Zwölftes Capitel
Eine Jüdin

Es war ein wüstes Durcheinander in dem Gemach, in dem Rachel, das Judenmädchen, einige Ordnung herzustellen suchte. Große Kisten und Laden waren übereinander gehäuft, einige von ihnen geöffnet und halb ausgepackt; kostbare Stoffe und Pelze quollen daraus hervor. Rachel stäubte sie aus, um sie vor Insekten zu sichern oder auch davon zu befreien, je nachdem es sich nöthig zeigte. Zuweilen hielt sie bei dem Geschäft inne und lauschte durch die angelehnte Thür in ein zweites, ziemlich leeres und armselig eingerichtetes Gemach, das mit den hier aufgehäuften Schätzen auffallend contrastirte. Aus diesem führte eine zweite, jetzt verschlossene Thür hinaus auf die Treppe, und Rachel wollte nur nicht verhören, wenn Jemand komme und klopfe.

[265] Jetzt hörte sie draußen schlärfende Schritte die Stiege heran – es waren die ihres Vaters; da brauchte sie nicht zu öffnen, denn er wußte draußen den verborgenen Winkel, wo die abgeschraubte Klinke zu dem Thürschloß lag, das ohne dieselbe nur von innen geöffnet werden konnte. Sie hörte ihn danach suchen, dabei gewohnte Flüche murmelnd, endlich öffnete sich die Thür.

Der Jude Ezechiel war ein Mann von mittlerer Größe, dabei hager und von geschmeidigem Wesen. Der Typus seiner Gesichtszüge war entschieden orientalisch, eine große hervorragende Nase über einem vorstehenden Mund, den ein grauschwarzer Bart umwallte. Dürftiger war das Haupthaar, aber die Augenbrauen buschig, ein listig lauerndes Augenpaar beschattend. Er trug einen schwarzbraunen, bis auf die Füße reichenden Talar, eine buntstreifige Schärpe um den Leib und an dem linken Aermel die von dem Nürnberger Rath für Männer wie Frauen israelitischer Abkunft gleicherweise vorgeschriebenen drei gelben Streifen.

Die Furchen seiner Stirn erschienen heute noch einmal so tief als gewöhnlich und prophezeiten nichts Gutes. Da er eintrat, herrschte er Rachel zu: »Geh' hinein und bleib drinnen bei Deiner Arbeit, aber mache [266] dabei kein Geräusch, damit nicht merkt die alte Jacobea, daß Jemand drinnen. Sie kann Dich einmal nicht leiden. Geh' hinein, denn sie folgt mir auf dem Fuße und wird gleich da sein.«

»Nun,« sagte Rachel, »ich kann sie auch nicht leiden, und es hat uns auch noch kein Glück gebracht, daß Ihr Euch mit ihr eingelassen.«

»Still, rede nicht von Dingen, die Du nicht verstehst; Geh' hinein, sag' ich!« rief der Jude leise aber drohend, und Rachel gehorchte. Sie ging wieder in das zweite große Gemach und schloß die Thür hinter sich, aber sie dachte nicht daran, wieder an die vorige Arbeit zu gehen, sondern lehnte sich lauschend an die Thür, um kein Wort von dem zu verlieren, was die alte Jacobea drinnen mit ihrem Vater sprechen würde.

