[1] I. Satirische Abhandlungen und Erzählungen.

Von dem Mißbrauch der Satire.

(Vorbericht zur ersten Ausgabe von 1751.)


Einige Ursachen haben mich veranlaßt, diejenigen satirischen Schriften in zwei Teile zusammenzufassen, welche ich seit einigen Jahren in verschiedenen periodischen Blättern einzeln drucken lassen. Die Gefälligkeit meiner Freunde gab mir Gelegenheit, mich dieses Mittels zu bedienen, um das Urteil der Welt zu erfahren und die vernünftigen Kritiken der Kenner mir zu nutze zu machen.

Beides ist mit gutem Erfolg geschehen. Ich bin so glücklich gewesen, daß die meisten meiner Schriften öffentlichen Beifall gefunden haben, und die verbindliche Nachsicht, welche man gegen meine Arbeiten gezeigt, hat mich aufgemuntert, gegen mich selbst desto weniger Nachsicht zu brauchen, und nicht allein diejenigen Fehler auszubessern, welche man auf eine sehr bescheidene Art und mit gutem Grunde dabei ausgesetzt, sondern auch denen so viel wie möglich abzuhelfen, welche bei einer strengen Beurteilung verdient hätten, angemerkt zu werden.

– – Vielleicht giebt es Leser, welche eine Rechtfertigung von mir erwarten, wie ich es habe wagen können, Satiren zu schreiben. Ich bin nicht willens, eine Schutzschrift für mich aufzusetzen. Vernünftigen Lesern würde ich nichts Neues sagen, für unvernünftige aber schreibe ich nicht.

Ich weiß wohl, wie zweideutig die Begriffe sind, welche sich viele von der Satire machen. Sie sind gar zu sehr gewohnt, das Pasquill mit der Satire zu verwechseln. Sie haben zwar gelernt, daß in Pasquill eine Schmähschrift sei, [1] wo man, ohne sich zu nennen, den ehrlichen Namen des andern zu verunglimpfen und ihm Laster oder Verbrechen anzudichten sucht. Sie wissen auch so viel, daß die Satire nur die Laster der Menschen und das Lächerliche einer thörichten Aufführung durch Spotten kennbar zu machen sucht, um anderen einen Ekel davor beizubringen und womöglich die Lasterhaften selbst tugendhaft zu machen. Beides wissen sie wohl, und dennoch seufzen sie über einen Satirenschreiber so sehr als über einen Pasquillanten.

Ich glaube, die Ursachen dieser ungereimten Urteile liegen sowohl an den Schriftstellern als an den Lesern. Ich will mich bemühen, einige Ursachen auseinanderzusetzen, warum viele Leser auf eine so unbillige Art von der Satire urteilen.

Die vorgefaßte Meinung ist wohl eine der wichtigsten ... Wir würden selbst nachdenken müssen, wenn wir den Unterschied zwischen Satire und Pasquill finden wollten; oft aber können wir nicht selbst denken, und noch öfter sind wir zu bequem dazu. Ohne uns also weiter zu bekümmern, sagen wir in kindlichem Gehorsam nach, was unsere Mutter und Großmutter vor uns gesagt haben, und diese waren doch auch christliche Weiber! Dergleichen Leser sind in der That mehr zu bedauern als zu bestrafen. Sie können bei ihrer gemächlichen Unempfindlichkeit immer ganz fromme Leute sein, denn viele Leute sind auch aus Dummheit fromm, und ihre guten Absichten ersetzen das, was ihnen am Verstande fehlt.

