I.
Der Hibichenstein, zwei mächtige aneinanderstehende Kalksäulen unweit Grund, ist zu der Zeit, da noch große Riesen am Harze gingen, von einem Riesen aus dem Schuh geschüttet, wo er ihn wie ein kleines Steinchen drückte.
Der Hibichenstein, zwei mächtige aneinanderstehende Kalksäulen unweit Grund, ist zu der Zeit, da noch große Riesen am Harze gingen, von einem Riesen aus dem Schuh geschüttet, wo er ihn wie ein kleines Steinchen drückte.
Im Hibichenstein wohnten Zwerge, die sollen im Grunde mitunter den Leuten die Kinder gewartet haben. Ihr König ist der Hibich gewesen, ein alter Mann mit rauhem Haar, wie ein Bär, einem sehr alten Gesichte und von kleiner Statur. Er hat einen eisgrauen Bart gehabt, der ist ihm bis auf die Brust gegangen und darin hat eine zauberische Kraft gesteckt. In der Hand hat er ein silbernes Grubenlicht getragen, das hat so hell geschienen wie die Sonne, und auf dem Haupte eine goldene Krone. So klein er gewesen ist, konnte er sich doch sehr ausrecken. Früher hat er, wie einige sagen, alle fünfhundert Jahre einmal auf die Oberwelt kommen dürfen; jetzt nicht mehr. Der Zwergkönig Hibich hat die Waldungen beschützet und spielte den Leuten, die in der Waldung Schaden anrichteten, oft einen Possen. Er zeigte sich aber auch wohlthätig gegen arme und hilflose Menschen, die in den Wald kamen und ihm treuherzig ihre Not klagten. So ging einstmals eine Bergmannsfrau aus Grund in den Wald, deren Mann schon lange hatte krank gelegen, sie wollte Tannenzapfen suchen und dafür sollte ihr der Bäcker Brot geben. Wie sie nun im Walde war, kam der alte Hibich und fragte: was sie hier suche, da erzählte sie ihm alles und der Zwergkönig gab ihr ein Kraut und sagte, davon würde ihr Mann genesen. Auch bezeichnete er ihr eine Stelle im Tannenwalde, da würde sie Tannäpfel finden, und dahin begab sich die Bergmannsfrau, fand aber anfangs keine. Da fing es plötzlich an zu werfen, wie von den Bäumen herunter, mit lauter Tannäpfel. [105] Die Frau aber ward von keinem getroffen, sondern alle flogen an ihrem Kopfe vorbei in die Kiepe. Das waren die Zwerge, die haben schon Ordre gehabt vom Zwergkönig Hibich und haben der Frau aus der jungen Grüne, worin sie versteckt waren, die Tannäpfel zugeworfen. Als die Kiepe voll war und die Frau sie aufhob, dünkte sie sogleich ihr etwas schwerer, als sonst eine Kiepe voll Tannäpfel ist. Da sie wieder an die Stelle kam, wo sie den Zwergkönig Hibich getroffen hatte, kam der wieder und fragte, ob sie Tannäpfel gefunden habe. Da sagte sie, was ihr begegnet war und da offenbarte es ihr der alte Hibich, daß das seine Zwerge gewesen seien, fügte auch hinzu, das wären silberne Tannzapfen, davon solle sie nehmen so viel, daß sie mit ihrem Manne und ihren Kindern genug hätte, von dem übrigen Silber solle sie die Kirche zu Grund neu bauen lassen, riet ihr auch noch, des Krautes nicht zu vergessen, das er ihr für ihren Mann gegeben. Wie nun die Frau nach Hause kam, da waren die Tannäpfel nichts als gediegenes Silber, von derselben Art, von dem die alten Harzgulden gepräget wurden. Und damals hatten Gold und Silber noch einen viel höhern Wert als jetzt und von dem Silber, was die Frau in ihrer Kiepe getragen hatte, ist richtig die Kirche zu Grund gebauet und von dem, was sie für sich behielt, kamen noch große Reichtümer in die Familie des kranken Bergmanns. Der aber wurde von dem Kraute, das der alte Hibich seiner Frau im Walde gegeben hatte, von Stunde an so gesund wie ein Fisch.