Als diese eintrat, rief sie: »Es ist Alles verunglückt, und war Alles so schön gegangen! Alle waren abwesend, mein Sohn wie seine Frau und der große Bube, um vor heute nicht wieder zu kommen. Die alte Marthe, die Amme der Frau Scheurlin, kam durch das Pulver, das ich ihr in den Brei gerührt, in einen Zustand, daß sie Nichts von sich wußte und irre redete; da konnt' ich getrost den kleinen Buben gegen Abend zur Stadt schicken, der Scheurlin melden zu lassen, daß [267] die Amme in Todesnöthen nach ihr verlange. Wie klug sich auch die Scheurlin dünken mag, sie ging glücklich in die Falle, und brachte nur einen einzigen Diener mit. Wohl eine Stunde saß sie da bei der Irreredenden, bis es dunkel war; ich sagte erst, sie solle warten, bis mein Sohn käme, der sie mit heimgeleiten könne. Aber sie wollte nicht, und wie sie hinausging, lauerte draußen schon der Ritter und ich hatte die Widerspänstige glücklich in seine Arme geliefert. Da hör' ich draußen noch andere Stimmen als die ihrige schreien – ein ganzer Trupp Baubrüder kämpfte mit dem Ritter und den Knappen, dann kamen gar Bewaffnete aus der Stadt; es hat Leichen und Verwundete auf dem Platz gegeben – der Ritter ist nur verwundet, aber ohne Beute entkommen. Den Nürnberger Rath fürcht' ich nicht, noch weniger das Gericht des Burggrafen, denn ich habe meine Sache zu klug angefangen, kein Verdacht kann mich treffen – aber den Ritter und seine Kumpane werd' ich nun auf dem Halse haben.«

»Mißlungen!« rief der Jude, »zum zweiten Male mißlungen – und durch Euch!«

»Hoho!« rief die Alte; »durch Euch oder Eure Sippe! Verrathen worden ist's! Was haben die Steinmetzen [268] da draußen zu suchen? im Leben habe ich nicht so viele beisammen dort im Walde gesehen! Sind doch dieselben Beiden mit dabei gewesen, die den Streitberg schon auf der Hallerwiese angefallen und denen er's dankt, daß der König selbst ihn aus Nürnberg verwiesen. Der Ritter hat geschworen sich dafür zu rächen, und nun hat er hoffentlich wenigstens dem Einen den Garaus gemacht!«

Mit verhaltenem Odem hörte Rachel dies Alles! Trotz ihrer Jugend war sie doch durch den Druck, unter welchem sie lebte, der sowohl auf ihr durch ihre nächste Umgebung als durch den Fluch lastete, der auf allen Juden ruhete, so daran gewöhnt sich selbst zu beherrschen, daß sich ihrer bis zum Ersticken geängsteten Brust kein Laut entrang, noch daß sie der Versuchung unterlag, die Thür zu öffnen und selbst zu fragen: »Welcher ist der Todte?«

Und sie war seine Mörderin! sagte sie sich verzweiflungsvoll. Das hatte sie nicht gedacht. Warnen hatte sie Ulrich wollen vor seinem mächtigen tückischen Feind und vor dem bösen Leumund, der ihm drohte – und weil er ihrer Warnung nicht achtete, sowohl um dieser Nachdruck zu geben als auch aus Mitleid mit der schönen Frau, der ein so schmähliges Schicksal [269] drohte, hatte sie ihm davon gesagt. Sie meinte nicht anders, als daß Ulrich sie vorher warnen werde, der drohenden Gefahr sich auszusetzen, und konnte weder beurtheilen, daß er dies unterlassen werde, besonders weil er es noch bezweifelte, noch daß er erst bereit sein würde der wirklichen Gefahr gegenüber sie mit seinem eigenen Leben zu beschützen. War er oder Hieronymus todt, so kam sein Blut über sie; aber sie konnte es nicht ändern, daß zu den Vorwürfen ihres Gewissens auch der Jammer des Herzens kam, wenn Ulrich das Opfer war. Und schon leuchtete die Anklage des Verrathes gegen sie durch die Worte der Alten hindurch; aber was sonst Rachel schon in namenlose Angst versetzt hätte vor den Vorwürfen und Strafen der Ihrigen, versank jetzt vor den Schrecken und der Qual, die ihr die Todesnachricht verursachte.

