Sechstes Capitel
Maximilian I

Der fünfzehnte August 1489 war der Tag, an welchem die Nürnberger den künftigen Kaiser und jetzigen römischen König zum ersten Male in ihren Mauern zu empfangen erwarteten.

Die Nürnberger waren ein stolzes, eigensinniges Völkchen. Sie legten nicht etwa ein großes Gewicht auf die Gunst und Gegenwart gekrönter Häupter, denn sie meinten dazu nicht sonderlich Ursache zu haben. Was war denn in ihren Augen solch' eine blutige Krone eigentlich werth? Oft nicht halb so viel, als die in den Niederlagen der Tucher oder Behaim, der Ebener oder Haller aufgestapelten Waaren! Die meisten dieser Fürsten hatten ja kein Geld, sondern mußten es erst von ihren Unterthanen erbitten, oder durch die Brandschatzungen belagerter Länder sich zusammenrauben, und selten lebte Einer friedlich im Besitz seiner Länder, [126] sondern ward ewig in Athem gehalten von dem unruhigen Nachbar. Oft genug mußte ja der Rath von Nürnberg aushelfen mit Geld und Truppen, und daneben noch sich selbst beschützen gegen die Plackereien der Raubritter, welche die Fehdelust ihrer fürstlichen Herren untereinander nachahmten und auf ihren verwitterten Burgen von den Gütern lebten, die sie auf der Landstraße geraubt. Ein Nürnberger Raths- und Handelsherr sah verächtlich auf diese Leute herab und freute sich seines reichsstädtischen Wohlstandes, und ganz Nürnberg rühmte sich, keinen andern Herrn über sich zu erkennen, als den Kaiser. Aus denselben Gründen war auch der Respekt vor diesen Kaisern nicht gar groß, von denen auch nur wenige Kraft besaßen, das Reich in Ordnung zu erhalten und der hohen Würde sich erfreuen zu können; aber Manches, was auf diese kaiserliche Majestät sich bezog, gehörte mit zu den besondern Privilegien Nürnbergs, und auf deren Bewahrung hielt die Stadt mit eigensinniger Unverbrüchlichkeit. Dazu gehörte das Recht, die Reichskleinodien in der Heiligengeistkirche aufzubewahren, und die Verpflichtung jedes Kaisers seinen ersten Reichstag in Nürnberg zu halten. Dadurch eben, daß sie den Kaiser selbst zuweilen in ihrer Mitte hatten, daß er bei ihnen Wohnung[127] nahm, an ihren Festen sich betheiligte, mit den Rathsherren zechte und mit ihren schönen Frauen tanzte, fühlten sie sich stolz in ihrem Rechte, keine Mittelsperson zwischen sich und ihm nöthig zu haben, denn mit den einzigen, die es etwa gab, den Grafen von Zollern und Brandenburg, die sich auch Burggrafen von Nürnberg nannten, hatten sie ewige Streitigkeiten über unklar bestimmte Gerechtsame.

In der That waren diese Verhältnisse sehr verwickelter Art. Auf der Veste von Nürnberg hatte ein Burggraf seinen Sitz, der als kaiserlicher Statthalter das Landgericht über das außerhalb der Stadt gelegene nürnbergische Gebiet zu hegen hatte. Schon seit langer Zeit waren die Burggrafen zu Nürnberg aus der Familie der Zollern und Abenberg. 1427 verkaufte Markgraf Friedrich von Brandenburg die Ruinen der Veste Nürnberg (die Ludwig der Bärtige 1420 in einer Fehde mit dem Burggrafen Johann hatte niederbrennen lassen, wobei die Nürnberger zwar nicht direkt, aber indirekt betheiligt waren, indem sie »still saßen« und nicht löschen halfen) mit ihrem Zubehör und Gerechtsamen an die Stadt Nürnberg. Der Kaiser Sigismund bestätigte den Kauf und belehnte die Stadt mit den vom Burggrafen abgetretenen Rechten. [128] Dadurch glaubten die Nürnberger, welche die Veste wieder aufbauten, einen großen Vortheil erlangt zu haben. Aber dieser Handel war nur die Quelle neuer Streitigkeiten mit dem unruhigen Nachbar. Das Burggrafenthum Nürnberg theilte sich früher in zwei Linien: in die Fürstenthümer Baireuth oberhalb Gebirgs undAnspach unterhalb Gebirgs. Beide Linien vereinigte Markgraf Albrecht Achilles (er hatte diesen Beinamen wegen seiner Schönheit und Ritterlichkeit) von Brandenburg-Anspach, der Nürnberg heftig bekämpfte und ihm in acht Schlachten den Sieg abgewann. Er starb 1486 in Frankfurt, als Max I. zum König gekrönt ward, und sein Sohn Friedrich der Aeltere ward sein Nachfolger.

