Viertes Capitel
Konrad Celtes

»Unter der Veste« erhob sich ein neues Prachtgebäude, das eben erst in diesem Jahr beendet worden. Es war auch nur das Wohnhaus eines Patriziers, aber fast das schönste Nürnbergs. Ein Eckhaus, breit und tief und hochaufsteigend zugleich, die immer noch Raum zu neuen Verschönerungen ließ, wie z.B. der Tragstein an der Ecke noch mit keiner Statue geschmückt war und die einzelnen Absätze des treppenartig ausgeschnittenen Giebels auch noch ihrer Standbilder harrten. Im Innern war es mit ausgesuchter Pracht und Kunst eingerichtet und bekundete den Reichthum seines Besitzers.

Dies war Herr Christoph Scheurl, der mit zu den angesehensten Geschlechtern gehörte. Erst seit wenigen Wochen hatte er dies neue Haus bezogen, nachdem seine Hochzeit mit Elisabeth Behaim stattgefunden, eine ebenbürtige Wahl, denn auch die Behaim waren ein [72] altes rathsfähiges Geschlecht und auch im Ausland durch ihre Niederlagen in Venedig und den Handel, den sie nach Portugal trieben, wohlbekannt und in großem Ansehen.

Die junge Gattin war allein. In einem prachtvollen Chörlein, das sich weit vorspringend an der Ecke des Hauses befand, saß sie am offenen Fenster und blickte träumerisch hinab auf die Straße, zuweilen auch auf eine zierliche Schrift, die auf ihrem Schooße lag.

Sie war eine ziemlich große prächtige Gestalt mit schwellenden Formen und edler stolzer Haltung. Auch in ihrem schönen Antlitz schien ein Zug von Stolz der vorherrschende zu sein. Aber man sah es auf den ersten Blick: es war nicht die Hoffarth und Eitelkeit einer verwöhnten Schönheit, es war nicht der Hochmuth auf Vornehmheit und Reichthum, was diesen Zug hervorrief: es war der Stolz eines selbstbewußten Weibes, das über das gewöhnliche Geschlecht und die gewöhnlichen Verhältnisse sich selbst emporgehoben. In diesen strahlenden Augen las man von innern Kämpfen, und der lächelnde Zug um die Lippen war nicht der des Glückes und der Befriedigung, möge sie aus naiver Unerfahrenheit oder aus beglückenden Verhältnissen kommen, sondern mehr das Lächeln einer Welterfahrung, [73] die zur Weltverachtung geworden. Sie stand etwa in der Mitte der Zwanzig und sah auch sonst nicht aus wie ein Wesen, das schon in solcher Weise mit der Welt abgeschlossen hätte – nur jenes Lächeln abgerechnet. Das Haar umwallte sie in malerisch geordneten Locken, die im Nacken goldene Nadeln emporhielten, die vordersten aber fielen auf die Brust herab. Ihr Kleid war von violetter Seide, einem Stoff, den man Zündel hieß, und nach venetianischem Schnitt, die offenen Aermel fielen bis zum Boden und ließen die weißen schöngeformten Arme ohne bedeckende Hülle; man müßte denn als solche die zahlreichen kostbaren Spangen betrachten, von denen man nicht wußte, ob ihr Werth größer sei durch die Pracht ihrer Steine und deren Fassung, oder durch die kunstreiche Arbeit ihres Verfertigers. Aehnlich geschmückt zeigten sich auch Hals und Brust. An dem kleinen vorgestreckten Fuß gewahrte man einen zierlichen Schuh von gelbem Leder mit goldener Stickerei und einem vorn lang- und emporgestreckten Schnabel; die weißen Hände waren mit vielen Ringen geziert.

Dies war vielleicht einer der Anzüge, über dessen Wohlanständigkeit und Zulässigkeit die Väter der Stadt auf dem Rathhaus lange Sitzungen hielten und danach Kleiderordnungen erließen, welche die Länge der Kleider [74] wie der Aermel, der Schnäbel an den Schuhen wie der Tiefe des Ausschnittes an Nacken und Busen, den Fall der Locken an den Köpfen vorschrieben, die Zahl der Ringe, Armbänder und Haarnadeln genau bestimmten u.s.w. um dem Luxus zu steuern. Aber indeß allerdings die gewöhnlichen Bürgerfrauen sich daran kehren mußten, weil sie sonst in Strafe verfielen und von der Straßenjugend verspottet wurden, lachten die übermüthigen Patrizierinnen über den Eifer der Rathsherren und waren doch gar wohl damit zufrieden, daß jener Bürgerstand, von dem sie selbst sich streng absonderten, dadurch in Schranken gehalten ward, es ihnen nicht gleich zu thun. Sie selbst aber verspotteten in ihrer Kleidung oft mit um so größerer Absichtlichkeit die Vorschriften des Rathes, und als derselbe gar einmal darauf verfiel, eine Steuer auf diese Ausschweifungen zu legen, trieben sie es erst recht arg, um zu zeigen, daß sie es bezahlen konnten.