»Nun, so ist er ihn ja los,« sagte der Jude gleich gültig; »aber wenn Ihr versteht zu schweigen, so ist ja auch weiter Nichts dabei, als daß wir sind betrogen um den Lohn und haben gemacht ein schlechtes Geschäft, statt daß wir gemeint haben zu machen ein gutes. Wird wohl dem Ritter vergehen sich hier noch länger umherzutreiben, wenn er sieht, daß die feinen Nürnbergerinnen nicht gleich für Jeden sind zu haben.«

[270] »Der läßt keinen Schimpf auf sich sitzen!« rief die Alte. »Wird ihm kaum Recht sein, daß der Ulrich von Straßburg ehrlich auf der Landstraße gestorben! Dem, der ihm beim Könige den Schimpf bereitet, dem schwor er einen noch größern anzuthun; nun ist er gestorben, ehe er ihn gebrandmarkt hat, denn das wär' uns gelungen und wenn auch alles sonst mißlänge.«

»Sollt' ich nicht meinen,« begann der Jude, »müßte Euch nicht sonderlich lieb sein, wenn man hier in Nürnberg auch anfinge von Hexen zu reden; hat mir neulich Einer aus Costnitz erzählt, daß daselbst sind viele Frauen verbrannt worden, die vielleicht auch nicht mehr gethan, denn« – er verschluckte das: »Ihr«, welches folgen sollte, und sagte statt dessen: »denn Trunke gebraut und Zaubersprüchlein im Munde geführt.«

Die Alte wollte auf's Neue auffahren, als es draußen klopfte. »Ihr thut wohl besser jetzt zu gehen,« sagte er; »geschehene Dinge sind nicht zu ändern, und man muß sie nur betrachten, wenn man noch Nutzen aus ihnen ziehen kann.«

»Wir werden wohl noch von einander hören!« sagte Jacobea, und zog ihr dunkles Kopftuch fester zusammen, so daß nur ein schmaler Streifen von ihrem Gesicht zu sehen war. So drückte sie sich zur Thür hinaus, [271] durch welche ein anderer Jude trat, einen großen Kasten auf dem Rücken, den er mit Waaren aus dem Lager Ezechiel's zu füllen gedachte. Er gehörte zu den vertrauten Geschäftsfreunden, welche auch Eintritt in das zweite Gemach hatten und die darin aufgehäuften Schätze besichtigen konnten.

Unter den Juden Nürnbergs, obwohl sie nur auf einen besondern Stadttheil beschränkt und durch strenge Verordnungen von der übrigen Bevölkerung geschieden waren, gab es doch auch besitzende, reiche Leute, welche dennoch in unermüdlicher Thätigkeit beflissen waren, das schon Erworbene immerfort zu mehren, ohne doch jemals einen wirklichen Genuß von dem Gewinn zu haben, denn derselbe mußte, um gesichert zu sein vor fremden, besonders christlichen Augen, durch Verborgenheit gehütet werden. Denn immer ward den Juden, »des Reichs Kammerknechten«, Alles mißgönnt; sie mußten größere Abgaben geben als alle Andern, ja es war schon da und dort vorgekommen, daß sie eine Auflage ganz allein hatten bezahlen und bei manchem Unglück Schadenersatz hatten leisten müssen, wenn dabei auch ein Zusammenhang mit ihrer Schuld noch so gesucht erschien.