Diejenigen sind weit weniger zu entschuldigen, welche auf die Bemühungen, die Laster lächerlich und verhaßt zu machen, unerbittlich eifern, und doch unermüdet sind, von ihrem unschuldigen Nachbar alles Böse zu reden, was ihnen der Neid oder andre Leidenschaften eingeben. Vielleicht halten diese es für einen Eingriff in ihr Amt: denn dazu haben sie zuviel Eigenliebe, daß sie ihre Verleumdungen für Bosheit und die Absichten eines Satirenschreibers für Menschenliebe halten sollten. Gemeiniglich rührt ihre Wut aus der Quelle so vieler Laster, aus der Heuchelei her. Sie fühlen es, daß ihre Aufführung schändlich ist; sie haben sich zu lieb, als daß sie solche ändern sollten; sie glauben, genug gethan zu haben, wenn sie ihr einen guten Anstrich geben. Sie eifern auf die Satiren, um auf die Verleumdung eifern zu können, nur unter dieser ehrbaren Maske verfahren sie lieblos mit ihrem Nächsten, ohne den Vorwurf zu befürchten, daß sie gefährliche Verleumder sind. Denn wie wollte der ein Verleumder sein, welcher eben um deswillen die Satiren verflucht? Es kann [2] sein, daß ich diesen niedrigen Geschöpfen zu viel thue. Vielleicht ist die Heuchelei nur in ihren jüngeren Jahren die Ursache dieser Ausschweifungen; bei zunehmendem Alter erlangen sie durch die unermüdete Übung, Böses zu reden, eine solche Fertigkeit darin, daß sie es wirklich mit Überzeugung reden, – daß sie glauben, Buße zu predigen, wenn sie lästern, und daß ihnen die Satire im Ernste verdächtig wird, weil sie allein den Beruf haben, Heiden zu bekehren.

Bei vielen ist die Begierde, auf die Satire zu schmähen, nichts anderes als die Sprache einesbösen Gewissens. Davon sind sie überzeugt, daß die rühmliche Absicht der Satire nur diese ist, die Laster zu verfolgen. Weil sie aber so gar unempfindlich noch nicht sind, daß sie ihre eigenen Laster nicht wahrnehmen sollten, so wird ihnen diese Absicht schrecklich. Jeden Streich, der auf die Laster geschieht, fühlen sie auf ihrem Rücken. Können diese wohl etwas Besseres thun, als daß sie diese Satire überhaupt verdächtig machen? Wie viel haben sie zu ihrer eigenen Sicherheit gewonnen, wenn sie diese große Absicht erreichen! Nun mag die Satire wider die Laster eifern: sie ist verdächtig – man fängt an, Mitleid mit den Lastern zu haben, weil man gehört hat, daß die Absichten der Satire boshaft sind und man den armen Nebenchristen um seinen guten Namen bringen will. Hinter dieses Vorurteil verbergen sie sich und genießen ihr Laster ruhig. Sucht man sie in ihrem Hinterhalte auf, entblößt man ihre Fehler, so schreien sie über Gewalt, und man bedauert sie, statt daß man über sie lachen sollte. Sie sind wie die mutwilligen Knaben, welche die Rute verbrennen, um ungestraft mutwillig sein zu können. –

Verschiedene von ihnen sind noch etwas feiner. Sie finden das Lächerliche von ihren Fehlern in einer Satire abgeschildert – sie schweigen hämisch dazu und beseufzen nur das Unrecht, welches andere neben ihnen zugleich leiden müssen; sie verteidigen ihre Mitbürger, um unparteiisch zu scheinen und von diesen wieder verteidigt zu werden. Können sie gar ihre ungerechte Sache zur Sache des Herrn machen, so haben sie doppelt gewonnen, und für einen lasterhaften Heuchler ist nichts zu ehrwürdig. Ein Mann, welcher die heiligen Lehren seines Amts durch ein unheiliges Leben entkräftet, findet sein Bild: er erschrickt und schweigt, er sucht mit boshafter Mühe eine Stelle, nur einen Ausdruck, welcher durch eine unbillige Auslegung den Verfasser zum Religionsspötter machen kann ... Nun ruft er mit freudiger Rache das Wehe aus und verdammt [3] den Verfasser. Sein Pöbel, welchen der Schein blendet, hebt Steine auf und verfolgt im Namen des Herrn denjenigen, welcher nur aus wahrer Hochachtung für die Religion ihren lasterhaften Diener entlarven wollte. In der That sind diese die gefährlichsten Feinde der Satire; aber eben um deswillen verdienen sie kein Mitleid, und die Religion selbst fordert es, daß wir sie, wenn gar keine Besserung zu hoffen ist, ohne Barmherzigkeit vertilgen.

