Betty Paoli
Neueste Gedichte

[125] Einem Unzufriedenen

Was dir zumeist am Herzen nagt?
O prüfe dich! du wirst gestehen,
Das Leid nicht ist's, das dir geschehen,
Und nicht die Sorge, die dich plagt.
Du könntest sie zur Not vergessen,
Doch nimmermehr das Traumbild dessen
Was dein Geschick dir streng versagt.
Nur dieses, und nur dies allein,
Steht immerdar vor deinen Augen,
Es darf dir Kraft und Mut entsaugen,
Zerrütten dir dein innerst Sein;
O Thorheit! Thorheit, unermessen!
Für Güter, die du nie besessen,
Erträgst du des Verlustes Pein!
[125]

[125] Es war zu leicht

Ganz hatt' ich mich dir hingegeben
Mit echter Freundschaft Heldenmut,
Mein inn'res wie mein äuß'res Leben,
Mich selbst befohlen deiner Hut,
Aus meines Herzens dunklem Stollen
Das reinste Gold dir dargereicht, –
Du hättest mich nicht täuschen sollen,
Es war zu leicht!
Auf dich und deine Treue bauend,
Die ohne Wanken ich geglaubt,
Hätt' ich in deinen Schoß, vertrauend,
Gebettet mein vervehmtes Haupt.
Und dies der Lohn des liebevollen,
Des frommen Wahns, der jetzt entweicht? –
Du hättest mich nicht täuschen sollen,
Es war zu leicht!

[126] Antik und modern

Alte, neue Poesie, –
Was ist d'rüber nicht zu lesen!
G'rade so, als wären sie
Eines nicht im tiefsten Wesen!
G'rade so, als wenn der Strahl,
Den Horaz einst liebvoll hegte,
Heute nicht wie dazumal
In des Dichters Brust sich regte!
Laßt ihr Guten! immerhin
Eure Silbenstecherfehde.
Alt und neu hat keinen Sinn,
Wenn von Ewigem die Rede!

[127] Am 5. September

An Ida.


Als dämmernd noch das Leben vor mir lag,
Mein Herz noch nichts errungen, nichts verloren,
Nicht ahnt' ich da, daß mir an diesem Tag
Mein bestes Kleinod ward zur Welt geboren!
Nicht ahnte ich, daß heut' der hellste Stern
An meinem Horizonte aufgegangen,
Daß meines Wesens innerlichster Kern
Den vollen Abschluß heute erst empfangen.
Ich ahnt' es nicht; erst jetzt erkenn' ich's ganz!
Nur eines kann ich auch noch jetzt nicht fassen:
Daß deiner Liebe heller Strahlenkranz
Auf meine Stirn sich mochte niederlassen.
Es heißt ja doch, daß nur um Gleich und Gleich
Die Bande sich wahrhaft'ger Freundschaft weben.
Du aber bist so reich, so überreich,
Und ich, – – was hab' ich Arme dir zu geben?
Nichts als mich selbst! doch diese Gabe schafft
Dir Sorgen nur und immer neue Mühen!
Denn stützen mußt du mich mit deiner Kraft,
Dein böses altes Kind zum Guten ziehen.
Du mußt, bald ernst und streng, und bald gelind,
Hier raten, trösten, strafen dort und wehren,
Und die Gedanken, die das Leben sind,
Den erdgebund'nen Geist erst denken lehren.
[128]
Tief schmerzlich überkommt mich's manchesmal:
O daß ich früher, früher dich gefunden,
Als ungetrübt noch meines Auges Strahl,
Und meine Brust noch rein von Schuld und Wunden!
Dann wäre nie des Samums glüher Hauch
Vergiftend über mich hinweggegangen!
Ich gliche nicht dem blitzversengten Strauch,
Und könnte geben, statt nur zu empfangen!
Doch, hat voreinst nicht aus des Heilands Mund
Die schmerzenmüde Welt dies Wort vernommen:
»Für jene nicht, die kräftig und gesund,
Nein! für die Kranken ist der Arzt gekommen«?
Du treuer Arzt! so hast, als, wüst und wirr,
Das Fieber mich der Leidenschaft bezwungen,
Du mich gepflegt, und liebest nun in mir
Die Beute, die dem Tod du abgerungen!

[129] Die Vergangenheit

Mir ist als legten leise
Sich Nebel um mich her,
Vom bunten Menschenkreise
Mich scheidend mehr und mehr.
Erinnerungen sind es,
Aus Lust und Leid gewebt,
Die man, will's ein gelindes
Geschick, mit mir begräbt!
Mir ist, als brauste, grollte
Um mich ein Ozean,
Den ich, wie gern ich wollte
Nicht überbrücken kann.
Dies Meer, deß banger Klage
Die Seele träumend lauscht,
Es sind die fernen Tage,
Die an mir hingerauscht!
Vereinsamt im Gewühle,
Das rastlos drängt und schafft,
Vergangenheit! wie fühle
Ich mich in deiner Haft!
Erschöpft vom Lebensstreite,
Den Wunsch auf nichts gestellt,
Ein dunkler Schatten gleite
Ich durch die blüh'nde Welt!

[130] Meine Grabschrift

Die hier im dunkeln Grabesschoße ruht,
Nach langen Kampfes Mühsal und Beschwerde,
Wie jedes andre arme Kind der Erde
War sie ein Doppellaut von Schlimm und Gut.
Nichts unterschied sie von der großen Schar,
Behaglich atmend in der Lüge Brodem,
Als daß die Wahrheit ihrer Seele Odem,
Und daß getreu bis in den Tod sie war.

[131] An Helene

1.

Geliebtes Kind! zum Trost, daß ferne
Von dir die Welle mich verschlug,
Wie ruf' ich mir so oft, so gerne
Zurück dein Antlitz, Zug für Zug!
Als wärst du leibhaft mir erschienen
Stehst du vor mir, Gebärd' und Mienen
So hold, so sittig und so klug!
Ja! tief hab' ich es eingesogen,
Dein Bild in meiner Seele Grund!
Ich seh' der Stirne reinen Bogen,
Das zarte Kinn, den weichen Mund,
Der Augen klare Lichtkristalle,
Das blonde Haar, im lock'gen Falle
Umspielend des Gesichtchens Rund!
Sie mögen neckend mir erwidern,
Ein Schönheitwunder seist du nicht!
Wer kann, wer mag den Reiz zergliedern,
Der ihn mit süßem Bann umflicht?
Wer krittelnd erst durchspäh'n die Züge,
Aus denen ohne Falsch und Lüge
So rein der Strahl des Himmels bricht?
Ich weiß nur eines: wenn verlocken
Mich will ein trügerisches Licht,
Die Leidenschaft mit Sturmesglocken
Zu dem bethörten Geiste spricht:
[132]
Dann kämpft den wilden Aufruhr nieder,
Des Friedens Klarheit schenkt mir wieder
Ein Blick in dieses Angesicht!
Und wenn ich zu erliegen meine
Des Tagwerks dumpfem Einerlei,
Ein einz'ger Blick auf dich, du Meine!
Und ich bin wieder stark und frei.
O du mein Licht auf dunklem Pfade!
Du Zeugnis mir von Gottes Gnade!
Du mir im Herbst erblühter Mai!

2.

So mancher staunt und sinnt, und weiß
Den Grund nicht zu ermessen,
Der mich das fremde Kind so heiß
Läßt an den Busen pressen.
Weil von Geschlecht sich zu Geschlecht
Die Adern nicht verzweigen,
Verkennen sie das höh're Recht
Kraft dessen du mein eigen.
Du bist, – mit Zaubermacht bespricht
Dies Wort mir alle Schmerzen, –
Zwar Blut von meinem Blute nicht,
Doch Herz von meinem Herzen.

[133] 3.

