[131] An Helene

1.

Geliebtes Kind! zum Trost, daß ferne
Von dir die Welle mich verschlug,
Wie ruf' ich mir so oft, so gerne
Zurück dein Antlitz, Zug für Zug!
Als wärst du leibhaft mir erschienen
Stehst du vor mir, Gebärd' und Mienen
So hold, so sittig und so klug!
Ja! tief hab' ich es eingesogen,
Dein Bild in meiner Seele Grund!
Ich seh' der Stirne reinen Bogen,
Das zarte Kinn, den weichen Mund,
Der Augen klare Lichtkristalle,
Das blonde Haar, im lock'gen Falle
Umspielend des Gesichtchens Rund!
Sie mögen neckend mir erwidern,
Ein Schönheitwunder seist du nicht!
Wer kann, wer mag den Reiz zergliedern,
Der ihn mit süßem Bann umflicht?
Wer krittelnd erst durchspäh'n die Züge,
Aus denen ohne Falsch und Lüge
So rein der Strahl des Himmels bricht?
Ich weiß nur eines: wenn verlocken
Mich will ein trügerisches Licht,
Die Leidenschaft mit Sturmesglocken
Zu dem bethörten Geiste spricht:
[132]
Dann kämpft den wilden Aufruhr nieder,
Des Friedens Klarheit schenkt mir wieder
Ein Blick in dieses Angesicht!
Und wenn ich zu erliegen meine
Des Tagwerks dumpfem Einerlei,
Ein einz'ger Blick auf dich, du Meine!
Und ich bin wieder stark und frei.
O du mein Licht auf dunklem Pfade!
Du Zeugnis mir von Gottes Gnade!
Du mir im Herbst erblühter Mai!

2.

So mancher staunt und sinnt, und weiß
Den Grund nicht zu ermessen,
Der mich das fremde Kind so heiß
Läßt an den Busen pressen.
Weil von Geschlecht sich zu Geschlecht
Die Adern nicht verzweigen,
Verkennen sie das höh're Recht
Kraft dessen du mein eigen.
Du bist, – mit Zaubermacht bespricht
Dies Wort mir alle Schmerzen, –
Zwar Blut von meinem Blute nicht,
Doch Herz von meinem Herzen.

[133] 3.

Es war an einem Frühlingsmorgen,
Die Rosen blühten, der Jasmin,
Von dem Gesträuche halb verborgen
Lugt' ich verstohlen nach dir hin.
Du knietest an des Weihers Rand,
Umspielt vom hellen Sonnenscheine,
Und suchtest emsig bunte Steine
Am Wege, mit geschäft'ger Hand.
Aus Kieseln, gelben, weißen, blauen,
Wie sich's gerade fügt' und fand,
Begannst du dir ein Haus zu bauen
Auf des Gerölles feuchtem Sand.
Vertieft in deines Werks Beschau
Sah ich dich wohlgefällig nicken.
Da, – nur ein Hauch, ein leises Rücken, –
Ach! und verschüttet lag der Bau.
Geduldig, ohne Zorn und Klage,
Dein liebes Herz sich drein ergab.
Jetzt tratest du zum Rosenhage
Und pflücktest ein paar Rosen ab.
Doch, kaum von ihrem Duft umwallt,
Gewahrtest du im Kelch der einen,
Mit gift'gem Bauch und Zappelbeinen,
Der Spinne schnöde Mißgestalt.
Ich sah, wie vor dem wüsten Scheuel
Ein banger Ekel dich erfaßt!
Die Rosen dünkten dich ein Greuel,
Die Herberg' boten solchem Gast.
[134]
Du warfst sie hin in's grüne Moos,
Und setztest dich am Ufer nieder,
Gesenkt die zarten Augenlider,
Die Hände achtlos in dem Schoß.
Umsonst strich dir um Stirn und Wangen
Die Morgenluft, von Düften schwer.
Die Lust am Spiel war dir vergangen,
Dich lockte keine Rose mehr!
So saßest du in läss'ger Ruh'
Und schautest nur dem Zug der Wellen,
Dem Tanz der gaukelnden Libellen,
Mit träumerischem Blicke zu.
Durch's Herz flog mir ein leises Beben,
Kaum weiß ich selbst, wie mir geschah,
Als ich dich, ohne Wunsch und Streben,
So still in dich versunken sah.
Ach! und noch heute steigt und schwillt,
In mir ein Strom von dunkeln Sorgen. –
Erschien an jenem Frühlingsmorgen
Vielleicht mir deiner Zukunft Bild?

4.

»Das nenn' ich eine Kinderzucht!
Das wäre mir die rechte Liebe,
Die alles zu entschuld'gen sucht,
Was immer auch ihr Abgott triebe!
Wie lang noch, und das Tierchen hält
Sich für den Mittelpunkt der Welt!«
[135]
Dein Vater sprach's, der grimme Mann!
Die Predigt war zu meinem Frommen,
Weil ich, da du in Acht und Bann,
Zu laut Partei für dich genommen.
Mir ward dabei ganz schwül und heiß, –
Ich sagte nichts und duckte leis.
Dein Mütterlein nahm's nicht so arg,
Mild klang das Wort der Guten, Schönen!
»Das Leben ist mit Liebe karg, –
Mag sie des Kindes Stirne krönen!
Thut sie zu viel, das Weltgebraus
Gleicht's einst durch manch' Zuwenig aus.«
Er drauf: »Ein wunderlicher Schluß!
Weil rauhe Pfade zu beschreiten,
Soll durch Verwöhnung man den Fuß,
So meinst du, darauf vorbereiten!
Wie kalt die Welt, wie ungelind,
Fühlt doppelt das verzog'ne Kind!«
Still lächelnd blickt' ich vor mich hin.
Dich zu verzieh'n, mein liebes Leben!
Hätt' ich so Schlimmes auch im Sinn,
Nicht Zeit wär' mir dazu gegeben.
Dein Morgen- ist mein Abendrot, –
Eh' du verzogen, bin ich tot.

5.

So wenig wie der Quell, in dessen klaren
Lichtwellen jetzt mein Angesicht zu schauen,
Wenn er als breiter Strom durchwogt die Auen
Das längst zerfloss'ne Bild noch wird bewahren:
[136]
So wenig wird in spät'rer Jahre Treiben,
Wenn Schmerz und Freude, Seligkeit und Bangen
Wetteifernd einst den Zoll von dir verlangen,
Mein Bild in deiner Seele haften bleiben.
Es sei darum! nicht knüpfe sich dein Leben
An eines, dessen Sand, wie bald! verronnen.
Das Alter mag sich an Erinn'rung sonnen!
Der Jugend ziemt ein frisches Vorwärtsstreben.
Ich wünsche und ersehne nur das Eine:
Daß dir auf dieser liebeleeren Erde
Zum zweitenmale eine Liebe werde,
So tief, so treu, so selbstlos wie die meine.
[137]

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TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. An Helene. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-682D-7