich von der letzten Seereise in Lisboa bei meinem lieben Weibe ausgeruht, und nun bin ich einmal hierher gekommen, Euch wieder zu begrüßen, und weil ich mein liebes altes Nürnberg nicht vergessen habe, dessen kunstfertige Hände mir weiter dienen sollen, was die Wissenschaft mich gelehrt und die Erfahrung mir bestätigt, in einem neuen Instrumente faßlich darzustellen – wie [5] ja auch mein edler Lehrer Johannes Regiomontanus von Königsberg gen Nürnberg zog, weil er hier für seine Studien die besten mathematischen Instrumente gefertigt erhalten konnte.«

»Komm,« sagte Elisabeth und zog ihn zu sich auf das Sopha, »und erzähle so weiter. Wie freu' ich mich Deiner Rückkehr! Wie tausendmal haben wir in der letzten Zeit Deiner gedacht und uns gefragt, ob Du wohl noch am Leben – ob Du nicht zu Kühnes gewagt und gesonnen, ob Du nicht einer der Märtyrer geworden seist, welche, wie sie ihrer Zeit voraus sind, von dieser nicht verstanden, darum von den Anhängern des Alten verklagt und verurtheilt werden, beschuldigt, Irrlehren zu verbreiten und Unheil zu stiften, wo sie der Wahrheit und damit dem Wohle der Menschheit dienen?«

Martin Behaim versetzte mit klugem Lächeln: »Die Pfaffen sind mir allerdings nicht besonders hold und alle Freunde der Volksverdummung sind meine Feinde. Indeß können sie doch nichts wider mich aufbringen. Solche Gegner werden durch den Erfolg überwältigt – und da ich nicht eher etwas behaupte, bis ich es mit mathematischer Genauigkeit berechnet und klar beweisen konnte, so waren sie bald zum Schweigen gebracht. [6] Was mich aber vielleicht am meisten schützt, ist, daß ich niemals meine Person in den Vordergrund schiebe. Unter den stolzen, ruhmsüchtigen, aufgeblasenen Portugiesen mag man sich immerhin über die stille bescheidene Art des deutschen Mannes verwundern, der sein Wissen darbietet, ohne Anspruch auf Ruhm und Ehre zu machen, reich belohnt, wenn es nur wirklich der Menschheit nützt und zum Ziele führt; mag die Mit- und Nachwelt immerhin die Namen Bartolomeo Diaz und Diego Can als die Helden der Seeunternehmungen dieses Jahrhunderts nennen, die neue Welten finden und erschließen: mir genügt das Bewußtsein, daß ich die Seele dieser Unternehmungen war und daß ich die Schlüssel lieferte zu den sonst vielleicht noch unverschlossenen Pforten zu den neuen Wegen und Reichen.«

Elisabeth drückte ihm die Hand und sagte: »Wie lange Du auch schon unter den heißblütigen Nationen bist – Du bist ein ganzer Deutscher geblieben: Du läßt andern Nationen den Ruhm, den Deutschland haben könnte und der ihm vor allen gebührt!«

»Du bist auch noch immer die Schwärmerin für die deutsche Größe, die nun einmal nicht ein großes Deutschland werden kann!« sagte der weitgereiste Bruder; [7] uns Mathematikern ist es gleichgültiger, wir reden eine Zahlensprache, die für alle Nationen verständlich. Aber einen Ruhm wenigstens will ich dem Vaterlande und der Vaterstadt retten: wenn man sich einst von Portugals Seetriumphen erzählt und, wie ich vorhin sagte, dabei auch meinen Namen vergißt, so wird man doch Nürnberg nennen, in dem der erste Globus gefertigt ward. Ich bin hierher gekommen, um nach meiner Angabe die Erdkugel, auf die ich alle Länder und auch die neuentdeckten zeichnen will, von den geschicktesten Landsleuten darstellen zu lassen. Was man mit Augen sehen und mit Händen greifen kann, bezweifelt man nicht mehr, und dann wird Niemand mehr glauben, daß die Erde eine Scheibe, sondern begreifen, daß sie kugelförmig sein muß.«

»Rüstet nicht jetzt auch Spanien zu ähnlichen Entdeckungen?« fragte Georg.

Martin Behaim zuckte die Achseln. König Ferdinand und Isabella scheinen noch immer zu zögern, auf die Pläne und Vorschläge eines strebsamen Genuesen einzugehen, der auch in Portugal vergeblich der Regierung dieselben machte. Ich hörte leider erst von ihm, als der König Joiro schon seine Anerbietungen verworfen hatte, und war damals selbst noch in der[8] Lage, ihm nützen oder mit ihm vereint wirken zu können. Ich war noch nicht lange in Lissabon, in den Handelsgeschäften unseres Hauses mich Anfangs nicht um die Seeprojekte kümmernd, als (es war im Jahre 1481) unter dem Oberbefehle Don Diego's von Azambuja eine ansehnliche Flotte nach Guinea segelte und durch die Anlegung eines Fortes an der Küste den dortigen Goldhandel sicherte. Mit großer Eifersucht verbarg man jedoch die Resultate der bisherigen Entdeckungen und verbreitete die abschreckendsten Gerüchte und abenteuerlichsten Sagen über die Gefahren der Schifffahrt in jenen Meergegenden. Selbst grausame Maßregeln vernichteten die Mühe verwegener Fremdlinge, welche, gegen das System des Hofes, zu ähnlichen Zwecken sich anschickten, mit ihren Personen zugleich. Da wies man auch jenen Genuesen Christoforo Colombo ab, wie es ihm schon in seiner Vaterstadt Genua geschehen war. In Lissabon kannte ich ihn wie seinen Schwiegervater Bartolomeo Perestrello, ein tüchtiger Seefahrer, der als Schiffscapitän unter dem Infanten Don Heinrich nach der Westküste Afrikas gesegelt war und an der Entdeckung von Madeira Theil genommen hatte. Colombo behauptet, daß die andere Halbkugel unseres Erdbodens festes Land enthalten [9] müsse, das man auf kürzerem Wege erreichen könne, indem man durch eine Fahrt nach Westen gerade aus in's offene Meer steuerte. Mir scheint das in der That auch nicht unwahrscheinlich und ich glaube, daß ihm sehr Unrecht geschieht, wenn er für einen tollkühnen Träumer erklärt wird. In Lissabon abgewiesen, versucht er jetzt in Spanien sein Heil, zuweilen heißt es, daß man ihm Schiffe ausrüsten wolle – aber bis jetzt ist er immer noch mit leeren Versprechungen hingehalten worden. Vor der gelehrten Junta von Salamanka hat er seine Ansichten vorgetragen, aber auch hier belächelte sie die Mehrzahl als Hirngespinnste eines müssigen Kopfes.«

»O ich wollte, ich wäre an Isabella's Stelle!« rief Elisabeth; »ich gäbe diesem Manne Schiffe und Alles, was er wünscht, und wenn ihn die ganze Welt einen Abenteurer hieße! noch lieber wagt' ich mit ihm selbst die Fahrt. Wer Riesenpläne in seinem Kopfe wälzen kann, der verdient auch die Mittel zur Ausführung. Es muß herrlich sein, so mitten hinein zu schiffen in's grüne, wogende Meer, und zu spähen, bis irgendwo eine goldene Küste emportaucht, die noch kein menschlicher Fuß betreten, oder auf der man doch ganz [10] neue Menschen findet und Alles neu und anders, als das bisher Bekannte.«

Martin lachte: »Ja, Du paßtest gerade dazu! Du denkst es Dir wohl wie in einer venetianischen Gondel, oder auch wie im Schiffe des Dogen in das adriatische Meer hinaus. Die Lustbarkeit ist nicht gar so groß, tage- und wochenlang nichts zu sehen als Himmel und Wasser, und nicht zu wissen, wo man ist, trotz dem Compaß, und wär's der beste aus unserer besten Nürnberger Werkstätte. Du paßtest unter die rauhen Seeleute mit Deinen feinen Sitten, der hier die Reichsstädter noch zu roh sind, und Deiner feinen Haut, die von kostbaren Salben duftet. Und die neuen Menschen! Nun wir haben welche gesehen, die wir erst für eine große Art Affen hielten, und dann wieder welche, die zwar weniger wie wilde Thiere aussahen, aber sich doch so geberdeten und große Lust hatten uns zu schlachten und zu fressen.«

In diesem Augenblick trat plötzlich Christoph Scheurl ein mit sehr verstörtem Gesicht, warf einen verwunderten Blick auf den ihm unbekannten Martin und sagte zu Georg Behaim:

»Schlechte Nachricht, Herr Schwager! Eben wird mir gemeldet, daß ein großer Waarentransport, der [11] für Euch angekommen, einige Stunden von hier, aber noch auf Nürnberger Gebiet, überfallen und geplündert worden ist. Es sollen ganz absonderliche Sachen dabei gewesen sein, die der Bote gar nicht zu nennen und zu beschreiben wußte.«

»Um's Himmels Willen!« rief Martin, »es wird doch nicht mein Reisegut sein, dem ich vorangeeilt und dessen Führer ich an Dich wies?«

Elisabeth sagte: »Mein Bruder Martin – mein Gemahl« – die beiden Männer einander vorstellend.

»Das ist Dein Gatte!« fuhr Martin Behaim heraus, der, obwohl er wußte, daß derselbe zwanzig Jahre älter war als Elisabeth, und schon darum ein unpassender Lebensgefährte für sie, doch wenigstens die Würde des älteren Mannes, wie er selbst sie besaß, aber nicht diese Geckenhaftigkeit, die sich seinem ganzen Aeußern aufprägte, und diese Ausdruckslosigkeit des Gesichtes, die auf den alltäglichsten Weltmenschen schließen ließ, von ihm erwartet hatte. Er begriff mit einem Blick, daß seine Schwester, die sonst seine Schülerin gewesen, die er mit Theil hatte nehmen lassen an seinen Studien und an seinem Wissen, so weit dies einem jungen Mädchen möglich gewesen, neben diesem Flachkopf unglücklich [12] sein mußte. Er reichte dem Schwager die Hand und sagte:

»Seid mir als werther Verwandter begrüßt, wenn Ihr mir auch der Ueberbringer einer Unglücksbotschaft sein solltet!«

»Willkommen, Herr Bruder und wackerer Seefahrer!« antwortete Scheurl; »aber ich fürchte in der That, wenn an die Behaim eine Sendung von Euch in diesen Tagen unterwegs gewesen, daß die ausgeraubte die Eure ist, da es kein gewöhnlicher Waarentransport, sondern Reisegepäck gewesen sein soll, das von Augsburg kam.«

»Laßt mich den Boten sprechen!« rief Martin aufgeregt.

Elisabeth zog die Klingel und gab der erscheinenden Dienerin den Befehl, den Boten hinaufzuführen.

»Es wäre weniger umständlich gewesen, selbst hinabzugehen!« sagte Martin, als man noch auf den Boten wartete.

Da dieser endlich erschien erstattete er Bericht, daß er in Begleitung von einem Trupp Berittener, welche im Solde der Herren Fugger von Augsburg ständen, von diesem beauftragt sei, ein vierspänniges Waarenfuder an die Herren Behaim nach Nürnberg zu führen[13] und daß er ein Verzeichniß der Waaren mit erhalten; in einem besondern Kasten wären auch Affen und in einem andern einige wunderbare ganz bunte große Vögel mit krausen Köpfen und langen Schwänzen gewesen.

»Meine indianischen Raben!« rief Martin. »Elisabeth, ich hatte Dir sie mitgebracht, da ich weiß, wie Du über solche Dinge Dich freust! – Wo sind sie? – es sind meine Sachen! es braucht keiner weiteren Beschreibung – wo sind sie hingekommen?«

Der Bote zuckte die Achseln. »Wegen dem Viehzeug mußten wir öfter einkehren, ihm frisches Wasser zum Saufen zu geben, wie uns geboten war. Ueberall, wo es geschah, liefen die Leute zusammen, die gerade in der Nähe waren, die absonderlichen Thiere zu sehen, Land- oder Stadtvolk, Ritter oder Knappen, was gerade auf den Beinen war. So auch gestern Mittag in Altdorf ein paar Ritter. Ich suchte gerade etwas in meiner Tasche, und da hatte ich das Waarenverzeichniß mit herausgenommen. Der eine Ritter fragte uns, ob wir noch mehr solche närrische Dinge mit uns führten? Ich meinte, das möchte wohl sein, aber wir wüßten es nicht, da wir nicht lesen könnten – und da er das Verzeichniß sah, sagte er, er wollte es uns [14] vorlesen, und las zuerst darauf, daß die Sendung an die Herren Behaim ginge. Bei manchen Worten und Namen stutzten sie und verstanden sie nicht und wir noch weniger. Wir setzten dann unsern Weg weiter fort; aber der Regen hatte die Straße, die noch vom Winter her nicht ausgetrocknet war, so schlecht gemacht, daß wir Mühe hatten fortzukommen, und darum kam uns die Dunkelheit über den Hals, als wir noch im Reichsforst waren, indeß wir gemeint hatten, wir könnten vor Nacht in Nürnberg sein. Nun ging es immer langsamer mit uns vorwärts. Da brach plötzlich ein bewaffneter Haufe durch den Wald und überfiel uns. Meint nicht, daß wir uns nicht tapfer gewehrt – es gab Todte und Verwundete auf beiden Seiten. Aber sie überwältigten uns – wir mußten fliehen – sie waren uns weit überlegen – der Wagen sammt den Pferden und Waaren fiel in die Hände dieser Straßenräuber und Ritter. Ich meine die Beiden in ihnen erkannt zu haben, die am Mittag mit uns sprachen, obwohl sie jetzt die Visire geschlossen hatten; denn sie wußten auch, an wen unsere Sendung ging, und Einer sagte: Wenn die Affen für Elisabeth Behaim gewesen, so sag't ihr, sie brauche keinen, da sie sich schon seit zwei Jahren einen angeschafft.«

[15] Elisabeth erröthete und trat zurück; sie verstand nur zu gut die dreiste Anspielung auf ihren Gatten, die der Bote in seiner Dummheit getreulich wieder berichtete, und die also doch auf Raubritter ihrer Bekanntschaft schließen ließ – und sie nahm sich vor, sobald sie den Boten allein sprechen könne, sich eine genaue Beschreibung der Ritter geben zu lassen, indeß Martin, mit den Füßen stampfend, zornig fragte:

»Also ist wirklich Alles in ihre Hände gefallen?«

»Alles,« antwortete der Bote.

»Nun das muß ich sagen!« rief Martin Behaim, »ich denke, der von Kaiser Friedrich auf acht Jahre gestiftete Landfriede ist erneuert worden, der schwäbische Bund wie die Löwler und die Reichsstädte wachen sorgfältig, daß er gehalten werde, und indeß ich mein Gut von den neuentdeckten Inseln, dem Kap der guten Hoffnung über die weite See, dann durch die ganze pyrenäische Halbinsel und Frankreich glücklich hereingebracht in's deutsche Reich und in ihm bis vor die Thore der friedlichsten Reichsstadt – wird es auf ihrem Gebiete mir noch geraubt! Das freilich ließ ich mir nicht träumen, daß es noch also zugehe im heiligen römischen Reich; indem man von dem neuen römischen Könige große Dinge und Wunderthaten erwartet, geht [16] es im Innern des Reichs schlimmer zu, als bei den Nationen des Südens, die sich nicht solcher Bildung und Gesittung rühmen und sich noch mit dem heißblütigen Charakter des Südländers entschuldigen können. Wie hab' ich mich oft in die Heimath gesehnt, nach biederer deutscher Art – und nun empfängt sie mich so! Mir scheint, als sei hier eine bodenlose Verwilderung unter die Menschen gekommen. Das Gute hat es, daß ich nun wohl das Vaterland nicht überschätzen und auch in der Ferne von Heimweh geheilt sein werde.«

»Wir müssen diese Sachen wieder haben!« rief Herr Scheurl, und auch Georg stimmte bei, daß der Rath von Nürnberg den Schimpf nicht könne auf sich sitzen lassen, daß ein Behaim, der nach zwölf Jahren zurückkehre, mit dem Ritterkreuz des portugiesischen Königs geschmückt, der seiner Vaterstadt und seinen Landsleuten so viel Ehre gemacht, so um sein Reisegut betrogen werden dürfe.

»Gott sei Dank,« sagte Martin, »daß ich wenigstens meine Instrumente, Karten und Pläne bei mir behielt; ihr Verlust wäre mir unersetzlich gewesen. Was ich da mitgebracht und was man geraubt, das habe nicht ich sowohl verloren, als Ihr und der Rath von Nürnberg; denn es waren meist Gegenstände seltsamer [17] Art von meinen Entdeckungsreisen, dergleichen man hier noch nicht gesehen, und ich darum Euch und dem Rath, der ganzen Stadt zu Nutz und Letze mitgebracht und geschenkt hätte.«

»Eben das,« sagte Georg, »daß es noch nie gesehene Gegenstände sind, muß zur Entdeckung der Thäter und Wiederhabhaftwerdung jener führen.«

»Wir wollen sogleich das Nöthige anordnen bei dem Rath,« sagte Scheurl, sich wichtig und geschäftig zeigend.

»Zum Glück,« sagte Martin, »habe ich eine Abschrift des Verzeichnisses zur Vergleichung, die mögt Ihr einreichen. Ich klage wider Friedensbruch, auf Straßenraub und Ueberfall, auf Todtschlag des Geleites für friedliche Handelsleute. – Bis Augsburg war ich bei den Gütern geblieben, weil ich aber unterwegs in Eichstädt einen alten Freund aufsuchen wollte, trennte ich mich von ihnen, allein schneller reisend, und blieb dort zwei Tage, wonach ich berechnete, daß ich wohl ziemlich zugleich mit den Gütern ankommen werde, denn um Euch zu überraschen, wünschte ich nicht, daß sie mir zuvorkommen.«

»Nun kommt und laßt uns gleich alle drei auf dem Rathhause die nöthigen Schritte thun,« sagte Georg.

[18] »Gehab' Dich indessen wohl, Elisabeth,« sagte Martin; ich bin Dein Gast, wenn ich zurückkehre. Du siehst, ich habe nicht die Schuld, wenn ich Dir nicht einige Affen und indianische Raben zur Gesellschaft lassen kann, damit sie Dir von ihrer mährchenhaften Heimath erzählten.«

»Ich erwarte Euch wieder zum Nachtmahl,« antwortete sie; und wen Du etwa von alten Freunden wiederfindest, den bringe mit, oder nenne mir ihn, damit ich nach ihm sende.«

»Wir können ja auch unter uns bleiben,« versetzte Martin; »Du hast mir ja selbst noch gar nichts erzählt!«

Damit gingen sie, und Elisabeth seufzte bei den letzten Worten; was sie am meisten bewegte, mochte sie doch nicht erzählen! –

Als sie allein war, ließ sie sich von dem Boten die Ritter, die den Ueberfall gemacht und ihn erst gesprochen, genau beschreiben. Sie konnte nicht zweifeln, daß der eine Eberhard von Streitberg war. Er hatte auch die Bemerkung mit dem Affen gemacht.

[19]

2. Kapitel. Warnende Stimmen

Zweites Capitel
Warnende Stimmen

Ulrich von Straßburg war in's Clara-Gäßchen gezogen, das sich in der Nähe des Clara-Klosters befand und auf der Lorenzer Seite auch nur durch eine Straße von der Lorenzkirche, der Propstei und der Bauhütte von St. Lorenz getrennt war. Die dort beschäftigten Baubrüder suchten meist auf der Lorenzer Seite zu wohnen, und insofern war für alle diese Wahl der Wohnung gerechtfertigt – nur der Propst Kreß hatte ein bedenkliches Gesicht gemacht und Ulrich abgerathen dahin zu ziehen, weil er den geheimen Beweggrund errathen konnte: Ulrich suchte die Nähe seiner Mutter, von der er nun wußte, daß sie im Kloster zur heiligen Clara lebe.

»Ich will ja nichts, als nur eine Luft mit ihr athmen, dasselbe Geläut der Glocken hören, das mich zur Arbeit und sie zum Gebete ruft!« antwortete Ulrich. »Laßt mich gewähren! Wohnte ich nicht dort, so würde [20] ich vielleicht jeden Tag in der Nähe des Klosters auf- und abgehen, und wenn Ihr fürchtet, ich möchte mich selbst verrathen, so würde dies viel eher dadurch geschehen, als jetzt, wo ich nur ein Unterkommen gesucht und ein solches zufällig für die bescheidenen Wünsche eines Baubruders passend im Claragäßlein fand, aus dem ich so nah' zu unserer Bauhütte habe. Ich verspreche Euch, keinen Schritt zu thun, wenn Ihr meint, daß dadurch der fromme Frieden ihres Gemüthes gestört werden könnte!«

»Um Ihretwillen, wie um Deinetwillen,« sagte der Propst, »muß Alles bleiben, wie es jetzt war. Es ist auch darum, daß ich Dich nicht selbst bei mir wohnen lasse, wie ich am liebsten thäte. Ja weil Du Deiner Mutter ähnlich siehst, woran Dich Amadeus erkannte, oder wenigstens so von Deinem Anblick ergriffen ward, daß er Dir nachforschte, hast Du auch einen Zug von mir – und man hat es schon gewagt, Dich meinen Sohn zu nennen, weil ich Dich vor Andern begünstigt; müßte ich nicht den Schein vermeiden, so würde ich Dich gar nicht von mir lassen. Ich beschwöre sonst wieder ein Gerücht herauf, das meiner geistlichen Würde schadete und Dir ebenso gefährlich wäre, als das an den Tag Kommen der Wahrheit.«

[21] Ulrich versicherte noch einmal, daß er keine Vorsicht und Rücksicht aus den Augen setzen werde, die ja selbst seine eigene Zukunft am allermeisten erfordere.

»Wenn nur Amadeus nicht selbst zum Verräther wird!« seufzte der Propst. Von dem Augenblicke an, wo Konrad ihn aus der Kapelle waldeinwärts gesendet, wußten sie nichts von ihm. Nachforschungen irgend welcher Art konnten sie nicht anstellen, um sich nicht selbst zu verrathen. Ob er lebend oder todt, sie wußten es nicht. Im Stillen wünschte der Propst das Letztere. Was sollte auch der verirrte Mönch im fremdgewordenen Leben? und dem Sohne konnte sein Leben gefährlich werden! – Der Oheim wünschte nur nicht, daß Ulrich eine Schuld fühle am Tode des Vaters, und darum war er froh, daß dieser jenem seine Befreiung verdankte.

»Noch Eines muß ich Dir sagen,« begann der Propst; »eine Warnung ganz anderer Art. Als Herr Stephan Tucher mit Jungfrau Ursula Muffel getraut ward, zwei Fürsten sie zur Kirche führten und ein stattlicher Brautzug folgte: da war auch die schöne Scheurlin mit darunter und ragte wie immer auffallend unter Allen hervor, als sei sie selbst eine Königin. Die Kirche war von Zuschauern dicht gedrängt, und [22] auch auf dem erhöhten Platze, den ich mit andern Geistlichen und Patriziern einnahm, hatten sich Fremde eingefunden. Darunter auch ein Ritter, der sein Augenmerk besonders auf die Scheurlin geworfen, und der da meinte, er kenne sie gar wohl, seit ihren schönsten Jugendtagen, und nach dem, was er jetzt von ihr höre, müsse er glauben, daß sie immer noch so leichtfertig sei, wie damals, und für Jeden zu haben. Ich meinte, das Letztere sei nun gar nicht wahr und als leichtfertig kenne sie Niemand; sie sei immer eine spröde Jung frau gewesen und lebe auch jetzt ganz ehrbar mit ihrem Gemahl. Aber er lachte und sagte: Das müsse er besser wissen; da sie noch Mädchen gewesen, habe er selbst ihre Gunst besessen, aber sie aufgegeben, weil er keine Lust gehabt, dieselbe mit Andern zu theilen – und wie ich selbst ja wohl, gleich der ganzen Stadt, wissen müsse, daß sie es darauf anlege, wenigstens so lange der römische König in Nürnberg sei, seine Buhlerin zu sein – wie sie daneben aber auch es nicht verschmähe, seit Jahr und Tag eine Liebschaft mit einem armen Steinmetzgesellen zu haben.«

Der Propst hielt inne, wie um zu beobachten, welchen Eindruck diese Worte wohl auf Ulrich machen würden. Dieser war allerdings überrascht, auch den[23] Propst ihm gegenüber von Elisabeth sprechen zu hören, und noch mehr über diesen Schluß; seine Wangen glühten vor Zorn und Scham bei den letzten Worten, aber ruhig, fest und stolz blickte er in die Augen des Propstes und sagte nur: »Vollendet!«

»Ich schüttelte zu solch' unsinnigem Mährlein den Kopf,« fuhr der Propst fort; »aber der Ritter meinte, er wisse es ganz gewiß, und fügte hinzu, daß es noch dazu ein Baubruder sei, den ich kennen müsse, da er in der Lorenzhütte arbeite, und nannte ihn: Ulrich von Straßburg –«

»Das hat der Bube nur gewagt, weil er wußte, daß ich von Nürnberg fern war im Benediktinerkloster!« rief Ulrich, jetzt Alles errathend. »Nicht wahr, der saubere Ritter von Streitberg hat's Euch zugeflüstert? Der haßt mich freilich auf Leben und Tod. Und Ihr könntet wirklich mehr auf das Wort eines so frechen Ritters geben, der nichts ist als ein Placker, Straßenräuber und Frauenentführer, als auf das meine? König Max glaubte mir mehr, als ihm, und verwies ihn damals aus Nürnberg, wo ich zum ersten Male mit ihm und der Scheurlin zusammen getroffen und er wider mich und Hieronymus klagbar geworden – aber Ihr glaubtet ihm!«

[24] »Das war damals derselbe Ritter von Streitberg?« fragte Kreß erstaunt, denn damals war weder in der Bauhütte noch außerhalb der Name des Ritters, dem Ulrich das Schwert abgerungen, genannt worden.

»Derselbe,« wiederholte Ulrich; »und damit ich es nun gestehe: es war auch derselbe, den ich und der mich zu Tod verwundete, da ich zum zweiten Male die Scheurlin vor ihm rettete – derselbe, der mir jetzt auf dem Wege nach dem Kloster begegnete, wo Junker Pirkheimer mit mir sprach, und ich durch ihn die wahrscheinlich auch jetzt noch von ihm Verfolgte vor ihm warnen ließ. Er hatte sie nicht in seine Gewalt bekommen können, und nun versucht er es durch Verleumdungen, durch schnöde Angriffe auf ihre und meine Ehre. Um ihrer Frauenehre Willen habe ich gegen Alle und gegen Euch geschwiegen, wo sie es schon verletzen könnte, daß solch' ein wüster Geselle sie verfolgt und ihr selbst Alles an diesem Schweigen gelegen zu sein schien, denn sie hat für mich nie ein Wort des Dankes oder des Vertrauens gehabt – es schien ihr eben Alles darauf anzukommen, daß ihr Begegniß mit diesem Menschen ein Geheimniß bleibe, ja daß es auch von mir selbst vergessen würde. Da müßt Ihr nun [25] freilich der verleumderischen Beredtsamkeit mehr glauben, als meinem rücksichtsvollen Schweigen.«

Gerade dieser Eifer, mit dem Ulrich jetzt sprach, erschien dem Propst bedenklich, obwohl er Ulrich's Worten vollkommen glaubte und von dem ihm übrigens unbekannten Streitberg gleich durch dessen Betragen nicht die beste Meinug hatte, die sich nun leicht zu einer schlechten wandelte. Aber waren diese Beiden nicht eben darum Feinde, weil sie Nebenbuhler? War denn etwas natürlicher, als dies? Der Propst hatte viel gelebt in der Welt und kannte seine Zeitgenossen, die Geistlichen wie die Laien, den Adel und die Patrizier, wie das niedere Volk, die Männer wie die Frauen – und er kannte sie nicht von der besten Seite. Die großen Verbrechen und heimlichen Sünden, die man ihm im Beichtstuhle bekannt, waren noch nicht die schlimmsten; es gab dunkle Thaten, die selbst dies Bekenntniß scheuten, und Gedankensünden, die es nicht einmal bis zur Erkenntniß brachten, um wie viel weniger, daß sie hätten laut werden mögen. Er war selbst nicht frei von Fehltritten, deren er sich bewußt war, und die er doch mit der Schwachheit der menschlichen Natur entschuldigte, und über die er sich, weil sie eben nur aus dieser hervorgegangen, keine großen Gewissensskrupel [26] machte; er hatte weder je an seine eigene, noch an die Tugend Anderer schwärmerische Ansprüche erhoben, und so auch sich selbst mehr auf der Mittelbahn des Lebens erhalten; aber er wußte, daß, wer titanenhaft nach den Höhen strebe, oft am leichtesten in einen Abgrund falle; daß, wer seiner Zeit in vielen Dingen voraus sei und über blinde Vorurtheile sich erhoben, sich auch an manche Vorschriften der herrschenden Moral oder des Glaubens minder gebunden achte, als Andere und so Gefahr laufe, mit dem falschen Vorurtheil selbst das richtige Urtheil zu opfern über gut und böse, recht und schlecht. Gerade darum war ihm bange für Ulrich, weil er dessen hochfliegende Seele kannte; sie konnte sich auch verfliegen und gleich der Motte, weil das Licht ihn anzog, im Lichte fangen und verbrennen. Weil er keine gemeine sinnliche Natur war, konnte es ihm um so eher geschehen, nicht auf gemeine leichtsinnige Weise, sondern durchdrungen von einer poetischen Schwärmerei sein Gelübde, das ihn alle Frauen meiden hieß, zu brechen – so daß doch immer das Resultat, der gebrochene Schwur, dasselbe blieb – ob nun die Verführung von einer realistischen oder idealistischen Anschauung und Seite kam, die Sache blieb sich gleich.

[27] Der Propst nahm Ulrich bei der Hand und sagte gutmüthig: »Vergieb dem älteren, erfahrenen Manne, der es recht gut weiß, daß Keiner so fest steht, daß er nicht falle. Mag es nun Zufall oder Absicht gewesen sein, was den Ritter und Dich um die Scheurlin zusammenführte – sei gegen sie auf Deiner Hut.«

»Aber ich bitt' Euch, unterbrach ihn Ulrich ärgerlich, »eine so stolze Patrizierin – und ein armer Steinmetzgeselle; wozu hier noch eine Warnung, und sei sie noch so wohlgemeint.«

Der Propst zuckte die Achseln. »So wie ich diese Frau kenne, ist es möglich, daß sie aus Stolz vor der Welt die Huldigung des römischen Königs und künftigen deutschen Kaisers annimmt und im Stillen ihn von sich weist, nicht mehr gestattet, als die Welt eben sehen darf – aber auch, daß sie im niedern Steinmetzgesellen den Kunstgenius herausfindet und ihm gegenüber keinen Stolz mehr kennt – wenn nur die Welt nichts davon erfährt.«

Ulrich schüttelte den Kopf zu diesen Warnungen. Freilich war es ihm, seit er Elisabeth's Retter gewesen und seit sie, da er im Kampfe für sie in ihre Augen geschaut und sie über ihn gebeugt verzweiflungsvoll gehaucht hatte: »todt – und für mich« – als [28] sei er da durch nicht nur belohnt für das, was er für sie gethan, sondern auch geweiht, als sei er berufen, für sie noch mehr zu thun. Aber das lebte als ein so heiliges Gefühl in ihm, daß er es sich selbst und Andern verbarg, und weil ihm war, als habe er damals einen Blick in Elisabeth's Inneres gethan, nicht duldete, daß man sie verunglimpfe – ja, nach dem, was Kreß jetzt sagte, erschien sie ihm seiner Verehrung um so würdiger, weil sie von einem Buben gelästert ward sowohl, als auch dadurch, daß sie gerade im Gegentheil zu dem, was man ihr hier nachsagte, die stolzeste Zurückhaltung gegen ihn beobachtete.

Wenig Tage nach diesem Zwiegespräch schlich der Jude Ezechiel im Abenddunkel in Ulrich's Wohnung, die er nach langen Nachforschungen ausfindig gemacht. Ulrich meinte, er komme, um sich doch noch für die im Kloster ihm übergebenen Kleider die Bezahlung zu holen, die er damals verweigert hatte. War Ulrich auch in manchen Beziehungen über die ärgsten Vorurtheile hinaus – er fühlte sich doch sehr gedrückt und erniedrigt durch den Gedanken, daß ein Geheimniß von ihm in den Händen dieses Juden sei; denn wenn er auch nicht wußte, zu welchem Zweck er, Ulrich, im Kloster die Kleider bedurfte, so gab es doch, wie bei [29] jedem Geheimniß, das nicht mehr unser alleiniges Eigenthum, Möglichkeiten und Zufälligkeiten genug, es theilweise wenigstens zu verrathen, oder doch diese Mitwissenschaft des Israeliten gefährlich werden zu lassen, um so mehr, da die Verschlagenheit dieser Leute und ihr Streben, keinen Christen zu schonen bekannt, und in der That mehr als Vorurtheil war. Deshalb galt auch allerdings vor Gericht ihr Zeugniß nicht, und darum war wieder ein Jude eine ungefährlichere Person in diesem Falle, als jede andere; aber da eben dieser durch seinen Trödlerkram und sein großes »Geschäft« sich schon manchem Christen unentbehrlich gemacht und ihn sich verpflichtet, so hatte er überall Einfluß und Leute, die in seiner Hand waren und nach seinem Willen handeln mußten. Ulrich fühlte sich gedemüthigt, daß Ezechiel ihn diesen wohl gar schon beizählen könne. Kam er auch jetzt nur im Dunkeln und hatte er einen verhüllenden Mantel um sich, so lag doch die Möglichkeit nahe, daß Jemand ihn oder doch den Juden in ihm erkenne – und da der Umgang mit einem Juden, besonders für einen christlichen Baubruder, schimpflich war, so wollte er sich des unwillkommenen Besuchs so schnell als möglich entledigen, indem er sogleich fragte; wie viel er ihm schulde?

[30] Aber Ezechiel wies noch einmal standhaft jede Bezahlung zurück, und erzählte, daß er der Frau Scheurl den Ring gebracht, und wie diese ihm, dem Finder, selbst dafür danken wolle – denn es sei ihr gar viel an dem Ringe gelegen. Sie lasse ihn daher bitten, ihr eine Abendstunde zu bestimmen, in welcher er bei ihr selbst diesen Dank empfangen könne; sie werde dann auch Alles einrichten, daß sein Kommen ganz unbemerkt bleibe, da ihm das wohl erwünscht wäre.

Ulrich trat einen Schritt zurück. Im ersten Augenblick dachte er wohl an des Propstes Warnung, wie an dessen Urtheil über Elisabeth; im nächsten aber, wo er einen Blick auf das cynischlächelnde Gesicht des Juden warf und dessen ganze widerwärtige Erscheinung – da begriff er, daß Elisabeth nicht einen solchen zu ihren vertrauten Aufträgen wählte, selbst wenn ein Zufall ihn wie durch die Uebergabe des Ringes in einer Angelegenheit vielleicht zu ihrem Vertrauten gemacht. Er fühlte sich versucht, den Juden zu packen und die Treppe hinabzuwerfen; aber – er mußte ihn ja schonen, weil ein Geheimniß und mit ihm vielleicht er selbst und seine Ehre, vielleicht das Leben seines Vaters in den Händen des Juden war; er mußte vermeiden [31] ihn zu beleidigen, ihm seine Verachtung zu zeigen – er antwortete nur stolz:

»Ein christlicher Baubruder bedarf nie eines Dankes dafür, daß er seine Pflicht thut – er nimmt ihn nicht an, selbst wo er ein Opfer gebracht hätte. Aber hier kann von gar keinem Dank die Rede sein – das ist die einzige Antwort, die ich für Frau von Scheurl haben kann.«

»Die wird ihr sehr wenig gefallen,« sagte Ezechiel; »eine schöne Frau, die einen jungen Mann auffordert zu kommen im Dunkeln in ihr Haus, die ist nicht zufrieden mit solcher Antwort.«

»Kein Wort weiter!« fuhr Ulrich auf, »und seid froh, wenn Ihr weiter keines von mir hört!«

»O ich merke wohl,« begann Ezechiel dessen ohngeachtet von Neuem, »ich merke wohl, daß Ihr nicht trauet dem armen Juden, und für diesen Fall hat mir die Frau Scheurl in der Eile auch ein Blatt gerissen aus einem schönen Buche und mir mitgegeben, darauf geschrieben steht ihr eigener Name von ihrer eigenen zierlichen Handschrift.«

Ulrich griff nach dem Blatte: es war ein Titelblatt aus der Beschreibung Nürnbergs von Konrad Celtes;[32] unten am Rande stand mit blauen Buchstaben: »Elisabeth Behaim.«

Ulrich schwankte einen Augenblick, ob er das Blatt zurückgeben sollte oder behalten. – »Darauf sollet Ihr schreiben die Antwort, wenn Ihr sie nicht wollt geben mündlich,« sagte der Jude. »Das Blatt muß ich wieder bringen.«

»So bring es ihr, wie es ist,« sagte Ulrich nach einigem Besinnen: »das ist auch eine Antwort.«

Vergeblich war alles weitere Reden des Israeliten. Ulrich mußte mit aller Gewalt an sich arbeiten, daß er ihn noch glimpflich statt schimpflich behandelte.

Endlich mußte er doch unverrichteter Sache gehen. Das Titelblatt des Buches nahm er wieder mit.

Ulrich glaubte nicht, daß Elisabeth den Juden zu ihm gesendet – und doch konnte er auch wieder nicht begreifen, zu welchem Ende derselbe irgend ein freches Spiel mit ihm treiben sollte; er hatte ihm ja nur Gutes erwiesen, und Ezechiel selbst hatte sich in Lobreden und Dankesworten für ihn erschöpft. Aber um ein Geschäft zu machen, meinte Ulrich, sei solch' einer Judenseele Alles möglich. War er nicht mit Streitberg in Verbindung, da er dessen Ring besaß? – oder wieder, da er ihn an Elisabeth ausgeliefert, hatte er [33] nicht diesem damit einen schlechten Dienst erwiesen, oder auch hiermit »ein gutes Geschäft gemacht«? Und war es nicht einst Rachel gewesen, die Streitberg's Anschläge wider Elisabeth gekannt und ihm, Ulrich, zu ihrem Schutze zum Theil verrathen hatte? Woher wußte sie das, wenn nicht ihre Umgebung wenigstens mit Streitberg in Verbindung war? Hatte nicht dieser gegen Kreß ihm und Elisabeth versucht durch bösen Leumund zu schaden – hatte er nicht auch hier die Hand im Spiele? Ulrich kam mit all' diesen Fragen zu keinem klaren Resultat – und doch fühlte er, daß ihn und Elisabeth eine dunkle Macht bedrohe, und daß jetzt mehr als je etwas geschehen müsse sie zu schützen und selbst auf seiner Hut zu sein – aber es vergingen wieder Wochen, und es war Alles geblieben, wie es war.

Da scholl die Kunde durch Nürnberg, daß der berühmte Reisende Martin Behaim zurückgekommen sei, und daß ihm wenige Meilen von der Reichsstadt entfernt und noch auf deren Gebiet der Wagen, der sein Reisegut geführt, überfallen und ausgeraubt worden von frechen Raubrittern und Straßenräubern. Den Seinigen und seiner Vaterstadt und deren Gemeinwesen habe er die herrlichsten Dinge mitgebracht, die nun in die Hände der Verbrecher gefallen, die nur den allerunwürdigsten [34] Gebrauch davon machen oder sie gar vernichten würden. Und wie die Fama die Erzählung weiter trug von Ohr zu Ohr und von Mund zu Mund, so wurden die mitgebrachten kleinen Affen zu fürchterlichen Waldmenschen mit Schwänzen und die indianischen Raben zu fabelhaften Vögeln, die mit menschlichen Zungen redeten und goldene Eier legten, und die wundersamsten Schilderungen liefen um von Martin Behaim's indischen Schätzen.

Nicht nur der Rath bot all' seinen Scharfsinn und all' seine Macht auf, die Thäter zu entdecken, sondern jeder einzelne Nürnberger schien es sich zur Ehrensache zu machen, so viel an ihm war auch mit zu forschen und zu spähen, ob nicht irgendwo etwas zu sehen und zu erhalten sei von dem absonderlichen Eigenthum ihres berühmten Landsmannes.

Und diesmal – um ihres Bruders und um ihrer Vaterstadt Willen – schwieg auch Elisabeth nicht. Nach der Beschreibung des Boten nannte sie zwar nicht Streitberg, aber den Ritter von Weyspriach und einen Gefährten als die muthmaßlichen Thäter.

Indeß das Wort gilt immer noch: die Nürnberger hängen Keinen, den sie nicht haben. Und wie konnte man der Ritter habhaft werden? Die saßen sicher auf[35] Weyspriach's alter Burg – und wer konnte sicher beweisen, daß dieser mit dabei gewesen? Wie konnte man ihn zur Rechenschaft ziehen? oder wie konnte man allein auf diesen Verdacht hin etwa mit reichsstädtischer Mannschaft ihm vor die Burg rücken und entweder Einlaß begehren, nach den geraubten Schätzen zu suchen, oder jene zu belagern? Dann hätte Nürnberg zuerst den Landfrieden gebrochen, das so streng auf dessen Wahrung hielt, und nicht jener Ritter, der vielleicht ja doch unschuldig war, vielleicht auch das verrätherische Gut längst in einer sichern Räuberhöhle geborgen. So blieb es immer nur bei öffentlichen Erlassen und Preisaussetzen für Diejenigen, die irgend etwas von dem Gute gewahren, oder eine Auskunft darüber geben würden.

Wie aber immer, bald mit Recht, bald mit Unrecht, Alles, was Schlechtes oder Unerklärtes geschah, auf die Juden geschoben ward, so geschah es diesmal wieder, nachdem einige Tage unter andern vergeblichen Bemühungen hingegangen waren. Das Volk grollte den Juden, hieß sie, wenn nicht die Stehler so doch die Hehler, und schon zeigte sich im dumpfen Grollen die Lust, das Judenviertel zu stürmen – bis jetzt aber war es noch bei einzelnen Excessen geblieben.

[36] Als Ulrich zu dieser Zeit einmal im Dunkeln nach Hause kam, kauerte eine weibliche Gestalt auf der Treppe.

»Ulrich!« flüsterte es leise.

Unwillig erkannte er Rachel's Stimme. »Was willst Du wieder?« fragte er rauh.

»Euch bitten, mir zu helfen, tausende Unschuldige zu retten!« flehte sie. »Ihr wißt's, ich habe nie gelogen – hört mich auch jetzt! glaubt mir auch dieses Mal!«

»So rede wenigstens schnell, und sag' es kurz, was Du willst?« unterbrach sie Ulrich ungeduldig.

»Hier hört uns doch Niemand?« fragte sie ängstlich.

»In der That,« antwortete er, »das hab' ich wohl mehr zu fürchten wie Du!«

»So laßt mich mit in Euer Zimmer!« bat sie, »und macht Licht, ich hab' Euch etwas zu zeigen!«

Ulrich öffnete das Zimmer und schob sie mit hinein; während er Feuer anschlug, sagte er: »Rede und fasse Dich kurz, denn lange dulde ich Dich hier nicht!«

Es war noch finster und er sah nicht wie sie erglühte und zitterte. »Ach, Ihr wißt es gewiß selbst!« begann sie; »unser Volk soll wieder die Schuld tragen von der Ungebühr, die einem christlichen Bürger geschehen, [37] indeß die Uebelthäter doch Christen waren! Ein wüthender Haufe zog durch unsere Gassen und verkündete, daß man uns die Häuser über den Köpfen anzünden werde, wenn wir nicht herausgeben, was dem Martin Behaim geraubt ist – wenn nicht bis morgen Alles zur Stelle – so lange lasse man uns Zeit –«

»Aber was kann ich dabei thun?« unterbrach sie Ulrich, der jetzt einen Kienspan in Brand gesetzt hatte, wieder ungeduldig.