Dies war der Markgraf Friedrich von Brandenburg, der jetzt sammt seinen Mannen mit dem deutschen Reichsheer nach den Niederlanden gezogen war, als Max auf der Kranenburg zu Brügge gefangen saß. Jetzt war er mit auf dem Reichstag zu Frankfurt, und ward nun auf der Veste mit dem römischen Könige erwartet.

Ueberall waren die glänzendsten Vorbereitungen zu seinem Empfange getroffen worden. Fast schien es, als habe man den ganzen Reichsforst geplündert, die Stadt [129] in einen Garten mit grünen Bäumen zu verwandeln. Hinter dem Thor, durch das er kommen mußte, war eine Ehrenpforte mit zierlich in Holz geschnitzten Spitzbogen erbaut und zeltartig mit prachtvollen, in Nürnberg selbst gewebten Stoffen in den drei Farben des deutschen Reichs überkleidet. Dazwischen waren auch die Stricke verborgen, an welchen kleine Kinder schwebten, die an ihren weißen Kleiderchen goldene Flügel hatten und sich, wenn sie auch Engel vorstellen sollten, in ihrer gefährlichen Lage keineswegs wie im Himmel befinden mochten. Zwei der schönsten Jungfrauen standen oder schwebten vielmehr auch nur auf hohen Piedestalen zu den Seiten dieses kleinen gothischen Baues. Die tadellosen Gestalten waren nur wenig von dünnen, flatternden Gewändern und Blumenguirlanden verhüllt und trugen goldene, blumengefüllte Füllhörner, deren Inhalt auf den Erwarteten zu schütten. Andere, minder anstößig gekleidete Mädchen standen zum Blumenstreuen bereit. Der Magistrat hatte sich in glänzender Amtstracht auf dem Rathhaus versammelt, dem König entgegenzuziehen. Voran die beiden Loosunger Hans von Tucher und Wilhelm Holzschuher, dann die drei obersten Hauptleute, die sieben älteren Herren, alle Bürgermeister und Schöppen, der ganze große und [130] kleine Rath, darunter auch Christoph Scheurl, sein Schwiegervater Martin Behaim und Gabriel Muffel. Auch die Genannten und Patriziersöhne hatten sich eingefunden, im Reichthum einer ausgesuchten Tracht einander gerade so wie die Frauen überbietend, und unter ihnen war es Stephan Tucher gelungen, sich am meisten hervorzuthun. Alle Zünfte mit ihren Fahnen standen bereit, die Meister voran, gefolgt von dem langen Schweif der Gesellen und Lehrlinge. Auch die Steinmetzen der Nürnberger Baubrüderschaft fehlten nicht, der blonde Hieronymus trug ihre Fahne und hielt sie hoch empor, damit sie mit den goldenen Zirkeln auf strahlendem Himmelblau dem König entgegenwinke, der schon einst auf einem Hüttentag zu Wien sich selbst als Mitglied der Bauhütte hatte aufnehmen lassen und ein Baubruder geworden war. Von allen Häusern zogen sich grüne Festons über die Straßen oder unter den Fenstern hin, aus vielen derselben hingen kostbare Teppiche nach venetianischer Sitte, welche man hier so gern nachahmte, und im gewähltesten Putz schauten die Frauen daraus hervor. Durch die Straßen, durch welche der Zug kommen mußte, drängte sich die Menschenmenge Kopf an Kopf, kaum in Schranken gehalten von den Rathsdienern, Stadtschützen und Bütteln, die seit einem [131] Jahrzehent mit Wehren versehen worden waren, um sich mehr Respekt verschaffen zu können.

Ein dreimaliger Stoß in ein großes Horn auf der Veste, das Kaiser Friedrich bei seiner letzten Anwesenheit daselbst hatte anbringen lassen, das seitdem aber außer Gebrauch gekommen, gab endlich das Zeichen von der Ankunft des Ersehnten. Alles gerieth in Bewegung, selbst die Rathsherren auf dem Rathhaus, die Züge ordneten sich, die Volkshaufen auf den Straßen machten den Stadtschützen immer größere Noth, und die Frauen legten sich so weit aus den Fenstern, daß man von manchen fürchten konnte, sie möchten gar hinausfallen.

