[129] [125]Ulalume

Der Himmel war düster umwoben;
Verflammt war der Bäume Zier –
Verdorrt war der Bäume Zier;
Es war Nacht im entlegnen Oktober
Eines Jahrs, das vermodert in mir;
War beim düsteren See von Auber,
In den nebligen Gründen von Weir –
War beim dunstigen Sumpf von Auber,
In dem spukhaften Waldland von Weir.
Durch Zypressenallee, die titanisch,
Bin ich mit meiner Seele gegangen –
Bin hier einst mit Psyche gegangen –
Zur Zeit, da mein Herz war vulkanisch
Wie die schlackigen Ströme, die langen,
Wie die Lavabäche, die langen,
Die rastlos und schweflig den Yaanek
Hinab bis zum Pole gelangen –
Die rollend hinab den Berg Yaanek
Zum nördlichen Pole gelangen.
Unser Wort war von Dunkel umwoben,
Der Gedanke verdorrt und stier –
Das Gedenken verdorrt und stier;
Denn wir wußten nicht, daß es Oktober,
Und der Jahrnacht vergaßen wir –
Der Nacht aller Jahrnächte wir!
Wir vergaßen des Sees von Auber
(Obgleich wir gewandert einst hier),
Des dunstigen Sumpfs von Auber
Und des spukhaften Waldlands von Weir.
[125]
Und nun, da in alternder Nacht
Die Sternuhr gen Morgen sich schob –
Da die Sternuhr gen Morgen sich schob –
Ward am End unsres Pfades entfacht
Ein Schimmern, das Nebel umwob,
Aus dem mit wachsender Pracht
Ein Halbmond sein Doppelhorn hob –
Astartes demantene Pracht
Deutlich ihr Doppelhorn hob.
»Sie ist wärmer«, so sagte ich,
»Als Diana: sie schwärmt durch ein Meer
Von Seufzern – ein Seufzermeer;
Sie sah es: die Träne wich
Von diesen Wangen nicht mehr,
Und vorbei am Löwenbild strich
Als Lenker zum Himmel sie her,
Als Leiter zu Lethe sie her;
Trotz des Löwen getraute sie sich,
Uns zu leuchten so hell und so hehr –
Durch sein Lager hindurch wagte sich
Ihre Liebe, so licht und so hehr.«
Doch Psyche hob warnend die Hand:
»Fürwahr, ich mißtraue dem Schein
Dieses Sterns – seinem bleichen Schein.
O fliehe! o halte nicht stand!
Laß uns fliegen – denn oh! es muß sein!«
Sprach's entsetzt, und es sanken gebannt
Ihre Schwingen in schluchzender Pein –
Ihre Schwingen schleiften gebannt
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Die Federn in Staub und Stein –
Voll Kummer in Staub und Stein.
Ich erwiderte: »Traum ist dies Grauen!
Laß uns weiter in Lichtes Pracht –
Laß uns baden in seiner Pracht!
Es läßt mich die Hoffnung erschauen
In kristallener Schönheit heut nacht –
Sieh! es flackert gen Himmel durch Nacht!
Oh! man darf seinem Schimmern vertrauen,
Es führt uns mit weisem Bedacht –
Oh! man muß seinem Schimmern vertrauen,
Es lenkt uns mit treuem Bedacht,
Da es flackert gen Himmel durch Nacht!«
Ich beruhigte Psyche und gab
Ihr Küsse und lockte sie vor –
Aus Bedenken und Dunkel hervor;
Und wir schritten den Baumgang hinab,
Bis am Ende uns anhielt das Tor
Einer Gruft – ein märchenhaft Grab.
»Schwester«, sprach ich, »was schrieb man aufs Grab –
An das Tor von dem Wundertume?«
»Ulalume!« sprach sie; »in dem Grab
Ruht verloren für dich Ulalume!«
Und mein Herz wurde düster umwoben,
Wurde dürr wie der Bäume Zier –
Wurde welk wie der Bäume Zier;
Und ich schrie: »Es war sicher Oktober
In der nämlichen Nacht, da ich hier
Im Vorjahr gewandert – und hier
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Eine Last hertrug, fürchterlich mir!
Diese Nacht aller Jahrnächte mir,
Welcher Dämon verführte mich hier?
Gut kenn ich den See jetzt von Auber –
Diese nebligen Gründe von Weir –
Gut kenn ich den Dunstsumpf von Auber –
Dieses spukhafte Waldland von Weir.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Poe, Edgar Allan. Gedichte. Ulalume. Ulalume. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7C82-6