Achtes Capitel
Das Achtort

Fest an Fest reihete sich im lustigen Nürnberg aneinander, die Gegenwart des Königs zu feiern. Die Rathsherren, die reichen Kaufleute, die gelehrten Gesellschaften, die Zünfte – sie alle stritten sich miteinander, den König in ihrer Mitte zu sehen, und vor allen anderweitigen Vorstellungen und Lustbarkeiten hatte Markgraf Friedrich, der den König bei sich auf der Veste beherbergte, noch nicht dazu kommen können, selbst ein Fest zu veranstalten, und mußte damit von einem Tage zum andern warten.

Den Tag, zu welchem Max der freien Steinmetzzunft versprochen, in ihrer Mitte als Baubruder zu erscheinen, mußte er ihr allein widmen. Schon am Morgen verließ er die Veste, nur von Kunz von der Rosen, ein paar Rittern und einigem Gefolge aus der Dienerschaft des Markgrafen begleitet, und ging zu Fuß durch [169] die Stadt bis an die Bauhütte an der St. Lorenzkirche. Der König war ohne Rüstung und einfacher als sonst in ein Wamms von dunkelbraunem Sammt gekleidet, am breiten Ledergürtel ein kurzes Schwert, ein Sammtbaret mit weißen Federn auf den blonden Locken, bezeichnete ihn nur der übergeworfene Purpurmantel als Majestät. Seine Tracht ähnelte der der Baubrüder, nur daß sie von besserem Stoff war, aber die Stiefel von ungeschwärztem Leder waren gewissenhaft beibehalten.

Aus der Hütte heraus schalten die laut in den Stein hämmernden Klänge der Steinmetzen. Die Thür war verschlossen. Dreimal schlug der König mit seinem Schwert an dieselbe. Der Pallirer trat heraus, schloß sie wieder hinter sich und sagte:

»Wer Einlaß begehret, gebe das Paßwort.«

Der König trat ganz nahe zu ihm und flüsterte ganz leise ein Wort in das Ohr des Pallirers. Darauf reichte ihm dieser drei Finger seiner Hand, und der König erwiderte den Händedruck in der gleichen Weise. Kunz war hinzugeschlichen und hatte auf einem Beine stehend gelauscht, ob er nicht verstehe, was die beiden Heimliches sprächen – ohne daß ihm dies jedoch[170] möglich war. Max warf jetzt seinen Purpurmantel ab, gab ihn dem Hofnarren und sagte zu ihm:

»Hier, guter Freund; weil Du Dich heute von Max trennen mußt, magst Du ihm indessen die Königswürde bewahren.«

Kunz zog den Mund schief und sagte: »So tauschen wir einmal die Rollen vollständig: nun bin ich heute auch der König – denn daß Du eben der Narr bist, ist eine ausgemachte Sache.«

Obwohl einem Hofnarren Alles für Recht ausging, was bei Andern zum Verbrechen ward, und obwohl der König selbst als Antwort nur lachte, machte der Pallirer doch ein sehr finsteres Gesicht: nicht weil Kunz die Würde des Königs, sondern weil er die der freien Maurer durch seine Bemerkung verletzte. Max gewahrte dies nicht so bald, als er zum Pallirer sagte:

»Lass' es gut sein, mein Bruder, der Kunz da ist bei jeder Gelegenheit bereit mit mir zu tauschen, und trägt es mir immer noch nach, daß ich zu Brügge auf der Kranenburg den Tausch verweigerte, der mir Freiheit und Leben, ihm aber gewisses Verderben gebracht hätte –«

Kunz ließ den König nicht ausreden, hielt ihm seine Mütze vor den Mund und sagte: »Wenn Du mich immer verspotten willst, so werd' ich mir einen andern [171] Herrn suchen, und Du kannst Dir einen von Deinen Brüdern da drinnen für meine Stelle mitbringen.«