Der Zug kam nicht durch die Straße, in welcher Ursula wohnte, darum war sie zu Elisabeth gegangen. Da standen sie wieder Beide in dem zierlichen Chörlein, von dem aus sie so bequem auf die Straße sehen konnten und den Ankommenden gerade in's Gesicht. Sie hatten die großen Fenster ganz geöffnet und wurden so auch hier mehr gesehen, als an jedem andern Platz. Unwillkürlich lenkten sich schon alle Blicke nach dem überhaupt noch ganz neuen und darum ganz blank aussehenden Hause, an dem auch jetzt sein Besitzer nichts gespart hatte, die bleibende Pracht desselben noch durch nur auf diesen Tag berechneten Schmuck zu erhöhen. [132] Um die durchbrochene Arbeit an dem Chörlein noch schöner hervortreten zu lassen, waren Blumen dahinter angebracht, und durch Grün und Blumen das Ganze in einen Blumentempel verwandelt. Die Fenster waren ausgehoben und nur die oberen buntgemalten Bogenfenster strahlten im Sonnenglanz, golddurchwirkte Teppiche deckten die Brüstung, und hinter dieser standen die beiden Damen, Ursula in zartes Rosa gekleidet, Haar und Kleid mit weißen Rosenguirlanden geschmückt, und Elisabeth in grünen golddurchwirkten Brokat von auffallendem Schnitt nach portugiesischer Art. Ein dünner Schleier war durch ein funkelndes Stirnband gehalten und gleiche kostbare Steine in Gold gefaßt glänzten an ihren weißen Armen und ihrer Brust.

Wohl Wenige zogen vorüber, ohne einen Blick auf die beiden mehr als alle andern sichtbaren Schönheiten zu werfen, und sowohl vor ihnen als vor der Gattin des hochangesehenen Christoph Scheurl neigten die Fahnenträger ihre Fahnen; selbst Hieronymus that es und flüsterte dem neben ihm gehenden Ulrich zu:

»Das ist nicht nur die schönste, sondern auch die aufgeklärteste Frau in Nürnberg.«

Unwillkürlich weilten Ulrich's Augen mit ihrem begeisterten Ausdruck lange auf der schönen Frau, so daß [133] diese halb von einem höhern Gedanken entzündet, halb von dem ihr zuweilen eigenen Muthwillen erfaßt, eine weiße Rose aus einem für den König bereitgehaltenen Blumenkorb nahm und sie gutzielend in Ulrich's Gesicht warf, indem sie zu Ursula lächelnd sagte:

»Ich bin eine begeisterte Anhängerin dieser Baubrüder, und ärgere mich doch über sie, daß sie keine Frauen unter sich dulden. Ich glaube, dieser hübsche Geselle mit der stolzen Haltung verdient schon eine Strafe, daß er mich seines Blickes gewürdigt.«

»Und Du giebst sie ihm selbst durch diese Handlung oder verdoppelst sie, indem Du die Aufmerksamkeit auf ihn lenkst?« sagte Ursula erschrocken und vorwurfsvoll.

Ulrich hatte indeß die Rose aufgefangen und antwortete mit einem stolzen verweisenden Blick. Die Rose aus profanen Frauenhänden annehmen mocht' und durst' er nicht, und gleichwohl mochte er sie auch nicht zertreten lassen. Er warf sie auf gut Glück zur Seite unter die Volksmenge.

Elisabeth's Augen flammten. Das war ihr noch nicht begegnet, daß ein Mann, der eine Blume von ihr empfangen, dieselbe weggeworfen.