Sie hatte einen alten grauen Sack neben sich gelegt, in welchem sich etwas unruhig raschelnd zu bewegen schien; jetzt hob sie ihn auf, streifte ihn zurück, und hervor kam ein wunderschöner Vogel mit purpurrothem Gefieder, das wie Atlas glänzte, und blau und grün, hell und dunkel schattirten Flügeln und langem Schwanz. »Seh't,« sagte sie, »da ist das Schönste von Behaim's Schätzen; dies Thierchen hab ich heimlich gerettet, wie sie es mit den andern würgen wollten, und bring' es Euch.«

Ulrich betrachtete den Vogel, dergleichen er noch nie gesehen, mit unwillkürlicher Bewunderung, und dann rief er drängend: »Aber wo hast Du den Vogel her? Also weißt Du doch um das geraubte Gut und Deine Glaubensgenossen sind schuld an dem Frevel?«

[38]

»Nein und tausendmal nein!« rief sie; »aber weil sie unschuldig sind, müßt Ihr die Schuldigen verkünden. Aber mich hört ja Niemand, mir glaubt ja Niemand – oder vielmehr, die Männer würden mich steinigen, wenn sie wüßten, daß ich verriethe, was verschwiegen bleiben soll. Da nehm't den Vogel – dem sichtbaren Zeichen wird man glauben, wenn nicht Euch; geht damit zum Rath oder zu dem Behaim, oder Scheurl, oder zu wem Ihr wollt, und sagt, daß der Vogel Euch zugeflogen und es Euch gesagt habe: Die Ritter Weyspriach und Streitberg sind die Räuber und haben das Gut zum Theil auf ihrer Veste – ein anderer Theil davon aber ist in großen eisernen Kästen im Walde in einer Grube verscharrt. Führt nur die Leute hin rechts von der Heerstraße; es stehen zwei hohe Tannen da, die sich einander zuneigen, dahinter liegen runde bemooste Steine, gleich Wellen übereinander geschichtet. Ihr könnt nicht fehlen, Ihr müßt die Stelle finden.«

»Aber Kind,« sagte Ulrich staunend, »auch wenn ich Dir glauben will – ich kann doch nicht selbst die Stelle angeben und aufsuchen, ohne den zu nennen der sie mir gezeigt.«

»Nein! nein! rief sie, »das werdet Ihr nicht [39] thun! – Nennt den Vogel da, Ihr könnt sicher sein, den Beweis zu liefern, daß er die Wahrheit geredet.«

»Ich lüge niemals!« fiel ihr Ulrich in's Wort; »ich werde vor Gericht nicht lügen und alberne Mährchen werden nie über meine Lippen kommen.«

»Hab't Ihr nicht auch Geheimnisse,« sagte sie plötzlich, ihn fest ansehend, »von deren Verrath vielleicht das Glück oder das Leben einer Person abhängt, die Euch theuer ist? Ist da nicht auch selber Schweigen Pflicht – fordert Ihr es nicht von Andern?«

Er sah unwillkürlich beschämt zu Boden. Das war der Fluch, der über ihn gekommen, seitdem er die Eltern verloren, und noch mehr, seitdem er den Vater gefunden: er durfte nicht mehr in allen Fällen wahr und offen sein. – »Warum wählst Du immer mich zu Deinem Werkzeug in Dingen, die mich gar nicht berühren?« sagte er.

Sie sah ihn verwundert mit ihren dunklen Augen an, als begriffe sie diese Frage gar nicht. »Weil ich Euch allein traue von allen Christen!« sagte sie einfach, und nach einer Pause fügte sie hinzu: »Ihr wißt, ich kann nicht schreiben. Könnte ich's, so hätte ich, was ich da vorhin Euch gesagt, auf einen Zettel geschrieben und den Vogel um den Hals gehangen, dann hätt ich [40] ihn im Sack vor Eure Thür gelegt, ohne Euch selbst zu erwarten – und Ihr redet keine Unwahrheit, wenn Ihr sagt, daß Ihr so die Kunde von dem Vogel erhalten. Hab't Barmherzigkeit und thut also – wenn solch' ein kleines Geheimniß meinem ganzen Volke Leben und Eigenthum retten kann, das es unschuldig verliere –«

»Unschuldig?« unterbrach sie Ulrich; »wie kommst denn dann Du dazu, von dem Verbrechen und den Verbrechern genaue Kenntniß zu haben?«

»Frag't mich nicht weiter!« rief Rachel sich groß aufrichtend. »Daß ich die Noth abwenden will von meinem Volke, unter dem nur Einer weiß, was ich weiß – das sollte Euch meinem Flehen geneigt machen und Euch genug sein, mich nicht mit Mißtrauen zu quälen – nicht mich zwingen zu wollen, noch durch ein weiteres Geständniß ein Verbrechen zu begehen, wo ich immer nur sinne, eines um das andere zu verhüten.«

»Es ist gut,« sagte er milder; »ich thue Deinen Willen – so bleibe auch das unser Geheimniß.«

Er schrieb den Zettel so, wie sie gesagt hatte. Sie war damit zufrieden und schlich sich leise fort, wie sie gekommen.

[41]

3. Kapitel. Begegnungen

Drittes Capitel
Begegnungen

Noch an demselben Abend, wo Ulrich den indianischen Raben erhalten hatte, machte er sich mit diesem auf den Weg und ging zu Behaim's Haus, um hier denselben abzugeben. Aber er fand die Hausthür verschlossen und kein einziges Fenster des Hauses erleuchtet. Erst nachdem er lange geschellt, schaute ein Kopf aus einem Fenster im obern Stockwerk heraus und rief hinab:

»Es ist gar Niemand zu Hause.«

»Ich habe eine wichtige Meldung zu machen für Herrn Martin Behaim,« rief Ulrich hinauf.

»Der wohnt gar nicht hier, sondern bei dem Herrn von Scheurl,« antwortete die Stimme, »da müßt Ihr dorthin gehen; Alle sind da, denn man feiert den Geburtstag der Hausfrau. Hab't Ihr aber nichts Gutes, [42] zu melden, so werdet Ihr nicht sehr willkommen sein.« – Damit war das Fenster wieder zugeworfen.

Es blieb Ulrich nichts übrig, als dahin zu gehen. Der Weg war ziemlich weit, und es schlug eben zehn Uhr, als er »unter der Veste« ankam.

In Scheurl's Hause standen alle Thüren offen. Aus den Fenstern fiel helles Licht auf die Straße. Muntere Weisen von Spielleuten klangen daraus hervor.

Im Hausflur und auf der Treppe traf Ulrich Niemanden; in den hell erleuchteten Corridor, aus dem offen stehende Flügelthüren in den Gesellschaftssaal führten, woraus das Gewirr lauter Stimmen, neben der Melodie auch das Geklirr von Speise- und Trinkgefäßen klang, mochte er sich nicht sogleich wagen. Es kam ihm plötzlich der Gedanke ein, da ihn bisher noch Niemand gesehen, den Vogel vielleicht unbemerkt in ein Nebenkabinet setzen und sich selbst wieder fortschleichen zu können, damit seine Einmischung in diese Angelegenheit ganz unbemerkt bleibe. Er öffnete darum eine der nächsten Seitenthüren und stand in einem kleinen Zimmer, über das eine von der Decke herabhängende Ampel ein zauberhaftes Rosenlicht goß. Darunter stand ein weißes Marmorbecken mit einem zierlichen Blätterkranz umgeben, aus dem Strahlen wohlriechenden [43] Wassers emporsprangen. Eine seitwärts befindliche Nische umgaben Draperien von gelber Seide und purpurnem Sammet mit goldenen Fransen, Quasten und Schnüren, welche diese Vorhänge von einem gleichfarbigen Sammetpolster an der einen Seite zurückhielten. An dem einzigen hohen Bogenfenster zwischen den dicken Mauern standen hohe grünende und blühende Topfgewächse, eine Art Laube bildend. Hier dachte Ulrich den Vogel vielleicht passend anbringen zu können. Leise auftretend näherte er sich diesem künstlichen Garten, nahm den Vogel aus dem Sack, in dem er ihn bisher getragen hatte, und wollte ihn auf die Zweige setzen; aber Ulrich hatte das Kettchen losgelassen, das an dem Hals des Raben befestigt war, und dieser flog, ein eigenthümliches Geschrei ausstoßend, auf das Marmorbecken.

Da antwortete der erschrockene Ruf einer weiblichen Stimme aus der Nische – Elisabeth war auf dem Polster emporgefahren, auf dem sie eine Weile Ruhe gesucht hatte vor dem Lärm des rauschenden Festmahls, indeß ihre Gäste denken mochten, irgend eine Pflicht der wirthlichen Hausfrau habe sie abgerufen. Dort hätte sie Ulrich um so weniger bemerken können, als ihr rothes Schleppenkleid sich in die Farbe des Sammetpolsters [44] verloren hatte und ihr Oberkörper von den Vorhängen verborgen gewesen war. Jetzt hatte sie sich aufgerichtet, hielt mit dem weißen Arm den einen Vorhang zurück und strich mit dem andern die goldnen Locken aus der edlen Stirn, als wolle sie sich besinnen, ob sie träume oder wache. Regungslos saß sie da, starrte bald auf den Vogel und bald auf Ulrich, leuchtender ward der Ausdruck ihrer Augen; es war, als wage sie dieselben nicht zu wenden, sich nicht zu rühren, ja kaum zu athmen, daß sie sich nicht selbst ein wunderbares Traumbild zerstöre.

Und so war es auch Ulrich. Zum ersten Male fühlte er die Macht der Schönheit des Weibes – eines solchen, das zugleich den Stempel geistigen Adels auf der reinen Stirne trug, noch mehr, die Siegeszeichen geistiger Kämpfe um den feinen Mund; er dachte jetzt weder an eine Warnung, noch an all' diese Zufälligkeiten oder Berechnungen Anderer, die sie und ihn zusammengeführt – er dachte wieder nur an den Augenblick, wo sie über ihn gebeugt seine Wunde untersucht hatte, die er für sie empfangen; aber er faßte sich und griff nach dem Vogel, der auf dem Wasserbecken still saß, um zu saufen, und sagte:

[45] »Verzeiht, edle Frau, wenn ich hier eingedrungen. Ich meinte ungesehen kommen und mich wieder entfernen zu können – nur der Vogel sollte hier bleiben. Ihr solltet nicht wissen, daß ich ihn gebracht; er sollte nur noch zur Feier Eures Geburtsfestes kommen und das Uebrige selbst Euch verkünden.« Er näherte sich ihr nicht, sondern schritt der Thüre zu.

Sie sprang auf und rief: »Ulrich von Straßburg, diesmal dürft Ihr so nicht von mir gehen!«

Er stand still und sah sie fragend an.

Sie faßte sich und sagte mit edler Würde: »Ihr seid der einzige Mensch, dem ich Dank schuldig bin, der einzige, der ein Recht hat, mich als undankbar zu verachten – das ertrag' ich nicht!«

»Ich verdiene keinen Dank,« antwortete er; »der Vogel, den Euer Herr Bruder Euch mitgebracht hat von den fernen, wunderreichen Inseln, hat sich nur zufällig zu mir verflogen, und ich konnte nur ihn bringen – er aber bringt die Kunde, wo die andern Schätze sind.«

Erst jetzt begriff sie, daß Ulrich eben einen neuen Dienst ihr geleistet, einen größeren noch ihrem Bruder, obwohl sie seine Rede sonst noch nicht verstehen konnte, da sie den Zettel nicht gelesen. »Wie? Ihr häufet [46] neue Dankesschuld auf mich?« rief sie, »und noch ist die alte nicht abgetragen! Ihr dürft sagen, daß ich das noch nicht versucht, nicht einmal mit einem Wort; aber da Ihr mit dem Tode ranget, rang ich auch damit, und dann hab' ich Euch nur in Gegenwart Anderer gesehen. Dienste, wie Ihr sie mir geleistet, die bezahlt man nicht; ich konnte deren Werth nicht durch Anerbietungen verringern, wie mein Gemahl sie Euch gethan; mehr als dafür, daß Ihr Euer Leben für mich wagtet, muß ich Euch dafür danken, daß Ihr mein Geheimniß wahrtet, mich nicht zum Gegenstand einer abenteuerlichen Geschichte machtet. Was Ihr von mir erfahren, wollte ich selbst vergessen, wollte ich, daß Ihr es vergäßet und mich selbst dazu: und nun kommt mir immer wieder die neue Pein, daß Ihr mich trotzdem nicht vergessen habt, daß ich Euch keine Fremde geblieben – und daß Ihr mich doch – verachtet – verachten müßt.«

Die Gluth höherer Erregung war in ihr Antlitz getreten, als sie so sprach; aber jetzt erbleichte sie plötzlich, weil sie so gesprochen hatte. Sie lehnte sich an das Marmorbecken, um nicht umzusinken, alle ihre Pulse waren in fieberhafter Unruhe und die blauen[47] Adern schimmerten dunkler durch das zarte Weiß der Haut.

Ulrich beugte ein Knie vor ihr und sagte: »Ich knieete bisher nur in Kirchen und vor Altären – noch niemals vor einem Menschen! Wenn Ihr nicht diesem Zeichen meines Glaubens an das edelste und tugendhafteste Weib vertraut – so habe ich kein anderes.«

Sie faßte seine Hand, neigte sich über ihn, und ein Strom von Thränen stürzte aus ihren glänzenden Augen, die seit Jahren Niemand weinen gesehen. »Ihr seid ein geweihter Hohenpriester der Kunst,« sagte sie, »schaffet, was der Geist Euch eingiebt, und wenn Ihr es nicht verschmähet, so möcht' ich in Euere Hände den Auftrag legen, das Grabmal meines Vaters Martin Behaim mit einem Kunstwerk zu zieren, wie Euer Genius es in sich trägt.«

»Dann,« sagte er, »werdet Ihr im Stein verewigt daran stehen als der weinende Genius der Liebe.«

Aber da er dieses Wort gesprochen und mit seinen glühenden Lippen zum ersten Male die weiche Sammethand eines Weibes berührt hatte, zum ersten Male seine lebenswarme Nähe gefühlt, den Hauch seines Mundes und die warme Thräne seines Auges auf seiner Stirn – da sprang er auf und sagte so gefaßt [48] als möglich: »Vergebt meinem Eindringen, und wenn Ihr mir mit etwas danken wollt, so sei es damit, daß Ihr verschweiget, wer Euch den Vogel gebracht, sobald ich mich so unbeachtet entfernen kann, wie ich kam,« und um seine Bewegung zu bemeistern und zu verbergen, fing er den Vogel, der sich lustig auf den Zweigen einer kleinen Ceder wiegte.

Elisabeth nahm ihn selbst auf ihren Arm und küßte sein schimmerndes Gefieder. Das schien ihm zu gefallen, er blieb ruhig sitzen, krauste seine Kopffedern auf und zupfte mit dem rundgebogenen Schnabel an den Falten ihres Leibchens. Sie wollte sich selbst zur Sammlung und Ruhe verhelfen und las den Zettel, den er an seinem Halse trug, worauf Ulrich in kurzen, aber deutlichen Worten niedergeschrieben, was ihm Rachel vertraut hatte.

Gefaßter, als vorhin, sagte sie jetzt: »Vielleicht kann mein Bruder Martin Euch besser danken, als ich vermag. Ihr seid ja wohl bewandert in der Geometrie und Mathematik, deren ewigen Gesetzen er seine großen Entdeckungen verdankt.«

»Ihr vergeßt,« fiel ihr Ulrich in's Wort, »daß ich gern ungenannt bleiben möchte.«

[49] Sie entgegnete nichts auf diese Einrede, und da er noch einmal sich verbeugend Miene machte sich zu entfernen, sagte sie die Augen niederschlagend: »Nur noch eine einzige Frage: wie kam't Ihr zu dem Ringe, der meine Namensbuchstaben trug?«

»So hat ihn Euch doch der Jude Ezechiel gebracht, der ihn von mir forderte,« antwortete Ulrich, »da ich ihn nur gefunden, wo er ihn verloren.«

Elisabeth versank in Nachdenken und fragte dann: »Ihr waret nicht wieder mit jenem Ritter zusammen? – Wenn nicht er – sandtet Ihr den Juden zu mir?«

»Nie würde ich mich dessen unterfangen haben!« betheuerte Ulrich; »ich mag keine Gemeinschaft mit diesem Menschen, der wahrscheinlich auch nur an Euch sich drängte, um niedern Eigennutzes und irgend eines unsaubern Planes Willen. Nur nicht einen Solchen zum Vertrauten.«

»Er hat sich nicht wieder zu mir gewagt,« sagte Elisabeth.

Er sah sie forschend an. Hatte sie ihm den Juden gesandt oder nicht? Er hatte es erst nicht geglaubt, weil er sie zu stolz dafür hielt, weil sie ihn selbst bisher nur wie einen Fremden behandelt – und jetzt war dieser Stolz ja plötzlich gewichen, jetzt redete sie [50] zu ihm wie zu einem vertrauten Freund; jetzt verrieth sie, daß sie wohl von ihm einen Aufschluß über den Ring hätte erwarten mögen und darum wohl eine Unterredung mit ihm begehren können – und dann erschien es ihm wieder unglaublich, daß sie ihn, wenn sie da mals ohne Antwort von ihm geblieben, heute freundlich würde empfangen haben. Jetzt war der einzige Augenblick, wo er darüber, über sie selbst und den Juden zu einer Gewißheit kommen konnte – er mußte sie haben.

»Ezechiel,« sagte er, »wollte mich selbst zu Euch führen – ihr zürnt mich nicht, daß ich seine Vermittlung zurückgewiesen?«

»Was sagt Ihr?« rief sie, wessen hat der Jude sich unterfangen?«

»Ihr wußtet nichts davon?« fuhr er fort; darum hatte ich doppelt Recht, ihn zum Vertrauten zu verschmähen.«

Elisabeth stand starr und forderte: »Jetzt müßt Ihr mir Alles sagen!«

»Ihr hab't Recht!« sagte Ulrich; »die Wahrheit über Alles – nur sie allein ist großer Seelen würdig und kann ihnen zum Sieg verhelfen wider alle Feinde, wider alle Fallstricke, die sie uns legen wollen, oder in [51] die wir selbst uns verwickeln« – und er erzählte, daß der Jude noch einmal zu ihm gekommen und zum Beweis, daß es in ihrem Auftrag sei, jenes Titelblatt mit ihrer Unterschrift gebracht habe.

»Ich vermißte das erst gestern!« rief sie von Scham und Zorn gleich leidenschaftlich erregt. »Der schändliche Jude soll seine Frechheit büßen – ich werde wohl noch so viel Macht haben, einen Juden bestrafen zu lassen; der Rath von Nürnberg sucht längst um die Erlaubniß nach, dies Gesindel aus der Stadt verjagen zu dürfen; es sei meine erste Bitte an den König Max, er wird und darf sie mir nicht abschlagen.«

Ulrich hatte wohl einen Zornausbruch Elisabeth's erwartet, um so mehr, als er von ihrer Unschuld überzeugt war; aber er hatte nicht gedacht, daß er zuerst in Rachegedanken sich äußern würde – das hatte er nicht berechnet! Er war hierher gekommen, weil er der Jüdin versprochen hatte, durch diesen Schritt ihr Volk vor der blinden Wuth des Pöbels zu schützen, und er überlieferte es der um so sicherer treffenden kalten Rache der Patrizier. Und er selbst war in dieses Ezechiel's Händen – aber Elisabeth war es auch. Er mußte sie daran erinnern. »Ich vermuthe nach Allem,« sagte er, »daß dieser Ezechiel und der Ritter von Streitberg [52] Genossen sind, und daß es wohl gerathener wäre für den Rath von Nürnberg, sich jener frechen Straßenräuber zu bemächtigen, als wie das ohnedies ohnmächtige Judengesindel zu verjagen.«

»Auch das wird geschehen;« sagte Elisabeth das Haupt stolz zurückwerfend; ich habe lange still geduldet und gelitten und gehofft, ich würde dadurch die Geduld jenes Räubers erschöpfen und seine Anschläge vereiteln; ich habe im stillen christlichen Dulden ausgeharrt und einer höhern Hand die Rache überlassen – mich nicht an die Seite der Chriemhilden und Brunhilden stellen wollen, welche der Dichter der Nibelungen verherrlicht hat: aber immer auf's Neue gereizt, fühle ich, daß etwas von ihnen in jedem Weibe lebt, und daß der Himmel dem Weibe nicht nur die Bestimmung gab, zitternd zu dulden, sondern ihm auch das Amt der Rächerin vertraute!«

War das dieselbe Elisabeth, die vorhin, ein schönes, sanftes, vom Gefühl überwältigtes Weib sich über ihn geneigt und mit heißen Thränen seine Stirn benetzt hatte – sie, die er hingerissen den weinenden Genius der Liebe genannt? Jetzt stand sie stolz aufgerichtet vor ihm, in der That eine zürnende Chriemhilde, die den Racheeid schwört und sich Streiter wirbt, [53] ihn zu vollführen; aus ihren Augen zuckten dunkle Blitze, die aufgezogenen Augenbrauen darüber erhöhten ihren drohenden Ausdruck, die eine Hand auf das Herz gelegt, die andere emporgehoben, glich sie einer beleidigten Göttin, die entschlossen ist, die Entweiher ihres Altars zu strafen und zu opfern. –

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür: Ursula und Charitas Pirkheimer traten ein, denen nun doch Elisabeth's Entfernung zu lange währte, die sie überall gesucht, vermuthend, daß ihr unwohl geworden, und es da wohl besser sei das lärmende Fest zu beenden – und die sie nun hier fanden – allein mit einem Manne, der kein Gast war und in dem sie den Baubruder erkannten.

Charitas erbleichte, wie sie ihn gewahrte, und Ursula warf auf Elisabeth mitleidig erschrockene Blicke.

Diese holte nun einmal tief Athem, dann deutete sie auf den ihr wieder entflohenen Vogel und sagte mit ihrer gewohnten ruhigen Geistesgegenwart: »Diesen brachte mir eben der freie Steinmetz und damit die wichtigste Kunde für meinen Bruder Martin; da Ihr aber wißt, daß die Baubrüder allen Umgang und Dank von uns Profanen verschmähen, so hab' ich auch an diesem vergeblich meine Beredtsamkeit erschöpft, mich [54] zur Gesellschaft oder doch zu meinem Bruder zu begleiten, und kann ihm für den größten geleisteten Dienst keinen andern Dank gewähren, als den, ihn wieder still zu entlassen, wie er gekommen, und auch Euch zu bitten, seiner nicht zu erwähnen, damit ich ihm nicht vergeblich versprochen habe, daß er in dieser Angelegenheit mit allen weiteren Fragen, gerichtlichen und außergerichtlichen Verhandlungen verschont werden soll. Geb't ihm dasselbe Versprechen des Schweigens, und ich gehe mit Euch in den Festsaal zurück.«

Charitas sagte sanft: »O ich beneide Jeden, dem es vergönnt ist, von der profanen Welt sich zurückzuziehen, und werde Euch gewiß dies glückliche Vorrecht nicht verkümmern.«

Ursula, heiter strahlend von der ganzen Wonne eines jungen Eheglücks und dadurch wieder in Anmuth und Fülle neu erblüht, versprach Alles gern, was die minder glückliche Freundin verlangen mochte, und Ulrich verabschiedete sich mit kurzem Dankeswort von den Damen.

Auf der Treppe begegnete ihm nur ein Diener; da Ulrich aber einen langen schwarzen Mantel übergeworfen und so durch seine Tracht sich nicht verrieth, konnte ihn jener wohl für einen der Gäste halten, von[55] denen sich bereits einige entfernt. Als er auf die Straße kam, schwankte ein Mann vor ihm her, dem seine Füße den gewohnten Dienst zu versagen schienen. Jetzt schien dieser seinen Austritt aus dem Hause bemerkt zu haben und rief ihm zu:

»Seid Ihr es, Herr Anton Tucher? Ihr hab't mir einen schlechten Dienst erwiesen. – Ihr habt mir diesmal doch zu viel zugetrunken – aber nein, Ihr soll't nicht sagen, daß Ihr mich wirklich zu Boden getrunken – aber hier – jetzt hab' ich wirklich keinen Boden!«

Ulrich erkannte die Stimme des Propstes Anton Kreß, der ihn für Anton Tucher halten mochte, mit dem Ulrich ungefähr die gleiche Größe und Stärke hatte, und mehr war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Offenbar hatte der Propst im Trinken des Guten zu viel gethan und nun sich fortgeschlichen, da er seinen Zustand gefühlt, und wenn er auch sonst im vertrauten Männerkreise sich keinen Zwang anthat, woll te er doch vor der größern Gesellschaft und den Damen gegenüber seine Würde wahren. Was sollte Ulrich thun? Wenn ihn Kreß, der ihn aus dem Hause Scheurl's hatte treten sehen, erkannte, so konnte er keine Erklärung geben, die nicht ihn und Elisabeth einem unwürdigen [56] Verdacht ausgesetzt hätte; da er ihm auch nicht von Rachel sagen mochte und konnte – er war einmal in diesem Netz von Heimlichkeiten gefangen; aber jedes Bedenken wies er von sich, da er den Propst an dem Eckstein taumeln sah, nahe daran zu fallen oder sich zu stoßen. Ulrich sprang ihm bei und bot sich ihm als Stütze.

Anfänglich erkannte der Propst ihn nicht, hielt ihn noch für Anton Tucher und sagte: »Ei, das ist wacker, daß ihr mit mir geht – indeß ist's nicht so arg – ich fände den Weg schon noch. Ein capitaler Wein! in jedem Humpen eine andere Sorte! dazu die schönen Frauen gegenüber – man kann doch die Augen nicht zublinzen, da sie selbst ihre Reize zeigen! Da erhitzt man sich mehr, als wenn die Männer allein! Die schönste freilich bleibt immer Frau Elisabeth, ist sie auch nicht die Jüngste mehr! Ihr müßt es zugesteh'n, wenn Ihr auch sonst nicht für sie eingenommen! Bald eine antike Venus, bald eine christliche Himmelskönigin. Sie kann das viele Trinken nicht leiden und läuft immer fort, wenn die Zungen schwer werden, und man ihr die Artigkeiten lieber handgreiflich als mit zierlichen Worten sagte. Wer weiß aber – der junge Immhof war auch verschwunden – wer weiß, ob sie nicht mit [57] ihm in einem ihrer feenhaften Gemächer ein Schäferstündlein gefeiert! – Aber warum redet Ihr gar nicht? Denkt Ihr, ich sei nicht genug bei Verstande, Euch anzuhören?«

Von Allem, was der Propst so und weiter schwatzte, und schilderte, erglühte Ulrich selbst viel mehr, als der Trunkene, der noch in Gedanken an Wein und Weiber schwelgte. Jetzt wollte er nicht von ihm erkannt sein – nicht um sich einen Verdacht und Fragen, sondern um dem Propst, seinem Oheim und geistlichen Vorgesetzten, eine Beschämung zu ersparen. Er verharrte darum hartnäckig in seinem Schweigen und wollte sich an der Hausthür der Propstei entfernen, ehe etwa Beleuchtung käme, ob auch der Propst ihn mit Gewalt zurückhalten wollte und immer rief:

»Ich lasse Euch nicht fort – bis ich weiß, wer mein stummer Begleiter gewesen!«

Da stürzte plötzlich eine Gestalt hervor, die indeß unbemerkt unter einem der nächsten Schwiebbögen gehockt hatte und rief:

»Herr Propst, geb't einem verirrten Pilger ein Obdach für die Nacht!«

Ulrich kannte diese Stimme, und jetzt rief er, vor[58] dieser plötzlichen Erscheinung alles Andere vergessend: »Um Gotteswillen öffnet und nehm't ihn mit hinein!«

»Ulrich!« rief der Propst erschrocken und ernüchtert.

»Ulrich!« rief auch der Andere mit freudigem Erschrecken.

»Still! nur auf offenem Platz keine Fragen und Erklärungen!« rief Ulrich; »nehm't uns mit in das Haus, Herr Propst, aber in aller Stille, und steckt uns in die nächste dunkle Ecke Eures Hauses, wo uns Niemand vermuthet und findet!«

Der Propst hatte schon den gewichtigen Klöppel an der Hausthür dreimal geschwungen und sagte: »Hoffentlich macht sich's die Haushälterin bequem und öffnet von oben, dann könnt Ihr mit eintreten, und ehe sie mit Licht herabkommt, kann dieser da links in die Thür schlüpfen. Du gehst rechts mit mir, Dich kann sie sehen – aber ihn nicht, denn sie kennt ihn auch.«

Es geschah so, wie er gesagt. Die Thür sprang auf, die Drei traten ein, die Haushälterin kam erst mit Licht die Treppe herab, als der Propst schon den zuletzt hinzugekommenen Begleiter in ein dunkles Seitengemach geschoben hatte. Das Gesicht des Propstes glühte noch von Wein und seine Augen funkelten; aber Schreck und Angst hatten ihm die Besinnung wiedergegeben. [59] Er nickte indeß lächelnd der Haushälterin zu und sagte auf Ulrich deutend:

»Der da dachte, ich bedürfe seiner als eines nothwendigen Stockes – da hab' ich ihn denn gleich mitgenommen, und er mag die Nacht hier bleiben, da ihm indeß sein Haus verriegelt worden und ein Baubruder keinen nächtlichen Lärm macht. Geht wieder hinauf und zur Ruhe, er mag in meiner Nähe in der Todtenkammer schlafen.«

Die schläfrige Dienerin gehorchte gern und war bald die Treppe hinauf und verschwunden, indeß Kreß und Ulrich in das Wohnzimmer traten.

Als sie allein waren, sank der Propst erschöpft auf seinen Lehnsessel, brach in Thränen aus und jammerte: »Was soll nun werden? O ich habe es mir doch gedacht, daß er wiederkommen wird, zu mir – gerade zu mir! Ich sollte sein Todfeind sein, und er jammert mich doch! Von rechtswegen müßt' ich ihn festhalten und an das Kloster ausliefern. Er ist aus dessen Mauern geflohen – zum Tode schon verurtheilt, hat er noch ein todeswürdiges Verbrechen begangen! Er hat sich auch an mir versündigt und an Dir, er hat mir sein feierlich gegebenes Wort nicht gehalten. Hier an dieser Stelle war es, wo er schwor, Dir nichts zu [60] verrathen – nun hat er Dich unglücklich gemacht und wird uns Alle in's Verderben stürzen! –«

»Um's Himmels Willen!« rief Ulrich, »Ihr seid jetzt nicht in der Stimmung, kalt und ruhig zu überlegen, was zu thun ist! Schlaf't in Ruhe und laßt mich zu ihm, damit ich von ihm höre, wie's ihm indeß ergangen und was ihn hierher getrieben!«

»Schlafen? den Rausch ausschlafen, meinst Du wohl?« sagte der Propst empfindlich; »ich bin schon schrecklich genug erweckt und munter geworden durch diese Begegnung, und Du – wo kamst Du denn her – Du tratest hinter mir aus Scheurl's Haus –«

»O jetzt nicht von mir!« rief Ulrich; »sein Schicksal laßt uns bedenken! Wie lange ist er sicher in dem ihm angewiesenen Versteck?«

»Er kann dort nicht bleiben!« sagte der Propst. »Sobald meine Haushälterin wirklich zur Ruhe, wollen wir ihn hinaufführen in die Bibliothek; zu ihr trage ich den Schlüssel immer bei mir, damit nichts darin verrückt oder verräumt werde, das fällt nicht auf, aber an den andern Gemächern pflegen die Schlüssel zu stecken. Bis zur nächsten Nacht kann er dort bleiben – warum ist er nur überhaupt hierher gekommen?«

[61] »Kommt mit hinüber, oder laßt mich gehen!« drängte Ulrich; »darnach wollen wir ihn selbst fragen!«

Das der Hausflur zunächst liegende Gemach, in welchem jetzt der flüchtige Amadeus von Wildenfels verborgen war, hatte zunächst die Bestimmung, darin Leute untergeordneten Ranges warten zu lassen, welche den Propst zu sprechen begehrten und nicht gleich vorgelassen werden konnten, entweder weil er nicht zu Hause war, oder schon andere bei sich sah, oder auch sein Mittagsschläfchen hielt, worin ihn Niemand unterbrechen durfte. Dies Gemach hatte nur ein tiefes Fenster mit einem auf die Straße vorspringenden, kunstreich gearbeiteten Eisengitter. Die Wände waren kahl und weiß, rundum liefen hölzerne Bänke an ihnen hin, ein schwerer Eichentisch stand in der Mitte, außerdem war alles leer, nur ein großes, ziemlich gut in Holz geschnitztes Krucifix hing dem Fenster gegenüber.

Ulrich und Kreß traten schweigend ein.

Amadeus saß auf der Bank dem Tische zunächst, und hatte sein Haupt auf diesen gelegt. So schien er zu schlafen. Sein Gesicht war bleich, Haar und Bart verwildert, aber die geschorene Platte noch sichtbar. Sonst erinnerte nichts mehr an ihm an den Mönch. Er trug große Reiterstiefeln mit Sporen, lederne Beinkleider [62] und darüber ein Oberkleid von grüner Wolle, um den Leib einen Gürtel, an dem ein Schwert hing. Neben ihm lag ein schwarzer Hut mit großer Blende und ein schwarzer Tuchmantel.

Ulrich betrachtete ihn mitleidig und sagte: »Wer weiß, welchen weiten Weg er gemacht, wie lange er sich ohne sicheres Obdach herumgetrieben – nun liegt er ermattet hier und schläft.«

Amadeus athmete tief auf und richtete sein Haupt empor. »Ulrich!« rief er, »Du bist auch hier – und rettest mich auf's Neue?«

Ulrich reichte ihm die Hand. »Wie ist Euch?« sagte er, »und von wannen kommt Ihr? Ich habe dem Herrn Propst Alles gebeichtet, und er hat kein Geheimniß mehr von mir!«

»Bist Du mein Sohn? und hast Du mir vergeben?« fragte Amadeus.

»Ich bin es, und habe Euch vergeben, wie ich hoffe, daß Gott mir vergeben werde!« versetzte Ulrich.

Der Propst sagte ernst: »Amadeus, unter welcher Bedingung erfüllte ich Eure Bitte? Ihr hab't nicht Wort gehalten – Ihr hab't mit dem Verrath Eures unseligen Geheimnisses den stolzen Muth dieses freien Maurers vernichtet, die fromme Freudigkeit, mit der er [63] an den Tempeldienst der Kunst sich hingab, ihm geschmälert – sehet zu, daß Ihr ihn nicht noch mehr in's Verderben bringt! Ihr könnt nicht über ihn wachen, wachet wenigstens über Euch und Eure Zunge!«

»Eine harte Anklage!« sagte Amadeus; »aber ich habe mich selber schon härter angeklagt, und oft gewünscht, ich wäre in den Klostermauern umgekommen!«

»Laßt das jetzt!« unterbrach ihn Ulrich, »und erzählt lieber, wie Ihr entkamt.«

»Ich irrte im Walde Tage und Nächte lang umher,« begann Amadeus; »endlich kam ich an eine einsam stehende Wohnung und mußte sie betreten, um zu betteln, weil mir längst die Lebensmittel ausgegangen. Eine mitleidige Frau nahm mich auf und verpflegte mich einige Tage, da ich wunde und geschwollene Füße hatte, die mich nicht mehr weiter tragen wollten. Die Gegend, in der ich mich befand, war mir unbekannt, und auf mein Befragen erfuhr ich, daß ich nicht weit sei vom Schlosse des Herrn Weyspriach. Ich hatte einen solchen einst zum Waffengefährten gehabt, und that weitere Fragen nach Namen und Verhältnissen. Aber sie stimmten nicht, und der jetzige Schloßherr war nur ein Neffe meines alten Freundes. Aber dabei erfuhr ich, daß ein anderer meiner einstigen Kameraden [64] seit dem letzten Reichstag bei ihm sei, auch daß die Burg und ihre Herren weit und breit gefürchtet wären als fehde- und beutelustig, und sich Niemand an sie wage, noch an die Mauern ihrer Veste. Da beschloß ich dorthin zu ziehen!«

»Dorthin gingt Ihr?« fragte Ulrich tonlos.

»Zu diesen Raufbolden!« rief Kreß.

»Nun, sie haben mich sehr wohl aufgenommen und beherbergt,« sagte Amadeus ruhig; »freilich erst erkannten sie mich nicht, bis ich ihnen theilweise mein Geschick erzählt –«

»Unglücklicher! Eidbrüchiger!« rief Kreß; »Du sprachst von Ulrich?«

»Nein,« antwortete Amadeus; »dies Geheimniß konnte nur ihm selbst gegenüber über meine Lippen kommen; nur was mich allein betraf, habe ich Streitberg erzählt.«

»Eberhard von Streitberg war Dein Genosse?« fragte Ulrich.

»Nun?« fragte Amadeus, der sich die entsetzte Miene des Steinmetzen nicht zu deuten wußte.

»Und wenn es Euch so wohl ging bei den Raubrittern und Wegelagerern, warum seid Ihr nicht in dem alten Raubnest geblieben?« fragte höhnend der Propst.

[65] »Gestern kam ein Jude in die Burg,« erzählte Amadeus, »mit dem die Ritter ein weitläufiges Geschäft zu haben schienen. Mit andern Sachen wollte ich ihm Hut und Mantel verkaufen, die Du mir zu der Flucht gegeben, damit sie mich nicht einmal verriethen – der Jude aber erklärte: die wären sein, er habe sie im Benediktinerkloster vor einigen Wochen einem Baubruder geliehen, der versprochen, sie wieder zurückzugeben. Er schilderte Dich und nannte Deinen Namen, so wie den Tag meiner Flucht – ich zögerte nicht, ihm die Sachen zu geben.«

»Der Jude hieß Ezechiel?« fragte Ulrich.

»Ganz recht, so hieß er.«

»Nun sind wir ganz in seinen Händen!« rief Ulrich.

»Aber warum kamet Ihr nach Nürnberg?« wiederholte der Propst noch einmal eindringlich.

»Weil es mir nun allerdings möglich schien, daß der Jude mich verrathen werde –«

Aber Kreß unterbrach Amadeus heftig: »Ach, wohl um die saubern Raubritter nicht in Verlegenheit zu bringen, verließt Ihr ihr verstecktes Nest und kommt in die St. Lorenz-Propstei.«

»Nein, sondern weil ich ganz aus dieser Gegend gehen will, zuvor aber Ulrich sehen, ihn warnen und[66] ihn mit mir nehmen – es sei denn: er wisse, daß der Jude, der ihm zu den Sachen und damit zu meiner Flucht behülflich war, eine ganz zuverlässige Person sei.«

»Das ist kein Jude, und dieser Ezechiel vielleicht am allerwenigsten,« entgegnete Ulrich. »Muß ein Schimpf über mich kommen, so komme er – aber ich will ihn nicht selbst über mich bringen – das geschähe durch meine Flucht. Niemand wird mich verleiten Unwürdiges zu thun! – Aber es ist gut,« fügte er ruhiger hinzu, »es ist gut, daß Ihr Weyspriach's Burg gemieden; vielleicht wird sie von den Nürnbergern schon morgen belagert – und das möchte auch für Euch nicht gut sein.«

»Was sagst Du?« fragten Kreß und Amadeus zugleich.

»Laßt uns jetzt nur bedenken, wie Ihr unerkannt von hier fort kommt und wohin? Wißt Ihr nicht ein sicheres Versteck, Herr Propst?«

»Wir wollen das morgen überlegen!« sagte dieser. »Sein Rausch war zwar vorüber durch dies geistige Uebergewicht der Ueberraschung und Aufregung, aber jetzt folgte eine schlummerbedürftige Abspannung darauf. »Vor morgen Abend kann er doch nicht fort: ich will ihn in die Bibliothek zur Ruhe geleiten – es steht [67] eine Polsterbank drinnen. Laßt es uns beschlafen; gute Gedanken kommen über Nacht, und nicht, wenn man sie so im Augenblick herbeirufen will. Dort könnt Ihr bis zur nächsten Nacht bleiben – und Ihr, Ulrich, schlaf't hier drüben; wer weiß, ist die Haushälterin nicht munter, ehe Ihr in die Hütte müßt; sie darf nichts verändert und Euch nicht wo anders finden, als Euch diesen Abend angewiesen worden.«

Was Amadeus und Ulrich jetzt noch gegenreden mochten, es half nichts – sie mußten ihrem Wirth gehorchen, der Jeden in sein Gemach führte.

[68]

4. Kapitel. Gelübde

Viertes Capitel
Gelübde

Im Hofe am Steig bei den zwölf Brüdern ging der Riesen-Jacob vor der Werkstatt Meister Adam Kraft's müssig auf und nieder. Wie das Frühjahr gekommen war, sehnte er sich von der städtischen Maurerarbeit wieder hinaus auf die freien Felder des Benediktinerklosters, wo er, wenn auch nicht lohnendere, ja nicht einmal leichtere, aber ihm doch besser zusagende Arbeit fand, als in der Werkstatt des wunderlichen Künstlers, der ihn eigentlich zum Gespött seiner Gesellen machte.

Von dem Meister war er schon in aller Form entlassen worden und hatte seinen Lohn erhalten, aber er begehrte noch die Meisterin zu sprechen und wartete, bis sie zur gewohnten Stunde über den Hof kommen würde, wo sie ihrem Manne das Vesperbrod zu bringen pflegte.

[69] Jetzt erschien sie auch, aber nicht allein, die Frau Vischerin war bei ihr, die eilig herbeigelaufen war, um zu verkünden, daß ihr Ehemann, Peter Vischer, gestern wieder aus Italien heimgekehrt sei, und daß sie ihm eine Ueberraschung bereiten und seine besten Freunde die Meister Adam Kraft und Sebastian Lindenast ihm zum Nachtmahl laden wolle, denn er selbst sei dermaßen ermüdet von der weiten, meist zu Fuß zurückgelegten Reise, daß er nicht aus dem Hause könne und daheim nur seine Freude an den Buben habe, die indeß gar groß und verständig geworden, und dazu noch einer gekommen, den er zuvor noch gar nicht gesehen.

Der Riesen-Jacob mußte warten, bis dies Gespräch beendet war; die Zeit war ihm dabei etwas lang und er selbst immer ärgerlicher darin in seinem Vorsatz bestärkt, die Meisterin noch bei seinem Weggange zu ärgern, und sich selbst nicht nur über sie, sondern auch durch sie einen Triumph zu bereiten.

Als sich die Vischerin von Frau Eva Kraft verabschiedet hatte, trat Jacob auf diese zu und sagte: »Nun, Meisterin, ich wollte nicht weggehen, ohne Euch auch zum Abschied gesehen zu haben.«

»Nun Gott geleite Euch!« sagte sie kurz und gab ihm die Hand.

[70] »Seht,« begann er, »ich habe immer, wenn ich den steinernen Drachen da draußen vor der Thür sah, an Euch denken müssen.«

»Unverschämter Mensch!« fiel ihm die Meisterin in's Wort, »mach' Er, daß Er fort kommt!«

»Nun, nun, laßt mich nur erst ausreden,« sagte Jacob und hielt sie zurück; »ich habe das nicht zuerst gesagt, der hochwürdige Herr Propst Anton Kreß hat das aufgebracht! Ich mein' es mit Euch besser, als der, und will Euch nur noch einen Rath geben, wie Ihr Euer Müthchen an ihm kühlen könnt!«

»Ach, laßt mich in Ruhe!« sagte die Meisterin, und blieb doch stehen, um neugierig zu hören, was eigentlich kommen sollte.