[272] Ezechiel gehörte zu diesen reichen Juden, und wie tiefe Verachtung man ihm auch öffentlich zeigte, es gab doch Christen genug, die in der Stille ihre Zuflucht zu ihm nahmen und seine Verschwiegenheit mit hohen Procenten erkauften. Vielen war er eine unentbehrliche Person. Er lieh Geld gegen Zinsen und verlieh ebenso auf Kleidungsstücke und Kostbarkeiten. Viele derselben blieben als ungelöste Pfänder in seinem Besitz und lieferten ihm zugleich ein Waarenlager für einen ansehnlichen Trödlerkram. Eine bedeutende Verstärkung erhielt dieser jedoch oft durch ein zwar einträgliches, aber ziemlich anstößiges Geschäft. Er zog nämlich meist in Begleitung seiner Tochter oder seines Sohnes Benjamin trödelnd in der Umgegend umher; aber gewöhnlich kam er mit gefüllterem Sack zurück, als mit dem er ausgezogen, und war doch gar wohl mit seinem Handel zufrieden. Während die großen Kaufleute von Nürnberg ihre Waaren meist nur mit großer Bedeckung von Reisigen weiter in's Land zu führen wagten, da die Raubritter und Wegelagerer jetzt ihr Wesen ungescheuter denn jemals trieben, besonders in den nahen Reichsforsten und oft bis unter die Mauern der Burg, wandelte der Jude mit seinen Kindern einsam, aber sicher, trotz den oft reichen Schätzen, die sie bei sich trugen. Das doppelte [273] Räthsel lös't sich leicht: Wo jene die Stehler machten, war er der Hehler. Oder wenn man das nicht sagen kann, da die Raubritter ihr Wesen so ungescheut trieben, daß sie gar keines Hehlers bedurften, sondern mit frecher Hand nur nach dem rohen Recht des Stärkeren räuberisch an sich rissen, was den schwächer bewahrten Handelsleuten abzunehmen war, ihrer Beute oft noch sich rühmend: so war diese doch oft der Art, daß sie für ihre Verhältnisse selbst nicht immer brauchbar erschien – da war denn in diesen Räuberhöhlen, welche den stolzen Namen Schlösser führten, der Jude Ezechiel eine sehr willkommene Erscheinung. Von ihm erhielt man für diese unnützen Waaren nützlichere und dem augenblicklichen Bedürfniß entsprechende nach freier Auswahl, oder baares Geld, und der Jude wußte dabei den Handel immer zu seinem Vortheil zu lenken, wenn er dabei auch immer jammerte und klagte, als habe er nichts als Verlust davon. Aber damit allein waren die Geschäfte des Juden noch nicht erschöpft. Da eben Leute aus allerlei Volk zu ihm ihre Zuflucht nahmen, so war er auch von tausend Dingen unterrichtet, die in den stolzesten Patrizierhäusern wie in den verdächtigsten Schlupfwinkeln der niedrigsten Klasse vor sich gingen und andern Blicken sich verhüllten, und [274] darum wußte er in tausend Stücken Rath, den er sich so gut wie seinen Trödlerkram bezahlen ließ.

So, als er auf das Schloß des Ritters von Weyspriach kurz nach der Abreise des Königs Max gekommen, auf dem der aus Nürnberg verwiesene Eberhard von Streitberg einstweilen ein Asyl gesucht, um von da aus seine Ziele zu erreichen, erhielt der Jude von den Rittern den Auftrag auszukundschaften, welcher Goldschmied Nürnbergs die Rose gearbeitet, welche der König der Scheurlin geschenkt. Er sollte eine ganz gleiche danach anfertigen lassen. Da der Jude erfuhr, daß Meister Albrecht Dürer der Verfertiger war, ein Mann, der sich weder durch Bestechung noch Drohung zu einer unredlichen Handlung verleiten ließ, und der sich um keinen Preis in ein Geschäft mit einem Juden würde eingelassen haben, so kam er darauf, durch die alte Jacobea, welche er zu ihm sandte, zu seinem Ziel zu gelangen.

An dem Gastmahl in Nürnberg, an welchem der Ritter von Weyspriach die gehässigen Gesinnungen kennen lernte, welche die Hallerin gegen die Scheurlin hegte, hatte er von dieser im Interesse seines Freundes Streitberg mehr zu erfahren und sie mit zu seiner Bundesgenossin zu machen gesucht. Bei ihrem späteren [275] Wiedersehen war zwischen ihnen ein Plan verabredet worden, eine von Streitberg mit der Scheurlin gewünschte Zusammenkunft zu veranstalten. Wie sehr auch die Hallerin wünschte, die beneidete und darum verhaßte Feindin zu demüthigen, so wollte sie sich doch erst lange nicht zu einer Vermittlerin hergeben, obwohl Weyspriach nichts von ihr verlangte, als daß sie Elisabeth mit andern Gästen zu sich lade und sie dann in ein abgelegenes Gemach locke, in dem ein von ihr verschmähter Liebhaber – der Ritter nannte absichtlich keinen Namen – sie ungestört treffen könne. Nur um einen Preis war sie bereit das zu thun: wenn sie eine, derjenigen Elisabeth's ganz gleiche Nadel erhalte, die sie nun, wo der König fort war, auch als ein Geschenk seiner Huld ausgeben, dadurch Elisabeth demüthigen und sich an ihr rächen könne – ja die Hallerin bestand entschieden darauf, nicht früher ihre hülfreiche Hand zu bieten, bis sie in den Besitz der Nadel gesetzt worden.