Es giebt noch andere Feinde der Satire. Diese sind die traurigen Leser. Sie sind wirklich nicht untugendhaft, sie hassen die Laster von Herzen, sie würden es zufrieden sein, wenn man alle Lasterhafte dem Teufel mit Leib und Seel' übergäbe; aber spotten soll man nur nicht über das Laster. Ich weiß nicht, wie diesen engbrüstigen Leuten zu helfen ist, vielleicht weiß es mein Barbier. Die Eigenliebe der Menschen wird durch nichts so empfindlich gerührt, als wenn man sie lächerlich macht. Sie bleiben gleichgültig, wenn ich ihnen sage, daß ihre Laster abscheulich sind; wenn es hoch kommt, so werden sie verdrießlich. Aber alsdann schämen sie sich, wenn ich ihnen ihre Schoßsünden, ihre Fehler, mit denen sie sich brüsten, von der lächerlichen Seite zeige. Wir können unsern Kindern die äußerlichen Fehler des Übelstandes nicht leichter abgewöhnen, als wenn wir solche vor ihren Augen nachahmen; sie sehen alsdann, wie häßlich sie lassen und schämen sich. Wollen wir erwachsenen Personen weniger Einsicht zutrauen? Wenn ich die Absicht habe, zu bessern, so thue ich am vernünftigsten, ich wähle diejenigen Mittel, welche die Erfahrung bewährt hat. Es wird gut sein, wenn ich mit diesen traurigen Feinden der Satire gemeine Sache mache: sie sollen mit den Lastern zanken, ich will über die Laster spotten. Vielleicht sind wir glücklicher, wenn wir mit vereinten Kräften unsre Mitbürger tugendhaft zu machen suchen: sie mit »Feuer und Schwert,« ich aber mit Scherz.

Wenn ich sage, daß viele um deswillen Feinde der Satire sind, weil sie nicht wissen, was die Ironie sei, und worin deren Stärke und Schönheit bestehe, so sage ich wirklich etwas, welches dem guten Geschmack meiner Landsleute eben nicht zur Ehre gereicht. Inzwischen ist es doch wahr, und alles was ich thun kann, ist dieses, daß ich mich in ihrem Namen schäme .... Was soll man mit diesen Leuten anfangen? Man schicke sie wieder in die Schule! Da mögen sie den Vossius lernen und sich erklären lassen, was die Figur der Ironie heiße.

Nichts ist gemeiner als die Frage: Wer hat dir aber den [4] Beruf gegeben, Satiren zu schreiben? Das ist leicht zu beantworten ..... Das Laster zu schrecken, die lächerlichen Fehler den Menschen verächtlich vorzustellen, vernünftige Bürger zu schaffen, alle Welt mit mir glücklich zu machen: sind auch diese Ursachen nicht wichtig genug? ... Ich werde mich weiter verantworten, wenn man eben diese Frage an alle diejenigen thut, welche Bücher schreiben. –

..... Ich habe aber oben gesagt, daß die Verfasser ebensowohl als die Leser an den üblen Begriffen Ursache sind, welche sich viele von der Satire machen, und ich getraue mir zu behaupten, daß sie die allermeiste Schuld daran haben.

Wer den Namen eines Satirenschreibers verdienen will, dessen Herz muß redlich sein. Er muß die Tugend, die er andern lehrt, für den einzigen Grund des wahren Glückshalten. Das Ehrwürdige der Religion muß seine ganze Seele erfüllen. Nach der Religion muß ihm der Thron der Fürsten und das Ansehen der Oberen das heiligste sein .... Er liebt seinen Mitbürger aufrichtig. Ist dieser lasterhaft, so liebt er den Mitbürger doch und verabscheut den Lasterhaften. Die Laster wird er tadeln, ohne der öffentlichen Beschimpfung die Person desjenigen auszustellen, welche lasterhaft ist und noch tugendhaft werden kann. Er muß eine edle Freude empfinden, wenn er sieht, daß sein Spott dem Vaterlande einen guten Bürger erhält und einen andern zwingt, daß er aufhöre, lächerlich und lasterhaft zu sein .... Er muß liebreich sein, wenn er bitter ist. Er muß mit einer ernsthaften Vorsicht dasjenige wohl überlegen, was er in einen scherzhaften Vortrag einkleiden will. Mit einem Wort, er muß ein rechtschaffener Mann sein.