Es war an einem Frühlingsmorgen,
Die Rosen blühten, der Jasmin,
Von dem Gesträuche halb verborgen
Lugt' ich verstohlen nach dir hin.
Du knietest an des Weihers Rand,
Umspielt vom hellen Sonnenscheine,
Und suchtest emsig bunte Steine
Am Wege, mit geschäft'ger Hand.
Aus Kieseln, gelben, weißen, blauen,
Wie sich's gerade fügt' und fand,
Begannst du dir ein Haus zu bauen
Auf des Gerölles feuchtem Sand.
Vertieft in deines Werks Beschau
Sah ich dich wohlgefällig nicken.
Da, – nur ein Hauch, ein leises Rücken, –
Ach! und verschüttet lag der Bau.
Geduldig, ohne Zorn und Klage,
Dein liebes Herz sich drein ergab.
Jetzt tratest du zum Rosenhage
Und pflücktest ein paar Rosen ab.
Doch, kaum von ihrem Duft umwallt,
Gewahrtest du im Kelch der einen,
Mit gift'gem Bauch und Zappelbeinen,
Der Spinne schnöde Mißgestalt.
Ich sah, wie vor dem wüsten Scheuel
Ein banger Ekel dich erfaßt!
Die Rosen dünkten dich ein Greuel,
Die Herberg' boten solchem Gast.
[134]
Du warfst sie hin in's grüne Moos,
Und setztest dich am Ufer nieder,
Gesenkt die zarten Augenlider,
Die Hände achtlos in dem Schoß.
Umsonst strich dir um Stirn und Wangen
Die Morgenluft, von Düften schwer.
Die Lust am Spiel war dir vergangen,
Dich lockte keine Rose mehr!
So saßest du in läss'ger Ruh'
Und schautest nur dem Zug der Wellen,
Dem Tanz der gaukelnden Libellen,
Mit träumerischem Blicke zu.
Durch's Herz flog mir ein leises Beben,
Kaum weiß ich selbst, wie mir geschah,
Als ich dich, ohne Wunsch und Streben,
So still in dich versunken sah.
Ach! und noch heute steigt und schwillt,
In mir ein Strom von dunkeln Sorgen. –
Erschien an jenem Frühlingsmorgen
Vielleicht mir deiner Zukunft Bild?

4.

»Das nenn' ich eine Kinderzucht!
Das wäre mir die rechte Liebe,
Die alles zu entschuld'gen sucht,
Was immer auch ihr Abgott triebe!
Wie lang noch, und das Tierchen hält
Sich für den Mittelpunkt der Welt!«
[135]
Dein Vater sprach's, der grimme Mann!
Die Predigt war zu meinem Frommen,
Weil ich, da du in Acht und Bann,
Zu laut Partei für dich genommen.
Mir ward dabei ganz schwül und heiß, –
Ich sagte nichts und duckte leis.
Dein Mütterlein nahm's nicht so arg,
Mild klang das Wort der Guten, Schönen!
»Das Leben ist mit Liebe karg, –
Mag sie des Kindes Stirne krönen!
Thut sie zu viel, das Weltgebraus
Gleicht's einst durch manch' Zuwenig aus.«
Er drauf: »Ein wunderlicher Schluß!
Weil rauhe Pfade zu beschreiten,
Soll durch Verwöhnung man den Fuß,
So meinst du, darauf vorbereiten!
Wie kalt die Welt, wie ungelind,
Fühlt doppelt das verzog'ne Kind!«
Still lächelnd blickt' ich vor mich hin.
Dich zu verzieh'n, mein liebes Leben!
Hätt' ich so Schlimmes auch im Sinn,
Nicht Zeit wär' mir dazu gegeben.
Dein Morgen- ist mein Abendrot, –
Eh' du verzogen, bin ich tot.

5.

So wenig wie der Quell, in dessen klaren
Lichtwellen jetzt mein Angesicht zu schauen,
Wenn er als breiter Strom durchwogt die Auen
Das längst zerfloss'ne Bild noch wird bewahren:
[136]
So wenig wird in spät'rer Jahre Treiben,
Wenn Schmerz und Freude, Seligkeit und Bangen
Wetteifernd einst den Zoll von dir verlangen,
Mein Bild in deiner Seele haften bleiben.
Es sei darum! nicht knüpfe sich dein Leben
An eines, dessen Sand, wie bald! verronnen.
Das Alter mag sich an Erinn'rung sonnen!
Der Jugend ziemt ein frisches Vorwärtsstreben.
Ich wünsche und ersehne nur das Eine:
Daß dir auf dieser liebeleeren Erde
Zum zweitenmale eine Liebe werde,
So tief, so treu, so selbstlos wie die meine.
[137]

Bilder aus der Vendée

(Fragmente eines größeren, noch unvollendeten Gedichtes.)


La guerre de l'Ouest était une guerre de géans.

Napléon

1.
An die Kämpfer der Vendée

Allmächtig lebt und webt der Geist,
Deß Hauch, ein göttlich Offenbaren,
Durch Schmerzen, Kämpfe und Gefahren
Die Menschheit vorwärts schreiten heißt,
Gleichviel, auf welchem Schreckenspfad
Sie ihrem lichten Ziele naht!
Daß ihr mit ihm im Widerstreit,
Der immer triumphieren muß,
Das war der ernste Schicksalsschluß,
Der euch dem Untergang geweiht.
Doch, wenn auch so verfehltem Streben
Der unheilvolle Sieg nicht blieb,
Wert im Gesange fortzuleben
Ist die Begeist'rung, die euch trieb!
Erliegend truget euer Teil
Ihr bei zum allgemeinen Heil!
Denn: will ein ewiges Gebot,
Daß rastlos sich die Welt erneue,
Das Beispiel heldenmüt'ger Treue
Thut ihr, fürwahr! nicht minder not!

[138] 2.
Der Aufstand

Oed' liegt das Land, denn unbestellt
Blieb Wiese, Flur und Ackerfeld.
Der frühlingsmilde Morgenwind
Macht keine grünen Halme wogen;
Die Dörfer stehen leer, es sind
Die Männer in den Kampf gezogen. –
Als von Paris die Kunde kam
Des Endes, das der König nahm,
Als man's versucht, dem Volk den Glauben,
Den Seelen ihren Hort zu rauben,
Da hat, im Teuersten verletzt,
Sich die Vendée zur Wehr gesetzt.
Cathelineau, der schlichte Mann,
Aus seinen stillen Einsamkeiten
Gerissen von dem Sturm der Zeiten
Zerbrach zuerst den dumpfen Bann.
Durchglüht von einem tiefen Schmerz,
Verschmähte Trauer er und Klagen;
Nach frischer That, nach kühnem Wagen
Verlangte sein gewaltig Herz.
Zum Aufstand rief er, und in Haufen
Kam jung und alt ihm zugelaufen,
Denn durch sein Wort ward jede Brust
Des eig'nen Dranges sich bewußt.
Nach ihren Jagdgewehren griffen
Sie raschen Muts, nach Spieß und Speer,
Die Beile wurden zugeschliffen,
Der Knittel selber ward zur Wehr,
Und, ungesäumt, in Feindesmitten,
Ward zu des Plans Vollzug geschritten.
Die Schergen der verhaßten Macht,
[139]
Die, vom Convent hieher gesandt,
Dem Lande maßlos Weh gebracht,
Schlug und vertrieb der Bauern Hand.
Jetzt stand ein blut'ger Weg nur offen,
Und Heil war nur vom Kampf zu hoffen!
Drum that es not, für ihr Beginnen
Erprobte Führer zu gewinnen,
Die, schlachtenkundig und erfahren,
Befehligten die wirren Scharen.
Die aufzufinden war nicht schwer!
Auf allen Schlössern ringsumher,
So weit des Himmels Wölbung blaut,
Ringsum auf allen Adelssitzen
Hat die Erhebung sich're Stützen,
Mit Krieg und Waffenwerk vertraut.
Es traten zum ersehnten Streite
Die Herren auf der Bauern Seite,
Wie, von der Lüfte Zug bewegt,
In's Flammenmeer die Flamme schlägt!
Ein großer Brüderbund erstand
Zum Dienste der gemeinen Sache;
Derselben Liebe starkes Band,
Derselbe heiße Durst nach Rache
Vereinigt Edelmann und Knecht.
Einstehend für das alte Recht
Sind alle gleich bereit, ihr Leben
Als Kaufpreis für den Sieg zu geben. –
Vertrauend auf ihr Waffenglück
Entbeut ein Heer die Republik.
Ein Heer von solcher Uebermacht,
Daß es in einer off'nen Schlacht
Den Aufstand, wie er keck sich rüste,
Mit einem Schlag zermalmen müßte.
Das wissen die Vendéer auch,
[140]
Verteilt im waldigen Gebiet;
Wie Truppen nicht, in Reih' und Glied,
Sie kämpfen nach Guerillabrauch.
In Schluchten, ihnen nur bekannt,
Und in dem Schatten dichter Hecken
Verborgen, zielen sie und strecken
Die Blauen nieder auf den Sand.
Ein Irrlicht, welches dort und hie
Auftaucht, doch zu erreichen nie,
Verlocken sie den Feind mit List,
Sein Heer in Haufen zu zersplittern,
Und, wenn der Plan gelungen ist,
Dann stürzen sie, gleich Ungewittern,
Eh' noch die Gegner sich besonnen,
Sich auf die einzelnen Kolonnen. –
Von Tag zu Tag wächst ihre Schar
An Zahl und Stärke, immerdar
Zum Marsch bereit, zum Angriff fertig,
Des Rufs der Führer stets gewärtig,
So stürmisch und so kühn im Wagen,
Wie fest und standhaft im Ertragen.
Zu ihnen steht ihr Heimatland
Mit vollem Herzen, off'ner Hand!
Ein jeder wirkt und sorgt und schafft
Für sie, nach seiner Art und Kraft.
Ob auch die Republik mit Tod
Den Frauen selbst und Kindern droht,
Die Beistand den Brigands zu leisten,
Verweg'nen Sinnes, sich erdreisten,
Das furchtbar nahe Strafgericht
Schreckt die entbrannten Seelen nicht!
Sie beten selbst noch unterm Beil
Für ihrer Sache Sieg und Heil!