»Ihr wißt,« begann dieser, »damals kam ein Benediktinermönch hierher, den Propst abzurufen; ich kannte ihn wohl und meinte, daß es nicht recht richtig mit ihm sein möge – nun, gestern hab' ich denselben Mönch, den Bruder Amadeus in Laienkleidung bei Nachtzeit sich in das Haus des Propstes schleichen sehen – das ist doch ganz wider die Ordnung. Nun will ich im Kloster nachfragen, was das eigentlich ist mit diesem Amadeus; ich kann mir doch gar nicht anders denken, als daß er aus dem Kloster entwischt ist, der [71] Propst und die Baubrüder mit ihm unter einer Decke stecken.«

»Auch die Baubrüder?« sagte Frau Kraft besonders gespannt, denn zwischen den profanen Bauleuten und den freien Steinmetzen bestand immer eine stille Feindschaft; die Letztern sahen hochmüthig in ihrer Abgeschlossenheit auf jene herab, und die Erstern waren eifersüchtig auf den Nimbus, der die Letztern umgab – sie ergriffen gern jede Gelegenheit, denselben vor dem Volke zu zerstören und sich ihnen mindestens gleich zu stellen. Ein echter Künstler, wie Meister Kraft, war wohl frei von diesem kleinlichen Neid und ließ auch den freien Steinmetzen Gerechtigkeit widerfahren, und sein größter Triumph war, nur durch die eigenen Leistungen seiner Kunst ihnen beweisen zu können, daß auch ohne Mystik und Abgeschiedenheit von allen weltlichen Freuden Kunstwerke hervorgebracht werden könnten von profanen Händen – aber seine Gesellen und Umgebung, auch seine Frau vermochte er nicht auf diesen höheren und friedfertigen Standpunkt zu erheben; sie kannte keine größere Freude, als wenn Jemand einem Baubruder Uebels nachsagen oder die ganze Genossenschaft lächerlich oder verdächtig machen konnte, mochte es von dieser oder jener Seite geschehen, mochte [72] man ihnen nachsagen, daß sie Kopfhänger wären, überspannte Phantasten und Schwärmer, die allein meinten den rechten Weg in's Himmelreich zu kennen, alle irdischen Freuden verachteten und mitten in der Welt lebend die Erde doch nur als ein Jammerthal betrachteten, das ihnen vergeblich seine Genüsse bot – oder mochte man sie Spötter nennen, die bei ihren geheimen Gebräuchen und Lehren dem Christenthum und der Kirche Hohn sprächen, oder heimliche Jünger, die nur öffentlich sich der größten Sittenstrenge unterwürfen, bei ihren Zechen aber oder auch allein im Verborgenen mehr sündigten als Andere. Darum spitzte Frau Eva jetzt die Ohren, als sie hoffen konnte, etwas Verdächtiges von einem Baubruder zu hören, und der Riesen-Jacob fuhr fort:

»Am Tage, nachdem jener Mönch hier gewesen war, hat der Propst ein paar Baubrüder hinaus in's Kloster geschickt, daselbst ein Sacramentshäuslein auszubessern – nun, das hätten wir auch gekonnt, und wer weiß, haben sich der Propst und der Mönch nicht erst die Modelle dazu bei uns abgeguckt.«

»O ganz gewiß haben sie das gethan!« rief die Meisterin entrüstet; »wenn ihnen nur mein Mann nicht [73] die herrliche Zeichnung hat sehen lassen, die er selbst zu einem solchen Gehäuse gemacht!«

»Der blonde Hieronymus und der Ulrich von Straßburg sind damals wochenlang draußen im Kloster gewesen,« berichtete Jacob weiter, »und Einer von ihnen – ich weiß nicht welcher, denn ich habe sie Beide stets nur miteinander gesehen – kam diese Nacht mit dem Propst heim, und sie nahmen den Amadeus mit in die Propstei, der schon so lange um sie herum geschlichen, daß ich ihn scharf in's Auge gefaßt hatte, weil ich dachte, er könne dort unmöglich auf guten Wegen wandeln.«

»Was Ihr nicht sag't!« rief Frau Eva; »Ihr werdet wohl thun, das im Kloster zu beichten – und ich werd' es hier auch nicht daran fehlen lassen.«

Viel freundlicher als vorhin ward nun der rohe Handlanger von der Meisterin entlassen, die sich innig freute, es endlich dem Propst entgelten lassen zu können, daß er das Späßchen mit dem Drachen auf ihre Kosten gemacht hatte.

Indeß lief am selben Tage ein anderes wunderliches Gerücht durch die Reichsstadt und beschäftigte in immer absonderlicheren Varianten die guten Nürnberger. Da hieß es zuletzt gar: Zur Frau von Scheurl sei ein [74] goldener Vogel geflogen gekommen, der zwar nicht singen, aber reden könne, und der habe ihr erzählt, wer das indische Reisegut Herrn Martin Behaim's geraubt, und sei dann zu der Stelle geflogen, an der es vergraben liege. Wer etwa dazu ungläubig lächeln wollte, wie zu einem einfältigen Mährlein, der mußte doch verstummen, als er einen stattlichen Zug, voran Herrn Christoph von Scheurl und die Gebrüder Behaim, im Gefolge ihre Leute und Diener, und eine große Abtheilung Stadtmilizen vor das Thor ausrücken sah und dem Reichsforst sich zu bewegen. Oder wer diesen nicht begegnete, der gewahrte vielleicht Frau Elisabeth am Fenster ihres Chörleins, wie ein herrlicher Vogel auf ihrer Achsel saß. War er auch nicht golden, so glänzten die Farben seines Gefieders doch so wunderbar schön und prächtig, daß er dadurch nicht minder fabelhaft erschien, als wär' er aus eitel Gold gewesen. Wer den Vogel sah, der glaubte dann auch gern die andern abenteuerlichen Erzählungen. Und für diese gewann die Nürnberger Phantasie bald einen unendlich weiten Spielraum, als es am Abend hieß: man habe wirklich an der Stelle im Walde, welche der Vogel angegeben, einen großen Theil der Schätze gefunden, die Martin Behaim mitgebracht und deren Beschreibung nun wieder [75] nur die staunenswerthesten Dinge zu verkünden hatte. Im Triumph wurden die wieder gewonnenen Kisten Behaim's in die Stadt geführt – und war nun einmal nur ein Theil wieder da von den entschwundenen Herrlichkeiten, so hoffte man, der andere werde sich nun auch schon finden – ja, man war entschlossen, ihn, wenn es sein mußte, mit Sturm und Waffengewalt zu erobern.

Die Ritter von Weyspriach und Streitberg erhielten von dem Rath von Nürnberg eine Vorladung, vor Gericht zu erscheinen und sich gegen die wider sie erhobene Anklage auf Friedensbruch und Straßenraub zu rechtfertigen oder darauf gefaßt zu sein, daß gegen sie erkannt und verfahren würde wie Rechtens. Diese Anklage stützte sich natürlich nicht nur auf die Angabe des indianischen Raben – mochte sie dieser nun schriftlich mitgebracht, oder wie im Volke die Sage ging, selbst redend gemacht habe – sondern auf die übereinstimmende Schilderung des Boten, der die erste Nachricht von dem Ueberfall an Scheurl gebracht hatte, mit den Aussagen der Verwundeten und Geflohenen, die von Augsburg her dem Transport zum Geleite gedient hatten. Keiner von ihnen kannte zwar die beiden Ritter persönlich, aber ihr Signalement der Räuber [76] paßte doch auf diese, und da sie schon mehr als einmal im Verdacht solcher Heldenthaten gewesen waren, so war es mehr als wahrscheinlich, daß sie auch dieses Verbrechen verübt.

Nun hatten aber freilich die Ritter guten Grund der Vorladung zu spotten und den Spruch des Rathes von Nürnberg zu mißachten; denn sie meinten, daß nicht dieser, sondern allein der Markgraf Friedrich von Zollern das Recht habe, Gericht auf Nürnbergischem Gebiet zu hegen, und sie nur dem Spruche dieses im Namen des Kaisers burggräflich gehegten Landgerichtes sich zu fügen hätten, da ihre Burg sowohl als der Ort der That nicht die Stadt Nürnberg selbst sei, und diese selbst auf dem ihr gehörenden Grund und Boden, der außer der Stadt gelegen, keine Macht habe zu richten. Aber eben über diesen Punkt war der Nürnberger Rath mit dem burggräflichen Gerichtsamte niemals einig, es fanden stets Reibungen und Streitigkeiten statt, und wie es bei unsichern Rechtsverhältnissen immer geht, wo jede Behörde die andere der Uebergriffe verklagt und das Recht der Entscheidung meint allein auf ihrer Seite zu haben, so ging es auch hier: die Angeklagten selbst hatten davon den größten Nutzen, sie brauchten nur zu erklären, daß sie die Competenz der Behörde, die sie [77] zur Verantwortung ziehen wollte, nicht anerkannten – so verging immer Zeit und die Sache verschleppte sich.

Diesmal aber trat doch das burggräfliche Landgericht auf die Seite des Nürnberger Stadtgerichtes und beschloß die Handlungen desselben zu unterstützen.

Markgraf Friedrich von Zollern war zwar gerade abwesend und bei dem Kaiser Friedrich in Linz, aber der stellvertretende Richter hatte es in guter Erinnerung, daß Frau von Scheurl die Pathe seines Herrn und von ihm in Ehren gehalten war; ebenso wenig vergaß er, daß sie Gnade vor dem römischen König und künftigen deutschen Kaiser gefunden, wie ihr Gemahl die Adelswürde: daß es darum wohl nicht klug gehandelt sei, ihre Wünsche nicht zu berücksichtigen; daß es also gerathen sei, einmal einer Klage des Nürnberger Rathes über Gewaltthat und Friedensbruch von Seiten adeliger Straßenräuber Gehör zu geben.

Darum sandte wenig Tage nach der höhnenden Antwort der Ritter auch das burggräfliche Landgericht eine gleiche Vorladung zur Verantwortung über die wider sie erhobenen Anklagen an die beiden Ritter, die allerdings einer solchen sich wenig versehen hatten. Indeß verweigerten sie auch jetzt zu erscheinen mit der Ausrede: daß doch nur die Nürnberger Krämer den [78] burggräflichen Landrichter bestochen hätten, und daß jene sich nicht rühmen sollten, daß Edelleute, die nur den Kaiser als ihren Herrn anerkannten, über ihr Thun und Schalten ihnen spießbürgerlich Rechenschaft abgelegt.

So kam es denn wirklich zu einer Belagerung von Weyspriach's Burg. Unter denen, die dazu mit ausgezogen waren, befanden sich auch Georg Behaim und Stephan von Tucher. Der Letztere wollte sich dadurch den Ersteren versöhnen, der ihn immer seit dem Schlittenstechen beim Schönbartlaufen scheel angesehen hatte, und noch mehr Frau Elisabeth dadurch seinen Dank beweisen, die ihm ganz allein zu dem Besitz Ursula's verholfen, an deren Seite er jetzt ein heiter glückliches Leben führte.

Ursula selbst, vielleicht noch mehr von Glück und Dankbarkeit durchdrungen als er, hatte ihn am wenigsten zurückhalten mögen, und doch war ihr bange, da er von ihr ging, an einer Fehde Theil zu nehmen, die ihn gerade in die drohendsten Gefahren bringen konnte, wie eine solche Belagerung; denn auf die Helmbüsche der Ritter pflegten die Belagerten immer am ehesten und schärfsten zu zielen.

In der Angst während seiner Abwesenheit suchte sie am öftersten Trost und Ruhe bei Elisabeth.

[79] Schon seit der Reichstag beendet und in Nürnberg wieder Alles in's gewohnte Geleis gekommen war, hatten die Gobelinsstickerinnen für die Lorenzkirche ihr Geschäft wieder begonnen und pflegten wenigstens wöchentlich einige Mal dazu bei Frau Elisabeth zusammen zu kommen. Jetzt waren sie so weit gediehen, daß sie, um die einzelnen Theile des Teppichs zusammen zu passen, sich an Ort und Stelle selbst begeben mußten.

Elisabeth hatte dieses Vorhaben dem Propste Kreß melden lassen, den sie seit ihrer Geburtstagfeier nicht gesehen, was sie um so mehr befremdete, als er sonst ein öfterer Gast in ihrem Hause war und sie seine guten Eigenschaften sehr wohl zu schätzen wußte, wenn sie auch seine Späße manchmal zum Erröthen zwangen.

Da erfuhr sie, daß er seit jenem Tage krank gewesen und nicht ausgegangen, aber er ließ ihr sagen, daß er um ihretwillen hinüber in die Kirche kommen werde.

Elisabeth und die Schwestern Pirkheimer waren die Ersten, die sich darin einfanden. Das hochgewölbte Schiff der Kirche war ganz leer und still, nur von drüben aus der Bauhütte und von oben vom Thurm herab schallte das Hämmern und Meißeln der fleißigen Steinmetzen.

[80] »Wie schön wäre es,« sagte Charitas, »wenn es auch eine Schwesterschaft gäbe, dieser Baubrüderschaft nachgebildet! Wenn auch wir Frauen uns vereinen dürften, in heiligen Gelübden unser ganzes Leben einer frommen und erhabenen Arbeit zu weihen und so einen großen und schönen Lebenszweck gemeinschaftlich zu verfolgen. So bleibt uns, um diesen Wunsch zu erfüllen, nur das Kloster.«

»Freilich müssen wir Frauen uns beinahe mit Gewalt, oder wenigstens doch im steten Kampfe mit der rohen Gewalt – jede Möglichkeit eines edlen Wirkens für unser eigenes Heil wie für das Allgemeine erobern,« sagte Elisabeth; »aber besser so, als im engen Kloster einschlafen oder mit versteinern.«

»Nein! so ist es nicht!« rief Charitas Pirkheimer; auch unter den Klöstern gleicht nicht eines dem andern. So herrscht im hiesigen Clara-Kloster unter den Nonnen ein reger Eifer für Wissenschaft und Kunst, gleichsam ein treugepflegter, kräftig wachsender Baum, der seine Zweige auch über die Klostermauern hinausbreitet, aufwärts strebt in den Himmel und hinaus zu den Menschen, sie mit seinen Schatten zur Ruhe zu leiten und mit seinen Früchten zu erquicken. Dort weilt eine alte Verwandte von uns, die wir erst kürzlich besuchten, an [81] deren tiefer Gelehrsamkeit sich Alle laben und die den regsten Eifer für die Wissenschaften unter den Nonnen weckt und wach erhält. Und was sie für die Wissenschaft, das ist Schwester Ulrike für die Kunst. Eine edle Frau, die gewiß sehr tiefes Weh im Leben erfahren hat, die aber hindurch gedrungen ist zum Frieden der Seele, den die Welt nicht giebt. Ihr Orgelspiel und Gesang sind vollkommen Alles, was zur Kunst gehört, hat sie das vollste Verständniß. Ihr solltet hören, wie begeistert sie von der Baukunst spricht und wie sie die geheime Symbolik derselben zu ihrem Studium gemacht hat; vielleicht knüpft sie auch oft für sich selbst eine eigene Symbolik daran und schmückt sie mit ihrer poetischen Phantasie. Ich glaube, wenn man sie früher das Mechanische der Steinmetzarbeit gelehrt, sie hätte eine zweite Jungfrau Sabina sein können, die den Straßburger Münster mit verherrlicht hat. Ich wollte, Ihr kenntet diese Frau.«

Clara fügte die Rede der Schwester ergänzend hinzu: »Mir fiel diese Nonne durch eine wunderbare Aehnlichkeit auf; es war mir, als habe ich dies Gesicht schon gesehen, gleichwohl konnte ich mich lange nicht besinnen, wann und wo, aber da ich den Steinmetzgesellen Ulrich [82] wiedersah, brauchte ich mein Nachdenken nicht mehr anzustrengen: ihm glich sie auf ein Haar.«

»Und darum,« sagte Elisabeth mit feinem Lächeln, und doch selbst dabei erröthend, »darum zog Euch die Nonne an?«

Charitas erröthete auch und blickte die Augen niederschlagend zur Seite, indeß Clara sagte: »In Beiden zieht uns derselbe Ausdruck der Begeisterung für das Heilige an, und Euch, Elisabeth, nicht minder als uns; ich wenigstens werde keiner Verläumdung glauben, die es anders von Euch zu behaupten wagt.«

»Clara!« rief Elisabeth und blickte sie drohend und zornig an. Aber konnte sie nach der Verläumdung fragen? sollte sie von einer Beschuldigung sich rechtfertigen, die ja noch gar nicht ausgesprochen war? Sie konnte nicht zweifeln, daß Charitas, trotz des gelobten Schweigens, da sie Ulrich in Elisabeth's Gemach fand, dies doch gegen die Schwester nicht gehalten hatte. Kam die Verläumdung gar von dieser Seite, oder hatte Streitberg sie ausgesprengt, wie sie nach seinen Worten auf dem Maskenfest wohl glauben konnte? – Im Gefühl ihrer strengbewahrten Tugend und ihrer weiblichen Würde hatte Elisabeth verächtlich lächeln können, wenn man da und dort sie die Buhlerin des römischen Königs [83] genannt – warum ward sie denn jetzt so aufgeregt von diesem einzigen Worte?

Aber plötzlich war es, als bebe der ganze gothische Bau und wolle über den Frauen zusammenstürzen. Hoch aus den Lüften erscholl ein donnerähnliches Getöse, die erhabenen Säulen und Strebepfeiler schienen zu schwanken, und ein hallendes Echo tönte donnernd von ihren Wölbungen wieder, die hohen Bogenfenster klirrten und das Farbenspiel der buntgemalten Fenster zitterte auf dem Fußboden und an den Wänden. Die Seitenflügel am Altargemälde klapperten aneinander, die Pfeifen der Orgel gaben wundersame Töne von sich, und der kaum vollendete hohe Chor bebte, als sei er schon wieder dem Untergange geweiht; von draußen erschollen rufende und schreiende Stimmen, und Elisabeth war es, als habe sie Ulrich rufen hören: »Halte Dich nur, bis ich komme!«

Andere Stimmen aber schrieen durcheinander: »Thut's nicht! Ihr verderbt Euch mit ihm! Ihr wagt zu viel!«

Die Frauen standen auf den Stufen des Portals und öffneten die Kirchenpforte, um hinaus zu flüchten oder zu sehen, was es gäbe, denn innen zeigte sich keine Veränderung.

[84] »Zurück!« tönten ihnen befehlende Stimmen entgegen! »drinnen seid Ihr sicher, hier können Euch die Trümmer erschlagen!«

Elisabeth wollte jedoch der Warnung nicht achten; aber der Propst selbst, der eben schon unter dem Portale gestanden, drängte sie zurück, zog sie mit sich in die Kirche und sagte: »Bleibt hier und betet für die Baubrüder, für Ulrich von Straßburg und Hieronymus!«

Die Schwester Pirkheimer sanken am nächsten Altar auf ihre Knie.

»Beten? Herr Propst – und nichts als beten?« sagte Elisabeth; »giebt es für die Frauen niemals eine helfende That? Sag't, was geschehen, ich bleibe sonst keinen Augenblick länger hier!«

»Ihr müßt!« sagte er und hielt sie gewaltsam zurück; »stürzende Balken oder Steine könnten Euch tödten, und bei einer gefährlichen Unternehmung zuzusehen, ist auch nicht für Euch! Ein paar Gesellen arbeiteten an der höchsten Thurmspitze, da das Gerüst durch einen herabfallenden Stein auf einen morschen Balken in's Wanken kam; sie retteten sich noch herunter, nur einer ist beschädigt, aber nicht gefährlich; Hieronymus aber stand gerade auf dem Thurmgemäuer selbst, als das Gerüst zu stürzen begann, und ist da stehen geblieben[85] – kein Mensch weiß, wie er von da herabkommen soll, weder innen noch außen.«

»Hieronymus ist also in Gefahr?« sagte Elisabeth ruhiger; »aber Ulrich?« fügte sie angstvoll hinzu.

»Der war glücklich hinabgesprungen,« antwortete der Propst; »er entdeckte zuerst den morschgewordenen Balken und warnte die Andern, aber Hieronymus hatte nicht auf ihn gehört, und jetzt ist Ulrich eine Leiter tragend wieder das Gerüst hinaufgeklettert. Er that es Allen zuvor, und Jeder widerrieth das Wagniß, dessen Gelingen Keiner für möglich hält, gleichwohl war er nicht zurückzuhalten; und es ist wahr, daß bei jedem andern Rettungsversuch für Hieronymus Stunden, viele Stunden vergehen müßten, und er steht nur auf den höchsten noch nicht festgekitteten Steinen des Thurmes, der selbst mit zu beben schien. Ehe jene Hülfe kommt, kann er verloren sein, kann aber auch nun zugleich mit Ulrich hinabstürzen, anstatt von ihm gerettet zu werden.«

Elisabeth mochte nicht weiter hören, sie wollte selbst sehen, und riß die Kirchenthür auf, ehe es der Propst verhindern konnte. In wenig Augenblicken stand sie selbst dem Gerüste gegenüber, von dem die Baubrüder das Volk zurückdrängten, das indeß sich daselbst zusammengefunden, [86] von dem Getöse herbeigelockt, das weithin geschallt war.

Die Steinmetzen waren alle herbeigeeilt, um Hülfe zu leisten, unzählige Hände waren beschäftigt, das Gerüst zu stützen, und unzählige Augen blickten ängstlich zu dem Thurme hinauf, auf dessen oberstem Gemäuer Hieronymus gleich einer Bildsäule stand und keine Möglichkeit sah, herabzukommen. Der Aufblick zu ihm schon machte Viele schwindeln – wie mochte dem zu Muthe sein, der da oben stand? – Und weiter unten ging Ulrich ebenso einsam über die schwankenden Balken, die mit der vorhin brechenden Stütze ihren sichersten Halt verloren hatten. Eine große Leiter vor sich her balancirend ging er die gefährliche Bahn. Am obersten Ende der Leiter hatte er einen Strick befestigt. Jetzt hatte er sich dem Thurm genähert, hielt die Leiter hoch empor und rief Hieronymus zu, den Strick zu fassen und ihn an das Gemäuer irgendwie zu befestigen. Hieronymus neigte sich herab – er schien in der Luft zu schweben, man meinte schon ihn stürzen zu sehen – ein jammervoller Schrei klang jetzt unten aus der schauenden Menge, eine alte Frau drängte sich hindurch und rief verzweifelnd:

[87] »Mein Sohn, mein einziger Sohn!« Es war Mutter Martha, die auch das Gekrach und die ahnende Sorge des Mutterherzens herbeigelockt.

»Welcher ist Euer Sohn?« fragte Elisabeth; »ach, ich kann mir denken, was Ihr empfindet – ich empfinde es mit Euch!«

»Ihr?!« sagte Mutter Martha mit dem Tone des höchstens Erstaunens, da es ihr überhaupt sehr unerwartet war, so plötzlich mitten unter dem Volkshaufen neben der stolzen Frau von Scheurl zu stehen, die sonst immer so streng jede Berührung mit dem Volke vermied und es jetzt nicht achtete, wie ein Tagelöhner mit schmutzigem Stiefel auf ihrer seidenen Schleppe stand und ein zerlumpter Betteljunge mit den Quasten ihres Aermels spielte – »Ihr?« wiederholte Mutter Martha, »Ihr fühlet das, die Ihr für keinen von diesen Beiden, nachdem sie ihr Leben für Euch gewagt, ein Dankeswort hattet? Pfui, schämt Euch; viel eher glaub' ich, Ihr freut Euch, wenn die wackern Burschen hier verunglücken, dann könnt Ihr vollends vergessen, was sie für Euch gethan – das wollt Ihr wohl mit abwarten.«

Maler Beyerlein, der auch des Weges gekommen war, um bei der Teppichberathung der Frauen in der Kirche mit gegenwärtig zu sein und sich jetzt bis zu[88] Elisabeth durchgedrängt hatte, klopfte die alte Frau auf die Schulter und sagte:

»Gute Frau, Ihr wißt gewißlich nicht, mit wem Ihr sprecht, daß Ihr Euch solcher frechen Rede unterfangt – das ist die edle Frau von Scheurl.«

Martha schien nicht zu hören, all' ihre Sinne waren wieder in ihren Augen, mit denen sie an dem Thurme und an ihrem Sohne hing. Er hatte jetzt die Leiter oben befestigt, unten hielt sie Ulrich; aber es war nur ein schmales Brett, auf dem er stand – nur einen Schritt fehl, und er stürzte hinab, oder die Leiter entglitt ihm und riß ihn mit, wenn der kräftige Hieronymus auf ihr stand. Jetzt hatte er sie betreten – die Volksmenge hielt den Odem an – da klang ein Betglöckchen aus dem Clara-Kloster herüber. Einzelne knieeten nieder, unwillkürlich folgte die Menge diesem Beispiel, und mit einem Male lagen Alle auf den Knieen, wortlos für die Baubrüder zu beten, die in solcher Todesgefahr schwebten; Elisabeth knieete dicht neben Martha und der Maler hinter Beiden, um seine edle Gönnerin vor der alten Frau zu beschützen, die ihm nicht recht bei Sinnen zu sein schien.

Jetzt hatte Hieronymus die letzte Sprosse betreten – entweder mußte er nun über Ulrich, der knieend die[89] Leiter hielt, hinwegsteigen, oder dieser sie loslassen und vor ihm her gehen. Wie es schien, unterhandelten die Beiden darüber. Das war der entscheidende Moment: ließ Ulrich los, so konnte Hieronymus mit der Leiter herabstürzen; ließ jener nicht los, bis dieser über ihn hinweg das schwanke Brett betreten, so konnte Ulrich um so sicherer hinabfallen – und außerdem war noch für beide Fälle eigentlich das Wahrscheinlichere, daß beide fielen.

Ulrich's Beharrlichkeit hatte gesiegt – Hieronymus war über ihn hinweggeschritten! Jetzt – ein Aufschrei der Menge – ein Wegwenden und Verhüllen der bleichen Gesichter, und dann doch wieder Hinaufwenden und Schauen – ein krachender Ton – ein jählinger Fall – ist's Ulrich? – ist's Hieronymus? – – »Gott sei Dank!« »Gelobt sei Jesus Christus!« murmelt und schreit es durch die Menge – es ist nur die Leiter, die Ulrich sich selbst aufrichtend losgelassen, die nun erst an den Thurm zurückschlägt und von da den Strick zerreißend, mit dem sie befestigt, herunterfällt und unten zersplittert – so kann auch der Mensch zerschellen, der hier abgleitet! –

Einige Minuten noch schwebten die Baubrüder in Todesgefahr – dann haben sie das noch feste Gebälk[90] erreicht. Ein donnernder Jubelschrei begrüßt die Geretteten – bald darauf stehen sie wohlbehalten unten vor der Kirche und Hieronymus umarmt Ulrich als seinen Retter! Die andern Baubrüder, der Werkmeister und Pallirer mitten inne, begrüßen die beiden Helden des Augenblickes; Mutter Martha will zu dem Sohne eilen, aber ihre Kraft hat nur gerade so weit gereicht, als sie in ängstlicher Spannung des Ausgangs harrte, der den Sohn ihr rauben, zerschmettern konnte – jetzt dachte sie erst: »wenn es nun doch geschehen wäre?« und vor so gräßlicher Vorstellung versagten ihr die alten Füße den Dienst – sie stürzte auf das Straßenpflaster nieder.

Niemand kümmerte sich um die alte Frau; aber jetzt eilte Elisabeth ihr nach, hob sie auf, stützte sie an sich und sagte zu dem Maler: »Sag't es dort dem Baubruder, daß seine Mutter hier ist.«

Der Maler stand unschlüssig. Daß die edle Elisabeth diesem Weibe beistand, das sie erst frech geschmäht, erschien ihm zugleich unbegreiflich und gefährlich, und als Elisabeth ihn drängte, ihr Geheiß zu befolgen, sagte er: »Wahrlich, ich male Euch noch einmal als Heilige der Barmherzigkeit gerade so, wie Ihr jetzt dasteht[91] – eine echte Christin, die, wenn man sie auf den einen Backen schlägt, den andern noch darreicht.«

Frau Martha war nicht etwa ohnmächtig oder bewußtlos geworden, sondern sie hatte nur ebenso an allen Gliedern gezittert, daß sie gefallen war, und auf dem Steinpflaster hatte sie sich nun die Füße verstaucht und das eine Bein aufgeschlagen, daß sie nicht zu gehen vermochte – sie mußte sich also den Beistand der Frau Scheurl gefallen lassen, und traute in der That kaum ihren eigenen Augen, daß diese ihn ihr leistete. Sie war zu beschämt, um ein Wort des Dankes zu sagen, und Elisabeth zu stolz ein Wort zu sprechen, wo sie jetzt mit einer That sprach – so stand das sonderbar zusammen passende Paar bei einander.

Jetzt eilte Hieronymus auf seine Mutter zu – Elisabeth legte sie in seine Arme. Ulrich stand etwas von fern, seine Blicke begegneten denen Elisabeth's – dann kam der Propst und begrüßte auch die Geretteten.

Gleichzeitig erscholl feierliches Geläute – es rief die Baubrüder in die Lorenzkirche, darinnen ihr Kaplan ein Te Deum angeordnet hatte, zum Danke für die Rettung aller Gefährdeten und der Verhütung weiteren Unglückes.

[92] Schnell waren die Baubrüder alle, von den Meistern bis herab zu den Lehrlingen zum Zuge geordnet und gingen in die Kirche; aber obwohl sie sonst ihren Gottesdienst allein abzuhalten pflegten, so konnten weder, noch wollten sie es diesmal hindern, daß auch die profane Menge ihnen nachdrängte und andächtig froh bewegt, wie sie erst angstvoll gebetet hatte, mit einstimmte in den ambrosianischen Lobgesang.

Inzwischen hatten sich auch die andern Stickerinnen zu den Gobelins mit eingefunden, und sie alle knieeten vereint an einem Seitenaltar und dankten – am innigsten Elisabeth Scheurl und Charitas Pirkheimer.

Als sie sich vom Gebet erhoben, sagte diese leise zu Elisabeth: »Nun ist mein Geschick entschieden; ich konnte noch schwanken – aber vorhin, als die Sense des Todes über – über den Baubrüdern schwebte« (sie wiederholte sich, weil sie keinen Namen nennen wollte) – »gelobte ich, wenn sie die Heiligen beschützten, mich dem Kloster zu weihen. Von diesem Augenblicke an betrachte ich mich als eine Braut des Himmels!«

Elisabeth umarmte die Freundin. Sie billigte im Innern ihren Entschluß nicht – aber sie ahnte ihn: Charitas wußte seit diesem Augenblick, daß sie liebte, [93] wo sie nicht lieben durfte – und ging in das Kloster! Hier konnte sie im Geiste einen Tempel bauen zu Ehre Gottes, wie der, zu dem ihre Gefühle schweiften in der Wirklichkeit – sie wählte eine Gemeinschaft der Heiligen, weil die irdische ihr versagt war.

[94]

5. Kapitel. Befürchtungen

Fünftes Capitel
Befürchtungen

Die Hoffnungen König Maximilian's, seinen Vater mit seinem Eidam Herzog Albrecht zu versöhnen, scheiterten an Kaiser Friedrich's unbeugsamen Sinn, der nicht eher von einem Vergleiche hören wollte, bis Albrecht Regensburg wieder herausgegeben, dessen Rückgabe dieser ebenso hartnäckig verweigerte, als sie gefordert ward. Unter Androhung der Reichsacht lud der Kaiser die Regensburger vor seinen Stuhl sich wegen ihres Abfalles zu rechtfertigen. Da ihm Jeder willkommen war, der wider Albrecht Klagen anzubringen hatte, fanden zuerst dessen unzufriedene Brüder Christoph und Wolfgang, von denen der erste die ehemals aufgegebene Herrschaft jetzt zu besitzen wünschte, der andere durch Mißhandlung eines Dieners gekränkt war, williges Gehör; dazu kam der Löwlerbund, der gleich in seinem [95] Ursprung und Fortschritte gegen die anwachsende Macht des Baiernherzogs gerichtet war.

Da statt einer weitern Antwort derselbe Regensburg befestigte, so that der alte Kaiser zu Linz, unter freiem Himmel auf dem Richterstuhle sitzend, wie es Brauch war, den Achtspruch über Regensburg und bot das Reich auf zu dessen Vollstreckung. Die Löwler waren gerüstet zum Losbrechen unter ihrem Führer und Urheber des Löwlerbundes Bernhardin von Stauff. Wer jetzt zu ihrem Heere stieß, der war ihnen willkommen.

Wie immer strömten da auch jetzt kriegslustige oder müssige Gesellen zu einem solchen deutschen Heere, das sich gern durch neue Werbungen verstärkte und dabei nicht ängstlich fragte und wägte, wer sich ihnen bot.

Für Amadeus gab es daher keinen bessern Rath, als auch in dies Heerlager zu flüchten, als ein kampfbereiter Krieger, der einst das Schwert wohl zu führen verstanden und auch jetzt in seinen vorgerückten Jahren dazu noch wohl befähigt war. Das war sein eigener Wille und war auch der Rath des Propstes, aber Amadeus wiederholte noch einmal, daß er nicht scheiden wolle, ohne Ulrich mit sich zu nehmen, der so auch die [96] beste Gelegenheit habe, jeder drohenden Gefahr zu entgehen.

Zwar bangte dem Propst nicht minder um diesen – aber selbst von den heiligen Banden der Baubrüderschaft umschlungen und bestrebt ihren schönsten und höchsten Pflichten treu zu bleiben, konnte er selbst den Gedanken nicht fassen, daß Ulrich so ohne Weiteres die heilige Stätte verlassen sollte und statt zu den ewigen Werken der Kunst, statt zu dem schönen Beruf, Bauten des Friedens aufzuführen, die Jahrhunderte hindurch Tausende von Menschen erheben und veredeln mußten – zu dem rohen Handwerk des Krieges zu greifen, das nur ein Leben der Zügellosigkeit und des Zerstörens war, eine Jagd nach Beute oder Ehre, oder nur ein Mittel sein Leben zu fristen. Denn im Mittelalter ward – die Glaubenskriege ausgenommen, mochten sie nun gegen Heiden oder Sarazenen, gegen Hussiten oder die allein seligmachende katholische Kirche geführt werden – der Krieger eben nur um des Soldes Willen Krieger, um eine Beschäftigung, ein Unterkommen zu haben. Von Vasallen- und Heerestreue, noch ohne an ein höher begeisterndes Motiv zu denken, hat die damalige Geschichte nur vereinzelte Beispiele aufzuweisen. Es galt nicht für ehrlos und unwürdig, wenn ein Ritter oder [97] Söldnerhauptmann mit seinen Leuten morgen auf einer andern Seite focht als heute: sie verkauften sich für den bessern Sold oder dahin, wo am ehesten auf Triumphe des Sieges oder reiche Beute zu rechnen war. Und wie die Führer und Ritter, so die Söldlinge, die Knappen und Troßbuben – fast niemals gab es ein höheres Band sie zu halten.

Ulrich war am Morgen nach der Nacht, die er in der Propstei zugebracht, aus derselben zeitig in die Bauhütte gegangen, da der Pallirer sie nur eben geöffnet hatte. Mit dem größten Eifer meißelte er an einer Eichenkrone an einem Kapitäl, denn er wollte gern noch so viel als möglich vollenden, und wußte nicht, wie lange ihm noch das Glück der Arbeit gegönnt war!

Als es am Abend dunkel geworden, ging er wieder in die Propstei. Noch einmal überhäufte ihn Amadeus mit Bitten, mit ihm zu gehen, ja er drohete in seiner heftigen Art auch nicht zu fliehen, sondern sich selbst dem geistlichen Gericht oder dem Kloster zu überliefern, wenn man ihn allein ziehen lasse; aber Ulrich blieb standhaft bei seiner Weigerung, oder er erklärte vielmehr noch einmal einfach, daß ihn nichts zu einem Eidbruch verleiten werde, und daß er bleibe, möge sein warten, was da wolle.

[98] Amadeus mußte von ihm Abschied nehmen in dem Bewußtsein, daß er selbst das ersehnte Glück, den Sohn wiedergefunden zu haben, mit dem Unglück desselben erkaufe! –

Kreß, der den Tag über nur eine Stunde bei Amadeus in der verschlossenen Bibliothek gewesen, und jetzt am Abend Ulrich mit hineingenommen hatte, duldete nicht, daß derselbe sich lange verweile, um ja keinen Verdacht bei der Haushälterin zu erregen. Ulrich mußte also nach einer kurzen Zusammenkunft wieder gehen, ja er mußte auch dem Propst feierlich versprechen, nicht etwa wie er erst sich anheischig gemacht, Amadeus bei der nächtlichen Flucht zu helfen, oder durch das Thor oder in welcher Art zu begleiten. Amadeus mußte allein und wieder in andern Kleidern, als in denen, welche er jetzt getragen, die Stadt verlassen, und es war dabei auch keine große Schwierigkeit, da ihn Niemand kannte und Niemand verfolgte. Man konnte ihn jetzt sehr wohl für einen gewöhnlichen alten Söldner halten, und Niemand vermuthete unter dem Helm das glattgeschorene Haupt des flüchtigen Mönches.

Wenige Tage nach seiner Entfernung mußte der Propst von seiner Haushälterin hören, daß sie auf dem Markt von mehreren Seiten gefragt worden sei: der[99] Herr Propst habe wohl wieder Gäste, die nur zur Nachtzeit kämen und gingen, und denen es in der Propstei besser gefiele als im Kloster? und daß man auf ihre Antwort, die Frage nicht einmal zu verstehen, weiter gesagt: sie solle sich nur nicht unwissend stellen, ganz Nürnberg wisse es schon, daß der Propst wie immer mit den Baubrüdern unter einer Decke stecke, und daß sie einem Benediktinermönch, dem es nicht mehr im Kloster gefallen habe, zur Flucht verholfen hätten.

Mit Entsetzen vernahm Kreß diese Reden, ohne zu ahnen, daß es Frau Eva Kraft war, die sie auf Veranlassung eines ihrer Handlanger in Umlauf gebracht hatte, nur um sich an dem Propst für den Drachen zu rächen, mit dem er sie verglichen hatte. Sie verfolgte damit nicht etwa einen mühsam angelegten Plan; sie dachte nicht entfernt daran, wider Gericht gegen den Propst zu zeugen, noch ihn überhaupt in Untersuchung und Strafe zu verwickeln, so boshaft war sie nicht: sie gönnte ihm nur ein wenig Angst und üblen Leumund; zu etwas Ernstlichem, meinte sie, werde es nicht kommen, da den Geistlichen, und besonders den hochgestellten, damals so viel durch die Finger gesehen ward; nur in den Augen der Leute wollte sie ihn und namentlich [100] die freien Steinmetzen herabsetzen, denen auch nicht leicht aus den Anklagen von Laien und Profanen ein Nachtheil entstehen konnte, wenn nicht ihre Vorgesetzten und Meister, die ihrer Hütte, wie die der Haupthütte von Straßburg die Klage annahmen und Urtheil sprachen: denn die Baubrüder hatten ihre eigene Gerichtsbarkeit und konnten nur erst, wenn sie aus der Hütte gestoßen waren, von Profanen gerichtet werden. Diese Vorrechte derselben waren es eben, welche die andern Zünfte auf sie eifersüchtig machten – und wie gewöhnliche Frauen ihren Neid und Groll, der, wenn berechtigt, den Institutionen gelten sollte, an den einzelnen Personen, zu deren Vortheil diese sind, auslassen möchten, so war auch Frau Eva in diesem Falle.

Amadeus war fort – aber was konnte der Propst thun, sich gegen diese Gerüchte zu schützen, wenn sie zu einer Untersuchung führten, und wie konnte er wissen, ob sie nicht schon das Ergebniß einer solchen waren, die vor der Hand noch innerhalb der Klostermauern geführt ward?

Ulrich glaubte in denselben Gerüchten, die zu ihm drangen, die Hinterlist Ezechiel's zu erkennen. So viel war ihm klar geworden durch Alles, was er im Lauf der Zeit an sich selbst erfahren hatte, daß der Jude ein [101] Vertrauter Streitberg's, und daß es nur dadurch Rachel möglich gewesen war, ihm alle die Nachrichten und Warnungen zukommen zu lassen, die er, um Unglück oder Unrecht zu verhüten, von ihr empfangen hatte. Wenn er so Alles überdachte, fiel es ihm plötzlich schwer auf's Gewissen, daß er den Edelsinn in ihr, der sie immer angetrieben hatte Unglück zu verhindern, durch nichts bestärkt oder belohnt, daß er sie immer von sich fern gehalten hatte und fast nur rauhe Worte für sie gehabt, weil sie eine Jüdin und weil sie ein Weib war. Hätte er nicht das Gefühl in ihr, das sie immer wieder zu ihm trieb, als dem einzigen Menschen, zu dem sie das Vertrauen faßte: er werde bereit sein die Unschuld und die Wehrlosen zu beschützen wie und wo es auch sei – hätte er das nicht unterstützen und pflegen müssen, ihr nicht sagen, daß es ihm scheine, als sei sie in der That und im Herzen eine Christin; hätte er nicht Alles thun müssen, sie vom Fluch des Judenthums zu erlösen und sie für das Christenthum zu gewinnen? Hatte er, indem er sie mied, nicht nur sich im Auge gehabt, nicht sein Gelübde, sondern nur den Schein es zu bewahren.

Was war es denn weiter, wenn er auch einmal in das Judenviertel ging? War es nicht auch klug, [102] wenn er jetzt Ezechiel unter dem Vorwand aufsuchte, daß er ihm die im Kloster geliehenen Kleider bezahlen wolle, da sie der Eigenthümer nicht zurückbringe, obwohl der Jude damals alle Bezahlung verweigert hatte. Konnte er nicht durch dies Anerbieten selbst Ezechiel irre machen in seinen Voraussetzungen, oder ihm doch zeigen, daß er ihn nicht fürchte?

In der Judengasse war die Wohnung Ezechiel's leicht zu erfragen und auch im Dunkeln zu finden, als der in einen langen Mantel gehüllte Baubruder durch dieselbe schritt. Ein matter Lichtschimmer brach durch ein Fenster des obern Stockes. Ulrich tappte die finstere Treppe hinauf und stand vor einer kleinen Thür. Es schien sich nichts dahinter zu regen, er lauschte und pochte.

Er rief: »Ezechiel!«

Nichts antwortete, aber es war Ulrich, als ob er leise Schritte zur Thür gehen hörte.

»Ezechiel oder Rachel!« rief er noch einmal, »wer ist daheim?«

»Gott meiner Väter!« rief drinnen Rachel's Stimme, »ich täusche mich nicht – Ihr seid es, Ulrich von Straßburg.«

[103]

»Ich bin es!« antwortete Ulrich, »und ich hoffe, daß Ihr mir öffnen werdet, damit ich mit Euch sprechen kann.«

»Das kann ich nicht!« antwortete sie; »der Vater hat mich eingeschlossen – aber seid Ihr allein?«

»Ganz allein!«

»So hört uns Niemand. O, Euch sendet der Himmel! Mein Vater läßt mich nicht mehr aus dem Hause – aber laßt Euch nicht von ihm hier treffen!« rief sie angstvoll.

»Warum?« versetzte er; »ich komme seinetwegen, meine Schuld ihm zu bezahlen.«

»O das ist längst abgemacht!« fiel sie ihm in's Wort; »es bleibt jetzt keine Zeit davon zu reden, auch nicht von dem Dank, den ich Euch schulde und mein ganzes Volk, daß Ihr auf mich gehört – aber der, dem Ihr damals fortgeholfen, ist ein Undankbarer.«

»Was sagst Du?«

»Er hat Euch an Streitberg verrathen, ich sah ihn selbst auf Weyspriach's Schloß; aber ich erfuhr den Zusammenhang erst, als ich fort war und nachdem ich schon bei Euch gewesen.«

»Diesmal kommt Deine Warnung zu spät!« antwortete Ulrich.

[104] »Zu spät – war mein Vater schon bei Euch?«

»Kürzlich? – nein!«

»Er schweigt noch – aber er will sein Schweigen von Euch damit erkaufen, daß Ihr ihm den Ring von Frau Elisabeth wieder verschafft. Ihr hab't ihr jetzt einen großen Dienst geleistet – sie wird und muß es thun!« sagte Rachel.

»Nie werde ich etwas von ihr verlangen,« sagte Ulrich stolz, »am wenigsten etwas Schmachvolles!«

»Nicht um Euretwillen, wenn Ihr an Euch nicht denkt – den Propst, Hieronymus, Konrad – Ihr werdet sie Alle mit Euch verderben sehen!«

Ulrich fühlte ein Schwert in seiner Brust, aber es war kein Schwert des Kampfes, sondern des Gerichts. »Ich weiß, was ich zu thun habe,« antwortete er; »ein Christ weiß es immer – er nimmt die Schuld allein auf sich, wie es sein erhabener Meister mit der Schuld der ganzen Menschheit that. Sieh', ich kam zu Dir, um mit Dir von dem Christenthum zu sprechen.«

Eine lange Pause folgte. Dann antwortete Rachel dumpf: »Geh't, ich habe weiter nichts mehr mit Euch zu reden – wir sind fertig. Ihr seid hier auch nicht sicher – geh't.«

[105] Ulrich wartete noch einige Minuten, rief noch einmal hinein, aber es erfolgte keine Antwort mehr. Er ging.

Was ihm Rachel gesagt, erfüllte sich am andern Tage. Ezechiel kam zu ihm, aber er wußte nichts davon, wie es schien, daß Ulrich Tags zuvor in seiner Wohnung gewesen, und da Rachel es also mochte gut befunden haben, darüber zu schweigen, so that Ulrich um ihretwillen das Gleiche.

Der Jude zeigte zuerst die alte kriechende Höflichkeit, sagte, daß er in Noth und Angst wiederkäme, um von Ulrich einen großen Dienst zu erbitten, durch den er allein großes Unglück von ihm abwenden könne.