Wären alle Satirenschreiber dieses, so glaube ich gewiß, die meisten ihrer Feinde würden ihre öffentlichen Freunde werden, und diejenigen, welche nicht dazu gemacht sind, vernünftig zu denken, würden sich wenigstens vor der Welt schämen, länger ihre Feinde zu heißen. Es ist wahr, wir würden, wenn diese strengen Regeln beobachtet werden sollten, ein paar hundert Satirenschreiber weniger haben. Aber das ist auch in der That alles, was man dem Vaterlande nur wünschen kann. So lange dieser Wunsch unerhört bleibt, so lange haben die Verfasser die meiste Schuld, daß die Satiren so vielen Lesern verdächtig sind.

Kein Pasquillant ist zu lasterhaft, er flüchtet sich hinter die Satire ... Seine Bosheit ist gefährlicher als die Tücke [5] des Straßenräubers .... Er ist unwürdig, daß wir seiner weiter gedenken.

Wir sind sehr geneigt, die Fehler an unsern Feinden lächerlich zu machen und schmeicheln uns, daß wir eine Satire schreiben, wenn wir dieses thun. Ich zweifle daran. Schreiben wir aus redlichem Herzen? Schreiben wir, unsern Feind zu bessern? Hat er die Fehler auch wirklich an sich, die wir Lächerlich machen? Drei schwere Fragen! Wie leicht betrügen wir uns selbst, wenn wir dasjenige für einen Trieb der Menschenliebe halten, welches wohl nichts als eine aufwallende Hitze der Rachbegierde ist ... Schwachheiten machen wir zu Verbrechen, und was wir bei uns Versehen heißen, das stellt uns der Haß an unseren Feinden als die abscheulichsten Laster vor. Wie können wir verlangen, daß dasjenige eine Satire sein soll, was wir, wenn es wider uns gerichtet wäre, eine rachsüchtige Verleumdung nennen würden! Ich glaube auch, daß es sehr unvorsichtig ist, wider seinen Feind Satiren zu schreiben... Er darf nur sagen, daß wir von ihm beleidigt sind und daß wir als Feinde schreiben, so hat er seine Fehler verteidigt und kann ganz ruhig lasterhaft bleiben ... Wir werden der Welt verdächtig, anstatt daß wir die Fehler unseres Feindes lächerlich machen wollen.

Wenn wir bei manchen die Ursachen untersuchen wollten, warum sie mit so vieler Bitterkeit wider die Fehler der Menschen eifern, so würden wir finden, daß es aus Mißgunst und aus ihrem schwarzen Geblüt herkomme .... Unter hundert Satiren wider die Pracht und Verschwendung der Reichen kommen gewiß fünfzig aus der Feder solcher Verfasser, welche innerlich mit dem Himmel murren, daß sie durch ihre Armut gehindert werden, auf eine so prächtige und verschwenderische Art wie jene, lasterhaft zu sein. Sie sind Bettelmönche, welche Mäßigkeit predigen. In ihren Augen ist ein Reicher ohne Unterschied ein ungerechter Mann .... Sind dergleichen Scribenten nicht selbst daran schuld, daß der Verschwender und die Wucherer die Satire verdächtig machen?

Es ist ein Unglück für die Satire, wenn sie denen in die Hände gerät, welche witzig genug sind, Lachen zu erregen, aber nur aus Mutwillen spotten. In der That sind sie weder boshaft noch neidisch, aber sie sind mutwillig; sie wollen nicht gern allein lachen, die Welt soll mitlachen ... Sie sind froh, daß es Fehler giebt, sonst könnten sie nicht witzig sein ... Sie warten nicht, bis ihr reisender Verstand durch die Erfahrung die gründliche Einsicht erhält, welche nötig ist, das Herz eines [6] Lasterhaften zu durchforschen, um nur diejenigen Fehler zu züchtigen, welche eine Züchtigung verdienen. Nein, sobald sie vernehmlich reden und leserlich schreiben können, sobald reden und schreiben sie Böses. Sie spotten, ehe sie denken lernen, und weil noch immer viel Gutes unter dem Mutwillen eines so lebhaften Jünglings verborgen liegt, welches sich gemeiniglich mit den Jahren durcharbeitet, so wird man finden, daß sie aufhören zu spotten, sobald sie anfangen zu denken ...... –