[141] 3.
Boispréau

Am zehnten des August verdarb
Des Königtumes letzte Stütze!
Die Krone wich der roten Mütze,
Als vor dem Schloß die Garde starb.
Paris hat keine Freistatt mehr
Für Ludwigs Freunde und Vasallen;
Die nicht von Henkershand gefallen,
Entflohen über Land und Meer.
Und die der Mordstahl nicht gefällt,
Die nach der Ferne nicht entkamen,
Sie irren unter falschem Namen,
Von Argwohn und Verrat umstellt.
So auch der junge Offizier,
Der, als in Staub die Lilien sanken,
Des Pöbels blutbefleckten Pranken
Entronnen durch ein Wunder schier.
Da tönet durch Paris die Mär',
Im Flug von Mund zu Mund getragen:
»Im Aufruhr die Vendée! Geschlagen
Von Bauernhorden unser Heer!«
Mit Zornesflüchen, wild und wüst,
Hat sie die Bergpartei vernommen;
Ein Rettungstrahl, der neu erglommen,
Ward von den Treuen sie begrüßt. –
Dicht drängt sich dort des Volkes Hauf'
Wie vormals zu Versailles' Festen;
Es brechen heute nach dem Westen
Die neugeworb'nen Truppen auf.
[142]
Trompetentöne, hell und froh,
Beflügeln der Rekruten Schritte!
Hinzieh'n sie, und in ihrer Mitte, –
Ist's möglich? – Paul von Boispréau!
Er hier? Vergaß er seiner Pflicht?
Hat er, in feiger Opferscheue,
Gebrochen die beschwor'ne Treue?
Beim Himmel, nein! das hat er nicht!
Um sicher vor der Späher Blick,
Nach der Vendée hin zu entkommen,
Hat er, zum Schein nur, Dienst genommen
Im Heer der grimmen Republik.
»Vendée! o du mein Hoffnungsstern!«
So jauchzt er heimlich; seinem Sehnen
Scheint endlos sich der Weg zu dehnen,
Anstatt zu reiten, flög' er gern!
Ob auch sein kecker Plan gelingt?
Hoch über alle Raumesschranken,
Wie flattern rastlos die Gedanken,
Von seiner Ungeduld beschwingt!
Er träumt von Ueberfall und Schlacht,
Sieht sich genüber jenen Horden,
Die seine Freunde, Brüder morden,
Die Greuel sonder Zahl vollbracht!
Und rascher pocht sein Herz! er sieht
Den Thron in seinem frühern Glanze,
Den König, – – »Du bist nicht beim Tanze!«
Der Leut'nant schreit, »halt dich im Glied!« –
Sie sind am Ziel. Wohl ist es Zeit,
Denn schlimm steht's um der Blauen Sache!
Santerre, von Wut erfüllt und Rache,
Ist endlich wieder kampfbereit.
[143]
Er hört, daß der Rebellen Macht
Man gestern bei Beaulieu gesehen, –
Jetzt mag ein großer Schlag geschehen!
Fort zieh'n sie, eh' der Tag erwacht.
Schon haben sie Beaulieu erreicht!
Allein kein Gegner will sich zeigen.
Das Licht nur spielet in den Zweigen
Durch die der Westwind träumend streicht.
Im Sattel hebt sich Boispréau,
Sein brennend Aug' durchfliegt die Räume, –
Nichts! nichts als Buschwerk, Sträucher, Bäume!
Er murmelt leis': Wo sind sie? wo?
Das hört sein bärt'ger Nebenmann:
»Meinst du, wo die Brigands wohl stecken?
Kam'rad, du bist noch grün! Die Hecken,
Die Gräben sieh' dir näher an!
Dort liegen sie im hohen Gras,
Den Finger an dem Schloß der Flinte!
Wir andern kennen schon die Finte!
Was ist dir, Freund? wirst ja ganz blaß!«
»'s ist nichts. Dort, sagst du? dort am Wald?
Da gilt's doch nur ein frisches Wagen!
Wie lüstet mich's, sie zu verjagen
Aus ihrem tück'schen Hinterhalt!
Laß seh'n, ob sicher mein Geschoß!
Ob sicher auch mein Fuß im Bügel!«
Und plötzlich, mit verhängtem Zügel,
Sprengt er auf eine Hecke los.
»Der König hoch! die Lilien hoch!«
Er ruft's, hoch schwingt er seinen Degen!
Ihm folgt ein dichter Kugelregen
Und schlägt in manchen Baum ein Loch.
[144]
Beim höchsten Gott! die Jagd ist heiß!
»Der König hoch!« schallt ihm's entgegen, –
Jetzt noch ein Sprung, tollkühn, verwegen,
Und Paul steht in der Freunde Kreis!
»Greift an! Die Füsiliere vor!«
Doch kaum ist der Befehl gegeben,
Da tauchen aus den Hecken, Gräben
Vendéer allerwärts empor.
Im Nu sieht sich Santerre umstellt!
Nach einem Kampf voll Blut und Leichen
Muß knirschend er dem Gegner weichen, –
Den Königlichen bleibt das Feld!

4.
Henri de Larochejacquelein:

»Seht ihr, wenn wir im Kampf
Dem Feind genüber stehen,
Durch Staub und Pulverdampf
Mein weißes Banner wehen,
Dann folget mir!
Seht ihr mich in dem Streit,
Zu dem mit Gnadenzeichen
Der Himmel uns geweiht,
Um Schritteslänge weichen,
Dann tötet mich!
Gott, der mein Fleh'n vernimmt,
Sei Schutz und Schild uns allen!
Doch, ist es mir bestimmt
In seinem Dienst zu fallen,
Dann rächet mich!«

[145] 5.
Uebung in den drei christlichen Tugenden 1

Ich glaube, daß die Kirch' allein
Der Seelen hat zu walten,
Daß nur in ihrem lichten Schrein
Der Wahrheit Gut enthalten.
Ich glaube, daß die Priester, die
Sie an den Feind verraten,
Von Gott verworfen dort und hie
Als schnöde Apostaten.
Ich glaube, daß ein Sakrament,
Von solcher Hand bescheret,
Wie Glut des Höllenpfuhles brennt,
In Fluch den Segen kehret.
Ich glaub', daß es ein heil'ger Krieg
In dem wir jetzo streiten,
Und daß uns auf dem Weg zum Sieg
Voran die Engel schreiten.
Ich hoffe, daß der Tag nicht fern,
Der alles Unheil wendet!
Der Tag, an dem die Hand des Herrn
Das große Werk vollendet.
Ich hoffe, daß das Königskind,
Jetzt zu Paris gefangen,
Die Krone bald zurückgewinnt,
Die Frevler ihm entrangen.
Ich hoffe, daß der gute Hirt
Der gläubigen Gemeinde,
Uns nicht zu Schanden machen wird
Vor seinem grimmen Feinde.
[146]
Und wenn mein irdisch Teil verdirbt,
Lebendig bleibt mein Hoffen!
Denn, wer in diesem Kampfe stirbt,
Dem steht der Himmel offen!
Ich liebe wie mein eigen Blut
Des heil'gen Ludwig Erben,
Die Prinzen, die mit treuem Mut
Im Ausland für ihn werben!
Ich lieb' die Herr'n, die, heldenhaft
Mitfechtend in den Reihen,
Nicht minder wie des Armes Kraft
Der Einsicht Rat uns leihen!
Ich liebe recht vom Herzensgrund,
Ob ich sie nie gesehen,
All jene, die zu unsrem Bund
Mit ihren Wünschen stehen!
Dies glaube, hoffe, liebe ich
In unsres Heilands Namen!
Herr Jesu Christ! erbarme dich
Des jungen Königs! Amen.