Ulrich entgegnete ruhig, daß er sich wundern müsse, wie Ezechiel noch zu ihm kommen könne, nachdem er schon das vorige Mal sein Vertrauen zurückgewiesen – inzwischen aber erkannt habe, wie recht er daran gethan, da der Jude nur ein lügenhaftes Spiel mit ihm getrieben, um durch ein unredliches Mittel irgend einen unredlichen Zweck zu erreichen; es sei wohl besser, wenn sie einander aus dem Wege gingen und vergäßen, je einander darauf begegnet zu sein.

Diese Worte drängten den Juden rasch zum Ziel, da er daraus sah, daß Ulrich in keinem Falle ihm vertrauen würde, und daß es unmöglich sein werde, durch[106] List und Verstellung etwas von ihm zu erreichen, so griff er gleich zu seinem letzten, und wie er meinte, unfehlbaren Mittel: der Drohung.

»Muß ich mich doch verwundern,« begann er, »daß Ihr mir möget also schnöde begegnen. Ist es nicht in meiner Macht, Euch ganz und gar zu verderben? Hab't Ihr nicht aus dem Benediktinerkloster fortgeholfen einem Mönch, der verurtheilt gewesen zum Tode? Hab't Ihr nicht damit selbst verwirkt den Tod vor dem geistlichen Gericht? Ihr und Euer Freund, der mit Euch gewesen ist, und der Novize, der Euch geholfen hat? Denkt Ihr, ich weiß das Alles nicht haarklein? Aber ich weiß auch noch mehr. Wird nicht ein Baubruder, der nicht keusch und züchtig lebt, sondern mit Frauenzimmern sich abgiebt und zur Nachtzeit in ihre Wohnungen dringt, mit Schimpf und Schande verwiesen aus der Genossenschaft freier Steinmetzen? Denkt Ihr, ich weiß nicht, daß Ihr Euch hab't eingelassen mit der schönen Frau von Scheurl, und daß Ihr trotzdem seid nachgeschlichen dem armen Judenmädchen – seid zur Nachtzeit in die verachtete Judengasse geschlichen, weil Ihr hab't gewußt, ich sei auswärts, hab't Ihr mir wollen verführen mein einziges Kind?«

[107] »Haltet ein, so frech zu lügen!« rief Ulrich erglühend.

»Oho!« antwortete der Jude; »ich habe viele Zeugen, und Ihr vermöget weder mich einer Lüge zu zeihen, noch eine dieser Anklagen abzuwälzen, wenn sie werden angebracht wieder Euch. Wenn die That sich läßt so klar beweisen, gilt auch das Zeugniß des Juden, wenn Ihr das etwa darum verachten solltet; es giebt genug Christen, die mit mir das Alles bezeugen werden – und soll Euch bleiben nicht die mindeste Ausflucht. Aber ich hab' ein dankbar Gemüth und nicht vergessen, daß Ihr Euch einmal angenommen meiner und meines Kindes, und hab't mir herausgegeben den gefundenen Ring darum will ich schweigen, wenn Ihr mir nur thut einen einzigen kleinen Gefallen: verschaffet mir denselben Ring wieder von der Frau von Scheurl – denn der Ritter von Streitberg wollte einlösen sein Pfand, und will mir nun an Leib und Leben, weil ich es habe vorher gelassen aus meinen Händen.«

»Der Ritter von Streitberg wird Euch schwerlich viel schaden,« antwortete Ulrich, »denn die Nürnberger werden nicht eher von Weyspriach's Burg ziehen, bis sie sich der beiden gefährlichen Straßenräuber bemächtigt – und mir scheint, Ihr thätet besser, Euch als ein Feind [108] dieser Herren zu zeigen, als zuzugeben, daß Ihr allezeit gemeinschaftliche Sache mit ihnen gemacht. Im Uebrigen muß ich Euch wiederholen: sag't über mich aus, wahr oder falsch, was Ihr woll't – ich kann Euer Verstummen nicht durch etwas erkaufen, das mir ganz unmöglich ist zu thun –«

»Ist nicht unmöglich!« feil ihm der Jude in's Wort. »Trotzdem, daß Ihr mich nimmer hab't haben wollen zum Liebesboten, hab't Ihr Euch doch gegen mich verrathen; ich weiß nun um so mehr, wie Ihr steht mit der Frau von Scheurl, und daß sie Euch wird jeden Wunsch erfüllen, den Ihr von ihr fordern möget, schon damit sie nicht –«

»Still!« gebot Ulrich und stampfte unwillig mit dem Fuße. »Ich höre nicht länger solch' unsinniges Gewäsch mit an. Ich kann nicht thun, was Ihr woll't; thut selbst, was Euch gut dünkt, redet mir nach, was Ihr wollt und wo Ihr es wollt; ich habe kein Mittel, Euer Schweigen zu erkaufen und Euch vom Lügen-und falschem Zeugnißreden zurück zu halten, denn ich verschmäh' es, Euch wieder zu drohen wie Ihr mir: daß es mich auch nur ein Wort kostet, und Ihr seid überwiesen an Streitberg's und Weyspriach's Schuld mit [109] Theil zu haben – seid versichert, man wird keine langen Umstände mit dem Juden machen!«

»Gott meiner Väter!« rief der Jude, »Ihr redet das nur so in das Blaue hinein; der Jude Ezechiel ist alt und erfahren genug, um zu wissen, wie es mit ihm steht und was er hat zu thun oder zu lassen. So lange Weyspriach's Burg noch steht, gebe ich Euch Bedenkzeit, so lange werde ich schweigen. Schafft Ihr mir bis dahin den Ring, so seid Ihr für alle Zeiten meiner Dankbarkeit gewiß. Dann wird Ezechiel nicht allein schweigen, dann wird er Euch weiter helfen – Euch und Amadeus, wird Euch dienen und der Frau Scheurl. Schafft Ihr mir aber den Ring bis dahin nicht wieder, so wird das Verderben kommen über Euch und Alle, die ich da habe genannt, so wahr ich selbst Ezechiel heiße. Das überlegt Euch, und die Wohnung des armen Juden wißt Ihr ja nun zu finden!«

Damit ging er, ohne von Ulrich noch eines Wortes gewürdigt zu werden. –

So war Ulrich in der That durch den Juden von einem Netz umsponnen, daß er gar nicht einmal sehen konnte, aus welchen Fäden es gewoben, noch wen es mit ihm umgab. Und wie es ihm jetzt schien, war kein höheres Motiv dabei im Spiele, es war die gemeinste[110] jüdische Geldprellerei, der er zum Opfer fallen sollte! – Die Zeit, die ihm der Jude schenken wollte, schien ihm überflüssig als Bedenkzeit; aber er wollte sie nützen im Dienst der ewigen Kunst, der er sich geweiht – und vielleicht konnte er sie auch so nützen, Alles so zu leiten, daß er allein als Opfer fiel und alle Gefahr und Schuld auf sich allein nahm, die jetzt drohend über den Häuptern aller andern Wesen schwebte, die ihm im Leben theuer geworden, ja die sich überhaupt ihm nur genaht.

Wenig Tage darauf vernahm er mit Schrecken, daß der Propst Kreß erkrankt, vernahm er auch, was man in der Stadt über denselben redete; aber da er selbst zu ihm ging, um zu warnen oder zu berathen, so gut es gehen wollte, ohne durch ganz vollständige Mittheilungen die Angst des Propstes zu erhöhen, erfuhr er von diesem, daß der Abt des Benediktinerklosters als sein Freund und Gönner selbst bei ihm gewesen, um mit ihm im Vertrauen zu verhandeln: wie man das Bekanntwerden eines unangenehmen Vorfalls unterdrücken, dem Kloster und der ganzen Geistlichkeit eine Untersuchung und einen öffentlichen Eclat ersparen könne.

Ein Knecht, der früher schon im Kloster und später in der Stadt Dienste gethan, habe dem Abt berichtet,[111] daß er den Bruder Amadeus in fast ritterlicher Kleidung durch die Straßen Nürnbergs habe schleichen sehen, und daß ihn der Propst mit einem Baubruder bei nächtlicher Weile mit in das Haus genommen und bei sich verborgen. Auf diese Anzeige hin hatte der Abt in der Stille die Zelle öffnen lassen, welche vollends zugemauert worden war, als der Gefangene darin kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hatte; da man bei dieser Oeffnung nach einigen Wochen keinen Leichnam darin gefunden, so war es freilich klar, daß Amadeus geflohen war und daß er dies nicht ohne Helfershelfer hatte bewerkstelligen können. Indeß schien es dem Abt rathsam, darüber kein großes Geschrei zu erheben, sondern lieber zu thun, als ob nichts geschehen sei, so lange nicht durch Amadeus selbst die Sache ruchbar würde; denn eben damals waren in Kirchen und Klöstern mancherlei Mißbräuche eingerissen und das Ansehen Beider im Volke gesunken. Nicht etwa nur in den Klöstern, sondern im ganzen Volke, war eine beispiellose Verschlechterung der Sitten eingerissen und eine entsetzliche Verwilderung unter die Menschen gekommen; so wenig wie den Laien, so wenig galt selbst vielen Geistlichen der gute Schein, oder man suchte, wenn nicht ihn, doch das Ansehen durch Ketzergerichte und andere Zeichen [112] eines geistlichen Schreckensregimentes zu erhalten. Die aber zu den Besseren und Edleren der höhern Geistlichkeit gehörten, wie der Propst Kreß und der Abt des Klosters, die suchten wenigstens die eingerissenen Uebelstände und Ungehörigkeiten, die sie nicht ausrotten konnten und noch weniger an den Tag bringen, ohne in den Augen der Menge ihrem eigenen Stande zu schaden, zu vertuschen, so gut es gehen wolle.

Danach handelte auch jetzt der Abt in der Hoffnung, daß Kreß, wenn er Amadeus bei sich habe, oder seinen Aufenthalt wisse, sich mit diesem selbst leicht verständigen könne, daß er weit fort fliehen und sich verborgen halten möge, ohne je Jemanden zu vertrauen, woher er komme und daß er ein zum Tode verurtheilter und entlaufener Mönch sei. Lieber werde ihm der Abt selbst die Mittel zu weiterer Flucht verschaffen, als ihn der Verfolgung aussetzen, die ihn vor ein geistliches Gericht bringen werde, das ihn zum Tode verurtheilen müßte – ein Urtheil, das nun nicht wie das erstgefällte in der Stille des Klosters vollzogen werden konnte, sondern das der Welt offenbar werden mußte, weil andere weltliche Personen und Gerichte mit darein verwickelt sein würden.

[113] Dieser vertrauensvollen Mittheilung setzte der Propst die andere entgegen, daß allerdings Amadeus, aber erst einige Wochen nach seiner Flucht aus dem Kloster eine Nacht bei ihm gewesen, daß er sich nicht habe entschließen können, dem bei ihm eine Freistatt Suchenden, dieselbe zum Gefängniß werden zu lassen, noch sie ihm auf länger als einen Tag zu gewähren, und daß er Amadeus zum Reichsheer gesandt, in der Schlacht den Tod zu suchen, den er verdient habe und dem er doch im Kloster entronnen sei. Er erklärte nicht zu wissen und nicht wissen zu wollen, wie und wann und durch wen Amadeus befreit worden, und forderte zum Lohn für sein unumwundenes Geständniß von dem Abt, nicht nur die vorher versprochene Zusicherung, daß ihm dann selbst kein Schaden daraus erwachsen solle, sondern auch daß der Abt die ganze Sache unterdrücken und weder unter den Mönchen, noch den Baubrüdern, noch den Befreiern forschen möge.

»Sa lange das in meiner Macht ist und ich nicht von Außen dazu gedrängt werde,« versprach der Abt. »Ist es für die Ehre unseres Standes besser, Alles als ungeschehen zu betrachten, so soll es so gehalten werden; ist es jedoch nicht möglich, reden Andere oder die Thatsachen vor der Welt, so soll mit Strenge gerichtet [114] werden, und ich werde das Schonen nicht kennen, weder für mich selbst, noch für Feind und Freund.«

So weit war der Propst beruhigt für den Augenblick und doch voll Unruhe für die Zukunft; es war ein Damoklesschwert, das über seinem Haupte hing, und auch über dem Haupte Ulrich's.

Der mehr weiche und gutmüthige als starke und energische Charakter des Propstes Kreß war nicht dazu gemacht, solche Zustände mit Muth oder auch nur Gleichmuth zu ertragen, die ungewohnte Angst und Unruhe hatten ihm eine Krankheit zugezogen, die ihn lange an sein Haus gefesselt hielt. Als Ulrich zu ihm kam, theilte Jeder von dem Geschehenen oder Gefürchteten dem Andern eben nur so viel mit, als nöthig war zu beruhigen oder zu warnen; aber da Keiner wissen konnte, wie der Würfel fallen werde, ob überhaupt eine Anklage und welche zuerst sich erheben werde, so war es nicht möglich irgend eine Verabredung zu treffen oder einen Plan zu Schutz oder Trutz zu entwerfen – ja Ulrich stand nur das Eine fest, was er aber nicht sagte, daß er, wenn es zu einer bedenklichen Untersuchung kam, sich als den einzigen Schuldigen selbst darstellen und zum Opfer bringen wollte.

[115] So war noch Alles geblieben, als der Propst als ein Halbgenesener in die Lorenzkirche kam, die Darbringungen weiblichen Fleißes, die Elisabeth mit gestiftet, zu beschauen, und als Ulrich, um Hieronymus aus drohender Gefahr zu retten, sich selbst in die größte begab. Die Rettung war ihm gelungen, und Elisabeth, die er inzwischen nicht wiedergesehen, hatte ihm auf offenem Markt ihre Theilnahme zu erkennen gegeben. Lag darin nicht eine neue Gefahr – und empfand nicht Ulrich doch nebenbei einen süßen stillen Triumph in dem geheimsten Winkel seines Herzens?

Ihm war es, als sei es der schönste Tag seines Lebens. Er hatte an ihm eine Spitzsäule mit zierlichem Eichenlaub umrankt, das mit stachlichem Dornenwerk darum zu streiten schien, und doch in der Krone den Sieg davontrug, vollendet und eben sein Zeichen, den Kreis mit dem Winkelmaaß durchschnitten, hineingegraben, als er Elisabeth zur Kirche vorübergehen sah und nicht lange darauf das Gebälk am Kirchenbau erbebte, stürzte – und er nun, selbst der nahen Gefahr entronnen, Alles aufbot mit Anstrengung aller seiner Kräfte sie von den andern Baubrüdern abzuwenden und Hieronymus zu retten.

[116] Und da es ihm gelang und Hieronymus ihn innig umschlang und nichts zu ihm sagte als: »Mein Bruder!« da hätte er laut aufjauchzen mögen in dem Bewußtsein, daß er dem Freund hatte beweisen können, daß er noch ganz der alte für ihn sei – und daß nun auch aus dessen Seele alles Mißtrauen schwand, das sich darin festgesetzt seit ihrer verschiedenen Meinung über die Juden und seit ihm Ulrich wirklich etwas zu verbergen hatte. Das, was Ulrich selbst empfand gleich einer Versündigung an dem Freund, die er doch auch nur aus Rücksicht für diesen selbst, um ihn nicht durch einen Mitwisser zu einem Mitschuldigen zu machen, auf sich lud, das war nun auf einmal von ihm genommen: denn er hatte ihm jetzt gezeigt, daß er ihn mehr liebte als sein Leben, das er mit Freuden wagte an die Rettung des seinen, da alle Andere es verloren gaben und ihn zurückhalten wollten. Auch Mutter Martha war ihm versöhnt, und mehr – sie nannte ihn wieder ihren zweiten Sohn, denn er hatte ihr ja den einzigen gerettet. Sie gestand auch beschämt, daß sie es der stolzen Frau von Scheurl nimmer zugetraut hätte, daß sie einer alten Frau wie ihr auf offenem Markte einen Liebesdienst erweisen werde, aber sie fügte doch hämisch hinzu:

[117] »Freilich, sie fragt eben nach gar keiner Sitte, oder nach den Leuten, und so wie sie den Vorschriften des Rathes und der Schicklichkeit zum Trotz sich prächtig kleidet, so thut sie auch für eine arme alte Frau, was sonst keine von diesen hochmüthigen Geschlechtern thun würde; aber ich hab' es gesehen, wie sie außer sich war vor Angst, da Ihr in Gefahr schwebtet, und darum warn' ich Euch, Ulrich: wenn sonst vor keinem Weibe, so seid vor ihr auf Eurer Hut.«

Ulrich wies lächelnd die Warnung zurück, aber er erröthete leise und seine Pulse gingen schneller, da er jenes Augenblickes gedachte, wo er in Elisabeth's Gemach von ihrer bezaubernden Nähe wie berauscht gewesen.

[118]

6. Kapitel. Gift

Sechstes Capitel
Gift

Die alte Jacobea saß in ihrer kleinen Hütte an einem Regenabend mürrisch und sinnend an einem niedergebrannten Holzfeuer ihres Herdes und rührte in einer darüber befindlichen Pfanne, aus der übelriechende Dämpfe emporstiegen. Sie murmelte unverständliche Sprüche dabei und betete eine Art Hexensegen über ihr Gebräu.

Damals eben erzählte man sich viel von Zauberei und Hexenmacht, besonders in den angrenzenden Ländern, wie kluge Frauen allerlei Künste erlernen und üben könnten, durch welche sie über Menschen und Thiere Macht erhielten, die ihnen entweder zum Guten oder Bösen dienten, je nachdem man es beabsichtige oder auch die Kunst verstände. Man verkündete und glaubte davon die fabelhaftesten Dinge. Zwar knüpften sich daran weitere schreckliche Geschichten und Erklärungen. Jene [119] geheimen Künste sollten nur durch einen Pakt mit dem Teufel erlangt werden können, und dieser jetzt weit öfterer als je auf Erden erscheinen, entweder Einzelnen zur Nachtzeit in ihren Kammern, oder an Kreuzwegen und unter alten Bäumen, oder, was eine von ihm sehr beliebte Stätte zu sein schien, auf den Düngerhaufen der Gehöfte, wo er die sich ihm Verschreibenden mit Jauche taufte – oder auch auf hohen Bergen oder freien Feldern mit einer ganzen höllischen Genossenschaft und allen Nahewohnenden, die sich ihm ergeben wollten, zur Veranstaltung von Hexentänzen und scheußlichen Orgien. Bald zogen die geistlichen Gerichte dieses Unwesen vor ihren Stuhl; aber anstatt durch Aufklärung und Belehrung dem dämonischen Hange der menschlichen Natur entgegen zu wirken, bestärkte man denselben durch Nähren des Aberglaubens, indem man alles nicht gleich Erklärliche zu einem Uebernatürlichen stempelte. Daran knüpfte sich eine schauderhafte Verfolgungssucht, welche nicht nur ganz Unschuldige und nur böswillig von feindlich gesinnten Personen Angeklagte den gräßlichsten Martern und dem schrecklichsten Tode unterwarf, sondern auch Schuldige machte. Denn da es bald als Leichtsinn, bald als Gotteslästerei galt, die Möglichkeit solcher Zaubereien und Teufelspakte zu leugnen, wiewohl im [120] aufgeklärten Nürnberg die Sache wenig Anklang fand, so bemächtigte sich besonders zuerst der unwissenden niedern Klasse der Glaube daran, und dazu kam der Reiz der Neugier und der Verführung durch eigene Gelüste, die Sache doch auch zu versuchen und zu sehen, was sich durch Zaubersprüche, Hexensalben und Getränke erzielen lasse – wenn es auch nicht gleich so weit ging, die persönliche Erscheinung und Hülfe des Teufels in Anspruch zu nehmen, oder sich ihm mit Gut und Blut zu verschreiben.

Zu Denen, welche am begierigsten waren dergleichen Dinge zu versuchen, gehörte die alte Jacobea; und sie konnte es um so kühner versuchen, als man in Nürnberg noch keinem Menschen den Proceß als Hexe gemacht hatte und sie hoffen durfte, daß sie Dies oder Jenes durch ihre Zaubermittel werde bewerkstelligen können, ohne deshalb in den Verdacht der Hexerei zu kommen.

Jetzt eben braute sie aus allerlei Giftwurzeln und thierischen Eingeweiden unter Absingung des Hexensegens ein Pulver, von dessen kleinsten Theilen sie sich eine langsam, aber sicher tödtende Wirkung versprach.

Von draußen schlug niederströmender Regen an das kleine trübe Fenster, und da es schon ziemlich dunkel [121] war, bemerkte Jacobea um so weniger, daß Jemand wiederholt an das Fenster pochte.

Die schwarze Katze, die an der verriegelten Thüre Wache hielt, hatte ein feines Gehör und sprang unwillig miauend wider das Fenster. Sei es durch diesen Sprung oder durch das stärkere Pochen und Drücken von außen; der lockere Wirbel des einen Fensterflügels wich, dieser sprang auf, und eine dürre alte Hand schob ihn noch weiter zurück und eine heisere Stimme rief:

»Jacobea! laß mich ein!«

Jacobea fuhr zusammen von kaltem Schauer überrieselt. Kam jetzt wirklich der Gott-sei-bei-uns! selber, den sie in einem sinnverwirrten Spruche angerufen, ohne sich viel dabei zu denken? Auf solch' eine Erscheinung war sie doch nicht vorbereitet. Sie zitterte an allen Gliedern und fiel auf die Kniee.

Aber lauter rief es draußen: »Jacobea! laß mich nicht länger im Regen stehen! Nimm die Nestler-Kathi auf, wie sie einstens Dich aufgenommen!«

Die Alte sprang auf. Das war eine Frauenstimme! die Nestler Kathi! Sie hatte sie lange nicht gesehen, aber dieser Name und diese Stimme riefen Erinnerungen aus ihren besten Tagen wach. Sie sprang auf und eilte die Hausthür zu öffnen.

[122] Ein Frauenzimmer in ärmlich bürgerlicher Kleidung und vielleicht ein Jahrzehent jünger als Jacobea trat ein, warf einen durchnäßten Leinenmantel ab und ein großes Paket an die Erde.

»Da komm' ich mit Sack und Pack!« sagte die Eintretende. »In Regensburg, das der Herzog Albrecht so gut wie zumauern läßt, mocht' ich nicht bleiben und bin mit Tausenden ausgewandert, die auch nicht viel mehr zu verlieren haben als das Leben. Nun dacht' ich in Nürnberg ein Unterkommen zu finden, wollt' aber bei Euch erst einkehren und mir Rath erholen. Und Ihr laßt mich unbarmherzig eine Stunde im Regen stehen und vergeblich pochen und rufen.«

»Konnt' ich denken, daß Ihr es waret?« sagte Jacobea; »hätt' ich doch eher sonst wen erwartet denn Euch, Muhme, die ich so lange nicht gesehen! Läßt man doch auch in nächtlicher Zeit nicht gleich Jedes ein!«

»Hab't Ihr da etwas Warmes?« fragte die Angekommene auf den Kessel deutend: »es würde mir gut thun.«

»Das hier schwerlich!« antwortete Jacobea, »aber es ist fertig und der Kessel kann einem andern Platz machen.«

[123] Indeß sie sich anschickte eine Suppe zu bereiten, besprachen die beiden Frauen, die sich lange nicht gesehen, ihr wechselndes Geschick, und Katharina Nestler erzählte das ihres Sohnes Konrad, das wir schon aus dessen eigener Mittheilung an Ulrich kennen, und damit ihr eigenes, dem sie nur hinzuzufügen hatte, daß sie nun, wo sie um ihres Sohnes Willen keine Ursache mehr habe zu verheimlichen, daß nicht ihr angetrauter Gatte, sondern der reiche Herr Christoph von Scheurl der Vater ihres Sohnes sei, sie jetzt, da sie obdachlos sei und mit ihrer ganzen geringen Habe aus dem bedrohten Regensburg geflüchtet, von Scheurl, der, wie sie gehört, die schönste Nürnbergerin gefreit, an der selbst König Max Gefallen gefunden, zu verlangen, daß er ihr auf ihre alten Tage zu leben gebe, nachdem er sich ihrer Jugend gefreut, und sie des Sohnes, der ihr eine Stütze hätte sein sollen, sich beraubt sah durch eben diese eigene Sünde, wie die des Vaters, die erst so spät an den Tag kam und erst nach zwanzig Jahren die Strafe mit sich brachte, die ihr sonst so oft auf dem Fuße folgt.

Jacobea triumphirte bei dieser Mittheilung. Sie malte Scheurl's Bild in den schwärzesten Farben und das seiner Gemahlin nicht minder. Sie versicherte bestimmt zu wissen, daß diese von Kindesbeinen an ein[124] verworfenes Geschöpf gewesen; durch ihre Amme, die zuletzt mit in diesem Hause gewohnt, gab sie vor, über sie die genauesten Mittheilungen zu haben – ja, sie bürdete Elisabeth sogar die Schuld an dem Tode der Amme auf, die Jacobea allein selbst trug durch ihren langsam tödtenden Gifttrank. Jacobea erzählte, daß Elisabeth zu der Kranken gekommen und dieselbe wahrscheinlich mit für sie mitgebrachten Leckerbissen vergiftet habe, damit sie nicht noch habe ein Verbrechen beichten können, das sie gemeinschaftlich mit Elisabeth begangen, und wie diese seit demselben Tage, an dem sie noch bei einem nächtlichen Stelldichein mit einem Baubruder, der vor einem gemeinen Steinmetzgesellen nur das voraus habe, daß er wie ein Mönch zu leben gelobe und doch sein Wort nicht halte, sei ertappt worden, alles mögliche Schlechte auf Jacobea zu bringen suche, so daß sie schon lange nach einem Mittel strebe, sich dieser gefährlichen Feindin zu entledigen oder sie doch zu demüthigen, die scheinheilige Sünderin. Sie sei ihrem Mann auch nicht treu und habe ihn doch nur um seines Reichthums Willen geheirathet, er aber müsse ganz nach ihrer Pfeife tanzen.

Dies war der Hauptinhalt von Jacobea's Schilderung, die sie in allen möglichen grellen Farben immer[125] wieder neu aufzutragen suchte und die ihre Wirkung bei Katharina nicht verfehlte. »Zufällig weiß ich,« sagte Jacobea, »daß Frau Elisabeth eine ihrer Dienstmägde fortgejagt, an der Herr Scheurl Gefallen gefunden, und noch keine neue Magd dafür hat; kein größerer Possen könnte Ihr geschehen, und Euch und mir kein größerer Gefallen, als wenn sie Euch an deren Statt in das Haus nehme, vielleicht Euch gerade trauend, weil Ihr schon bei Jahren seid, und wenn Ihr dann ihr und ihm einmal fühlen ließet, daß Ihr gerade viel ältere Rechte auf ihn hab't als die hochmüthige Gemahlin.«

Frau Katharina lächelte sehr wohlgefällig zu diesem Plan, und beschloß ihn auszuführen und gleich morgen ihr Heil zu versuchen. Freilich durfte sie sich nicht merken lassen, daß Jacobea sie sende, obwohl sich diese damit abgab, Gesinde zu vermitteln, aber so, daß ihre Hülfe meist nur von Bademeistern, Gastwirthen und andern Leuten von zweifelhaftem Rufe angenommen ward, da nur gemeine Dirnen ihre Vermittlung beanspruchten – eben so wenig, daß sie mit ihr verwandt und bekannt war und jetzt ihre erste Nacht unter ihrem Dache zugebracht.

Katharina ging daher am andern Tage wie sie gekommen mit ihrem Bündel Sachen als eine Hülfesuchende [126] aus Regensburg, die dafür ihre Dienste anbot, zu Frau Elisabeth, und ward glücklich von derselben sogleich als Magd behalten, da Elisabeth Mitleid hatte mit der Lage der unglücklichen Flüchtigen und meinte: man könne es ja mit ihr versuchen und sehen, zu welcher Art von Arbeit sie sich am besten eigne.

Katharina war noch rüstig und anstellig, aber freilich war sie nach zwanzig Jahren voll Arbeit und Sorge keine verführerische Schönheit mehr, als welche einst Herr Scheurl sie in Regensburg getroffen, noch war dieser überhaupt im Stande in der neuen Dienstmagd, die er, weil sie nahe an den Fünfzigen war, keines Blickes weiter würdigte, eines von den vielen Frauenzimmern wieder zu erkennen, an denen er einst ein sinnliches Wohlgefallen gefunden. Und Katharina hütete sich wohl ihn an sich zu erinnern, ehe ihr dazu eine passende Stunde erschien.

So waren ein paar Wochen vergangen, in denen sie zuweilen heimliche Zusammenkünfte mit Jacobea gehabt und von ihr Rathschläge oder Aufträge empfangen hatte.

Dieser lag daran, den Ring Streitberg's wieder zu erhalten, den Ezechiel an Elisabeth verkauft und den Jacobea in ihrem Besitz haben wollte, weil sie wußte,[127] wie Streitberg zürnte, daß sein Pfand in diese Hände gekommen, und dringend verlangte es wieder zu haben. Gelang dies Jacobea's List eher als der des Juden, so war damit auch dieser, der jetzt mit ihr zerfallen war, wieder in ihren Händen. Sie hatte darum Katharina den Ring geschildert und jetzt erfahren, daß ihn diese auch gesehen, wie er mit andern Ringen an einem goldenen Kettlein befestigt sei, daß Elisabeth immer an sich trage, und zwar, weil sie zu viel Ringe besaß, um alle an ihre Finger zu bringen. Sie hatte ihren Schmuck, wenigstens den, welchen sie täglich zu tragen pflegte, auf ihrem Nachttisch neben ihrem Himmelbett liegen, und es war also nur möglich sich dessen zu bemächtigen, während sie schlief oder doch ehe sie Toilette gemacht hatte.

Jacobea gab Katharinen ein kleines Pulver, von dem sie versicherte, daß es einen sehr langen Schlaf erzeuge, wenn es in einem Getränk genossen werde, und daß sie während dessen sich gewiß werde in Elisabeth's Schlafzimmer schleichen können, in dem diese seit ihrer Krankheit und Genesung allein schlief. Dann solle Katharina die Kette mit den Ringen auf den Boden werfen und die Ringe darauf herumrollen lassen; Elisabeth werde dann bei ihrem Erwachen gewiß meinen, daß dies [128] durch sie selbst oder einen Zufall geschehen, und wenn nur ein Ring sich nicht gleich wiederfände, nicht anders vermuthen können, denn daß er in einer Ritze der Diele oder Mauer verschwunden sei. –

Jetzt wartete Katharina nur auf die günstige Gelegenheit, sowohl Elisabeth diesen Streich zu spielen, als auch mit Scheurl allein zu sprechen, sich ihm zu erkennen zu geben und ihn zu fragen: ob er zeitlebens sie gut versorgen wolle, oder ob sie seiner Gemahlin und ganz Nürnberg erzählen solle, was sie bisher nur um ihres Sohnes Willen verheimlicht.

In einer späten Abendstunde hatte Elisabeth noch nach einem Becher Meth und Wasser verlangt, und da die Magd, welche sie zunächst zu bedienen, an- und auszukleiden pflegte, einmal hatte ausgehen dürfen und noch nicht zurück war, so hatte Katharina sich beeilt deren Stelle zu versehen.

Jetzt kam sie eben mit dem schöngeformten silbernen Becher, der innen vergoldet und außen von goldenen Blumen umrankt war, die Treppe herauf, in der andern Hand eine brennende Lampe, als sie den Hausherrn hinter sich herkommen hörte. Die Gelegenheit war günstig, jetzt konnte sie ihn allein sprechen, ihm in sein Zimmer leuchten, und nicht eher von ihm weichen, bis [129] er sie erkannt und ihr Alles versprochen hatte, was sie wünschte. Elisabeth konnte warten; sobald Katharina mit Herrn Scheurl einig geworden, hatte sie ohnehin nicht mehr Lust, sich länger von dessen Gemahlin befehlen zu lassen, und diese Demüthigung galt ihr mehr als der Verdruß, den sie durch den Verlust des Ringes empfinden werde, und Katharina berechnete schnell, daß der Vortheil, den sie jetzt erringen könne, doch dem vorgehe, den möglicher Weise ihr Jacobea gönnen werde, wenn sie ihr zu dem Ringe verhelfe.

Herr Christoph Scheurl kam wie gewöhnlich etwas taumelnd und mit rothglühendem Gesichte heim.

Katharina leuchtete ihm schweigend voraus in sein Zimmer und zündete die darin befindliche Lampe an.

»Wie kommst Du denn heute hier herein?« fragte Scheurl mit lallender Zunge.

Katharina antwortete: »Nun, Ihr kam't ja hinter mir drein, und es schien mir, als wenn Ihr den Weg nicht gut allein finden würdet –«

»Was unterstehst Du Dich?« rief er aufbrausend, weil ihn nie etwas so sehr in Wuth bringen konnte, als wenn man ihn betrunken hielt, auch wenn er es wirklich war, nur darum weil er eine Ehre darein setzte, [130] Unmassen geistiger Getränke vertilgen zu können, ohne davon angefochten zu werden.

»Ei, so laßt einmal sehen,« begann Katharina, sich dicht neben ihn stellend; »kennt Ihr mich oder kennt Ihr mich nicht?«

Scheurl sagte: »Was soll das freche Betragen einer Magd, die eben so schnell fortgejagt werden kann, als sie gemiethet worden. Meine Frau hat Deine Vorgängerin fortgejagt, weil sie jung und nett war und mir gefiel – Dich kann ich fortjagen, weil Du das Gegentheil davon bist und mir nicht gefällst.«

»Das lügt Ihr!« rief Katharina, »denn einst gefiel ich Euch!«

Herr Scheurl ward immer aufgeregter und roher Katharina aber immer dreister, legte ihrer Zunge keine, Fesseln mehr an, erinnerte Scheurl an seinen Aufenthalt in Regensburg bei der schönen Nestler-Kathi, und sagte Alles, was sie sich vorgenommen zu sagen. Es war ein Gespräch, das bei der innerlichen wie äußern Rohheit der Betheiligten und bei der niedern Culturstufe ihres Zeitalters, seiner Sitten und Ausdrucksweise sich nicht wiederholen läßt.

Herr Christoph Scheurl zeigte dabei weder ein Interesse für den Mönch gewordenen Sohn, noch für dessen [131] Mutter, noch empfand er Reue über ein Vergehen, das er sich längst gewöhnt hatte, sich selbst niemals als ein solches anzurechnen; aber er wünschte doch nicht, daß ihn eine Person wie Katharina zum Stadtgespräch machte, noch daß eine solche, die ihm so unbequem werden konnte, in seinem Hause lebe. Er gab ihr einen Beutel mit Gold, den er bei sich hatte, und versprach ihr eine ansehnliche Summe, die er ihr alljährlich senden wolle, wenn sie noch diese Nacht sein Haus, so bald wie möglich auch Nürnberg verließe und über Alles schweige, nach wie vor – außerdem aber, fügte er hinzu, finde ein Rathsherr von Nürnberg noch Mittel und Wege, eine flüchtige Landläuferin unschädlich zu machen.

Indeß Katharina noch überlegte, griff Herr Scheurl nach dem Becher, den sie einstweilen aus der Hand gestellt. »Was ist das?« fragte er.

»Es ist Meth; ich wollte ihn Eurer Frau als Nachttrunk bringen.«

»Sie mag sich ihn selber holen,« sagte er; »wenn sie durstig ist, ich bin es auch wieder geworden.«

Katharina dachte: mag er es trinken; während er einschläft, kann ich überlegen, was ich thun will; ich habe noch das halbe Pulver für Elisabeth.

[132] Aber Scheurl hatte kaum mit einem raschen Zuge den Becher zur Hälfte geleert, als er ihn fluchend zur Erde warf und sagte: »Das schmeckt zu schändlich!«

Katharina erschrak unwillkürlich, und da Scheurl auf sein Bett taumelte, dachte sie: mag er schlafen – indeß versuche ich noch mein Heil bei Elisabeth.

Und sie ging hinab in die Küche, den Trank noch einmal zu mischen.

Indeß ahnte sie nicht, daß ihr Jacobea statt des Schlafpulvers ein Gift gegeben, das, wie sie gehört, nicht auf der Stelle tödten, aber den blühendsten Organismus in einen häßlichen, verwelkenden verwandeln sollte, und zwar allerdings während einer Nacht voll Schlaf und Ohnmacht. Ein solches Zaubermittel glaubte Jacobea gefunden zu haben und sich dadurch am wirksamsten an Elisabeth zu rächen; da sie aber wußte, daß Katharina zwar ein rohes, aber doch zu solcher That ein zu weiches Gemüth hatte, so hatte sie ihr nur die harmloseste Wirkung ihres Pulvers gesagt. Indeß hatte es in der That nicht diese zauberhafte, an welche sie selbst glaubte, sondern die eines schnell zerstörenden Giftes; unter dessen Einwirkungen rang der reiche, mit allen Gütern der Erde gesegnete Christoph Scheurl, der sich immer des heitersten Lebensgenusses [133] gerühmt, verlassen und allein in einer furchtbaren Nacht.

Das Gift raubte ihm die Kraft, sich seiner Glieder zu bedienen – er konnte weder einen Ruf noch ein Geräusch hervorbringen, laut genug, die entfernten Hausbewohner zu wecken und herbeizulocken. –

Indeß kam Katharina mit dem zweiten Becher des verhängnißvollen Trankes an Elisabeth's Thür; sie war verschlossen, und da Katharina pochte, fragte Elisabeth ungeduldig, was man sie noch störe?

Ich bringe den bestellten Nachttrunk,« antwortete Katharina.

»Nun mag ich ihn nicht,« antwortete Elisabeth, die sich schon schlafen gelegt, durch die verschlossene Thür; »und ein andermal wünsche ich von Euch schneller bedient zu sein, oder gar nicht.«

Katharina ging brummend ab. Aber dies entschied bei ihr. Hätte sie heute noch sich in den Besitz des Ringes setzen können, so würde sie Scheurl's Wunsch erfüllt haben und verschwunden sein; so aber blieb sie, da sie überhaupt noch unschlüssig gewesen, ob dies nicht das Bessere sei, damit sie erst noch einmal, wenn Scheurl nüchtern sei, mit ihm sprechen und sich seiner fortdauernden Unterstützung versichern könne. –

[134] Man war es gewohnt, das Herr Scheurl, wenn er vielleicht später oder mit einem größern Rausch als gewöhnlich heimgekommen, bis in den Tag hinein schlief, und weder seiner Frau noch der Dienerschaft fiel es auf, daß er bis um acht Uhr sich noch nicht gezeigt hatte. Als aber noch eine Stunde nach der andern vergangen war, im Comptoir Leute auf ihn warteten, und auch Georg Behaim kam, sich mit ihm über eine eilende Geschäftsangelegenheit zu besprechen, ging Elisabeth mit diesem selbst in sein Gemach, dessen Thür wie gewöhnlich nicht verschlossen war.

Da lag Scheurl halb aus dem Bette gesunken, regungslos mit gebrochenen Augen und krampfhaft verzerrtem Gesicht, das blau und dunkel unterlaufen einen entsetzlichen Anblick bot. Die zusammengeballten Hände zeugten ebenfalls von vergeblichen Anstrengungen und Kämpfen; es schien, als habe er versucht aufzuspringen, vielleicht nach Hülfe zu rufen, und sei von körperlichen Schmerzen überwältigt und gelähmt zusammengesunken, unfähig sich von der Stelle zu bewegen. Er war noch halb angekleidet, und so mußte das Uebel oder der Tod gleich bald nach seiner Heimkehr über ihn gekommen sein, denn er pflegte dann immer augenblicklich sein Lager zu suchen. Denn der Tod war es doch, obwohl [135] es weder Elisabeth noch Georg im ersten Schrecken als möglich erschien.

Sie hoben Beide vereint den schweren Körper auf sein Lager, Elisabeth suchte vergeblich an ihm nach einem Puls- oder Herzschlag, und Georg rief die Dienerschaft zusammen, zu Doktor und Bader zu laufen, sie eiligst herbeizuholen, und fragte Alle, wann der Herr diese Nacht nach Hause gekommen und wer ihn zuletzt gesehen? Aber darauf gab Niemand Antwort, wie groß auch die allgemeine Bestürzung war; Niemand wollte ihn gesehen haben, auch Katharina nicht, die von Elisabeth speciell befragt ward, als sich diese besann, daß dieselbe noch gegen Mitternacht an ihre Thür gekommen, um ein Getränk zu bringen, das eine Stunde vorher von ihr verlangt worden war.

Katharina behauptete, es könne nicht so lange Zeit gewesen sein – und sie habe sich gleich gewundert, daß Frau Scheurl indeß schlafen gegangen und sie gescholten. Es sei möglich, daß sie der Schlaf in der Küche übermannt habe, ohne daß sie es gewußt, denn es sei allerdings sehr spät und sie sei sehr ermüdet gewesen; den Herrn habe sie nicht kommen hören. Bestürzung und Entsetzen zeigte Katharina gleich den Andern.

[136] Elisabeth verlor zwar weder ihre gewohnte Geistesgegenwart noch Kraft, aber sie war todtenblaß und zitternd vor Schreck, Thränen strömten aus ihren Augen und ihre Worte klagten sich selbst an, daß sie in dem qualvollsten Todeskampf des Gatten fern von ihm gewesen und die Pflichten eines treuen Weibes nicht hatte an ihm in seinen letzten Stunden über können. Sie hatte den Gatten nicht geliebt, und die Achtung, die sie damals vor ihm besaß, als sie ihm ihre Hand reichte, die hatte sich allerdings auch gegen ihn gemindert und verloren, seit sie mit ihm vermählt war und sein ausschweifendes und zügelloses Leben kennen gelernt hatte. Aber die eigene Selbstachtung hatte ihr geboten, seine Schwächen und Fehler zu verschleiern, ihm Achtung vor der Welt zu zeigen und eine pflichttreue Hausfrau zu sein, die alle Schwüre hielt, welche sie ihm am Altar gelobt hatte. Darum fiel es gerade jetzt doppelt schwer auf ihr Gewissen, daß er hatte sterben müssen ohne ihre zarte pflegende Hand, ohne ihren sorgsamen Beistand, der ihn vielleicht hätte retten können. Zwar war sie auch daran unschuldig, denn es war mit Bewilligung ihres Gemahls geschehen, daß sie seit ihrer Krankheit in einem andern Flügel des Hauses schlief als er; denn seine lärmenden Gewohnheiten hatten die Leidende gestört, [137] und er fand es auch bald bequemer, daß seine Gemahlin nicht immer wußte, wo und wie er seine Nächte zubrachte, und hatte gern in ihren Vorschlag gewilligt. Aber dennoch empfand es Elisabeth jetzt wie eine Pflichtverletzung, daß sie nicht aufgemerkt, wann er nach Hause gekommen, und einen möglichen Hülferuf von ihm nicht gehört hatte, daß er vielleicht vergeblich nach ihr verlangt in seiner letzten Stunde; denn er war ja auch immer gut und aufmerksam gegen sie gewesen, er hatte sie auf den Händen getragen und ihr alle Wünsche mit stolzer Freude erfüllt – wenn er auch daneben sich selbst so wenig als ihr jeden erlaubten, sich selbst auch keinen unerlaubten Wunsch versagte. Sie hatten immer in Eintracht neben einander gelebt, wenn auch weder mit- noch für einander. Und so gesellte sich zu Elisabeth's Selbstvorwürfen auch das tiefste Mitleid für den so ganz verlassen und qualvoll Gestorbenen, dem sie gern die aufmerksamste Pflegerin gewesen wäre.

Als sie dies Alles schon fühlte, noch ehe es klar zu denken oder auszusprechen, war sie der Ueberzeugung, daß er bei irgend einem schwelgerischen Nachtmahl sich übernommen, zu Hause und im Bette sich habe erholen wollen und vom Schlag gerührt worden sei, wie gerade [138] oft bei den kräftigsten Körpern ein plötzlicher Tod erfolgen kann.

Aber da der Doktor und Bader kamen und die Leiche untersuchten, da schüttelten Beide bedenklich Achseln und Köpfe, murmelten erst heimlich zusammen, und sprachen es dann laut aus vor dem ahnenden Schwager und der schönen Wittwe, die selbst mit forschte nach dem Urtheil der gelehrten Herren:

»Es ist nicht anders möglich: Euer Eheherr ist an Gift gestorben! Der ganze Zustand des Leichnams bezeugt es – und da, auch am Boden diese dunklen Flecke von einer ätzenden Flüssigkeit. Waren diese schon früher?«

Elisabeth starrte auf die bezeichnete Stelle, nicht weit von dem Bette, auf die sie vorher noch nicht gesehen. Sie wußte es genau, gestern waren diese Flecke noch nicht: ein großer schwarzer Fleck und dann nach den Seiten gespritzt kleinere dunkle Punkte, wie wenn etwas von oben herab vergossen worden wäre.