Doppelt ungelegen war es darum den Rittern, durch die Antwort des Goldschmieds sich so hingehalten zu sehen. Als endlich die drei Wochen vorüber waren, sandten sie nächtlicher Weile ein paar ihrer Knappen mit der für die Nadel geforderten Summe zu Meister[276] Dürer, und der Knappe mußte froh sein mit einer abschlägigen Antwort davon zu kommen.

Nun war die Hülfe der Hallerin verwirkt – ja man mußte noch froh sein, wenn sie in ihrem Aerger nicht plauderte und den Ritter, der ihr durch ein Versprechen Hoffnungen erregt, die er nicht erfüllen konnte, in seinem Vorhaben zu stören suchte. Doch erhielt sie die Furcht, durch eine Mittheilung zum Nachtheil des Ritters zugleich sich selbst zu schaden, bei dem Vorsatz des Schweigens; aber sie hoffte, daß sich eine Gelegenheit finden werde dem Ritter zu zeigen, daß man eine Nürnberger Patrizierin nicht ungestraft hintergehe, und wartete auf dieselbe. Vergessen würde sie die Täuschung nie.

Indeß hatte Weyspriach wenig Neigung, für Eberhard von Streitberg noch fernere Schritte zu thun, und verwies diesen allein auf die Hülfe des Juden, als dieser wieder mit seiner Tochter auf seinem Hausirergange in das Schloß kam. Er schlug die alte Jacobea als Bundesgenossin vor, die mit Elisabeth's Amme in einem Hause wohnte; aber man wollte dem Juden nicht allein trauen und behielt ihn so lange bei sich, bis Rachel nach Jacobea gesandt mit dieser zurückkam. So verhandelte man in der Gegenwart des Mädchens, das [277] man seiner stillen Weise nach beinah' nicht anders wie ein einfältiges, dem Vater blind gehorsames Kind betrachtete. Ja noch mehr! Streitberg, der schon in Nürnberg doch so viel über die beiden Baubrüder erkundet hatte, um ihre Namen zu wissen, forderte sowohl von dem Juden als von Jacobea Rath und Mittel sich an ihnen zu rächen. Wie hätte ein Eberhard von Streitberg je den Schimpf mögen auf sich sitzen lassen, sich sein Schwert von den Händen eines Steinmetzen entwinden zu sehen – eines Menschen also, der von Früh bis Abends mit diesen Händen arbeitete und unter strengen Regeln sein Leben verbrachte, indeß er, der stolze Ritter, der jede Arbeit, auch wenn sie dem Dienste der erhabensten Kunst galt, tief gering achtete, und mit roher Willkür auf den Landstraßen raubte was er brauchte, wenn einmal ein beutereiches Kriegerleben sich ihm nicht gleich nach Wunsche bot – er, der in unzähligen Turnieren den ebenbürtigen Gegner aus dem Sattel gehoben und mit verwegenem Muthe bei kecken Abenteuern so gut wie in wilder Schlacht Heldenthaten verrichtet!