Fußnoten

1 Das nachstehende Gedicht ist die sinngetreue Uebersetzung eines zu jener Zeit in der Vendée verbreit ten Volksliedes.

6.
Bei Fontenay

»Heut gilt es alles einzusetzen!
Zu fechten, kühner noch als je!
Die Scharte gilt es auszuwetzen
Des Unglückstages von Tessé!
Das Blut, das dort umsonst geflossen,
Um Rache schreit's zum Himmel auf!
Heran, ihr Freunde und Genossen!
Nehmt heut die Stadt im Sturmeslauf!
[147]
Mag immerhin von ihren Zinnen
Die Tricolore trotzig weh'n!
Und hausten tausend Teufel drinnen,
Sie könnten nicht vor euch besteh'n!
Ich weiß: des Sieges Engel winket
Euch lächelnd zu, verheißungsfroh!
Und was euch jetzt ein Wunder dünket,
Gescheh'n wird's, denn Gott will's so!«
Voll Andacht lauscht das Volk den Worten,
Die Agra's Bischof zu ihm spricht;
Sie küssen seiner Stola Borten,
Ihr Herz erglüht in Zuversicht!
Den Kelch des Opfers in den Händen,
Erteilt der Kirche Fürst und Sohn
Dem Heere ihre Gnadenspenden,
Den Trost der Absolution. –
Jetzt tritt Lescure vor, von den Seinen
Begrüßt mit einem Jubelschrei:
»Schlimm steht's mit uns! man sollt' es meinen!
Wir haben Pulver nicht noch Blei.
Doch, daß mit Knitteln und mit Spießen
Man Batterien nehmen kann,
Das habt ihr selber mir bewiesen!
An's Werk denn, Kinder! drauf und dran!
Mir nach!« – Mit Rauch und Knall und Blitze
Kommt ihm entgegen Schuß auf Schuß!
Die Kugeln streifen seine Mütze,
Und reißen ihm den Sporn vom Fuß.
»Laßt euch den Bettel nicht verdrießen!«
Mit heller Stimme ruft's der Graf,
»Seht nur, wie schlecht die Blauen schießen!
Nicht eine Kugel, die mich traf!«
[148]
Er sprengt voran auf seinem Schimmel,
Bei der Kanonen Donnerkrach!
Als ging's gerade in den Himmel,
So drängen ihm die Bauern nach,
Doch plötzlich stocken ihre Schritte!
Sie knien nieder zum Gebet
Vor einem Kreuz, das in der Mitte
Des Wegs am grünen Raine steht.
Dem Hagel trotzend der Geschosse,
Weih'n sie ihm ihrer Andacht Zoll.
Hinjagt auf schaumbedecktem Rosse
Herr von Boissy: »Wie? seid ihr toll?
Hört ihr den Ruf nicht der Trompeten?
Die Schlacht beginnt! Was ficht euch an?«
»Lass'!« ruft Lescure, »lass' sie erst beten!
Es ficht sich um so besser dann!«
Noch ist das Amen nicht verklungen,
Als schon ihr Feldgeschrei erschallt!
Die Todeswaffen hoch geschwungen
Geht's vorwärts, mit des Sturm's Gewalt!
Bald lösen sich des Feindes Glieder,
Die Reiterei nur steht im Feld;
Im wilden Anprall wirft sie nieder
Larochejacquelein, der Held!
Einzieh'n sie über Schutt und Trümmer
In Fontenay, voll Siegeslust,
In jedem Auge Freudenschimmer,
Von Stolz gehoben jede Brust!
Doch er, ihr Leitstern in den Schlachten,
Still hebt den Blick er himmelan:
»Nicht wir sind's, welche dies vollbrachten!
Gott, der Allmächt'ge, hat's gethan!«

[149] 7.
Lied der Bauern

Erst waren wir nur Banden,
Die sich zusammenfanden
Im Wald und auf der Höh'.
Doch ändern sich die Lose!
Wir sind nunmehr die große
Katholische Armee!
Erst fehlt' es uns an Waffen!
Doch, wie die zu beschaffen,
Sich keiner lang besann.
Da mochte Ein's nur frommen:
Dem Feind sie abgenommen
Im Kampf Mann gegen Mann! –
Wenn draußen Schüsse knallen,
Wird in den Kirchen allen
Um Sieg für uns gefleht!
Es feiet uns're Leiber
Der Greise, Kinder, Weiber
Inbrünstiges Gebet!
Und Führer, ohne gleichen
In aller Herren Reichen,
Die wurden uns zu teil!
Wenn sie voran uns schreiten,
Zur Lust wird dann das Streiten,
Kein Weg dünkt uns zu steil!
Da steht in erster Reihe
Herr von Bonchamp! die Weihe
Des Ruhm's empfing er lang,
Als er, noch jung an Jahren,
Mit grimmig wilden Scharen
Im Morgenlande rang!
[150]
Ungläub'gem Heidenvolke
War er die Wetterwolke,
Daraus der Blitzstrahl bricht!
Jetzt geht mit schlimmern Heiden,
Die selbst vom Heil sich scheiden,
Er strafend in's Gericht!
Ihm ist, der unsrem Kreise
Entsproß, der gute, weise
Cathelineau gesellt.
Als Bauernkind geboren,
Führt er, von Gott erkoren,
Jetzt Heere in das Feld!
Des Amt's weiß er zu walten!
Weiß jedem Treu' zu halten,
Der Schutz von ihm erhofft!
Mit seinem Leibe deckte,
Wenn unser Zorn sie schreckte,
Er die Gefang'nen oft! –
Wie Gold, erprobt im Feuer,
So wert ist uns, so teuer,
Lescure, der edle Graf!
Es schmerzet keine Wunde,
Hört man aus seinem Munde
Das Lob: »Ihr kämpftet brav!«
Sein Herz ist ohne Listen,
Das Herz des echten Christen,
Dem Furcht und Sünde fremd.
Scharf seines Degens Schneide!
Doch unter seinem Kleide
Trägt er ein här'nes Hemd. –
Wer aber ist's, daß Nähe
Den Sieg verbürgt, noch ehe
[151]
Sein Arm ihn uns verlieh?
Wer ist's, für den das Leben
Wir alle freudig gäben?
Es ist Monsieur Henri!
Mit seinen blonden Haaren,
Mit seinen zwanzig Jahren,
Scheint er noch halb ein Kind.
Doch seht sein Antlitz glühen,
Seht seine Augen sprühen,
Wenn das Gefecht beginnt!
Kein Kind, ein Mann und Ritter,
Schlägt zürnend er in Splitter
Die finstre Höllenmacht!
Wer, der im Schlachtentosen
Ihn sah, hat nicht des großen
Sankt Michael gedacht?! –
Der Graf Montrey, an Treue
Und kühnem Mut ein Leue,
Der tapfre Herr d'Elbée,
Die Starken, die Gerechten,
Sind in des Unglücks Nächten
Die Sterne der Vendée!
Von manchen andern Helden
Wüßt' ich wohl noch zu melden,
Doch sei's für heut genug!
Schon formen sich die Reihen,
»Macht fertig!« hör' ich schreien, –
Nach Nantes geht unser Zug!
[152]

Andreas Baumkircher

1471

1.