Gift!

Aber wie war das möglich? Der lebenslustige, glückliche Scheurl war keines Selbstmordes fähig! das sagten Alle, das behauptete auch Elisabeth. Man durchsuchte das ganze Zimmer; es hätte sich in diesem Falle [139] vielleicht noch ein Gegenstand finden müssen, der das Gift enthalten, aber es war keiner aufzufinden.

Aber welche fremde Hand sollte es gethan haben? Der ganzen Dienerschaft war er ein gütiger, freigebiger Herr, ebenso erwies er sich fast der ganzen Stadt, und man konnte wohl sagen, daß er keinen Feind hatte in ganz Nürnberg, daß kein Haß ihn traf, der seiner Person gegolten hätte. Es gab Leute genug, die sich über ihn lustig machten und ihn beneideten – aber man wußte keine, die an ihm etwas zu rächen gehabt, oder denen er bei Erreichung irgend eines Zieles im Wege gewesen wäre.

Elisabeth sprach das selbst aus und wollte an den Mord so wenig glauben wie an den Selbstmord – aber Georg nahm sie leise bei der Hand, daß sie nicht weiter so sprechen sollte, und der Bader sagte bedenklich:

»Der Gemahl der schönsten Nürnbergerin konnte wohl Feinde haben, denen er im Wege war.«

Elisabeth schauderte – aber im nächsten Augenblick sagte sie: »Sendet nach den Schöppen; das Entsetzlichgeschehene muß auf das strengste untersucht werden – man wird mir den Tod des Gatten rächen helfen, der zu den ersten Geschlechtern und Rathsherren dieser Stadt gehört.«

[140] »Und dabei denkt auch, wie Ihr Euere eigene Ehre retten könnt,« flüsterte der Bader ihr leise aber hämisch zu und ging.

Elisabeth war wie vom Blitz getroffen – jetzt erst enthüllte sich ihr die Gefahr, in der sie schwebte. Im Bewußtsein ihrer Unschuld an einem großen Verbrechen hatte sie sich das kleine Versehen: ihrem Gemahl nicht beigestanden zu haben, da er sich übel befand, was sie doch nicht wußte, als ein Verbrechen vorgeworfen – und jetzt konnten Andere sie als eine Schuldige betrachten, von der man das Leben ihres Gatten fordern würde!

Und mitten in diesem Augenblick eines neuen Entsetzens kamen Martin Behaim und Stephan Tucher, die abwesend gewesen waren, mit der Kunde zurück: daß man endlich Weyspriach's Burg mit Sturm und Brand genommen, daß kein Stein des alten Raubnestes auf dem andern geblieben, und das, was die Flammen nicht gefressen und vernichtet, von den Stürmenden und der Rache der Hörigen der Erde gleich gemacht worden sei. Der Ritter von Weyspriach sei entkommen, aber Eberhard von Streitberg gefangen genommen worden; im Triumph bringe man ihn in die Stadt, sammt vielen den Bürgern und Kaufleuten geraubtem Gut, darunter [141] noch einen Theil der überseeischen Schätze Martin Behaim's.

Jetzt war es mit Elisabeth's Kraft zu Ende – mit einem Schrei fiel sie in ihres Bruders Arme.

Auch dieser Schrei mußte wider sie zeugen; denn derselbe Augenblick, in dem sie ihn ausstieß, war auch der, in welchem die herbeigerufenen Gerichtspersonen eintraten, um den Thatbestand zu untersuchen und die ersten Zeugen zu vernehmen. Mußten sie nicht diesen Schrei für den Schreckensruf nehmen, mit dem eine Verbrecherin sich selbst verrieth – als diejenigen kamen, welche vorerst nur Rechenschaft von ihr fordern wollten und noch gar keine Anklage erhoben?

Dieser Schrei war sehr verdächtig!

Aber Elisabeth hatte ihn ausgestoßen vor der Nachricht, daß Streitberg gefangen war und nach Nürnberg gebracht. Im ersten Augenblick dachte sie noch gar nicht an sich, sondern an ihn; sein Loos war so gut als entschieden: er ward dem Henker überantwortet und auf offenem Markt gerichtet. Elisabeth liebte ihn schon lange nicht mehr; sie floh jede Erinnerung an ihn wie ein Schreckgespenst mit verzerrten Zügen; sie hatte nur Widerwillen, Scham und Entsetzen empfunden, wenn sie ihn wiedersah; sie würde ruhig aufgeathmet haben, wenn [142] sie erfahren hätte, daß er todt sei, und jetzt hätte sie täglich gewünscht, daß sein Schuldbewußtsein ihn zur Flucht treiben und daß diese gelingen möchte, damit er wieder weit von ihr sich entfernte und nie nach Nürnberg zurückkehre: aber daß man ihn hierher brachte, hier dem Henker überlieferte – das war zu viel für sie! Sie hatte ihn doch einst geliebt, und die Schande, die ihm widerfuhr, empfand sie wie ihre eigene! Er war das Ideal ihrer Jugend gewesen, und Alles, was sie von heiterem Jugendmuth, von gläubigem Vertrauen an Menschenadel, von froher Hoffnung auf Lebensglück besaß, das hatte nur da in ihr gelebt, da sie ihn liebte, das war da für immer vernichtet worden, als sie von dem Mann ihrer Liebe sich schmählich betrogen sah, einen Unwürdigen in ihm verachten mußte. Sie konnte nicht an ihn denken, ohne immer wieder die alte Pein zu empfinden – und eine neue hatte sich hinzugestellt. Sie hatte es verborgen gehalten, daß sie einst geliebt hatte und betrogen worden war: nun hatte Streitberg's Verfolgen immer gedroht, dies noch offenbar werden zu lassen, und wie bei ihrem Widerstand seine Leidenschaft mehr und mehr die Gestalt des Hasses und der Rachsucht angenommen, so mußte sie fürchten, daß er nun noch Angesichts des gewissen Todes vielleicht auf ihre [143] Fürsprache sich berief – hatte er sie doch auch die Buhlerin des Königs genannt – ganz gewiß aber noch dafür sorgte, daß ihre Jugendgeschichte in einer Auffassung, welche für sie die demüthigendste war, zum Nürnberger Stadtgeschwätze ward.

Alle diese Gedanken, Erinnerungen und Befürchtungen, die sie jetzt immer gehabt, summten mit Eins ihr durch das schon bis zum Uebermaaß erregte Herz und Hirn, als ihr auch diese entscheidende Nachricht von Streitberg's Gefangennehmung so plötzlich gebracht ward und erpreßte ihr den Schrei, der eine so falsche Deutung fand.

Aus dem an Ort und Stelle angestelltem Verhör kam nichts heraus, als daß Elisabeth und Katharina wach gewesen in der Nacht und daß sich Beide verdächtig machten, weil ihre Stundenangaben differirten. Ein Commis behauptete, daß der Herr kurz vor Mitternacht nach Hause gekommen, und daß er ihn im Corridor mit einer Frauenstimme habe einige Worte wechseln hören, die er nicht verstanden. Er habe auch Licht schimmern sehen, und da er später weiter nichts gehört, habe er sich auch nichts dabei gedacht; ob die weibliche Stimme die der Frau Elisabeth oder einer Magd gewesen, [144] wisse er nicht zu sagen. Weiter hatte Niemand nur das Geringste bemerkt.

Elisabeth und Katharina leugneten Beide den Herrn zur Nacht gesprochen zu haben, die Herrin mit ruhiger Würde, die Dienerin mit unruhiger Keckheit. Eine behauptete vor der Andern, daß sie wach gewesen.

Gegen Katharina sprach doch der stärkere Beweis von Elisabeth's erster Aussage, daß sie von ihr erst nach einer Stunde einen verlangten Trunk habe erhalten sollen – und Katharina war ja auch nur eine fremde Dienstmagd. Man beschloß, sie mit und in Gewahrsam zu nehmen, und wenn sie nicht gestehe, durch die Tortur »in der Güte zu befragen«, wie man die Anwendung der entsetzlichsten Marterinstrumente nannte.

Gegen die Hausherrin verfuhr man glimpflicher. Man verbannte sie nur in ihre eigenen Zimmer, und ordnete ihr unter der Bürgschaft ihrer Brüder, daß sie nicht entweiche, eine Wache zu – nur der Form wegen, wie man sagte, bis sich Alles aufgeklärt habe.

Elisabeth fügte sich mit stummen Stolz dieser ihr edles Gefühl empörenden Handlung.

In Nürnberg aber verbreite sich mit Blitzesschnelle das Gerücht von Herrn Christoph Scheurl's plötzlichem Tode – und daß er durch Gift gestorben, das ihm [145] als Schlaftrunk beigebracht worden. Wer die That gethan – darüber waren die Stimmen getheilt.

Die Einen meinten, eine Magd aus Regensburg, die erst seit ein paar Wochen angekommen, habe die That gethan und sei darum verhaftet; die Andern aber sagten: Was hätte eine Magd für Vortheil von dem Tode ihres Herrn? oder was könnte gerade diese an ihm zu rächen haben, die erst seit so kurzer Zeit im Hause? Ist es doch ganz anders mit Frau Elisabeth – die ist nun den alten Gatten los, den sie doch nur des Reichthums oder um ihrer Familie Willen geheirathet, und kann nun als die reichste und schönste Wittwe von Nürnberg nach ihrem Herzen freien und leben. Oder hat sie nicht gar schon einen Buhlen? – Man redete schon immer allerlei von ihr – aber freilich! wer hätte das gedacht, daß es so weit mit ihr kommen werde! Da sieht man, wohin Hochmuth und Eitelkeit führen, der Eigendünkel und die Herrschsucht eines Weibes, das immer nur seinem eigenen Willen folgen wollte, alles anders und besser wissen und thun als andere ehrbare Frauen! –

[146]

7. Kapitel. Im Clara-Kloster

Siebentes Capitel
Im Clara-Kloster

Mitten im lebenslustigen, geschäftig bewegten Nürnberg hatte doch der fromme weibliche Sinn, der allem eitlen Welttreiben für immer entsagen und in ein beschauliches, nur dem Dienst der Heiligen gewidmetes Stillleben sich zurückziehen wollte, eine sichere Zufluchtsstätte gefunden. Das Kloster der heiligen Clara, das auf der Lorenzer Seite recht im Herzen der Stadt sich erhob, war ein stilles Asyl, das gerade von den Jungfrauen der edelsten Geschlechter Nürnbergs gewählt ward, und darum auch nicht nur zu den reichdotirtesten, sondern auch zu denjenigen Klöstern gehörte, die noch den alten Ruf edler Sittenstrenge und wahrer Frömmigkeit bewahrten, wie auch den: Pflanzstätten der Künste und Wissenschaften zu sein.

Die Schwestern des Clara-Klosters waren wohl erfahren in allen weiblichen Handarbeiten, die Geschicklichkeit [147] und Ausdauer erforderten. Sie stickten und webten herrliche Gobelins zum Schmuck ihrer Kirche, und sandten auch manche dieser Arbeiten aus den Klostermauern hinaus. Viele Nonnen übten die Kunst der Miniaturmalerei, deren Gegenstände kleine Heiligenbilder waren, mit einer Kunstfertigkeit, die mit der der besten Nürnberger Meister wetteiferte. Andere befleißigten sich des Schreibens und Lesens, und waren im Lateinischen und Griechischen so zu Hause, als sei es ihre Muttersprache gewesen. Gehörte doch auch die Bibliothek des Klosters ihre Studien zu begünstigen, sowohl durch die Zahl alter Handschriften als neuer gedruckter Bücher, mit zu den ausgezeichnetsten, welche die Stadt besaß.

Charitas Pirkheimer hatte geeilt ihr Gelübde auszuführen und weilte bereits als Novize in diesem Kloster.

In dem von hohen Mauern umgebenen Garten desselben, über welche nur wirr und fern das Geräusch des Städtelebens herein schallte, ging Charitas einsam auf und nieder in stilles Sinnen verloren. Der entsagende Ausdruck, welchen ihr Gesicht immer gehabt, war nicht nur allein durch die graue Novizentracht erhöht, [148] in welcher sie erschien, sondern durch Thränen der Wehmuth, die in ihren Augen glänzten.

Der Abend auch erschien wie zum Sinnen und Weinen. Es war so still im Klostergarten, daß auch nicht das kleinste Lüftchen wagen konnte in den Zweigen der Bäume und Gesträuche zu spielen, kein Blatt getraute sich mit dem andern zu flüstern und zu säuseln und kaum ein Schmetterling zu einer Blume zu fliegen. Im Süden hatten sich drohende Gewitterwolken aufgethürmt und hingen über die hohen grauen Mauern herein, aber im Westen glühte ein sanftes Abendroth gleich einem Vorhange, den die sinkende Sonne zwischen sich und dem dräuenden Wetter gezogen. Ein einsames Vögelchen saß auf einer hohen blaugrauen Ulme, deren Wipfel die Klostermauern überragte. Es schaute und flatterte nach hüben und drüben und schien mit leise zwitschernden Stimmchen zu fragen: ob es sich besser wohne im Frieden dieses Gartens oder draußen im freien Wald, wo es viele Genossen gab, aber auch das tückische Feuerrohr beutelustiger Jäger, Netze und Stellhölzlein böser Buben, gierige Raubvögel und allerlei Fährlichkeiten.

Eine ältere Nonne hatte Charitas von fern mit [149] theilnehmenden Blicken beobachtet. Jetzt trat sie zu ihr, reichte ihr die weiße magere Hand und sagte:

»Mein Kind, nützet die Tage wohl, die Euch zur Bedenkzeit gegeben sind! Ich höre, daß weder Eltern-noch Verwandten-Wille, noch irgend eine äußere Noth des Lebens Euch hierher gebracht, sondern daß Ihr aus freier Wahl begehrt hab't in unsere Gemeinschaft zu treten. Ehe Ihr es aber thut, prüfet Euch wohl, daß Ihr Euch selbst nicht betrüget!«

»Schwester Ulrike,« antwortete Charitas mit einem dankenden Händedruck, »Ihr waret die erste, die mir außer der Priorin in diesen Mauern mit milder Theilnahme entgegenkam. In Euren Zügen las ich auch den Himmelsfrieden, den ich hier zu finden hoffe, in Euch erblickte ich das Vorbild, dem ich nachzustreben mich bemühen will.«

»Ich danke Euch für Eure gute Meinung,« antwortete Ulrike mit sanfter Innigkeit und einem etwas fremd- aber wohlklingenden Idiom, das Charitas schon von einer andern Person gehört, und das weit entfernt gut nürnbergisch zu lauten, ihr das wohlklingendste zu sein schien, das es geben konnte. »Ich wünschte wohl,« fuhr Ulrike fort, »diese gute Meinung zu verdienen und ebenso, daß Ihr mir sie für die Dauer [150] bewahren möchtet. Aber ich kann keinen Anspruch darauf machen; hinter mir liegt ein langes und reiches Leben voll Versuchung und Sünde, voll Kampf und Buße – nicht nur als eine Entsagende, als eine Büßende kam ich hierher. In zwölf Jahren voll Buße und Entsagung, die ich hier verbracht, hat sich zwar mein Sinn geläutert und ist mein Vertrauen auf die Gnade unsers Erlösers zu der festen Ueberzeugung geworden, daß er allen Fehlenden vergiebt, wenn sie unablässig streben ihre Fehler abzulegen und zu sühnen, und die Tage, die mir hier unter Arbeit und Gebet verfließen, ziehen nicht ungenützt für mein Seelentheil an mir vorüber; aber so lange es für uns in der Welt noch ein theures Wesen giebt – so lange, sage ich Euch, ist es nicht leicht sich in diesen Mauern lebendig zu vergraben und für das ganze Erdendasein aus seinem Lebenskreis gebannt zu bleiben.«

Charitas erröthete da sie diese Worte vernahm, und sah die Sprecherin derselben schmerzlich befremdet an.

Ulrike hatte vorhin die schwärmerischen blauen Augen niedergeschlagen, jetzt begegnete sie mit einem Lächeln den fragenden Blicken und sagte; »Vergesset nicht, daß eine alte Matrone zu Euch spricht. Mit [151] fünfzig Jahren hat man andere Gefühle als Ihr mit zwanzig oder dreißig, aber ich kann noch beurtheilen, wie man in jüngeren Jahren empfindet – und wenn es Bande auf der Welt giebt, die man auch im Alter nicht schmerzlos zerreißt, so sehet zu, daß Ihr nicht vielleicht nur weil ein kurzer Lebenstraum Euch zerstört ward, hier nur einen Zustand von Schlaf und Ruhe sucht – Ihr werdet ihn nicht finden!«

»Hört mich an! sagte Charitas, »ich will Euch Alles getreulich beichten – Ihr werdet dann auch sagen, daß ich nicht anders kann!« Ruhiger fuhr sie fort: »Mein Vater Pirkheimer war, wie Ihr vielleicht gehört habt, einer der angesehensten und reichsten Rechtsgelehrten dieser Stadt. Nichts mangelte den Seinen zum edelsten Genuß des Lebens, aber eben zu diesem befähigte er uns, seine Kinder durch den Unterricht, den er uns angedeihen ließ. Wir Schwestern lernten mit unserem Bruder Willibald um die Wette, und kannten bald kein größeres Glück, als mit ihm den Wissenschaften obzuliegen, und da er von uns schied, erst um zu dem Bischof von Eichstätt zu gehen, jetzt später um in Italien zu studiren, da dacht' ich schon immer, um wie viel glücklicher er daran war als wir Schwestern, da es genug Leute gab, welche uns aus [152] unserer Gelehrsamkeit noch einen Vorwurf machten und sie unverträglich nannten mit der weiblichen Bestimmung. Dagegen lehnte ich mich frühe auf; ich fühlte weder Neigung noch Verpflichtung mich zu verheirathen, und der höchste Wunsch für mein Leben war eben nur der, in beschaulicher Stille mit meinen Büchern allein und ungehindert in meinen Studien zu sein. Meine Schwester Clara theilte diesen Hang, und da wir unsere Eltern verloren, Willibald aber in die Fremde zog, so haben wir still für uns nur den Wissenschaften gelebt. Schon zuweilen tauchte der Gedanke in uns auf: um das in der würdigsten Weise zu können, in dieses Kloster einzutreten, aber wir zögerten noch vor dem entscheidenden Schritt für das Leben, der dann nie wieder zurück zu nehmen ist. Vielleicht trug auch eine unserer trefflichsten Freundinnen Frau Elisabeth Scheurl mit Schuld, daß wir zu keinem Entschluß kamen: denn sie meinte, daß nur ganz alte und gebrechliche Leute, die der Welt weiter nichts nützen könnten, ein Recht hätten, sich vor der Welt zu flüchten und in Klostermauern zu vergraben. Sie war immer bemüht neben der Wissenschaft auch der Kunst zu huldigen, und so hatte sie auch uns mit andern Nürnberger Jungfrauen um sich vereinigt, für die St. Lorenzkirche zu sticken.[153] Diese Arbeit führte uns öfter in die Kirche und mit den daran bauenden Baubrüdern zu gemeinschaftlichen Berathungen zusammen. Von einem derselben hatte mein Bruder schon mit warmer Anerkennung, als von einem echten Künstler gesprochen, und als ich ihn selbst und seine Werke sah, fand ich Alles bestätigt. Da geschah es vor nicht langer Zeit, daß ein Gerüst am Thurme zusammenbrach, und indeß ein Baubruder in Todesgefahr auf dem Thurme schwebte, eben jener sich selbst, um ihn zu retten, in noch viel größere Todesgefahr begab. Da betete ich für sein Leben, und gelobte mich dem Kloster, wenn seine That gelingen und er das schwere Wagestück bestehen werde – und in der Verzweiflung, die ich bei der Gefahr dieses Einen mehr als bei der des Andern empfand, erkannte ich, daß ich – die noch nie einen Mann geliebt, die das nie für möglich gehalten – daß ich diesen Baubruder liebe! – Hoffentlich hat weder ein Blick noch ein Wort mich ihm verrathen, aber da seine That gelang, so bin ich nun doppelt verpflichtet, mein Gelübde zu halten.« Sie neigte ihr Haupt an Ulrikens Schulter und fühlte sich erschöpft von diesem Geständniß.

»Unglückliches Mädchen!« rief Ulrike sanft; »ein Baubruder darf Eure Empfindungen nicht erwiedern,[154] und wehe ihm, wenn er es trotzdem thut oder gethan hat!«

»Nein, nein!« rief Charitas; »er ahnt nichts davon, er soll es niemals ahnen, nie erfahren! Aber was mich am meisten schmerzt, ist, daß Elisabeth Scheurl ihn auch liebt und daß auch ihr gegenüber Ulrich von Straßburg vielleicht –«

Ein Schrei der Nonne unterbrach die Geständnisse der Novize. »Ulrich von Straßburg!« rief sie; »höre ich recht, Ulrich von Straßburg, sagtet Ihr wirklich so?«

»So nennt man ihn,« antwortete Charitas und sah mit Bestürzung die plötzliche Aufregung der Matrone.

Mit gepreßter Stimme, der man die innere Bewegung anhörte, fragte diese wieder: »Schildert mir, wie er aussieht.«

Erröthend willfahrte Charitas: »Er ist lang und schlank gewachsen und von edler Haltung; seine blauen Augen strahlen von dem Feuer echter Begeisterung; seine Stirn ist sanft gewölbt und hohe Gedanken scheinen auf ihr zu thronen; sein Haar ist braun und üppig, er trägt es halblang und gescheitelt; seine Nase ist schön geformt, weder groß noch klein, mit der Stirn eine gerade Linie bildend – gerade so wie bei Euch –«

[155]

Ulrike hatte mit Spannung zugehört. Die letzten Worte, die Charitas arglos sagte, nur um sich die Beschreibung zu erleichtern, erinnerten Ulrike daran, daß sie sich fassen müsse, wenn sie sich nicht selbst verrathen wollte. Sie sagte darum: »Ich habe einen Knab en Ulrich gekannt, von dem ich hörte, daß er sich später als Baubruder nach seiner Heimath von Straßburg genannt – ich wußte nicht, daß er hier sei.«

»Er baut seit zwei Jahren mit an der Lorenzkirche – und jetzt wohnt er hier ganz nahe im Claragäßlein,« berichtete Charitas.

»Ganz nahe?« wiederholte Ulrike, und es war ihr, als müsse ihr das Herz zerspringen. »Wie hoch schätzt Ihr sein Alter?« fragte sie, um doch noch einen neuen Beweis für ihre plötzliche Entdeckung zu haben.

»Ich weiß es nicht genau,« antwortete die Novize, »zwischen Fünfundzwanzig und Dreißig.«

»Erzählt mir mehr von ihm,« sagte Ulrike vor sich niederblickend, und sich besinnend fügte sie angstvoll die Frage hinzu: »Und Ihr sagtet, er sei seinem Gelübde untreu geworden und liebe eine Frau von Scheurl? – Mir dünkt, ich habe diesen Namen schon gehört.«

»Da sei Gott vor, daß ich eine so schwere Anklage ausspreche,« entgegnete Charitas – »ja vielleicht ist[156] es Elisabeth selbst gegangen wie mir, und sie hat ihr eigenes Gefühl auch erst da erkannt, als Ulrich in Todesgefahr schwebte, vielleicht noch nicht einmal – aber ich habe es in ihr früher erkannt als in mir selbst.«

»Ulrich in Todesgefahr – vor Kurzem – in meiner Nähe – und ich wußt' es nicht!« wiederholte Ulrike. »Erzählt mir mehr davon, wie Alles kam und was er that!« bat sie mit eindringlich flehender Stimme und Geberde.

Und Charitas gehorchte gern dieser Bitte. Sie gab eine beredte Schilderung jenes Ereignisses von dem Einsturz des Thurmgerüstes, von Hieronymus' hülfloser Lage und Ulrich's Rettungswerk; sie schilderte ihn und seinen Heroismus im glänzenden Licht und das feierliche Te Deum, das man nach ihrer Rettung gehalten. Sie hatte auch des Propstes Kreß mit dabei erwähnt als Ulrich's Gönner.

Ulrike verlor kein Wort von dem Allen. Mit athemloser Angst folgte sie der Schilderung von Ulrich's Gefahr – an diesem Zug erkannte sie den Sohn, der schon als Knabe bereit gewesen mit Gefahr seines Lebens Andern beizustehen. Welche Empfindungen für eine Mutter, zu wissen, daß ihr einziger Sohn [157] schon seit Jahren so in ihrer unmittelbaren Nähe lebte, ohne daß sie eine Ahnung davon gehabt – daß er in derselben Stunde, in der sie vielleicht ruhig betete hätte sterben können! Und jetzt – wie war ihr denn bei dem Gedanken, daß vielleicht nur diese Klostermauer Mutter und Sohn von einander trennte. Nur! – ach, das war ja genug, das war ja eine Trennung für das ganze Leben! – Sie hatte ihren Sohn verlassen, um dem wiedergefundenen Mann ihrer Liebe zu folgen – und da sie erkannte, daß sie damit ein Verbrechen begangen, das sie der Verzweiflung nahe brachte, da suchte sie für immer vor dem theuren Verführer, vor sich selbst und vor einem ganzen Leben voll Schmach und Hohn im ersten Augenblick nur bei dem Bruder, aber dann in diesem Kloster Schutz. Sie hatte den Tod gewünscht und darum gefleht in tausend heißen Gebeten; aber da er nicht von selbst kam und sie noch leben mußte, so wollte sie doch todt sein für alles Leben außer diesen geweihten Mauern, und in ihnen nur still büßen in Entsagung und Gebet, und warten, bis der Tod endlich komme sie zu erlösen. Daß auch ihr einziger Sohn in einem Kloster eine Freistatt gefunden, daß er dort eine bessere Erziehung fand, als wenn er bei ihr und dem rohen Manne geblieben wäre, [158] den er für seinen Vater hielt, das gereichte ihr zum Trost für sein und ihr Geschick. Wohl betete sie für ihn, als sie erfuhr, daß er ein Baubruder geworden; denn sie wußte wohl, wie viel schwerer es war, mitten im Leben allen Lockungen und Versuchungen desselben zu widerstehen, wie es so gleicher Weise seine Pflicht war, als wie außerhvlb desselben in den bergenden Klostermauern; aber sie freute sich auch, daß ihn ein höheres Streben beseelte und er thätig mithalf an den unsterblichen Bauwerken, welche zur Ehre des Höchsten von geweihten Händen aufgeführt wurden. Ulrike hatte ihren Bruder des Jahres ein- oder zwei Mal gesehen und er ihr wohl erzählt, daß er Nachrichten von ihrem Sohn habe, wie er zum freien Steinmetzgesellen sei gesprochen worden und wie er sich auszeichne durch Geschicklichkeit seiner Hände und Erhabenheit seiner Darstellungen; aber nie war davon ein Wort über seine Lippen gekommen, daß er ihn wiedergesehen, daß er hier sei in Nürnberg und nun ihr so nahe. Um jeden Preis mußte sie nun mehr von ihm erfahren. Zwar, sie konnte es begreifen, aus welcher Absicht ihr Bruder das Alles verheimlicht. Er hatte es wohl denken können, daß eine Mutter mehr bei dem Gedanken leiden mußte, ihren Sohn nicht wiedersehen zu dürfen, wenn [159] sie wußte, daß er nur wenige Schritte von ihr entfernt weilte, als wenn sie sich durch eine Entfernung vieler Tagreisen von ihm getrennt sah, und daß aus guter Absicht geschehen, was sie doch wie einen Betrug an ihrem Mutterherzen empfand. Eben erst hatte sie es gegen die Novize ausgesprochen, wie schwer es sei, sich in ein Kloster einzuschließen, wenn das Leben draußen auch nur nochein geliebtes Wesen habe – und nun traf sie dieser Ausspruch wieder selbst mit seiner schmerzlichsten Gewalt, und das rein menschliche Gefühl, das jetzt in ihr zum Ausbruch kam, erfüllte sie doch mit dem Bewußtsein einer Sünde gegen ihr Gelübde: alle Bande zu zerreißen, die an die Welt sie knüpften, und allein dem Himmel und dem Dienst der Heiligen sich zuzuwenden.

Indeß sie jetzt neben Charitas in die schmerzlichsten Gedanken versank und jetzt nicht mehr durch ihre Worte, sondern durch das krampfhafte Zucken ihrer Gesichtszüge, das Zittern ihrer ganzen Gastalt und die Thränen, die in ihren Augen glänzten, bestätigte, wie schwer auch im Kloster Seelenfrieden zu erringen, und noch schwerer zu bewahren sei, schreckte sie das Läuten des Glöckchens auf, das alle Klosterbewohnerinnen zum Abendgebet in die Kirche rief. Mit klopfendem Herzen und nassen [160] Augen gehorchten Beide diesem Ruf, und damit war eine Unterredung ganz abgebrochen, die für die Eine wie die Andere eine so unerwartete Wendung genommen.

Am folgenden Tage sah sich Charitas vergeblich in der Kirche, im Garten und im Speisesaal nach der Schwester Ulrike um – sie fehlte überall, und am Abend erfuhr Charitas auf ihr Befragen, daß sich die Nonne gestern im Garten erkältet habe und krank geworden, mithin in ihrer Zelle bleiben müsse. Als sie auch am nächsten Tage nicht erschien, erbat sich die Novize bei der Priorin die Erlaubniß, der kranken Nonne als Pflegerin dienen zu können; die Bitte ward ihr bereitwillig gewährt.

Ulrike lag im Fieber, als Charitas zu ihr kam. Sie neigte sich über das Lager der Kranken, die ihre schmalen Hände ihr froh überrascht entgegen streckte, noch freudiger gerührt, als die Novize erklärte, daß sie nicht nur für eine kurze Stunde komme, sondern um während ihrer Krankheit als Pflegerin ihre Zelle zu theilen.

So vergingen Beiden die Tage in innigster Gemeinschaft. Nur wenn die Glocke zur Kirche rief, folgte Charitas diesem Ruf aus der Krankenzelle, und zuweilen ward sie auf eine Nacht oder andere Tagesstunden von [161] einer Nonne abgelös't, um selbst auch einige Ruhe zu haben, aber die meiste Zeit war sie doch an Ulrikens Krankenlager. Charitas vermied von Ulrich zu sprechen, denn sie hatte gleich erkannt, daß Ulrike durch ihre neulichen Mittheilungen in diesen Fieberzustand versetzt worden war, und sie mußte fürchten, ihn durch ein Gespräch, welches das erste Mal eine so aufregende Wirkung gehabt, zu erhöhen. Aber er steigerte sich auch ohnedies, und da sie bewußtlos in Fieberphantasien sprach, kam mehr als einmal der Name Ulrich über ihre Lippen, und zwischen Seufzern und Gebeten, wenn ihr helle Augenblicke kamen, erklärte sie, daß sie weder leben noch sterben könne, wenn sie Ulrich nicht wiedergesehen! –

Einst, als sie auch diese heiße Sehnsucht in stöhnenden Jammerrufen hatte laut werden lassen, ward Charitas von ihr abgerufen, da ihre Schwester Clara gekommen sei, um sie zu sprechen. Solche Besuche ihrer weiblichen Angehörigen waren den Novizen gestattet.

Die Schwestern hatten nie ein Geheimniß vor einander. So erzählte auch Charitas von Ulriken Alles, was sie selbst wußte, und eben auf das schmerzlichste bewegt von deren Sehnsucht nach Ulrich, die gewiß keine sündhafte war, denn sie hatte ihn ihren Sohn [162] genannt – mochte er nun ihr eigener oder wie sie erst gesagt, der Sohn ihrer Freundin sein – berieth Charitas mit Clara, ob es nicht ein gottwohlgefälliges Werk sei, den inbrünstigen Wunsch einer Sterbenden zu erfüllen und auf irgend eine Weise ihr ein Wiedersehen mit Ulrich zu verschaffen. War dieser wirklich ihr Sohn, so war es gewiß, daß die Priorin bei einer der frömmsten und gehorsamsten Nonnen keinen Anstand nehmen werde, auf sein Gesuch ihm den Zutritt zu ihr gestatten, um den letzten Segen einer sterbenden Mutter zu empfangen. Da aber Charitas doch nicht gewiß wußte, ob man Ulrike diese Gunst erweisen wolle, so mochte sie in derselben nicht Hoffnungen erregen, die sich vielleicht nicht erfüllen konnten, und auch nicht mit ihr davon sprechen, da die pflichtgetreue Nonne in diesem natürlichen Wunsch selbst so ein irdisches Verlangen sah, daß sie es sich selbst als Verbrechen anrechnete – so konnte es ihr nicht als Bitte, sondern als eine gnädige Ueberraschung gewährt werden.

Die Schwestern kamen also dahin überein, daß Clara an Ulrich in wenig Zeilen schrieb: wie eine Nonne des St. Clara-Klosters mit Namen Ulrike nach ihm, Ulrich von Straßburg, wie nach ihrem Sohn auf ihrem Sterbebett sich sehne, und daß er, wenn er der[163] sei, dem an ihrem Segen gelegen sein müsse, von der milden Priorin gewiß die Erlaubniß erhalten werde, sich jenen selbst in den Klostermauern zu holen. –

Am folgenden Tage ward es mit Ulrike schlimmer. Der von ihr Ersehnte und von Charitas auch Erhoffte erschien nicht. Es war der Kranken, als ob ihr letztes Stündlein nahen müsse; jetzt verlangte sie nach dem Propst Kreß und nach dem Beichtvater, der ihr die letzte Oelung reichen sollte. Ehe er kam, legte sie selbst ihre Hände segnend auf Charitas' Haupt und sagte:

»Vielleicht ist es Euch ein Lohn für alle Eure mir erwiesene Liebe, wenn Ihr erfahret, daß Ihr sie der Mutter dessen erwiesen, den Ihr liebt und um den Ihr leidet! Um seinetwillen liebe und segne ich Euch, thut auch mir um seinetwillen also!«

»O, ich habe es geahnet!« flüsterte Charitas und neigte sich demüthigend wie vor einer Heiligen vor der Mutter des still und entsagend geliebten Mannes.

Nicht lange darauf, als die Abendglocke ausgetönt, läutete das Klosterglöckchen wieder, das die Sterbestunde und die letzte Oelung einer Nonne verkündete.

Aber obwohl es Ulriken galt, so zögerte doch der Tod noch zu ihr zu kommen. Ihr Beichtvater mit den knieenden Chorknaben, der Propst Kreß, die Priorin,[164] Charitas und ein paar andere Nonnen umgaben ihr Lager. Mit gefalteten Händen saß die Kranke aufrecht an das Kissen gelehnt, daß die hinter ihr knieende Charitas stützte, und athmete langsam und tief. Ihre Augen suchten im Kreise umher, ihre Lippen bewegten sich betend, aber Niemand verstand die leise geflüsterten Worte.

Eine Nonne öffnete mit langsamen Drucke die Thür und winkte durch die Spalte die Priorin hinaus. Es konnte nur etwas Wichtiges sein, das diese von dem Sterbebett einer hochgeehrten und wie eine Freundin geliebten Nonne rief.

Charitas athmete in banger Erwartung – Ahnung und Hoffnung rötheten ihr immer blasses Gesicht.

Stille Minuten vergingen. Der Geistliche wiederholte seine Gebete, der Propst neigte sich theilnehmend über das Lager der Schwester und gönnte ihr aus einem so leidens- und entsagungsreichen Leben die Erlösung, auf die sie wartete; aber er senkte seine Augenlider, um die anklagenden Blicke nicht zu sehen, die aus ihren weitgeöffneten Augen kamen.

Jetzt trat die Priorin wieder ein – aber nicht allein.

[165] In der Zelle war es schon ziemlich dunkel, doch draußen im Corridor glühte eben die Abendsonne noch mit ihrem letzten strahlenden Schein am dort gegenüberliegenden Bogenfenster. Der Strahl daraus fiel durch die geöffnete Thür, und im Feuer dieser Sonnenflamme stand ein Baubruder, und seine edle Gestalt hob sich davon wie von dem Goldgrund ab, welchen die damaligen Maler meist noch ihren Heiligenbildern zu geben pflegten.

Sehr verschieden war die Wirkung seines Erscheinens auf die Anwesenden. Charitas erröthete und faltete die Hände zum innigen Dankgebet; der Propst stand versteinert vor Schrecken und machte eine abwehrende Bewegung, als könne er jetzt noch dadurch verhindern, was er für sich selbst, peinvoll genug, allein um Ulrich's Willen so lange verhindert hatte; die Nonnen neigten sich tiefer auf die gefalteten Hände und schielten doch neugierig nach dem schönen Manne; Ulrike aber breitete die Arme aus wie nach einer überirdischen Erscheinung und rief lauter, als sie jetzt seit langer Zeit zu sprechen vermocht: »Mein Sohn! Ulrich! mein Sohn!«

Mit zwei Schritten war er an ihrem Lager, knieete davor, nahm ihre Hände in die seinen und rief: »Meine [166] Mutter! endlich seh' ich Dich wieder! darf ich Deinen Segen empfangen!«

Sie legte ihre Hände segnend auf seine Stirn und flüsterte: »Ulrich, welche Heilige führt Dich mir zu?«

»Sie steht hinter Dir!« sagte er noch leiser, da er Charitas erkannte; aber sie hörte es doch, erglühte und zitterte, wie sich freilich für die künftige Nonne nicht geziemen mochte.

Mutter und Sohn sahen einander unverwandt an, forschten und erkannten die geliebten Züge, und der Todesengel wich vor einer großen Erschütterung und Freude. –

Ulrich hatte auf den Brief, den ihm die Schwester Pirkheimer sandte, noch gezögert zu kommen. Wohl zog sein Herz ihn mächtig in das Kloster, aber er gedachte des Gelübdes, das er dem Propst geleistet, und wollte erst mit ihm sprechen, statt wider seinen Willen zu handeln. Kreß würde es ja doch wohl auch erfahren haben, wenn seine Schwester von einer tödtlichen Krankheit bedroht war. An diesem Abend nun war er voll Unruhe zu ihm gegangen. Da hatte man ihm gesagt, daß der Propst vor einer halben Stunde in das Clara-Kloster sei gerufen worden. Er eilte [167] dahin und stand zögernd an der Pforte. Da tönte das Sterbeglöcklein – seinem Rufe konnte er nicht widerstehen; er schellte und fragte die Pförtnerin: wem das Läuten gelte? und da sie geantwortet: »der frommen Schwester Ulrike, die seit zwölf Jahren hier ist,« – da kannte er weder Zögerung noch Wahl, da wußte er, daß er ein heilig Recht habe auf den letzten Augenblick seiner Mutter, da bat er, ihn zur Priorin zu führen, und nannte sich Ulrikens Sohn, der von Straßburg hierhergekommen. Da die Priorin wußte, daß Ulrike verheirathet gewesen und einen Sohn gehabt, und da Ulrich sogar die Züge der Mutter trug, so zögerte sie nicht lange, sondern gab seinem angstvollen Flehen nach und führte ihn mit sich an das Sterbebett. –

»Vergieb Deiner Mutter,« bat Ulrike, »vergieb ihr, daß sie Dich verlassen konnte; dann erst können mir die Heiligen vergeben, dann erst kann ich in Frieden sterben!«

»Wie möget Ihr also sprechen! rief Ulrich; »als eine Heilige, die viel geduldet, hab' ich Euch schon verehrt, und doppelt, seit ich Alles weiß, was Ihr gelitten und geduldet –«

[168] Auf einmal stieß Ulrike einen entsetzlichen Schrei aus. Ward jetzt ihr Geist vollends ganz klar und entsetzte sie gerade dieses Alles-wissen, von dem Ulrich sprach? dachte sie daran, daß, wenn die Welt erfuhr, wie und wessen Sohn er sei, die Sünde der Eltern über ihn kam? Der Propst faßte so die angstvoll flehenden Blicke auf, die sie zu ihm herüber warf, der tief bekümmert auf die Gruppe schaute, die er immer gefürchtet einmal so sehen zu müssen.

Aber jetzt raffte sich Ulrike noch einmal kräftig auf und sagte mit lauter Stimme: »Mein Sohn, ich weiß, daß die Leiden dieser Zeit nicht werth sind der Herrlichkeit, die an uns soll offenbaret werden! Daß ich Dich auf meinem Sterbebette segnen darf, ist ein Zeichen von der Vergebung des Himmels für uns Beide. Vor Gottes Thron werde ich für Dich beten und Dich erwarten – vielleicht kommst Du bald – –« Sie sank in die Kissen zurück, zog Ulrich's Hand mit einem letzten krampfhaften Zucken der ihren an ihr Herz und flüsterte verhallend: »Vielleicht kommst Du bald – bald!«

»Bald!« flüsterte Ulrich; »ich ahne es, Du ziehst mich Dir nach!«

[169] Das Sterbeglöckchen läutete wieder – die Priorin öffnete leise das Fenster, um eine entfliehende Seele frei in den Himmel zu lassen.

Ulrich knieete betend an der theuren Leiche, bis er ihr die still und kalt gewordenen Augen zudrücken konnte, dann ging er mit dem Propst.

[170]

8. Kapitel. Anklagen und Verhör

Achtes Capitel
Anklagen und Verhör

Mit sonderbaren Empfindungen vernahm Jacobea die Kunde von dem plötzlichen Tode Christoph Scheurl's, von dem Verdacht, der auf seine Gemahlin fiel, und von der Verhaftung Katharina's – jenes mit teuflischem Triumph, dieses mit ängstlichem Erschrecken.

Wohl war Jacobea auch an dem Besitz des Ringes gelegen gewesen, doch war er ihr mehr Nebensache, die Hauptsache aber, daß ihr Pulver, welches sie für Elisabeth bereitet, irgend eine schädliche Wirkung auf dieselbe habe: entweder sie entstellte oder tödte – wenn sie auch nur gewagt hatte es Katharinen, die nicht so verdorben war als sie, unter dem milderen Namen eines Schlaftrunkes zu reichen. Zu einem Diebstahl, zu einer hinterlistigen Rache, wußte sie, war Katharina zu überreden; aber stets würde sie vermieden haben, einen Mord auf ihre Seele zu laden. War sie nun die unschuldig [171] Schuldige? hatte sie statt an Elisabeth, an Scheurl die Wirkung ihres Pulvers versucht, und war diese eine so plötzlich tödtende gewesen? Was hätte Jacobea darum gegeben, mit Katharinen reden zu können, die nun in den Händen der Gerichte war! Wenn nun die Folterknechte Katharinen, die mehr schwach als schlecht war, zum ganzen Geständniß der Wahrheit brachten – wenn sie sagte, wer ihr das Pulver gegeben, und Jacobea selbst mit in Untersuchung kam? Wenn sie selbst gefangen würde in der Schlinge, die sie für andere gelegt, wie es eigentlich Katharinen schon ergangen war? Oder umgekehrt: wenn es gelinge, Elisabeth als Giftmischerin und Gattenmörderin zu verderben; wenn die schöne Patrizierin auch auf der Folter, wenn auch nur aus Scham oder Schmerz gleich Andern, sich als schuldig bekennen würde, auch wenn sie es nicht war? Wenn sie gerichtet würde zum Schauspiel für ganz Nürnberg? – Konnte sich Jacobea doch noch des Tages erinnern, wo man den Nikolaus Muffel nicht geschont, sondern öffentlich enthauptet hatte, trotzdem daß er Loosunger war und mithin aus den edelsten Geschlechtern stammte, und trotzdem daß Kaiser Friedrich sich für ihn verwendet hatte – konnte nicht Elisabeth ein gleiches Schicksal haben? Gab es doch genug Feinde für sie in [172] den Mitgliedern des großen Rathes, und noch mehr Feindinnen unter deren Angehörigen. Der alte Loosunger Tucher hatte es ihr gewiß noch nicht vergessen, daß sie ganz allein durch den König Max ihm die für unebenbürtig gehaltene Schwiegertochter in's Haus gebracht, noch weniger aber die Hallerin, die ihren Gatten ganz zu lenken wußte, daß ihr Elisabeth beim König und bei allen Festen den Rang abgelaufen – und so gab es außer jenen noch Rathsherren genug, die ihr grollten, entweder weil sie einen Haß auf jedes Frauenzimmer warfen, das aus der gewöhnlichen engen Sphäre einer Art von Hörigkeit heraustrat, oder die selbst früher für sich selbst oder ihre Söhne vergeblich um Elisabeth geworben – und wieder gab es außer der Hallerin noch genug Frauen, die auf Elisabeth's geistige und körperliche Vorzüge eifersüchtig waren, ihr eine Demüthigung recht vom Herzen gönnten und ihrer Hoffart immer ein unglückliches Ende prophezeit hatten. Bei solchen Verhältnissen konnte es vielleicht gelingen, wenn man die Gelegenheit zu benutzen verstand, Elisabeth als schuldig erscheinen zu lassen, auch wenn sie es nicht war, noch selbst gestand. Ja, selbst wenn Katharina so schwach sein sollte, auf der Tortur über sich selbst die Wahrheit zu gestehen, so würde sie doch gewiß [173] nicht zugeben, daß sie den Mord vorsätzlich vollführt, da sie ja in der That nicht die Wirkung des Pulvers gekannt hatte, und es war sehr wahrscheinlich, daß sie ihre Geständnisse in der Art machen konnte, daß Elisabeth zum wenigsten als ihre Mitschuldige erschien, wie es gerade damals und namentlich auch in den angrenzenden Ländern bei den Hexenprocessen häufig vorkam, daß niedrigstehende Personen hochstehende als ihre Mitschuldigen nannten, um vielleicht um diese Willen mit ihnen frei aus zugehen. Freilich war es auch wahrscheinlich, daß Katharina nicht verschwieg, wie sie zu dem Gift gekommen, und die Schuld auf Jacobea zu wälzen suchte – und wenn diese nun auch entschlossen war, standhaft zu leugnen und gewiß war, daß Katharina keine Beweise für ihre Aussage finden konnte, so erschien ihr doch selbst die Aussicht auf die Tortur, die im Hintergrund drohte, schrecklich genug.

