[52] Zweytes Buch

[53] [55]Epistel an Sarasin

Freund, einen kurzen Augenblick
War ich bey dir: doch wie viel Glück
Lag nicht in diesem Augenblick!
Die Freundschaft zählt nicht so die Stunden,
Wie Adam Riese zählen lehrt,
An ihrem Busen durchempfunden
Ist eine ganze Seklen werth;
Unmerkbar lang, gleich den Aeonen,
Die der entzückte Mahomet
Einst in des Weltbaus obern Zonen
Am Thron der höchsten Majestät
Durchlebet, oder doch gewähnet
Durchlebt zu haben. Gabriel
Trug ihn zum Ahnherrn Ismael
Dahin, wo Gott die Tugend krönet.
Er sah, was noch kein Auge sah,
Und hörte, was kein Ohr gehöret,
Und als er wieder umgekehret
Auf seinen Sopha; siehe da!
[55]
War er bey zwanzigtausend Jahren
Von Haus, und fand noch Zeit genug
Den angefüllten Wasserkrug,
Den, als er zum Olymp gefahren,
Sein Fuß vom Tisch herunter stieß,
Vor seinem Falle zu bewahren.
So zeitvoll sind im Paradies,
Am Quell des Schönen und des Guten,
Und diesseits der Gestirne mir
Bey deiner Gattin und bey dir,
O Freund, die flüchtigen Minuten.
Wenn dieses Blättchen einer liest,
Für den es nicht geschrieben ist,
Wie wird er des Phantasten lachen?
Das mag er! Soll ich ihm dafür
Noch eine saure Miene machen,
Daß er ein Glück verkennt, das wir
Mehr als das ganze Pohlen schätzen,
Um dessen letzten Scheidestrich
Therese, Käthe, Friederich
Die Federn und die Lanzen wetzen?
Das Herz bestimmt der Dinge Werth,
An ihm schleift jeder seine Brille.
Ist Sympathie ein Steckenpferd,
So sey sie meine Lieblingsgrille.
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O, Heil mir, Freunde, daß auch Ihr
Das mystische Concert verstehet,
Bey dessen Symphonien mir
Die kurze Zeit so schön vergehet!
Doch hätt ich Euch wohl ausgespähet?
Hätt Euch so schnell mein Herz gewählt?
Wär es von dem, der uns beseelt,
Nicht in die himmlischen Accorden
Der Sympathie gestimmet worden.
Ja, Freund, ja holde Zoe, du,
Die ich voll Stolzes Freundin nenne
Und, schloß gleich Gott mein Auge zu,
Mit allen ihren Reitzen kenne,
Auch Euch weis' ich ein Hüttchen an
Auf meiner Hesperiden-Insel,
Die sich, nach Platons frommem Plan,
Mein kühner schwärmerischer Pinsel
Für Biederseelen ausgemahlt.
O daß ich dich erschaffen möchte,
Geweyhter Feen-Aufenthalt,
Du Schinznach für die zwey Geschlechte!
Doch wenn wir dieses Heiligthum
Entzückungsvoller Sympathien
Hienieden, Freunde, nicht beziehen,
So giebt es ein Elysium.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Zweyter Theil. Zweytes Buch. Epistel an Sarasin. Epistel an Sarasin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-727F-6