So mochte der Rath versuchen was er wollte, er scheiterte damit bei den stolzen Frauen, und wenn sie ja vielleicht am ersten Tag nach einer solchen Bekanntmachung sich aus Furcht vor dem gemeinen Haufen nicht auf die Straße wagten, so entschädigten sie sich dafür durch ihre häusliche Toilette. Elisabeth vor allen gehörte [75] mit zu den eigensinnigen Frauen, die gerade nur aus Lust, einem Verbot zu trotzen, das übertrieben, woran sie sonst vielleicht gar nicht gedacht oder es selbst lächerlich oder unanständig, unpassend oder unschön gefunden hätten. Sie machte es gern bemerklich, daß Niemand wagen dürfe ihr Vorschriften zu machen.

Als Elisabeth's Blicke, wie es schien, gedankenlos hinab über die Straße schweiften, fuhr sie plötzlich zusammen und bog sich von dem Fenster zurück.

Der Gegenstand, der diese Bewegung veranlaßte, war ein Vorübergehender von mittelgroßer, stattlicher Gestalt. Sein Wamms war genau von der Kleidfarbe Elisabeth's und darüber trug er einen kleinen spanischen Mantel von schwarzer Farbe, auf dem Kopf einen kleinen runden Filzhut mit weißen Federn. Sein Haar war dunkel, und die dunklen Brauen, die in schön gewölbten Bogen sich über seinen feurigen Augen erhoben, gaben diesen einen edlen Ausdruck. Seine hohe Stirn und die kühn gebogene Nase ließen in ihm den Mann von Geist erkennen; sein Gesicht war fein, glatt und bartlos und ließ ihn dadurch noch jünger erscheinen als er war; er zählte dreißig Jahre.

Elisabeth hatte sich ihm nicht zeigen mögen; jetzt da sie glauben konnte, er werde nicht mehr heraufsehen, [76] wollte sie es wagen ihm nachzuschauen – aber er war verschwunden. Wo war er hin? in welches von diesen Häusern sollte er gegangen sein? wär' es möglich – in das ihrige? Sie trat aus dem Chörlein in das Zimmer zurück – es war ihr, als höre sie Schritte die Marmortreppe hinauf – ihr ganzes Wesen schien in Aufruhr zu kommen. Sie trat vor den großen venetianischen Spiegel, der auf goldenem Gestelle ruhend ihre ganze herrliche Gestalt zurückwarf. That sie das aus Angst, um eine Miene, eine Haltung zu suchen, diesen plötzlichen Aufruhr ihres Wesens zu verbergen; that sie es aus Koketterie, ihren Anzug zu prüfen und ihn in die ihren Reizen vortheilhaftesten Falten zu schieben? Als die Flügelthür hastig aufgeworfen ward, stand sie stolz und ruhig vor dem Eintretenden.

»Verzeiht, hohe Frau, wenn ich störe!« sagte er.

»Nicht im Mindesten, Herr Doctor Celtes,« antwortete sie mit erzwungener Fassung, »obgleich ich wenig vorbereitet war auf diesen werthen Besuch. Ich bitt' Euch, nehmet Platz.«

Sie warf sich in einen Polster von rothem Sammet, indeß er auf einem Stuhl ihr gegenüber Platz nahm. Die bunt gemalten Glasscheiben aus dem gewölbten oberen Theil der Chörleinfenster und die dichten rothseidenen [77] Vorhänge, welche diesen Schimmer dämpften, warfen ein zauberhaftes Licht auf Elisabeth.

»Ich komme, mir Euren Rath zu erbitten« – begann er und schien nach weiteren Worten zu suchen.

»Wann hätte je ein Gelehrter und Dichter, wie Konrad Celtes, des Rathes eines Weibes bedurft?« unterbrach ihn die junge Frau.