»Das also der Lohn für stete Treu,
Für Hilfe in Todesnöten,
Daß, spottend jeglicher Scham und Scheu,
Mein Recht sie mit Füßen treten?
Dem Kaiser zu helfen, hab' ich mein Schloß,
All' meine Güter verpfändet,
Dem Kaiser, deß schuft'ger Schreibertroß
Mich tückisch beraubt und schändet!
Nachdem sie mich wie ein Wild gehetzt,
Genarrt mich hüben und drüben,
Erklären sie meine Ford'rung jetzt,
Die Schurken! für übertrieben!
Zu deutsch besagt dieser Worte Sinn,
Ich habe den Kaiser betrogen,
Aus seinem und des Landes Ruin
Gewinn und Vorteil gezogen!
Als Retter aus der höchsten Gefahr
Begrüßt' er mich einst in Hulden;
Jetzt läßt er mich mit ergrautem Haar
Die schwerste Unbill erdulden!
Verlustig deiner irdischen Hab',
An deiner Ehre geschädigt,
Baumkircher! lege dich nur ins Grab!
Dein Tagewerk ist erledigt!« –
[153]
Mit kaiserlichem Siegel den Brief
Wirft er zerknüllt in die Ecke,
Dann stöhnet er auf, so schwer, so tief,
Und starret empor zur Decke.
Es fliegt sein Herz, es fiebert sein Hirn
Von finstrer Gedanken Schwalle;
Von heißem Zorn gerötet die Stirn,
Durchmißt er ruhlos die Halle.
Und wie er in's stolze Herz zurück
Gewaltsam dränget die Klage,
Da steigen empor vor seinem Blick
Die Bilder vergang'ner Tage.
Er denkt der Zeiten, in denen er
Mit jugendlich kühnem Wagen,
Ein Wetterstrahl, das Magyarenheer
Bei Neustadt zurückgeschlagen.
Er denkt, wie am Wienerthor er dort,
Beim Anprall der Feindesbanden,
Nur er der Stadt und des Kaisers Hort,
Den blutigen Strauß bestanden!
Er sieht sich, als, im Tode noch grimm,
Die Seinen im Staube lagen,
Allein noch kämpfen, bis hinter ihm
Die Brücke war abgetragen!
O wie die wechselnden Bilder ihn,
Ein Zauberreigen, umschweben!
Der Kaiser in seiner Burg zu Wien
Belagert, von Feinden umgeben!
Mit seinen Bürgern in schwerem Streit,
Bedroht mit Speeren und Spießen,
Gebrochnen Mutes, schon halb bereit
Schmachvollen Frieden zu schließen.
[154]
Wer war's, der ihn da mit starker Hand
Geschirmt vor Rebellenscharen?
Wer war es, der ihn flehend vermahnt,
Die Würde des Throns zu wahren?
Wer hielt bei ihm aus mit Rat und That,
Ein Felsen im Braus der Wogen,
Bis, Hilfe bringend, Herr Podiebrad
Aus Böhmen herangezogen?
Und als, da die lange Kriegesfrohn
Des Schatzes Truhen geleeret,
Die Söldner den rückständigen Lohn,
Mit Abzug drohend, begehret:
Wer hielt sie mit freud'gem Opfermut
Im Dienste Friedrichs zurücke?
Wer wagte sein, seines Kindes Gut
An Habsburgs schwanke Geschicke?
Er war es! er selbst! Und jetzt! o Gott!
Kaum weiß er sein Elend zu fassen!
Von Gläub'gern bedrängt, der Feinde Spott,
Von seinem Kaiser verlassen!
Die Wahrheit in schnöden Trug verkehrt,
Das Recht in Unrecht verwandelt,
Und er, wenn er das Seine begehrt,
Als frecher Bettler behandelt!
»Weh euch, die ihr mir mein Recht verwehrt!
Ich schwör's mit heiligem Eide!«
Er zuckt mit der Rechten nach dem Schwert,
Und reißt es halb aus der Scheide.
Des Greises Augen funkeln und glüh'n
Gleich unheilkündenden Sternen,
Und finster murmelt er vor sich hin:
»Sie sollen mich kennen lernen!«

[155] 2.

Baumkircher! welcher Verblendung Nacht
Hielt dir die Sinne umwoben,
Als du, der Sieger in mancher Schlacht,
Des Aufruhrs Fahne erhoben?
Als du, für kurzer Rache Gewinn,
Den Feind gewählt zum Genossen,
Und mit dem Ungarkönig Corvin
Ein frevles Bündnis geschlossen?!
Unseliger du! trotz Acht und Bann
Des Rachewerkes beflissen! –
Hans Stubenberg, seinen Tochtermann,
Hat er mit sich fortgerissen,
Die mächt'gen Herren von Liechtenstein
Sie stehn zu Baumkirchers Fahne, –
Zum Heer verdichten sich seine Reih'n,
Der Sturm schwillt an zum Orkane! –
In Rom, wo er dem Papste sich neigt,
Erreicht den Kaiser die Kunde,
Und als er sie vernommen, besteigt
Sein Pferd er zur selben Stunde.
Er spricht kein Wort, er hat keinen Blick
Für Welschlands Schönheit im Lenze;
Im Fluge geht's nach Deutschland zurück,
Bis überschritten die Grenze.
Nicht länger soll der Empörung Graus
Im Herzen des Reiches walten!
Er schreibt in Eil' einen Landtag aus,
Zu Völkermarkt abzuhalten.
Dem Landtag halten sich klüglich fern,
Die gegen Friedrich in Waffen,
Doch auch die ihm treu geblieb'nen Herr'n,
Sie können nicht Hilfe schaffen.
[156]
»Die Länder verwüstet, weit und breit,
Die Grenzen von Feinden starrend,
Die Söldnertruppen seit langer Zeit
Vergeblich auf Löhnung harrend,
Vom Brand ergriffen das eig'ne Haus, –
Da ist kein Rat zu ersinnen,
Als: gleicht Euch mit den Rebellen aus,
Und trachtet sie zu gewinnen.« –
Daß nicht ohnmächtigen Zornes Qual
Das Eis seines Stolzes schmelze,
Verläßt der Kaiser schweigend den Saal
Und wandelt nach dem Gehölze.
Verstohlen folgt ihm auf seinem Pfad
Ein Männlein mit weißen Haaren,
Herr Puchau, sein vielvertrauter Rat,
In allen Ränken erfahren.
Rings Stille, so tief, so frühlingsklar!
Im Holze pickt nur der Häher.
Der Kaiser wird den Alten gewahr
Und winkt ihm gebietend: Näher!
Er spricht, – o wie vom verhaltenen Groll
Die Lippen ihm fahl erbleichen!
»Vernahmst du den guten Rat? Ich soll
Mich mit Rebellen vergleichen!«
Ein schwer unterdrückter Haß erglimmt
Im Aug' des alten Gesellen:
»Mein gnädigster Herr! 's ist, wie man's nimmt!
Ich weiß nur von einem Rebellen.
Baumkircher ist's! der gefährliche Mann,
Der all' die andern umsponnen!
Wär' er beseitigt, wie bald wär' dann
Der Aufstand in Sand verronnen!«
[157]
Das Röslein, das ihm zu Füßen sprießt,
Stampft wild der Kaiser zu Boden:
»Wohl redest du wahr! Baumkircher ist
Des Aufstands Seele und Odem!
Doch weil er es ist, und weil er allein
Sich kühn gegen uns mag stemmen,
Verschwindet der letzte Hoffnungsschein,
Den Lauf des Unheils zu hemmen.«
»Ich meine,« lächelt Herr Puchau kalt,
»Ein Mittel wird es doch geben!
Weit festere Schlingen als die Gewalt
Versteht die Klugheit zu weben.
Ihn trieb erlitt'ne Kränkung allein
Die Majestät zu beleid'gen; –
So ruft ihn an Euern Hof, um sein
Angeblich Recht zu verteid'gen!
Das ist mein Rat, Herr! kurz und schlicht.
Seht selber zu, ob er tauge.«
Als traue er seinen Sinnen nicht,
Hebt rasch der Kaiser das Auge.
Er steht, von dem Gedanken erschreckt,
Der jetzt in ihm aufgegangen,
Und eine dunkle Röte bedeckt
Die erst noch so bleichen Wangen.
»Nein!« murmelt er, »nichts, o nichts davon!
Willst Gift in's Herz du mir streuen?
Baumkircher hat mir und meinem Thron
Durch Jahre gedient in Treuen!« –
»Längst hat sein Verrat das wett gemacht,«
Spricht jener, gebückt zur Erde.
»Jetzt, gnädigster Herr, seid nur bedacht,
Daß wirklich sein Recht ihm werde.«
[158]
Zu schlichten den arg verworr'nen Streit,
Soll selbst er zu Graz erscheinen.
Entbietet ihn! gebt ihm frei Geleit!
So geht es wohl, sollt' ich meinen.«
Scheu wendet der Kaiser das Gesicht,
Er flüstert bang und beklommen:
»Und wenn er nicht käme?« Puchau spricht:
»Seid ruhig, Herr! er wird kommen!«

3.