Die Schreibart, deren man sich bei der Satire bedient, will mit einer außerordentlichen Vorsicht gewählt sein, wenn sie nicht anstößig werden und den Leser wider die Satire aufbringen soll. Viele glauben, recht herzhaft zu lehren, wenn sie recht anzüglich schreiben. Sie murren die Fehler der Menschen an, anstatt daß sie mit ihnen lachen sollten; aus Liebe zur Wahrheit schimpfen sie und thun sehr unrecht. Kommt ihre Herzhaftigkeit nicht aus einem bösen, so kommt sie wenigstens aus einem groben Herzen her: das ist alles, was man zu ihrer Entschuldigung sagen kann ... und dennoch sind sie allemal weit erträglicher als der ungezogene Witz derer, welche nicht satirisch sein können, ohne unflätig zu sein. Ich kenne Männer, welche sich einbilden, sehr fein zu denken, welche im stande sind, einen ganzen Abend lang eine Gesellschaft beiderlei Geschlechts mit den gröbsten Zweideutigkeiten zu unterhalten, ohne ein einzigesmal rot zu werden. Sie sind gemeiniglich die ersten, die über ihre satirischen Einfälle lachen, und sie zwingen dadurch wenigstens ihren Wirt, aus Gefälligkeit mitzulachen. Vernünftige aber werden einen so niederträchtigen Witz verabscheuen. Verhängt es nun der Himmel in seinem Zorne, daß ein dergleichen ungesitteter Mensch gar schreibt und seine Satiren, wie er es nennt, drucken läßt: was für einen Begriff müssen die Leser von einer Satire bekommen? ....

Viele gehen in ihrem Eifer, das Lächerliche der Menschen zu zeigen, gar zu weit und verschonen keinen Stand. Es giebt in allen Ständen Thoren, aber dieKlugheit erfordert, daß man nicht alle tadle, ich werde sonst durch meine Übereilung mehr schaden, als ich durch meine billigsten Absichten nützen kann. Der Verwegenheit derer will ich gar nicht gedenken, welche mit ihrem Frevel bis an den Thron des Fürsten dringen und die Aufführung der Oberen verhaßt oder lächerlich machen wollen ... Sie haben selbst noch nicht gelernt, gute Unterthanen zu sein; wie können wir von ihnen erwarten, daß sie uns die Pflichten eines vernünftigen Bürgers [7] lehren sollen! – Es giebt andre Stände, welche zwar so heilig nicht sind, daß es ein Verbrechen wäre, das Lächerliche an ihren Fehlern zu entdecken, bei denen aber doch dieBilligkeit erfordert, daß man es mit vieler Mäßigung thue. Ich rechne darunter die Lehrer der Schulen. Die Jugend ist ohnedem geneigt genug, das Fehlerhafte an denjenigen zu entdecken, deren Ernsthaftigkeit ihren Mutwillen im Zaume halten soll. Wollen wir sie durch bittere Satiren auf ihre Lehrer noch mutwilliger machen? Gesetzt, ein solcher Lehrer hat seine Fehler ... viel leicht ist er eigennützig, pedantisch, vielleicht ein elender Scribent. Es kann sein. Werfe ich ihm diese Fehler vor, stelle ich ihn dem Gelächter seiner Schüler bloß, gesetzt auch, daß ich es aus redlichem Herzen thäte, um ihn zu bessern, so werde ich allemal mehr schaden als nützen ... seine Schüler werden glauben, ein Recht bekommen zu haben, demjenigen nicht zu gehorchen, welchen die Welt für lächerlich hält ... Ein Schüler, bei dem dieses Vorurteil die Oberhand gewinnt, wird selten als ein redlicher Mann sterben ... In der That erschrecke ich allemal, wenn ich sehe, daß ein Schulmann unter die Geißel der Satire fällt. Ihn bedaure ich selten, aber die Folgen davon sind mir zu ernsthaft. Und thun dergleichen Lehrer wohl unrecht, wenn sie der Jugend fürchterliche Begriffe von der Satire beizubringen suchen?

