[152] Der Wundermantel

Elisa starb: kein Testament
Vergab sein Gut. Der Präsident
Von Salem kam mit vier Gesellen,
Das Inventarium zu stellen.
Kurz wars. Ein Mantel und ein Rock,
Ein Ranzen und ein Dornenstock;
Mehr fand sich nicht. Um die Gebühren
Des Richters und des Syndikus
Und der Skribenten abzuführen,
Ergieng der wohlbedachte Schluß,
Den Erbverlaß zu konfiscieren.
Man schritt zum Werk, als Hasael,
Des Hohenpriesters Amtspedell,
Erschien und von der Kirche wegen
Das Pallium in Anspruch nahm.
Dies war den Herren ungelegen,
Doch sie verschluckten ihren Gram.
Der Richter zog den Stab zurücke
Und Aarons Großvikar bekam,
Trotz aller Rabulisten Tücke,
Das wunderthätige Gewand
In seine Macht. Mit frohem Blicke
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Griff er darnach. Ihm war bekannt,
Daß es Elias einst getragen,
Und als der Liebe letztes Pfand
Dem Schüler von dem Feuerwagen
Herunterwarf. Von nun an träumt
Der Patriarch von lauter Zeichen,
Er schlägt den Fluß damit, er schäumt,
Und theilt sich nicht. Er legts auf Leichen
Und keine regt sich. Mißvergnügt
Schenkt der getäuschte Hohepriester
Den Mantel seinem lahmen Küster,
Der kaum auf seinem Arme liegt,
Als er ihn schon mit Riesenstärke
Bewegen kann. Der gute Greis
Weint dem Gott Jacobs Dank und Preis,
Und hilft durch stille Wunderwerke
Dem Leidenden. Die Lahmen gehn,
Der Taube hört, die Blinden sehn,
Und kurz es ward in wenig Wochen
Vom frommen Küster mehr gesprochen,
Als von dem ganzen Sanhedrin.
Der Erzhirt griesgramt wie ein Heyde,
Sein Antlitz färbt sich gelb und grün,
Er reißt den goldnen Saum vom Kleide
Und eine Handvoll Bart vom Kinn.
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Doch bald entstehen sanftre Klagen
In seiner Brust. Er eilt vor Tag
Ins Heiligthum, den Herrn zu fragen,
Warum ein Küster mehr vermag,
Als ein Prälat, auf dessen Magen
Das Urim glänzt. Vergebens beugt
Er seine Knie, brennet Kerzen
Und Rauchwerk. Das Orakel schweigt!
Doch eines ruft in seinem Herzen,
Dem folget er. Der Kirchenrath
Versammelt sich in dem Conclave,
Der Thaumaturg wird als ein Sklave
Des bösen Feinds durch ein Mandat
Citiert, vernommen und verdammet.
Denn wär es nicht ein Bösewicht,
So schwiege das Orakel nicht,
Sprach der Prälat, vom Zorn entflammet:
Und das geweihte Blutgericht
Verurtheilt ihn, in Gottes Namen,
Nebst seinem Pallium zur Glut.
Die Stutzer und die feinen Damen
Von Salem und die ganze Brut
Der Schriftgelehrten und Leviten
Fand sich beym grausen Holzstoß ein.
Man führt den armen Inquisiten
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Mit Pomp durch die gedrängten Reihn.
Allein kaum schlagen rauchend Flammen
Mit Praßeln über ihm zusammen;
So wölbet sich der Mantel schnell
Gleich einer lichten Purpurwolke
Um seinen Leib. Vor allem Volke
Fliegt er so leicht wie Gabriel
In Gottes Schooß. Der blinde Laye
Klopft auf die Brust mit stummer Reue.
Nur der Prälat rief voller Wuth:
Seht, Brüder, was der Satan thut.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Dritter Theil. Drittes Buch. Der Wundermantel. Der Wundermantel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-72FC-A