Auf dem Försterhofe in Grund wohnete vor alten Zeiten einmal ein Förster, der hatte seine Frau früh verloren, und nur noch einen einzigen Sohn. Der soll ein recht geschickter und auch recht guter Bursche gewesen sein, nur ein bißchen zu vorwitzig. Einmal ging der Försterssohn an einem Sonntag Nachmittage mit seinem Freunde, einem Bergmannssohne, spazieren ins Holz. Wie sie nach dem Hibichenstein gelangten, kam das Gespräch auf dessen Höhe und der Bergmannssohn sagte, den wollte er sehen, der da hinaufsteigen könnte. Da sagt der Försterssohn, das wäre nichts, und er wagte es, der andere aber riet ihm ab. Denn wenn einer hinaufgestiegen ist, hat er nicht wieder herabgekonnt und am [106] andern Tage zerschmettert unten gelegen. Aber der Försterssohn glaubte nicht daran, lachte und sagte, nun wollte ers erst recht thun. Er ließ sich nicht halten, was der andere auch angeben mochte, und stieg hinauf. Mag ihm wohl sauer geworden sein: denn was man jetzt den kleinen Hibichenstein nennt, ist vor alten Zeiten viel größer gewesen als der, den man jetzt den großen Hibichenstein nennet, und hat deshalb auch der große geheißen. Der Försterssohn gelangte richtig oben auf den Hibichenstein hinauf. Da war oben ein großer breiter Platz, darauf sprang er hin und her und tanzte vor Freuden, daß er droben war, und rief zu seinem Kameraden herunter, er möge auch hinaufkommen. Der Bergmannssohn aber schüttelte den Kopf, und wie der Försterssohn eine Weile getanzet hatte, bat er ihn sehr, er möge nun auch wieder herunterklettern. Das wollte der Försterssohn auch, aber wie er herabzusteigen dachte, konnte er nicht fort von dem Platze oben auf dem Felsen, wie sehr er sich auch mühte, denn der alte Hibich hatte ihn zur Strafe da festgebannt. Da kam der alte Förster mit der Flinte, wehklagete um seinen Sohn und wollte ihn endlich herunterschießen. So wie er auf seinen Sohn zielete, kam der alte Hibich und fragte, was er hier machen wolle, und als der Förster antwortete, er wolle seinen Sohn vom Hibichensteine herunterschießen, riet ihm der Zwergkönig ab von solchem thörichten Unternehmen. Vom Felsen herunter bat aber der Försterssohn immerfort, daß sein Vater nur losdrücken möge, und darum legte der Förster von neuem das Gewehr an und zielte. Da entstand aber plötzlich am Hibichenstein ein furchtbaresDonnern und Blitzen und Regengüsse strömten dem Förster in die Pfanne, so daß das Gewehr nicht losging. Andere berichten, als der Förster losschießen wollte, waren sogleich die kleinen Zwerge mit Heckruten bei der Hand, die schlugen ihn auf die Finger und neckten ihn hier und da mit Tannenbüschen, daß er nicht losdrücken konnte. Und damit ließen sie nicht nach, obgleich er immerfort rief: »Jungen, geht mir aus dem Wege! Mein Sohn soll ja dort oben nicht verhungern!« So brach die Nacht herein und der Förster war nicht zum Schuß gekommen. Er ging endlich nach Hause mit dem Vorsatze, am andern Morgen [107] mit dem Frühesten wiederzukommen und seinen Sohn herunterzuschießen. Auch der Bergmannssohn und die andern Leute von Grund, die dazu kommen waren, gingen mit ihm nach Hause und zuletzt ging auch der Bergmannssohn heim, weil sein guter Freund ihn selber bat, daß er sich Ruhe gönnen möge, um am andern Morgen so früh als möglich wieder in seiner Nähe zu sein und zu versuchen, ob Rettung möglich wäre. Kaum war er fort, da kamen auch schon die Zwerge an. Alle trugen Bergmannskleidung und jeder hatte ein Grubenlicht, auch führeten sie kleine