»Doch,« antwortete er; »es ist nicht das Erstemal, schöne Herrin, daß ich Euch darum bitte. Der Bischof von Worms hat mir geschrieben und mich aufgefordert zu ihm zu kommen. Ich würde dort viele gleichgesinnte Männer finden, wie überall am Rhein, und die humanistischen Studien fördern können. Seit mein edler Lehrer Rudolf Agricola in Worms gestorben, droht dort der lebendige Geist, der von ihm ausgehend die elende Scholastik von den Schulen verdrängte, zu erlahmen, wenn nicht eine Kraft von Außen ihn wieder aufrüttelt. Mein Name hat dort einen guten Klang und die Societas litteraria Rhenana, die ich zu Heidelberg gestiftet, wünscht auch meinen Besuch. Die, denen ich noch unbekannt bin, werden in mir den Schüler Agricola's sehen und mir gern gestatten ihre Lehrstühle zu besteigen. Nun rathet mir: soll ich diesem Rufe folgen und gehen – oder soll ich hier bleiben?«

[78] Elisabeth hatte während seiner Rede mit ihrer goldenen Kette gespielt, und während dieser scheinbar tändelnden Bewegung ging in ihrem Herzen eine so heftige vor, daß sie alle ihre Kräfte anstrengen mußte, die äußere Ruhe zu behaupten, mit der sie jetzt sagte: »Ihr scheint auch darin Eurem edlen Lehrer Agricola zu gleichen, daß Ihr Euch durch kein Amt wollt binden lassen, weil Ihr eine unüberwindliche Abneigung habt gegen Fesseln jeder Art, sonst könntet ihr nicht überlegen und gar um Rath fragen! ob Ihr diesem Rufe folgen sollt oder nicht.«

»So schickt Ihr mich fort?« fragte er betroffen, »und so ruhig – das hatte ich nicht erwartet!«

Sie sah ihn mit stolzen Blicken an und fuhr fort: »Ihr sagtet ja immer selbst, daß Ihr ein unstetes Leben geführt und es wohl so fortführen würdet, bis es zu Ende sei – ich glaube, der Bischof von Worms wird Euch das nicht verwehren, wenn Ihr Euch auch zu ihm begebt, so wenig, wie er es Agricola verwehrte. Hier seid Ihr ja auch nicht gebunden.«

»Ja,« rief er heftig und aufspringend, »Ihr habt Recht! es hält mich ja hier Niemand« – er griff nach seinem Hut und wollte gehen.

[79] Sie stand auch auf, riß den Hut aus seiner Hand und schleuderte ihn in eine Ecke des Gemaches.

»So werdet Ihr nicht von Euerer Freundin scheiden,« sagte sie plötzlich mit dem zartesten Schmelz einer weiblichen Stimme. »Ich habe den Lorbeerkranz auf Euer hohes Dichterhaupt gesetzt, wenn auch nur auf Befehl unseres Herrn und Kaisers, und ich bitte Euch jetzt, dies Haupt ein wenig zu neigen, damit ich dies goldene Kettlein um den Hals werfe, der niemals eine Kette tragen will – und nur diese tragen soll zum Angedenken an Elisabeth Behaim.«

Es war nicht Zerstreuung einer kürzlich Vermählten, es war Absicht, daß sie ihren Mädchennamen sagte, denn seit sie verheirathet war, hatte sie noch nicht wieder mit Konrad Celtes gesprochen. Vor ziemlich zwei Jahren war er nach Nürnberg gekommen, der Ruf seiner Dichtkunst und Beredtsamkeit war vor ihm hergezogen; alle Gelehrten und Doctoren Nürnbergs kamen ihm achtungsvoll entgegen, undAnton Koberger, der damals schon eine große Druckerei besaß, in der vierundzwanzig Pressen arbeiteten, druckte seine Werke.

