[58] Die Freundschaft

An Zoe.


Zevs gab an einem Gallatage
In seinem blauen Sternensaal
Dem Götterchor ein Mittagsmahl,
So recht nach altem deutschen Schlage.
Erbaulich war Prinz Ganymed
Mit seinem Becher anzusehen;
Er mußte stets, wie ein Planet,
Sich um die runde Tafel drehen:
Auch wies der Nektar seine Kraft;
Die Damen lüfteten das Mieder
Und Zevs, beym Klange froher Lieder,
Trank mit den Herren Brüderschaft
Und küßte sie mit heissem Munde.
Herr Momus, dem, wie jeder weiß,
Nichts recht ist, machte seine Runde
Und nahte höhnisch sich dem Kreis:
Darf ich, o Jupiter, es wagen
Ein kleines Wörtchen dich zu fragen? ...
»Laß hören, Herr geheimer Rath!«
Da doch der Krieg, der Sturm, die Liebe,
Die Reimer, Aerzte, Kuppler, Diebe,
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Kurz alles seine Gottheit hat;
So möcht ich unmaßgeblich wissen,
Warum wir wohl an deinem Hof
Der Freundschaft Göttin blos vermissen?
Zum Glück bin ich kein Philosoph,
Sonst würd ich aus dem Umstand schließen,
Daß Wesen aus der Oberwelt
Zur Freundschaft nicht gestimmt seyn müßen;
Allein das Gegentheil erhellt
Aus euren brüderlichen Küssen.
Beym Styx! rief Zevs, daß Tisch und Saal
Vom Schwur erbebten, diesesmal
Hat Momus Recht! Ihr Herrn, ich dächte,
Wir hälfen stracks dem Mangel ab.
Er sprach es und erhob die Rechte,
Die der Natur ihr Daseyn gab.
Flugs stand ein Bild, die holdste Dirne,
Die der Olymp noch werden sah,
Mit Venus Reitz, mit Lunens Stirne
Und Pallas stiller Würde da.
Ha bravo! rief der helle Haufen.
Sie kommen in gedrängten Reihn
Der neuen Schwester zugelaufen
Und weihen sie mit Küssen ein.
Zevs macht sie sich zur Seite sitzen,
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Drückt zehnmal ihr die weiße Hand,
Und tändelt mit des Halstuchs Spitzen.
Frau Juno roch die Lunte gleich;
Sie zittert, wird bald roth, bald bleich,
Und raunt den Schwestern in die Ohren.
Im Huy entspinnt sich ein Complot;
Der Schönen wird der Sturz geschworen;
Und kurz, man zwang den armen Gott,
Durch List und Lärm, nach wenig Tagen
Die Freundschaft von Olymp zu jagen.
Sie flieht ins Thal der Sterblichkeit,
Besucht verkappt die niedern Dächer,
Und mischet in den Wermuthsbecher
Des Lebens hohe Seligkeit.
Auch mir erschien sie im Gefilde
Des Jammers unter deinem Bilde,
O Zoe! Segnend schloß ich dich
In meinen Arm, da schwand mein Leiden.
Hört auf die Götter zu beneiden,
Ihr Sterblichen, beneidet mich.

Notes
Entstanden 1778.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Die Freundschaft. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7246-4