Oskar Panizza
Das Liebeskonzil
Eine Himmelstragödie in fünf Aufzügen

[Widmung]

[70] Dem Andenken Huttens

[Motti]

[70]

»Es ist got gefellig gewesen in unsern tagen kranckheiten zu senden (als wol zu achten ist) die unsern vorfaren unbekant seint gewesen. Da bey haben gesagt die der heiligen geschrift obligen, das die blatteren uß gotz zorn kumen seint, und got damit unsere bösen berden straffe und peynige.«

Ulrichen von Hutten, eins teutschen Ritters

»Von den Frantzosen oder blatteren« 1519


»Dic Dea, quae causae nobis post saecula tanta insolitam peperere luem? ...«

Fracastoro

»Syphilis sive de morbo Gallico« 1509

[70]

Personen

Personen.

    • [71] Gott Vater

    • Christus

    • Maria

    • Der Teufel

    • Das Weib

    • Ein Cherubim

    • Erster Engel

    • Zweiter Engel

    • Dritter Engel
      Gestalten aus dem Totenreich
    • Helena
    • Phryne
    • Héloise
    • Agrippina
    • Salome

    • Rodrigo Borgia, Alexander VI., Papst
      Kinder des Papstes
    • Girolama Borgia, vermählt mit Cesarini
    • Isabella Borgia, vermählt mit Matuzzi (Mutter unbekannt)

    • Pier Luigi Borgia, Herzog von Gandia.

    • Don Giovanni Borgia, Graf von Celano.

    • Cesare Borgia, Herzog von Romagna.

    • Don Gioffre Borgia, Graf von Cariati.

    • Donna Lucrezia Borgia, Herzogin von Bisaglie (von der Vanozza).

    • Laura Borgia, noch minderjährig.

    • Giovanni Borgia, noch minderjährig (von Julia Farnese, vermählte Orsini).
      Mätressen des Papstes
    • Die Vanozza
    • Julia Farnese, vermählt mit Orsini

    • Alessandro Farnese, ihr Bruder, Kardinal.

    • [72] Donna Sancia, Schwiegertochter des Papstes, vermählt mit Don Gioffre.

    • Adriana Mila, Vertraute des Papstes, Erzieherin seiner Kinder.
      Neffen des Papstes
    • Francesco Borgia, Erzbischof von Cosenza
    • Luigi Pietro Borgia, Kardinal-Diakon
    • Collerando Borgia, Bischof von Monreale
    • Rodrigo Borgia, Kapitän der päpstlichen Garde
      Vertraute des Papstes
    • Giovanni Lopez, Bischof von Perugia
    • Pietro Caranza, Geheimkämmerer
    • Juan Marades, Bischof von Toul, Geheimer Intendant
    • Giovanni Vera da Ercilla, Mitglied des heiligen Kollegiums
    • Remolina da Ilerda, Mitglied des heiligen Kollegiums

    • Burcard, Zeremonienmeister des Papstes.

    • Ein Priester.

    • Erster Edelmann.

    • Zweiter Edelmann.

    • Dritter Edelmann.
      Schauspieler
    • Pulcinello
    • Colombina

    • Eine Kurtisane.

    • Der Heilige Geist, Erzengel, ältere und jüngere Engel, Amoretten; – Maria Magdalena, Apostel, Märtyrer, Barmherzige Schwestern, ein Bote; – Tiere, Fratzen, Gestalten von Toten; – Geistliche Würdenträger, päpstliche Hofbeamte, Gesandte, römische Damen, Kavaliere, Kurtisanen, Schauspieler, Sänger, Kämpfer, Soldaten, Volk.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
[74] Der Himmel; ein Thronsaal; drei Engel in schwanenweißen, federdaunartigen Anzügen mit enganliegenden, gamaschenähnlichen Kniehosen, Wadenstrümpfen, kurzen Amoretten-Flügeln, weißgepuderten, kurz geschnittenen Haaren, weißen Atlas-Schuhen; sie haben Flederwische in der Hand zum Abstauben.

ERSTER ENGEL.
Heut steht ER wieder spät auf.
ZWEITER ENGEL.

Seid froh! Dieses Gehust', dieses wasserblaue Geglotz', dieses Schleimfließen, Fluchen, Spucken den ganzen Tag – man kommt zu keinem gesunden Augenblick.

DRITTER ENGEL.
Ja, es ist merkwürdig daheroben!
ERSTER ENGEL.
Apropos! Ist der Thron festgemacht?
ZWEITER ENGEL.
Ja, um Gottes Willen! Ist der Thron festgemacht? Er wackelte gestern.
DRITTER ENGEL.
Wer wackelte gestern?
ERSTER ENGEL.
Der Thron, dummes Gänschen!
DRITTER ENGEL
verwundert.
Der Thron? – Warum wackelt der Thron?
ERSTER ENGEL.
Enfin, er wackelt eben.
DRITTER ENGEL.
Wie? Wackelt denn hier heroben überhaupt etwas?
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
laut auflachend.
Ha, ha, ha, ha! –
DRITTER ENGEL
immer ernster und erstaunter.
Ja, warum wackelt der heilige Thron?
ERSTER ENGEL
energisch.

Dummes Gänschen! Weil hier sowieso alles aus dem Leim geht und lidschäftig wird, Götter und Möbel, Franzen und Tapeten.

DRITTER ENGEL
innerlich erbebend.
Gott, wenn das meine Mutter wüßte!
ZWEITER ENGEL
stirnrunzelnd und höhnisch.
Deine Mutter? – Was willst Du denn mit Deiner Mutter, Fratz?
DRITTER ENGEL.
Ach, sie ließ doch heute die sechzigste Seelenmesse für mich lesen!
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
mit wachsender Verwunderung.
Für Dich?! – Beide laut auflachend. Ja wie alt bist denn Du?
DRITTER ENGEL
sich besinnend und dann mit Pathos zitierend.
»Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag, und ein Tag wie tausend Jahre!« –
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
ihr abwinkend und sie zur Raison bringend; sehr breit.
Ja, ja, ja – is schon recht; das wissen wir schon! – Aber wie alt warst Du denn drunten?
[75]
DRITTER ENGEL
kindlich.
Knapp vierzehn Jahre!
ERSTER ENGEL
lachend.
Und da brauchst Du Seelenmessen?
DRITTER ENGEL
zaghaft.
Ach, Ihr wißt ja nicht, ich bin ja gestorben!
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
noch lauter lachend.
Ha, ha, ha! Hi, Hi! – No, natürlich, sonst wärst Du ja nicht hier! –
DRITTER ENGEL
in unverrückbarem Ernst.
Ach, Ihr wißt ja nicht, ich bin ja in Sünden gestorben!
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
aufs neue lachend.
Das auch noch! – Du armer Schlucker, was hast Du denn getan? –
DRITTER ENGEL
stockt, schaut mit ihren starren Augen ihre Genossinnen an und faltet die Hände.
ZWEITER ENGEL
höhnisch.
Hast Deine Schulaufgaben nicht gelernt? – Hast Kleckse in Dein Schreibheft gemacht?
DRITTER ENGEL
immer in ängstlich-gespannter Haltung.
Ach, mir wird so bang; – nicht wahr, Ihr sagt es nicht weiter?! –
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
sich ausschüttend vor Lachen.
Was? Da heroben; und nichts weiter sagen?!
DRITTER ENGEL
erstaunt.
Was? Ihr wißt es schon?
ERSTER ENGEL.
Nein! Aber sag's nur heraus; wir erfahren's doch!
ZWEITER ENGEL.
Also frisch! Was war's?
DRITTER ENGEL.
Ach, mich hat ein großer Mann – erdrückt!
ERSTER ENGEL
betonend.
Erdrückt?
DRITTER ENGEL.
Oder vergiftet!
ZWEITER ENGEL
ebenso betonend.
Vergiftet?
DRITTER ENGEL
naiv.
Ich weiß nicht mehr, wie die Mutter sagte.
ERSTER ENGEL
mit wachsendem Erstaunen.
Ja, war denn die Mutter dabei?
DRITTER ENGEL
mit glänzenden Augen erzählend.

Die war im Nebenzimmer; – aber die Türe war halb offen; – da kam ein großer, alter Mann herein; – die Mutter hatte gesagt, ich sollte alles geschehen lassen; der Mann sei der Rektor der Schule und sei sehr streng; – und wenn ich in allem gehorsam sei; – käme ich unter die ersten; – und der große, alte Mann –

ERSTER UND ZWEITER ENGEL
drängend.
Nun, der große, alte Mann ...?
DRITTER ENGEL
fortfahrend.
... war sehr stark.
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
sich gegenseitig anschauend und die Kleine imitierend.
Der große, alte Mann war sehr stark!
[76]
ZWEITER ENGEL.
So steht's im Ollendorf 1 auch.
ERSTER ENGEL
die Kleine aufrüttelnd.
Nun, was tat denn der große, alte Mann?
DRITTER ENGEL
herausbrechend.

Er erdrückte mich und vergiftete mich, und bespie mich mit seinem heißen Atem, und wollte in meinen Leib eindringen ...

ERSTER UND ZWEITER ENGEL
die Hände zusammenschlagend, mit verstellter Verwunderung.
Was? – Und die Mutter kam Dir nicht zu Hilfe?
DRITTER ENGEL.
Die stand an der Türspalte und sagte immerfort: »Sei nur brav, Lilli, sei nur brav, Lilli!«
ZWEITER ENGEL.
Nun, und dann?
DRITTER ENGEL.
Dann lag ich schluchzend auf dem Bett.
ERSTER ENGEL.
Und dann?
DRITTER ENGEL
sich besinnend.
... ich hörte dann noch die Mutter mit dem Manne reden ...
ZWEITER ENGEL.
Was sprachen sie?
DRITTER ENGEL
sich tief besinnend.

... ich weiß es nicht mehr; ... sie waren schon im Nebenzimmer ... ich hörte noch die Zahl fünfhundert ...

ERSTER ENGEL.
Und dann?
DRITTER ENGEL
sich immer länger besinnend.

... die Mutter kam herein ... sie sagte, nun hätten sie viel Geld, und könnten lustig und vergnügt für immer leben ... Die Gedanken gehen ihm aus.

ERSTER ENGEL
drängend.
Und dann? –
ZWEITER ENGEL
ebenso.
Und dann? Und dann?
DRITTER ENGEL
fast verklärt.
Dann – bin ich gestorben.
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
fahren, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend, mit einem schrillen, lang anhaltenden, mädchenhaft- gilfenden Ton, wie um eine innere Erregung ausströmen zu lassen, auseinander, und wie zwei Kreisel pfeifend, in der weitesten Rundung im Saal herum; der Dritte noch immer in starr verklärter Stellung.
ERSTER ENGEL
nach längerem Umhersausen, atemlos.
Und da läßt Dir jetzt Deine Mutter für das viele Geld Seelenmessen lesen?!
[77]
DRITTER ENGEL.
Weinerlich ängstlich. Ich bin ja in Sünden gestorben!
ZWEITER ENGEL
eindringlicher.
Für die 500 Mark oder Taler oder Franken läßt Dir jetzt Deine Mutter Seelenmessen lesen?!
DRITTER ENGEL
mißverstehend-naiv.
... für einen Teil des Geldes.
ZWEI ÄLTERE ENGEL
kommen schnell hereingestürzt mit dem Ruf.

ER kommt! – ER kommt! – Ist alles parat? – Die Drei fahren auseinander und machen sich an die Arbeit.

ERSTER ENGEL.
Um Gottes willen, seht, ob der Thron fest ist!

Einer der Engel macht sich am Thron zu schaffen. Andere Engel kommen inzwischen, bringen Decken, Polster, Kissen und dgl.
ZWEITER ENGEL
hopst auf den Thron und probiert ihn nach allen Seiten.
Alles fix!
ERSTER ENGEL
zum dritten, der noch zu scheu ist, Hand anzulegen und verwundert dem ganzen Treiben zuschaut.
Du, davon mußt Du mir noch mehr erzählen. – Jetzt stell' Dich zu uns her!
DIE ZWEI ÄLTEREN ENGEL
die bisher außen an der Türe Wache gestanden haben, kommen jetzt, wie oben, eilfertig zurück, übermäßig mit den Armen fuchtelnd, und mit dem gleichen Rufe.
ER kommt! – ER kommt! – Man hört draußen schlappendes und schleppendes Geräusch.
[78]
Fußnoten

1 Bekannte Schulgrammatik.

2. Szene
Zweite Szene
Die Vorigen; Gott Vater, ein Greis im höchsten Lebensalter mit silberweißen Haaren, ebenso Bart, hellblauen wässerigen Glotzaugen, tränengefüllten Augensäcken, gebeugten Hauptes, kyphosischen Rückgrats, kommt in langem, talarartigem, mißfarbig-weißem Gewände, von zwei Cherubim rechts und links gestützt, hustend und brustrasselnd, schwerfällig tappend und nach vorn geneigt, hereingeschlappt; zwei Engel stehen am Thron und halten ihn: die übrigen stürzen auf die Knie, wenden das Gesicht zur Erde und breiten die Arme aus; hinter Gott Vater ein endloses Cortège von Engeln, Seraphim, Türstehern, Aufwärtern, alles weiblich, oder geschlechtslos, mit teils alltäglich-gelangweilten, teils fürwitzigen, teils ängstlich-besorgten Gesichtern; sowie einige nonnenartig gekleidete Barmherzige Schwestern mit Medizinflaschen, Decken, Spucknäpfen und dgl. – Sie geleiten Gott Vater langsam vorsichtig zum Thron, helfen ihm die zwei Stufen hinauf, indem sie unten seine Beine fassen und hinaufheben, drehen ihn dann oben um, und lassen ihn langsam auf den im ältesten byzantinischen Stil gehaltenen, mit reichem Mosaik verzierten Sitz nieder, indem zwei
vorne, zwei hinten und je einer an den beiden Seiten ihn teils stützen, teils in Empfang nehmen; ein letzter Engel trägt die Krücken nach.

GOTT VATER
sinkt mit einem verzweifelnd von sich stoßenden, lebenssatt-rauhen Exspirations- Seufzer auf den Thron nieder.
Ach! – Glotzt dann starr und bewegungslos, aber schweratmend, vor sich hin.

Alle Engel, auch die bis dahin gekniet gewesenen, in hastig hin- und herlaufender Bewegung.
CHERUBIM
in flüsternd-drängendem Befehlston.
Die Fußbank!
EIN ENGEL
bringt eilig das Gewünschte.
Die Fußbank!
CHERUBIM
die Fußbank untersetzend; wie oben.
Die Wärmeflasche!
EIN ENGEL
bringt sie.
Die Wärmeflasche.
CHERUBIM
wie oben.
Den Fußsack!
EIN ENGEL
eilig.
Den Fußsack.
CHERUBIM
wie oben.
Die Steppdecke!
[79]
EIN ENGEL
bringt sie, eilig.
Die Steppdecke.
CHERUBIM
in drängendem Befehlston.
Die Schlummerrolle!
EIN ENGEL
bringt sie.
Die Schlummerrolle.
CHERUBIM
wie oben.
Den Rückenwärmer!
EIN ENGEL
bringt ein sechsfach zusammengelegtes weiches Flanellstück.
Den Rückenwärmer!
CHERUBIM
immer hastiger befehlend.
Die Armpolster!
EIN ENGEL
bringt zwei Hohlkissen für die Armlehnen.
Die Armpolster.
CHERUBIM
wie oben.
Das Foulard!
EIN ENGEL
bringt ein kirschrotes Seidentuch.
Das Foulard.

Während der Cherubim das Tuch um den Hals des Greisen windet, hört man.
GOTT VATER
unartikuliert-rauh stöhnen und jammern.
Aeh! – Aeh! – Aeh! – Aeh! –
VERSCHIEDENE ENGEL.
Wo fehlt's? – Was ist? – Helft! Helft! – Wo fehlt's? –
GOTT VATER
mit vorgebeugtem Kopfe weiterstöhnend.
Aeh! – Aeh! – Aeh! – Aeh! –
ALLE ENGEL
sammeln sich in großer Bestürzung um den Thron; einige knien nieder und schauen ängstlich gespannt auf Gott Vater.

Helft! – Helft! – Wo fehlt's? – Wo fehlt's? – Göttliche Majestät, wo fehlt's? – Er stirbt uns! – Holt Maria! – Holt den Mann! – Helft! – Helft! –

GOTT VATER
weiter stöhnend; wird engobiert im Gesicht; aus den Augensäcken rollen große Tränen infolge der Anstrengung.
Aeh! – Aeh! – Schpu! – Schpu! – Schpu! –
EIN ENGEL
springt auf, triumphierend, mit heller, lauter Stimme.
Die Spuckschale!
ALLE ENGEL
aufspringend, in klirrendem Diskant, erlösend.
Die Spuckschale!!

Sie eilen zu einem Tisch, wo Medizinflaschen, Weinkaraffen, Bisquit-Gläser und dgl. stehen, und bringen eine rosa-rote Kristall-Vase.
GOTT VATER
räuspernd, kollernd, sich abmühend, erleichtert sich endlich.