Konrad Celtes war der Sohn eines fränkischen Bauern Pickel, zu Wipfelde nahe bei Würzburg 1459 geboren. Er sollte seinem Vater in der Landwirthschaft [80] und im Weinbau beistehen und sie später selbst übernehmen. Allein sein Wissensdrang ließ ihm keine Ruhe. Heimlich entfloh er aus der väterlichen Besitzung auf einem Floß den Main und Rhein hinab und ging auf die Universität nach Cöln. Darauf studirte er in Heidelberg und ward Agricola's Lieblingsjünger. Dann besuchte er die Universitäten zu Erfurt, Leipzig und Rostock, aber nicht mehr als Lernender sondern als Lehrender, dem Humanismus und den humanistischen Studien immer mehr Eingang verschaffend. Durch seine Vorlesungen sammelte er sich so viel, daß er darauf nach Italien gehen konnte, was für die Gelehrten seines Faches damals als Nothwendigkeit erschien. Zu Bologna hörte er Philipp Beroaldus den Aelteren, zu Florenz Marsilius Ficinus, zu Rom Pomponius Lätus. Von Venedig aus ging er nach Ungarn und Polen, und von da nach Deutschland zurück, wo er in Nürnberg sich niederließ. Damals – es war im Jahr 1487 – hielt Kaiser Friedrich III. daselbst einen Reichstag und blieb fast ein ganzes Jahr daselbst auf der Veste wohnen. Der alte Kaiser, obwohl er damals nur den Reichstag berufen, um von ihm ein Heer zu erbitten, seinen eigenen Geburtsort Neustadt zu schützen, den der sieghafte Ungarnkönig Mathias bedrängte und den Friedrich [81] fürchten mußte fallen zu sehen gleich Wien, und obwohl er aus seinen eigenen österreichischen Erblanden vertrieben, vom Geschick hätte gebeugt sein können, vertrieb er sich doch in Nürnberg die Zeit, als sei er der glückgekrönteste Herrscher. Um den Nürnbergern zu zeigen, daß er auch ein Freund der Wissenschaften und Künste sei – nur die Rechtswissenschaft haßte er und nannte deren Doctoren: Seductores (Verführer) – berief er deren Vertreter selbst um sich und ließ sich von den Meistersängern und Poeten ihre Werke vortragen. Bei einem öffentlichen Aufzug, der auf dem Marktplatz stattfand, bei dem er einige Nürnberger Patrizier, darunter Hans Tucher, zum Ritter schlug, um ihn damit für seine Reise in das heilige Land und die von ihm selbst verfaßte Beschreibung derselben zu ehren, nahm er auch einen grünen Lorbeerkranz, den er sich auf sammtenem Kissen hatte nachtragen lassen, und ließ Konrad Celtes vor sich führen, um ihm so vor allen Hohen des Reichs und allem Volk öffentlich die Ruhmeskrone des Dichters auf das Haupt zu setzen. Aber als Celtes schon vor ihm kniete, zögerte der Kaiser plötzlich und sandte einen seiner Ritter zu der Erhöhung, auf der Nürnbergs edle Frauen und Jungfrauen Platz genommen. Unter ihnen strahlte vor Allen Elisabeth [82] Behaim durch Schönheit und Anmuth ihres Wesens, wie durch die Pracht ihrer Kleidung hervor – und mit stolzer Haltung folgte sie dem Ritter, der ihr die Botschaft des Kaisers brachte: daß sie als die schönste Jungfrau Nürnbergs den Dichter krönen möge. Bisher hatte sie ihn nur von fern gesehen – nun stand sie dicht vor dem Knieenden und setzte zitternd den Kranz, den sie aus der Hand des Kaisers empfing, auf das edle Lockenhaupt, das sich vor ihr neigte.

Wie hätte nicht das leichterregbare Herz des Dichters erfaßt werden sollen von diesem Augenblick und ihn als den schönsten seines Lebens preisen? Wer, dem jemals für das Ringen und Streben seines Genius eine ähnliche Anerkennung, so überraschend plötzlich und vor allem Volk zu Theil geworden, könnte jemals wieder die höhere Weihe solcher Stunden vergessen? Und wie hätte Celtes, der schon durch seine Studien des klassischen Alterthums gleicherweise wie durch sein feuriges Dichtergemüth zu dem Cultus der Schönheit sich hingezogen fühlte, nicht immer daran denken müssen, daß er den Lorbeerkranz zwar wohl auf den Wink seines Kaisers, aber doch aus den Händen einer Königin der Schönheit empfing? Er pries Elisabeth als solche in [83] seinen Liedern und verherrlichte sie als seine Muse in wohlgefeilten lateinischen Versen.

Das Geschlecht der Behaim, aus dem sie stammte, galt vor allen nürnbergischen nicht nur als eines der reichsten und angesehensten, sondern auch als eines der gebildetsten und gelehrtesten der Reichsstadt. Elisabeth's Vater besaß in Venedig ein eben so reiches Waarenlager als in Nürnberg und pflegte sich wechselnd an beiden Orten aufzuhalten; auch die Tochter, für alles Große und Neue empfänglich, dabei keine Mühe und Gefahr scheuend, hatte einmal mit ihm einige Zeit in Venedig zugebracht, obwohl damals Frauen nur selten zu reisen pflegten und bei den schlechten und oft gefahrvollen Wegen Vieles erdulden und entbehren mußten, auch wenn sie den reichsten oder höchsten Ständen angehörten. Elisabeth's ältere Brüder waren mehr als gewöhnliche Kaufleute. Nicht nur daß sie sich auf das Geschäft verstanden und durch ihre kühnen Speculationen und großen Handelsverbindungen fast mit allen Völkern der Erde in Verkehr waren, und sich dadurch jene Vielseitigkeit und jenen großen Weltblick erwarben, der nur auf Reisen erlangt wird, hatten sie auch die gelehrten Schulen Italiens besucht und auch daheim den Wissenschaften obgelegen. Besonders war es Martin Behaim, [84] der ein Schüler Johannes Regiomontanus (eigentlich Camillus Johannes Müller) sich mathematischen, astronomischen und andern gelehrten Forschungen widmete und sich gern damit beschäftigte, auch die Kenntnisse seiner Schwester zu erweitern. Jetzt war er freilich seit einigen Jahren entfernt, da er in Handelsgeschäften seines Vaters nach Portugal gegangen war und eben jetzt auf portugiesischen Schiffen mit Admiral Diego Can auf weitem Ocean trieb, den Seeweg nach Ostindien zu entdecken, zu dessen Auffindung Martin Behaim's scharfsinnige mathematische Berechnungen die gegründetste Hoffnung gaben.

