Philemons Tod

1833.


Als einst Athen Antigonus belagerte,
Da saß der alte, neunundneunzigjährige
Poet Philemon, mächtiger Dichter Überrest,
In dürftiger Wohnung saß er da gedankenvoll:
Er, der Athens Glorreichsten Tagen beigewohnt,
Der deine Philippiken angehört, Demosthenes,
Und oft den Preis errungen durch anmutige,
Weisheitserfüllte, die er schrieb, Komödien.
Da schien es ihm, als schritten neun jungfräuliche
Gestalten, leis an ihm vorbei, zur Tür hinaus.
Der Greis jedoch sprach dieses: Sagt, o sagt, warum
Verlasset ihr mich, Holde, Musenähnliche?
Und jene Mädchen, scheidend schon, erwiderten:
Wir wollen nicht den Untergang Athens beschaun!
Da rief Philemon seinem Knaben und foderte
Den Griffel, dieser wird sofort ihm dargereicht.
Den letzten Vers dann einer unvollendeten
Komödie schreibt der Alte, legt das Täfelchen
Hinweg, und ruhig sinkt er auf die Lagerstatt,
Und schläft den Schlaf, von dem der Mensch niemals erwacht.
Bald ward Athen zur Beute Mazedoniern.

Notes
Erstdruck 1834.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Platen, August von. Philemons Tod. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7980-4