Mit der kecken Zuversicht, die ihm immer eigen, hatte er danach von König Max sein Schwert zurückgefordert und wider die Baubrüder geklagt, die ihn in[278] der Mehrzahl auf der Hallerwiese überfallen und ihm unter frechen Scherz- und Schimpfworten sein Schwert entrissen. Aber er hatte dabei nicht gedacht, daß der König selbst ein Baubruder war und den Worten freier Steinmetzen mehr Vertrauen schenkte als einem Ritterwort; noch weniger wußte er, daß Elisabeth schon vor allen Frauen Nürnbergs vor den Augen des Königs Gnade gefunden. So hatte er erst nur die königliche Antwort erhalten, daß die Sache untersucht werden solle, um darauf den noch größern Schimpf zu erleben, daß ihm der König sein Schwert zwar wieder sandte, aber mit der Bemerkung, daß er es nur außerhalb der Stadt tragen dürfe, und mit der Verweisung aus derselben und der Drohung, daß er, falls er nicht gehorche, als ein Friedensbrecher dem Gefängniß und Gericht der Stadt werde überantwortet werden. Wie sehr Streitberg auch wüthen mochte: es blieb ihm nichts übrig als zu gehorchen, und er mußte noch froh sein, daß er doch keinen öffentlichen Schimpf erleben, sondern sich den Anschein geben durfte, als riefe ein Geschäft ihn fort.

Er zog sich indeß auf Weyspriach's Veste zurück, und ward immer mehr von Zorn erfüllt, als er vernahm, wie der König Elisabeth auszeichnete, bei deren [279] Anblick seine ganze alte Leidenschaft für sie wieder erwacht war.

Eberhard von Streitberg war eine jener ungebändigten Naturen voll roher Kraft und starker Gefühle, ohne den Willen dieselben jemals zu zügeln, da er ohne sittliche Grundsätze war. Seine feurige Leidenschaftlichkeit und die augenblickliche Wahrheit seiner Empfindungen machte sein Glück bei liebebedürftigen und gefühlvollen Frauen, die von seiner äußern ritterlichen Erscheinung und einzelnen heroischen Eigenschaften seines Charakters bestochen, ohne denselben näher prüfen zu können, in ihm das Ideal eines Helden fanden. So hatte er früh das Herz des Edelfräuleins Helene von Heideck gewonnen und sie als seine Gattin heimgeführt. Aber bald ward er ihrer überdrüssig, und nur um wieder frei leben zu können, nahm er Kriegsdienste und abenteuerte in allen Ländern umher. So kam er nach Venedig, wo er Elisabeth Behaim kennen lernte und mit leidenschaftlicher Gluth sich an sie hing. Er erkannte ihren sittlichen Werth hinlänglich, um zu wissen, daß sie allen Verführungskünsten eines Mannes widerstehen werde, auf dessen Herz ein anderes Wesen frühere Rechte habe, und so verleugnete er dieses. Ja, als er sich mit Elisabeth verlobte, leitete ihn vielleicht auch [280] die Hoffnung, seine verlassen hinsiechende Gattin könne sterben, oder der einmal begonnene Betrug sich weiter fortsetzen lassen. So verbrachte er ein Jahr fern von Elisabeth und der Heimath, bis ihn seine Leidenschaft in die Nähe Nürnbergs trieb und er nur daran dachte, Elisabeth an sich zu reißen, zu entführen, gleichviel was daraus entstehe. Da ward sein Plan vernichtet, ohne daß er sie wiedergesehen. So verließ er auf's Neue die unglückliche Gattin und zog weit fort in's heilige Land, um sich bei minder zurückhaltenden Schönen für Elisabeth's Verlust zu trösten. Dennoch konnte er sie nie ganz vergessen, eben weil er sie nie besaß. Als er darum mit Weyspriach aus Palästina zurückgekehrt erfuhr, daß König Max nach Nürnberg komme, schloß er sich dem Gefolge des Markgrafen Friedrich von Brandenburg an. Er durfte Elisabeth nun wiedersehen in ihrer ganzen Schönheit, die, wenn er sie mit ihrer jugendlicheren Erscheinung von einst verglich, nur die Veränderung erfahren, daß sie eine üppig blühendere geworden war, und daß an die Stelle einer schwärmerischen Sinnigkeit in ihrem Angesicht der Stempel stolzen Selbstbewußtseins und geistiger Hoheit getreten, um an sich zu erfahren, daß sie den ganzen alten Zauberbann auf ihn übe. Um so mehr verdroß es ihn, daß sie [281] sein Vorbeireiten unter ihrem Chörlein gar nicht bemerkte, und da er auch inzwischen nicht erfahren, was aus ihr geworden, so wendete er sich mit der Frage danach an Markgraf Friedrich, und war frech genug, wie er von ihrer Verheirathung hörte, sich zu rühmen, daß er einst ihre Gunst besessen.