Der ruhmgekrönte Dichter Celtes fand bald Zutritt in diese ausgezeichnete Familie, welche die Wissenschaft so wohl zu schätzen wußte. Wie empfänglich er auch war für sinnliche Eindrücke und wie auch Elisabeth's Schönheit ihn zu den ersten Versen an sie begeistert hatte und den Wunsch in ihm erregt, bei ihr Zutritt zu erhalten, er würde der schönen Form bald überdrüssig geworden sein, wenn er sie leer gefunden. So aber fand er sie von einem kühnen, beinah männlichen Geist belebt, ausgestattet mit allen Kenntnissen, in denen damals keine anderen Frauen so bewandert waren als die Töchter Nürnbergs und Augsburgs, und er verherrlichte [85] sie nun erst recht in seinem von ihr verstandenen Latein als seine Muse.

Elisabeth's Hand fand viele Bewerber, aber sie hatte bisher noch jeden abgewiesen; dem Einen galt sie dadurch für eine stolze Spröde, dem Anderen für eine kalte Gelehrte mit einem Mannesherzen im Busen, und Manche flüsterten von einem Fürsten oder vornehmen Ritter, mit dem sie ein heimliches Verhältniß habe und der um seines Standes willen zögere sie heimzuführen, obwohl sie sich selbst gleich mancher stolzen Patriziertochter Nürnbergs nicht zu gering achte, einem Fürsten zum Altar zu folgen.

Ihr Verhältniß zu Celtes gestaltete sich bald zu dem einer süßen Freundschaft, welche an jene zarten Bande gemahnte, welche meist die französischen Minnehöfe hervorgerufen. Sie war die Herrin und er ihr Dichter. Für alle seine Bestrebungen und Arbeiten fand er in ihrem hochgebildeten Geist ein feines Verständniß und begeisternde Anregung. Wo ihr die eigenen Kenntnisse noch mangelten, da ward er ihr Lehrer, versorgte sie mit allen neuen Büchern und las ihr Alles vor, was er selbst verfaßte. Zuweilen wohl wurde die klare Ruhe dieses schönen Wechselwirkens durch stürmischere Empfindungen gestört. Zuweilen, wenn sie [86] allein waren – was nicht gerade oft der Fall war, da Elisabeth's Mutter, oder eine jüngere Schwester oder auch ihre Brüder und andere Gelehrte sie oft umgaben – geschah es, daß seine Huldigungen sich nicht nur auf den Vortrag seiner Verse erstreckten, die davon voll waren, sondern daß er ihre Hände küßte und sie in seine Arme zog, oder daß sie selbst einen Kuß der Muse zum Lohn oder zur Weihe des Dichters auf seine Stirn drückte. Dies, für beide beglückende Verhältniß währte weit über ein Jahr – und es hätte vielleicht noch lange so gewährt, wenn nicht die rohe Hand anderer Menschen zerstörend eingegriffen. Es gab auch schon damals genug scheelsüchtige Leute, gemeine Zuträger und unberufene Sittenrichter, die über die stolze Patriziertochter zischelten, welche die ebenbürtigen Bewerber verschmähe, und da der Fürst sie sitzen lasse, an den herzugelaufenen Poeten, den Bauernsohn, der Nichts sei und Nichts habe, sich wegwerfe, daß nun auch Keiner aus den Geschlechtern sie mehr werde zur Ehe haben mögen. Solche Reden wurden auch Elisabeth's Brüdern hinterbracht; seitdem beobachtete sie besonders der älteste Bruder Georg, und als er sie eines Tages wirklich überraschte, wie ihr Lockenhaupt an Celtes Schulter lehnte und sein Arm um ihre Taille geschlungen [87] war, trat er zornig vor Beide hin und warf ihnen mit heftigen Worten das Unziemliche ihres Betragens vor und erklärte Celtes für einen Verführer und Eindringling, der dem Hause, das ihn freundlich aufgenommen, nur Schande bringe: das habe man aber davon, wenn man mit den fahrenden Poeten sich einlasse, die doch Lumpen blieben, wenn auch ein Kaiser, um dem Volk ein neues Schauspiel zu geben, sie mit einem Dichterkranz kröne.