Frau Marthe, Baumkirchers einzig Kind,
Mahnt ab, mit ahnendem Grauen:
»Ihr wißt, wie böse sie Euch gesinnt,
Und wollt Euch ihnen vertrauen?
Ich sähe Euch lieber von Priesterhand
Gesalbt schon mit heil'gem Oele!
Ihr waget Euch an des Abgrund's Rand,
Ihr geht in des Drachen Höhle!«
Baumkircher blickt sie mit Strenge an:
»Wie magst du so thöricht sprechen?
Sein Wort hält jeder ehrliche Mann,
Wird seines der Kaiser brechen?
Sein Schutzbrief sichert mir frei Geleit;
Was magst du noch mehr verlangen?
Wenn einer, gilt eines Fürsten Eid!
Drum laß das Zagen und Bangen.«
»Schon einmal saht Ihr mit seinem Wort
Nach Willkür den Kaiser schalten!
Trotz aller Mahnung ihn fort und fort
Das Eu're Euch vorenthalten!«
[159]
Baumkircher fährt auf voll Ungeduld:
»Da war er nur schlecht beraten!
Der Schranzen war's und der Schreiber Schuld!
Er war nicht Herr seiner Thaten!
Jetzt endlich hat er die Schliche erkannt
Der Lügenbrut, der gemeinen!
Ich fasse die mir gebot'ne Hand
Und halte sie fest in der meinen.
O schwer und bitter hat mich's gedünkt,
Mich gegen den Herrn zu wenden!
Doch nun mir neu seine Gnade winkt,
Wird all dieses Wirrsal enden!«
Frau Martha senket das Haupt im Harm,
Sie kann die Sorge nicht bannen.
Beschwörend faßt sie des Vaters Arm,
Und fleht: »O zieh nicht von dannen!
Daß tückisch lauernd das Unglück wacht,
Deß ward mir sichere Kunde:
Es schrie das Käuzlein die ganze Nacht,
Im Hofe heulten die Hunde!«
Der Ritter lacht. »Das arme Getier,
Das also jämmerlich klagte!
Ein Zeichen scheint mir's, untrüglich schier,
Daß arger Hunger es plagte.
Doch nun lebe wohl! sei froh gefaßt!
Bald siehst du, von hoher Warte,
Mich wiederkehren in freud'ger Hast!
Leb wohl, meine traute Marthe!«
Er küßt sie zärtlich auf Stirn und Wang',
Er winket und grüßet munter,
Dann sprengt er vom steilen Felsenhang
Der Burg in das Thal hinunter.
[160]
Es zieht sich der Weg bergauf, bergab,
Die Sporen gibt er dem Rosse,
Und reitet im lang gestreckten Trab
Nach Graz, nach dem Kaiserschlosse.

4.

Kaum hat der purpurne Morgenstrahl
Vom Schlummer geweckt die Erde,
Da hält er vor des Schlosses Portal
Und schwingt sich herab vom Pferde.
Warum er also hastet und jagt,
Er weiß sich's selbst nicht zu deuten!
Ist frei Geleit ihm doch zugesagt
Vom Früh- bis zum Abendläuten!
Er pochet, lächelnd ob seiner Hast,
Jetzt an die eichene Pforte.
Geöffnet wird sie dem frühen Gast
Mit lässig zögerndem Worte.
Er schreitet hin durch der Diener Reih',
Die, halb noch im Schlafe, stammeln:
»Wohl manche Stunde schleicht noch vorbei
Bis sich die Herren versammeln.
Ich denke, deß hat es keine Not!
Sie werden so lang nicht bleiben.
Des Kaisers Befehl, der mich her entbot,
Wird sie auch zur Eile treiben.
Geht! bringet mir einen frischen Trank,
Nach alter, gastlicher Sitte!
Ich will indessen auf dieser Bank
Ausruhen vom langen Ritte!«
[161]
Umsonst! zur erwünschten Ruhe läßt
Ihn Ungeduld nicht gelangen.
Er murmelt, die Hand zur Faust gepreßt:
»Ist das ein Hangen und Bangen!«
Zwei Stunden verschleichen. Die Sonne flammt
Schon hoch am azurenen Sitze, –
Da endlich kommen sie allesamt,
Herr Puchau an ihrer Spitze.
»Wo ist der Kaiser? mein gnäd'ger Herr?«
Baumkircher erhebt die Frage.
»Ach! leider befiel ein Siechtum schwer
Den Kaiser am gestrigen Tage.
Von Fieberglut das Auge getrübt,
Muß sorgliche Ruh' er halten.
So wollen wir nun, wenn's Euch beliebt,
Ohn' ihn der Geschäfte walten.«
Baumkircher tritt an den Sprecher dicht,
Es zucket um seine Brauen.
»So soll ich sein teu'res Angesicht,
Das lang entbehrte, nicht schauen?«
»Ihr hört ja: ihn hält die Krankheit gebannt.
Notwend'gem muß man sich fügen!
Doch hat er uns statt seiner entsandt, –
Ich denke, das mag genügen.«
Baumkircher zögert; er prüft und sinnt,
Ob er sich dem unterwerfe,
Doch, rasch sich setzend, Puchau beginnt
Mit näselnder Stimme Schärfe:
»»Erleuchtung wünschend bei ihrem Thun
Den Herren all', die da kamen,
Beginne ich die Verhandlung nun
In Kaisers Auftrag und Namen!
[162]
Ihr wisset, Ritter, warum er Euch
Vor dieses Gericht beschieden:
Mit Aufruhr verstörtet Ihr das Reich,
Verletztet den Landesfrieden.
Doch will der Kaiser in seiner Huld
Nicht hoffnungslos Euch vervehmen!
Ein reuvoll Geständnis Eu'rer Schuld
Kann sie vom Haupte Euch nehmen!««
Mit festem Mut Baumkircher versetzt:
»Wohl habe ich mich vergangen!
Doch wer ward schwerer als ich verletzt?
In ärgern Schlingen gefangen?
Beging ich Unrecht, so wird davon
Die Schuld nur jener gesteigert,
Die, jahrelang, unter Spott und Hohn,
Mein gutes Recht mir verweigert!«
»Ihr spielt auf Eu're Forderung an?
Nicht rühmlich ist solch' Verlangen!
Sagt! ziemt sich's für einen Rittersmann
So gierig am Gold zu hangen?«
»Am Golde? ich? Nun, bei Christi Blut!
Wem da die Geduld nicht endet!
Hab' ich denn nicht all mein Hab und Gut
Zum Dienst des Kaisers verwendet?
Und hätte der Feind das Purpurkleid
Von seinen Schultern gerissen,
Mir wär' um meinen Verlust nicht leid!
Gern wollt' ich den Bettel missen.
Die nicht von ihm verschuldete Not
Ertrüge ich fest und heiter,
Und willig suchte ich mir mein Brot
Als Landsknecht oder als Reiter.
[163]
Nur daß er, nachdem der Sieg ihm ward,
Mich kalt von sich abgeschüttelt,
Die schlimme Kränkung hat allzu hart
An meiner Treue gerüttelt.
Ein Wort aus des Kaisers Munde bricht
Mein Bündnis mit Ungarns Horden!
Doch wisset: eher ruhe ich nicht,
Bis volles Recht mir geworden.«
»Wohlan! so thut uns vor allem kund,
Wohin jene Summen geflossen,
Die Ihr, hat Eure Behauptung Grund,
Dem Kaiser einst vorgeschossen?«
»Das fragt Ihr mich noch? Bei meinem Schwert!
Die Antwort liegt nah' zu Handen:
Die Söldner hab' ich damit ernährt,
Die für ihn im Felde standen!«
»Gemach! zum Worte, das Einer spricht,
Muß sich der Beweis gesellen,
Drum frag' ich Euch: könnt Ihr dem Gericht
Glaubwürdige Zeugen stellen?«