Max schob ihn zurück, grüßte ihn und seine Begleiter und sagte: »Nun gehabt Euch für heute wohl, Ihr Herren, und laßt Euch die Zeit nicht lang werden!«

»O den Wunsch geben wir in Gnaden zurück!« sagte Kunz. »Indeß Du mit Deinen Gesellen mauerst, werden uns die hübschesten Kinder Nürnbergs über Deine Abwesenheit trösten und wir werden diesen Trost wohl erwiedern!«

Der König hörte nicht mehr auf ihn, sondern war mit dem Pallirer in die Hütte getreten, die sich hinter ihm wieder schloß und aus der man nun laute Willkommengrüße tönen hörte.

Kunz aber hatte, so wie Max verschwunden war, seine lustige Laune verloren, denn es war ihm unheimlich zu Muthe, wenn er von ihm getrennt war, seit diese Trennung einmal so unglücklich gewesen, und er ward auch jedesmal verdrießlich, wenn er an seine Aufopferungsfähigkeit von dem König vor andern Leuten erinnert ward. Für eine That, die sich bei ihm so von selbst verstand, begehrte er nicht noch Dank von seinem Herrn. Er hatte ihn darum auch nicht ausreden lassen, [172] obwohl man überall im Reiche die Geschichte aus Brügge kannte, auf welche der König anspielte.

Als König Max nämlich von der Stadt Brügge eine Einladung erhalten hatte, daselbst Lichtmesse zu feiern, nahm er diese an, obwohl es ihm alle seine Räthe widerriethen, da die Stadt sein Regiment nicht wollte und ihre Bürger noch besonders durch französischen Einfluß wider ihn gereizt waren. Am 31. Januar 1488 zog er von etwa fünfhundert Reitern begleitet gen Brügge. Hier am Thore noch warnte ihn Kunz von der Rosen nicht hineinzugehen, weil er in sein Verderben renne. Max verwies ihm die Warnung und blieb bei seinem Entschluß. Da sagte Kunz zu ihm:

»Lieber König, ich sehe, daß Du hier mit Gewalt gefangen werden willst; da ich aber dazu keine Lust verspüre, so will ich Dir nur das Geleite bis an die Burg geben und dann zum andern Thore wieder hinaus reiten. Deinen lieben Söhnen in Brügge traue der Teufel.«

Danach handelte er auch und verließ die Stadt und den König. Sobald er aber erfuhr, daß dieser wirklich in Brügge gefangen gehalten werde, versuchte er mit zwei Schwimmgürteln versehen durch den Schloßgraben zu kommen, um vermittelst des einen derselben[173] seinen Herrn zurück über den Graben nach einem Ort zu bringen, wo er Pferde bereit hielt. Aber obwohl die Stille der Nacht ihn begünstigte, weckte er doch die im Graben wohnenden Schwäne, deren wildes Geschrei das unbemerkte Gelingen seines Beginnens unmöglich machte. Darauf lernte er das Bart- und Haarscheeren, schlich sich in die Stadt und gewann einen Franciskaner-Guardian, daß ihn derselbe als Begleiter eines andern Mönchs als des Königs Beichtvater in dessen Gefängniß schickte. Als mit ihm Kunz allein war, gab er sich zu erkennen und verlangte, der König soll sich eine Platte scheeren lassen und in der Mönchskutte entrinnen, indeß statt seiner er im Gefängniß bleibe. Standhaft verweigerte Max die Annahme dieses Opfers, und wie sehr Kunz auch flehete, weinte und zürnte, er mußte wieder gehen, wie er ge kommen. Beim Abschied sagte er zu ihm: »Wenn Du mir auch nicht vergönnst statt Deiner zu bleiben, und Dich weigerst, mit mir die Rolle zu tauschen, wenn Deine Hüter kommen und den König suchen, so werden sie auch in Dir den Narren finden.« Indeß war sein Kommen doch nicht ganz vergeblich, denn Max erfuhr von ihm den Stand seiner Sache, und ebenso kam durch ihn überall die Kunde umher, wie es [174] um den König stand. Aber erst am 16. Mai erlangte er die Freiheit. –