Ursula sagte: »Sieh dort das hübsche kleine Mädchen mit den schwarzen Zöpfen, das Deine Rose aufgefangen [134] und jetzt mit glücklichem Lächeln sich ansteckt?«

»Welcher Schimpf!« rief Elisabeth und starrte das kleine Mädchen an, als habe sie ein Gespenst gesehen. Es war wirklich ein hübsches Kind von etwa fünfzehn Jahren, mit braunen Feueraugen und schwarzen glänzenden Zöpfen. Ihr Anzug von braunem Schetter zeigte nichts Auffallendes, als ein paar gelbe Streifen an den Aermeln. Diese Streifen, die Ursula übersehen, erblickte Elisabeth, und sie waren die Ursache ihres Entsetzens. Daran erkannte sie, daß ihre Rose in die Hand eines Judenmädchens gekommen, denn der Rath, welcher die Juden, des Reichs Kammerknechte haßte, und am liebsten ganz aus der Stadt verbannen wollte, war vor Kurzem auf den Einfall gekommen, sie durch besondere Abzeichen an der Kleidung kenntlich zu machen, damit nicht ehrbare Christenmenschen Gefahr liefen, mit den als unehrlich betrachteten Juden in Berührung zu kommen. So war den Jüdinnen jetzt aufgegeben worden, als Kennzeichen gelbe Streifen an den Aermeln zu tragen. Nur die außerordentliche Gelegenheit und das Volksgedränge, in dem man mehr auf die Züge als aufeinander blickte, waren wohl die Ursache, daß dies Judenmädchen unbemerkt geblieben und unter der Menge geduldet worden war.

[135] Fand nun schon Elisabeth die bitterste Kränkung darin, daß der Baubruder, der ihr Interesse erregte, ihre Rose wegwarf, so empfand sie es als Schmach, daß sie nun in den Händen einer Jüdin war, die sie, unbeschadet ihres Rufes »die aufgeklärteste Frau von Nürnberg« zu sein, auf's Tiefste verachtete und sich vor jeder Gemeinschaft mit ihnen entsetzte. Und wenn nun gar der Baubruder das mit Absicht gethan? war das nicht ein viel größerer Hohn für sie, als wenn er die Blume selbst unter seine Füße geworfen?

Ursula dachte wie die Freundin und bedauerte sie – aber sie hatte nicht Zeit diesem Gedanken nachzuhängen, da eben die Rathsherren unten vorüberzogen und Herr Hans von Tucher einen prüfenden Blick auf sie warf, unter dem sie zitterte wie Espenlaub. Es würde dies wohl weniger der Fall gewesen sein, wenn sie gehört hätte, wie der alte Herr zu seinem Begleiter sagte:

»Die Jungfrau Muffel ist wirklich ein holdes Kind, und ich kann es meinem Sohn nicht verdenken, daß er in sie verschossen ist – wäre sie nur nicht eine Muffelin, nichts weiter sollte mich kümmern.«

»Ja,« antwortete Herr Holzschuher, der seine alten Augen auch gern anstrengte, wenn es nach schönen[136] Frauen zu blicken gab: »Sie gefällt mir in ihrer sittigen Art auch besser, als die Scheurlin, die vor Hochmuth nicht weiß, wie sie sich geberden und kleiden soll, um nur ja den Leuten zu zeigen, wie reich und schön sie ist. Was aber Euren Sohn betrifft, so riethe ich Euch doch, ihn bald wieder fort zu schicken, denn wenn er seine Geliebte oft so sieht, so ist er nicht der Mann, auf Euer Gebot hin sich von ihr abbringen zu lassen.«

»Freilich,« antwortete der Vater; »mein Sohn ist kein Tugendspiegel, und hat wohl schon bei manchem hübschen Kinde sein Heil nicht vergeblich versucht, indeß ist die Muffelin selbst ein Muster von Zucht und Ehrbarkeit, und darauf trau' ich. Aber Ihr habt' Recht, es ist besser, der Stephan geht wieder aus Nürnberg, und sieht er wo anders schöne Frauen, so wird er sich auch zu trösten wissen.«

Als Herr Scheurl an seinem Hause vorüberkam und wohlgefällig lächelte, wie schön sein Haus und wie noch schöner seine Hausfrau sich ausnehme und Aller Blicke auf sich ziehe, konnte er sich nicht erklären, warum sie so verstört hinabstarre – aber jetzt bemerkte sie ihn und zwang sich zu einem Lächeln.