Aber fast gleichzeitig mit dieser Nachricht empfing sie auch die, daß Weyspriach's Burg gefallen und zerstört worden sei, und daß der Burgherr selbst mit gefangen genommen. Martin Behaim war selbst in Irrthum gewesen, als er Elisabeth erzählt hatte, daß Weyspriach entkommen sei und Streitberg gefangen nach Nürnberg geführt; es war gerade umgekehrt – aber [174] wie es leicht bei solchen Ereignissen und Nachrichten und dem Erringen eines plötzlichen Sieges erging: im Triumph, der ihm folgte, waren Namen und Personen verwechselt worden.

Jacobea war mehr als einmal die Helfershelferin dieser Ritter gewesen, und ihr Sturz war auch für sie ein Schlag. Wer weiß, ob nicht auch Weyspriach Geständnisse machte, die gefahrbringend für sie waren. Aber sie kannte Streitberg. Wie schlecht er auch war und keine List oder Gewaltthat scheute zur Erreichung seiner Zwecke, Furcht oder Feigheit waren ihm fremd, und wo er jetzt auch hingeflohen sein mochte, wie sehr er auch Ursache haben möge, Nürnberg und die über ihn verhängte Reichsacht zu scheuen, so würde er nun nur um so wüthender Rache an Elisabeth zu nehmen suchen, der er alles Ueble zuschrieb, was ihm und damit auch seinem Freund widerfahren. Streitberg war noch niemals der Herr seiner Leidenschaft gewesen, aber er war nicht so niederträchtig, einen Freund und Waffenbruder in der Gefahr zu verlassen, in die er selbst ihn mitgebracht, und wenn er jetzt sein Heil in der Flucht gesucht hatte, so war es entweder in der Meinung geschehen, daß auch Weyspriach dasselbe thun könne, oder [175] in der Absicht, ihn dann noch aus derselben helfen zu können.

Jacobea erdachte und verwarf einen Plan nach dem andern, und endlich beschloß sie, zu dem Juden Ezechiel zu gehen und mit ihm sich zu berathschlagen.

Ezechiel hatte endlich zu der Ueberzeugung gelangen müssen, daß es seine eigene Tochter gewesen war, welche ihm den indianischen Raben, den er in Verwahrung genommen, entführt und mit ihm Elisabeth oder die Behaim von dem Ort in Kenntniß gesetzt hatte, wohin die geraubten indianischen Schätze gekommen wären – ja er konnte ihr kaum darüber zürnen; denn dadurch allein war ja am andern Tage das Volk abgehalten worden, die Judengasse zu stürmen, und er dadurch noch einer größern Gefahr entgangen, als die andern seiner Glaubensgenossen, da er der specielle geheime Verbündete der Raubritter war und man bei ihm leicht ihn verdächtigende Artikel hätte finden können.

Rachel hatte eingestanden, daß sie diese That gethan von Angst gepeinigt, und getrieben von der Hoffnung, gleich den erhabenen Frauengestalten aus den Geschichten des alten Testamentes ihr Volk aus einer großen Bedrängniß zu retten und im Nothfall sich für dasselbe zu opfern; aber sie hatte ein hartnäckiges Stillschweigen [176] darüber beobachtet, wie sie das gethan und zu wem sie die Kunde zuerst gebracht.

Zürnte ihr der Vater auch über ihr eigenmächtiges Handeln, so konnte er es doch nicht ganz verdammen, nach den Motiven, welche sie angab. Aber er nannte sie ein ungehorsames, ungerathenes Kind, das klüger sein wolle als sein Vater – und um sich gegen diese Klugheit zu schützen, wie er selbst sagte, hielt er sie von dieser Stunde an eingesperrt und gestattete ihr nicht anders als an seiner Seite das Haus zu verlassen.

Darum hatte sie auch Ulrich eingeschlossen gefunden.

Ein Nachbar hatte ihn kommen sehen und das Ezechiel verrathen. Ein neuer Grund für diesen, Rachel sorgfältig bewacht zu halten, aber auch in Verbindung mit den Gerüchten, die in der Stadt über Elisabeth und dem Baubruder umliefen, und die nun nicht allein von ihren Feinden verbreitet waren, zu ahnen, daß gerade er es war, welchen Rachel zum Vermittler gewählt.

Der Jude gehörte zu den Creaturen, die aus allen Dingen, wie nachtheilig sie im Anfang auch scheinen mögen, am Ende doch einen Vortheil für sich selbst zu ziehen wissen. Eigentlich hatte seine Tochter, der er, durch Jacobea aufgehetzt, nicht mehr hatte trauen mögen, ja ganz in seinem Sinne gehandelt, ihm in die Hände [177] gearbeitet. Hatte so doch Rachel eine nächtliche Zusammenkunft Ulrich's mit Elisabeth in ihrem eigenen Hause veranlaßt – wie es später durch andere übereinstimmende Nachrichten vor Ezechiel sich aufklärte – hatte sie so doch ganz einfach und schnell bewerkstelligt, was seine List vergeblich bei beiden Theilen versucht hatte, erschien es nun nach dieser Thatsache doch leicht, eine Schuld auf Beide zu werfen – zunächst auf den Baubruder, der alle Frauen meiden sollte, und doch zu gleicher Zeit an das verachtete Judenmädchen, wie an die hoffärtige Patrizierin sich drängte.

Nun hörte er plötzlich, daß diese der Verdacht traf, ihren Gatten vergiftet zu haben: wahr oder nicht, daraus mußte sich ein Vortheil ziehen lassen – ja, selbst wenn es kein specieller gewesen: für den schadenfrohen Juden lag ein großer Triumph darin, eine so vornehme Christin, die ihn und seine Dienste mit Verachtung von sich gewiesen, so gedemüthigt und in Gefahr zu sehen.

Als er gleichzeitig hörte, daß Weyspriach gefangen sei und Streitberg entkommen, sank ihm freilich der Muth. Wenn Weyspriach angab, daß, wo er den Räuber und Stehler, der Jude oft genug den Hehler gemacht, so hatte er auch für sich selbst zu fürchten. Indeß vertraute er auch noch jetzt seiner Gewandtheit[178] im Lügen und Heucheln und dem Umstand, daß er vielen Mitgliedern des großen Rathes sich unentbehrlich zu machen verstanden und immer bei seinem Handel wie bei seinen Handlungen die Politik verfolgt hatte, von Allen, mit denen er in Berührung kam, etwas zu erfahren, das sie zu verschweigen wünschten, und sie dadurch, wie er's nannte, »an's Fädchen« zu bekommen, daran er, wenn nicht sie, doch sich selbst im Nothfall halten konnte.

Als Jacobea zu ihm kam, hütete sie sich wohl ihm zu verrathen, daß die eingesteckte Katharina ihre Muhme war, und noch mehr, daß es wahrscheinlich ihr eigenes Gebräu, an dem der Herr von Scheurl gestorben.

»Meinet Ihr nicht,« sagte sie zu dem Juden, »daß wir nun dem Steinmetzgesellen Ulrich alle seine Feindschaft wider uns vergelten könnten, wenn es hieße, daß er mit Antheil an dieser Mordthat habe? Bei den freien Maurern ist ja Alles geheim – die haben gewiß auch Geheimmittel, profane Menschen aus der Welt zu schaffen, und machen sich gar kein Gewissen daraus, wenn es nur nicht welche sind von ihrer Zunft Es geschieht ihnen ja nichts, wenn sie nicht vorher aus dieser ausgestoßen werden, da sie sich nach ihren eigenen Gesetzen richten – und davon erfährt Niemand etwas, [179] weil es immer heißen soll, daß die Baubrüder besser sind als andere Leute.«

»Oho!« rief der Jude, »habe gewartet nur bis heute, da ich habe gegeben Bedenkzeit dem Ulrich von Straßburg mir zu sein zu Willen oder zu fürchten meine Rache; habe ganz andere Dinge wider ihn zu bringen, als Ihr meint – wird bald gekommen sein seine letzte Stunde. Ihn und den Hieronymus klag' ich an, daß sie im Benediktinerkloster haben fortgeholfen einem Mönch, der verurtheil gewesen zum Tode; der ist dann lange verborgen gewesen in Weyspriach's Burg, wo ich ihn habe erkannt an Sachen, die mir die Baubrüder abgenommen, und habe selbst erfahren die ganze Geschichte, die bisher nur die Leute still gemunkelt.«

»Aber was wird man geben auf das Zeugniß des Juden?« warf Jacobea ein.

Ezechiel lachte: »Giebt es doch genug Christen, die trotzdem, daß sie sich für etwas Besseres halten und meinen, sie wären alle Brüder, und ihre Religion zusammengesetzt aus lauter Liebe, eine rechte Schadenfreude daran haben, wenn sie wider einen solchen christlichen Bruder können böses Zeugniß reden, es sei wahres oder falsches. Und zumal nun eine christliche Schwester gegen christliche Schwestern – diesmal bin ich ganz gewiß [180] meiner Sache. Hab' ich Euch nicht einmal gesagt, daß die Frau Katharina Hallerin, da der letzte Reichstag hier war, hat bei mir gehabt versetzt silberne und goldene Armleuchter, damit ich ihr Geld darauf leihe – könnt' ich der erweisen einen größern Dienst als ihr Gelegenheit zu geben, die Scheurlin zu verderben sammt dem Baubruder, der Gnade gefunden vor ihren Augen, wie sie vor den des Königs?«

Wohl mußte Jacobea dem Juden zu einer solchen Verbündeten Glück wünschen, deren Vertrauen sie freilich sich verscherzt, da es ihr mißlungen war, den Goldschmied Albrecht Dürer zur Anfertigung einer Nadel für sie, wie die war, welche Frau Scheurl vom König geschenkt erhalten, zu veranlassen. Katharina Haller, die Gattin des Bürgermeisters und die Tochter des Loosunger Holzschuher, die hatte freilich Einfluß genug, einer Anklage, die sich auf Thatsachen stützte, wenn sie auch aus dem Mund eines Juden kam, Gewicht zu verleihen und Zeugen für sie zu schaffen, wenn auch ihr Gatte eher zu den Männern gehörte, welche ihre Frauen kurz hielten und die Hausfrau gern zu einer Hausmagd herabwürdigten, als zu denen, welche sich selbst ehrten durch die Ehre, die sie ihren Frauen erwiesen.

[181] Eben diese Beschränkung und dieses Kurzhalten, welches Katharina Haller von ihrem Gatten erfuhr, war die Ursache, welche sie in die Hände des Juden führte. Haller setzte theils eine Ehre darein zu sparen und sein Gut zu mehren – theils glaubte er sich für berechtigt, Alles an sich und nichts an seine Frau zu wenden, theils hielt er auch streng darauf, daß diese nicht selbst die Luxus- und Kleidergesetze überschritt, welche der Rath gegeben hatte, da sich dies für die Frau eines Bürgermeisters am wenigsten gezieme. Aber Katharina, im Bewußtsein, daß die Mitgift einer Holzschuher viel reicher gewesen, als die einer Behaim, fand es unerträglich von Elisabeth Scheurl wie in allen andern Dingen, auch in Kleiderpracht und Putz übertroffen zu werden. Da ihr Gatte ihre Wünsche hierin nicht erfüllte, so suchte sie dieselben auf allerlei Schleichwegen zu befriedigen, und als der Reichstag kam, wußte sie für sich keinen andern Rath, als von dem Trödlerjuden, der auf Pfänder lieh, sich Geld zu verschaffen. Natürlich durfte ihr Mann nichts davon ahnen und darum war die Verschwiegenheit des Juden die erste Bedingung. Er hatte sie treu erfüllt und dadurch sich mehr und mehr in ihr Vertrauen geschlichen. Daß sie von Eifersucht und Neid gegen Elisabeth Scheurl erfüllt war, wußte der Jude [182] wie fast die ganze Stadt. Das war so gewesen von der Stunde an, wo Elisabeth neben ihr vom Kaiser war erwählt worden, als die schönste Nürnbergerin Konrad Celtes zu krönen, und hatte sich mit jedem Triumph derselben gesteigert, wie viel mehr nicht da, als König Max bei seiner zweiten Anwesenheit in Nürnberg in Scheurl's Hause Wohnung nahm. Alle gehässigen Gerüchte, welche über Elisabeth im Umlauf kamen, gingen theils von der Hallerin aus, theils wurden sie doch von ihr begierig aufgefangen und mit den abscheulichsten Zusätzen weiter verbreitet.

Wie triumphirte sie jetzt, da Scheurl's plötzlicher, unerklärbarer Tod einen schrecklichen Verdacht auf Elisabeth warf. Wie bestrebte sich die Hallerin ihn zu verstärken, so viel sie vermochte, und mit ihrer bösen Zunge die Feindin als das strafbarste und verabscheuungswürdigste Geschöpf darzustellen, das es je in Nürnberg gegeben. Hatte sie vorher doch schon tausendmal bereut, daß sie vor zwei Jahren dem Ritter von Weyspriach nur um einen Preis, den er sich vergeblich bemüht hatte ihr zu gewähren, versprochen hatte, Elisabeth zu sich und damit in das Netz des Ritters von Streitberg zu locken, und daß sie es trotzdem nicht gethan; nun aber wollte sie gewiß keine Gelegenheit wieder [183] vorübergehen lassen, Elisabeth zu demüthigen, unglücklich zu machen, wo möglich ganz zu verderben.

Schon war es ihr gelungen, ihrem Gemahl die moralische Ueberzeugung beizubringen, daß Elisabeth den Gatten vergiftet habe, indem sie sagte:

»Diesen alten Geck hat das eitle Weib doch nur geheirathet, weil er reich war und sie an seiner Seite übertriebenen Aufwand machen konnte. Mit andern Männern, wie mit dem Ritter von Streitberg und dem Poeten Konrad Celtes hat sie nur freche Buhlschaft getrieben, ohne an's Heirathen zu denken: jener hatte schon eine Frau und dieser konnte keine ernähren; aber das hinderte sie nicht, sich mit ihnen einzulassen und dann schnell den Scheurl zu heirathen, damit sie nicht etwa noch in Schande käme. Der hat es nun geduldet, daß Künstler und Gelehrte in seinem Haus ein- und ausflogen wie in einem Taubenschlag, um der gefallsüchtigen Frau die Zeit zu vertreiben und ihm auf einmal den Ruf eines kunstfreundlichen Mannes zu geben, und da der König ein Auge warf auf die üppige Frau, bei der er gewiß war, in allen Stücken eine zuvorkommende Wirthin zu finden, da drückte der Mann wieder ein Auge zu, weil seine Schande ihm die Ehre des adeligen Wappens einbrachte, und so lange hat [184] vielleicht das Paar im besten Einvernehmen gelebt. Aber als Scheurl dahinter gekommen, daß ihr auch ein Steinmetzgesell nicht zu schlecht ist und sie sich nicht scheut, ihn zur Brechung seines Gelübdes zu verführen, da ist ihm doch die Geduld gerissen. Elisabeth aber, die nie einen Widerspruch dulden mag und die wieder nur so lange den alten Herrn als Gemahl sich gefallen ließ, als sie ihn ganz beherrschen und nach ihren Lüsten leben konnte, mag nun das Loos einer reichen Wittwe besser gefunden haben, als einer abhängigen Ehegattin, und hat den Gemahl auf die Seite geschafft. Du hast selbst gesagt, daß er Nachts immer betrunken aus Euren Zechgelagen heimgegangen, da mag es leicht gewesen sein, ihm einen Gifttrunk beizubringen – und das Gift mag sie auch bei der Hand gehabt haben – sagt man doch, daß ihr Bruder Martin ein neues Schlangengift mitgebracht hat.«

Wußte Haller auch recht gut, daß ein gut Theil Neid und Eifersucht aus diesen Darstellungen sprach, so gehörte er doch auch zu den Männern gemeinen Schlages, die an keine Keuschheit und Tugend, am wenigsten bei schönen Frauen glauben, eben weil sie theils selbst weit entfernt sind und in der Verführungsmacht des andern Geschlechtes eine Entschuldigung für [185] die eigene Unmoralität suchen, theils auch weil sie die Frauen zu weiter nichts fähig oder berechtigt halten, als den Männern zur Unterhaltung oder Pflege zu dienen. Es schien ihm darum nicht ganz unwahrscheinlich, daß seine Frau über Elisabeth ziemlich richtig urtheilte, und er säumte nicht, unter den Rathsherren und Schöppen diese Ansichten zu verbreiten.

Als nun Ezechiel mit seinen Anklagen und Mittheilungen über Ulrich zur Hallerin kam, so fand er natürlich bei ihr nicht nur Gehör und Glauben, sondern sie wußte auch einen ihrer Vettern Bernard Holzschuher, den sie schon immer in's Vertrauen gezogen, der selbst Schöppe und einer der einst von Elisabeth abgewiesenen Freier war, zu bewegen, daß er die Anklage wider Ulrich von Straßburg und Hieronymus erhob und zwar zuerst bei dem Hüttenmeister der St. Lorenzhütte; waren die Baubrüder aus dieser ausgestoßen, so konnte dann weiter gegen sie verfahren werden.

Für Katharina Haller war es auch beschämend und quälend, daß der Ritter Axel von Weyspriach, auf dessen Aufmerksamkeiten einst sie und Beatrix Immhof stolz gewesen, jetzt als ein Placker, Straßenräuber und Reichsfriedenbrecher verhaftet war, und daß man ihn, um ein Beispiel zu geben und die Macht der freien [186] Reichsbürger diesem herabgesunkenen Adel gegenüber zu zeigen, unfehlbar zum Tode verurtheilen und hinrichten werde. Beatrix hatte wohl persönliches weibliches Mitleid für ihn – Katharina kannte solche bessere Empfindungen nicht, aber sie schämte und ärgerte sich, mit einem Straßenräuber, der nun den Tod für seine Verbrechen leiden sollte, getanzt zu haben, und haßte den Ritter doch doppelt, weil er sie zu einem Bubenstück verleitet hatte, dessen Ausführung doch nur an Meister Dürer's Ehrlichkeit und Vorsicht gescheitert war. Wenn diese Geschichte vielleicht noch an den Tag kam, so war sie zugleich der Verachtung und Lächerlichkeit Preis gegeben – sie, die sich immer so ihrer Tugend und Unbescholtenheit rühmte, gewissenhaft auf die Befolgung der kleinlichsten Regeln der hergebrachten Sitten hielt und unbarmherzig über Alle den Stab brach, welche auch nur in den kleinsten Dingen davon abwichen, geschweige denn, wenn sie sich ein wirkliches Vergehen dagegen zu Schulden kommen ließen. Katharina sagte sich, daß, wenn es möglich sei, daß sie jetzt eine derartige Demüthigung erfahre, sie doch zuvor an Elisabeth noch eine größere erleben oder ihr bereiten müsse – es koste was es wolle.

[187] So arbeiteten die sittenstolze Patrizierin, der schmutzige Jude und die verrufene alte Kupplerin gleichzeitig an dem Untergange der edelsten Menschen, die damals in Nürnberg lebten, und die eben darum nur in feindliche Conflikte mit ihren Nebenmenschen geriethen, weil sie über die Vorurtheile derselben erhaben und ihrer Zeit vorausgeeilt waren. –

Indessen hatte die Untersuchung über den Tod Christof von Scheurl's vor den geschworenen Schöppen ihren Gang.

Elisabeth selbst hatte vermuthet, daß ihr Gemahl am Abend vor seinem Tode bei dem Propst Kreß zum Nachtmahl gewesen sei. Auf Befragen bestätigte dies derselbe, und weder für ihn noch die andern Gäste hatten die aufgetragenen Speisen und Getränke eine schädliche Wirkung gehabt, so daß man etwa auf eine zufällige Vergiftung oder ein sonst gewaltsam herbeigeführtes Unwohlsein hätte schließen können. Martin Ketzel war mit Scheurl bis an dessen Straßenecke nach Hause gegangen und erklärte, daß derselbe zwar etwas angetrunken gewesen sei, aber nicht mehr als gewöhnlich, und daß ihm sonst nichts an ihm aufgefallen; übrigens gehörten beide Herren zu denen, welche versicherten, daß Elisabeth gewiß vollkommen unschuldig sei, daß [188] Scheurl ihr in allen Stücken vertraut und mit ihr einig gewesen sei – er habe ihr nie etwas in den Weg gelegt und sie ihm nicht.

Die gefangene Magd Katharina gab in der Angst ausweichende und widersprechende Antworten. Sie schwor hoch und theuer, an dem Mord unschuldig zu sein; die Frau Scheurl aber sei auf sie eifersüchtig gewesen und wolle nun deshalb die Schuld auf sie wälzen. Die Inquisitoren mußten bei dieser Antwort lachen, da das Alter und das wenig Anziehende, welches die Inquierentin noch besaß, einen solchen Fall sehr zweifelhaft erscheinen ließen – zumal im Vergleich mit der schönen Frau Scheurl. Katharina antwortete zwar auf dieses Gelächter, dadurch empört mit der Behauptung, daß sie beweisen und beschwören könne, wie Herr Scheurl ihr zugethan gewesen – war aber dabei auch nicht so schlecht, Elisabeth der That zu beschuldigen, sondern betheuerte nur ihre eigene Unschuld.

Man hatte in ihrer Kammer den Beutel mit Gold gefunden, welchen sie von Scheurl erhalten; Elisabeth und andere Hausbewohner erkannten diesen als den Scheurl's, und Katharina versicherte, daß er ihr eben diesen gegeben, weil er Gefallen an ihr gefunden. Auf[189] die Frage, wann dies geschehen sei, antwortete sie ausweichend, daß sie das nicht genau mehr wisse.

Der Beutel aber war das gefährlichste corpus delicti.

Herr Martin Ketzel erklärte auf späteres Befragen, daß er diesen Beutel noch am Abend des Nachtmahls in der Propstei bei Herrn Scheurl gesehen – die Herren hatten gespielt, was freilich nicht mit zu Protokoll genommen ward, denn schon hatte der immer auf Alles sorgfältig bedachte Rath gewisse Beschränkungen, das Kartenspiel betreffend, erlassen, das, obwohl noch nicht lange erfunden, doch bereits in bedenklicher Weise einzureißen drohte, aber die »Genannten« kehrten sich selten selbst an die von ihnen erlassenen Verbote: – der Beutel konnte also erst nach Scheurl's Heimgange in Katharina's Hände gekommen sein.

Als man Katharina dies in einem spätern Verhör vorhielt, verwickelte sie sich in neue Widersprüche.

Diese zu beseitigen, hielt man damals die Tortur für das wirksamste Hülfsmittel.

Katharina hielt nur den ersten Grad der gräßlichen Marter aus, dann errang sie sich Erlösung von dem schrecklichen Instrument mit dem Jammerruf der Verzweiflung:

[190] »Ich will bekennen!«

Aber damit trachteten nur die unglücklichen Opfer unmenschlicher Grausamkeit sich zu entziehen. Als Katharina sich wieder frei von den Eisenstangen und Schrauben fühlte, die ihre Glieder zu zerreißen drohten, fürchtete sie gleichwohl noch eben so sehr als vorher die Wahrheit zu bekennen, und um nur etwas Neues zu sagen, sagte sie eine neue Unwahrheit.

Sie erklärte, daß sie allerdings in jener verhängnißvollen Nacht den Herrn Scheurl habe nach Hause kommen hören, und daß sie dann später noch in das Schlafzimmer seiner Gemahlin gerufen worden. Hier habe ihr diese den Beutel mit dem Gold gegeben und gesagt, sie solle morgen wieder abziehen und dafür dieses Geld erhalten, wenn sie sich dem füge, ohne weiter etwas zu sagen, auch nicht daß sie noch diese Nacht mit ihr gesprochen. Sie, Katharina, habe gemeint, dies sei aus Eifersucht der Herrin geschehen, und habe sich gefügt. Am Morgen, eben da sie ihr Bündel habe schnürren wollen, sei das Schreckliche geschehen, und man habe sie um dieses falschen Scheines Willen verhaftet.

Wenn etwas hiervon sich als wahr erwies, so bekam die Sache eine andere Wendung und der Verdacht [191] fiel auf Elisabeth – jetzt gerade um so mehr, als Katharina gar nicht versuchte ihn auf diese zu werfen, sondern sich auch dabei ganz unschuldig und unbefangen stellte – in der That auch so suchte ihr eigenes Gewissen zu beruhigen; denn Katharina gehörte eben noch nicht zu den schlechtesten Creaturen und dachte nur an Selbsterhaltung. So lange als möglich wollte sie diese versuchen, ehe sie ein anderes Wesen für sich büßen ließe. Auch hoffte sie, die angesehene Patrizierin werde vor dem Rath von Nürnberg einen bessern Stand haben, als die fremde Regensburgerin.

Jedenfalls machte diese Aussage doch ein Verhör Elisabeth's nöthig, Katharina gewann Zeit, und was in solcher Lage Alles galt: sie hatte ein paar Tage Ruhe vor der entsetzlichen Folter und ihre geschundenen Arme und Hände konnten sich wieder ein wenig erholen.

[192]

9. Kapitel. Die freien Maurer

Neuntes Capitel
Die freien Maurer

Am Tage, nach dem Ulrich am Sterbebett seiner Mutter gewesen, war er mit Hieronymus der erste vor der Bauhütte; bald darauf kam der Pallirer dieselbe zu öffnen, aber es fehlte fast noch eine halbe Stunde an der bestimmten Zeit.

Ulrich sah aus wie nach einer durchwachten Nacht und seine Augen glänzten doppelt schwärmerisch als gewöhnlich.

»Fehlt Dir etwas?« sagte Hieronymus theilnehmend; »Du bist so früh gekommen?«

»Weil ich nicht weiß, wie lange ich noch kommen werde!« antwortete Ulrich wehmüthig. »Du gehörst hier immer mit zu den Ersten, es freut mich, daß Du es auch heute bist – es drängt mich noch mit Dir zu reden.«

[193] »Du bist so feierlich!« sagte Hieronymus; »mir ließ es auch keine Ruhe heute Dich zu sehen – das Geschick der Scheurlin beunruhigt Dich doch wohl, auch wenn es nur Mitleid ist.«

»Nein,« sagte Ulrich fest, »das ist es nicht – sie ist nicht schuldig.«

Hieronymus schüttelte verdrüßlich den Kopf: »Wenn ich nicht Dein Freund wäre und Dir mehr vertraute als den Reden der Leute, so könnte ich bei dieser Behauptung Dich doch in demselben Verdacht haben wie meine Mutter –«

»In welchem?« fragte Ulrich, da Hieronymus stockte, und sah ihn fest und flammend an.

»Daß es dieses Weib Dir angethan!« sagte Hieronymus, und schlug doch die Augen nieder, weil er sich dieser Aeußerung schämte.

Ulrich lächelte: »Ihr könnt Recht haben im gewissen Sinne, nur nicht etwa in dem, der jetzt die Gemüther verwirren will mit dem Glauben an Hexen und Zauberspuk. Aber warst Du nicht der erste, der mir diese Elisabeth zeigte, nicht nur als das schönste, sondern als das aufgeklärteste Weib von Nürnberg? Und war es nicht in demselben Augenblick, als ich die Rose wegwarf, die aus ihrer Hand mich getroffen? Hab' ich [194] sie nicht gemieden wie jedes Weib, hat sie nicht dasselbe mir gethan und hat nicht Deine Mutter gleich Dir sie gerade darum gescholten, weil sie dadurch undankbar erschien? Ob eben durch dies Schelten, durch diesen ungerechten Verdacht, ob durch ihre Schönheit oder durch Alles, was ich von ihr sah und hörte, durch die Zeichen ihrer Geisteshoheit, die nur in einzelnen Zügen und Worten sich mir offenbarten – ich weiß es nicht: aber ich habe durch sie erst eine Ahnung bekommen von der Macht und Größe des Weibes – durch sie erst gefühlt, daß unser Gelübde, seine Gemeinschaft zu fliehen, ein schweres ist, das, wenn wir in allen Versuchungen treu an ihm fest halten, uns Kraft geben muß, auch jeden andern Kampf im Leben oder in uns selbst siegreich zu bestehen. Die Bewunderung, die ein schönes Kunstwerk uns einflößt, die Andachtsschauer der Verehrung, die ich zuweilen empfand, wenn ich zur Himmelskönigin betete, das Mitleid mit dem Leiden und Dulden anderer heiligen Frauen, denen wir Monumente und Altäre weihen – das hab' ich für diese Elisabeth empfunden, und rechne mir diese Gefühle nicht als Sünde an, um so weniger, als ich an ihre Tugend glaube und sie meiner Verehrung würdig finde. Ich wäre nur unglücklich, wenn ich an ihr irre werden müßte. Unser Gelübde [195] der Entsagung bereue ich darum nicht, es erscheint mir nur in einem andern Lichte: ein Freibleiben und Losgerissensein von irdischen Banden und Pflichten, die dem Genius Fesseln anlegen können, der nur frei und allein sich entfalten kann – ein Aufschwung und Aufstreben zur höchsten Freiheit, die sich selbst bewußt an das Ganze hingiebt und nur im Ideal Ziel und Schranken findet! – Sage mir, Hieronymus, wenn man mich auch beschuldigt, wirst Du an mich glauben?«

»Ich habe es gethan bis zur Stunde,« antwortete Hieronymus, »und begreife Deine Frage nicht, noch was Dich sonst so bewegt?«

»Eine Ahnung,« antwortete Ulrich, »vielleicht auch die feierliche Beklommenheit, die immer über uns kommt, wenn wir die letzte Hand an ein Werk legen, an dem wir lange gearbeitet. Sieh', diese Halbsäule mit ihrem Hochbild vorn ist bald vollendet,« fuhr er fort, auf eine solche deutend, aus der Eichenzweige hervortraten, auf welchen ein Eichhörnchen saß, zum Sprunge ausholend, indeß von unten eine Schlange emporzischte, die Eichenblätter wölbten sich oben zu einer Krone empor; »das unschuldige Eichhörnchen braucht nicht im Bann der Schlange zu bleiben,« fuhr er fort, »aber es wird doch immer so erscheinen, es kann höher klettern, im freien [196] Walde von Zweig zu Zweig sich schwingen, die drohend vorgesteckte Schlangenzunge und ihr Gift verachten, kein ekles Kriechthier vermag ihm etwas anzuhaben. So hab' ich in den Stein hinein gedichtet, woran ich jetzt zumeist gedacht.«

Die letzten Worte hörte der Pallirer, der jetzt näher zu den Beiden getreten war, und sagte: »Seid Ihr das Eichhörnchen selbst oder hab't Ihr an eine andere Person dabei gedacht?«

»Nicht an eine bestimmte Person,« antwortete Ulrich; »es ist ja kein Conterfei, sondern ein Symbol. Wer in Unschuld wandelt und doch vermag sich zu den höchsten Höhen mit kühnem Sprunge empor zu heben, den mag die Schlange irdischer Gemeinheit und Bosheit immer zu verderben drohen – ja ihn gar einmal verschlingen, wo er sie am wenigsten vermuthet: er war dennoch eines höhern Looses werth!«

Der Pallirer klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Grabet Euer Zeichen ein, man wird bei diesem Symbole Eurer selbst gedenken!« Dann wandte er sich mit einem mitleidigen Blicke ab, als habe er schon zu viel gesagt.

Die andern Gesellen und Lehrlinge waren einstweilen [197] auch gekommen und das Morgengebet ward gehalten. –

Es war ein schwüler Sommertag, eine drückende heiße Luft lag auf der Bauhütte und verbreitete in ihr einen Dunst, der Alle lässig oder beklommen machte. Nur Ulrich gönnte sich nie eine Minute Ruhe, um sein Werk zu vollenden.

In dem kleinen Gemach in der Hütte, neben dem großen Saal, in welchem die Steinmetzen arbeiteten, pflegte sich der Hüttenmeister aufzuhalten, wenn es Geschäfte zu ordnen, Contrakte abzuschließen oder eine Untersuchung zu führen gab. Es war eine Art von Comptoir. Als es um die zehnte Stunde war, ließ er Hieronymus und Ulrich hinein rufen. Neben dem Hüttenmeister befanden sich zwei ältere Gesellen, die, wie es schien, als Zeugen dienen sollten.

Der Hüttenmeister begann zu den Beiden: »Es sind schwere Anklagen wider Euch erhoben worden. Ich frage Euch im Namen Gottes, des Sohnes und des heiligen Geistes, der heiligen Dreieinigkeit, zu der sich die gesammte Christenheit bekennt – ich frage Euch im Namen des heiligen Johannes, des erhabenen Schutzpatrones und Vorbildes aller freien Maurer: wollet Ihr die Wahrheit bekennen unerschrocken und ohne [198] Menschenfurcht gleich ihm? wollet Ihr sie bekennen, auch wenn sie Euch hinaus in die Wüste führte oder in's Gefängniß, oder Euch den Tod brächte?«

»Wir wollen sie bekennen!« riefen Beide zugleich, aber bei Ulrich klang es wie der entschlossene Ruf eines Märtyrers, bei Hieronymus mischte sich etwas wie Schreck und Furcht hinein.

»Leistet den Schwur jetzt vor mir mit Wort und Hand; was Ihr ausgesagt hab't, werdet Ihr dann vor der ganzen Baubrüderschaft noch einmal bekennen müssen!«

Nach diesen Worten des Hüttenmeisters leisteten Beide den üblichen Schwur.

Ulrich ward einstweilen entlassen und Hieronymus zuerst verhört. »Du bist sammt Ulrich von Straßburg angeklagt worden, daß Ihr mit ehrlosen Juden gemeinschaftliche Sache gemacht hab't und eine Judendirne mehr als einmal nächtlicher Weile in Eurer Wohnung gewesen ist; daß Ihr mit denselben wieder im Benediktinerkloster seid zusammen gekommen und dann einen Mönch, der darin wohlverdienter Maaßen zum Tode verurtheilt gewesen ist, befreit hab't und im Kloster Andere dazu verführt, Euch bei diesem Werke zu helfen. Steh' Rede über das Alles.«

[199] Hieronymus antwortete erstaunt: »Das kann ich nicht, denn ich weiß von dem Allen nichts.«

»Gedenke Deines Eides!« mahnte der Hüttenmeister.

»Ich gedenke meines Eides und betheure meine Unschuld!« antwortete Hieronymus.«

»Ueberlege was Du sprichst! gedenke Deines Eides!« wiederholte der Hüttenmeister; »weißt Du auch nichts von Ulrich's Schuld?«

Hieronymus schwieg und blickte zu Boden. Es herrschte eine lange Pause und Stille – man hörte nur draußen das Feilen der Steinmetzen, das gerade jetzt wie ein zur Andacht rufendes Geläute ineinander klang.

Endlich sagte der Hüttenmeister wieder: »Du weißt, wir drohen mit keiner Folter, um von den Unsern Geständnisse zu erpressen; wir brauchen keine profanen Mittel und Hände, um die Wahrheit von Denen zu erforschen, die sie verbergen und verleugnen wollen – wir kennen nur eine einzige Drohung: Wer nicht freudig die Wahrheit redet und bekennt, auch wo sie ihm Schaden bringen kann, wer betroffen wird auf einer Lüge, wer nur im Kleinsten sich versündigt hat an der Heiligkeit des Bundeseides – der wird ausgestoßen aus der Gemeinschaft freier Maurer, die Profanen mögen ihn richten.«

[200] Hieronymus blickte empor und sagte flehend: »Ulrich ist mein Bruder und Freund; er hat mir das Leben gerettet mit Gefahr seines eigenen, wie Ihr wißt – ich kann nicht wider ihn zeugen.«

»Damit hast Du schon seine Anklage ausgesprochen,« sagte der Hüttenmeister ernst; »aber Du weißt auch, daß die Wahrheit bei uns herrschen muß über jedes andere Gefühl, jede andere Rücksicht; der Eid, den Du geschworen, da Du Mitglied unseres Bundes wurdest, band Dich früher als jeder andere; Du durftest gar keine andere Verpflichtung eingehen ohne diesen Vorbehalt – Bundesbrüder sind wir Alle; aber über uns Allen herrscht Einer und ein einziges Gesetz, dem zu dienen mehr gilt, als unsern Gefühlen, ja dem zu Ehren wir diese bekämpfen müssen, wenn sie einmal mit ihm in Widerspruch gerathen wollen. Stehe Rede und Antwort – vielleicht kann Dein redliches Bekenntniß Ulrich eher retten als verderben, denn seine Sache steht schlimmer als die Deine, und ich verlange nicht, daß Du wider ihn zeugest, sondern für ihn, wenn Du es kannst. Gedenke Deines Eides!«

Hieronymus begann: »Ein Judenmädchen, Rachel, hat ein paar Mal versucht sich an uns zu drängen, und da wir einmal bei einem Straßenlärm vor unserm[201] Hause ihrem Vater, dem alten Ezechiel, Hülfe leisteten, da er sonst wäre von Betrunkenen erschlagen worden, hatte sich seine Tochter in unser Haus geflüchtet, und Ulrich sperrte sie dort allein in eine dunkle Kammer, bis sie ungefährdet heim gehen konnte. Wohl fand ich es unrecht, daß er das Mädchen so lange duldete, da er uns dadurch in Schande bringen könne. Zwei Tage darauf wurden wir in das Benediktinerkloster gesandt und dann hat Ulrich nicht mehr bei mir gewohnt. Das Mädchen hatte damals einen Ring verloren, den Ulrich ihrem Vater in der Wirthschaft des Klosters wieder zugestellt hat; aber weiter hat er keine Gemeinschaft mit den Juden gehabt.«

Der Hüttenmeister frug weiter: »Und was hab't Ihr im Benediktinerkloster gethan – außer der Arbeit, die Euch zukam?«

»Ich weiß von nichts,« antwortete Hieronymus.

»Hast Du nicht den Mönch Amadeus schon vorher gekannt, der das Weihbrodgehäuse zertrümmerte?«

»Gekannt? – nein!«

»Auch Ulrich nicht? auch nicht gesehen?«

»Gesehen – ja,« antwortete Hieronymus nach einigem Zögern; »Ulrich's Schwert war vor Jahren im Gedränge an dem Rosenkranz des Mönches hängen geblieben, [202] er hatte sein Kreuz verloren, das Ulrich bewahrte, um es ihm wieder zu erstatten.«

Der Hüttenmeister lächelte ungläubig; »Ihr hattet Glück im Finden! – Wie seid Ihr im Kloster mit Amadeus in Berührung gekommen?«

»Wenn es eine Berührung war: als seine Ankläger. Wir sahen, daß das Tabernakel gewaltsam zerstört war – da hat er sich selbst als schuldig bekannt; als wahnsinnig ist er im Gefängniß an die Kette gelegt worden – weiter weiß ich nichts von ihm.«

»Kanntest Du den Novizen Konrad?«

»Er begrüßte uns als Baubruder – ich mißtraute ihm, weil er von unserer freien Kunst der Möncherei sich zugewendet, gleichviel ob es aus freiem Willen geschehen oder aus Strafe.«

»Aber Ulrich traute ihm?«

»Allerdings – es schien so.«

»Ihr seid schon zwei Mal angeklagt gewesen, Euch in Händel mit Raufbolden und Raubrittern eingelassen zu haben, die Frau von Scheurl zu beschützen,« begann der Hüttenmeister ein anderes Thema; »das erste Mal hat unser königlicher Bruder Max Euch selber freigesprochen, zum andern Male hat man es Euch um deswillen nachgesehen und Ihr seid mit einem Verweis [203] und einer Verwarnung, nicht unnütz das Schwert zu ziehen, davon gekommen – weißt Du, ob Ulrich sich weiter mit diesem Weibe eingelassen?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete Hieronymus; »Ihr wißt, wir haben seit Monaten nicht mehr zusammen gewohnt.«

»Geh' an Deine Arbeit! Wir werden weiter erfahren, ob Du die Wahrheit geredet.«

Nachdem Hieronymus mit diesen Worten entlassen war, ward Ulrich zu dem Hüttenmeister berufen.

Er wiederholte ihm die vorige Anklage und fügte hinzu: »ich hoffe, Du wirst bekennen, wie Hieronymus auch bekannt hat.«

»Hieronymus!« rief Ulrich, »er ist unschuldig; Alles, was Ihr mir da vorhaltet, ist allein mein Verbrechen – wenn es eines ist.« Und Ulrich schilderte wahrheitsgetreu, wie das Judenmädchen seinen Beistand für Andere angerufen, wie er selbst in jener Nacht sie beschützt habe, weil er in ihr das edle Streben erkannt, das Unrecht zu verhüten, daß ihr Vater oder andere Leute, von denen sie es erfahren, an Andern, an Christen hatten begehen wollen, und wie er, um Hieronymus vor jedem falschen Verdacht zu bewahren, von diesem gezogen sei. »Ich meine, ich habe kein Gelübde gebrochen,« [204] fügte er hinzu, »daß ich dieses Judenkind anhörte; so oft es kam meine Hülfe zu fordern, war es für Andere – und sonst habe ich keine Gemeinschaft mit ihm gehabt, mich fern und frei gehalten von allen Dingen, die wider unsere Statuten verstoßen.«

»Aber Du und Hieronymus,« fragte der Hüttenmeister, »Ihr habt Amadeus befreit; leugne nicht, denn ich weiß es, und Du wirst wohl ahnen, durch wen.«

Ulrich blickte auf und sagte nach einer Pause: »Ich that es, aber ich allein, Niemand außer mir hat daran eine Schuld; Hieronymus hat aus Freundschaft gelogen, wenn er sich dazu bekannt – er kann nur durch Eure Fragen das erste Wort davon erfahren haben.«

»Und wie konntest Du Dich dessen erfrechen,« sagte der Hüttenmeister streng, »wie Dich unterstehen, Dich so aufzulehnen wider die Entscheidung eines geistlichen Gerichtes und der Gerechtigkeit des Klosters ein Opfer zu entziehen? Wer eines solchen Verbrechens fähig, wie Du jetzt eingestanden, der wird keinen Gehorsam, kein Gebot der Kirche oder unserer Brüderschaft mehr heilig halten, der muß ausgestoßen werden aus der Bauhütte, die von ihren Mitgliedern Reinheit, Gehorsam und Treue fordert. Doppelt hast Du Dich versündigt, denn der, dem Du aus dem Kloster halfst, war nicht [205] allein ein Verbrecher an seinem Orden, sondern auch an uns, den Dienern der geweihten Kunst, da er eines ihrer herrlichsten Werke aus schändlichem Muthwillen zertrümmerte; solch' ein Scheusal von einem Menschen –«

»Das ist er nicht – haltet ein!« rief Ulrich außer sich.