Ein Engel nimmt die Spuckschale zurück, trägt sie, von anderen begleitet, feierlich nach hinten; ein anderer Engel wischt dem Alten mit einem seidenen Tuch den Bart ab; dann stehen alle Anwesenden, dicht gesammelt, erwartungsvoll um Gott Vater herum. – Dieser schaut [80] erst lange mit glasig-starren Blicken im Kreise herum, packt dann plötzlich mit zitternden Händen die Krücken, die ihm im Schoß liegen, und stößt sie mit unerwartetem Ruck und heiserem, fürchtenmachendem, fingierten Gebrüll gegen die Engel vor. Wuh! – Wuh! – Die Engel fahren kreischend auseinander und fliehen zu den Türen hinaus. – Nur ein Cherubim bleibt zurück, der kniend, mit in den Händen vergrabenem Gesicht, sich vor ihm niederwirft. – Lange Pause. –

[81]
3. Szene
Dritte Szene
Gott Vater. Ein Cherubim; dieser, ein geschlechtsloser Engel, gefitticht weiß, sehr schön von Angesicht, im Charakter des Antinous; kniet während der ganzen Szene.

GOTT VATER
nachdem er lange auf ihn herabgesehen; sehr ruhig; mit tief genommenem Bariton.
Rollt die Erde noch in ihren Sphären? –
CHERUBIM
die Augen aufschlagend, feierlich.
Die Erde rollt in ihren Sphären! – Pause.
GOTT VATER
wie oben.
Ist die Sonne schon aufgegangen? –
CHERUBIM
zögernd.
Die Sonne steht, heiligster Vater!
GOTT VATER
ruhig, unbekümmert.
Steht die Sonne? – Ach so, ich hab' vergessen. – Ich sehe sie ja fast nicht mehr! –
CHERUBIM.
Was machen Deine Augen, ehrwürdiger Vater! –
GOTT VATER.
Schlecht! – Schlecht! – Gott, ich bin alt geworden! –
CHERUBIM
feierlich.
Vor Dir sind tausend Jahre wie ein Tag! –
GOTT VATER.
Ja, ja; aber schließlich gehen die auch herum!
CHERUBIM.
Du wirst wieder besser werden, göttlicher Greis!
GOTT VATER.

Nein, ich werde nicht wieder besser werden! Ausbrechend. Gott, ist das schrecklich, alt zu sein! – Gott, wie ist das schrecklich, als Alter auch noch ewig leben zu müssen! – Gräßlich, ein blinder Gott zu sein!

CHERUBIM.
Du wirst wieder sehend werden, göttlichster, heiligster Vater! –
GOTT VATER
bestimmt.

Nein, ich werde nicht wieder sehend werden! – Ich werde immer älter, zerbrechlicher und elender! Gott, wenn ich sterben könnte!

CHERUBIM
sanft.
Du wirst nicht sterben! – Du kannst nicht sterben! – Du sollst nicht sterben! –
GOTT VATER
gerührt, leise weinend.

... Ach, meine Glieder, sie sind gekrümmt, verschwollen, wassersüchtig, kontrakt, verdorben ... Streicht die Knie hinab.

CHERUBIM
rutscht ganz nahe zu ihm hin, legt seinen Kopf auf das eine Knie und streichelt mit der Hand das andere; leise wimmernd, mit tiefer Teilnahme, den Alten kindlich imitierend.

Deine Glieder sind gekrümmt, – sind geschwollen, – sind wassersüchtig, – sind kontrakt, – sind verdorben ... Ach! – Ach! –

GOTT VATER
intensiver weinend.
Meine Füße sind vergichtet, [82] verknorpelt, brennend vor Schmerzen, zuckend und zerrissen ...
CHERUBIM
rutscht hinunter auf die Füße des Alten, liebkost sie, und jammert.

Deine Füße sind vergichtet, – sind verknorpelt, – sind brennend vor Schmerzen, – zucken und sind zerrissen ... Ach! – Ach! –

GOTT VATER
bricht in heftiges, schmerzhaftes Schluchzen aus.
Ach! – Ach!-
CHERUBIM
stürzt sich ganz zu Boden und umschlingt beide Füße, sein Gesicht in denselben schluchzend verbergend.
Ach, mein Gott! Mein Gott! –
GOTT VATER
will sich gerührt vorbeugen, streckt beide Arme nach dem Knaben aus, kann ihn aber nicht erreichen, während dicke Tränen auf den Kopf des Cherubim herabtropfen.
CHERUBIM
dessen gewahr, schnellt empor und bringt sich, in halb-kniender Stellung den Körper des Alten umschließend, ihm entgegen.

Gott Vater ergreift in heftiger Leidenschaft den Kopf des Knaben mit beiden Händen, drückt sein naß-verschwommenes Gesicht an dessen Wangen, und küßt, von Schluchzen unterbrochen, brünstig dessen Stirne, Augen, Haare. Beide, in Tränen aufgelöst, ruhen, während der heftige Ausbruch des Alten zu versiegen beginnt, in stummer Umarmung
aneinander. – In diesem Augenblick klopft es draußen.
CHERUBIM
fährt empor.
Es ist jemand draußen!
GOTT VATER
müd.
Sieh, wer es ist!
CHERUBIM
nachdem er sich an der Türe flüsternd erkundigt, kommt zurück.
Ein geflügelter Bote ist draußen, der will Dir Nachricht bringen; er tut sehr eilig.
GOTT VATER
gleichgültig.
Laß ihn herein! –
[83]
4. Szene
Vierte Szene
Die Vorigen; ein gefittichter, auch an den Füßen geflügelter Bote von reiferem Charakter kommt in Begleitung zweier Engel in großer Erregung herein.

BOTE
sinkt in den Staub und küßt den Boden; richtet sich dann kniend auf.

Herr, ich komme aus Italien; aus Neapel; Gräßliches muß ich Dir berichten; der Pfuhl der Sünde stinkt bis da herauf; alle Bande der Sittlichkeit sind gelöst; man hohnlacht Deiner heiligen, am Berge Sinai von Dir selbst gegebenen Gebote; die Stadt, vom Franzosenkönig belagert, ergibt sich den entsetzlichsten Greueln; Weiber laufen mit entblößtem Busen frech-lüstern durch die Straßen; die Männer funkeln wie Böcke; ein Laster folgt dem andern; das Meer brandet bis in ihre Gassen; die Sonne hat sich schon verdunkelt; aber sie achten weder irdischer noch himmlischer Zeichen; die Unterschiede der Stände sind aufgehoben; der König bricht ins Lupanar; und der Facchino dringt zu den feilen königlichen Metzen in den Palast; Hunde und Spielhähne haben ihre Brunstzeit, aber die Neapolitaner sind das ganze Jahr Tiere; die ganze Stadt ein kochender Kessel der Leidenschaft; Italien ist das liebes-wahnwitzigste unter den Völkern Europas; aber Neapel ist in Italien, was Italien unter den Völkern; die Belagerung hat den Rausch der Geschlechter bis zum Wahnsinn gesteigert; kein Alter wird geschont, keiner Jugend sich erbarmt; Zeugungs-Glieder in unermeßlicher Größe werden als Gottheiten in festlichem Aufzug durch die Straßen geführt, von Reigen junger Mädchen begleitet, und wie allmächtige Idole angebetet. Und in Deiner Kirche sah ich den Priester vor dem Altar mit einer feilen Dirne ...

GOTT VATER
der den Gang der Erzählung mit wachsendem Erstaunen zugehört, erhebt sich, seines Zornes nicht mehr mächtig, mit äußerster Kraft-Anstrengung vom Thron, und reckt die geballte Faust.
Ich will sie zerschmettern! Alles stürzt zu Boden und verbirgt das Antlitz.
CHERUBIM
mit flehender Gebärde.
Tu' das nicht, lieber heiliger Vater; – – – – Du hast ja sonst keine Menschen mehr! –
[84]
GOTT VATER
der den Cherubim lange mit offenem Munde angestarrt, sich besinnend, zusammenknickend.

Ja, so, – richtig, – ich hab' vergessen;vollends auf den Thron zurücksinkend. das Erschaffen ist ja vorbei; – ich bin zu alt; – und meine Kinder können es nicht. –

CHERUBIM
naiv.

Beruhige Dich, göttlicher Greis! – Du wirst Dein drohendes Gesicht aus den Wolken zeigen und den Neapolitanern eine Zornes-Rede halten; sie werden dann schaudern.

GOTT VATER.

Sie werden nicht schaudern! – Sie verlachen mich ja! – Sie wissen, daß ich nur reden kann. Sie wissen, daß sie da unten unter sich sind; freien, lieben und hassen können, und mich nicht mehr brauchen. – – Auffahrend. Aber Du Zum Boten. rufe mir meine Tochter, die allerseligste Jungfrau, – und auch meinen Sohn magst Du rufen, – und die Cherubim und Würgengel mögen sich für meinen göttlichen Befehl bereit halten; – und auch dem Teufel laß ich vermelden, er möge sich zu mir bemühen: wir wollen ein Konzil halten, und beraten, was in dieser gräßlichen Sache zu tun ist.


Bote und alle übrigen Engel bis auf den Cherubim unter großem Geräusch ab. – Der Cherubim bemüht sich um den erschöpften Alten, bettet ihn aufs neue auf den Thron, rückt Fußschemel und Wärmeflasche zurecht, knüpft ihm das Foulard, wischt ihm Gesicht und Bart ab, und schmiegt sich zuletzt zu seinen Füßen, während der Alte dessen Hand ergreift und in der seinen ruhen läßt. – Stumme Szene.

[85]
5. Szene
Fünfte Szene
Die Vorigen. Maria, von einer Schar jugendlich amorettenhaft gekleideter Engel, die ihr vorauseilen und ihr Blumen streuen, sowie von erwachsenen Engels-Knaben, die Lilienstengel tragen, gefolgt und begleitet, kommt in hochmütig-stolzer Haltung, eine kleine Krone auf dem Haupte, in einem blauen, sternbesäten Kleid, welches vorne das weiß-seidene Untergewand erblicken läßt, durch die Haupt-Türe herein, macht in Front von Gott Vater, von dessen Thrones-Stufen sich der Cherubim inzwischen zurückgezogen, eine steife, hofmäßige Verbeugung und begibt sich dann auf einen zweiten, in der Zwischenzeit von dienstbaren Engeln, etwas entfernt von Gott Vater, ebenfalls an der Wand zurechtgerichteten Thron, der, mit hoher Rücklehne, im Stile sich der Zeit der Minnesänger anpaßt. Sie verweilt dort während des Folgenden, von ihrem Engels-Chor umgeben, ausschließlich mit Herrichtung ihrer Toilette, Benutzung eines kleinen Spiegels sowie Selbst-Besprengung mit wohlriechenden Wässern, beschäftigt. – Ein weiches Geflüster schalkhafter, augenschmeißender Amoretten macht sich um ihn vernehmbar. – Währenddem unterhalten sich auf der
entgegengesetzten Seite, links im Vordergrund, die drei aus der ersten Szene bekannten Engel.

ERSTER ENGEL.
Der Mann kommt.
ZWEITER ENGEL
in die Hände patschend.
Der Mann, der Mann kommt.
DRITTER ENGEL
aufhorchend ernsthaft.
Der Mann? Wer ist der Mann? –
ZWEITER ENGEL.
Ach, der Mann – Du kleines Äffchen – das ist der Mann!
ERSTER ENGEL
belehrend.

Das ist der schönste, der zarteste, der zuckrigste Mann; der einzige Mann im Himmel; das ist der Mann.

DRITTER ENGEL
neugierig.
Ist er jung?
ERSTER ENGEL.
Wie eine Palme.
DRITTER ENGEL
nach einigem Besinnen.
Ist er jünger wie der alte Mann dort?
[86]
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
sich gegenseitig ins Wort fallend.
Hunderttausendmal jünger!
DRITTER ENGEL
nach weiterem Besinnen.
Ist er jünger wie die schöne Frau dort?
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
wie oben.
Tausendmal, tausendmal jünger!
DRITTER ENGEL
wieder besinnend.
Ist er jünger wie der garstige alte Mann drunten auf der Erde?
ERSTER UND ZWEITER ENGEL
wie oben.
Unendlich oftmal viel jünger!
DRITTER ENGEL
sich erwärmend.
Ist er schön?
ZWEITER ENGEL.
Weiß wie Elfenbein!
DRITTER ENGEL.
Ist er schlank?
ERSTER ENGEL.
Wie eine Tanne!
DRITTER ENGEL.
Was hat er für Augen?
ZWEITER ENGEL.
Wie eine Gazelle!
DRITTER ENGEL.
Wie spricht er?
ERSTER ENGEL
besinnend.
Wie eine Äolsharfe – Aber traurig, traurig!
DRITTER ENGEL
teilnahmsvoll.
Warum ist er traurig, der Mann?
ZWEITER ENGEL.
Er ist ja verwundet!

Dritter Engel stumm-verwundert fragend.
ERSTER ENGEL.
Sie haben ihn ja in die Hände gestochen!
ZWEITER ENGEL.
Und durch die Füße!
ERSTER ENGEL.
Und in die Seite hinein!
ZWEITER ENGEL.
Und von der Stirn unter den Haaren herab fließen Blutstropfen!
DRITTER ENGEL
der mit wachsender Bewunderung zugehört.
Aber er lebt?
ERSTER UND ZWEITER ENGEL.
Er lebt!

Man hört draußen das Sich-Nahen eines Zuges. Eine Schar junger, mädchenhafter Engel stürzt voraus.
ERSTER UND ZWEITER ENGEL.
Der Mann kommt!
DRITTER ENGEL
leise repetierend.
Der Mann kommt. Sie Treten etwas zurück, um Platz zu machen.
DIE VORAUSEILENDEN ENGEL
zwitschernd, kichernd.
Der Mann! Der Mann!

Christus, mit gestreckten, nach vorn übereinandergeschlagenen Armen (Ecce-homo-Stellung), kommt im weißen Talar mit übergeschlagenem Purpur-Mantel, als König der Juden, gesenkten Kopfes und mit tief-trauriger Miene [87] skandierten Schrittes herein, umgeben von meist älteren Engeln, die Kreuz- und Marterwerkzeuge tragen; in seinem Gefolge Apostel, Märtyrer, Maria Magdalena, Klageweiber. Er ist sehr jugendlich, blaß mit dunklen Haaren, leichtem Flaumbart, eine hoch aufgeschossene, ätherische Erscheinung; auch das Gefolge hat den Charakter tiefster Niedergeschlagenheit und Hinfälligkeit. Die jüngeren Engel drängen sich mit feurigen Blicken um ihn, suchen seinen Gewandsaum zu berühren. Er begibt sich, gleichgültig von Gott Vater beobachtet und gänzlich unbeachtet von Maria, selbst in seiner Passivität von niemandem Notiz nehmend, zu einem für ihn inzwischen aufgeschlagenen, etwas abseits von den andern stehenden Thron, der die primitive Gestalt eines jüdischen Lehrstuhls hat. Dort läßt er
sich, seine Ecce-homo-Stellung beibehaltend, in großer Apathie nieder, während sich sein Gefolge um ihn gruppiert.
Nachdem alles sich versammelt und die Engels-Gruppen in der Front von den drei Thronen, wo sie den ganzen Vordergrund einnehmen, sich kniend niedergelassen.
GOTT VATER
feierlich mit tiefem Pathos.
Sind Wir alle versammelt? –

Im nächsten Augenblick fährt ein feuriger Streifen pfeifend wie eine Rakete oben am Gewölbe quer durch den Saal, in der Ferne klirrend verhallend: der Heilige Geist. – Alles blickt mit feierlicher Geste, die Engel die Hände auseinanderspreitend, nach oben; nur Maria schaut, den Kopf nachlässig auf die linke Thronlehne gestützt, gleichgültig vor sich hin; während Christus, die Arme über der Brust kreuzend, das Haupt noch tiefer senkt und so längere Zeit in tiefer Zerknirschung verweilt.
GOTT VATER
nach einer Pause, während der alle in die frühere Stellung zurückkehren.

Wir haben Euch hieher berufen, um Euren Rat in einer schweren, entsetzlichen Sache zu vernehmen. – Die Menschen haben sich, meine Gebote mißachtend, in götzendienerischer, selbst-zerstörender Weise den schrecklichsten Ausschweifungen, den fürchterlichsten Greueln hingegeben. In einer Stadt – in Asien – in – in – wo war es nur gleich? ...

CHERUBIM
in nächster Nähe von Gott Vater mit emporgefalteten Händen.
In Neapel, heiligster Vater. –
[88]
GOTT VATER
sich erinnernd.

In Neapel haben sie unter gänzlicher Verschiebung der die Scham garantierenden Kleider sich wie Tiere, mit rücksichtsloser Verachtung der für die fleischlichen Instinkte gesetzten Schranken und Vorbehalte, vermischt, und so den göttlichen Zorn ...