Die Geistlichen haben gemeiniglich das Unglück, daß der Witz satirischer Köpfe auf sie am meisten anprallt. Ich bin sehr unzufrieden damit ... Sie sind nicht über die Satire erhaben, das räume ich ihnen nicht ein; viele sind tief unter derselben, wenn man sie nach ihrer unanständigen Aufführung beurteilen soll, und viele würden gar zu sorglos sein, wenn ihre ehrwürdige Kleidung sie vor allen Streichen der Satire schützte. Dennoch glaube ich, daß man nicht vorsichtig genug dabei verfahren könne ... Die Religion läuft Gefahr, verächtlich zu werden, wenn man die Fehler desjenigen verächtlich macht, welcher gesetzt ist, die Religion zu predigen. Das Volk ist nicht allemal einsehend genug, einen Unterschied zwischen der Person desjenigen, der sie lehrt, und zwischen seinen Lehren selbst zu machen. Wage ich nicht zu viel, wenn ich einen bessern will und dadurch in Gefahr komme, das Ansehen der ganzen Religion zu schwächen, welche man dem Volke nicht ehrwürdig genug vorstellen kann? Ist ein Geistlicher, wirklich lasterhaft, so überlasse man ihn der Obrigkeit .... Hat er lächerliche Fehler, so muß unsere Satire so [8] allgemein sein, daß nur die Fehler lächerlich werden, seine Person aber, so viel als möglich ist, verdeckt und unerkannt bleibt .... Ist er ein Ignorant und doch exemplarisch, so verehre man ihn wegen seines guten Wandels und verzeihe ihm seine Unwissenheit. Durch Donatschnitzer kommt die Kirche nicht in Gefahr ....

– Wie kann sich derjenige rühmen, daß seine Absicht sei, die Tugend allgemeiner zu machen, welcher gegen die Religion leichtsinnig ist! Ein solcher Mensch wird lasterhaft, um nicht lächerlich zu sein. Von denen will ich nicht reden, welche unter dem gemißbrauchten Namen der Satire sich Mühe geben, den ganzen Bau unseres Glaubens zu erschüttern .... Ich will nur eines Mißbrauchs gedenken, welcher, wenn ich freundschaftlich urteilen soll, mehr Leichtsinn als Bosheit verrät. Es giebt gewisse Gebräuche in der Kirche, welche gleichgültig sind und zur Religion selbst nicht gehören; sie machen den geistlichen Wohlstand aus. Man hüte sich ja, diese lächerlich zu machen! Ist das Volk abergläubisch, so wird es unsre Schriften verabscheuen; ist es so leichtsinnig wie wir, so wird es bei diesen gleichgültigen Gebräuchen nicht still stehen, sondern wesentliche Stücke der Religion auch für gleichgültig halten und endlich über die ganze Religion spotten lernen.

Es gab in Deutschland eine Zeit, wo die Satire nicht anders als auf Kosten der Bibel witzig sein konnte ... Ich freue mich, daß wir uns von diesem verderbten Geschmack, das ist der gelindeste Name, den man dieser Thorheit geben kann, wieder erholt haben. Worin bestand der Witz? Nicht in dem Gedanken, den man vorbrachte, sondern in der Art, wie er vorgebracht ward. Das kam den Zuhörern lustig vor ... sie fanden dieses Mittel sehr bequem, spaßhaft zu sein, ohne daß es nötig gewesen wäre, Verstand zu haben ... in kurzer Zeit ward dieser Mißbrauch so allgemein, daß niemand witzig war als so ein bibelfester Lustigmacher. Man hätte sich wenigstens darum solcher Scherze schämen sollen, weil wir dadurch einen Eingriff in die Rechte des niedrigsten Pöbels thaten. Man gebe nur einmal acht: sobald ein Stallknecht sich fühlt, daß er seiner denkt als die Viehmagd, so wird er sie mit einem Spaß aus der Bibel oder einem geistlichen Liede überraschen! Das ganze Gesinde schreit vor Lachen, alle bewundern ihn bis auf den Ochsenjungen, und die arme Viehmagd, welche so witzig nicht ist, steht beschämt da. Dersatirische Stallknecht: man lasse ihm seinen angeerbten Witz! ....