»Er ist es!« donnerte der Hüttenmeister, »und Du bist es mit, weil Du es wagen kannst, ihn zu vertheidigen, es wagtest, um dieses Ungeheuers Willen nicht nur den heiligen Klosterfrieden zu brechen, sondern auch Dein Gelübde und damit den ganzen erhabenen Bund der Maurerei in Dir und durch Dich, als einem ihrer Gesellen zu schänden. Du brauchst Dich nun nicht mehr zu scheuen, Alles zu gestehen, denn Du kannst nichts mehr sagen, das Dich unseres Bundes unwürdiger machte, als diese That! – Geh' hinaus und zertrümmere auch Dein letztes Werk, und dann leugne noch, daß Du ein Verbrechen begangen, indem Du den Meißel gebrauchtest, diesen Heiligthumschänder zu befreien – oder hast Du auch nur ein einziges Wort zu Deiner Entschuldigung zu sagen?«

»Nur ein einziges!« antwortete Ulrich tonlos.

»Nun?«

[206] »Amadeus wäre frei ausgegangen, wenn ich nicht an dem Tabernakel die Frevlerhand erkannt und auf Untersuchung gedrungen hätte. Ich war an seinem Loose schuld.«

»Das hatte Dich nicht zu kümmern, Du hattest recht daran gehandelt und die Strafe war des Sünders würdig – das ist keine Entschuldigung für Dich.«

»Nun denn, ich habe Wahrheit geschworen – Ihr sollt sie haben; besser, daß ich so selbst ein unschuldig Schuldiger den Stab über mich breche, als daß Ihr es thut. Mein Geständniß wird mich nicht retten – aber vielleicht rettet es das Werk meiner Hände, und Ihr erlaßt mir die Strafe, die Ihr drohtet. In demselben Augenblick, da ich den Frevler am Tabernakel angeklagt, erfuhr ich, daß ich der größere war – ich entdeckte in ihm meinen Vater.«

Der Hüttenmeister hörte dies voll Verwunderung und sagte: »Das ist eine sonderbare Ausflucht; – sie ändert auch nichts an der Thatsache.«

»Ich mag dieselbe Strafe verdienen nach den Gesetzen,« sagte Ulrich, »aber vor menschlich fühlenden Herzen und christlichen Brüdern verdiene ich Entschuldigung. Ich allein trage die Schuld und bin Verantwortung schuldig; wenn man Andere angeklagt hat, [207] als hätten sie Theil daran, so hat man sich vom Scheine täuschen lassen – ich habe keine Genossen und Helfershelfer dabei gehabt, außer solchen, welche nicht wußten, um was es sich handelte.«

»Hieronymus, der Novize Konrad und sogar – der Propst Kreß sind mit Dir angeklagt!« sagte der Hüttenmeister. »Jene haben Dir geholfen Amadeus aus dem Kerker zu befreien, und dieser hat ihn hier bei sich versteckt. Ich sage Dir dies, damit Du nicht durch unnützes Leugnen die Sache in die Länge ziehst.«

Ulrich gerieth in Feuer: »Ich will es beschwören mit jedem heiligen Eid: Hieronymus ist unschuldig! Konrad hat nichts gethan, als mir den Weg zu Amadeus' Gefängniß gezeigt, ohne meine Absicht zu kennen, und der Propst – nun, Ihr wißt, der ehrwürdige Herr hat eine einzige Schwäche – er war nicht nüchtern, da ich und Amadeus ihn auflauerten und ihn zwangen, uns in der Propstei eine Nacht zu behalten. Werdet Ihr nicht lieber mich, als den allein oder doppelt Schuldigen bestrafen wollen, denn zugeben, daß über diese menschliche Schwachheit unsers Gottesjunkers verhandelt werde? Möglich, daß er Euch lieber alles Andere eingesteht, denn daß er trunken war und seiner Sinne nicht mächtig; aber ich kann es beschwören; es [208] war so.« Und nun bekannte Ulrich aufrichtig, aber alle Mitschuld der Andern mit auf sich nehmend, Alles ohne Rückhalt, was er gethan hatte.

»Du hast also selbst das Vergehen eingestanden,« sagte der Hüttenmeister. »Du mußt an das geistliche Gericht abgeliefert werden, wir haben nichts weiter mit Dir in dieser Angelegenheit zu thun. Aber es giebt noch andere Anklagen wider Dich. Man beschuldigt Dich nicht nur, daß Du das Judenmädchen habest verführen wollen, sondern daß Du Dich an die Frau von Scheurl gedrängt, oder Dich hast von ihr verführen lassen – vielleicht zum Ehebruch – vielleicht zum Mord –«

Einen Augenblick erbleichte Ulrich, denn diese Anklage kam ihm doch unerwartet. Stolz sagte er: »Solch' ungerechter Anklage gegenüber habe ich keine Antwort, als meine Unschuld zu beschwören.« Seine weiteren Aussagen über diesen Punkt stimmten mit denen des Hieronymus, und dann fügte er hinzu, daß er nur einmal in Scheurl's Hause gewesen sei und mit der Hausfrau allein gesprochen habe, als er ihr den indianischen Raben gebracht, den das Judenmädchen ihm für Jene übergeben.

[209] Der Hüttenmeister glaubte Ulrich gern, denn er hatte ihn, seit er in der Lorenzkirche arbeitete, gleich sehr als Menschen wie als Künstler schätzen lernen, und ihn oft den andern Steinmetzen als Muster vorgestellt; aber höher als der Einzelne stand ihm das Ganze der Brüderschaft und die gewissenhafte Aufrechterhaltung ihrer Statuten. Er sagte:

»Ich habe dem geistlichen Inquisitor, der Dich vorladen ließ, die Antwort gegeben, daß Du ihm heute Abend ausgeliefert werdest – wenn wir Dich schuldig befunden, als ein Ausgestoßener aus unserm Bunde; wenn wir Beweise für Deine Unschuld haben, aber als einen der Unsern, den wir vertreten werden vor Kaiser und Reich, und dem kein Haar gekrümmt werden darf, es sei denn, daß unsere oberste Behörde, der Maurerhof zu Straßburg, zuvor sein Urtheil gefällt. Draußen läutet jetzt die Mittagglocke – während die Andern gehen, bleibe hier und erwarte Dein Urtheil.«

Darauf entfernte sich der Hüttenmeister mit dem einen Beisitzer, der andere blieb als Wächter für Ulrich und Hieronymus zurück.

Die Freunde umarmten sich schweigend, da man sie wieder zusammen ließ.

[210] »Dir kann nichts geschehen!« sagte Ulrich freudig, »Du bist unschuldig.«

»O hättest Du mir mehr vertraut,« klagte Hieronymus, »ich hätte Dich besser vertheidigen können!«

Ulrich schüttelte mit dem Kopf: »Von dem Augenblick an, da ich fühlte, daß der Schein gegen mich zeugen und mich verderben konnte, mußte ich Dich meiden, mich von Dir zurückziehen, damit ich Dich nicht mit in meinen Sturz verwickelte. Nun begreifst Du wohl, warum es den Anschein hatte, als sei meine Freundschaft für Dich erkaltet – aus Freundschaft mußt' ich Dich meiden, und das Band lockern, das uns umschlang.«

Hieronymus konnte kaum sprechen und weinte an dem Halse seines Kameraden; als er sich wieder von ihm losmachen wollte, hielt Ulrich seine Hand fest und sagte: »Laß mir jetzt die Hand noch, die vielleicht in der nächsten Stunde sich mir als einem Ausgestoßenen und Beschimpften für immer entziehen muß.« –

Als der Pallirer wieder kam und die Glocke zur Arbeit rief, durften auch die beiden Baubrüder wieder mit an die ihrige gehen. Ulrich war es dabei wunderbar zu Muthe. Vielleicht war dies seine letzte Arbeitsstunde, vielleicht schwang er zum letzten Male den Meißel [211] und lenkte das Richtscheit, vielleicht war er zum letzten Male in der Hütte, vielleicht war er in der nächsten Stunde kein Baubruder mehr – mit Schimpf und Schande ausgestoßen aus dem geweihten Bund! Und seine ganze Seele hing an ihm – schlimmer als Tod war es, wenn man ihn ausstieß – und doch sah er kein anderes Loos vor sich; aber war es ihm nur gelungen, dadurch, daß er die Schuld auf sich allein nahm, die drei andern Mitangeklagten als Unschuldige darzustellen, so fühlte er in sich einen freudigen Triumph, der ihn wenigstens auf Augenblicke sich selbst vergessen machte.

Daß in dem Verhör, als Ulrich Amadeus seinen Vater nannte, der Hüttenmeister nicht weiter danach gefragt, das befremdete Ulrich. Seitdem er gestern am Sterbebett seiner Mutter gewesen, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen, dadurch allen Zwang von sich werfend, den er bis jetzt sich angethan und seinem kindlichen Gefühl – seitdem war er darauf gefaßt gewesen, daß er über seine Eltern verhört werden würde. Nun hatte man diese Frage gegen ihn gar nicht berührt, da doch seine Erklärung, daß Amadeus sein Vater sei, schon eine Art von Geständniß war. Strahlte nicht hierin ein Hoffnungsschimmer? Hatte nicht vielleicht der Propst [212] Kreß einen Beweis gesucht und gefunden, daß Amadeus und Ulrike durch Priestersegen verbunden waren? Gab es für ihn wirklich noch eine Rettung? Der Ertrinkende in einer Fluth von Unheil sieht in der schwimmenden Strohähre einen Rettungsanker.

Da es ein Samstag war, so ward an diesem Tage eine Stunde früher als sonst zum Feierabend geläutet.

Als alle ihre Werkzeuge weggelegt hatten, pflegten sie noch zusammen zu bleiben, weil an diesem Tage jedem der Wochenlohn ausgezahlt ward. Da die Strafen für kleinere Vergehen wie Betrinken, Sichverspäten, Schimpfen u.s.w. meist in Lohnentziehungen bestanden, die dafür in die allgemeine Büchse flossen, oder in Wachs, das von den Strafbaren abgeliefert werden mußte, so wurden auch diese bei derselben Gelegenheit mit den üblichen Ermahnungen zur Besserung mit ertheilt.

Darauf erklärte der Hüttenmeister, daß das geistliche Gericht Anklage erhoben habe wider Hieronymus und Ulrich von Straßburg – daß man aber keinen Grund habe an der Unschuld des ersteren zu zweifeln, daher derselbe nach wie vor daheim bleiben und ruhig zur Arbeit kommen solle. Ulrich von Straßburg aber,[213] der sich selbst als schuldig angegeben, solle den draußen harrenden Dienern des Gerichts übergeben werden.

»Wir und die Haupthütte zu Straßburg,« fuhr der Hüttenmeister fort, »sind über ihn und seine Herkunft getäuscht worden durch falsche Zeugnisse; es bewährt sich nicht nur an ihm, daß Gott die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern, sondern auch, daß kein Frevel an der Wahrheit ohne Entdeckung und ohne Rache bleibt. Ulrich von Straßburg war von je ein Unehrlicher und Unreiner, der nicht in unsern reinen Bund gehört: sein Vater war ein Mönch und seine Mutter eine Nonne –«

»Haltet ein!« rief Ulrich, als er auf allen Gesichtern Spuren des Abscheus, der Verachtung oder des Spottes sah; »haltet ein, meine Eltern solchen Frevels zu beschimpfen; ein grausames Geschick hatte sie getrennt, und sie wählten das Kloster erst vor zwölf Jahren, um zu büßen und zu entsagen.«

»Es mag so sein,« sagte der Hüttenmeister, »aber Dir geziemt zu schweigen; Du bist ausgestoßen aus unserem Bund! ein Unreiner, der niemals daran hätte Theil nehmen sollen. Lege dein Werkzeug hin und kniee nieder.«

[214] Ulrich gehorchte schweigend, sein Antlitz ward todtenblaß und er suchte es in seinen Händen zu verbergen.

Der Hüttenmeister stieß ihn mit dem Fuße noch tiefer nieder, schritt über ihn hinweg, spie ihn an und sagte: »Du Unreiner! wir haben keinen Theil an Dir! Unsere Hütte ist beschimpft und entweiht unsere heilige Kunst, wenn wir Dich noch länger unter uns dulden. Mögen Dich die Profanen richten, wie Du es verdienst, uns bist Du nichts mehr, denn Du bist uns zum Schandfleck geworden, und Dein Steinmetzzeichen wird vertilgt werden, wo man es nur findet!«

Bei den letzten Worten war es Ulrich, als zertrete der schwere Absatzstiefel des Hüttenmeisters sein Haupt – einen solchen Schmerz fühlte er innerlich bei diesem Spruch in dem Sitz seiner Gedanken, die hochaufstrebend schon Unsterbliches geschaffen und noch mehr zu schaffen gehofft – aber schon schritten der Werkmeister und der Pallirer auch über seine zu Boden geworfene Gestalt und wiederholten denselben Spruch:

»Wir haben keinen Theil an Dir!«

Und so folgten alle Gesellen mit demselben Spruch, schritten über Ulrich und spieen ihn an.

Jetzt kam auch Hieronymus an die Reihe. Er zögerte; da traf ihn ein prüfender Blick des Hüttenmeisters[215] – Hieronymus mußte; wenn er nicht that wie die Andern, so machte er sich zu dem Mitschuldigen und Genossen des Ausgestoßenen. Noch bleicher als dieser, der für den Freund erröthete, ward Hieronymus Antlitz, als er über ihn hinweg schritt und zitternd stammelte:

»Ich habe keinen Theil an Dir!«

Diesmal war es Ulrich, als habe der Fußtritt sein Herz getroffen und zertreten. Mochten nun noch die Lehrlinge, die unmündigen Knaben, ihre Füße über ihn heben und ihn beschimpfen; mochte nun noch mit ihm geschehen was da wollte – er hatte das Aergste erlebt: der Freund, für den er sein Leben hatte opfern wollen, der jetzt nur, weil Ulrich alle Schuld auf sich allein nahm, ganz frei ausging – der hatte auch sagen können: »Ich habe keinen Theil an Dir!« Wen gab es denn nun noch, an dessen Theilnahme er glauben durfte? –

Die traurige Ceromonie, die an diesen Akt der Ausstoßung sich knüpfte, währte zwar lange, aber endlich war sie doch vorüber.

Zwei Steinmetzgesellen hoben Ulrich auf und begleiteten ihn zur Thüre, ihm diese öffnend. Dann [216] stießen sie ihn mit den Füßen hinaus auf den Platz, auf welchem die Gerichtsdiener seiner mit Ketten harrten, und sagten: »Nehm't ihn hin! er ist kein freier Maurer mehr – wir haben keinen Theil an ihm!« –

[217]

10. Kapitel. Todesurtheile

Zehntes Capitel
Todesurtheile

Elisabeth war in ihrem eigenen Hause eine Gefangene – sie erklärte selbst es sein zu wollen, bis auch jede Spur des entsetzlichen Verdachtes von ihr genommen, den die Bosheit auf sie geworfen. Wie groß auch das Ansehen war, in welchem das Geschlecht der Behaim stand, gerade jetzt, da Martin diesen Namen auch im Ausland zu hohen Ehren gebracht hatte: so gewannen doch jetzt täglich Elisabeth's Feinde mehr und mehr Oberhand im Rath, und selbst die meisten Männer und Frauen, die ihr früher gehuldigt und geschmeichelt, verläugneten sie jetzt um so mehr, damit man im Fall, daß Elisabeth wirklich verurtheilt werde, es vergesse, daß sie einst mit ihnen freundschaftlich verbunden gewesen.

Nur Ursula und Clara Pirkheimer waren unter den Nürnbergerinnen ihr treu geblieben und suchten ihr im [218] Leide beizustehen, wenn nicht mit Rath und Trost – da sie selbst oft weniger hatten, als die geistesklare Elisabeth, doch mit den Beweisen ihrer Treue und einer Anhänglichkeit, die eben erst jetzt die erste Gelegenheit fand sich zu bewähren.

An dem Tage, an welchem Elisabeth in das Verhör beschieden ward, war Ursula auch bei ihr und sagte:

»König Max hat einen Tag nach Augsburg ausgeschrieben zum Vergleich zwischen Herzog Albrecht den Baiern und dem Kaiser Friedrich. Mein Eheherr brachte mir diese Kunde und er hofft, daß der König binnen Kurzem in Augsburg sein werde. Dorthin will er reiten und dem König sagen, wie die Nürnberger gegen Dich verfahren, und er wird keinen Augenblick zögern ihnen bessere Sitten zu lehren und Dich zu beschützen. Aber sollte Stephan vielleicht den König nicht treffen oder nicht selbst bei ihm Gehör finden, so gieb ihm die Nadel mit, die er Dir einst schenkte – jetzt ist es Deine Pflicht sie zu benutzen.«

Elisabeth blickte stolz und zürnend auf: »Welch' ein Vorschlag!« rief sie. »Was kann mir an einem Schutz liegen, der nicht ein Schutz meiner Ehre ist? Und wie möchte eine Bürgerin dieser freien Reichsstadt ein gekröntes Haupt anrufen, dem Nürnberger Rath Vorschriften [219] zu machen, die dieser nicht bedarf? Für Euch giebt es keinen Schutz als meine Unschuld, und keine Rettung als durch sie.«

Ursula sagte: »Gewiß wird sie einst an den Tag kommen, aber wer weiß, ob sich die Sache bald aufklärt! Wenn ein Fürwort des Kaisers es nur dahin bringt, daß man –«

Elisabeth schnitt die Rede vom Munde der Freundin ab und ergänzte sie in ihrer Weise: »Daß man ein Recht habe zu sagen: Da ist es doch erwiesen, daß Elisabeth Scheurl des Königs Buhlerin gewesen – wie nähme er sonst die Giftmischerin in seinen Schutz? Kein Wort mehr davon! Es ist wahrlich nicht leicht fortzuleben unter der Wucht dieses entsetzlichen Verdachtes, jeden Augenblick bereit vor rohen und hämischen Richtern zu stehen, die nur darauf lauern, ein stolzes Weib zu demüthigen: aber leichter ist es noch, als wie sich ihnen nur durch fremde Fürsprache zu entziehen, welche der Bosheit neue Waffen in die Hand drückt und uns vor uns selbst erniedrigt.«

Elisabeth blieb fest bei dieser Antwort, was auch Ursula noch dagegen reden wollte. »Wenn man nun doch keine Schonung für Dich kennt!« rief sie angstvoll, »wenn man es wagen sollte Deinen zarten Leib der [220] Folter auszusetzen – neben all' ihren Qualen den tausendmal entsetzlicheren durch die Blicke und Berührungen der gräßlichen Folterknechte! – Wenn wir nun gar nichts weiter vom König erflehen wollten als seine Fürsprache, Dir das zu ersparen?«

Wohl schauderte Elisabeth, aber sie antwortete: »Gegen solche Entehrung wird mich dieser Dolch beschützen!« – und sie zeigte einen solchen, den sie verborgen in ihrem Trauerkleide trug; »aber ich hoffe noch, daß mich dagegen auch die Fürsprache meiner Brüder, Deines Gatten und Vaters und ein paar anderer, mir noch ergebener Rathsherren bei den Schöppen schützt! Nicht mit einer andern Entehrung will ich vor der einen mich retten! – Ursula, ich beschwöre Dich! wenn die Gefühle der Dankbarkeit, die Dich für mich beseelen, wie Du mir immer sagst, Dich antreiben etwas für mich zu thun, so laß es das sein, daß Du Deinen Gemahl abhältst, zum König zu eilen und ihm von meinem Unglück zu sagen. Es ist noch ein Trost für mich, wenn er wenigstens es nicht kennt, nicht ahnt, was der Frau geschehen, die er vielleicht gerade darum vor Andern auszeichnete, weil sie ihn zwang an weibliche Tugend zu glauben!«

[221] So mußte Ursula traurig auf ihren Vorschlag verzichten, in dem sie einen Rettungsschimmer für die Freundin gesehen, der sie das ganze Glück ihres Lebens dankte.

Von ihrem Bruder Georg begleitet war Elisabeth auf das Rathhaus in's Verhör gegangen. Wer die schöne Frau so gehen sah im kohlschwarzen dunklen Trauerkleid, Hals und Arme von Krepp umschlossen, und vom Haupt herab fast die ganze Gestalt mit einem wallenden Kreppschleier umhüllt – der mußte immer gestehen, daß in dieser majestätischen Haltung und dem festen Gange, den sie angenommen, kein Schuldbewußtsein lag.

Trotz aller Mühen ihrer Feinde war nichts aufgefunden worden, sie bestimmt des Mordes ihres Gatten zu zeihen, aber eben so wenig sie von dem Verdacht desselben zu entbinden.

Sie beantwortete alle an sie gerichtete Fragen mit einfacher Kürze und Würde, und da sie sich in nichts widersprach, so konnte auch der gegen sie erhobene Verdacht keine Steigerung finden. Die Aussage Katharina's: die Geldbörse Scheurl's von seiner Gattin erhalten zu haben, wies sie als freche Lüge zurück. Sie war bereit, ihre Aussagen wie ihre Unschuld zu beschwören, [222] erklärte aber selbst, daß sie, bis die schauderhafte That an das Licht gekommen, und ihr und dem Namen ihres Gatten vollkommen Gerechtigkeit geworden, ihr Haus nicht verlassen werde.

Der Eindruck, den ihre Erscheinung in ihrer ruhigen Sicherheit und weiblichen Majestät machte, war doch ein solcher, dem keiner der Schöppen und Rathsherren, die mit im Verhörzimmer waren, sich entziehen konnte; es wagte keiner, ihr mit der Folter zu drohen, oder auch nur mit Ketten und Gefängniß; sie lasen auf ihrer reinen Stirn die Reinheit ihres Gewissens, sie behandelten sie mit Achtung, trotz allen Vorsätzen, welche Einige vorher daheim gefaßt, ihre Verachtung der stolzen Frau empfinden zu lassen und sie recht tief in den Staub zu treten. Sie ging so stolz und frei fort, wie sie gekommen – und doch auch so niedergedrückt und bange athmend: denn sie war ebenso wenig frei gesprochen worden als schuldig erklärt.

In diesem Zustand verging ein Tag nach dem andern. Denn nur in gewissen Fällen übte der Rath von Nürnberg schnelle Justiz: wenn es nämlich seinen Ruf und sein Recht nach Außen zu wahren galt, namentlich dem Adel, Fürsten und Herren und unruhigen Grenznachbarn gegenüber. Dann eilten die gestrengen Herren [223] von Nürnberg zu zeigen, daß Niemand sie ungestraft kränken und beleidigen dürfe, und daß sie sehr wohl die Leute wären, auf Ordnung zu halten im Reich, sich selbst Recht zu sprechen und zu schützen gegen die Uebergriffe Solcher, die sich dünkten mehr zu sein als die ehrsamen Reichsbürger, und von diesen doch nur Placker und Straßenräuber, Landfriedenbrecher und Ritter von Habenichts genannt wurden, wenn sie auch noch so stolze Embleme in ihrem Wappen führten.

Diese schnelle Justiz erfuhr der Ritter Axel von Weyspriach an sich. Es war erwiesen und er selbst hatte gar kein Hehl daraus gemacht, daß er lange Zeit in seiner Veste nur von Straßenraub gelebt, und daß er den friedlichen Handelsleuten, die aus oder nach Nürnberg ihre Wagen und Waaren an dem ihm zugehörigen Wald vorüberführten, aufgelauert und einen Theil ihrer Waaren oft als Lösegeld genommen hatte, daß er die Leute selbst ungefährdet ziehen ließ oder ihnen nicht Alles nahm. Oft jedoch waren seine Ausfälle minder gemüthlicher Art, und es kam dabei auf einige Todte nicht an, wenn durch solchen Raubmord nur ein einträgliches Geschäft gemacht ward. Ja, die meisten Ritter rechneten sich solche Thaten nicht etwa als verbrecherisch und ehrlos an: im Gegentheil, dergleichen war ihnen [224] mehr ein Scherz, ein Recht des Stärkeren, ein Sieg ihres ritterlichen, kühnen Unternehmungsgeistes, dem stillen Krämergeist der Städter gegenüber; den Spießbürgern geschah ganz recht, wenn sie um ihr Eigenthum kamen – warum wollten sie jetzt so hoch hinaus und es in Allem dem Adel gleich oder zuvor thun! Ja, diese Raubanfälle steigerten sich um so mehr zum Heldenthum, als sie jetzt durch den von Kaiser Friedrich gegebenen und vor Kurzem auf neue acht Jahre verlängerten Landfrieden, auch eine Auflehnung waren gegen Kaiser und Reich. Die trotzigen Ritter, die sich durch die neue, zu Gunsten des Bürgerthums sich wendende Ordnung der Dinge in ihren Rechten sehr beeinträchtigt sahen, setzten eine Ehre darein, zu beweisen, daß sie sich an kein neues Gesetz zu binden brauchten und daß sie noch zeigen wollten, wer mehr Macht habe im Lande: die Bürger oder der Adel – und die Gefahr reizte nur zu um so frecheren Handlungen.

Als Weyspriach und Streitberg mit dem Führer jenes Waarentransportes von Augsburg zusammengetroffen waren, der so wundersame Geschenke für die Behaim und Scheurl enthielt, so geschah es im doppelten Interesse, ihn aufzulauern: einmal um dieser Gegenstände Willen, und dann um sich dadurch an Elisabeth [225] zu rächen. Das ahnten sie freilich nicht, daß nun die Herren von Nürnberg einmal Ernst machen würden, die Ritter als Thäter entdecken, verklagen, belagern, in die Reichsacht erklären – und schließlich wirklich in ihre Gewalt bekommen.

Als der Raub geschehen war und die Ritter nicht alle Kisten mit sich hatten fortschleppen können, waren einige derselben im Walde vergraben worden, um sie einmal bei gelegener Zeit mitzunehmen. Ezechiel und Rachel waren gerade auf einer ihrer Wanderungen über Land vorüber gekommen, und man hatte den Juden, um sich seiner zu versichern, zum Theilhaber an dem Verbrechen gemacht. Damit er schweige, hatte man ihm einen Sack mit werthvollen Kleinigkeiten geschenkt, und unbedacht auch den indianischen Raben, den Rachel aufgefangen. Nicht lange darauf mochten ihn Leute, die bei Ezechiel Geschäfte hatten, dort bemerkt haben; aber die Christen, welche dies thaten, schämten sich einzugestehen oder selbst zu verrathen, daß sie mit dem Juden in irgend welcher Berührung waren, und so verbreitete sich nur ganz im Allgemeinen und ohne bestimmte Angabe das Gerücht: die Juden hätten die indischen Schätze. Ezechiel selbst war gerade über Land auf ein paar Tage, als das Murren des Volkes wider die Juden [226] drohend ward. Rachel's Bruder Benjamin wollte den Vogel, der zum Verräther werden konnte, erwürgen und vergraben; Rachel war aber mit ihm verschwunden, und wagte doch erst lange nicht zu gestehen, wie und durch wen sie ihr Volk gerettet. –

Da Weyspriach gefangen in Nürnberg war und ihm in der Eile der Prozeß gemacht ward, suchte er sich wenigstens noch dadurch zu rächen, daß er Alles an das Licht brachte, was vielleicht die Nürnberger Herren in einige Verlegenheit setzen konnte. Er erklärte den Juden Ezechiel als seinen Verräther, nachdem er den Helfershelfer gemacht, da Niemand als er in Nürnberg wissen konnte, wohin man die Kisten gebracht – er habe es wohl der Frau Haller gesagt, deren ergebener Diener und Freund er ja sei. Ebenso werde es wohl die alte Jacobea gewußt haben, in deren Hause die Frau von Scheurl schon manches verliebte Abenteuer mit dem Steinmetzgesellen gehabt, und von deren Hand sie wahrscheinlich auch das Gift empfangen habe, mit dem sie ihren Gemahl beseitigt – denn darauf verstehe sich die alte Hexe wie Niemand sonst.

Die Folge dieser und anderer Aussagen von ihm war, daß man wenigstens den Juden Ezechiel und die alte Jacobea einziehen mußte. Indeß konnte doch ihre[227] Schuld oder Mitschuld keinen Einfluß auf Weyspriach's Geschick haben; er hatte sein Leben verwirkt, man wollte einmal ein Exempel statuiren: er ward verurtheilt lebendig gerädert zu werden, welches Urtheil dann durch besondere Gnade in den Tod durch das Schwert verwandelt ward.

Wohl waren damals Hinrichtungen an der Tagesordnung und das Volk war an blutige Auftritte gewöhnt – aber lange war es nicht vorgekommen, daß ein Ritter, ein Herr vom Adel war gerichtet worden. Der Bürger und Bauer hatte sein besonderes Ergötzen daran, daß auch einmal Einer, der ein stolzes Wappen trug, dem Henker verfiel. Der Tod durch dessen Schwert war überdies die ehrenvollste Todesstrafe, und sie war darum mit um so größerem Gepränge vollzogen und lockte die meisten Schaulustigen herbei. Viel gebräuchlicher war es, gemeine Verbrecher am Galgen aufzuknüpfen, zu rädern oder zu säcken, auch lebendig zu vergraben und zu pfählen, wobei ein förmlicher Wetteifer der Grausamkeit bei Verordnung und Vollziehung dieser und anderer gräßlichen Strafen stattfand.

Ganz Nürnberg war auf den Beinen, müssig und geputzt wie an einem Festtag, um den gefährlichen Straßenräuber sterben zu sehen, den Viele kannten, weil [228] er sich bei König Maxens Anwesenheit mit unter dessen Gefolge gemischt und mit den ehrsamen Nürnbergerinnen getanzt hatte. Gerade dadurch, daß sie nun seiner Enthauptung zusahen, meinten sie von sich selbst jeden Schimpf abzuwaschen und den seinen zu erhöhen. Auch Beatrix Immhof und die Hallerin fehlten nicht unter ihnen an den dicht besetzten Fenstern des Marktes; die Hallerin hatte zumeist Ursache ihre Verachtung zu zeigen, denn Weyspriach's Aussagen über ihre feindlichen Pläne gegen die Scheurl und die Gunst, die sie ihm selbst erwiesen, waren zu den Ohren des Rathsherrn Haller gekommen und machten ihm nun ihre Bemühungen, Elisabeth als schuldig erscheinen zu lassen, doppelt verdächtig, so daß ihm nöthig schien, zur äußersten Vorsicht und Rücksicht zu rathen. –

Das Läuten des Armensünderglöckchens, momentane Stille, dann Trommelwirbel und ein Aufschreien aus tausend und abermals tausend Menschenkehlen verkündete, daß der Henker sein Werk vollendet hatte. Ja, sie jubelten, die guten, gesitteten Nürnberger: es war der Triumph des Bürgerthums über das Raufboldthum der Ritterschaft, die sich selbst um ihr einstiges Ansehen gebracht – aber noch mehr war es das Aufheulen einer blutgierigen Bestie, die nach Blut dürstet und sich freut [229] wenn sie welches gesehen. So war das Volk in diesem Augenblick, so jedes menschlichen Gefühls und höheren Gedankens baar – ein Ungeheuer, das sich in seiner natürlichen Wildheit zeigte. –

Auch Elisabeth vernahm diese Trommelwirbel und dieses viehische Gebrüll, so abgelegen auch ihr Haus von dem Platz des Blutgerüstes war und das Zimmer, in dem sie weilte. Clara Pirkheimer war bei ihr und hatte ihr in derselben Stunde erzählt, was ihre Schwester Charitas im Kloster der heiligen Clara erlebt, wie sie in der Nonne Ulrike, Ulrich's von Straßburg Mutter entdeckt, und diese dann nicht eher habe sterben können, bis sie den Sohn auf ihrem Sterbebette gesegnet.

»Und jetzt höre ich,« fuhr Clara fort, »daß Ulrich aus der Bauhütte ausgestoßen ist und gefangen fortgeführt worden – ich weiß nicht, welches Verbrechens man ihn zeiht!«

Elisabeth hatte mit steigender Theilnahme zugehört; sie erbleichte und erröthete während dieser Erzählung – und jetzt, da der Trommelwirbel tönte, der das Ende eines Opfers der strafenden Gerechtigkeit verkündete, zuckte sie zusammen – in demselben Augenblick erfaßte sie die Vorstellung mit der furchtbarsten Angst: wenn Ulrich auch ein solches Opfer wäre? – Aber nein! [230] das war unmöglich! Wenn Ulrich ein Schuldiger war, der ihr so rein und heilig erschienen, wie der heilige Johannes selbst, dem er diente, dann gab es nur noch lauter Verbrecher in der Welt! Wer konnte es wagen ihn anzuklagen? Wie konnten die freien Maurer, deren Zierde und erster Künstler er gewesen war, ihn ausstoßen aus ihrer Genossenschaft, wenn sie nicht irgend eine Schuld an ihm gefunden? Aber wieder: sie selbst war ja auch eine Unschuldige – und doch hatte man den Verdacht eines Verbrechens auf sie geworfen, vor dem ihre reine Seele schauderte!

Zwei Mal hatte er sein Leben für sie gewagt – jetzt war es an ihr, jetzt mußte sie Alles versuchen ihn zu retten! Auf einmal blitzte ein Gedanke in ihr auf. »Wißt Ihr, ob König Max schon in Augsburg ist?« fragte sie.

Clara antwortete: »Ich glaube es« – aber sie begriff nicht, wie Elisabeth in demselben Augenblick eine müssige Frage nach dem König thun konnte, wo sie gemeint hatte, sie sei ganz ergriffen von Ulrich's Geschick – und darum fügte sie nichts weiter hinzu.

Aber Elisabeth sagte: »Ich muß ihn retten, es ist meine Pflicht und ich hoffe, es ist in meiner Macht. Da mich der König mit der Nadel beschenkte, knüpfte [231] er das Versprechen daran, daß ich, wenn ich einmal etwas von ihm zu bitten habe, ihm nur die Nadel zu zeigen brauche, um gewiß zu sein, daß er meinen Wunsch erfüllt. Ist es nun nicht schon zu spät, so kann ich Ulrich retten; denn in wessen Händen er auch ist: des Königs Fürwort muß ihn befreien – muß ihm auch bei den Baubrüdern die verlorene Ehre wiedergeben; Max ist ja selbst ein Baubruder und wird sich Ulrich's von Straßburg noch gar wohl erinnern.«

»Ihr wolltet diesen Schritt für Ulrich thun?« rief Clara staunend; »Ihr könntet das wollen?«

Elisabeth fuhr zusammen – sie war ja selbst eine Gefangene! In diesem Augenblick hatte sie das vergessen, sie hatte ja überhaupt sich selbst vergessen, ihr eigenes trauriges Geschick über das eines andern theuern Wesens – nach edler Frauenart. Was sie erst selbst zu Ursula gesagt, da diese um ihretwillen zu König Max hatte senden wollen, das mußte sie jetzt sich erst von Clara sagen lassen – und mehr als das! sie fügte noch hinzu:

»So wißt Ihr nicht, wie die Rede Eurer verruchter Feinde in Nürnberg geht? daß diejenigen, die den schrecklichsten Verdacht auf Euch werfen, auch noch hinzufügen: [232] Ihr hättet die gräßliche That vielleicht um dieses Baubruders Willen gethan?«

»Herr des Himmels!« rief Elisabeth und verhüllte ihr Gesicht.

»Verzeiht mir!« sagte Clara; »ich würde Euch die Kränkung dieser Rede erspart haben, wenn es nicht hätte geschehen müssen, Euch Schlimmeres zu ersparen. Ihr dürft diesen Schritt nicht thun!«

Elisabeth richtete sich groß und feierlich nach einer langen Pause auf. Mit Hoheit sagte sie: »Ich werde diesen Schritt thun und wenn man mir nicht selbst gestattet mit sicherem Geleit gen Augsburg zu reisen, so werde ich Stephan Tucher's Vermittlung annehmen. Wenn ich ein Mittel habe, einen Unschuldigen zu retten, und nütze es nicht, dann bin ich vor Gott und mir selbst die verworfene Mörderin, zu der dieser hochweise Rath vor der Welt mich machen möchte. Der Schein hat mir stets weniger gegolten als das Sein, und wo ich ihn bewahren wollte, da ist er mir und andern nur zum Fluch geworden! – Der Propst Kreß,« fragte sie später, »sagtet Ihr, sei sein Oheim? Ich muß ihn noch heute sprechen, er wird mich näher über Ulrich unterrichten können – vielleicht mich zum Könige begleiten.«

[233] Noch war Clara bei Elisabeth, als Martin und Georg Behaim kamen, begleitet von Stephan Tucher, seinem Vater und auch dem andern Loosunger Herrn Holzschuher.

Was wollten die beiden Loosunger bei ihr mit der freundlichen Amtsmiene? Sie richtete sich stolz empor und trat ihnen mit imponirender Würde entgegen.

Die beiden alten Herren verneigten sich, küßten Elisabeth's Hand und Georg sagte: »Heute ist ein Tag, an dem die Behaim endlich gerächt und gerechtfertigt worden. Der Ritter, der uns so frech bestohlen, hat durch das Schwert geendet, und durch ihn hat es sich sichtbar gezeigt, wie die Heiligen noch Macht haben, das Werk der Teufel zu zerstören und an's Licht zu bringen und gut zu machen, was die Gottlosen beschlossen hatten böse zu machen.«

»Ihr werdet gerechtfertigt sein und Euer seliger Eheherr gerächt!« sagte der alte Herr von Tucher. »Wir kommen selbst zu Euch, um die Ersten zu sein, Euch dazu unsern Glückwunsch zu bringen und Euch unserer Ehrerbietung zu versichern.«

Sie meinten Elisabeth in einen Freudensturm ausbrechen zu sehen oder ein Wort des Dankes von ihr zu erhalten – aber sie sagte ruhig, als habe sie diese[234] Ueberraschung längst erwartet: »Ich war auch nahe daran zu verzweifeln an diesem hochedlen Rath von Nürnberg, der ohne Ursache und Recht es wagen konnte, die Wittwe eines ihrer Mitglieder unglimpflich zu behandeln.«

Herr Holzschuher biß sich in die Lippen; er meinte, daß sie doch außerordentlich glimpflich mit einer Verdächtigen verfahren seien – sie hatten ihr Gefängniß und Tortur erspart! Und nun erzählte Herr Tucher in langer förmlicher Rede, wie Katharina auf der Folter endlich Alles eingestanden, was sich wirklich ereignet hatte – wie sie geglaubt, das Gift, das ihr die alte Jacobea gegeben, sei nur ein Schlaftrunk. Man habe sich dieser bemächtigen wollen, aber sie sei nicht aufzufinden gewesen. Der Ritter von Weyspriach hatte dieselbe Jacobea als Hehlerin, Kupplerin und Giftmischerin angegeben, wie auch, daß sie in einer Waldhöhle, die er genau beschrieb, einen Schlupfwinkel habe für sich und geraubtes Gut. Dort hatte man sie aufgegriffen. Zwar hatte es lange gedauert, ehe sie gleich Katharinen bekannte, aber endlich hatte sie doch die Folter nicht länger ertragen, die ganze Wahrheit war an den Tag gekommen und dadurch Elisabeth's Unschuld.

[235] Beide Frauen wurden zu einem schimpflichen Tode verurtheilt: sie sollten gesackt werden und von der Brücke in die Pegnitz geworfen – um auch durch diese Todesart die venetianische Gesetzgebung nachzuahmen. Durch Elisabeth's Fürsprache für Katharina ward es erlangt, daß sie ihren Sohn Konrad vor ihrem Tode noch sollte sehen dürfen.

[236]

11. Kapitel. Des Narren Gnadenspende

Elftes Capitel
Des Narren Gnadenspende

Das Schrecklichste war Ulrich geschehen: er war ausgestoßen aus dem heiligen Bruderbund der freien Steinmetzen, dem er seine ganze Seele und sein ganzes Leben geweiht hatte – was nun noch geschehen mochte, kümmerte ihn nicht mehr. Ob er lebendig begraben werden und verhungern sollte, vielleicht in demselben grauenvollen Gewölbe, dem er seinen Vater entrissen; ob er bestimmt war, auf einem Holzstoß zu enden, ein Opfer unseliger Vorurtheile – welche Marter und Qual man sonst für ihn ausgesonnen, das ließ ihn gleichgültig. Die gräßlichste Marter hatte er erlebt – das war da gewesen, als man in der Bauhütte ihn verurtheilte und sich von ihm lossagte, als jeder Baubruder einzeln und auch sein Freund Hieronymus zu ihm sagen konnte: »Ich habe keinen Theil an Dir!«

[237] Für ihn schien es kein Wesen mehr zu geben, das Theil an ihm hatte! Auch der Propst Kreß, sein Ohm, mußte sich von ihm gewendet haben. Während seiner Verurtheilung war er wieder krank und nicht mit in der Hütte gewesen; aber wie Ulrich erfuhr, hatte der Propst über Ulrich's Herkommen, das dieser aller dings selbst verrathen, die ausführlichste Aufklärung gegeben, in der Bestürzung, in die er gerathen, als er fand, daß die längst geführte Untersuchung nun nicht mehr zu unterdrücken war. Sich selbst stützte er außer auf seine geistliche Würde auf das Recht des Stärkeren, das Amadeus und Ulrich gegen ihn geübt, und dem er unterlegen sei. So war ihm der Propst ein freundlicher Gönner im Glück, ein Beistand und Berather auch in der Noth gewesen, so lange er sie glaubte von Ulrich und sich abwenden zu können; aber da trotz seiner Warnungen und Versuche, dem Unheil zu begegnen, es endlich doch über Ulrich kam: da nahm er es an, daß dieser alle Schuld sich selbst auflud – und suchte sich selbst davon zu befreien.

Um Vater und Mutter litt Ulrich diese Qual. Ein Leben voll ungestillter Sehnsucht nach dem Sohne hatten sie geführt; redlich mit sich gekämpft, um seinetwillen auf ein Wiedersehen mit ihm zu verzichten, damit er [238] nie das unselige Geheimniß seiner Geburt erfahre – und nun, nach so langer Zeit hatten sie es doch verrathen! Nun hatten die segnenden Elternhände auf seinem Haupt geruht – es waren nur Augenblicke gewesen voll Kampf und Qual und Wehmuth – und wie theuer waren sie erkauft! Wie hatte Ulrich nur allein seiner hohen Kunst gelebt! wie war ihm jede Versuchung leicht gewesen zu überwinden, die ihn einmal zum Niedern ziehen wollte, schon allein durch diesen heiligen Schwung seiner Seele, die vom Gemeinen und Rohen sich abgestoßen fühlte! Wie redlich hatte er mit sich gekämpft, wenn die Versuchung kam in einem reizenderen Gewande, mit einem Blick, der auch zum Himmel flog, in ihm den seinen zu begegnen – aber doch in irdisch schöner Form, an die er nie sich hingeben durfte! Der Schwärmerei widerstand er nicht, aber sie machte ihn nur begeisterter und wärmer und lockte ihn zu keiner Sünde. Nur der Versuchung, die von Elternhand ihm kam, hatte er nicht zu widerstehen vermögen. So wenig wie sein Dasein überhaupt ein Verbrechen war vor Gott, da es die Welt und zumal die Satzungen des Bundes, dem er angehörte, es doch dem Unschuldigen selbst dazu machten: so wenig war ein Verbrechen vor Gott, wenn der Sohn den Vater vom entsetzlichsten Tode [239] rettete, als dessen Ursache er sich selbst anklagen mußte; aber es war ein Verbrechen vor der Welt und vor dem Gericht, daß er ihm ein Opfer entzog. Er war vor sich selbst auf der Hut gewesen, nicht nach seiner Mutter zu forschen, und da er erfuhr, wie nahe sie ihm war, und in's Claragäßlein zog, um ihr noch näher zu sein: da hatte er dennoch jeder Versuchung widerstanden, sich und sie zu verrathen; aber wie hätte er mögen die Mutter auf dem Sterbebette sich vergeblich nach ihm sehnen lassen – wie hätte er mögen dem eigenen Sehnen widerstehen, den letzten Segen seiner Mutter zu erhalten? Nun war es geschehen – nun war es vorbei; er hatte keine Mutter mehr, und ihr Segen war ihm doch zum Fluch geworden, der flüchtige Vater ahnungslos ihm selbst zum Verräther!

Er hatte nichts gewonnen und Alles verloren.

Als man ihn vor dem geistlichen Gericht verhörte, bekannte er wieder, was er vor dem Hüttenmeister bekannte.