gar kunstvolle Leitern mit sich, davon setzeten sie eine auf die andere, und nun hielten die zusammen, als wären sie ineinander gelötet. Wie nun so eine einzige große Leiter aufgerichtet war und bis an die Spitze des Hibichensteins hinanreichte, da stand auch schon auf jeder Stufe ein Zwerg mit seinem Grubenlichte und leuchtete. Und da mußte sich der Försterssohn dem Zwerge, der auf der obersten Stufe stand, auf die Schultern setzen, und da war auf einmal die Leiter so breit, daß er ihn an all den andern Zwergen vorbeitragen konnte, die da mit ihren Grubenlichtern standen und leuchteten. Als der Försterssohn vom Hibichenstein herunter war, waren all die Lichter verschwunden und alle Zwerge waren fort, auch der, der ihn getragen hatte. Da kam der alte Hibich wieder, nahm ihn bei der Hand und sagte: Da er einmal oben auf dem Hibichensteine gewesen sei und so große Angst dafür ausgestanden habe, so solle er nun auch noch mit in des Zwergkönigs Schloß kommen; der lasse es sich nicht nehmen, er müsse ihn nun zum Beschluß einmal ordentlich bewirten. Also ging der Försterssohn mit dem Zwergkönige durch ein großes Thor in den Berg hinein und führete ihn in ein großes Zimmer, da standen Stühle und eine große Tafel, davor mußte er sich hinsetzen. In dem Zimmer blinzten die Wände von Stuferz, die Decke war von einem Stück Schwerspat, weiß wie der Schnee, und von der Decke hing ein großer Kronleuchter herab, ganz von Krystallen und Edelgestein, größer als im goslarschen Zehnten; und der Fußboden war mit grünen Tannenzweigen überstreut und die Pannele glänzten nur so von Gold und Edelgestein. Und mitten in der Stube stand [108] ein Glaskopf und ein silberner Stuhl davor. Darauf setzte sich nun der Zwergkönig, sagte zu dem Försterssohn, er solle sich setzen und schlug mit dem silbernen Schlägel gegen den Tisch von Glaskopf. Der gab einen Ton von sich, so köstlich, wie man es in der Welt nicht höret. Da kamen tausend kleine Frauenbilder herein, die trugen Erdbeeren und Himbeeren auf, und der Hibich sagte zu dem Försterssohn, er solle davon nehmen. Also sprachen sie zusammen, und die andern Frauenbilder machten Musik dazu. Wie die Mahlzeit zu Ende war, schlug der Hibich wieder mit dem Fäustel an den Tisch von Glaskopf, und wie der köstliche Ton wieder erklang, da trugen die kleinen Frauenbilder Krüge herein von lauter Silber; und der Hibich sagte zu dem Försterssohn: er solle Bescheid thun. Der sagte: Glück auf und that seinen Zug. Aber so Herrliches hat er im Leben nicht getrunken. Wie nun der Försterssohn sich so erquickt hatte, führte ihn der Hibich in ein gar großes Gemach, da war auf der einen Seite an den Wänden Silber, auf der andern Gold. Nun stand der Hibich da und kommandierte auf einmal: Silber! und das andere mal:Gold! und bei jedem Ruf des Hibich mußte der Försterssohn zugreifen, und der Hibich rief so lange: Silber und Gold! daß er mit unermeßlichen Reichtümern belastet wurde. »Willst du mir nun einen Gefallen thun?« sagte Hibich; »nämlich so lange der große Hibichenstein der große bleibet, hab' ich mein Recht daran und darf auch auf der Erde walten gehen (umgehen); wenn aber der große Hibichenstein zum kleinen wird, so kostets mich die Krone, und dann darf ich bloß unter der Erde herrschen. Da schießen nun immer die Leute nach Krimmern, Raben und Falken oben auf dem Hibichenstein, und das darf ich nicht leiden; denn triffts den Stein, so bröckelt etwas ab.