Ursula dachte indeß nicht mehr an den alten Tucher, sondern spähete nach dem Sohn. Nur um seinetwillen [137] weilte sie hier, nur um seinetwillen hatte sie sich geschmückt, nur um ihn zu sehen und von ihm gesehen zu werden. Was galt ihr denn der König? was alle die Edlen, die mit ihm kamen, und alle diese Leute, die festlich vorüberzogen? Sie dachte nur an Stephan, und nur der Augenblick, in dem er vorüberschreiten werde, war ihr der ersehnte. Sie hatte ihn seit dem Wiedersehen in diesen selben Räumen immer nur flüchtig gesehen auf der Straße oder in der Messe und von sich entfernt zu halten gewußt. Auf diesen Tag hatte sie ihn vertröstet. Freilich nicht nur auf diesen Moment, sondern auf die Festlichkeiten, die man dem König zu Ehren veranstaltete, bei denen doch Niemand von den Geschlechtern fehlen dürfe und sich Gelegenheit finden werde zusammen zu sprechen und zu tanzen. Als Stephan mit zärtlichen Liebesblicken vorübergegangen, zog sich Ursula ein Weilchen vom Fenster zurück – nun gab es ja Nichts mehr für sie zu sehen.

Aber jetzt tönte das Horn von der Veste wieder und schmetternde Trompetensignale, und das damit sich vermischende, von fern her tönende Vivatrufen der bewillkommenden Menge verkündigte, daß der König die Stadt betreten und daß die ersten Begrüßungen stattfänden.

[138] Nach einiger Zeit kam derselbe Zug wieder vorüber – aber Rosseshufe erschallten dabei, denn der König mit seinem Gefolge war in seiner Mitte.

Sein Anblick schon, seine ritterliche Art und sein freundliches Wesen hatten alle Herzen gewonnen. Ohnehin freute sich die versammelte Menge um so mehr seiner Ankunft, als sie recht eigentlich nur ein Besuch für Nürnberg war und er damit die Stadt nicht nur pflichtgemäß bei Gelegenheit eines Reichstags beehrte, sondern einzig und allein ihretwegen kam. Dazu kam auch, daß fast die ganze lebende Generation keinen andern Kaiser als den nun siebzigjährigen Friedrich III. gesehen und seiner nachgerade überdrüssig geworden war. Ein ganz anderes Ereigniß war da denn doch der Einzug dieses ritterlichen Sohnes und künftigen Kaisers, auf den das Reich so große Hoffnungen setzte, zumal gerade jetzt, wo die niederländischen Händel endlich beendigt waren wie sein Kampf mit Frankreich, und er nun einzog als ein ruhmwürdiger, sieggekrönter Held und, was bei den Nürnberger Kaufleuten die Hauptsache war, nicht mehr als ein König ohne Land und Einkünfte, schon im Besitz der Niederlande und Tirols, und im Begriff, seine Habsburgischen Erblande sich wieder zu erobern. Wußte man doch, daß er in allen [139] Stücken der entschiedenste Gegensatz seines trägen, thatenscheuen, geizigen, immer nur die unmittelbarsten Vortheile berechnenden Vaters war, daß er viel mehr Geist und Herz von seiner Mutter, der schönen und heldenmüthigen Eleonore von Portugal geerbt hatte, die ihm leider schon 1467 im erst vollendeten dreißigsten Jahre entrissen ward. Ritterlich bis zu abenteuersüchtiger Kühnheit, freigebig bis zur Verschwendung, voll Begeisterung für die große Vergangenheit des Kaiserreiches schwärmte er in dem Gedanken einer Wiedererneuerung des alten Glanzes desselben, und war so ganz ein Mann nach dem Herzen des deutschen Volkes, das in seinem bessern Theil auch die Einheit des Reichs erstarken und durch eine achtunggebietende Gestalt vertreten zu sehen wünschte.

Da erschien er nun hoch zu Roß in blitzender Rüstung von blankem Stahl mit goldenen Verzierungen. Darüber den purpurnen Sammtmantel mit goldener Strickerei und Hermelin besetzt, auf den goldenen Locken den blitzenden Helm mit wehenden Federn. Er war von ansehnlicher Größe, stark und schön gebaut, und eben jetzt in der Blüthe des Mannesalters von dreißig Jahren, in Kraft und Vollendung strahlend. Sanft gebräunt war sein Antlitz von den Strapazen im freien [140] Felde, aber seine Wangen blühten in dem frischen Roth der Gesundheit. Unter der startgewölbten Stirn glühte aus seinen blauen Augen ein liebliches Feuer und die Adlernase hatte einen gebietenden Ausdruck. Ein blonder Bart umfloß ringsum die purpurnen Lippen.