MARIA
einfallend, leichthin.
Ach ja, ich hab' davon gehört.
GOTT VATER
erstaunt aufhorchend.
Wie? Was ist das?
MARIA
wie oben.

Ja, ich kenne die Affäre. Der Bote war zuerst bei mir ... Hält sich plötzlich den Mund zu, als wolle sie's zurücknehmen.


Gott Vater blaß vor Zorn, will auffahren, sucht den Boten unter den Versammelten, blickt dann wieder schnaubend zu Maria hinüber.
Cherubim mit stummer Gebärde, bittet den Alten, sich zu bemeistern und hält unverwandt in seinem Bitten an.
GOTT VATER
schluckt es hinunter, bitter.

... Dann seid Ihr alle orientiert. Kämpft noch längere Zeit mit seiner Erregung. – – Die schrecklichste Strafe haben Wir bei Uns beschlossen ...

MARIA
dazwischenfahrend.
Das Gesindel wird nie besser.
CHRISTUS
blickt matt auf, mit schwindsüchtiger Stimme und gläsernem Aug', nachlallend.
Nein, – das – Gesindel wird nie besser.
DIE ENGEL
unter sich, sich anstoßend.
Der Mann! Der Mann! –
MARIA MAGDALENA
bitter.
Was haben sie denn getan?
MARIA
kurz.
Ich sag' Dir's nachher! Koschonerien, wie gewöhnlich.
GOTT VATER
erbost.
Wir wollen sie verderben!
CHRISTUS
wie oben.
Ja, ja, – wir wollen sie verderben!
CHORUS DER APOSTEL, MÄRTYRER, ENGEL
bedauernd.
Ah! – Ah! –
CHRISTUS
nicht orientiert.
Hä?
MARIA
kurz, imperatorisch.
Nein, nein! Das geht nicht! Wir müssen sie doch haben.
CHRISTUS
nachsprechend.
Ja, – ja, – wir müssen sie haben.
GOTT VATER
sich in der Minorität fühlend, zornig.

Müssen Wir sie haben? – Ich will sie ausrotten, diese Scheusale. – Will – will – will wieder eine schöne Erde haben mit Tieren im Walde ...

MARIA
spöttisch.
Wenn wir Tiere haben, müssen wir Menschen auch haben.
[89]
MARIA MAGDALENA
teilnahmsvoll.
Die Sünde dient zur Läuterung.
GOTT VATER.
Sie fressen die Sünde wie süßen Kuchen, bis sie platzen, bis sie faulen.
MARIA
trocken.

Die Begattung müssen wir ihnen schließlich lassen. – Ein Stückchen Wollust muß man ihnen gönnen – sonst hängen sie sich am nächsten Baum auf. Der Alte schaut immer zorniger, sprühender herüber. Bei der Nacht! Bei der Nacht! – Im Frühjahr! – Zu gewissen Zeiten! – Wenn der Mond scheint! – Mit Maß und Ziel!

GOTT VATER
immer zorniger.

Ich will sie erschlagen wie zwei geile Hunde – in ihrem schönsten Rausch! ... Große Bewegung in der Versammlung. Die jüngeren Engel blicken sich staunend an.

MARIA
trocken.
Wer macht dann die Menschen?

Während die Apostel sich eifrig unterhalten und eine peinliche Empfindung durch den ganzen Saal geht, starrt der Alte mit glühendem Kopfe schwer keuchend vor sich hin; er wird immer dunkler im Gesicht, kollert und rasselt; ein Erstickungsanfall scheint im Anzuge zu sein; er fuchtelt mit den Armen herum; wirft Decken und Krücken von sich; stöhnt und brüllt; man eilt ihm zu Hilfe; bringt Spuckschale, Flaschen und ätherische Flüssigkeit;
Maria ist besorgt aufgesprungen; Christus, vor Schwäche sitzen bleibend, blickt mit lechzenden, glasigen Augen herüber; große Verwirrung. Der Alte weist aber alle Hilfe und Unterstützung mit wilder Gebärde von sich, nimmt alle Kraft zusammen und brüllt mit furchtbarer Anstrengung.
GOTT VATER.
Ich will sie zerschmeißen – zertreten – im Mörser meines Zornes – zerschmettern.

Ist im Begriffe, sich zu erheben und zu einem allmächtigen, unwiderruflichen, mit der Tat identischen Schlag auszuholen.
CHERUBIM
stürzt in diesem Moment hervor, wirft sich vor dem Alten hin, mit flehender Stimme.
Heiligster, göttlichster Vater, morgen ist Ostern! – Drunten essen sie das Passah-Mahl!
CHOR DER APOSTEL, MÄRTYRER, ÄLTEREN ENGEL
einfallend.
Sie essen das Passah-Mahl.
GOTT VATER
der innegehalten.
Was essen sie? –
CHERUBIM
und die Andern.
Sie essen das Passah- Mahl!
[90]
GOTT VATER
blickt verwundert um sich.
Das Passah-Mahl essen sie?
CHOR DER APOSTEL.
Sie essen das Osterlamm!
CHERUBIM.
Sie essen das Abendmahl?
GOTT VATER
sich besinnend.
Das Abendmahl?
CHERUBIM.
Sie essen das Fleisch und Blut Christi!
GOTT VATER
etwas wärmer.
Mein Sohn, sie essen Dich!
CHRISTUS
mit matter Stimme.
Ja, sie essen mich.
MARIA
mit gemachter Zärtlichkeit.
Mein lieber Sohn, den ich in meinem Leibe getragen habe!
CHRISTUS
kindlich.
Den Du in Deinem Leibe getragen hast.
GOTT VATER
mechanisch.
Den sie in ihrem Leibe getragen hat.
DIE JÜNGEREN ENGEL
unter sich flüsternd.
Der Mann! – Der Mann!–
MARIA
wie oben.
Dich essen sie!
CHRISTUS
wie oben.
Mich essen sie.
GOTT VATER
wie oben.
Ihn essen sie.
CHRISTUS
auffahrend.

Ja, und trotzdem werden Wir da heroben immer elender und schwächer! – Es ist entsetzlich! Hüstelt. Mich essen sie, und werden wieder gesund und sündenfrei. Und Wir gehen immer mehr zu Grund. Erst fressen sie sich drunten mit Sünden voll, bis zum Platzen, und dann genießen sie mich, und gedeihen, und werden sündenfrei, und dick und fett; und Wir werden mager und elend. Ah! diese vermaledeite Rolle! Ich möchte einmal den Spieß umkehren und mich satt essen, und sie darben lassen!


Bricht in einen schwindsüchtigen Husten aus.
MARIA
aufspringend und zu ihm hineilend, besorgt.

Mein Gott, mein Sohn, vergiß nicht, Du bist unverletzlich, göttlich, unaufzehrbar, in alle Ewigkeit derselbe! Legt sein Haupt an ihre Brust und liebkost ihn.

CHRISTUS
schluchzt heftig an der Brust Marias.
DIE JÜNGEREN ENGEL
unter sich flüsternd.
Der Mann! Der Mann!
GOTT VATER
nach einer Pause, viel ruhiger geworden, zu Cherubim.
Wer feiert denn da drunten jetzt alles Passah-Mahl?
CHERUBIM
einfallend.

Die Christen, heiliger Vater. Deine Gläubigen, göttlicher Meister; Deine Kinder, die auf Dich hoffen; die Frommen, die Katholischen, die alleinseligmachende Kirche, Deine Priester, die Bischöfe, der Papst!

GOTT VATER
gernglaubend, freundlich.
So! – Das wollen Wir doch einmal ansehen!
[91]
MARIA
glücklich, daß ein Ausweg gefunden.

Ja, das wollen wir uns einmal ansehen! Zu Christus. Komm, mein Sohn, wir wollen uns das einmal ansehen, das wird Dich zerstreuen!


Große Erleichterung in der ganzen Versammlung; die kompakten Gruppen lösen sich auf; jüngere Engel verlassen den Saal; dienstbare Geister machen sich an den Thronen zu schaffen, um alles wieder in prächtige, geschmückte Ordnung zu
bringen; alles medizinische Gerät wird entfernt; dafür werden eigentümliche große Dreifüße während des Folgenden hereingebracht; die Gruppen der Apostel, Märtyrer, Engel, Barmherzigen Schwestern entfernen sich in feierlicher Ordnung; so daß zuletzt nur die drei Gottheiten, der Cherubim und einige ältere Engel zurückbleiben.
GOTT VATER
der bequem auf seinem Thron in halbliegender Stellung gebettet ist, in tief-sonorem, feierlichem Ton.

Bringt Uns die Räucherbecken und Kohlenpfannen und erzeuget in Uns Allwissenheit und Allgegenwärtigkeit! –


Die Dreifüße werden in die Mitte des Saales gestellt, mit einer braunen Droge, gemischt mit Sandelholz, beschickt, und dann angezündet; die Türen werden geschlossen; die dienstbaren Engel entfemen sich, als letzter der Cherubim. Man sieht die drei Gottheiten, während sich die Dampfwolken verbreiten, langsam zurücksinken und die Augen schließen. Währenddem fällt der Vorhang.
[92]

2. Akt

1. Szene
Erste Szene 1
[93] Ein Prunksaal im päpstlichen Palast in Rom, den im Hintergrunde Arkaden mit darüber befindlicher Galerie im Rundbogenstil abschließen; der Saal ist rückwärts als an die Privatkapelle des Papstes stoßend gedacht, mit der eine Kommunikation von der hohen Galerie aus durch Öffnen der daselbst befindlichen Fenster möglich ist, derart, daß die Galerie mit dem Sänger-Chor der Kapelle etwa in gleicher Höhe liegend ist. – Die ganze linke Seite (von der Bühne aus) nehmen der Papst mit seiner Familie, der päpstliche Hofstaat und die tafelnden Gäste ein, wo reich-besetzte Tische mit kostbarem Service und hellen, auffallend hohen, dreiarmigen Kandelabern zu sehen sind. Die ganze Mitte und rechte Seite, mit Ausnahme einiger zu äußerst rechts sich bildender unterhaltender Gruppen, bleibt frei für die späteren Evolutionen und Maskeraden. – Es ist gegen Abend und der erste Ostertag 1495; die Speisen werden eben abgetragen. Der Papst ist in dem bequemen, wenig auffälligen Kostüm eines Hausprälaten (violett mit Sammet) gekleidet und trägt ein rundes Sammetkäppchen; alle übrigen in
reichen Kostümen. – Glänzende Dienerschaft; fortwährendes Hin- und Hergehen; rege Unterhaltung; wiederholtes Gelächter; im Hintergrund unter den Arkaden eine Musik; die Galerie mit Zuschauern, Leuten aus dem Volk besetzt; die Gruppen im Saal bilden sich, tauschen Neuigkeiten aus, und zerstreuen sich wieder. – Außer dem Papst (Rodrigo Borgia, Alexander VI.), einem Sechziger, seine neun Kinder Girolama, Isabella, Pier Luigi, Don Giovanni (Graf von Celano), Cesare, Don Gioffre, Lucrezia, fünfzehnjährig, blond, heiter und kindlich, Laura und Don Giovanni Borgia, ein Knabe; seine Schwiegertöchter und Schwiegersöhne, darunter Donna Sancia, Gemahlin Don Gioffres; seine Neffen und Verwandten, darunter Collerando Borgia, Almosenier, Bischof von Coria und Monreale, Francesco Borgia, Erzbischof von Cosenza, Schatzmeister des Papstes, Luigi Pietro Borgia, Kardinal-Diakon von Santa Maria, Rodrigo Borgia, Kapitän der päpstlichen Garde; seine Vertrauten, darunter Giovanni Lopez, Bischof von Perugia, Pietro Caranza, Geheimkämmerer, Giovanni Vera da Ercilla und Remolina da Ilerda, Mitglieder des heiligen Kollegiums, Juan Marades, Bischof von Toul, [94] Geheimer Intendant; des Papstes zwei Mätressen, die frühere, Vanozza, 53 jährig; die
jetzige, Julia Farnese, 21 jährig; diese mit ihrem Gemahl Orsini und ihrem Bruder, dem Kardinal Alessandro Farnese; seine Vertraute Adriana Mila, Erzieherin seiner Kinder; Burcard, Zeremonienmeister des Papstes; Erzbischöfe, Bischöfe, Kardinäle, päpstliche Würdenträger, römische Damen, Soldaten und Dienerschaft, Leute aus dem Volke, später Kurtisanen und Schauspieler.

DON GIOFFRE.
Hat dieser Spanier heute nicht wieder langweilig gepredigt?
DER PAPST.
Schrecklich, es war nicht zum Anhören.
DONNA SANCIA
zu Lucrezia.
Ich habe Dir immer Zeichen hinübergemacht, aber Du hast mich nicht verstanden.
LUCREZIA
schläfrig.
Ach, Pietro hat mich doch immer mit dem Fuß gestoßen.
DON GIOFFRE.

Der Spanier hat Seine Heiligkeit auch nicht verstanden; er predigte immer zu; und Seine Heiligkeit gaben doch deutliche Zeichen der Unzufriedenheit.

DER PAPST.

Er kommt aus Valencia; die Kerle sind dort so bocksteif; wenn Einer anfängt, hört er nimmer auf; jede Empfindung wird eine Rakete, jedes Wort ein Knüppel.


Gelächter.
FRANCESCO BORGIA, DER BISCHOF.
Aber ehrlich Mühe hat er sich gegeben.
DER PAPST.
Ehrlichkeit ist immer eine Ungeschicklichkeit.
DON GIOFFRE.
Und das Volk glotzte herauf, wie mit Geisteraugen, wütend, besessen, verschlingend.
DON GIOVANNI.
Weil Donna Sancia immer wisperte und kicherte.
DONNA SANCIA.
Nein, weil Lucrezia immer Konfetti aß.
LUCREZIA.
Nein, weil Laura eingeschlafen war und schnarchte.
DON GIOFFRE.
Ich glaube die Perlen der schönen Farnese stachen ihm in die Augen.
FRANCESCO BORGIA, DER BISCHOF.
Konnte das Volk das alles sehen?
LUCREZIA.
Wir saßen doch alle oben im Chor, rechts und links vom Altar.
DER PAPST.

Nein, Kinder, das ist es nicht! Ihr dürft lachen und scherzen, Perlen tragen und Konfetti essen. Aber ich sah einige Dominikaner unter ihnen sitzen; es sind Florentiner von San Marco, Schüler des Savonarola, dieses Ruhestörers. [95] Sie wiegeln mir das Volk auf, und schwatzen, und machen geisterhafte Augen ...

DON GIOFFRE.
Warum, entfernt man die Tagediebe nicht?
FRANCESCO BORGIA.
Sie sind in Mission hier. Sie konferieren mit ihrem General.
DON GIOVANNI.

Oho, sind wir hier auch schon so weit, daß man den Frauen Schmuck vom Körper reißt, auf einen Haufen wirft und verbrennt?

DON GIOFFRE.
Wird sich Eure Heiligkeit noch länger von dem Florentiner Narren Gesetze diktieren lassen?
DER PAPST
zwinkernd.
Wir luden ihn ein. – Er kommt nicht.
DON GIOVANNI.
Wie, er weigert den Gehorsam?
DER PAPST.

Der Mediceer schützt ihn. – Lorenzo ist bußfertig geworden, er fragt täglich bei Savonarola an, ob er noch Aussicht habe, in den Himmel zu kommen.

LUCREZIA.
Wer ist Savonarola, santo papa?
DER PAPST.
Er erlaubt Euch nicht, Konfetti zu essen und Perlen zu tragen.

Gelächter.
DON GIOFFRE.
Gibt es kein Mittel ...? Haben wir kein Kirchengift mehr?
CESARE
finster, trocken.
Später! –

Eine Gruppe Edelleute zu äußerst rechts von der Bühne aus.
ERSTER EDELMANN
flüsternd.
Ihr wißt, man fand heute nacht den Herzog von Bisaglie im Tiber?
ZWEITER EDELMANN.
Ja, er ist ertrunken.
DRITTER EDELMANN.
Ja, und mit drei schweren Wunden dazu!
ERSTER EDELMANN.
Er soll schwer betrunken nachts den Vatikan verlassen haben ...
DRITTER EDELMANN.

Es ist gegenwärtig immer gefährlich, nachts den Vatikan zu verlassen, einerlei in welchem Zustand ... besonders, wenn man der Gemahl der schönen Lucrezia ist.

ZWEITER EDELMANN.
Ihr meint ...?
DRITTER EDELMANN.

Ich meine, daß der Herzog von Bisaglie gestern abend in Gegenwart seiner Gemahlin Lucrezia und ihres Bruders Don Cesar erdrosselt wurde. –


Erster und zweiter Edelmann fahren auseinander.
ZWEITER EDELMANN.
Aber die tiefen Wunden?
DRITTER EDELMANN.