« Der Försterssohn versprachs und gab ihm die Hand darauf, daß weder sein Vater, noch er selbst, noch ein anderer, so lange er lebe, jemals nach dem Steine schießen solle. Wie das geschehen war, führte ihn der Hibich in ein anderes Zimmer. Da war ein Bett von Moos recht artig bereitet. Der Hibich sagte, er wolle seinen Gast morgen zeitig wecken und wünschte ihm gute Nacht. Der Försterssohn hatte noch nicht lange geschlafen, da weckte [109] es ihn auf, und wie er die Augen aufschlug, graute der Morgen, und wie er sich besann ('s ist kalt gewesen), lag er unten am Hibichenstein unter einem Busch, all sein Silber und Gold aber, das er auf des Hibichs Ruf bekommen hat, lag neben ihm. Das hat er alles der Obrigkeit verzählt und den Armen von seinem Reichtume mitgeteilt. Und die Obrigkeit hat ein Gesetz ausgehen lassen, daß keiner auf den Hibichenstein steigen und keiner da nach Falken und Krimmern schießen dürfe und nach Raben. Und so lange der große Hibichenstein ist unversehret gewesen, hat der Hibich da sein Wesen gehabt und viel Gutes gethan, und manchen Bösen bestrafet, und es hat ihn auch mancher gesehen. Aber im dreißigjährigen Kriege haben die Kaiserlichen die Spitze des großen Hibichensteines aus Mutwillen mit Karthaunen heruntergeschossen, und von der Zeit an hat kein Mensch den Hibich mehr gesehen.
In einer Mühle speiseten die Zwerge jede Nacht und der Müller mußte deshalb jeden Abend mit seiner Familie ausziehen. Eines abends kam ein alter Soldat und bat den Müller, ihm in seiner Mühle für die Nacht ein Quartier zu vergönnen. Der Müller erklärte ihm die Sache, wie es zusammenhing, und sagte: wenn er sich vor den Zwergen nicht fürchten wollte, so könnte er da bleiben. »Ach,« sagte der Alte, »ein alter Soldat darf sich nicht fürchten,« stopfte sich eine Pfeife und setzte sich hinter den Ofen, während der Müller mit seiner Familie wieder auszog. Wie es die Nacht an zwölf Uhr kam, erschien eine ganze Hetze Zwerge. Sie deckten den Tisch und setzten goldenes und silbernes Geschirr darauf, worin sogleich von selbst Speise war. Wie dies geschehen war, kamen sechs Zwerge, hatten Hibich auf eine mit Gold und Silber ausgestickte Bahre gelegt, und setzten ihn auf der Mitte der Tafel auf einen hohen Sessel. Kaum hatte er aber fünf Minuten gesessen, da schrie er: hier riechts nach Tabak, und die kleinen Zwergmännchen schnüffelten den Soldaten auf, sprangen mit goldenen Gabeln und Messern auf ihn zu und wollten ihn ermorden. Dies Ding verstand aber der Soldat unrecht, nahm seinen Stock und hieb die ganzen Zwerge in die Flucht, ihren Hibich hatten sie aber [110] sitzen lassen, und der verschwand von selbst. Da strich der alte Soldat das Gold- und Silbergeschirr ein, legte es auf die kostbare Bahre und zog damit zu Markte, verkaufte das überflüssige Geschirr und die Bahre und lösete daraus so viel, daß er frei und frank leben konnte, hatte aber doch etwas von dem seltenen Geschirre behalten, und es war in demselben, sobald er es sich nur wünschte, die kostbarste Speise. Am anderen Abende saß er wieder in der Mühle und der Müller war auch dageblieben. Wie es nun an zwölf kam, klopfte etwas dreimal an das Fenster und fragte: Müller, hast du deine böse Katze noch? Da schrie der alte Soldat selber: »Ja, sie jungt alle Nächte zwölfe.« Da riefen die Zwerge betrübt: »Dann mag dir der Teufel wieder kommen,« und sind seit der Zeit nicht wieder kommen. Der alte Soldat lebet aber bei dem Müller herrlich und in Freuden, und lebet alle Tage einen Tag von seiner Wunschspeise.