Etwa eine Stunde mochte König Max in der Bauhütte gewesen sein, als er aus derselben wieder heraus trat, begleitet von dem Propst Anton Kreß, dem Hüttenmeister, Werkmeister und Pallirer und gefolgt von allen Werkleuten, Gesellen und Lehrlingen, und mit ihnen zur nahen Lorenzkirche zog. Heute hatte die Arbeit noch geruht. Alle hatten drinnen in der Hütte beim Empfang des königlichen Baubruders gegenwärtig sein und seine Begrüßungsrede hören wollen, die nicht außen gesprochen werden durfte, wo auch profane Ohren ihr hätten lauschen können. Jetzt eilten alle Steinmetzen, die bei dem äußern Bau zu thun hatten, an ihre Plätze. Max selbst hatte ein ledernes Schurzfell umgethan und eine Kelle in der Hand, um zu zeigen, daß er die edle Steinmetzkunst wohl verstehe und ihrer Ausübung in der Mitte der Baubrüder und vor allem Volk sich nimmer schäme.

Im Freien ward bei solchen heiligen Bauten nur eben der wirkliche Aufbau mit Kalk und Mörtel vorgenommen. Die Steine selbst wurden erst in der Hütte behauen und mit jener kunstreichen Ornamentik versehen, oder zu jenen bald plastisch schönen, bald wunderlich [175] komischen Gestalten vollendet, welche wir noch heute an den Werken der Gothik bewundern.

Albertus Magnus, der Gründer des gothischen Baustyls, hatte zu seiner Bildung vieles aus den Schriften des Hermes Trismegistus undPlato benutzt und den berühmten Lehrsatz desPythagoras in Anwendung für den Kirchenbau gebracht. Dieser Lehrsatz gründete sich auf die Einheit, welche er in das Achtort als den Mysterienschlüssel seiner neu erfundenen Baukunst legte. Das Eine, welches die Kraft, das Unerforschliche, den Anfang und das Ende aller Zahlen einschließt, und doch selbst keine ist, weder gerade noch ungerade, läßt sich durch keine arithmetische Formel herstellen: Gott! und Gott ist Eins, ohne Anfang und Ende, ewig, was durch den Zirkel und den Kreis symbolisch ausgedrückt wird. Der Zirkel ist die Kraft, Festigkeit, das beharrliche Streben, wieder an den ersten Ausgangspunkt zu gelangen. Daher stellte Albertus das Achtort, in welches er den Zirkel stellte, das Dreieck, das den Kreis bildete, als Grundprinzip und System des Styls und der Constructionen fest.

Um den Maurern den langen und schwierigen Weg des Lernens abzukürzen und zu erleichtern, und das Erlernte praktisch durchzuführen, ward der Tempelbau [176] als Gottesdienst gelehrt, und rief Albertus diese symbolische Sprache der Alten wieder in's Leben, und paßte sie den Formen der cabbalistischen, mathematischen und geometrischen Baukunst an, wo sie in angenommenen Figuren und Zahlen als Abkürzungen weitläufiger Anordnungen im Baugeschäfte sehr gute Dienste leisteten, um so mehr, als es den Bauvereinen nicht erlaubt war, die Grundsätze der Albertini'schen Baukunst schriftlich abzufassen, denn sie mußten, um nicht profanirt zu werden, stets das strengste Schweigen darüber beobachten. Um das Geheimniß zu bewahren, bediente man sich der Symbole. Sie galten als Norm und Richtschnur bei Ausübung der Kunst, und erleichterten dem, der sie verstand, die Arbeit. Nach dieser einmal festgestellten Kunstsprache ward die Construction des Baues gebildet.