Rühren von einem Überfall her, den vor vier Wochen eine Bande Maskierter auf ihn am Petersplatz [96] machte, und von denen der Herzog die Unverschämtheit hatte, genesen zu wollen.


Beide erschrecken aufs neue.
ERSTER EDELMANN.
Aber seht Lucrezia; sie ist heiter, wie am Hochzeitstag.
DRITTER EDELMANN.

Sie ist ein Kind! Seine Heiligkeit machte sie diesen Morgen zur Fürstin von Nepi und schickte ihr einen großen Korb mit Konfetti.

ZWEITER EDELMANN.
Und weiß der Papst von dem Sachverhalt?
DRITTER EDELMANN.
Alexander VI. weiß nichts; Rodrigo Borgia weiß alles.
ERSTER EDELMANN.
Und was wird er tun?
DRITTER EDELMANN.

Er wird eine Seelenmesse für den in den Tiber gefallenen Herzog lesen, und den Fürsten von Ferrara benachrichtigen, daß Lucrezia frei ist. –


Vom Hintergrund her ertönt eine Tanzweise. Die drei Edelleute gehen auseinander. Man sieht im Hintergrunde Paare tanzen. Die Tafel ist inzwischen abgeräumt und hinausgetragen worden. Die ganze Gesellschaft setzt und lagert sich auf Taburetts und Kissen. Der Platz in der Mitte ist nun noch größer geworden. Die Gruppen bleiben nicht unbeweglich. Man steht auf, geht zu andern, plauscht, trinkt und nippt von den dargebotenen Süßigkeiten, und kehrt auf seinen Platz zurück. Von den tanzenden Paaren haben inzwischen einige pausiert. Einige der Damen kommen erhitzt und glühend nach vorn. Der Papst nimmt einem der Diener einen Korb Konfetti ab und wirft von denselben den Damen in den Busen.
Heiteres Gelächter unten und von der Galerie herab. Das Musikstück hat aufgehört.
DER PAPST.

Wo stecken unsere Buffoni! – Laßt sie herein! – Und Wir, Wir lassen uns hier niederNach links weisend, wo die Plätze sich befinden; zu Lucrezia. Komm, mein Kindchen!


Pulcinello tritt auf mit Colombina und seinem Gefolge. Sie führen ein mimisches Spiel auf. Pulcinello im weißen Puderkostüm mit Ledergurt, Halskrause, Tüten-Mütze und schwarzer Halbmaske, die Pritsche in der Hand, apostrophiert erst mit tiefen Verbeugungen, Grimassierungen und Verdrehungen das Publikum; währenddem sucht er sich plötzlich zu erdrosseln, hält die Hände so, als wenn es fremde wären, ächzt und stöhnt und will[97] sterben. Colombina kommt von hinten vor, erschrickt scheinbar, kann es nicht sehen und hält die Hände vors Gesicht. Der Papst versteht die Anspielung und droht mit dem Finger. Darauf lassen sie ab, und das eigentliche Spiel beginnt in dem Sinne, daß Colombina, die junge Frau des alten Pantalone, von Pulcinello entführt und der Ehemann betrogen wird. Wiederholtes Gelächter während des Spiels und lebhafte Unterhaltung.
DER PAPST
während des Spiels zu Lucrezia, die zu seinen Füßen auf einem Kissen Platz genommen, schmeichelnd.

Mein Herzchen, Du hättest eigentlich heute einen Trauertag; Dein schöner Herzog ist so plötzlich gestorben.

LUCREZIA
kindlich.
Ach ja, er ist in den Tiber gefallen.
DER PAPST
bedauernd.
Du hast ihn wohl gern gehabt?
LUCREZIA
wie oben.
Ach ja, recht sehr!
DER PAPST.
Sei nur zufrieden, wir haben schon wieder einen neuen für Dich!
LUCREZIA
lebhaft.
So schön wie mein Herzog?
DER PAPST.
Schöner noch, mein Kätzchen.

Während im Spiel Colombina und Pulcinello sich hinter Pantalone laut küssen, und dieser, sich plötzlich umkehrend, eine Ladung weißen Puders im Gesicht empfängt, und unbeholfen hin- und hertaumelt, was von allen Seiten mit lautem Gelächter begrüßt wird, tritt der Zeremonienmeister.
BURCARD
auf den Papst zu.

Eure Heiligkeit, die Vesper hat in der Kapelle begonnen; die Kirche ist gedrängt voll und das Volk erwartet am Ostertag Euren Segen!

DER PAPST.

Wir wollen das Spiel sehen; auch hat Uns der Tod Unseres lieben Schwiegersohns zu plötzlich erschüttert. – Man öffne Auf die Galerie weisend. dort die Fenster, und sage dem Volke, daß ich von der Loggia dort der Vesper beiwohne.Der Zeremonienmeister ab.


Gleich darauf sieht man oben die Fenster zwischen den Rundbögen der Galerie, wo das Volk steht, rückwärts vom Innern der Kirche aus sich öffnen, so daß man einen Einblick auf Fries, Gebälk, Statuen und angezündete Kronleuchter erhält. – Währenddem nimmt das Spiel seinen Fortgang. Wie Pulcinello mit der Pritsche dem verwirrt hin- und herlaufenden Pantalone nacheilt und auf ihn losschlägt, und Colombina, sich versteckend, hinter[98] Pulcinello drein eilt, hört man plötzlich aus den Fenstern über der Galerie in wehmütig-schmerzlichem Ton ein mehrstimmiges Graduale singen.
CHOR.

De profundis clamavi ad te Domine; Domine exaudi vocem meam; Fiant aures tuae intendentes in vocem deprecationis meae; Si iniquitates observaveris Domine, quis sustinebit? Speravit anima mea in Domino; A custodia matutina usque ad noctem; quia apud Dominum misericordia et copiosa apud eum redemptio. Et ipse rediniet nos ex omnibus iniquitatibus nostris 2.


Schon bei den ersten Tönen ist das Volk oben auf der Galerie scheu von den Fenstern
zurückgewichen, und hat sich, sich bekreuzend, halb gegen das Innere der Kirche gewendet. Unten sieht man, mehr gegen den Hintergrund, einige Gesichter und verlegene Mienen. Aber der Papst mit seiner Familie bleibt heiter und das Spiel nimmt, wenn auch etwas gezwungen, seinen Fortgang.
Kurz nach dem Graduale geht auch das Spiel zu Ende. Der Papst gibt der Musik ein Zeichen, und diese beginnt ein neues Musikstück, zu dem im Hintergrund die Paare tanzen. Pulcinello und seine Truppe verabschieden sich unter tiefen und grotesken Bücklingen. Man wirft ihnen Goldstücke zu. Der Papst winkt Colombina zu sich hin, der er die Backen streichelt und ihr ein besonderes Geldgeschenk in die Hand drückt, worauf sie sich mit einem Handkuß verabschiedet.
DER PAPST
nachdem die Musik geendet, klatscht in die Hände.
Wo sind unsre Schönen?

Auf dies Zeichen öffnet sich im Hintergrund der Galerie ein Vorhang und zwölf Kurtisanen von auserlesener Schönheit betreten, durch leichte, durchsichtige Gewänder verhüllt, den Saal, und nehmen rechts im Vordergrund Aufstellung; der Papst mit den Herren und Damen [99] seiner Umgebung gehen auf sie zu, mustern sie, und bewillkommnen sie unter scherzenden Redensarten.
DER PAPST
nachdem er sie alle gemustert, erstaunt.
Wo ist die Pignaccia? 3
EINES DER MÄDCHEN
nachdem erst alle verlegen geschwiegen.
Sie ist zu Karl 4 nach Neapel.
DER PAPST.
Wie? Geht Ihr auch zu Unsern Feinden über?

Der Papst mit seinem Gefolge zieht sich wieder nach links zurück, wo es sich, wie früher, auf Taburetts und Kissen gruppiert; Lucrezia auf dem Schoß ihres Vaters, von diesem geschmeichelt; Diener stellen die großen, dreiarmigen, helles Licht verbreitenden Kandelaber, die früher auf der Tafel stunden, in die Mitte des Saales auf den Boden. Auf ein Zeichen durch Klatschen in die Hände werfen die Mädchen die Gewänder ab; päpstliche Diener, hinter den Herrschaften stehend, werfen aus Körben über die Köpfe der Zuschauer hinweg Kastanien in die Mitte des Saales, auf die sich die Mädchen stürzen und sich um sie raufen. Helles Gelächter. Es bildet sich ein Kreis um die auf dem Boden kämpfenden Mädchen. Auch von der Galerie, wo sich inzwischen das Volk wieder zusammengedrängt hat, erschallt lautes Gelächter. Sobald eine Ration Kastanien aufgelesen ist, welche die Kurtisanen nach rechts neben ihre Gewänder sorgfältig auf einen Haufen legen, werden neue Kastanien aufgeworfen und der
gleiche Kampf beginnt von neuem. – Eines der Mädchen, dessen Haare alle aufgelöst sind, kommt einem der Kandelaber zu nahe und fängt Feuer. Der Papst springt auf – während Lucrezia zu Boden gleitet – und erstickt das Feuer mit seinen Gewändern.
DER PAPST
als sich zeigt, daß die Kleine keinen Schaden gelitten, züchtigt sie mit der Hand.
Diesmal, Du Schlingel, konntest Du die Reise ins Jenseits antreten! Lachen.
DIE KURTISANE.

Du hättest mich im Fegfeuer nicht länger brennen lassen als hier, santo papa!Erneutes Gelächter, in das der Papst miteinstimmt.


[100] Als die Kastanien alle verteilt, wird gezählt, und je nach der Zahl der gesammelten an die Mädchen Preise verteilt. Ein neues Musikstück beginnt, und die Diener reichen Erfrischungen. Laute Unterhaltung im ganzen Saal, vornehmlich über die Qualitäten der Mädchen. Als das Musikstück schweigt.
DER PAPST
klatscht aufs neue in die Hände.
Jetzt laßt unsere Athleten herein.

Auf der andern Seite der Galerie treten von hinter einem Vorhang zwei nackte kräftige Männer ein,
die zu den Mädchen geführt, sich an deren Anblick berauschen, um dann, auf ein weiteres Zeichen, den Zweikampf zu beginnen 5. Alles drängt sich um das Schauspiel unter Aufmunterungen und Beifalls-Zeichen. Auch die Mädchen verfolgen mit allem Interesse den Kampf. Als der Sieger seinen Gegner unter lautem Beifall geworfen, tritt er auf die Kurtisanen zu, wählt sich unter Scherzreden aller Anwesenden die Schönste und verläßt mit ihr den Saal. Der Unterlegene geht allein fort. Darauf betritt ein zweites Paar den Saal. – Die Aufregung unter den Zuschauenden steigert sich von Minute zu Minute. Beifallsworte und aufstachelnde Bemerkungen werden mit immer größerer Teilnahme und Leidenschaft dazwischen geworfen. – Als der fünfte seinen Gegner unter lautem Geschrei und Beifallsklatschen geworfen, und er eben seine Wahl trifft, ertönt in tiefernsten, tragischen Tönen vom Innern der Kirche der Schlußgesang der Vesper.

Veni sancte Spiritus
Et emitte coelitus
Lucis tuae radium.
Veni pater pauperum
Veni dator munerum
Veni lumen cordium.
Sine tuo nomine
Nihil est in homine,
Nihil est innoxium.
[101] Lava quod est sordidum,
Riga quod est aridum,
Sana quod est saucium.
O lux beatissima
Reple cordis intima
Tuorum fidelium 6.

Eine peinliche Stille ist nach den ersten Akkorden eingetreten. Das Volk auf der Galerie ist wieder entsetzt zurückgewichen, um den Platz vor den Fenstern freizumachen. Ein Teil der Anwesenden verläßt den Saal. – Indessen ist schon der sechste Kämpfer mit seinem Partner eingetreten. Der Papst gibt durch einen Wink den Befehl zur Fortsetzung des Spiels, an dem seine Familie und Vertrauten mit ärgerlichen Mienen über die eingetretene Störung teilnehmen, und das bis zum siebenten Kämpfer unter der Begleitung des Kirchengesangs seinen Fortgang nimmt. – Nach Schluß des letzteren wird die Stimmung wieder etwas wärmer und das Interesse reger. Der Kreis um die Kämpfenden schließt sich wieder. In der Kirche sieht man die Kronleuchter verlöschen und die Fenster von innen sich zumachen. – Das Spiel geht weiter.
Beim neunten Kämpfer stürzt ein Bote in den Saal
und flüstert in erregter Weise mit den im Hintergrund Stehenden. Die Bewegung setzt sich nach vorne fort. Man hört Rufe: Was ist los? – Was gibt's? –
RODRIGO BORGIA
Kapitän der päpstlichen Garde.

Der französische König, Eure Heiligkeit, ist, von Neapel zurückkehrend, im Anmarsch auf Rom und nur noch wenige Meilen entfernt.

DER PAPST
aufstürzend, erregt.

Zum Teufel! – Auf nach Orvieto! – Die Spanier und Katalanen sollen Uns begleiten! – Nehmt Unsere Kassen und Kostbarkeiten mit! – Die Damen sollen sich rüsten; auf Gepäck und Maultiere verzichten; [102] wir reisen alle zu Pferd! Pallavicini bleibt als Gouverneur der Stadt mit einem Teil der Truppen zurück. Er empfange den König mit allen Ehren, aber drohe ihm in Unserem Namen, als einem ungehorsamen Sohn der Kirche, den Bannfluch an, wenn er länger als vierundzwanzig Stunden auf Unserem Gebiet verweilt. – Cesare übernimmt die Bedeckung Unseres Zuges. – Vergeßt die goldenen Meßgeräte nicht! Fort! Alles in großer Erregung ab.

DIE MÄDCHEN
ihre Gewänder anlegend, jauchzend.
Carlo kommt! – Carlo kommt! –

Der Vorhang fällt.
[103]
Fußnoten

1 Burcardi, Zeremonienmeister Alexanders VI., »Diarium«, nouvelle edition par Thuasne, 3 vols., Paris 1885.

2 Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir; Herr, höre meine Stimme; laß Deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens; So Du willst, Herr, Sünde zurechnen, Herr, wer wird bestehen? Meine Seele wartet auf den Herrn von einer Morgenwache zur andern; Denn bei dem Herrn ist die Gnade, und viel Erlösung bei ihm; Er wird uns erlösen von allen unseren Sünden.

3 Eine berühmte Hetäre ihrer Zeit, die später hingerichtet wurde.

4 Karl VIII. von Frankreich, der kurz vorher Neapel eingenommen hatte.

5 Battaglie d'amore, Liebeskämpfe, hießen diese Schauspiele am Hofe Alexanders VI.

6 Komm, Heiliger Geist, und entsende himmelher den Strahl Deines Lichts. Komm, Vater der Armen, Geber der Güter, Erleuchter unserer Herzen. Ohne Deine Klarheit sind wir Menschen leer, nichtig und schuldbeladen. Wasche uns rein von Sünden; Erfrische die, die da vertrocknet sind; Und heile die Verwundeten. O göttliches Licht, erfülle die Herzen Deiner Frommen!

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
[104] Im Himmel; ein vertrauliches Kabinett in Blau. Interimsthron, einfach und bequem. Gott Vater, Maria, Christus, der Teufel; erstere drei auf ihren Stühlen; letzterer in schwarzem, enganliegenden Kostüm, sehr schlank, mit pointiertem Gesicht, ganz rasiert, mit verwitterten, abgelebten, gelb-verärgerten Zügen, in seinen Bewegungen an einen feineren Juden erinnernd, auf einen Fuß sich stützend, den andern aufziehend, vor ihnen aufrecht.

GOTT VATER
ernst und kurz.

Freund, Wir haben Dich rufen lassen. – Es handelt sich um einen speziellen Auftrag, der ... Stockt. ... besondere Geschicklichkeit erheischt; – – ich weiß, Du denkst viel – Teufel verbeugt sich. – könntest Du nicht ...Stockt. ... es handelt sich, ä ... ein Wesen, ä ... ein Ding, welches ... ä, ein Einfluß, – der imstande wäre, – die – Uns in ihrem Begehren anekelnde, gänzlich verwahrloste Menschheit – Teufel macht eine verständnis-innige, vornehm-bedauemde Bewegung. ... ä, wieder auf den Pfad der Tugend ... ä, und der wahren Sittlichkeit ... in empfindlich-strafender Weise zurückzuführen, ... ä, so daß ... ä ... Zu Christus gewendet. mein lieber Sohn, sag' Du's ihm; – Ich kann mit Worten nicht recht umgehn; – Ich habe immer nur gehandelt, – nie viel Worte gemacht. –

CHRISTUS
sich mühsam aufrichtend, nach einigem Besinnen, fließend.