»Zwar bin ich gewohnt, daß männiglich
Sich meinem Ritterwort beuge,
Doch, muß es sein, so füge ich mich:
Der Eggenberg ist mein Zeuge.«
»Wen, Ritter, habt Ihr uns da genannt?«
Fragt Puchau mit Truggebärden.
»Herr Eggenberg weilt in fernem Land,
Kann hier nicht vernommen werden.
Verzichtet auf seine Zeugenschaft,
Wie gerne er sie Euch gönnte,
Und sucht nach andrer Beweiseskraft,
Bringt Schriften und Dokumente!«
[164]
Baumkircher zieht aus des Gurtes Hut
Ein Täschlein mit Goldgespänge.
»Sind Dokumente zu etwas gut,
Da habt Ihr deren die Menge!
Genügt der Beweis Euch, wirr und kraus,
Dem Tintenfasse entquollen?«
Und auf den Ratstisch streut er aus
Die pergamentenen Rollen. –
Die Stunden enteilen wie im Flug
Beim Forschen und beim Vergleichen;
Geprüft wird jeglicher Strich und Zug,
Geprüft jedes Siegel und Zeichen.
Die Räte schauen sich müd' und matt,
Daß ihnen die Augen schwimmen!
Hier fehlt das Datum auf einem Blatt,
Dort will die Rechnung nicht stimmen!
Wann sah man wohl jemals ein Gericht
So eifrig wie dieses tagen?
Die wackern Herr'n beachten es nicht,
Daß längst es zwölf Uhr geschlagen.
Gewissenhaft ist jeder bestrebt,
Den Wert der Ford'rung zu schätzen,
Bis endlich sich Herr Puchau erhebt,
Dem Fleiße ein Ziel zu setzen.
»Bleibt uns auch manches und vieles noch
Zu sichten, zurecht zu legen,
So mein' ich, wir sollten vorher doch
Ein bischen des Leibes pflegen.
Ein Stündlein sei der Geschäfte Last
Von unsern Schultern genommen!
Ihr, Ritter Baumkircher, seid als Gast
Des Kaisers uns hochwillkommen!«
[165]
»Herr Puchau! laßt uns die werte Zeit
Vergeuden nicht beim Bankette!
Ihr wißt es ja selbst: mein frei Geleit
Gilt nur bis zur Abendmette.«
»Wir halten dran nicht so peinlich fest.
Seid deshalb ganz außer Sorgen!
Mit wenigen Federstrichen läßt
Es sich verlängern bis morgen.«
»Das wolltet Ihr thun?« »Gewiß! gewiß!
Zum beiderseitigen Frommen!
Unmöglich dünkt es mich ohnedies
Noch heut' zu Ende zu kommen.
Doch morgen fällen wir, Euch zu Dank,
Den Spruch nach bestem Ermessen.
Nun aber folgt mir, bei Speis' und Trank
Der Sorgenlast zu vergessen!«
Wie duften die Speisen würzig fein
In silbergetrieb'nen Schalen!
Wie schäumt und perlet der edle Wein
In dunkelgrünen Pokalen!
Als sorglicher Wirt hat Puchau baß
Beim Gast seinen Platz genommen.
Er legt' ihm vor, er füllt ihm das Glas, –
Wohl mög' es dem Ritter bekommen!
Vertraulich rückt er ihm näher und schwört,
Wie sehr ihm's am Herzen nagte,
Daß man so lange, vom Scheine bethört,
Dem Treuen sein Recht versagte.
Und leiser flüstert er ihm in's Ohr:
»So sind die Fürsten, die besten!«
Baumkircher! Baumkircher! sieh dich vor!
Schon neigt die Sonne nach Westen!
[166]
Da, endlich auf Sicherheit bedacht,
Zieht er Herrn Puchau beiseite:
»Verlängert, wie Ihr's vorhin verspracht,
Mir schriftlich mein frei Geleite!«
»Auf meine Gefahr? das geht nicht an!
Zwar diente ich Euch mit Freuden,
Doch über den geächteten Mann
Darf nur der Kaiser entscheiden.«
»Der Kaiser? Sagtet Ihr nicht, er sei
Für niemand zu sehen, zu sprechen?«
»Für mich ist er's wohl! Mir steht es frei,
Die strenge Klausur zu brechen.
Ich eile zu ihm, ihm nach Gebühr
Der Dinge Stand zu erklären.
Harrt meiner indeß im Saale hier,
Bald seht Ihr mich wiederkehren!«
Fort eilt er. – Baumkircher blickt ihm nach,
Verwirrt, mit sich selbst im Streite.
Den Blick gesenkt, durchmißt das Gemach
Er sinnend die Läng' und Breite.
Der Argwohn faßt ihn, mit gift'gem Blick
Das fromme Vertrauen lähmend,
Allein der Ritter weist ihn zurück,
Im Herzen sich seiner schämend.
»Nein!« denkt er, »noch gilt des Eides Band,
Und dieses hält sie gebunden!
Ich bin in einem christlichen Land,
Bin nicht unter Türkenhunden!
Ein Wortbruch? O rettungslose Schmach,
Vor der selbst der Räuber schaudert!«
Und, wieder durchschreitend das Gemach:
»Wie lang doch der Puchau zaudert!«
[167]
Baumkircher! siehst du die Berge nicht,
Die schirmend die Stadt umkränzen,
Im weithin strahlenden Purpurlicht
Des scheidenden Tages glänzen?
Blick auf, und sieh die Wellen im Strom
Wie flüssiges Gold erglühen,
Die steinernen Blumen dort am Dom
Im Abendschein farbig blühen!
Jetzt fährt er empor! Ein wilder Schrei,
Ein Fluch, – und fort aus dem Saale,
An Marschalk und Trabanten vorbei,
Stürmt er hinab zum Portale.
Er schwingt sich mit einem Sprung auf's Pferd,
Er drückt ihm den Sporn in die Weichen,
Er rast dahin wie der Sturmwind fährt,
Wie eilende Wolken streichen!
Schon ist der äuß're Zwinger erreicht!
Gottlob! das Pförtlein noch offen!
Sein stürmisch fliegendes Herz beschleicht
Auf's neue ein frohes Hoffen.
Wie jagt er! wie flattern silberweiß
Im Winde des Greises Locken!
Da, horch! ertönt in den Lüften leis'
Das Läuten der Abendglocken.
Und eh' noch des Wächters Hornruf gellt,
Ist an dem Pförtlein der Ritter!
Weh! vor den Nüstern des Rosses fällt
Herunter das Eisengitter.
Jetzt schmettert auch des Hornes Signal, –
Es singet ihm Sterbelieder!
Doch nein! noch dämmert ein Hoffnungsstrahl!
Den Rappen wendet er wieder.
[168]
Greif aus! greif aus! – Auf felsiger Bahn,
Von Abendnebeln umflossen,
Sprengt er zum obern Thore hinan, –
Auch dies, auch dieses verschlossen!
Es zuckt noch über sein Angesicht
Ein tiefstes, ein letztes Wehe,
Dann faltet er die Hände und spricht:
»Mein Gott! dein Wille geschehe!«
Die Schlüssel kreischen, der Riegel knarrt,
Aufthut sich des Thores Weite,
Die Schergen, die schon des Fangs geharrt,
Umstellen die edle Beute.
Voran ein Priester, des Heiles Pfand,
Das Kruzifix in der Rechten,
Und hinter ihm, im roten Gewand,
Der Henker mit seinen Knechten. –
Baumkircher! du Held, vom Ruhm erkiest
Auf seinen Bahnen zu wallen!
Trotz Schuld und blutiger Sühnung ist
Das bess're Teil dir gefallen!
So grimm kann die Axt des Henkers nicht
Des Lebens Mark unterwühlen,
Wie ihres eig'nen Gewissens Gericht
Die Meuchler auf seid'nen Pfühlen!
[169]

