Nr. 162. Die neue Mühle an der Innerste. (I-II.)

I.

In der neuen Mühle an der Innerste auf dem Oberharze soll es spuken, und das liegt daran, daß dort die alten Päpsttümer zerstöret sind, als die Mühle gebauet ist. Nämlich wo jetzt die Mühle stehet, hat früher ein Kloster gestanden, und wie in protestantischen Zeiten da die Mühle gebauet war, faßten die Geister der alten Mönche die Arbeitsleute bei den [153] Füßen und foppten sie immerfort. Auch brannte an einer Stelle ein Flämmichen und ein dicker Mönch war den ganzen Tag sichtbar, ein Gespenst, das wies den ganzen Tag dahin, wo das Flämmchen brannte. Endlich ließen die Arbeitsleute, weil sie vor Geistern nicht mehr aus und ein wußten und auch vermuteten, daß hier Schätze vergraben seien, einen Pater kommen und frageten, was hier zu thun sei. Ja, sagte der Pater, als er das Treiben der Geister eine Weile mit angesehen hatte, hier stände sehr vieles und davor könnten die Geister nicht ruhen. Er hieß nun die Arbeiter an der Stelle, wo das Flämmichen brannte, unter seiner Anleitung nachgraben, und da fanden sie einen dreimal verschlossenen Kasten, der war gewiß voll lauter Geld. Aber der Pater sagte, ehe das Geld herausgenommen werden könne, müsse er den Kasten erst mit nach Hause nehmen und viele Gebete darüber sprechen. Da haben sie ihm den Kasten mit vier Pferden dahin gefahren, wo er zu Hause war, und die vier Pferde konnten den Kasten kaum von der Stelle bewegen. Wie der Pater das Geld in dem Kasten zu der bestimmten Zeit nicht wieder nach der neuen Mühle brachte, machten sich die Arbeitsleute auf nach der Wohnung des Paters. Da war der Pater in die weite Welt gegangen, der Kasten aber stand noch da. Als sie ihn nun endlich öffneten, war nichts mehr darin als ein roter Pfennig, das andere hatte der Pater in der Stille herausgenommen und vor sich her dahin geschickt, wohin er sich zunächst begeben wollte. Als die neue Mühle schon im Gange und im vorigen Jahrhunderte an die Weibgensleute verpachtet war, schwärmten die Mönche und Schüler dort so viel auf den Gängen umher, daß die Knappen sich oft kaum getraueten Korn aufzuschütten, wenn die Mühle klingelte. Mitunter trugen die Geister auch Puffjackenkleidung und grüne Schachthüte und so sahen die Knappen sie das Korn aussacken. Einstmals war ein Mühlknappe dort, der las viel in der Bibel und verstand mit den Geistern umzugehen. Der war einmal an einem Sonntag Nachmittage allein in der Mühle und im ganzen Hause. Er hatte alle Thüren verriegelt und las wieder in der Bibel, da kam der Teufel zu ihm in die Stube. Der Mühlknappe merkte sogleich, daß es der Teufel war, und fuhr [154] ihn hart an, wo er hereingekommen sei. Auch zeigte er ihm die Stelle in der Bibel, die er aufgeschlagen hatte, und da stand geschrieben: Hebe dich weg von mir, Satan. Da flog der Teufel mit großem Geräusch zum Dach hinaus und nahm noch drei Schindeln mit, die haben sie später niemals wieder einsetzen können. In dem Wohnhause auf der neuen Mühle erschienen oft die Geister, lauter Mönche und Bergleute. Da traten denn herein auch oft die zwölf Schüler, von denen trug immer der erste ein Buch, darinnen blätterte er die ganze Stunde von elf bis zwölf, denn die Geister kamen immer mit dem Schlage elf Uhr herein und mit dem Schlage zwölf gingen sie wieder fort. Der erste trat mit seinem Buche immer an den Tisch, der zweite war auch sehr wißbegierig und sah ihm über die Schulter ins Buch