Der Geist dieser Geheimlehre wirkte segensreich, denn man nahm nur diejenigen zu Lehrlingen auf, bei denen man die Fähigkeit für ihr Verständniß voraussetzen konnte. Sie mußten sich einem ersten Examen unterwerfen, das nur diejenigen bestanden, welche mit natürlichem Verstand und einigen nöthigen Vorkenntnissen z.B. in der Geometrie und Mathematik ausgerüstet waren. Mehr noch als die strenge Strafe und[177] Entehrung, welche darauf stand, hielt das Ehrgefühl und die Achtung, welche die Baubrüder überall genossen, selbst der Nimbus des Geheimnißvollen, der sie umgab, davon zurück, die geweihte Sprache einem Profanen mitzutheilen, und die Geschichte der Bauhütten hat kein Beispiel dafür, daß dies je ein freier Maurer gethan und seinen Schwur des Schweigens gebrochen hätte. Diese geweihte Sprache war für die Bauleute unter sich Mittel der Mittheilung, besonders zu der Zeit, da die Schreibkunst noch zu den seltenen Künsten gehörte, und auch später, wo die viel beschäftigten Steinmetzen selten Zeit fanden sie zu üben. Auch die Lehrlinge wurden gleichsam spielend mit Sinn und Bedeutung der Symbole vertraut, da sie dieselben täglich vor Augen hatten und bei der Arbeit den Unterricht der älteren Kameraden benutzten. Natürlich gab es auch hier wieder verschiedene Grade, und dem Lehrling enthüllte sich nicht gleich das Ganze der Albertinischen Baulehre. Ein Symbol war oft erst wieder das Symbol eines Symbols für einen höheren Begriff, der nur den Gesellen deutlich war, und Manches war wieder noch diesen, oder doch manchen unter ihnen verschlossen, was der Werkmeister im höheren Sinne aufzufassen verstand. Diese Meister machten die Projecte, Aufrisse und [178] Grundpläne nach dem Grundsatz des Acht- und Sechsortes. Danach mußten die Gesellen in der Hütte die Profile auf dem winkelrecht behauenen Stein aufreißen und rein ausarbeiten. Man bediente sich dazu der Maßbretter, schablonenartig geschnittene Bretter, welche auf den Stein gelegt wurden und diese danach behauen. Besonders war dies eine Arbeit der Lehrlinge, indeß die Gesellen mehr nach selbständigen Entwürfen aus dem Freien arbeiteten.

König Max, der in seiner Jugend eben Alles zu lernen suchte, und der in der Mathematik und Geometrie genug Kenntnisse besaß, um bei seinen Fähigkeiten schnell die ersten Grade der freien Steinmetzkunst durchlaufen zu können, hatte sich in der Bauhütte zu Wien als Mitglied aufnehmen lassen, denn Niemand, selbst fürstliche und geistliche Personen nicht, durften die Bauhütte betreten, noch einer Zeche oder einem Hüttentage beiwohnen, wenn sie nicht selbst Mitglieder waren: nur solchen, welche das Paßwort zu geben vermochten, öffnete sich die Bauhütte, darum mußte der König heute auch alle seine Begleiter von sich lassen, weil sie sämmtlich zu den Profanen gehörten. Der Propst Anton Kreß und der Hüttenmeister hatten die Ehre seine nächsten Begleiter zu sein. Niemand nannte ihn hier König [179] oder Majestät, sondern Alle redeten ihn nicht anders an, denn mit Du und Bruder Max.

Der König besichtigte den neuen Bau an der Lorenzkirche mit Kennerblick, und da alle Baubrüder an ihre Arbeit gingen, legte er selbst mit Hand an's Werk, um zu zeigen, daß er die Baukunst noch in jedem Stück verstehe. Bald stand er auf der höchsten Gerüstspitze des neuen Thurmes mit einem Fuß, indeß er mit dem anderen nach seiner waghalsigen Gewohnheit anderthalb Schuh weit in die Luft maß. Mit seiner Rechten schwang er die Kelle, und fügte den nächsten Stein ein, weil er, wie er sagte, nicht dagewesen sei, um den Grundstein zu legen.