Sein Urtheil lautete in erster Instanz auf Tod durch das Feuer. Er vernahm es mit ruhiger Resignation. Mochte mit ihm geschehen, was da wollte – er gehörte ja nicht einmal in das Leben – seine bloße Existenz ward ihm ja schon zum Verbrechen angerechnet. [240] Er hatte von aufgeklärten, begeisterten Männern sprechen hören, die in Kostnitz noch vor seiner Zeit den Flammentod für ihre Ueberzeugung erlitten und auf dem Holzstoß noch fromme Triumphgesänge angestimmt hatten. Hätte er doch auch so leiden dürfen für eine höhere Idee! Aber aus dem schönsten und freiesten Bunde, der zu seiner Zeit bestand, aus einem kunstgeweihten Leben war er ausgestoßen worden, nur um eines blinden Vorurtheils Willen – und sterben sollte er für eine That, zu der sein Gewissen und natürliches Gefühl ihn gedrängt. Das war es, warum er nur bitter lächelte und nicht freudig, da ihm das Todesurtheil verkündet ward.

Aber es konnte noch nicht sogleich vollzogen wer den, denn die Schöppen vom Nürnberger Stadtgericht bedurften seiner als Zeugen im Prozesse wider die Juden. –

Der Rath von Nürnberg trachtete danach eine Gelegenheit zu ergreifen, sich der Juden für immer zu entledigen. Konnte zu den vielen Anklagen, welche gegen sie vorlagen, sich nun noch die gesellen, mit den Raubrittern geheime Verbindungen unterhalten zu haben, so hoffte der Rath endlich vom Kaiser die Erlaubniß zu erhalten, die Juden ganz und für immer aus der [241] Stadt zu vertreiben. Es durfte daher nicht versäumt werden, neue Schuldbeweise gegen sie vorzubringen, und dazu sollte nun auch Ulrich mithelfen. Denn Martin Behaim, der von Elisabeth erfahren, daß sie Ulrich's Kunde die Rettung seiner Schätze verdanke, wollte sich ihm dankbar erzeigen, und hatte ihn als den Ueberbringer des Vogels genannt. Es war wichtig von ihm zu erfahren, wie er in den Besitz desselben gekommen, und ob er wirklich, wie man munkelte, »diese Nachricht einer hübschen Judendirne abgeschwatzt« und welche Beweise er für die Betheiligung der Juden an jenem Raub etwa zu schaffen wisse.

Indeß hatte Elisabeth Scheurl den Propst Kreß gesprochen und von ihm erfahren, wie es um Ulrich stand. Er jammerte ihn – aber da er nicht absah, was er selbst thun konnte, das Geschick des ausgestoßenen Baubruders zu mildern, war er nun selbst auf der Hut das seinige nicht mit ihm zu verknüpfen; sah er aber ohne Gefahr für sich selbst eine Möglichkeit Ulrich zu retten, so war sie ihm tausendmal willkommen. Als ihn daher Elisabeth für ihr Vorhaben in's Vertrauen zog und dafür wieder Vertrauen von ihm verlangte, da gab er es ihr mit Freuden und verheimlichte ihr nichts, was ihr bei ihrem Vorhaben förderlich sein [242] konnte. So ernst und heilig ihm die Sache war – es spielte doch ein schlaues Lächeln um seinen Mund: er behielt doch recht, daß der Baubruder vor den Augen der stolzen Elisabeth Gnade gefunden; daß die Angst, welche sie um ihn empfand, der Entschluß, auch das Aeußerste zu seiner Rettung zu versuchen, mehr war als Dankbarkeit – ja, er ging in seinem Mißtrauen noch weiter: er begriff wohl, daß Elisabeth's unbegrenzter Stolz ihr nicht erlaubt hatte die Hülfe des Königs für sich selbst anzurufen, da sie derselben bedurft hätte, daß sie nicht ertragen mochte, sich ihm verdächtigt und erniedrigt zu zeigen – aber er dachte, daß sie wohl gern eine Gelegenheit benutze, König Max wieder an sich zu erinnern.

In der That war es eine günstige Zeit, in welcher sie nach Augsburg kam. König Max hatte eben eine der schönsten Handlungen seines Lebens gethan: einen unheilvollen Krieg im Herzen Deutschlands und deutscher Heere wider einander verhindert und damit gleichzeitig inmitten der eigenen Familie endlich Frieden und Versöhnung gestiftet.

Der schwäbische Bund hatte, dem Aufruf Kaisers Friedrich gehorsam, wider den Baiernherzog Albrecht, seinem Schwiegersohn, der sich ohne sein Wissen und [243] Willen mit Friedrich's Tochter Kunigunde vermählt hatte, ein mächtiges Heer in's Feld gestellt, in welchem 2150 Reiter, 18,000 Mann Fußvolk und 57 Kanonen, von freien Rittern und Knechten aber 1600 gezählt wurden. Da erkannte Herzog Albrecht die Bedenklichkeit des Streites. Er sprach die Hülfe seiner Vettern, der Pfalzgrafen an, doch selbst Herzog Georg von Landshut schrieb ihm ab und gab sogar die ihm verpfändete Markgrafschaft Burgau heraus, um nur den Frieden des Kaisers zu behalten. Er schrieb an die Reichsstände und erbot sich vor dem römischen Könige, vor den Kurfürsten von Mainz und Trier, dem Grafen Eberhard von Würtemberg, ja selbst vor des Bundes Häuptern wegen Regensburg vor Recht zu stehen: aber das Reichsheer achtete nur auf den Befehl seiner Führer, namentlich des Markgrafen Friedrich von Brandenburg, und bewegte sich vorwärts. Bei Stadel, wo die Herzöge Wolfgang und Christoph mit 200 Mann zu Pferde und einigen Hundert Mann Fußvolk hinzustießen, ward eine Brücke über den Lech geschlagen und das Heer hinübergeführt. Es nahm ein Lager bei Kaufring, unweit der schlagfertigen Baiern ein.

In diesem Augenblicke, wo man eine blutige Schlacht zweier deutscher Heere gewärtigte, erschien König Max [244] im Lager und verkündigte, daß er einen Tag nach Augsburg zum Vergleich dieser Sache angesetzt habe, und daß Herzog Albrecht denselben mit der Absicht beschicken wolle, den Wünschen des Kaisers Genüge zu leisten. Brüderlich und dringend hatte Max seinen Schwager ermahnt, dem Unglück des deutschen Vaterlandes, auf dem ohnehin große Noth und Theuerung lastete, durch verständige Nachgiebigkeit Einhalt zu thun, es nicht geschehen zu lassen, daß durch den Trotz der Fürsten Tausende ihrer Tapfern in den Tod gejagt würden, ohne dem Vaterlande einen Gewinn zu bringen. Seine Schwester Kunigunde hatte ihre Bitten mit den seinigen vereinigt, und so gab Albrecht endlich nach. Von frohen Hoffnungen beseelt kam Max in das Lager des Reichsheers, und nachdem er von dem Markgrafen Friedrich einen Waffenstillstand erlangt, nahm er die Bundeshauptleute Hugo von Wartenberg undWilhelm Besserer mit sich nach Augsburg, wo Herzog Georg schon mit Vollmacht seines Vetters Albrecht wartete und auf die an diesen gestellte Forderung solche Sicherheit gab, daß noch vor Ende des Waffenstillstandes der kaiserliche Fiskal Johann Keßler dem Heere den Austrag des Streites und die Einstellung der Feindseligkeiten verkünden konnte. –

[245] Wie freute sich Max, daß es ihm endlich gelungen war die Seinen zu versöhnen, woran er seit acht Jahren vergeblich gearbeitet hatte! Keine Stunde länger als nöthig mochte er im prächtigen Augsburg bleiben, sondern wollte zu Herzog Albrecht eilen, um ihn und Kunigunden mit sich nach Linz zu führen zu dem greisen Vater, damit er vor seinem Ende noch segnend die Hand auf das Haupt der erst verstoßenen Tochter lege und zum ersten Male ihren Gatten als Sohn willkommen heiße! –

In diesem Augenblicke war es, als Elisabeth von ibrem Bruder Georg und Stephan Tucher begleitet in Augsburg eintraf. Schon war der König zur Abreise gerüstet und saß mit Kunz von der Rosen beim Frühstück, um noch einen kräftigen Imbiß mit auf den weiten Weg zu nehmen. Noch einmal stieß dieser fröhlich mit ihm an auf das gelungene Friedenswerk – da trat ein Edelknabe hastig ein, so daß Max aufbrechend rief: »Nun, sind die Rosse gesattelt und gezäumt? Auf mich soll Niemand zu warten haben!«

»Verzeiht,« antwortete der Eintretende, »ich wollte wohl Eurem Befehl folgen, Niemanden vorzulassen, da Ihr durchaus nicht aufgehalten sein wollt; aber eine trauernde Dame verlangte von mir Euch gemeldet zu[246] werden, und da ich mich dessen weigern wollte, gab sie mir diese Nadel – ich müsse sie Euch geben, dann werde sie nicht vergeblich bitten.«

Max blickte sinnend auf die Nadel und fragte: »Hat sich die Dame nicht genannt? – In Trauer sagst Du? – Nun, führe sie nur herein!«

Aber Kunz hatte kaum die Nadel gesehen, als er rief: »Das ist Nürnberger Hand: Wahrhaftig, Ihr Könige hab't doch das schlechteste Gedächtniß, der Narr muß es immer für Euch haben – selbst für Eure Narrheiten! Die Nadel schenktet Ihr einst der schönsten Nürnbergerin und ihrem Gatten zur Nadel den Adel! Wenn Ihr Elisabeth Scheurl vergessen hab't, weil sie tugendhafter blieb als Andere, die Euch gefielen, so habe ich sie mir deshalb um so besser gemerkt – denn ein Narr merkt sich die Ausnahmen immer besser, als die Regel.«

Auch ohne diese Mahnung würde der König, als Elisabeth selbst vor ihm stand, sogleich seiner schönen Wirthin und seines königlichen Wortes eingedenk gewesen sein, denn ihre Erscheinung übte denselben magischen Eindruck auf ihn wie einst, umhüllte sie auch jetzt die dunkle Trauerkleidung statt dem gewählten Putz, in dem er sie sonst gesehen.

[247] Auf den Lippen des lustigen Rathes erstarb vor ihrem Blick auf diese Trauerzeichen und der schmerzlichen Bewegung, die aus Elisabeth's Mienen sprach, wohl der Scherz, aber nicht die herzliche Anrede, mit welcher er sie begrüßte.

So fand sie schnell ein williges Gehör. Der König überreichte ihr die Nadel wieder und sagte: »Nehmt sie noch einmal aus meiner Hand als mein Versprechen Euer Gesuch zu gewähren, dafern das in der Macht des römischen Königs ist. Ich sehe Euch in Trauer wieder?«

Sie erwähnte nur kurz, daß sie Wittwe geworden, und sagte dann: »Ich komme nicht, um für mich selbst zu bitten, sondern für Einen, der, obwohl mir ein Fremder, zwei Mal sein Leben einsetzte, das meine zu retten oder mir einen Schimpf zu ersparen – ich komme, um von Euch das Leben und die Ehre eines Baubruders zu erbitten, dem Ihr einst in Nürnberg auch Eure Huld erwieset – ich bitte für Ulrich von Straßburg. Den königlichen Baubruder ruf' ich an, sich des Baubruders zu erbarmen.«

Max runzelte die Stirn. »Einen königlichen Baubruder,« sagte er, »giebt es nicht. Als freier Maurer bin ich nur der Bruder Max und habe nicht mehr[248] Macht als die andern – als König hab' ich die Statuten der Bauhütten bestätigt, als Baubruder muß ich ihre Entscheidungen ehren!«

Elisabeth erzählte so kurz als möglich Ulrich's Geschick: daß er aus der Bauhütte ausgestoßen worden, weil er nicht ehrlich geboren sei, und daß er nun zum Feuertode verurtheilt worden, weil er seinen Vater aus gräßlichem Gefängniß befreit. Sie hatte weder einen Namen, noch irgend eine Person in dieser traurigen Geschichte vergessen; aber mit besonderer Begeisterung sagte sie Alles, was zu Ulrich's Lob und Entschuldigung sich sagen ließ: wie er selbst erst vor Kurzem das Geheimniß seiner Geburt erfahren, und wie er nichts gethan habe, was nicht eher Bewunderung als Strafe verdiene.

Wohl war Max gerührt – aber er wußte selbst keinen Ausweg.

»Ei was,« sagte der Narr, der niemals ein Freund der Geistlichkeit war, auf ihre Kosten immer am meisten spottete und sich freute, wenn er ihrer Macht ein Schnippchen schlagen konnte, »wenn es nicht wahr sein soll, was ich Dir schon gesagt, daß Du ein gut Theil Deiner Macht aus den Händen gegeben, als Du die Bulle des Papstes Innocenz VIII. über den Hexenprozeß in Deutschland bestätigt, so zeige wenigstens, daß Du [249] die Inquisition nicht duldest – oder laß Dir von den Pfaffen helfen, statt daß Du ihnen hilfst. Hat der Maurerhof von Straßburg fast dreißig Jahre lang ein Auge zugedrückt über Ulrich's Herkommen, so ist's wohl auch kein Unglück, wenn es länger geschieht. Erkläre Du und laß es von einem Bischof oder in Rom, wenn es sein muß, bestätigen, daß Ulrich als ehrlich Geborner zu betrachten, weil seine Eltern Buße gethan haben im Kloster, und weil er selbst ein braver Kerl und rechter Baubruder geworden; so ist's gut, die Hütte muß ihn wieder mit Ehren aufnehmen und die Pfaffen müssen ihn auf Dein Fürwort herausgeben; er ist mit eingeschlossen in den großen Gnadenakt, den Du im Reich erlassen mußt, weil Dir ein Friedenswerk gelungen, das mehr noch als Deinem Lande Deinem Herzen und – dem Hause Habsburg zum Glück gereicht. Mir scheint, so ist's nur christlich gehandelt: wenn der Sohn dadurch, daß er wohl gerathen und auch vom vierten Gebot nicht gelassen hat, die Schuld der Eltern sühnen kann – das Umgekehrte, daß ihre Schuld an den Kindern heimgesucht werde, das überlaß den Juden.«

Elisabeth's Augen strahlten; sie faßte Kunzen's Hand und rief: »O wohl mir, daß ich in Euch einen[250] Fürsprecher gefunden, wo mir ohne denselben Rath und Hülfe fehlen würden!«

»Ihr würdet meiner nicht bedurft haben,« sagte Kunz, »wenn Ihr für Euch selbst etwas erbeten hättet; Ihr wißt, daß es den ritterlichsten König immer verdroß, daß Ihr bei ihm – an Andere denkt!«

Das traf. Max zog die Augenbraunen unwillig auf und sagte zu Elisabeth: »Da der Narr bessern Rath weiß als ich, so mag er die Papiere, die ich Euch als Freibriefe für Euren Schützling oder Schützer mitgeben will, nach Gutdünken ausfertigen. Ich habe Euch mein Wort gegeben, das die Erfüllung Eurer Bitte im Voraus gewährleistete – es soll mir eine Warnung sein, schönen Frauen gegenüber damit künftig vorsichtiger zu sein. Ich liebe diese willkürlichen Handlungen nicht, zu denen Ihr mich drängt!«

»Hoho!« sagte der Narr, indem er eifrig auf große Stempelbogen schrieb, »die Willkür der Gnade ist mir immer lieber als die der Rache. Das deutsche Reich ist ohnehin nicht in sonderlicher Ordnung, und der Wirwarr wird nicht größer, wenn Du einmal Gnade für Recht ergehen läßt. Bist Du erst Kaiser, hast Du aus den jetzigen schwachen Versuchen den großen und kleinen Raufereien und Zänkereien einen Damm entgegenzusetzen, [251] einen wahrhaften, dauernden, ewigen Landfrieden gestiftet und ein Reichskammergericht eingesetzt, das auf Ordnung sieht im Großen und Kleinen, dann bin ich gewiß der Letzte, der Dich zum eigenmächtigen Handeln drängt. Aber so lange Du Andere eigenmächtig das Böse thun siehst, kannst Du auch eigenmächtig das Gute thun – dadurch wird weder das Reich zu Grunde gehen, noch das Haus Habsburg!«

Als Elisabeth aus Kunzen's Händen die königlichen Schreiben mit der Unterschrift und dem Siegel Maxens empfing, wies der Narr ihren tiefempfundenen Dank zurück, indem er sagte: »Ihr kamet zur guten Stunde und hab't mir mehr geholfen, denn daß ich Euch geholfen hätte. Ich hatte schon daran gedacht, daß ein Friedens- und Freudenfest, wie die Versöhnung des Kaisers mit seinen Kindern, überall einen Nachhall finden sollte und einige arme Teufel aus Schöppen- und Pfaffenhänden befreien; aber die Majestät meinte erst, es sei schon genug, daß die ganze Heeresmannschaft wieder heimgehen könne zu den Ihrigen – wenn er gleich das schöne Heer lieber beisammen behielte, es an die flandrischen und französischen Grenzen zu schicken – und da war es gut, daß Ihr kamet und ich mein eigenes [252] Wünschlein hinter die Bitte aus schönen Frauenlippen verstecken konnte. Es schadet nichts, daß die Eva den Adam verführte, wenn auch erst so viel Unheil damit in die Welt gekommen: das Gute hat es gehabt, daß ihre Töchter ihre Macht über die Männer kennen und sie manchmal verführen – zu etwas Gutem. – Nun kehrt glücklich heim nach Nürnberg: Ihr werdet wohl bald wie Penelope von Freiern belagert sein – und wenn Ihr wieder Hochzeit haltet, so bittet mich zu Gaste wie zu der Jungfrau Muffel.«

Elisabeth erwiederte ruhig: »Hoffentlich findet sich eine andere Gelegenheit, Euch wiederzusehen; ich glaubte, Ihr dächtet besser von mir, als zu denken, daß ich zum zweiten Male –«

Sie stockte und er sagte: »Das ist die Redensart aller Wittwen, so lange sie trauern; aber dann –«

»Verzeiht,« unterbrach sie ihn, »Ihr ließt mich nicht ausreden – ich wollte sagen: um zum zweiten Male eine Thorheit zu begehen. Ihr seh't, ich habe Offenheit von Euch gelernt – und auf Heuchelei mich niemals verstanden!«

Er drückte ihr die Hand und sagte: »Es ist doch Schade, daß Ihr kein Mann geworden seid; Ihr könntet vielleicht einmal als mein Nachfolger Euer Glück machen. [253] Ihr versteht Euch darauf, Scherz und Ernst so zu vermengen, daß die Wahrheit herauskommen muß – und die hören gewisse Personen nur in solchem Gewande. – Wenn wir durch Wien reisen, werden wir Konrad Celtes treffen, der dort an der Universität auch die Wahrheit redet und dafür wirkt, daß sie mit der Schönheit die Gesittung und das deutsche Bewußtsein fördere in deutscher Nation – darf ich ihm einen Gruß von Euch vermelden und Alles sagen, was wir hier verhandelt haben?«

»Alles!« antwortete sie; »sagt ihm, daß Elisabeth Scheurl stolz ist auf seine Achtung, wie es einst Elisabeth Behaim auf seine Liebe war, und daß sie der hohen Bahn sich freue, die sein Genius wandle. Sag't ihm, daß gleich wie er bemüht sei, vaterländischen Sinn zu wecken unter den Gelehrten wie unter der Jugend, und dem deutschen Volk zu zeigen, daß es eine Geschichte habe: – Elisabeth seinem Streben zu folgen vermöge, und so viel sie es selbst könne, deutsche Art und Kunst mit fördern helfe in ihrem Kreise; daß sie alle Schätze, mit denen sie gesegnet sei, fortan nur dazu verwenden werde, und daß wir, wie weit getrennt auch immer, uns in jenem höhern Menschheitsleben begegneten, das durch ein segenbringendes Streben für [254] Andere, und wenn auch erst für spätere Geschlechter, wenigstens in einzelnen Weihestunden für alle Entbehrungen irdischen Glückes entschädigen kann!«

»Und ich werde hinzufügen,« sagte Kunz als letztes Abschiedswort, »daß Ihr mir sonst nur wie eine edle Königin, heute aber wie der Genius der leidenden Menschheit erschienet, und daß Ihr von hier schiedet mit so strahlenden Augen, wie eben dieser Genius, wenn er die Thränen von Tausenden getrocknet.«

Aber Elisabeth seufzte und schlug beschämt die Augen nieder. »Vielleicht werde ich noch, wie Ihr denkt, daß ich bin – Eurem Genius gegenüber fühle ich, daß ich doch nur als ein Weib kam, das nicht an Tausende, sondern nur an Einen dachte.«

Sie zog den schwarzen Schleier über ihr Antlitz – er verbarg ihr Erröthen und ihre Thränen.

[255]

12. Kapitel. Rache und Versöhnung

Zwölftes Capitel
Rache und Versöhnung

Ueberall im deutschen Reich und in den baierschen Landen zumal wie in den angrenzenden Staaten, besonders auch im reichsunmittelbaren Nürnberg, herrschte große Freude über die Friedenskunde, die Heimkehr der in's Feld gezogenen Mannschaften und den Gnaden akt mit dem König Max das von ihm längst ersehnte Versöhnungsfest seiner Familie begleitete, und der auf seinen Wunsch überall ausgeführt ward. Begann auch damals schon in den fürstlichen wie in den städtischen Kanzleien eine aufhaltende Vielschreiberei einzureißen, so gab es doch noch genug besondere Fälle, wo davon gänzlich abgesehen ward und einzelne fürstliche oder oberherrliche Machtsprüche vollständig genügten, einem gefaßten Beschluß Gültigkeit zu verleihen, daß er alsobald in's Werk gesetzt werden mußte.

[256] Dem Abt des Benediktinerklosters, der nicht allein auf die Aussagen des Riesen-Jacob hin, sondern gedrängt von der höheren geistlichen Behörde, zu deren Ohren das fast zum Nürnberger Stadtgespräch gewordene Ereigniß gekommen war, die Untersuchung nicht mehr hatte hemmen können, kam diese plötzliche Niederschlagung und Beendigung derselben sehr gelegen. Um wie viel mehr nicht dem Propst Kreß, der selbst mit hinein verwickelt war, und es mehr noch Ulrich's Edelmuth als dem Ansehen, in dem er stand, so wie seiner Stellung vor der Welt, in der man ihn gern schonen wollte, zu danken hatte, daß die Sache nicht bedrohlicher für ihn war, die es aber jeden Tag noch werden konnte! Der Novize Konrad hatte sich selbst als Ulrich's Mitschuldiger bekannt, obgleich dieser Anfangs versucht hatte ihn als solchen zu verläugnen; der stille Jüngling wollte um so weniger etwas von dieser Schonung wissen, als er nun in Ulrich einen Leidensgefährten in jeder Beziehung erkannte: einen Ausgestoßenen, gleich sich selbst. Er war zwar nicht zum Tode, aber doch zu enger Kerkerhaft im Kloster verurtheilt, die härter erschien als der Tod. Dazu kam das schreckliche Geschick seiner Mutter Katharina, die er nur noch einmal vor ihrem Tode sehen durfte, mit dem sie ihre Missethat schrecklich zu büßen hatte. Auf Räuber und Mörder[257] erstreckte sich der Gnadenakt nicht mit, und so entgingen weder sie noch Jacobea der gesetzlichen Todesstrafe, nur daß man sie bei Katharina in minder grausamer Weise ausführte. Jetzt war auch Konrad der Strafe überhoben. Aber das war nicht Alles – Elisabeth ließ ihn zu sich entbieten, sie wollte den Sohn nicht verantwortlich machen für die That der Mutter, vielmehr die Schuld des Vaters an ihm sühnen.

Von dem Propst und Stephan Tucher hatte sie strenge Verschwiegenheit verlangt über ihre Fahrt gen Augsburg und deren Resultat – ja sie, die man so stolz und hochfahrend schalt, verheimlichte in edler Bescheidenheit, daß es ihr Werk war, daß unzählige Unglückliche schrecklichen Strafen entgingen – womit es ihr ja leicht gewesen zu prunken, sich Ansehen und Dankbarkeit zu verschaffen. Wie gut hätte sie doch mit ihrem Einfluß bei König Max prahlen können und dem huldreichen Empfang, der ihr geworden, wie die andern Nürnbergerinnen demüthigen können und doppelt, wenn sie erkennen ließ, wie sie selbst, da sie in Gefahr war, nur allein auf ihre Unschuld und ihr Recht sich verließ, die königliche Hülfe verschmähend, da sie derselben doch so gewiß hätte sein mögen, wie jetzt, da sie für Andere sie forderte. Aber sie wollte sich keinen eitlen Triumph verschaffen, wo ihre Seele von dem schönsten in ihren [258] heiligsten Tiefen erfüllt war. Ja, sie wollte auch nicht den bösen Leumund von einer Hallerin preisgegeben sehen, was sie mit dem reinsten Hochsinn des Herzens gethan, dem ein edles Wesen folgt, auch wenn es sich sagen muß, daß es sich damit dem Spott oder der Verläumdung aussetze. Am meisten aber wünschte sie aus weiblichem Zartgefühl, daß es Ulrich selbst verborgen bleibe, was sie für ihn gethan: ihr schönster Lohn war es, daß sie ihm Leben und Ehre wiedergegeben, ihr genügte dies Bewußtsein, sie wollte keinen Dank, und sie wollte auch kein Begegnen, das ihren und seinen Ruf auf's Neue gefährden könne.

Aber freilich: bis jetzt war auch nur das eine Versprechen des Königs in Erfüllung gegangen, daß die Verurtheilten begnadigt und frei und die noch schwebenden Untersuchungen niedergeschlagen waren – aber daß Ulrich für ehrlich erklärt ward und in die Bauhütte wieder aufgenommen, das ging nicht so schnell, das bedurfte erst noch anderer Schritte und Vorbereitungen und konnte ihm nur als Hoffnung verkündet werden. Indeß hatte Elisabeth doch die königliche Schrift in Händen, welche für Ulrich zum Freibrief werden sollte, aber da sie das Dokument in die Hände des Propstes legte, geschah es nur unter der Bedingung: Ulrich weder [259] zu sagen, durch wen er es erhalten, noch wem er diese glückliche Wendung seines traurigen Geschickes verdanke.

Da der Propst mit zu den Ersten gehörte, welcher die glückliche Nachricht von der Niederschlagung dieser Untersuchung erhielt, so war es ihm auch leicht die Erlaubniß zu erhalten: Ulrich selbst die Freiheit zu verkündigen. Es drängte ihn um so mehr dazu, als er sich jetzt, nun die Gefahr vorüber, seiner Feigheit und seines Kleinmuthes schämte, womit er selbst Ulrich preisgegeben, und nur sich selbst aus der Schlinge zu ziehen gesucht hatte. Um sein eigenes Gewissen zu beruhigen, redete er auch sich selbst glücklich ein, daß er, da Elisabeth ihn zu Rath gezogen, ehe sie gen Augsburg reiste, doch einigen Antheil an dem glücklichen Resultat habe, das sie mit heimgebracht, und daß er sich wenigstens mit einigen solchen Andeutungen bei Ulrich entschuldigen dürfe.

Ulrich war wie ein Träumender – das Leben war ihm wieder geschenkt, und mehr als das: die Ehre, und mehr als beides: die hohe Kunst, der er diente, der er voll heiliger Begeisterung sich ganz geweiht, ein Tempelbauer, der mit reinen Händen die reine Form zu bilden strebte, die das Schöne mit dem Erhabenen vereinend über der betenden Menschheit einen Himmel zu wölben suchte, der es ihr leicht machte, sich zu dem Ueberirdischen emporzuschwingen; er hatte sich vergebens [260] gelebt und gestrebt bis jetzt – er durfte weiter leben und streben zu dem erhabensten Ziele! – aber dennoch – von Allem, was er erlebt und gelitten, war in seinen Ohren das Wort, das ihn verdammte, am lebendigsten geblieben: »Ich habe keinen Theil an Dir!« Die Baubrüder hatten es alle gesprochen – auch Hieronymus! – Von der Erinnerung daran noch einmal gefoltert, rief Ulrich:

»So hatte Keiner Theil an mir – und Niemand nahm ihn – kein einziges Wesen unter Allen, für die ich selbst gern mein Leben eingesetzt hätte, hatte etwas Anderes als Schmach für den Ausgestoßenen!«

Da dachte der Propst nicht mehr daran, das ihm anvertraute Geheimniß zu bewahren; er gab es preis, um Ulrich's Glauben an die Menschen zu retten. »Eines ausgenommen,« sagte er, »oder auch zwei, wenn Du willst – Elisabeth Scheurl und König Max.

Ulrich fuhr empor und der Propst erzählte ihm Alles.

Nach seiner Freilassung wohnte Ulrich bei dem Propst und wartete bei dem Gottesjunker, bis man ihn wieder in die Hütte berufen würde; so lange wollte er sich auch nicht in den Straßen von Nürnberg sehen lassen. Aber da er einmal allein war, überwältigte ihn sein Gefühl – er konnte es nicht ertragen, zu wissen, daß Elisabeth seine Retterin, ohne ihr danken zu dürfen. [261] Sie, das einzige Wesen, das an ihn geglaubt und für ihn gehandelt, sie mußte er wiedersehen, ihr danken, und sei es nur mit einem einzigen Wort; das war nicht wider sein Gelübde – umgekehrt hätte er sich eines Gelübdes geschämt, das ihm Undankbarkeit zur Pflicht gemacht, es sei gegen wen immer es sei. Aber er wollte nicht allein gehen; an dem Tage, an welchem sie selbst den Novizen Konrad zu sich beschieden, beschloß er diesen zu begleiten.

Konrad hatte im Kloster die Erlaubniß erhalten, zu Frau von Scheurl zu gehen, die dem Abt hatte sagen lassen, daß sie nicht wolle, daß der Sohn büßen solle für die Schuld seiner Eltern, sondern daß sie selbst ihm zu dem verhelfen wolle, was ihm zukäme. Der Abt, der Elisabeth's Großmuth und Freigebigkeit kannte, erwartete, daß sie ihm einen Theil von dem ihr allein zugefallenen Vermögen Scheurl's, dessen Sohn überweisen werde, und erwartete daher von dem Gang desselben zu ihr einen Vortheil für das Kloster – mit Freuden ließ er darum den jungen Novizen gen Nürnberg ziehen.

Dieser ging zuerst zu Ulrich und schüchtern, wie Konrad war, machte er Jenem selbst den Vorschlag, ihn zur Frau Scheurl zu führen.

Als sie in ihr Haus kamen, wurden sie sogleich zu ihr gelassen.

[262] Martin Behaim hatte gerade auf einem Marmortisch, der in dem Chörlein stand, Karten und Zeichnungen ausgebreitet, weil hier das hellste Licht war, um sie seiner Schwester zu zeigen. In der Mitte des Tisches stand ein Globus, der Nürnberger Meister hatte ihn eben nach Martin Behaim's eigener Angabe vollendet – er war der erste Globus, den es jemals gab – und Martin freute sich des neuen wichtigen Werkes, das zugleich aus seinem Forschergeist und einer deutschen Werkstatt hervorgegangen, das der Wissenschaft neue Pforten öffnete und ihre Arbeit allen kommenden Geschlechtern erleichterte. Er hatte beschlossen, diesen ersten Globus seiner Vaterstadt zum Geschenk zu machen und sich damit selbst, ehe er sie für immer wieder verließ, ein Denkmal in ihr zu setzen, das sie und sich in gleicher Weise ehrte; aber die Erste, die seine Freude an dem gelungenen Werke theilen sollte, mußte Elisabeth sein, deren weitschauender Geist am ersten die Tragweite dieser neuen Erfindung, wenn nicht ganz beurtheilen, doch mit jenen heiligen Schauern ahnen konnte, die bei jedem großen Werke über sie kamen – mochte es nun eine große That sein, oder ein Kunstwerk, oder ein bahnbrechender Gedanke der Wissenschaft.

So stand sie auch jetzt mit strahlenden Augen neben dem Bruder, seinen Erklärungen lauschend, ihre kleine [263] weiße Hand ruhte auf dem Südpol des Globus und ihr ausgestreckter Finger suchte die Stelle, auf der wohl jetzt Christoph Columbus schiffen mochte das ersehnte Land zu finden – ja vielleicht war dies der Augenblick, in dem er es gefunden. Sie trug noch Trauerkleidung, aber den Schleier hatte sie im Zimmer abgelegt, ihr glänzendes Haar war nur von einem schwarzen Band ein wenig aufgehalten und wallte in malerischen Locken auf die blendenden Schultern. Da hörte sie Tritte im Zimmer und trat hinein. Sie war schon in einer gehobenen Stimmung durch das Gespräch mit ihrem Bruder – sie blieb in ihr, da sie neben dem erwarteten Konrad auch den unerwarteten Ulrich sah, und hieß sie Beide willkommen.

Sie neigten Beide die Kniee vor ihr und wollten Worte des Dankes sprechen. Aber Elisabeth hieß sie aufstehen, wenn sie nicht zürnen solle, und sagte zu Konrad:

»Euch ließ ich zu mir entbieten, oder vielmehr zu meinem Bruder Martin Behaim, von dem Ihr vielleicht gehört. Ihr seid zu jung und hattet Euch zu innig an die hohe Kunst gehangen, um Euch und Eure Kraft in ein Kloster zu vergraben – unterbrecht mich nicht – ich weiß, daß nur der Zwang Euch dahin trieb und daß die Bauhütten Europas sich Euch verschließen. [264] Aber mein Bruder sucht Bauleute die ihn über das Meer zu begleiten, und auf jenen, nur von Heiden bewohnten Inseln kümmert man sich nicht um die Statuten dieser alten Welt: bringt Ihr nur Begeisterung mit für den christlichen Glauben und die christliche Kunst, so seid Ihr würdig in der neuen Welt die erste christliche Kirche bauen zu helfen – an Geld dazu aus dem Vermächtniß Eures Vaters, meines seligen Gemahls, soll es Euch nicht fehlen.«

Konrad drückte begeistert und Freudenthränen weinend Elisabeth's Hand an seine Lippen und rief: »Ihr seid eine Heilige, die Todte zu erwecken vermag – denn mir ist, als habe ich im Grabe gelegen und Ihr wecktet mich zu neuem Leben!«

»Geh't dort hinein zu meinem Bruder,« sagte sie auf das Chörlein deutend, »er wird das Fernere mit Euch besprechen.«

Konrad gehorchte, die Glasthür des Chörleins zog er hinter sich zu.

»Ihr wolltet meinen Dank verschmähen, hohe Frau,« sagte Ulrich erglühend, »dennoch ertrug ich's nicht; ich mußte Euch wenigstens sagen, daß ich täglich für Euch bete, nicht nur mit den Lippen, noch nur mit meinem Herzen, sondern daß ich für Euch beten will mit meiner ganzen Kunst und Euch danken in meinen Werken!«

[265] Sie gab ihm die Hand und sagte mit sanfter Stimme: »Ich wollte, ich dürfte sprechen wie Ihr! Wohl Euch, daß Ihr Eure Empfindungen im Stein verewigen könnt und sie zu Kunstwerken verklären, an denen Ihr Euch selbst erheben und läutern dürft und Tausende, die nach Euch kommen.«

»Vielleicht ist dies das Schönere, vielleicht auch das Leichtere!« rief Ulrich; »aber das Höhere ist's, das eigene Sein und Leben selbst zu einem Kunstwerk verklären, das nur Segen spendet in dem Kreis, in den es tritt – so für Andere wirken und handeln und Euch opfern, wie Ihr gethan!«

»Nein, Ulrich! keine Unwahrheit!« unterbrach sie ihn. »Mir gebührt kein Dank von Euch, denn ich hatte Euch zu danken, und hab' es nicht gethan. Zwei Mal hab't Ihr mir Ehre und Leben gerettet, und ich floh Euch, um Euch nicht zu danken – ich wollte es vergessen, daß dies meine Pflicht war. Als ich Euch zum ersten Male sah, folgte ich rücksichtslos meinem augenblicklichen Gefühl, und Ihr bereitetet mir dafür eine Demüthigung, gegen die sich mein ganzes Wesen empörte; von diesem Augenblicke an war mir, als müsse ich Euch entweder hassen oder lieben, und ich fühlte dabei doch, daß ich entweder das Eine noch das Andere – durfte. Ihr kamet immer wieder in meinen[266] Weg, auch ohne daß Ihr es wolltet; jetzt endlich kam der Augenblick, da ich Euch vergelten konnte, jetzt endlich durft' ich Euch sagen: Ulrich, nun sind wir quitt! – und – o Gott – was habe ich Euch denn gesagt!«

»Nur Aehnliches, als was ich selbst empfunden!« rief Ulrich. »Mein Thun und Fühlen glich dem Euern! Wohl uns, daß wir in diesem Kampfe nicht erlegen sind, daß er uns nicht hinabgezogen hat in den Pfuhl der Sünde oder auch nur in den Staub des Alltaglebens; er hat uns geläutert und erhoben zu jener einzig wahren Gemeinschaft der Heiligen, die im reinen Streben nach dem Höchsten Ersatz finden für die Schmerzen und das Entsagen, unter dem sie danach ringen. Eure Hand, Elisabeth! Kein Fliehen und kein Suchen mehr – ein freudiger Triumph, zu wissen, was wir Ein's dem Andern danken – ein Sieg des Geistes, der die Welt überwunden, indem er sie verklärt im Dienst der Kunst. Was ist der kurze Rausch des Erdenglückes gegen die Seligkeit eines Streben und Ringens, das nach Aeonen zählt und uns seine Wahrzeichen hinterläßt in ewigen Schöpfungen?«

Groß und herrlich standen die Beiden einander gegenüber – als Priester und Priesterin des Ideals, dem, so lange die Welt steht, alle strebenden Geister [267] nachringen, um es zu erreichen für sich selbst und die Menschheit, der sie dienen; der letzte Sonnenstrahl der hinter Gewitterwolken purpurumsäumt scheidenden Sonne fiel auf sie und umwob sie mit einem gemeinsamen Heiligenschein – da donnerten Männertritte draußen durch den Corridor.

Elisabeth sagte zu Ulrich: »Ruft meinen Bruder!« und indeß er die Thür des Chörleins öffnete, stürmte durch die entgegensetzte Zimmerthür ein Mann in Bettlerkleidung herein, unter seinem Mantel zog er ein Schwert hervor, drang damit auf Elisabeth ein, die arglos auf die Thür zugegangen war, stieß es in ihre weiße Brust und rief:

»Du entgehst Deinem Schicksal nicht!«

»Streitberg!« rief sie außer sich und stürzte auf den Teppich nieder.

Es war ein Augenblick, und wenn auch in demselben noch die drei Männer zu Hülfe sprangen, die alle unbewaffnet waren – denn Ulrich wollte nicht das Schwert wieder tragen, das man ihn in der Bauhütte abgenommen, – so war es doch zu spät – zu spät sogar einen andern Eindringenden abzuhalten, der Streitberg nachstürzte und diesen mit einem Wehgeschrei, ehe er sich dessen versah, mit seinem Schwert durchbohrte.

[268] »Amadeus!« rief Konrad, den Mönch in der ritterlichen Tracht erkennend, indeß Martin und Ulrich sich über Elisabeth neigten und sie auf das Sopha hoben. Sie war ohnmächtig, aber sie lebte noch; Martin drückte ihr ein Tuch in die tiefe Wunde, Ulrich rief nach den Leuten, die schon von dem Lärm gelockt herbei kamen; sie liefen nach dem Bader und Doctor. Zwei Diener schafften Streitberg in ein Nebengemach. Eine Dienerin sagte, daß sie den zudringlichen Bettler vergeblich habe abweisen wollen, er habe sich durch die Thür gedrängt und sie einen Treppenabsatz hinabgeworfen. –

Amadeus erklärte, daß man ihm in Augsburg erzählt, daß eine Frau von Scheurl bei König Max gewesen und für einen zum Tode verurtheilten Baubruder, der seinen Vater aus dem Kloster befreit, gebeten habe; Amadeus war zurückgeeilt nach Nürnberg, um sich selbst auszuliefern und dadurch den Sohn zu retten. Durch Nürnbergs Straßen gehend, war er einem Bettler begegnet, der ihm aufgefallen. Er hatte Streitberg erkannt, und nichts Gutes ahnend, war er ihm nachgegangen, als dieser in Scheurl's Hause ver schwunden, Amadeus war zu spät gekommen die Unthat an Elisabeth zu verhindern; vielleicht aber wäre Ulrich ein zweites Opfer gewesen – und so hatte er doch den Sohn gerettet.

[269] Streitberg kämpfte nur einen kurzen Todeskampf. Als er auf der Flucht und versteckt erfahren, daß Weyspriach gefangen war und dann, daß die Nürnberger es wagten den Ritter enthaupten zu lassen, hatte er Rache geschworen und tollkühn wie er war, sich selbst als Bettler verkleidet nach Nürnberg begeben. Er sah Elisabeth mit Martin am Fenster, da er ihr Haus umschlich; er sah auch Ulrich in dasselbe gehen – da erwachte seine Leidenschaft, er folgte ihr in blinder Wuth, traf sein Opfer und fiel selbst von einer plötzlich eingreifenden Rächerhand.

So erklärte es Amadeus Ulrich und Konrad, während Martin mit Elisabeth's Dienerin diese in ihr Schlafzimmer und zu Bett brachten und der herbeigerufene Bader ihre Wunde untersuchte und verband – er konnte keine Hoffnung geben.

»Ulrich!« flüsterte sie und Martin ging den Baubruder zu rufen.

Er knieete an ihrem Lager. »Ulrich!« sagte sie, »mein Mörder giebt mir jetzt einen schöneren Tod als das erste Mal – ich rede nicht irre – er war der Geliebte meiner Jugend, und ich mußte erkennen, daß er mich betrog – damals zerriß er mein Herz ohne Schwertstreich – es schmerzte mehr als heute.«

Nach einer Pause sagte sie: »Es ist schön, in dem[270] Augenblicke zu sterben, in dem die Seele ihren Flug schon zum Himmel nahm, sie kommt nun in kein fremdes Reich. – Ihr verspracht mir schon die Begräbnißkapelle der Behaim mit dem Werk Eurer Hand zu schmücken – versprecht nun es auch für die Kapelle der Scheurl – ich habe keine Erben – meine Erbin sei die Kunst in meiner Vaterstadt – meine Brüder werden das Testament vollstrecken.«

»Elisabeth!« rief Ulrich, »Ihr seh't Thränen in meinen Augen – sie versprechen Euch Alles, was Ihr wünschet. Ich will nicht vor Schmerz weinen in dieser Stunde – wir wollen uns freuen, daß es also kam; der höheren Weihestunde von vorhin wird keine profane folgen – ich werde in meinen Werken nicht mehr für Euch beten – sondern zu Euch!«

Ihre Hand ruhte auf seinem Scheitel. »Lebt wohl!« hauchte sie noch einmal und winkte ihm dann fort. Er küßte ihr die Hand und ging.

Sein Vater und Konrad begleiteten ihn stumm. Auf der Straße begegnete ihnen Hieronymus – es war zum ersten Male, daß sich die Freunde wiedersahen.

Hieronymus stand beschämt vor Ulrich. »Kannst Du mir vergeben?« fragte er beklommen.

Ulrich drückte ihm die Hand. »Ich komme von Elisabeth's Sterbebette – nein, ich komme von der Verklärungsstätte [271] eines Genius – in meinem Herzen ist lauter Gottesfriede – kannst Du noch mein Freund sein?«

»Wenn Du mich nicht verstößt!« rief Hieronymus und blieb an seiner Seite. –

Amadeus ging wieder in sein Kloster; sich freiwillig stellend, gehörte er mit zu den Begnadigten, und büßte nun, wie er vorher gebüßt, ehe die Sehnsucht nach Ulrich ihn halb wahnsinnig gemacht. Der Sohn hatte ihn gesegnet und Ulrike auf ihrem Sterbebette vergeben – er hatte Frieden.

Nicht lange währte es mehr, da ward Ulrich wieder feierlich in die Bauhütte aufgenommen. In Behaim's und Scheurl's Begräbnißkapelle vollendete er hohe Kunstwerke, darunter Elisabeth's Statue selbst die vollendetste war. Dann verließ er Nürnberg, um auch in andern Landen an der Erbauung hoher Dome sich selbst und seine Kunst zu fördern. –

Auf Ansuchen des Nürnberger Rathes ertheilte ihm Max die Erlaubniß, die Juden für immer aus der Stadt zu weisen. Auch Ezechiel und Rachel waren unter den Auswandernden.


Notes
Erstdruck in: Album. Bibliothek deutscher Originalromane, Prag (Kober & Markgraf), 14. Jg., Band 15–17, 1859.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Nürnberg. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6468-7