Der Talisman

Die zehnte Stunde hallt vom Turm
In dumpfen, langgezog'nen Schlägen;
Den Wald durchschnaubt der wilde Sturm,
In kalten Güssen strömt der Regen.
Gott schütze den, der diese Nacht
Auf banger Irrefahrt durchwacht
Anstatt sein Haupt zur Ruh' zu legen!
Da, horch! was ist's? was regt sich dort,
Wo Oede mit der Nacht im Bunde?
Ein Schatten gleitet dämm'rig fort,
Es knistert in dem Waldesgrunde,
Jetzt huscht es hin auf steiler Höh',
So scheu, so flüchtig wie ein Reh,
Wenn hinter ihm die grimmen Hunde.
Ein Mädchen bahnt sich hier den Weg,
Trotz bietend all dem nächt'gen Grause.
Nicht schrecket sie der Schwindelsteg,
Des Gießbachs donnerndes Gebrause,
Der Sturm, der durch die Lüfte streicht!
Nun endlich ist ihr Ziel erreicht,
Sie pocht an Fatmes dunkle Klause.
Einlaß gewährend öffnet sich
Die Thür der schwacherhellten Halle.
Geräte, seltsam, schauerlich,
Bedecken rings die Wände alle.
[170]
Es zeigt der Ampel trüber Schein
Den Totenkopf, das Tiergebein,
Den Wolfszahn und des Uhus Kralle.
Aus jedem Winkel nickt und grüßt
Ein Heer phantastischer Gestalten,
Und in dem Kreise, wirr und wüst,
Sieht sie ein Weib geschäftig walten.
Trotz Alter, Kummer, Mißgeschick
Flammt aus des Weibes Aug' ein Blick
Eindringend in der Seele Falten.
Sie wendet sich. Estrellas Herz
Pocht angstvoll unter ihrer Schaube.
Doch jene ruft mit grellem Scherz:
»Kein Wunder, d'ran ich jetzt nicht glaube!
Was führt bei Regen, Nacht und Wind
Zu mir das schöne Grafenkind?
In's Eulennest die weiße Taube?«
Mit leisem Ton beginnt die Maid:
»Mir ist ein selig Los gefallen!
Mit ihm, dem ich mein Herz geweiht,
Soll morgen zum Altar ich wallen!
Erreicht hab' ich der Wonne Höh'!
Doch hört' ich oftmals: Schmerz und Weh,
Sie droh'n den Erdenkindern allen!
Und diese Angst ist's, die zu dir
Mich heimlich in der Nacht getrieben!
Was frommt mir jede Lebenszier,
Was frommt mir selbst Rodrigos Lieben,
Wenn ich mir zitternd sagen muß,
Nur flüchtig sei des Glückes Gruß,
Und könne wie ein Traum zerstieben?!«
[171]
»Benütze denn die Gnadenfrist!
Was soll ich sonst dir offenbaren?«
»O hör' mich! hör' mein Fleh'n! du bist
In jeder Zauberkunst erfahren:
So lehr' mich einen mächt'gen Bann,
So gib mir einen Talisman,
Mein Glück auf ewig mir zu wahren!«
Es glüht ihr schönes Angesicht,
Zur Bitte faltet sie die Hände,
Der feuchte Glanz des Auges spricht:
Gewähre mir die Wunderspende!
Ein Lächeln spielt um Fatmes Mund,
Mit Wehmut und mit Spott im Bund:
»Du willst ein Glück, das nimmer ende?
In dieser stets bewegten Welt,
Wo, gleich der Flut im Meeresschoße,
Des Schicksals Woge steigt und fällt,
Suchst du das ewig Wandellose?
Viel ist's, was du begehrst! – Wohlan!
Empfange hier den Talisman
Aus meiner Hand, du junge Rose!
Gering an Wert scheint er dir wohl,
Doch muß selbst der Demant ihm weichen!
Es grub in diesen Karneol
Ein Magier geheime Zeichen.
Der Sterbliche, der ihn besitzt,
Ist vor des Unglücks Macht geschützt,
Und nimmer wird sein Stern erbleichen!
Dein ist er! wenn nun Dornen auch
Sich scheinbar um dein Leben winden,
Du weißt: wie Dunst und Nebelhauch
Wird jede Trübung bald verschwinden!
[172]
Obsiegen wirst du jedem Feind,
Und was dir schon verloren scheint,
Du wirst es schöner wiederfinden!
An deiner Brust verbirg den Stein!
Kein fremdes Auge darf ihn sehen!
Er labe deinen Blick allein,
Sonst ist's um seine Kraft geschehen.«
»Hab' Dank! hab' Dank! Nimm hier dies Gold,
Es ist ein allzu armer Sold
Für meines Glückes Fortbestehen!«
Sie eilet heim. Des Morgens Licht
Strahlt ihres Lebens schönstem Feste.
Mit treubesorgter Liebe spricht
Das Mutterherz, das angstgepreßte:
»Welch Los wird meinem Kind zu teil?«
»O zittre nimmer für mein Heil!
Mein Glück ist eine sich're Feste!«
Es gleitet Jahr auf Jahr dahin,
Dem Heute gleicht nicht stets das Morgen,
Doch heiter bleibt Estrellas Sinn, –
Was hätte sie auch zu besorgen?
Wenn rauh und ungleich ihre Bahn,
Da blickt sie auf den Talisman,
Und fröhlich fühlt sie sich geborgen.
Wohl ist's ein großer, heißer Schmerz,
Der sie im Innersten durchschüttert,
Als, wankelhaft, Rodrigos Herz
Von neuer Liebe Hauch erzittert!
Allein ihr mutig Hoffen spricht:
»Ob auch der Sturm manch Zweiglein bricht,
Den Stamm läßt er doch unzersplittert.«
[173]
Und also kam's. Er, der, bethört,
Ein eitles Wahngebild umschlungen,
Zurück in ihre Arme kehrt
Er bald, von ihrem Wert bezwungen.
Nicht Groll und Harm, nicht Kampf und Müh',
Nein! Hoffnung war die Waffe, die
Ihr diesen werten Sieg errungen. –
Von Feinden, Neidern rings umstellt,
Erliegt Rodrigo ihrer Tücke;
Im Kerker schmachten muß der Held,
Damit sein Glanz die Gegner schmücke.
Nicht wankt noch weicht Estrellas Mut!
Sie schwöret ihm bei Christi Blut:
»Ich baue dir die Rettungsbrücke!«
Mit starkem Herzen, festem Sinn,
Mit Worten, kühn wie Flammenschwingen,
Tritt vor des Königs Thron sie hin, –
Sie weiß, mit ihr ist das Gelingen!
Das stärkt, das kräftigt ihren Geist,
Und ihre zarte Hand zerreißt
Des Truges schlau gewob'ne Schlingen.
Nur einmal will die heitre Kraft,
Der sichre Mut sich ihr entwinden:
Ihr liebes Kind wird ihr entrafft,
Im Grabe sieht sie es verschwinden!
Doch sagte nicht die Zaub'rin einst:
Was als verloren du beweinst,
Du wirst es schöner wiederfinden?!
Aus Fatmes Mund sprach das Geschick!
Wie dürfte sie zu zweifeln wagen?
Und unter Thränen hebt ihr Blick
Sich himmelan, es flieht das Zagen.
[174]
Von still geheimem Trost erhellt,
Fühlt sie in einer höhern Welt
Die Seele ahnend Wurzel schlagen.
So hat der mächt'ge Talisman
Ihr Schicksal stets zum Heil gewendet!
Jetzt tritt der Tod an sie heran,
Er winkt, – sie stirbt! sie hat vollendet.
Und von dem Antlitz, bleich und schmal,
Ergießet sich ein Siegesstrahl,
Der glorienhaft das Auge blendet.
Noch lag auf ihrer Brust der Ring.
»Was mag es zu bedeuten haben,
Das wirr und kraus beschrieb'ne Ding?«
So fragten, die den Sarg umgaben.
Ein weiser Maure fand sich ein
Und sprach: »Es ist in diesen Stein
Das Wort nur ›Zuversicht‹ gegraben!«

[175] Die unbekannten Freunde

An Fürstin Karoline Wittgenstein.


Der Dichter wandelt einsam durch das Leben!
So ist es und so war's zu allen Zeiten.
Entsagung nur darf ihm zur Seite schreiten,
Wenn holde Bande sich um and're weben!
Doch ein Ersatz ist ihm dafür gegeben:
Daß Herzen ihm, in unbekannten Weiten,
Entgegen schlagen und wie Harfensaiten
Vom Hauche seiner Lieder sanft erbeben.
Und wurden solche Freunde dir zu teil,
Betrachte sie als höchste Schicksalsspenden,
Die für kein flücht'ges Gut der Erde feil!
Zweifach gesegnet ist, der sie gewann!
Denn in dem stillen Gruß, den sie ihm senden,
Fängt auch bereits die Nachwelt für ihn an!

[176] Unsere Zeit

Die Schaar der Frommen hör' ich seufzen, klagen,
Daß von dem Sturm, der jetzt die Welt erschüttert,
In Schutt und Trümmer Christi Reich zersplittert,
Mit allem Segen, den es je getragen.
Mir aber scheint es höher nur zu ragen,
Seit es, von Dogmen länger nicht umgittert,
Als Strahl der Liebe durch die Seelen zittert,
Wie nie zuvor in den vergang'nen Tagen.
Sagt an! wann griff das fremde Leid so hart,
So drängend an die Herzen der Beglückten,
Wie in der vielgeschmähten Gegenwart?
Im echten Sinne christlich ist die Zeit,
Die ihre Kraft dem Schutz der Unterdrückten,
Dem Dienst der Armen und Verlass'nen weiht!

[177] An die Natur

Es pfleget die gedankenlose Gilde,
Zum Jubel stets bereit wie zum Verzagen,
Jetzt kalter Grausamkeit dich anzuklagen,
Und wieder dann zu preisen deine Milde.
Sie messen dich nach ihrem eig'nen Bilde
Und können sich des Wahnes nicht entschlagen,
Daß Lieb' und Haß, wie sie im Herzen tragen,
Bald segne, bald verwüste ihr Gefilde.
O Thorheit, Strenge, Huld dir anzudichten!
Du kennst nur der Notwendigkeit Gesetz,
Und bleibst ihm treu beim Schaffen und Vernichten.
Ob Heil, ob Fluch in deines Mantels Falten
Sich berge, Ewige! mir bist du stets,
Was einst das Fatum war den frommen Alten.

Notes
Erstdruck der Buchausgabe: Wien (Gerold) 1870.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Neueste Gedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-67FE-0