[9] Darauf bin ich stolz, daß in meinen satirischen Schriften alles mit möglichster Sorgfalt vermieden ist, was einigen Leichtsinn gegen die Religion verraten oder als ein Mißbrauch der Schrift oder Gesänge angesehen werden könnte. Ich habe dieses jederzeit für meine erste Pflicht gehalten, und man wird Stellen finden, wo ich eine wahre Hochachtung gegen die Religion und ihre Diener ernsthaft genug geäußert habe. Desto empfindlicher hat es mir sein müssen, da ich erfahren, daß man einer von meinen Schriften diesen Vorzug sogar gerichtlich streiten machen wollen. [Rabener spricht nun hier zunächst seine ernstliche Ansicht über den Eidschwur aus und wiederholt dann aus den »Br. Beitr.« eine ironische Abhandlung über dieses Thema, indem er hinzufügt: Ich war so glücklich, daß dieser Aufsatz bei vernünftigen Lesern Beifall fand.]

Ich weiß aber nicht durch welchen unglücklichen Zufall diese Monatsschrift den Bauern eines Dorfes im Voigtlande in die Hände gespielt wird ... Der Geistliche des Ortes hört etwas davon, und weil er nichts als einzelne Stellen hört, so ist es ihm zu gute zu halten, daß er solche außer ihrem Zusammenhang für verdächtig hält. Auch das will ich bei ihm noch entschuldigen, daß er auf der Kanzel sowohl, als bei dem Kindtaufessen, ängstlich wider diese Schrift eifert – wider diese gefährliche böse Schrift, die er noch nicht gesehen hat. Kurz, er macht Lärmen, und der Gerichtsverwalter tritt ins Gewehr ... man will das böse Buch heraushaben, es kommt endlich und man behält's im Arrest ... Anfänglich glaubte ich auch, die Bauern hätten einen oder den anderen Ausdruck unvorsichtig gemißbraucht. Wäre dieses gewesen, so würden sie diejenige Strafe verdient haben, welche ein solcher leichtsinniger Mißbrauch nach sich zieht; aber nein! davon findet sich in den Akten nicht die mindeste Spur ... Man treibt die Untersuchung weiter, man will alle wissen, die in diesem Buche gelesen haben ... Man nennt meine Schrift: Verwegenste Sätze von Geringschätzung der Eidschwüre, gottlose, gewissenlose Lehren, ein ärgerliches Wesen, öffentliches Ärgernis, Verführung unschuldiger Herzen, skeptische Sätze u.s.w. Und wo kommt denn Ihnen alle diese Weisheit her, mein Herr, daß Sie in meinem Buche so viel Giftiges finden, welches vor Ihnen niemand gefunden hat und nach Ihnen niemand finden wird? Kann denn ich was dafür, daß Ihre Bauern ein Buch gelesen haben, das weder für Ihre Bauern noch für Sie geschrieben ist? ... Da ich Gelegenheit gehabt habe, mich zu verantworten, so bin ich geneigt, ihm ein Vergehen zu verzeihen, dessen er sich, wie ich [10] aus christlicher Liebe hoffe, mit der Zeit schämen wird. Ich wünsche ihm mehr Gutes, als er von mir Böses gesagt hat ...