Mein Herr! – – Wir gedächten Ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen – in einer Sache, – – die Ihnen ebenso großen Vorteil einbringen soll, wie uns selbst, – – ich meine, – die Ihnen die Menschheit – hinsichtlich ihrer irdischen Sphäre keineswegs entfremden soll, – ich sage dies ausdrücklich, um jeden Verdacht bei Ihnen nach dieser Richtung hin gleich von vornherein zu zerstreuen – Teufel macht eine verbindlich-abwehrende Handbewegung, als sei ihm ähnliches nie in den Sinn gekommen. – im Gegenteil, die – Ihnen diese Sphäre in noch ausgiebigerer Weise als bisher – unterwerfen soll: – es handelt sich um einen Kompromiß, – um ein Übereinkommen hinsichtlich der Verschiebung der Grenzen – unserer beiderseitigen, bisherigen Gewalten, – die keinem der beiden kontrahierenden Teile zu nahe treten soll, – und wobei Wir auf Ihre bewährte Geschicklichkeit, Ihren Scharfsinn, Ihren Takt, Ihr – versöhnliches Entgegenkommen, [105] Ihre – Bildung, – Ihre – Ihre – –


Fängt zu hüsteln an, wird kurzatmig, stöhnt und keucht, fällt röchelnd zurück, die Augen treten hervor, die Stirne wird schweißig, er bekommt einen asthmatischen Anfall.
MARIA
herbeispringend, während der Teufel sehr vornehm eine reservierte Verlegenheit heuchelt.

Schon Dich, mein Sohn, – Du sollst nie reden, – Du wirst schlechter, – Du bist leidend, Zum Teufel gewendet, verbindlich. mein lieber Freund, wir bedürfen Deiner Hilfe, – es ist ja nicht nötig, daß man erfährt, daß Du es bist, der die Sache inszeniertDer Teufel macht eine abwehrend-beruhigende Bewegung. – bitte, steh' uns bei, – es soll Dein Schade nicht sein Zwinkert ihn an. – Du verstehstWinkt gegen Gott Vater ab, in dem Sinne, daß dieser taub, alt und gebrechlich, und ihr nichts in den Weg lege – der Teufel verbeugt sich. – es handelt sich in Kürze um folgendes: Durch eine unglückliche Einflüsterung Zeigt auf den Alten hin. bewogen, wohnten wir einer Szene im päpstlichen Palast zu Rom bei, in den Gemächern des Papstes ... wie heißt er gleich ...

TEUFEL
verbindend einfallend.
Ah, Alexander, der Sechste seines Namens, Rodrigo Borgia – –
MARIA.
Ganz recht, dieser Borgia, – ach, es war skandalös, es war gräßlich, – das war ein Passah- Mahl! ...
GOTT VATER
plötzlich hervorkollernd, in breitester Unflätigkeit.
Pfui Daifel! – Pfui Daifel! – Pfui Daifel! –
CHRISTUS
erwacht aus seiner Schwäche, fällt ein, fast tonlos.
Ja, – pfui Daiwel! – pfui Daiwel! ...
TEUFEL
in großer Verwirrung, ärgerlich, unangenehm berührt.

... Ich bitte ... unter diesen Umständen ... darf ich wohl verzichten, ... fernerhin hier ...Will sich, nach rückwärts schreitend, zurückziehen.

GOTT VATER
redressierend zum Teufel gewendet.
Mein Gott! – Nein! – Sie waren nicht gemeint ...
TEUFEL
pikiert.
Ah, doch ...
GOTT VATER.

Nein, nein! – Also nochmals nein! – Es war nicht so; ... es fuhr Uns heraus ... die alte Gewohnheit ... Ich vergaß ...

TEUFEL
kommt zurück, vornehm-versöhnlich, bitter lächelnd, schnellt mit der einen Hand ein Stäubchen vom andern Ärmel.
Bitte, ... bitte ...
[106]
MARIA.

Nein, nein, mein Freund, Du bist der Unsere; von Verstimmung kann keine Rede sein; Wir bedürfen Deiner Hilfe zu notwendig; und Sehr laut zum Alten hinüber, anzüglich. eine Beleidigung Unseres viellieben Vetters, Unseres Alliierten, Unseres freundlich geliebten Bruders, werden Wir in keiner Weise zulassen Teufel verbeugt sich sehr verbindlich. – mit einem Wort also, die Sache ist die: Von einer an höchster Stelle Hinüberdeutend. in Aussicht genommenen gänzlichen Vernichtung des Menschengeschlechts aus höheren Gründen absehend, haben Wir beschlossen, eine empfindliche, sündflutartige Rache zu nehmen, und brauchen daher jemand, ein Ding, einen Einfluß, eine Gewalt, eine Person, ein Gift, ein Etwas, welches die Unflätigkeit der Menschen, besonders der Neapolitaner und Römer, in geschlechtlicher Beziehung – ah, fi donc! – Gießt etwas Eau de Cologne auf ein Spitzentuch, und hält es sich vor, – scheint leise zu schnupfen – schielt über dem Taschentuch zum Teufel hinüber. – ah! es wird mir besser Fortfahrend. – welches die Bestialität der Männer und Weiber in jenen lediglich der Fortpflanzung dienenden, und nur in dieser Begrenzung ihnen gewährleisteten Beziehungen und nötig erscheinenden Berührungen und Vermischungen – ah, c'est terrible! Schnupft wieder Eau de Cologne. – enfin – eindämmen soll! – Du verstehst!

TEUFEL
in sonorem Baß – etwas theatralisch.
– Ich verstehe. –
GOTT VATER
kollernd.
Ja, ja, – eindämmen soll! –
CHRISTUS
mit schwindsüchtiger Stimme.
Ja, ja, – eindämmen soll! –
TEUFEL
nach einigem Besinnen.
Soll es sehr empfindlich sein? –
MARIA
ihr Spitzentuch dem Teufel entgegenstreckend, heftig nickend – sozusagen für die andern mitnickend.
In der Tat, es soll sehr empfindlich sein.
GOTT VATER
guckt glasig herüber; scheint nicht ganz verstanden zu haben; ächzt schließlich zustimmend, mit fettem Räusperton.
Ja, ja! –
CHRISTUS
noch immer im Anfall liegend, sich langsam erholend, hauchend.
Ja, ja! –
TEUFEL
steht die ganze Zeit mit gesenktem Kopf, sich besinnend, zwei Finger an die Lippen gelegt.
Soll die Sache direkt auf den Fuß folgen? –
[107]
MARIA.
Freilich, freilich soll sie das!
GOTT VATER
guckt glasig weiter.
Freilich! – Freilich! –

Christus will seine zwei »freilich« sagen, kommt aber zu spät, und kollidiert mit der folgenden Rede der Maria, die nichtsdestoweniger fortfährt, mit ihrem Taschentuch beschwichtigend gegen ihren Sohn abwehrend, der lechzenden Blicks jeder ihrer Bewegungen folgt.
MARIA
zum Teufel.
Du bist auf dem richtigen Weg, mein Freund, Du bist Unseres Wohlgefallens sicher!
TEUFEL
mit einem kurzen trockenen Blick auf Maria, dann wieder in seine Meditation von vor hin versinkend; – nach langer Pause, während der man nur das Röcheln von Christus hört, eigentümlich betonend, und skandierend.

– Dann – müßte man den Stachel, – das Gift, – ä – dasEtwas den Finger wie zum Hindeuten erhebend. – in die Sache selbst, – in die – hm! Sich anzüglich räuspernd. – in die Beziehung selbst legen! –

MARIA
sehr weltmännisch.
C'est charmant! – C'est charmant! –
GOTT VATER
versteht nicht recht, schaut mit großen kuglig-fließenden Augen herüber, und wiederholt mehr im Tonfall, als im Verständnis, Marias Worte.
Ja, – ja, ja. –
CHRISTUS
will es auch wiederholen, bringt es aber nicht heraus, ist selbst darüber erschrocken, schaut sich ängstlich, erst zu Gott Vater, dann zu Maria hin um, und produziert endlich ein rhythmisches, unartikuliertes.
A, – a, – a! –
TEUFEL
nachdem er diese Leistung bei Christus mit einem kühlen, seine Überlegung nicht weiter störenden Blick verfolgt, fortfahrend, sehr betonend.
Man müßte die Sekretion beim Geschlechtsakt vergiften! –
MARIA.
Ah, wie das? – Das wird interessant! Rückt auf ihrem Stuhl zurecht.

Gott Vater und Christus die diesmal doch etwas verstanden zu haben scheinen, halten ihre Köpfe glotzend auf den Teufel gerichtet.
TEUFEL
den eben geborenen Gedanken wiederholend, wie um ihn sich selbst nochmals in den Weg zu legen.
Man müßte die Sekretion beim Geschlechtsakt vergiften!
MARIA.
Du meinst den Samen?

Hält sich das Taschentuch einen Augenblick vor den Mund, als schlucke sie etwas Unangenehmes hinunter.
TEUFEL
einfallend.

Nein, nein! – Nicht den Samen; nicht das [108] Ei; – sonst würde die Nachkommenschaft darunter leiden, und, verschlechtert und gewitzigt, nicht mehr zu haben sein! – Die soll aber auch dran kommen! – Nein, Samen und Ei sollen unberührt bleiben, damit die Erzeugung der Menschen ruhig weitergeht. – Aber der Täter, der sorglos mit seinem Instinkt drauflos Fahrende, soll durch ein kleines Neben-Produkt vergiftet werden, durch ein Etwas, welches gleichzeitig mit Samen und Ei produziert wird, und welches, wie bei den Schlangen, nicht mehr auf den Besitzer, aber auf seinen Gegenpart, auf sein Vis-à-vis in der sexuellen Française – pardon! – wenn ich mich so ausdrücken darf, –Maria hebt zum Zeichen des Verständnisses die Augenbrauen hinauf. ansteckend wirkt; – so daß der Mann das Weib, oder das Weib den Mann, im günstigsten Fall sie sich beide infizieren können, – nichts ahnend, – ganz im Taumel verloren, – ja in der Täuschung des höchsten Glücks – Macht eine Handbewegung zu Maria, ob er verstanden sei, die diese mit dem Spitzentuch freudig und verständnisinnig aufnimmt. – so daß sie lallend wie Kinder in die scheußliche Brühe hineintappen!!!

MARIA.
C'est glorieux! – C'est charmant! – C'est diabolique! – Mais comment? ...

Gott Vater und Christus glotzen ruhig weiter.
TEUFEL.
Ah, Madame, das lassen Sie meine Sorge sein! –
MARIA.

Gut! Aber unter einer Bedingung. Was Du auch mit den Menschen anfängst, sie müssen erlösungs-bedürftig bleiben! –

TEUFEL
mit großer Beherrschung.
Erlösungs-bedürftig bleiben sie.
MARIA.
Sie müssen auch erlösungs-fähig bleiben! –
TEUFEL
mit den Armen, wie ein Verkäufer, bis zur Schulterhöhe aufwippend.

Erlösungs-fähig, – nachdem ich sie vergiftet, – auf besonderen Wunsch vergiftet, – das dürfte kaum sein. –

MARIA
von ihrem Thron springend, in die Nähe von Gott Vater und Christus eilend.

Ja, dann ist die ganze Sache umsonst! – Wenn wir die Menschen nicht mehr erlösen können, was soll denn dann die ganze Einrichtung?! –


Gott Vater und Christus heben verzweifelnd die Hände empor; [109] Christus, der sich etwas erholt, folgt von jetzt an wieder mit regerer Teilnahme.
Teufel dreht sich mit sardonischem Lächeln auf dem rechten Fuß-Absatz herum, und hebt, mit künstlichem Bedauern, wie ein Handelsjude, die Achseln hoch.
Peinlicher Moment. Das Geschäft scheint nicht zustande kommen zu wollen. – Pause.
MARIA
um alle zu diversieren, geht langsam auf ihren Platz zurück, und frägt plötzlich, mit freundlicher Stimme, den Teufel.
Apropos! Wie geht's denn mit Deinem Fuß? –
TEUFEL
auf die Diversion eingehend.

Oh, – so so! – Nicht besser, – aber auch nicht gerade schlechter! – Mein Gott Auf sein kurzes Bein schlagend. – der wird nicht mehr anders! – Miesemaschin'! –

MARIA
etwas leiser.
Das ist von Deinem Fall?
TEUFEL
verständnislos, lange stumm und ernst nickend.
MARIA
sehr freundlich.
Nun, und sonst – was macht die Großmutter?
TEUFEL
ebenso.
Die Lilith! – Oh, danke, – recht gut!
MARIA.
Und die Kleinen?
TEUFEL.
Danke! Danke! – Alles wohlauf! –

Neue Pause. – Maria, unentschlossen, geht endlich auf Gott Vater zu, mit dem sie einige Zeit leise spricht. – Darauf.
GOTT VATER
ostentativ orientiert.

Voyons! Voyons! mein Freund, Du mußt doch etwas machen können, was die Menschheit vergiftet, ohne sie ganz zugrunde zu richten! – Wir wollen sie dann wieder erlösen! – Nicht wahr, mein Sohn?

CHRISTUS.
Wir wollen sie dann wieder erlösen!
MARIA.
Wir müssen sie wieder erlösen!
TEUFEL.

Der Auftrag ist dann zu kompliziert! – Es soll unflätig und liebenswürdig und giftig zu gleicher Zeit sein! – Wenn ich sie in ihren geheimen, amorosen Beziehungen sogleich und heftig treffen soll, und sie in diesem Moment vergiften soll, dann muß die Seele auch mit! – Denn die Seele steckt da mit drin! –

GOTT VATER
erstaunt.
Die Seele steckt da mit drin? –
CHRISTUS
ebenso, aber mehr mechanisch repetierend.
Die Seele steckt da mit drin? –
[110]
MARIA
affirmativ, und halb für sich selbst, wie sich erinnernd.
Die Seele steckt da mit drin! –
TEUFEL
nach einer Pause zu Gott, etwas spöttisch.
Mein Gott, Du bist ja der Schöpfer! Weißt Du nichts?
GOTT VATER
unwillig.

Wir – ä erschaffen jetzt nicht mehr. – Wir sind müde! – Auch gehört dies Gebiet des Irdischen und der Sinnlichkeit in Deine Sphäre. – Also besinne Dich, wie Du es anrichtest; beflecke die Seele, aber sie muß wieder herstellbar sein!

CHRISTUS
noch immer schwach, will das letzte wiederholen, kommt aber nur bis.
Beflecke – die – Seele ...
TEUFEL
zu Gott Vater.
Es soll sie zur Liebe anreizen, sagst Du, und sie gleichzeitig vergiften?
GOTT VATER.
Natürlich, sonst beißen sie ja nicht an!
CHRISTUS
aufatmend.
In der Wollust sind sie blind, hab' ich gehört.
MARIA.
Mit Speck fängt man Mäuse!
GOTT VATER.

Suche in Deinem Hexenkessel! Es ist ja allerlei Zeug darin; in Deiner Hölle hast Du so manches aufgespeichert; bist doch ein Meister in solchen Kompositionen! – Kreiere, braue, zeuge, mische 'was zusammen! –

MARIA.
Es muß allerdings sehr verlockend sein. – Womöglich was Frauenzimmerartiges.
CHRISTUS.
Ja, sehr verlockend sein.
TEUFEL
mit einem Gedanken beschäftigt.

Lüstern und zerstörend soll es zugleich sein, sagt Ihr? – Und doch die Seele nicht definitiv zerstörend?

ALLE DREI
zugleich und untereinander.
Lüstern – zerstörend – verlockend – giftig – wollüstig – grausam – Hirn und Adern verbrennend –.
GOTT VATER.
Aber nicht die Seele! – Wegen der Zerknirschung! – Wegen der Verzweiflung! –
TEUFEL
seinen Gedankengang plötzlich beendend.

Halt, da hab' ich 'was! – Will mal mit der Herodias reden! – Halblaut für sich. Lüstern und zerstörend zugleich! – Laut. Ich bring' etwas! –

MARIA.
Gott sei Dank!
TEUFEL
sich zum Gehen wendend.
Ich glaub', ich hab's!
GOTT VATER.
Bravo! Bravo!
MARIA.
Bravo! Bravo!
CHRISTUS.
Bravo! Bravo!
[111]
ALLE DREI
sich freudig erhebend, soweit es geht; leise in die Hände schlagend.
Bravo, Teufel, bravo! Bravissimo!
TEUFEL
sich empfehlend und im Abgehen ein Schnippchen schlagend.
Ich komm' bald wieder!Ab. –

Draußen, wie er die Türe öffnet, erblickt er einige jüngere Engel, die gelauscht haben. Er packt den
Nächsten beim Flügel, und zaust ihn tüchtig. Dieser läuft, mit den andern, unter schrecklichem Geschrei davon. – Der Teufel, sieht man, öffnet draußen eine Falltür, durch die er hinabsteigt, und die er hinter sich schließt. Die drei Gottheiten verschwinden bei der folgenden Verwandlung in die rechten Seiten-Kulissen.