Auf der Hallerwiese wollte er die frühern Rechte auf sie geltend machen, dachte er durch die Sprache seiner Leidenschaft Versöhnung und Erhörung zu finden; denn er meinte, Elisabeth habe indeß wohl genug das Leben kennen gelernt, um überspannten Begriffen von Liebe, Pflicht und Treue entsagt zu haben, um so mehr, als er erfuhr, daß sie dem ältern Gatten wohl nur aus kindlichem Gehorsam oder seines Reichthums und Ansehens wegen ihre Hand gegeben – ja sein Egoismus zog daraus den für sich günstigen Schluß, daß sie wie ihn wohl nie wieder geliebt, und er sich darum nur zu zeigen brauche, um die alten Gefühle wieder zu erwecken. Da nahm dies erste Wiedersehen für ihn einen so schimpflichen Ausgang.

Nun lechzte die entflammte Leidenschaft nach einer Gewaltthat und nach Rache an den Baubrüdern.

Unbeachtet von Allen war Rachel, mit gegenwärtig in einem Winkel an der Thür kauernd, scheinbar vor[282] Müdigkeit eingeschlafen, als ihr Vater, Jacobea und der Ritter von Streitberg den Plan zur Entführung Elisabeth's entwarfen. Daran knüpfte sich die andere Frage, wie die Baubrüder zu bestrafen, wie sie es empfinden sollten, daß ein Ritter nicht ungerächt sich beleidigen lasse.

Der Adel, der durchaus keinen Kunstsinn besaß und überhaupt keiner Begeisterung für das Ideal fähig war und jedes höheren Aufschwunges baar, der über die einseitigen Begriffe von Ritterehre und Standeswürde hinausreichte, mit der es sich ganz wohl vertrug, fleißige Bürger zu berauben und ehrsame Frauen zu entführen, wenn es nur mit der nöthigen Frechheit, welche man Kühnheit nannte, geschah – dieser Adel haßte die Baubrüderschaften oder verachtete sie doch, wie er Alles verachtete, was nicht vor der feudalen Herrlichkeit sich beugte. Dieser Adel war bei seinen Bauten mehr auf sicheres und festes Wohnen als auf Schönheit bedacht. Vorüber war auch bei ihm jener fromme und gläubige Sinn, der in früheren Zeiten wohl Fürsten und Herren vermocht hatte, bei einer gelungenen Unternehmung Kirchen oder Kapellen oder Klöster zu stiften, vorüber die ganze religiöse Begeisterung, die in den Kreuzzügen und unzähligen Gelübden zu kirchlichen Zwecken sich [283] offenbarte: das alte, zu seiner Zeit edle und begeisterte Ritterthum war im Absterben und hatte nur einer Art von Raufboldthum und beispielloser Verwilderung der Sitten Platz gemacht. Im Gegensatz dazu war das Bürgerthum in würdiger Haltung, besonders in den freien Reichsstädten emporgeblüht, und man setzte in ihm, besonders in Nürnberg eine Ehre darein, die Kunst zu pflegen und zu beschützen. Es war vielmehr Begeisterung für die Kunst an sich, wenn man will, auch Ehren- und Modesache, daß die Nürnberger Patrizier förmlich mit einander wetteiferten, Stiftungen, wenn nicht zu neuen Kirchen selbst, doch zu den Verschönerungen der alten zu machen. Der Adel blickte verächtlich auf dies schöne Kunststreben, und wenn König Max in vielen Beziehungen als ritterlicher Held ihren Hoffnungen gerecht war, so war ihnen doch sein Sinn für Kunst und Wissenschaft eine sehr überflüssige Beigabe. Daß er selbst freier Maurer geworden und mit den Baubrüdern als mit Seinesgleichen verkehrte, konnten sie ihm vollends nicht vergeben. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätten sie wohl versuchen mögen, die Genossenschaft freier Maurer, die sich nach eigenen Gesetzen regieren durfte, als eine gemeinschädliche [284] Verbindung zu verdächtigen; aber so wie die Sachen standen, konnten sie nur versuchen, sich an dem Einzelnen zu rächen. –