Nach allen Seiten winkte und grüßte er freundlich, nur auf ihn weilten alle Blicke, und die Jubelrufe, welche ihm zutönten, waren ein unwillkürlicher Erguß des Beifalls und der Begeisterung, die sein Anblick hervorrief.

Als er an Elisabeth's Chörlein vorüberkam, bog sich diese weit aus demselben heraus, und indeß sich die Damen an andern Fenstern begnügten mit ihren Tüchern zu wehen, warf sie dem ritterlichen König Blumen entgegen. Sie sollten zu den Füßen seines Rosses fallen, aber eine davon traf an das Ohr des edlen Thieres, daß dasselbe darüber scheu werdend hoch aufbäumte – Elisabeth stieß einen Schrei aus – da sah sie, wie ein Reiter, der zunächst hinter dem König geritten, in abenteuerlich bunte Tracht gekleidet und mit einem jener wunderlichen Gesichter, die bald wie die harmloseste Gutmüthigkeit, bald wie die schalkhafteste Bitterkeit aussehen, zu ihm sprengte und dem Pferd in die Zügel fallen wollte. Max lachte über dies Beginnen [141] und hatte es selbst schnell gebändigt, indeß sein Begleiter, der niemand Anders als sein treuer Freund und Hofnarr Kunz von der Rosen war, das Pferd von den an ihm haften gebliebenen Blumen befreite und das Schalksgesicht auf Elisabeth gerichtet, dem König einige Bemerkungen über sie zuflüsterte, die vielleicht nicht ganz zarter Natur waren. Aber Max lächelte zu ihr hinauf und neigte sein Schwert vor ihr, nahm die Blumen aus der Hand des Narren und mit ihnen dankend zu ihr emporwinkend steckte er sie an sein Schwertbehänge.

Elisabeth neigte sich tief vor dieser königlichen Huldigung – durch sie fand sie die Schmach, die sie sich vorhin angethan wähnte, wieder gesühnt; wenn dieser königliche Held sich dankend mit ihren Blumen schmückte, dann mochte immerhin der arme Steinmetzgeselle sie verächtlich bei Seite werfen! Aber sie war noch eben so verwirrt von dem Schreck über das bäumende Roß, wie von der Ehrenbezeugung des Königs, wie dessen ganzer herrlicher Erscheinung, daß sie nur ihm unverwandt die Blicke ihrer Feueraugen nachsandte; so bemerkte sie auch den Gruß des Markgrafen Friedrich von Brandenburg nicht, und nur Ursula verneigte sich vor ihm. Er ritt gleich hinter Max und [142] trug einen kurzen Sammetrock, roth, grau und weiß getheilt, eben so die Aermel, darüber einen kurzen grauen Sammetmantel mit roth und goldener Stickerei. Seit er nicht hier gewesen, war das schöne Scheurl'sche Haus neu entstanden, und er widmete ihm darum seine besondere Aufmerksamkeit. So hatte Elisabeth auch für die andern Ritter und Herren kein Auge, die im Gefolge des Königs waren, obwohl jetzt um so mehr aller Blicke auf ihr ruhten, seit sie dessen Huldigung in so auffallender Weise empfangen und allerdings in gleich auffallender Weise herausgefordert. Unter diesen Rittern befand sich einer ganz in schwarzen Sammet mit Silberstickerei gekleidet, den es nicht minder als Markgraf Friedrich zu verdrießen schien, daß Elisabeth ihn nicht gewahrte. Sein Gesicht sah ziemlich bleich und wüst aus, und in seinen dunklen Augen schien ein unheimliches Feuer zu drohen. Einen solch' unheimlichen Eindruck machte er überhaupt auf Ursula.

Zu ihr sagte Elisabeth, als Alles vorüber war: »Ursula! das ist der einzige schöne Mann, den ich je gesehen – er verdient es zu herrschen! – Das war seit langem der erste glückliche Augenblick!«

Elisabeth's ganzes Wesen war in solcher Aufregung, daß Ursula sie erstaunt betrachtete; aber sie vermochte [143] nicht weiter mit ihr zu sprechen, denn eben stürmte Stephan in das Zimmer, der eine günstige Gelegenheit gefunden, sich aus dem Getümmel fortzuschleichen, da er der Versuchung nicht widerstehen konnte, sich wenigstens auf Augenblicke der holdseligen Geliebten zu nähern.

[144]

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. 6. Kapitel. Maximilian I. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-659F-3