[112]
2. Szene
Zweite Szene
Verwandlung.
Das Himmels-Kabinett steigt langsam nach oben; die Szene wird dunkler, und macht einem tonnenartigen, nach unten sich verlängernden, düsteren, mit grauen Quadern ausgemauerten Tunnel Platz, der sich wie das Innere eines Turmes oder Ziehbrunnens scheinbar bis ins Unendliche nach abwärts erstreckt, und an dessen hinterem Ende eine morsche, verbarrikadierte, vielfach ausgebesserte Holzstiege sich befindet. Auf dieser sieht man bald darauf den Teufel nicht ohne Mühe, ächzend, sich am Geländer fest einhaltend, hinabsteigen, während die gleichzeitig nach oben rückende Szene ihn im Auge behalten läßt. Phantastische Vögel und Ungeheuer, die teils auf Stangen sitzen, teils in Hohlräumen des Mauerwerks lagern, pfauchen und krächzen ihm mit heiserem Ruf ihren Gruß entgegen. – Nach einiger Zeit mündet dieser brunnenartige Gang in einen größeren, finsteren, kellerartigen Raum, der durch ein traniges Öllicht nur teilweise erhellt ist und in dem zunächst nichts weiter zu erkennen ist als ein aus Binsen und Flechtwerk roh zurechtgerichtetes Lager rechts im Vordergrund. Die Öllampe ist auf
der andern Seite und mehr im Hintergrund. Der Teufel, der müde und humpelnd angekommen, geht einige Schritte seufzend hin und her, geht dann nach hinten; man hört eine schwere Truhe aufschlagen; er entledigt sich seines engen, schwarzen Gewandes, das er säuberlich in einen der Kasten legt, um in einem aus Tierfellen zusammengeflickten, warmhaltenden Flaus bald darauf nach vorn zu kommen. Er ächzt wiederum erst einige Schritte hin und her, wie nicht wissend, wohin er sich wenden solle, und setzt sich endlich quer auf sein Binsenlager, zieht die Füße an und vergräbt die Hände tief in das Wollhaar des Kopfes, Stirn und oberen Teil des Gesichtes auf diese Weise verdeckend.

TEUFEL
mit sich redend.

Da hockst du nun, Hund, wieder allein, und heimgekehrt zu dir; weltverlassen und verachtet; zurückgekehrt von der Audienz; Ahnenloser Geselle ohne Respekt und Reputation; und hast wieder einmal gesehen die goldausgelegten Gemächer der Hohen und Vornehmen. [113] Und du bist immer und bleibst der Lump, der Spitzbub, der krumme Kerl. Und die da droben, die dürfen tun, was sie wollen, es mag noch so platt, niedrig oder gemein sein, es ist immer edel und vornehm, weil es in den Gemächern des Nobeltums passiert. Und du magst tun, was du willst – und wenn du mit dem Kopfe dich bis zum andern Ende der Erde wühltest, – es ist immer niedrig und gemein und schuftig. – Pause, überlegt. Wenn du ein Graf wärest, dann wäre auch dein krummes Bein gräflich. Und wenn du nur ein Türsteher da droben wärest, dann wären auch dein Kopf und deine Gedanken himmlisch und engelhaft, wie dein Kleid, das du dann trügest. Aber so bist und bleibst du ein Hund! – Nur wenn du für sie was tun sollst, was sie selbst nicht können, oder was für sie zu schmutzig ist, dann lächeln sie dir und sagen: »Mein Freund! Mein Freund!« Aber wenn die Audienz vorbei, mußt du wieder herunter in Staub und Kot, und dann heißt's »Pfui Deifel! Pfui Deifel!« – Und so bist du ein erdgeborener, gebückter und verzerrter Kerl dein Leben lang, und humpelst herum mit deinem Fuß, und frissest Ärger und Grimm in dich hinein! Und doch! Und doch bist du mehr! Bist mehr als diese Firlefanz-Leute in ihrem Glück und Wolkenbau! Steckst mitten in der Welt; und in deinem Kopf stecken die Gedanken der Erde! Und wenn du hier allein bist, allein mit deinem Erdgeruch, und dein Kopf sich illuminiert, dann entsteht in diesem vergrämten Kopf, mitten in der Verzweiflung, ein Funken, ein Gift, eine Kraft, die wie ein Blitz, zündend und wetternd, durch die Welt fährt, und die Hülsenköpfe in ihrem Wolken-Heim erbeben macht. – Und brauchst keine Tiaren zu tragen, keine Ambrosia noch Sekt zu trinken, und scheppernd und glänzend dich zu zeigen, um glücklich zu sein. Bist so glücklich; glücklich, wie die andern nicht glücklich sein können! Glücklich in diesem Erdenloch, in diesem kostbaren Tunnel, diesem Hauch von Irdischkeit und Würze, diesem Welt-Geruch, der dich kräftigt und stählt, und Gedanken erzeugt, und zur Arbeit zwingt. – Und brauchst keine Ahnen und Vergangenheits-Register; bist blank und sauber; darfst von neuem, beginnen; brauchst nicht nichts [114] zu tun; die Arbeit sind deine Ahnen! Deine Ahnen produzierst du in die Zukunft! – Arbeit! Arbeit! – Springt auf. Also denn auf zur Arbeit! Er geht längere Zeit auf und ab, bleibt wiederholt stehen und sinnt nach. Also verführerisch soll es sein, das Ding, – na natürlich, sonst beißen sie nicht an; – »etwas Frauenzimmerartiges«, sagte Maria; – sehr gut! – Die Frauenzimmer kennen ihr Geschlecht immer am besten. – Aber giftig soll es auch sein; darin liegt ja die Strafe; und sie sollen das Gift nicht merken, es hinunterschlucken wie Sirup; – sehr gut! – das läßt sich machen. – Aber es soll dabei Seele und Leib vergiftet werden; aber nicht definitiv; nur bis zur Verzweiflung, bis zum Wahnsinn; sie wollen also sehen, wie sich die Menschheit krümmt und bricht; wie sie ihre Seelen ausleeren, wie einen Magen; – ich verstehe; – die Seele soll aber wieder reparierbar sein, – »erlösungsfähig«, wie sie sagen; – na, die Freude kann ich ja ihnen fürs erste lassen; ihnen und ihnen; – vom Leib haben sie nichts gesagt; sehr gut! – Als ob sich das trennen ließe! – Wenn ich den Leib toll und voll verseucht habe, und der ganze Kerl zum Teufel fährt – ah pardon – kaputt geht, dann möchten sie die Seele, nachdem sie schon auf dem Weg zu mir ist, noch erlösen! – Die Barmherzigkeit! – Na, das wird sich ja finden. – Geht wieder schweigend und nachdenklich auf und ab. Was soll das nun aber für ein Gift sein? Welches ruiniert, und doch wieder nicht ruiniert? – Mit organischen und chemischen Giften komm' ich da nicht aus! – Auch kann ich da nicht quantitativ vorgehen. Die schluckten ja und schluckten das Zeug hinunter – besonders, da es so süß ist – und pardauz lägen sie da! Ich kann da nicht dosieren. Ich kann doch kein ellenlanges Rezept an die Bettlade kleben: pro dosi soundsoviel! – Das muß also ein feines, neues und ganz besonderes Gift sein! – Welches weder den Geber noch den Nehmer sogleich vergiftet! – Das muß dann ein feines, schleichendes, langsam wirkendes Ding sein, welches sich ruhig weitervererbt, und in einigen lebenden Exemplaren immer frisch zu haben ist! – Dann – soll das Gift sich an das höchste Entzücken des Menschen anschließen, an den Liebestaumel, an das [115] naivste und köstlichste Glück, welches sie besitzen: damit es sicher zu allen dringt! – Ja, das heißt, das war eigentlich mein Gedanke! – Keine Verschiebung des geistigen Eigentums! – Na ja! – Wie nun weiter? – Woher nimmst du das Gift? – Überlegt, bleibt stehen. Na, aus dir. – Kühl. Gibt es denn etwas Giftigeres, die Adern Durchdringenderes, als du selbst? – Sehr gut! – Was weiter? – Wie wirst du's nun anstellen? – Überlegend, sehr langsam, mit vorgestrecktem Zeigefinger sich vordiktierend. Du mußt das Gift, welches an sich vielleicht zu stark ist und tödlich wäre, erst organisch abschwächen, und dann in einer lebenden Person verwirklichen!Patscht in die Hände. Hoppla, das ist's – Noch einmal: Du mußt das Ding erst organisch so mild machen, daß es ihre Mägen und Leber zunächst gut vertragen, und es gleichzeitig in einem Lebewesen, das ihnen gleich sei, personifizieren! – Sackerlot! – Und zweitens: dieses Lebewesen muß ein Weib sein! Und das Gift muß durch die bekannten Schläuche geleitet werden! – Und drittens: dieses Weib muß schön sein; und ich ihr Vater! – Sapristi! Reibt sich die Hände. Kommen wir auch einmal zum Zeugen! – Geht lange erregt auf und ab. ... Nun, und wenn ich dies Kunstwerk fertig bringe, was krieg' ich dann dafür? – Freund, nimm dich in acht! Diese Gelegenheit kommt nicht wieder! Jetzt hole die lang aufgespeicherten Speisezettel deiner Wünsche hervor! – Besinnt sich. – – Diese Stiege da Schaut nach oben. muß er mir reparieren. Das Gerümpel. Wenn ich da 'mal ausgleite, und breche mir den Fuß, dann bin ich ein ganzer Krüppel. – Dann, diese Falltüre da oben, die ist meiner unwürdig. Da stoß ich mich schon lange daran. Das soll ein schöner, freier Zugang werden, mit einem Geländer daran, und ein paar Teppichen. – Dann, diese Audienzmeierei habe ich ebenfalls schon lange satt. Wird der Zugang oben frei, muß ich auch freien Zugang haben! Ich muß stets unangemeldet kommen können. – Er kann ja auch stets unangemeldet zu mir herunter. – Dann Sehr bestimmt. muß Er mir meine Bücher frei drucken lassen, und ihre breiteste Zirkulation im Himmel und auf Erden erlauben. Das muß ich unbedingt haben. Ohne das gehe ich gar nicht an die Arbeit, Ausbrechend. Wenn jemand denkt, [116] und darf seine Gedanken nicht mehr andern mitteilen, das ist die gräßlichste aller Foltern. – Dieses reinste Entzücken, dieser Tropfen Lust, der Fässer voll Bitterkeit genießbar macht, daß andere das nachdenken, was du vorgedacht hast, – ist das so schwer zu begreifen?! – Also das ist Numero eins! – Dann – muß hier die Ventilation besser werden. – Glotzt lange an der Decke herum. ... Eigentlich könnt' ich mir das Ding hier mit Goldleisten ausschlagen lassen. – Ach, – es wird doch nicht heller ... Wie wär's, wenn Er mich zum Graf machte? – Graf Miraviglioso! Oder gleich ganz italienisch Conte di Miraviglioso; Signor Conte di Miraviglioso. – Pfui, schäm' dich! Hast du nicht gesagt, du willst ein ehrlicher Kerl bleiben? – Nun ja; ich wollte ja nur auf ganz kurze Zeit das tolle Empfinden haben, ganz ohne Grund etwas zu sein. Nur auf acht Tage. – Ich kann ihn ja dann meinem Ausgeher schenken. – ... Ein paar Orden könnt' ich mir bei dieser Gelegenheit geben lassen! – Dazu ist es wieder nicht hell genug da herunten. An der Beleuchtung fehlt es hier überhaupt. – Was noch? – Etwas bessere Garderobe! Dieses spanische Kostüm trag' ich nun schon seit Philipp II. Es ist unerhört. Und nur meine ganz außerordentliche Peinlichkeit erlaubt mir noch, überhaupt oben zu erscheinen. – Dann, um Gottes Willen, etwas Mobiliar. Ein paar Pfund Roßhaar werde ich doch noch wert sein. Und ein paar warme Decken. – Weiter! – Etliche Borten an meine Kleider; wenigstens Leutnants-Rang! – Dann: Einreihen, wenigstens in die letzte Hofrangklasse; mein Gott, ich helfe doch den Leuten in ganz außerordentlicher Weise. – Femer: ein kleines »von« –, und die Möglichkeit einer standesgemäßen Verbindung mit einer der Engel-Klassen; Gott, so ein zartes Geschöpfchen, neben mir, 's wär' ja zum Entzücken; sie mag so dünn und jung sein, wie sie will; ich richt' sie mir schon her! – Was noch? – Ein goldenes Portepee, 'n Kammerherrntitel, ein kleines Krönlein, 'n Herzogskragen oder ...Hält plötzlich inne, greift sich mit beiden Händen an die Stirn und schreit in tierischer Weise hinaus. Äh, – äh! – Bleib' fort! Er hält die Hände weit von sich wie um etwas wegzustoßen, das auf ihn eindringt, und weicht zurück. Äh! – Es kommt! – Es hat [117] mich! – Du Hund, hab ich dir nicht gesagt, wenn du über die Schnur haust, packt es dich! – Pfui Teufel! Spuckt aus, wie um etwas aus seinem Innern zu entfernen. Pfui Deifel! Es kommt! – Der Ekel, – er hat mich! – Pfui! – Pfui! – Oh, es ist zu spät! – Ekel! Ekel! Verdammte Sauce! – – Teufel, weißt du nicht mehr? – Weißt du nicht, daß du nur in der Entbehrung, im Finstern, nur unter der Marter gedeihst? – Und dann will der Kerl stolz sein! – Ah, – ah – Er macht Würgbewegungen, schleppt sich bis zu seinem Lager, wirft sich dort auf den Bauch, wälzt sich in Krämpfen, reißt aus der Matratze Stroh heraus, macht einen Knebel und steckt ihn sich mit in grimmigem Behagen in den Mund; – wird dann allmählich etwas ruhiger, liegt bewegungslos da, und scheint zu schlafen. – Lange Pause.


Währenddem hat sich im Hintergrund an der Rückwand des Gewölbes die Szene wie aufgeklärt; die Schicht wird heller und heller; zuletzt durchsichtig; es ergibt sich eine, wie es scheint, unermeßliche Perspektive; allmählich schwindet auch der letzte trübe Schleier, und man erblickt ein ungeheures Totenfeld, auf dem eine schier unfaßbare Zahl, wie es scheint, lauter Weiber, in Leibesgestalt, mit fahlen Gewändern, die einen hockend, die andern hingestreckt, teils die Arme aufgestützt, teils das Gesicht in den Armfalten vergraben, wie schlafend dortliegen; das Ganze übergossen von einem kalten, flirrenden, mondlichtähnlichen Schimmer. – Tiefe Stille. –
TEUFEL
wacht langsam auf, hebt sich mit den Händen aufstützend matt empor; wie er sich umwendet und erblickt die Szene, fahrt er plötzlich zum Sitzen auf, reißt sich den Knebel aus dem Mund.

Ah! – Ihr seid mir vorausgeeilt, Gedanken! Betrachtet lange mit Entzücken die Szene. Ihr habt Euch verwirklicht, meine guten Gedanken! – Und die gemeinen sind mir in den Magen gefahren, und haben mich krank gemacht; – so ist's recht! – – Du hast gebüßt, – und bist jetzt wieder ein ehrlicher Kerl! – Legt sich, noch immer etwas erschöpft, wieder in eine mehr ruhende Stellung zurück, aber so, daß er die Szene im Auge behält – matt und langsam. Welche von diesen wähl' ich mir jetzt aus als Mutter für mein glorioses Geschöpf? – ... Schön! – Verführerisch! – Sinnlich! –[118] Giftig! – Hirn und Adern verbrennend! – Ahnungslos! – Tollpatschig! – Grausam! – Berechnungslos! – Seelenschmutzig! – Naiv! – Lange Pause. Er erhebt sich dann zum Sitzen und ruft mit halblauter, aber klarer Stimme, in sanftem Ton. Helena – von Sparta – des Paris Geliebte – Trojanische Königin! – – Im Hintergrund erhebt sich aus der Reihe der Schlafenden langsam eine Gestalt mit langem schleppendem Mantel, der um die Taille durch einen Strick gleicher Farbe zusammengehalten, kommt langsam, wie schlaftrunken, mit geschlossenen Augen, den Lichtschimmer, der ihr aus dem Totenreiche anhaftet, beibehaltend, nach vom und bleibt vor dem Teufel stehen.

TEUFEL.

Du bist damals mit dem jungen Laffen, dem Trojaner-Prinzen, auf und davon, und hast deinen Mann, den König, zurückgelassen; rein aus Verliebtheit? – Helena verneint schwerfällig mit dem Kopfe. Was? Nicht einmal verliebt? – Aus Neugierde? – Sie scheint sich zu besinnen; nickt dann wie schlaftrunken. – Nur, weil es dir gefallen hat? – Helena nickt. – Ohne etwas zu denken? –Nickt. – Justament? Wartet und nickt dann. – Und als dann der Krieg ausbrach, da dachtest du? –Nickt mechanisch, besinnt sich aber dann und verneint. – Dachtest dir: Es ist nun einmal so!Nickt und betont. – Geh', leg' Dich wieder schlafen – armes, dummes Ding! –


Sie wartet einen Moment, dreht sich dann langsam um und geht zurück auf ihren Platz, wie sie gekommen.
TEUFEL
nach einer Pause, mit der gleichen hellen, sanften Stimme.