Elisabeth wollte reden und den Geliebten gegen diese Rohheit vertheidigen, aber Celtes bat sie zu schweigen und sich seinetwegen nicht mit dem Bruder zu erzürnen. »Es ist wahr,« sagte er zu diesem, »ich verehre Eure edle Schwester wie meine Muse und meine Herrin, aber nie habe ich meine Wünsche, noch meine Worte bis zu einem Ziel erhoben, das für mich aus doppelten Gründen unerreichbar ist. Ich kenne die veralteten Institutionen und den aufgeblasenen Dünkel dieser reichsstädtischen Geschlechter hinlänglich genug, um zu wissen, daß sie jede Bewerbung eines Mannes, der nicht zu ihnen gehört, und wenn er der Berühmteste der Welt wäre, für eine Beleidigung halten – und ich bin nicht der Mann, weder eine solche zu ertragen, noch eine Gnade von diesen hoffärtigen Bürgern hinzunehmen. [88] Außerdem aber fühle ich, daß es dem Poeten, wenn er seine hohe Sendung ganz erfüllen will, nicht beschieden ist, einen häuslichen Herd zu gründen. Wie mein großer Lehrer Agricola werde ich nie eine Fessel tragen, weder die eines Amtes noch eines Weibes, und wenn auch arm und entsagend, doch reich und frei in meinem Berufe leben. Findet Ihr nach dieser Erklärung, daß eine so reine, geistige Gemeinschaft wie die meinige mit dieser edlen Jungfrau nicht bestehen kann, ohne ihrem Ruf zu schaden, so muß ich freilich darauf verzichten, denn das sei ferne, daß ihr durch mich ein Nachtheil erwachse. Dann aber Schande über die Lästermäuler und Splitterrichter dieser Stadt, die das Reine und Hohe verdammen, weil sie es nicht verstehen, das Gemeine und Unsittliche aber ruhig unter sich dulden. Die reinen, seligen Stunden, die mir das poetische Streben mit dieser keuschen Jungfrau gewährte, wagt man zu schmähen – wenn aber Eure achtbaren Ehemänner sich noch ein Zuweib halten, oder Eure edlen Rathsherren in die Frauenhäuser gehen und tausend Gemeinheiten in den Badstuben geschehen, so findet Ihr das ganz in der Ordnung.«

Georg Behaim sah sich von dieser ruhigen Würde entwaffnet, er reichte Celtes die Hand und bat ihn mit[89] ihm zu gehen. Man hörte andere Leute kommen, und Elisabeth, unfähig ein Wort zu sprechen, floh in ein anstoßendes Gemach, ohne noch Wort oder Blick für Celtes zu haben.

Georg bemühte sich dem aufgebrachten Dichter das »ländlich–sittlich« auseinander zu setzen und es endlich wie eine Gnade von ihm zu erbitten, daß er seine Schwester meide. Celtes erklärte sich aus Stolz endlich bereit dazu. Als er sie nach einigen Wochen bei einem Feste wieder sah, näherte sie sich ihm, um ihm zu sagen, daß sie sich mit Herrn Christoph Scheurl verlobt habe.

Celtes wünschte ihr, daß sie glücklich werden möge – sie lächelte verächtlich. Es waren Leute in der Nähe und sie konnten nicht unbemerkt zusammen sprechen. Bald darauf war Elisabeth's Hochzeit. Ihr Gatte war wohl zwanzig Jahr älter als sie selbst und von gewöhnlichem Aeußern, ja er hatte sogar etwas Abstoßendes darin. Man konnte kein ungleicheres Paar sehen, und Niemand begriff, warum Elisabeth eine so unpassende Wahl getroffen. Scheurl gehörte zu den stolzesten oder eitelsten Männern. Er war einer der reichsten Rathsherren, hatte sich das schönste Haus gebaut und wollte auch die schönste Frau haben – natürlich mußte er [90] sich durch den Besitz Elisabeth's befriedigt fühlen, die ja ein Wink des Kaisers selbst öffentlich dazu erklärt hatte. Er spreizte sich in eitler Geckenhaftigkeit des älteren Mannes an ihrer Seite, und freute sich der Huldigungen, welche ihrer Schönheit und ihrem Geiste wurden, doppelt eitel darauf, daß die gefeierte Spröde, die so viele Bewerber ausgeschlagen, ihm so schnell ihre Hand gegeben.