hinein. Der zwölfte aber stellete, wenn sie kamen, eine Glocke auf den Tisch, und die nahm er punkt zwölf Uhr, wenn sie fortgingen, wieder hinweg, und das gab dann einen ordentlichen Klang, wenn er die Glocke vom Tische aufhob. Unter den übrigen Geistern, die sich sehen ließen, waren drei, die ihre bestimmten Namen hatten bei den Leuten in der Mühle. Der eine war das Dickauge, dem hing ein dickes Auge aus dem Kopfe heraus. Er trug ein weißes Laken, das hatte er vor der Stirne in einen Knoten zusammengebunden. Dieses Dickauge hat nur immer geklopfet, um die Leute zu ärgern, und wenn ein Lärm in der Mühle entstand und die Leute wurden aufmerksam darauf, so war es immer dies boshafte Wesen. Und dann hieß es: ach, es ist das Dickauge! und sie kümmerten sich nicht weiter darum. Ein anderer Geist hieß der Fegelork, der hat immer mit einem neuen Besen in der Mühle umhergefegt. Das beste Wesen von allen war das Freundliche. Das hatten alle gar lieb, wenn sie ihm auch nicht seinen Willen thaten. Denn es hat immer einen Stuhl mit in die Stube gebracht, den hat es in die Mitte gestellet und daneben hat es gestanden, und dann hat es jedem zugewinket, daß er sich auf den Stuhl setzen sollte. Das that nun keiner und wenn nach einer Stunde um zwölf sich niemand darauf gesetzet hatte, nahm es seinen Stuhl auf und ging mit ihm wieder zur Thüre hinaus, dann sah es aber nicht mehr so freundlich aus, sondern war betrübet, [155] daß niemand sich auf seinen Stuhl setzen wollte. Das Freundliche erschien in der Regel alle sechs Wochen; ihm schien am wohlsten zu sein, wenn eine recht lustige Gesellschaft mit Tanz und Zitherspiel sich vergnügete, was mitunter geschah, wenn recht viel Leute aus den nahe liegenden Ortschaften in der Nacht mahlen ließen. Gar oft ist das Freundliche so mit seinem Stuhl in eine solche heitere Gesellschaft auf der neuen Mühle getreten.

II.

Die Familie Weibgen hatte beinahe hundert Jahre die neue Mühle in Pacht. Sie zahlte jeden Tag einen Thaler, kam aber endlich durch Viehsterben und anderes Unglück ganz herunter. Die Kühe wurden nach und nach behext, sahen munter aus den Augen, fraßen bis den letzten Augenblick, waren aber so dürre, daß nichts mehr an ihnen war als Haut und Knochen. Manche schwollen auch ganz auf und hatten faul Wasser. Einstmals blickte die Müllerin in der Nacht aus ihrem Kammerfenster, da sah sie eine Waschfrau vom Klausthal, die ging mit zwei Himten Mehl auf dem Rücken erst vor den Stall, ehe sie fortging, und machte mit dem Fuße lauter Kreuze vor den Süll (Schwelle). Die Müllerin schimpfte sie aus dem Fenster, da ging sie ganz still davon. Nun wurde freilich die Stelle abgewaschen mit vielem Wasser; aber die Frau muß es doch schon gewußt haben an die Kühe zu bringen, denn bald darauf wurde wieder eine krank. Einstmals mußte der Abdecker auch wieder nach einer kranken Kuh kommen und sollte sie abziehen. Da sagte er, sie wollten nun die kranke Kuh einmal lebendig auf einen grünen Platz bringen und sie dort totstechen. Dann müßte in der Herzkammer eine Blase sein wie eine Walnuß groß, darinnen wären lauter kleine Eidechsen. Die Blase aber müßte uneröffnet verbrannt werden. Würde sie geöffnet, so hüpften die kleinen Eidechsen davon und gleich zu der Hexe hin, dann ginge es mit dem Verhexen wieder von vorn an. Die Blase fand sich, die Müllerin aber war neugierig, die kleinen Eidechsen zu sehen, und meinete, sie würden ja wohl zu halten sein. Nun