Phryne – aus Athen – glatteste aller Hetären – komm'! Von dem Totenfeld erhebt sich aus einer andern Reihe ein Weib im gleichen Anzuge wie die erste und kommt näher. Blasseste aller Zauberinnen, du hast Tausende von Männern in dein Garn gelockt, sie arm und elend gemacht, ihnen Geld und Gedanken geraubt, – hast Philosophen genarrt, – Richter bestochen, – Staatsgesetze umgestoßen, – Krieg angezettelt, – Reichtümer angehäuft, – hast dich als Göttin geriert, – dich anbeten lassen, – hast dein Vaterland verhöhnt, – wolltest deinen Namen wie eine schmutzige Reklame auf die Mauern Thebens setzen – und dafür bezahlen, – hast dich nackt [119] vor allem Volk gezeigt, – in Korinth die Tempel und Statuen bauen lassen, – hast fortgehurt, bis deine Haare weiß wurden – und wurdest schließlich in einem Tempel, in den du dich geflüchtet, wie ein unreines Tier erschlagen?Nickt wiederholt stumm auf alle Fragen. – Warum? – Aus Liebe? Verneint. – Aus Leidenschaft? Verneint. – Aus Laune? – Nickt. – Weil du schöner und blasser warst, als alle andern? Nickt. – Hast gar nichts dabei gedacht? – Verneint. – Ließest den Dingen ihren Lauf? – Bejaht. – Geh', du harmloses Kind, du bist unschuldig! –


Geht langsam und schweigend ab, wie die erste.
TEUFEL
nach einer Pause, weiter.

Héloise, – Äbtissin von Paraclet – Latinistin des 12. Jahrhunderts! – Eine dritte Gestalt erhebt sich aus dem Totenfeld und kommt im gleichen Anzug, wie die vorigen näher. Du hast studiert, – und hast geliebt, – und hast Kinder gebracht, – und hast deinen Lehrer, Abaelard, die Leuchte des Jahrhunderts, verführt, – und deine Familie in Spott und Schande gejagt, – bis sie dir deinen Geliebten zum Kapaun machten, – und dich zur Nonne, – und hast dann deinen verschnittenen Abaelard fortgeliebt, – und ihm brünstige Briefe geschrieben – bis man dich zur Äbtissin machte; – und als Äbtissin hast du weiter studiert, und ihn weiter geliebt, und weiter – wenigstens in der Phantasie – Kinder gebracht, und mit deinem längst abgekühlten Freund imaginative Scheußlichkeiten begangen, die man selbst in der Hölle nicht sagen darf, – und hast ihm geschrieben: lieber wollest du des Abaelard Hure als des Kaisers rechtmäßige Gattin sein; – und als er starb, hast du dir seine Leiche kommen lassen, und hast ihn immer noch geliebt, und ihn mit deinen eigenen Händen begraben; – und dann hast du ihn noch zwanzig Jahre auf Kosten deiner Phantasie weiter geliebt; – bis du selbst starbst? – Hat zu allen Fragen stumm genickt. – Warum? – Aus Liebe? – Bejaht heftig. – Aus reiner Liebe? – Bejaht intensiv. – Kind, du bist ja schon für den Himmel reif! – Halte dich parat, wenn die Posaune ertönt, kommst du zuerst dran! – Inzwischen geh', und schlaf weiter! –


Gestalt geht ab.
TEUFEL
für sich.

Ich hab' doch verdammt wenig Grandioses in der Hölle; muß mir 'mal 'n Scheusal holen! – Besinnt [120] sich, dann nach einer Pause. Agrippina, – Mutter, Gemahlin und Mörderin von Kaisern, – und Gemordete eines Kaisers, – komm'! – Eine Gestalt erhebt sich aus anderer Gegend. – Du hast etwas viel auf dem Kerbholz, Freundin; – mit 14 Jahren heiratetest du deinen Mann, und läßt dich herbei, ihm nach neun Jahren eines der größten Scheusale, den Nero, zu gebären? – Dafür kannst du nichts! – Tröste dich, wir haben jetzt eine Schule, die dir nachweist, daß du auch für die anderen Sachen nichts kannst; nur ist diese Lehrmeinung noch nicht bis zum Himmel gedrungen. – Du vernachlässigst also deinen Mann, und gibst dich dem Lepidus hin; – das war damals so Sitte! – dann verbindest du dich mit deinem Freier, um deinen Bruder, den Kaiser Caligula, zu ermorden; – es gelingt nicht! – dafür kannst du wieder nichts, – d.h. du warst nicht geschickt genug! – Endlich wird aber Caligula doch ermordet, – wie das damals so Sitte – und du wirst wieder hoffähig; – du versuchst dann vergeblich einige andere vornehme Römer zu kapern, bis sich endlich der reiche Advokat Passimus – den ich für gescheiter gehalten hätte – herbeiläßt, und mit dir eine zweite Ehe eingeht; du vergiftest ihn dann, und beerbst ihn! – doch das haben schon andere vor dir gemacht; das war damals so Sitte! – dein folgendes Stückchen war dagegen schon viel origineller: du spielst so geschickt hinterm Vorhang – von deiner Villa aus – daß du die Kaiserin Messalina von ihrem Gemahl, dem Kaiser Claudius, abschlachten lässest, heiratest dann selbst den Kaiser Claudius und wirst Kaiserin! – Was dann folgte, der von dir inszenierte Selbstmord des Lucius Silanus, die Verbannung seiner Schwester Junia und die Verbannung der Lollia Paulina, deren Kopf du dir nachträglich aus der Verbannung zurückholen lässest, waren mehr Nebenabfälle; du folgtest darin den Sitten deiner Zeit. – Dann verschaffst du dir den Beinamen ›Augusta‹, die Heilige, lässest deinen Sohn Nero von deinem neuen Gemahl, Kaiser Claudius, adoptieren, lässest ihn dann mit der Tochter dieses Kaisers Claudius, Octavia, vermählen, ververgiftest dann diesen Kaiser, deinen Gemahl, und rufst deinen Sohn Nero zum Kaiser aus. – Das war nämlich damals ganz neu! – Du vergiftest dann noch ein paar [121] Konsuln, Prokonsuln und Nebenbuhlerinnen, und wirst letztlich von deinem eigenen Sohn Nero ermordet! – Die Gestalt hat auf alle Fragen stummnickend geantwortet. – Hör' mal, Agrippina, du bist eine ganz scharmante Person, aber ich vermisse in deinem ganzen Tun den eigentlich künstlerischen Impuls – die Naivität; – alles hängt ab von deinem maßlosen Ehrgeiz! – Das ist krankhaft! – Das wird auf die Dauer langweilig! – Wir fassen die Sachen jetzt anders auf! – Nicht ein schöner Mord in deiner ganzen Geschichte! – Ich kann dich wirklich nicht brauchen! – Geh' nur und leg' dich wieder schlafen! – Schlaf sanft!


Gestalt ab.
TEUFEL
nach einigem Überlegen, für sich.

Jetzt hab' ich noch eine Nummer, die Herodias; – aber halt, ich nehm' statt der Mutter lieber die Tochter!Ruft. Salome, – schöne, junge Tänzerin, – komm' zu mir! – Weit hinten erhebt sich eine schlanke, jugendliche Erscheinung, und kommt näher, eine freundliche, heitere Erinnerung auf ihrem Gesicht. – Sag' mir einmal, mein hübsches Kind, du warst damals auf dem Bankett bei Herodes zugegen? – Bejaht. – Und da tanztest du? – Bejaht. – Warum tanztest du? – Sie weiß es nicht. – Nun, du tanztest eben, weil junge hübsche Mädchen überhaupt gern tanzen, – und weil du Tanzstunde gehabt hattest? – Bejaht. – Und du fandest Beifall? –Nickt. – Und Herodes sagte dir, du solltest dir 'was schenken lassen? – Nickt. – Und du ließest dir einen Kopf schenken? – Nickt. – Einen Menschenkopf? – Bejaht. – Einen lebenden Menschenkopf? – Bejaht. – Weshalb? – Sie weiß es nicht. – Zum Spielen? – Sie zaudert und bejaht schließlich. – Und Herodes schickte dich mit dem Henker ins Gefängnis, und der schneidet dir dort einen Kopf ab? – Nickt. – Das war der Kopf des Johannes? – Bejaht gleichgültig. Der ward dir auf eine Platte gelegt, und du kamst dann damit herein in den Bankett-Saal? – Nickt. – Das Blut lief wohl in der Platte herum, – und machte sie schließlich ganz voll? – Nickt. – Es netzte deine Finger? – Bejaht lebhaft. – War dir das angenehm, oder unangenehm? – Bejaht. – Ja, was? – Angenehm oder unangenehm? – Sie reibt die Hände gegeneinander. – Es kitzelte dich? – Bejaht sehr deutlich. – Du hast wohl sehr feine Finger? – Keine Antwort. [122] – Und dann, – dann schenktest du den Kopf deiner Mutter? – Bejaht. – Warum? – Zuckt mit den Achseln. – Er war eben schon tot? – Nickt traurig. – Und du wolltest doch einen lebenden haben? – Bejaht. – Ja, die abgeschnittenen Menschenköpfe halten sich nicht lang! – – Sag mal, hast du einen von den Leuten gern gehabt, was man sagt, lieb? – Weiß nicht, was sagen, und verneint schließlich. – Den Herodes? – Verneint. – Den Johannes? – Verneint. – Deine Mutter? – Zuckt mit den Achseln und verneint. – Aber deinen abgeschnittenen Kopf, den hattest du gern? –


Bejaht sehr deutlich.
TEUFEL
springt plötzlich auf.

Kind, du bist mein Fall! – Geht auf sie zu. Aus dir läßt sich noch 'was machen! – Er schließt sie, halb von rückwärts kommend, leicht in seine Arme. Du sollst mir heut' in mein Schlafgemach folgen!


Die Gestalt hört man tief und vernehmlich stöhnen.
Während des Folgenden fallen über dem Totenfeld wie im Vordergrund schwarze, anfangs noch durchsichtige Flore und Schatten herab, die die ganze Szene immer mehr verdüstern.
TEUFEL
die Gestalt sanft mit sich nach rechts fortführend.

Wir haben große Dinge mit dir vor! – Du sollst die Ahnin eines grandiosen Geschlechtes werden, an das kein Aristokrat hinankann! – Deine Nachkommen werden weder blaues noch rotes, sondern weit merkwürdigeres Blut in ihren Adern führen. – Und du wirst die Mutter sein. – Deine Qualitäten sind einzig in meinem großen, ungeheuren Reich! – Selbst oben, bei Hof, sieht man unsere Verbindung mit gnädigem Wohlwollen! – Er verschwindet mit ihr; die Stimme klingt immer entfernter. Morgen schon darfst du zu deinen Schwestern zurück! – Unser heißes Temperament läßt Schaffen und Entstehen sich in unglaublich kurzer Zeit vollenden! – Zeugen und Gebären rückt durch unsere Gewalten in wenige Stunden zusammen! – Komm', mein Kind, komm'! –


Das Totenfeld ist jetzt verschwunden. Die Flore fallen nun auch im Vordergrund immer dichter; so daß die Szene bald ganz verdunkelt ist. – Man hört in der Ferne noch einen gellen weiblichen Schrei. –
Dann wird es schwarze Nacht, und der Vorhang fällt.
[123]

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
[124] Im Himmel. Ein kostbar ausgestattetes Gemach in Rosa. Maria, vornehm geschmückt auf ihrem Thron, umgeben von meist jüngeren Engeln in lichter, farbiger Tracht, die an den Stufen des Thrones teils sitzen, teils in malerischer Stellung liegen. Einer derselben hat ein Buch in der Hand und liest aus Boccaccio in monotoner, breiter, schulmädchenartiger Stimme vor.

ENGEL
liest.

»... Agilulf, der König der Longobarden, befestigte, gleich seinen Vorgängern in Pavia, der Hauptstadt der Lombardei, seinen Thron durch Vermählung mit Teudolinga, der Witwe Auterichs, der ebenfalls König der Longobarden gewesen war. Diese Gattin war sehr schön, verständig und ehrbar, der aber dennoch ein Liebhaber einst einen schlimmen Streich spielte. Als nämlich durch die Tapferkeit und den Verstand des Königs Agilulf der lombardische Staat glücklich und ruhig geworden war, geschah es, daß ein Reitknecht der genannten Königin, ein Mensch, was die Abstammung anbetrifft, von höchst ärmlichen Umständen, sonst aber über sein schmähliches Geschäft hoch erhoben, und von Person schön und groß wie der König, sich über alle Maßen in die Königin verliebte. Da jedoch sein niedriger Stand ihn keineswegs verhinderte einzusehen, daß diese seine Liebe außer allen Grenzen der Möglichkeit und Schicklichkeit liege, so offenbarte er sich als ein verständiger Mann niemandem und wagte nicht einmal, sich der Königin selbst nur durch einen Blick zu entdecken. Obgleich er nun gänzlich hoffnungslos war, so tat er sich doch bei sich selbst etwas darauf zugute, daß er seine Gedanken so hoch hatte steigen lassen und, vom Liebesfeuer ganz entzündet, gab er sich Mühe, es allen seinen Kameraden in allem, von dem er glaubte, daß es der Königin gefallen könnte, zuvor zu tun. Dadurch geschah es, daß die Königin, wenn sie ausritt, weit lieber das Pferd ritt, das dieser wartete als ein anderes, und dies rechnete sich jener zur höchsten Gnade, ging alsdann nicht vom Steigbügel weg, und schätzte sich glücklich, wenn er ihre Kleider berühren durfte. – Aber wie wir dies häufig sehen, daß die Liebe um so stärker wird, je mehr sich die Hoffnung verringert ...«

[125]
MARIA
unterbrechend.
Ja, kriegen denn die Zwei sich noch nicht? –
LESENDER ENGEL
stockt.
– – Ich weiß nicht, Immerwährende Jungfrau.
MARIA.
Sieh' mal, wie viel Seiten die Geschichte noch hat?
LESENDER ENGEL
zählt sorgfältig nach.
Noch zwanzig, Allerseligste Gottesmutter.
MARIA.

Das ist schrecklich lang; kann man denn da nichts überschlagen? Läßt sich das Buch geben. – Na, ich glaube, jetzt wird's etwas lebhafter. Lies 'mal zu!


Gibt ihm das Buch zurück.
LESENDER ENGEL
liest: ».

.. Je mehr sich die Hoffnung verringert, so geschah es auch bei diesem armen Reitknecht, der sein verborgenes Verlangen, das von keiner Hoffnung gelindert war, kaum mehr ertragen konnte, und oft, da er sich von dieser Liebe nicht losmachen konnte, den Entschluß faßte, zu sterben ...«


In diesem Augenblick ist das Weib, ein junges, blühendes Wesen in schwarzen Haaren, mit schwarzen, tiefliegenden Augen, in denen eine verzehrende, aber noch nicht aufgeschlossene Wollust verborgen liegt, in ganz weißem Gewand zaghaft auf die Schwelle getreten. Alles ist bestürzt und, wie geblendet über den neuen Ankömmling, in die Höhe gefahren; die Engel starr und wie unentschlossen, was zu tun, die Blicke auf das Weib gerichtet.
MARIA
die sich erhoben hat, imperatorisch.

Wer ist diese Person? – Als keine Antwort erfolgt. Wer hat Dich herein gelassen? – Woher kommst Du? – Kommst du von drunten? – Bist Du eine Gestorbene? – Oder 'was Besseres? – Eine Heilige? – Was willst Du hier? – Mir Konkurrenz machen? – Mit welchem Recht ...? Fängt zu zittern an.


In diesem Augenblick kommt der Teufel hinter dem Weib herein, atemlos, als habe er sich verspätet, macht eine tiefe Reverenz vor Maria.
TEUFEL.
Gnädige Frau, – Das Weib vorstellend. – meine Tochter!

Die Engel fahren kreischend nach links ab.
MARIA
die Thronstufen hinabsteigend, mit dem Ausdruck höchster Verwunderung.
Ah! –
TEUFEL
den Eindruck abwartend; dann nach einer Pause.
Ich hoffe, sie gefällt Dir?
[126]
MARIA
zögernd, ihre Eindrücke sammelnd.

Gefallen? – Nein, dazu ist sie zu schön. Dieses Biest schlägt alles im Himmel und auf Erden. – Ich erwartete ein Scheusal.

TEUFEL.
Gnädige Frau, damit ...
MARIA
unterbrechend, zornig.

»Gnäd'ge Frau! – Gnäd'ge Frau!« Ich bin die Immerwährende Jungfrau und Allerseligste Gottesmutter! – Merk' Dir's! Mit einem Blick auf das Weib.