Celtes hatte zu Elisabeth's Hochzeit ihr ein Carmen gesendet, aber gesprochen hatte sie ihn seitdem nicht wieder.

Und jetzt war er plötzlich bei ihr eingetreten, unangemeldet wie sonst in ihrem Elternhaus – jetzt war es, als versänken die Monate in ein Nichts, in denen sie sich nicht gesehen. Und über ein Jahr versank so – jetzt neigte sie sich wieder über ihn, wie damals mit dem Lorbeerkranz, da er sie zuerst erblickte.

»O Elisabeth!« rief er aus, »wie werd' ich zu leben vermögen ohne meine Muse? Nein, ich kann nicht fort von Euch, das Leben ist eine Wüste ohne Euch!«

Sie neigte ihre Lippen auf seine Stirn und sagte: »Dies sei mein Abschiedskuß –«

[91] Aber er sprang auf, umschlang sie heftig und sagte: »Nein, ich kann den Abschied nicht ertragen! – O Elisabeth! welch' ein Götterleben war es, das wir führten! Von da an, wo ich Euch erblickte, war ich an diese Stadt gefesselt! der ich sonst immer unstät umhergeschweift, nirgend findend, was ich suchte – mir ward hier ein himmlisches Asyl! Ewig wollte ich hier bleiben, ewig im Strahl Eurer Gunst mich sonnen. Ihr waret die Sonne, die alle Blüthen meines Geistes weckte – ohne Euch ist das Leben eine dumpfe kalte Nacht, in der alle Keime verderben!«

Willenlos, selbst wie eine gebrochene Blume, lag Elisabeth an seiner Brust und vermochte ihre Thränen nicht mehr zurückzuhalten. »Es hätte Euch ein Wort gekostet, und es war Alles anders!« sagte sie. »Ihr hab't mich verstoßen!«

»Elisabeth!« rief er und sah ihr prüfend in die überströmenden Augen, »ich gab nur den Vorstellungen und Bitten Eurer Familie nach um Euretwillen – alle meine sehnenden Empfindungen bezwang ich in heißen Kämpfen, um den Frieden Eures Hauses nicht zu stören –«

»Und der Friede meines Herzens war Euch Nichts?« fiel sie ihm in's Wort. »O Konrad, ich lebte gleich [92] Euch in einem süßen Taumel, ich fragte nichts nach dem Morgen, da das Heute so himmlisch war. Ich war wie der Epheu, der sich fest um die starke Eiche ringelt – so unauflöslich fühlt' ich mich an Euch gekettet. Da kam die Unglücksstunde, in der mein Bruder mit roher Hand aus dem holden Traum uns weckte. Ihr hießet mich schweigen, und welcher Edelsinn auch aus Eurer Vertheidigungsrede sprechen mochte – mir stieß sie einen vergifteten Dolch in das Herz!«

»Was konnt' ich anders antworten?« fragte er; »mein Mannesstolz und meine hohe Liebe zu Euch ließen keine andere Antwort zu. Die weite Kluft, die mich von Euch trennt, ward zum Abgrund, der uns Beide verschlang, wenn ich den glühenden Empfindungen Worte gegeben hätte, die mich jetzt zermartern, seit ich mich von Euch fern halten mußte und jetzt, da ich von Euch scheiden soll!«

»O, und Ihr bildetet Euch ein stark zu sein, weil Ihr zu schwach waret, vor den Abgrund zu treten?« sagte sie mit höhnischer Stimme. »Ich aber, die ich zu dem schwachen Geschelcht gehöre, fühle den Muth in mir, den Abgrund zu überspringen – aber Ihr hießet mich schweigen und erklärtet, daß Ihr niemals Liebe für mich empfunden!«

[93] »Das habe ich nie gesagt!« rief er, »eine so entsetzliche Lüge ist nie über meine Lippen gekommen – aber ich wußte, daß Ihr mir niemals angehören konntet, und darum, seit ich Euch gefunden, ward es mir klar, daß ich für immer dem Minne- und Eheglück entsagen müßte, weil mein Herz nie einem andern Weibe gehören konnte! O Elisabeth!« fügte er mit leidenschaftlicher Heftigkeit hinzu, indem er zu ihren Füßen stürzte, »das hab't Ihr doch gewußt, daß ich Euer Sklave bin, auch wenn ich mich stellte, als kenne und möge ich keine Fessel?«