gut, die Blase wird aufgeschnitten, da ist ein dicker Klumpen voll Eidechsen darinnen, der wurde immer weniger und bald waren alle Eidechsen wieder bei der Hexe. Da ging[156] das Behexen mit den Kühen erst recht los. Hätten sie die Eidechsen verbrannt, so wären damit auch der Frau, die das Vieh behext hatte, die Finger verbrannt und man hätte sehen können, wer es gewesen wäre. Nun wurde wieder eine Kuh in der Mühle krank, da waren die Eltern klüger, erzählte eine alte Weibgenstochter. Der Schinder sagte, sie wollten das Ding nun einmal anders anfangen. Er hieß den Eltern, von der kranken Kuh die Milch zu nehmen, davon immer ein paar Tropfen in die Hespen der Stallthür zu schütten und die Thür immer auf- und zuzumachen, aber nicht ganz zu, sondern nur bis vor die Krampen. Nun war dazumal ein Vetter aus Ostindien auf der neuen Mühle, der hatte sich bei den Ostindiern den Magen verdorben, konnte nichts weiter vertragen als weichgeklopftes Fleisch, und Wein, aber kein Brot und keine Suppe, und sagte, er wollte nun auf der neuen Mühle sein letztes Stündlein abwarten. Der konnte nicht mehr ordentlich Deutsch und sprach: »Ich will sich die Thür geknirken, ich haben da Zeit dazu.« Da nimmt der das Knirken über sich und wie er eine Zeit lang geknirket hat, kömmt eine Frau an die Thüre des Wohnhauses und bettelt: sie wäre so kalt, sie wollte sich wärmen. Aber die Müllerin ließ sie nicht herein. Wäre sie drin gewesen, so hätte sie können wieder einen Schabernack thun, denn das ist dieselbe Frau gewesen, die die Kühe behext hatte. Mein Ostindier knirkt immer zu. Als die Milch all ist, giebt die Thür so einen Schrei von sich, da hat die Frau auch so übel gethan, als säße ihr das Messer an der Kehle. Darauf ist die Frau noch einmal so ums Haus herumgeschwärmet und dann verschwunden. Diese Frau hat sich nachher ausgelassen, sie wäre von der Treppe herunter in eine Säge gefallen und hätte sich die Hände zerrissen, das würde lange dauern, ehe die Hand wieder heile. Das ist aber bloß von dem Knirken und der Milch gekommen. Auch in den Pferdestall kam Krankheit, daran mag wohl auch Hexerei mit Schuld gewesen sein. Nur kann mans bei den Pferden nicht so wahrnehmen, weil die Pferdekrankheiten einen viel raschern Verlauf haben als bei den Kühen. Auch unter die Hühner kam die Sterbige. Die Müllerin sagte: »Was heißt doch dies wohl mit unsern Hühnern? Heute Abend noch gesund [157] und morgen tot; und ganz breitgedrückt liegen sie im Stalle.« Da kamen Leute, die meineten, sie sollte mit arabischem Weihrauche räuchern, das wäre gegen Schabernack und Spukerei. Das that die Müllerin und das half. Sie kaufte sich nun einen ganzen Vorrat von Weihrauch und räucherte von nun an alle vier Wochen im Hühnerstalle. Wenn sie's aber nur einmal umeinen Tag länger aufschob, kam gleich wieder die Sterbige unter die Hühner. Auch die Sonne that dazumal viel Schaden, denn es war eine große Trocknis, daß die Fische halb aus der Innerste hervorguckten und die Sonne zündete an mehrern Orten Feuer an. Da sah es mit dem Mühlwasser schlimm aus, daß Gott erbarm! Durch solche Dinge sind die Weibgens Erben heruntergekommen. Haben sich aber immer rechtschaffen gehalten und gehörten um 1850 mit zu den besten Zitherspielern auf dem ganzen Harze.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Pröhle, Heinrich. 162. Die neue Mühle an der Innerste. (I-II.). Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8767-D