Unten auf dem Platz um die Kirche stand vieles Volk und jauchzte dem kühnen Fürsten zu, der so, fast dreihundert Fuß hoch, in schwindelnder Höhe über der Menge schwebte, als sei er es nicht anders gewohnt. Und die Steinmetzen lobten auch den Bruder Max, der es den kühnsten und geschicktesten unter ihnen gleich zu thun verstehe.

Und wieder stieg er herab, stand vor der prächtigen Brautthür, über deren Portal die herrlichste, kunstvoll gearbeitete Fensterrose prangte, und welche die fünf klugen und thörichten Jungfrauen schön in Stein gemeißelt [180] umstehen, und trat durch das erhabene Portal in den noch erhabeneren Raum. Der Propst, der ihn begleitete und sich nicht recht getrauen mochte, manche etwas zu tiefgehende Frage des Königs zu beantworten, hatte Ulrich neben sich gewinkt. Es bedurfte hier keiner Vorstellung. »Das ist das Monogramm des Bruders Ulrich,« sagte Kreß, auf ein Kreuz mit dem Winkelmaß durchschnitten deutend, das sich an einem Kapital befand, welches eine zierlich gearbeitete Krone von Eichenlaub schmückte. Das war der Vorstellung genug, denn Maxens Blicke, die mit Befriedigung auf den Werken ruhten, wandten sich in gleicher Weise zu dem Steinmetzen, dem es nun vergönnt war, an seiner Seite zu wandeln.

Und so gingen sie durch den erhabenen Bau, der im reinsten gothischen Baustyl die Wunderwerke desselben verkündete. Wie war hier alles Starre an Pfeilern und Gewölben verschwunden, wie hatte sich hier Alles gelös't in ein durchaus gegliedertes und bewegtes Leben. Zu prachtvollen Säulen waren die Pfeiler emporgewachsen, und ringsum aus der Außenfläche ihres Kernes schwangen sich leichte Halbsäulchen und Röhrenbündel empor, daß die Masse des Pfeilers gleich der Garbe eines lebendig bewegten Springquells aus dem [181] Boden aufgestiegen schien. In den Bögen, welche die Pfeiler verbanden, neigte sich diese Springfluth im rythmischen Spiele und doch in sicherer Geschlossenheit gegeneinander, an den Oberwänden des Mittelschiffs stieg sie in ungehemmter Kraft empor, an allen Linien des Gewölbes strahlte sie herüber und hinüber. Was noch an lastender Form die Seiten- und Oberwände hätte bilden mögen, verschwand dadurch, daß sie zu weiten und hohen Fenstern sich auseinander dehnten, während doch ein elastisch gespanntes Sprossenwerk in ähnlichen flüssigen Formen gebildet, allen Eindruck eines leeren Raumes aufhob. Die gesammte innere Architektur war zum Ausdruck von Kraft und Bewegung geworden; sie zog die Sinne und das Gemüth des Beschauers unwillkürlich aufwärts, und doch war Alles von jenem klaren Ebenmaße erfüllt, welches mit der Bewegung zugleich die erhabenste Ruhe, mit der Kraft die edelste Majestät verband. Durch die prachtvoll in schönstem Farbenglanze strahlenden Bogenfenster quoll ein Meer von Glanz und Gluth – es war gleichsam die Inbrunst eines glühenden Gefühls, bei dem tausendstimmigen Hymnus des Gebetes, der von den Steinen, welche zu sprechen schienen, widerhallte, getragen von den tausend [182] Armen und gefalteten Händen, welche die Pfeiler zur Feier des Höchsten emporstreckten.