»O hättet Ihr nicht die unseligen Worte gesprochen!« versetzte sie, »hättet Ihr mich zuvor gehört! Ich wollte meinem Bruder schildern, wie ich Euch liebe, und daß ich in Euch einen Ritter des Geistes sehe, davor dies Patrizierthum sich achtungsvoll beugen müsse. Daß ich Euch folgen würde, wohin es auch sei, wenn das Vaterhaus mich vielleicht verstieße. Und wäre dies geschehen, so wären wir zusammen geflüchtet! und hätte sich weder in Deutschland noch Italien ein Asyl für uns gefunden, so wären wir meinen weltumsegelnden Bruder gefolgt und auf einem jener goldenen Eilande, die er schon entdeckt, hätten wir die Stätte der Glückseligkeit gefunden, die keine Menschen dieser verdorbenen Welt gestört![94] Aber mit kalter Hand schnittet Ihr mir den Weg ab zu diesem Paradies!«

Wie vernichtet barg Celtes sein Haupt in Elisabeth's Schooß. Jetzt erst fühlte er die ganze Allmacht seiner und ihrer Liebe – und jetzt erst erkannte der Sänger der Liebe, wie viel tiefer und kühner die Liebe im Frauenherzen lebte und es zu Kampf und That begeistert, als in der Mannesbrust, die dem Stolz den Vorrang gestattete. Beschämt gestand er: »Solche Größe der Seele, die über alle Vorurtheile sich erhebt, solche Größe der Liebe glaubte ich bei keiner Frau zu finden! Ihr ließet mich nicht ahnen, daß Ihr um meinetwillen Alles opfern könntet!«

»Ich bin auch stolz,« sagte sie, »und nach Eurer Erklärung blieb mir nichts, als mich in den Wunsch meiner Familie zu fügen, wie Ihr Euch fügtet. Scheurl warb um meine Hand – es erschien mir wie ein Schutz vor mir selbst, wenn ich sie ihm reichte. Ihr hattet sie verschmäht – da war mir ja Alles gleichgültig. Ja, ich bildete mir ein, wenn ich nicht mehr als Mädchen bösem Leumund ausgesetzt sei, könnte ich wieder mit Euch verkehren, meine Liebe auf den Pfad der Freundschnft zurücklenken. Dennoch wollt' ich diesen Schritt nicht ohne Eure Zustimmung thun. Noch hatte [95] ich das bindende Wort nicht gesprochen, als ich Euch davon sagte – Ihr wünschtet wir ruhig Glück – und damit war mein Geschick entschieden.«

»Und da es einmal so ist, da das Entsetzliche geschehen,« sagte er nach einer Pause voll stummer Seufzer, heißer Thränen und noch heißeren Küssen, »so lasse uns versuchen, was Du hofftest – sei wieder meine Muse, meine Freundin –«

Sie entrang sich seinen Armen. »Nein,« sagte sie zurückweisend, »was ich mir da selbst vorgeredet, war Nichts als verwerfliche Sophistik. Unsere Empfindungen waren rein und schön, und wie auch die Alltagsmenschen sie deuten mochten: wir waren uns ihrer Unschuld bemußt. Jetzt müßten wir sie selbst verdammen, Schande und Ehebruch wäre jetzt, was erst so heilig gewesen! Nun ist kein Selbstbetrug, der kein Verbrechen wäre, mehr möglich. Nie wären diese Geständnisse über meine Lippen gekommen, wenn ich nicht diese Stunde empfände als einen Abschied für immer! Nun ich Euch noch einmal gesehen und Alles gesagt, werde ich die Trennung von Euch würdig ertragen lernen! Wir dürfen aneinander denken ohne Schuld –«

»Aber nicht ohne Reue!« unterbrach sie Celtes; »o ich Unglücklicher, Kleingläubiger!«

[96] »Auch ohne Reue!« sagte Elisabeth. »Es sollte doch so sein, wie Ihr sagtet: der Dichter soll ohne Fesseln bleiben, und um sich ganz seinem Volke hinzugeben, muß er auf die Hingabe an ein einzelnes Wesen verzichten! In Euren Werken werdet Ihr für mich fortleben, und was auch noch geschehen mag: nie kann mir das stolze Bewußtsein geraubt werden, daß ich die Muse war, die Euch zu Euren edelsten Dichtungen begeisterte!«

»Und ewig werdet Ihr es bleiben!« rief er; »ich will ringen den Lorbeer zu verdienen, den Ihr mir reichtet.«

Ein letztes Umarmen – dann trieb sie ihn fort. Aber als er hinaus war, brach ihre gewaltsam bewahrte Kraft zusammen und bis zur Ohnmacht weinend lag sie auf dem Sammetpolster.

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Romane. Nürnberg. Erster Band. 4. Kapitel. Konrad Celtes. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-65BB-3