TEUFEL
sehr devot, halblaut.
Diese feinen Unterschiede erfaßt Die noch nicht. – Sie ist wie ein Kind.
MARIA.
Wie, spricht sie nicht?
TEUFEL.
Gott bewahre!
MARIA.
Sie spricht keine Sprache?
TEUFEL.
Sie spricht die Sprache, die alle Weiber sprechen, die Sprache der brennendsten Verführung.
MARIA.
Ich meine, Du bist über unser Programm hinausgeschritten. – Was soll diese superbe Person ...? –
TEUFEL.
Ich mußte sie in irgendeiner Art ...
MARIA
einfallend.
Wenn ich das wollte, konnte ich einen meiner Engel, ich konnte selbst ...
TEUFEL.
Oh, schönste Frau, nimmermehr; Ihr habt vergessen ...
MARIA.

Ja, ja! – Ganz richtig! – Jawohl! – – Aber warum so blendend? – Das reine Entzücken! Zum Teufel gewendet halblaut. Kann man sich hier 'was vergeben?

TEUFEL.
Du kannst sie glatt bewundern; noch weiß sie gar nichts.

Maria verschlingt das Weib mit ihren Blicken, geht dann in einer plötzlichen Wallung auf sie zu, und küßt sie.
Das Weib fährt fast erschrocken zurück.
MARIA
überwältigt.
Das volle Entzücken! – Wie ein Kind! –
TEUFEL
mit komischem Pathos.
»Rein aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen!« –
MARIA
empfindet den Stich.
Oh – buffone! – Wo hast Du sie her?
TEUFEL
sehr gespreizt.

Gewisse Geheimnisse Unserer Fabrikation können Wir nicht mitteilen; – indes – die Mutter kann ich Dir nennen.

MARIA.
Ah!
TEUFEL.

Eine gewisse Salome, – die schöne Köpferin, – die sich mit einer Schnellung ihres Tanzbeins einen warmen Menschenkopf holte.

MARIA
sich besinnend.
Haben Wir die nicht heroben?
[127]
TEUFEL
trocken.
Nein, nein! – Solche Personen habt Ihr nicht heroben.
MARIA
versunken in die Gestalt.
... solche Personen habt Ihr nicht heroben ...! Und so blendend! –
TEUFEL.
Was Du siehst, hat sie von der Mutter.
MARIA.
Von ihr.
TEUFEL
sarkastisch.
Und noch einiges, was Du nicht siehst! –
MARIA
zu ihm hinüberschauend, verständnisvoll.
Jawohl! – Sonst? –
TEUFEL.
Die Qualitäten des Vaters kommen erst später zum Vorschein; – – wenn sie Übung hat ...
MARIA.
Das glaub' ich!
TEUFEL.
Ich war in meiner gloriosen Stimmung!
MARIA
die sich von der Gestalt nicht trennen kann.

Und dieses keusche Entzücken, dieses unvergleichliche Auge, dieser Impuls voll überirdischer Lust, dieser Gedanke von übermenschlicher Güte und Mitleid soll die Menschen, sagst Du, vergiften und verderben?

TEUFEL
sehr bestimmt.
Das soll es!
MARIA.
Soll es das? – Kann es das? –
TEUFEL
höhnisch.

Kann es das? – Ich sag Dir, das in ihr verschlossene Gift ist so stark: nach vierzehn Tagen soll der, der sie berührt, mit Augen wie Glasklicker in die Welt schauen; seine Gedanken gerinnen ihm, und er schnappt nach Hoffnungsluft, wie ein trocken gewordener Fisch; nach sechs Wochen betrachtet er seinen Körper und fragt: Bin das ich? die Haare fallen ihm aus, die Wimpern fallen ihm aus, die Zähne fallen ihm aus; Gebiß und Gelenke werden wackelig; nach drei Monaten ist er an seiner Menschenoberfläche durchlöchert, wie ein Sieb, und er spekuliert an den Schaufenstern herum, ob man etwa eine neue Menschenhaut kaufen kann; die Verzweiflung rinnt ihm nicht nur im Herzen zusammen, sondern läuft ihm stinkend auch zur Nase heraus; die Freunde begucken sich gegenseitig, und wer in der ersten Phase der Vergiftung ist, lacht den aus, der sich in der dritten oder vierten befindet; nach einem Jahr fällt ihm die Nase in den Suppenteller, und er läuft zum Kautschukhändler, um eine neue zu kaufen; dann verzieht er, geht an einen andern Ort, wechselt sein Handwerk, wird mitleidig und sentimental, tut keinem Tierlein 'was zuleide, entwickelt [128] moralische Gesinnungen, spielt mit den Mücklein in der Sonne und beneidet die jungen Bäume im Frühling; er wird katholisch, – wenn er protestantisch war; und protestantisch, – wenn er katholisch war: nach zwei, drei Jahren liegen ihm die Leber und die großen Drüsen wie Mörser im Leib und er denkt auf lockere Speisen; dann gimpelt's ihm im einen Aug', nach einem weiteren Vierteljahr ist es zu; nach fünf, sechs Jahren beginnt ein Zucken und Schießen im Körper auf und ab, wie ein Feuerwerk; er geht noch spazieren, und fleißig sieht er nach, ob die Füße noch unter dem Leib hervorkommen; noch etwas später zieht er es vor, im Bett zu bleiben; er liebt die Wärme; nach acht Jahren etwa nimmt er sich eines Tags einen Knochen aus dem eigenen Gebäu, beriecht ihn, und schmeißt ihn voll Grausen in die Ecke; er wird dann fromm, frömmer, am frömmsten; er liebt die Maroquin-Bände mit Goldschnitt und einem Kreuz darauf; und nach zehn Jahren liegt er schlank dort, ein verwelktes Skelett, mit gähnend gegen den Plafond aufgesperrtem Maul, das »Warum« fragt und stirbt. – – Die Seele gehört dann Euch! –

MARIA
sich voll Abscheu wegwendend.
Äh!
TEUFEL
verwundert.
Was? – Habe ich meine Sache nicht gut gemacht? – War die Arbeit nicht so bestellt? –
MARIA
die Hände vor dem Gesicht, schluchzend.
Ach, die armen Menschen!
TEUFEL
einfallend.
... bleiben erlösungsbedürftig und erlösungsfähig! –

Maria die sich wieder umgewendet, starrt mit offenen Augen das Weib an, in deren Anblick sie versunken bleibt. Das Weib in der ursprünglichen, naiven, seiner unbewußten, schönheitsvollen Haltung. Man hört daußen ein Geräusch, wie von Kommenden.
MARIA
erwachend, und zur Türe eilend.

Nein, niemand soll herein! – Nachdem sie vor der Türe die Kommenden erblickt. Nein, mein Sohn soll nicht herein, kann nicht herein, darf nicht herein; Zurückkehrend, wild. Schaff' mir das Weib aus dem Haus! – Tu' mit ihr, was Du willst; aber fort, fort! – Augenblicklich! –

TEUFEL
bittend.

Liebe Maria, Immerwährende Jungfrau, Allerseligste Gottesgebärerin, ich hätte noch einige Wünsche, [129] ich denke, ich verdiene doch, ... Du weißt ...

MARIA
eilfertig.
Ja, ja, – Du sollst Deine Stiege haben; – aber nur fort, fort! –
TEUFEL
larmoyant.
Und Gedankenfreiheit! –
MARIA.

Freund, Du denkst nur viel zuviel! – Ich will mir's überlegen, was ich befürworten kann; – aber jetzt fort! –


Teufel mit einem schweren Seufzer, verbeugt sich tief vor Maria, geleitet dann mit großer Vornehmheit das Weib nach außen, wohin er sie vorantreten läßt.
Maria schaut starr mit offenem Munde den Gehenden nach. Der Vorhang fällt.
[130]

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
[131] Rom. Ein Saal im päpstlichen Palast; zur Rechten (von der Bühne aus) ist an der Wand ein temporärer Altar errichtet, an dem ein Priester amtiert; zur Linken bis gegen die Mitte der Bühne reichend, stehen Armsessel, zum Teil mit Betpulten davor, auf denen der Papst mit seiner Familie, darunter Cesare und Lucrezia Borgia, die Vanozza und Julia Farnese mit den Mitgliedern des heiligen Kollegiums, Bischöfen und Erzbischöfen, Almosenieren, dem Zeremonienmeister Burcard, dem Kapitän der päpstlichen Garde und andern zum unmittelbaren Gefolge des Papstes Gehörigen Platz genommen; zu äußerst links, hinter den Stühlen stehen dichtgedrängt und ohne das Ende des Saales auf dieser Seite erkennen zu lassen, teils Geistliche, teils niedere Beamte des päpstlichen Hofstaates und ganz hinten auch etliche von der Dienerschaft, welche alle mit größerer oder geringerer Aufmerksamkeit der heiligen Handlung folgen. Erleuchtet wird der ganze Raum lediglich von den vier großen Kerzen, die am Altar brennen, so daß die entfernter gelegenen Teile in Halbdunkel gehüllt
sind. Im Hintergrund befindet sich ein einziges großes Portal, welches offen steht.

PRIESTER
am Altar, den man längere Zeit hantieren gesehen und flüstern gehört hat.

Hoc est enim Corpus meum 1. – Das Flüstern und Zischeln geht weiter. – – Hic est enim Calix Sanguinis mei, novi et aeterni testamenti; mysterium fidei; qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionem peccatorum 2.


Während mitten unter den Zuhörern, die teils knien, teils stehen, der Papst mit überschlagenen Knien und im Schoß gekreuzten Händen, wie es scheint, gleichgültig dort sitzt, geht unter den übrigen, besonders unter den weiblichen Mitgliedern, ein lebhaftes Plauschen und Austauschen von Meinungen einher, welches von den rückwärts Stehenden wiederholt durch ein diskretes »Pst!« unterbrochen wird.
[132]
PRIESTER
am Altar.
... Hostiam puram, hostiam sanctam, hostiam immaculatum ... 3

Lucrezia teilt aus einer Tüte Konfetti an ihre jüngeren Geschwister aus.
PRIESTER
am Altar.
... Panem sanctum vitae aeternae, et Calicem salutis perpetuae ... 4

Die Jüngeren scheinen sich um die Konfetti zu streiten; einiges fällt zu Boden; sie eilen sich, es aufzuheben; man hört Raufen und Schimpfwörter; Stühle werden gerückt; die Damen benehmen sich um die Kleinen; die Herren mahnen zur Ruhe; der Papst schaut hinüber und lächelt; von rückwärts wiederholte »Pst – Pst!«.
PRIESTER
am Altar, mit lauter Stimme.
... Per omnia saecula saeculorum 5.
DIE ANWESENDEN
mechanisch murmelnd.
Amen.

Cesare ist von seinem Stuhl aufgestanden und begibt sich hinter die Lehnen seines Vaters, des Papstes, zu dem herübergebeugt er sich längere Zeit halblaut unterhält; die Damen fangen ebenfalls unter sich ein halblautes Gespräch an; die Kleinen, wieder beruhigt, molfern an ihren Konfetti.
PRIESTER
am Altar halblaut.
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi ... 6

Bei diesen Worten ist das Weib plötzlich auf die Schwelle des rückwärtigen Portals getreten. Hinter ihr sieht man eine schwarze Gestalt verschwinden. Sie ist in der gleichen naiv-zauberhaften Attitüde wie oben im Himmel und trägt dasselbe weiße, jugendlich-züchtige Gewand wie damals, von dem eine von der Beleuchtung der Kerzen unabhängige
Helle auszugehen scheint.
PRIESTER
vollendet.
... miserere nobis! 7

Sofort entsteht eine heftige Erregung und große allgemeine Unruhe unter allen Anwesenden, deren Blicke starr [133] gegen die Türe gerichtet sind, und unter denen ein bald unentwirrbares Gemisch von staunenden Ausrufen von seiten der Männer, von Verwünschungen von seiten der Frauen hin- und hergeht. –
PRIESTER
am Altar, halblaut.
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis! ...

Die Unruhe wächst immer mehr; der Garde-Kapitän ist einige Schritte gegen das Portal zu getreten; die Dienerschaft drängt sich von dieser Seite immer stärker gegen die Mitte des Saales.
PRIESTER
am Altar.
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem ... 8

Der Papst ist ebenfalls aufgestanden und schaut starr gegen die Türe, wo das Weib in regungsloser Haltung verharrt; Gruppen bilden sich und pflegen in erregter Weise Meinungs-Austausch. Der Zeremonienmeister Burcard ist von hinten vorgekommen, um sich mit dem Papst zu benehmen, der ihm aber kein Gehör schenkt. Man hört die
Kleinen schreien.
PRIESTER
vollendet und sagt sein.
Dominus vobiscum! 9 Dessen Antwort. »Et cum spiritu tuo« 10 Nicht mehr vernommen wird.

Man hört jetzt aus der Menge Rufe wie: »Wer ist die?« – »Woher kommt die?« – »Eine Neapolitanerin!« – »Schafft sie 'naus!« – »Halt! Halt!« – Man hört die Stimme des Papstes: »Schonung! Schonung!«. –
PRIESTER
am Altar, wendet sich um, sieht erschrocken die Verwirrung, sagt aber sein.
Ite missa est 11 Und erteilt darauf, ohne daß sich noch jemand um ihn kümmert, den Segen.

Nunmehr verlassen alle ihre Plätze und drängen gegen die Türe zu; die Männer zunächst, die Frauen wie zurückgeschoben; der Papst, umgeben von seinem Sohn Cesare, dem Zeremonienmeister und dem Garde-Kapitän, [134] führt das Weib vornehm bewillkommnend unter großem Nachdrängen von seiten der Männer, unter lauten Ausrufen und Verwünschungen von anderer Seite, etwas gegen die Mitte des Saales. – Der Priester hat sich inzwischen am Altar verbeugt und ist rechts abgegangen; ein Sakristan ist gekommen und löscht vorschriftsmäßig die vier großen Kerzen aus. – In dem so
entstandenen Halbdunkel, in dem das Weib wie magisch beleuchtet herausglänzt, sieht man noch, wie die Männer wie wild gegen die helle Gestalt losstürzen, die der Papst jetzt fest unter den Arm genommen hat, während der Garde-Kapitän den Degen zieht, Burcard die großen mächtigen Arme, wie zur Ruhe mahnend, hoch emporhebt, und Cesare wie wütend gegen die Eindringenden um sich schlägt. Die Betstühle werden umgeworfen; man sieht vereinzelt Dolche in der Luft blitzen; im Hintergrund halb ersticktes Weibergeschrei. »He, Hilfe!« – »Ich bin's nicht!« – »Ich bin die Falsche!« – »Waffen!« – »Soldaten!« Man hört Lucrezias Stimme: »Cesare! – Cesare! – Mio papa – zu Hilfe!« – Schließlich drängt die Gruppe mit dem Weib und dem Papst in ihrer Mitte zur Türe hinaus; Alles wie wild nachstürzend; die Frauen kreischend zu beiden Seiten ab: – der Vorhang fällt.
[135]
Fußnoten

1 Denn dies ist mein Leib.

2 Denn dies ist der Kelch meines Blutes, des neuen und ewigen Bundes – das Geheimnis des Glaubens – welches für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

3 Die reine Hostie, die heilige Hostie, die makellose Hostie.

4 Das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des immerwährenden Heils.

5 Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

6 Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt ...

7 Erbarme dich unser! –

8 Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt, schenk' uns Frieden.

9 Der Herr sei mit Euch.

10 Und mit deinem Geist.

11 Soviel wie: die Messe ist vorbei.

2. Szene
Zweite Szene
Verwandlung.
Eine Straße in Rom vor dem päpstlichen Palast. Trübe, naßkalte Morgendämmerung; an einer Ecke ein tiefherabgebranntes flackerndes Öl-Licht. – Totenstille.
Eine Türe am päpstlichen Palast öffnet sich leise und heraus tritt das Weib, die Röcke knapp zugebunden, die halb entblößte Brust vor Kälte schützend, mit verwirrten Haaren und hohläugigen Blicks, übernächtigt und abgeschlagen; macht die Türe leise hinter sich zu; schlürft einige Schritte vorwärts; sie hat zweierlei Pantoffel an, beide zu groß, in den Ohren und am Hals Brillantschmuck, schaut sich scheu und vorsichtig um; da bricht der.

TEUFEL
der bis dahin ungesehen längs einer Dachrinne im Schatten gestanden, hastig hervor, auf sie zu, gebieterisch.

Jetzt zu den Kardinälen! Dann zu den Erzbischöfen! Dann zu den Gesandten! Erst zu den Gesandten der italienischen Staaten; dann zu den fremdherrlichen Gesandten! Dann zum Camerlengo! Dann zu den Neffen des Papstes! Dann zu den Bischöfen! Dann durch alle Klöster durch! Dann zu dem übrigen Menschenpack! – Tummle dich und halte die Rangordnung ein! – Weib langsam ab.


Der Vorhang fällt.
Schluß.

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TextGrid Repository (2012). Panizza, Oskar. Dramen. Das Liebeskonzil. Das Liebeskonzil. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6706-B