Auch über Max kam diese weihevolle Stimmung. Er wandte sich von dem Propst, der ihm weitläufig auseinander setzen wollte, daß diese köstlich gemalten Fenster erst kürzlich von Veit Hirschvogel wären vollendet worden, dessen drei Söhne zugleich die Kunst des Vaters übten und es wohl auch zur Meisterschaft bringen würden. Obwohl Max, sonst ein Freund aller Künstler, gern von allen erzählen hörte, und sie auch selbst aufzusuchen oder zu sich zu bescheiden pflegte, so mochte er doch im Augenblick, wo ein großer Gesammteindruck ihn erfaßt hatte, Nichts vom Einzelnen hören, und sagte kurz abweisend: »Wir sprechen nachher davon,« indeß er zu Ulrich sagte: »Hier ist Leben und Bewegung, und doch ein Bau, der von Ewigkeiten spricht, der Stand halten wird im Sturm der Zeiten. Tausende haben daran gebaut, und ist doch ein Geist in dem Ganzen, und hat doch jeder einzelne Stein seine Stimme, aber alle klingen zusammen in einer großen Harmonie. Ich wollte, ich könnte das deutsche Reich erbauen wie einen Dom.«

»Erbau es nach einem solchen!« sagte Ulrich feierlich. »Du bist der erste deutsche König, der einen Einblick [183] gewonnen in die Mysterien eines solchen Baues; zeige es den Geweihten, daß Du ein echter Schüler bist des Albertus Magnus und so durchdrungen von seiner erhabenen Lehre, daß Du gar nicht anders kannst, als sie auf alle Verhältnisse anwenden. Sieh', kein Profaner hat den Schlüssel zu dem geheimen Grundprinzip unseres Tempelbaues; aber im Tempel selbst beten alle Profanen an, von der göttlichen Macht bezwungen; sie verstehen nicht die heiligen Symbole, aber die gewaltige Harmonie, die aus den Steinen redet, klingt in allen Herzen wieder, alle beten an und fühlen: so muß es sein, so lobt das Werk die Meister, die sich selbst verbergen und nur still sich freuen, daß sie Ewiges geschaffen im Endlichen, geschaffen in einem Geist und doch mit tausend Händen.«

»Bruder Ulrich,« versetzte Max, indem er dem begeisterten Sprecher tief in die Augen sah, »ich fürchte, wenn ich auch den Grundriß mache gleich dem besten Baumeister: die tausend Hände werden fehlen, die willig sind und geschickt, die Steine nach dem Plan zusammenzufügen zur Harmonie eines ewigen Baues.«

»Sie werden nur fehlen, wenn der Aufschwung fehlt, der Glaube an die Macht des Ganzen!« fiel ihm Ulrich in's Wort; »aber Beides wird kommen, wenn[184] die Stimme des Meisters ruft und sie den Grundstein gelegt sehen zu einem neuen Bau. Du hast die erhabene Sendung empfangen, das Haupt des deutschen Reichs zu sein: so stelle Dich hin mit Zuversicht in seine Mitte; sei nicht nur der Baumeister, der den Plan entwirft, sei selbst der Mittelpunkt des Sechsortes, sei die Grundlinie in dem Achtort, sei der Zirkel, der darinnen steht und den heiligen Kreis um sich zieht, und das erste Quadrat trage Wahrheit, Freiheit, Recht und Kraft an seinen Spitzen, denn darin ruhet die Signatur Gottes, und das zweite Quadrat sei die Einheit, die das Achtort bildet, und darauf allein baue weiter: dann wird das ganze Volk in Deinen Tempel strömen, preisen und danken und sich neigen vor der göttlichen Macht.«

»Fürwahr,« sagte Max, »ich möchte wissen, ob je Albertus Magnus sich hätte träumen lassen, daß seine Lehre vom Kirchenbau einmal solche Anwendung finden würde auf das Reich.«