»Laßt uns nur machen,« sagte Jacobea und nickte dem Juden zu, da diese Frage aufgeworfen ward. »Ich weiß, daß die Steinmetzen sehr streng auf ehrliches Herkommen und auf sittenreinen Wandel halten, strenger als Mönche und Geistliche, die es damit nicht gar zu genau nehmen – können wir dem blonden Hieronymus und dem Ulrich von Straßburg nachsagen, daß sie mit Frauenzimmern zusammen zu kommen pflegen und daß sie von zweifelhafter Herkunft sind, so werden sie mit Schimpf und Schande aus der Genossenschaft verwiesen.«

»Das ist ein guter Rath!« sagte Streitberg; »in Straßburg hat es ja Hexen gegeben – wer weiß, gelingt es nicht ihn zu einem Hexensohn zu stempeln!« –

Das war die Unterredung, welche Rachel mit angehört und welche sie vermocht hatte, die Baubrüder aufzusuchen und zu warnen.

Rachel war trotz der Umgebung, in der sie aufgewachsen und die sich wahrlich weniger durch eigene Schuld als durch die barbarischer Christen in einem ununterbrochenen heimlichen Krieg gegen dieselbe befand, [285] dem kein Hülfsmittel zu schlecht war, mit einem weichen Gefühl und zartem Gewissen begabt, das offenbare Schlechtigkeiten als solche empfand und vor ihrer Vollziehung schauderte. Gleichwohl war sie eine zu gehorsame Tochter und erkannte in ihrem Vater das würdige Oberhaupt der Familie, dem sie blinden Gehorsam schuldig war. So kam sie in fortwährende Conflikte, in denen sie sich oft nur durch etwas wie Instinkt einer unverdorbenen weiblichen Natur für das Eine oder Andere entschied. So war es hier gewesen. Der Baubruder Ulrich, der ihr die Rose zugeworfen, der dann sie freundlich »liebes Kind« genannt, war zum Abgott ihres Herzens geworden; es mochte geschehen was da wolle – ihn mußte sie warnen. Und warum nicht durch ihn auch die schöne Frau, der er hülfreich beigestanden? Rachel's ganzes mädchenhafte Gefühl sträubte sich dagegen, ein Weib in die Gewalt eines rohen Mannes fallen zu lassen! Wenn sie diese Bubenstücke zu hintertreiben suchte, so konnte sie dies auf keine andere Weise als die geschehene versuchen – durfte weder ihren Vater noch andere Betheiligte angeben, wenn sie nicht selbst sich verrathen und dadurch die Möglichkeit abschneiden wollte, künftig noch Aehnliches zu verhüten.

[286] Und nun hörte sie, daß Ulrich erschlagen, nun war sie es selbst, die ihn dem Tod entgegengesandt!

Sie durfte auch jetzt sich durch kein Wort verrathen – aber selbst wenn der Fluch des Vaters sie träfe, welcher Fluch konnte denn sie mehr entsetzen als das Blut des Baubruders, das über sie kam? –

[287]

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. 12. Kapitel. Eine Jüdin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-64DA-5