[78] Der Genius

Ein Genius fuhr unerkannt
Im Marktschiff nach Paris. Kaum stieg er aus dem Nachen,
So lief ihm alles nach, Sein attisches Gewand
Empört der Damen Blick. Man rief mit lautem Lachen:
Ach Gott! mein Herr, wie drollicht seht ihr aus,
Ihr müsset euch nach unsrer Mode kleiden.
Gut, sprach er, weiset mir des besten Schneiders Haus.
Ey was, ihr habt kein neues Kleid vonnöthen;
Geht auf den Trödelmarkt, da bietet man
Den Reisenden vom Lord bis zum Poeten
Um guten Preis gemachte Kleider an.
»Ich gehe schon.« Mit schnellem Schritte
Steigt er zum nächsten Trödler hin.
Der Franzmann öfnet ihm ein ganzes Magazin
Voll Röcke nach dem neusten Schnitte.
Vom Frieswams bis zum Galakleid.
Der arme Genius verdarb die Zeit
Sie nacheinander anzupassen;
Zu reich, zu schlecht, zu eng, zu weit
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Zu hell, zu dunkel; kurz, ihm wollte keines lassen
»Meßt mir ein neues an, ich berste vor Verdruß.«
Ganz wohl, mein Herr, ihr habt es in zwey Tagen.
Was seh ich? Flügel! – Hum! ihr seyd ein Genius? –
Pardon, ihr dürft kein neues Kleid hier tragen.

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TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Erster Teil. Zweytes Buch. Der Genius. Der Genius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7278-3