»Warum nicht diese?« fragte Ulrich. »Er hat den Tempelbau als Gottesdienst selbst gelehrt, und solcher ist es auch den Tempel einer Nation zu erbauen; das Höchste wird vollbracht, wenn es den höchsten Maßstab an sich legt. Hier ist Leben und Bewegung, sagtest [185] Du vorhin selbst, ›und doch ein Bau, der Stand halten wird im Sturm der Zeiten!‹ Siehe, so ist es! gerade nur ein solcher vermag zu dauern, den das Leben sich frei entfalten läßt und keine Bewegung verhindert. Denke Du auch so auf dem Thron des deutschen Reichs. Hindere keine Bewegung im Volke, die nicht das Ganze bedroht, hindere keine Bewegung im Reich der Geister, gieb nicht zu, daß die Pfaffen sie jemals hindern! Was wir als Geweihte erkannt und um unsere Erkenntniß wenigstens anderen Geweihten durch Symbole mitzutheilen, und da und dort auch den Profanen, wenigstens solchen, die in den Steinen lesen können, in unsern Wahrzeichen kund thun, daß wir, die wir zum Kirchenbau berufen, doch die Gebrechen der Kirchendiener und Verfassung erkennen: das vergiß nicht draußen im Reich: herrsche mit der Krone und dem Scepter Karl's des Großen, aber laß den Kaiserthron mehr sein als einen Fußschemmel unter dem päpstlichen Stuhl.«

Max antwortete nichts mehr, weil er nichts mehr hören mochte. Nur der freie Maurer durfte eine solche Sprache reden, nur als freier Maurer durfte er sie anhören. Noch war er ja nur König, noch nicht Kaiser. Er wandte sich von Ulrich zu Anton Kreß, der [186] als stiller, staunender Zuhörer neben ihm geblieben war. Ihn schienen Maxens Blicke zu fragen: Was dünket Euch von solcher kühnen Rede?

Als Antwort flog ein väterliches Lächeln über das wohlgenährte Gesicht des Propstes und er sagte nur: »Ein begeisterter Schwärmer, der Entwürfe zu Riesenbauten in seinem Kopfe trägt, für die ein Dom von Stein noch eine zu kleine Aufgabe, so daß sie darüber hinaus sich in fremde Regionen wagen. Das legt sich mit den Jahren. Ich habe auch schon Steinmetzen gekannt, die Pläne zu himmelhohen Thürmen entworfen, und dann froh waren, wenn ein Sacramentshäuslein daraus zu Stande kam.«

Als der König mit der Besichtigung der Lorenzkirche fertig war, begab sich der Zug der Baubrüder in die St. Sebastianskirche, denn auch dies herrliche Bauwerk hatte Max noch nicht gesehen, da er ja zum ersten Male in Nürnberg war. In der großen steinernen Bauhütte, die seit dem Kirchenbau dem Rathhaus gegenüber erbaut worden und stehen geblieben, sollte das Festmahl, die Zeche gehalten werden, da diese Bauhütte größer war als jene und jetzt auch nicht darin gearbeitet ward, der Raum darin also vollkommen frei war. Man hatte sie neu mit schönem Ultramarin [187] ausmalen lassen, und überall glänzten auf dem himmelblauen Grunde Zirkel, Winkelmaß und Dreieck. Das Bild des heiligen Johannes befand sich in der Mitte auf Goldgrund gemalt, und in einiger Entfernung glänzte auf der himmelblauen Wand ein Kranz goldener Sterne darum. Das Sechs- und das Achtort waren zu beiden Seiten an die Wand gezeichnet. Unter jenem stand:


»Des Steinwerks Kunst und all' die Ding'
Zu forschen, macht das Lernen g'ring.
Ein Punkt, der in den Zirkel geht,
Der im Quadrat und Triangel steht.
Trefft Ihr den Punkt, so seht Ihr's klar,
Und kommt aus Noth, Angst und Gefahr.
Hiermit hab't Ihr die ganze Kunst.
Versteht Ihr's nicht, so ist's umsunst.
Alles, was ihr gelernt hab',
Das klagt Euch bald, damit fahrt ab!«

Die Acht war den Theosophen von jeher die wichtigste Zahl als doppelte Vier die Signatur Gottes in der sichtbaren Welt. Die Zahlen des Achtortes umgaben hier dasselbe: 1. 3. 4. 5. 7. 9. 10. 12 als solche, die alle in dem Zirkel liegen und deren Grundlage die Wurzel 1 ist. Aus Eins entspringt Drei, aus Drei: Vier, die Zahl der Buchstaben im Namen Gott, der fast in allen Sprachen deren vier hat. Unter dem Achtort stand:


[188]
»Was in Steinkunst zu sehen ist,
Das kein Irr- noch Abweg ist:
Sondern schnurrecht ein Lineal
Durchzogen vom Zirkel überall.
So findest Du Drei in Vieren steh'n
Und also durch Eins in's Centrum geh'n.
Auch wieder aus dem Centrum in Drei
Durch die Vier im Zirkel ganz frei.«

In der Mitte befand sich eine große Tafel mit blauen Bechern besetzt und hohen Armleuchtern, auf denen dicke Wachskerzen brannten, denn die Fenster der Hütte waren mit schweren Läden aus eichenem Holz mit Eisen beschlagen verschlossen, damit kein profanes Auge von außen einen Blick in die Hütte zu werfen wage.

Drinnen wurden Bundeslieder gesungen und einander zugetrunken auf das Wohl der Baubrüderschaften und auf das des Bruders Max.

Nachdem dieser schon manches schöne Wort gesprochen, das günstig für deren ferneres Gedeihen mochte gedeutet werden, und der Stoff der Reden erschöpft schien, stand er nochmals auf und sagte:

»Ich habe noch Etwas auf dem Herzen. Es ist einem meiner Ritter unter Spott und Schimpf auf dem Feste der Bürgerschützen sein Schwert entrungen worden, und seiner Beschreibung nach ist es ein Trupp [189] Baubrüder gewesen, der sich dessen unterfangen hatte. Ich will hier nicht Gericht als König hegen, aber ich will meine Brüder bei ihrem Eid befragen, wer das gewesen und wie sich die Sache verhält?«

Ulrich und Hieronymus standen auf und traten vor. Ersterer sagte: »Ich hieß den Ritter sein Schwert vom König fordern, wenn er es wieder haben wolle, da er allein entscheiden könne, ob er würdig sei es wieder zu empfangen. Bis dahin nahm ich es an mich. Ich dachte weder, daß der Ritter seine Schuld bekennen, noch daß er seinen Herrn so frech belügen würde.« Und er erzählte wahrheitsgetreu, was auf der Hallerwiese sich zugetragen, und Hieronymus bestätigte es.

»Gehörte das Frauenzimmer zu den Familien der Genannten?« fragte der König.

Hieronymus antwortete: »Es war die Gemahlin des Herrn Christoph Scheurl, Elisabeth, aus dem hochangesehenen Geschlecht der Behaim.«

Maxens Augen blitzten. Er sagte zu den Beiden: »Nicht wahr, es steht schlimm, wenn Ihr, die Ihr das friedliche Gewerbe heiliger Baukunst treibt und Euch fern halten müßt von allen holden weiblichen Wesen, genöthigt seid die Ritter eines solchen gegen einen Ritter meines Gefolges zu werden? Ich werde ihm sagen, [190] daß er sein Schwert wieder haben solle, aber erst wenn er die Ringmauer dieser guten Stadt hinter sich habe, die ich ihm befehlen werde schleunig zu meiden, da seine Gegenwart nur mir und meinen Begleitern zu Schimpf und Schande gereichen könne!«

[191]

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. 8. Kapitel. Das Achtort. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-652E-3