Ehe ich schließe, muß ich noch eines Fehlers gedenken, welcher sich bei der Satire sehr oft äußert, und an dem die Verfasser sowohl, als die Leser schuld sind. Manche sind nicht imstande, Satiren und lebhaft zu schreiben, wenn sie nicht einen aus dem Volke herausheben, und seine Laster oder lächerlichen Gewohnheiten der Welt zur Schau stellen. Sie verfolgen und zerarbeiten ihn so lange, bis er der ganzen Welt verhaßt oder lächerlich ist ... Derjenige, welchen wir auf diese Art dem Hasse oder dem Gelächter preisgeben, ist nunmehr ganz außer dem Stande, sich zu bessern, wie ein Missethäter, den man an der Stirne gebrandmarkt hat. Die öffentliche Schande muß ihn zur Verzweiflung bringen, und er wird öffentlich lasterhaft, da er es vorher vielleicht nur heimlich war. Ich glaube aber auch, daß wir selbst bei der persönlichen Satire, dieses ist ihr eigentlicher Name, Gefahr laufen, parteiisch zu werden. Aus allgemeiner Menschenliebe fangen nur an, seine Fehler zu tadeln, und aus Eigenliebe fahren wir fort, ihn ohne Barmherzigkeit niederzureißen, sobald er Mut genug hat, sich zur Wehre zu stellen. Ich will diesen Satz mit nichts beweisen als mit unseren gelehrten Streitigkeiten. Ich glaube dieser Beweis geht über alle. Außer der Gefahr, in welche sich auf diese Art ein Satirenschreiber begiebt, sich aus seinen Schranken zu verirren, wird er selbst sehr viel dabei verlieren. Ich habe das Herz nicht, einen Verfasser zu fragen, ob er nicht für die Nachwelt schreibe – wenigstens würde ich sehr betreten sein, wenn man mich auf mein Gewissen darüber fragen wollte ... Können wir wohl hoffen, daß wir durch die persönliche Satire diesen großen Zweck erlangen? Ich glaube es nicht. Unsre Satire wird nur denen gefallen, welche den lächerlichen Menschen kennen, den wir züchtigen. Wollen wir diesen Thoren mit verewigen? Wird die Nachwelt, die von ihm nichts mehr weiß, als wir von ihm gesagt haben, mit eben dem Vergnügen unsre Schrift lesen, wie es allenfalls die jetzt Lebenden thun? ... Boileau, dessen Witz vielleicht bitterer als aufrichtig war, hat einen großen Teil der Unsterblichkeit seinen Scholiasten zu danken. Viele Schriften von Swift kommen uns abgeschmackt vor, weil wir in Deutschland die Originale nicht kennen und die Gelegenheit nicht mehr wissen, welche seine persönlichen Satiren [11] veranlaßt haben. Thun wir uns also durch dergleichen »persönliche Satiren« nicht selbst Schaden?

Wie unendlich sind die Vorzüge, welche die allgemeine Satire vor der persönlichen hat! Dadurch, daß ich Laster oder Fehler, welche vielen zugleich gemein sind, zum Gegenstand meiner Satire wähle, vermeide ich bei billigen Lesern den Vorwurf, daß ich aus Privatleidenschaften, aus persönlichem Hasse, aus Begierde mich zu rächen, schreibe. Gewinnt ein Autor so viel, so hat er schon halb gewonnen. Er kann gewiß hoffen, daß seine Satiren bessern werden, und da er den Beifall der vernünftigen Welt auf seiner Seite hat, so muß der Lasterhafte sich schämen, ihn anzufeinden ... Er hat noch Zeit, tugendhaft zu werden, und die Welt soll es nicht erfahren, daß er lasterhaft gewesen ist ... Kann meine Eigenliebe mehr verlangen als die schmeichelhafte Vorstellung, daß, wenn ich die satirische Geißel wider die Ungereimtheiten meines Nachbars aufhebe, sich alle Thoren eines ganzen Landes bücken? Wird aber dieses geschehen, wenn ich ihnen sage, daß ich meinen Nachbar meine? Eine allgemeine Satire bleibt der Nachwelt immer neu...

Ich habe mich vor persönlichen Satiren in meinen Schriften mit allem Fleiß gehütet. Die Charaktere meiner Thoren sind allgemein; nicht ein einziger ist darunter, auf welchen nicht zehn Narren zugleich billig Anspruch machen können. Zeichne ich das Bild eines Hochmütigen, so nehme ich die unverschämte Stirne von Bav, die stolzen Augenbraunen von Mäv, die vornehmdummen Blicke von Gargil, die aufgeblasenen Backen vom Krispin, die trotzige Unterkehle vom Kleanth, der aufgeblähte Bauch von Adrast, den gebieterischen Gang vom Neran; und aus diesen sieben schaffe ich einen hochmütigen Narren, der heißt Suffen. Können Bav und Mäv, können die übrigen sagen, daß ich sie gezeichnet habe? Suffen wird noch leben, wenn sie alle tot sind, und ein jeder von ihnen wird wohl thun, wenn er sich denjenigen Fehler abgewöhnt, welchen er in dieser Kopie lächerlich findet. Habe ich mir auch eine einzige Person zum Original genommen, so bin ich doch sorgfältig bemüht gewesen, so lange an ihm zu arbeiten, bis das Original ... zu einem neuen Original geworden ist.

Ich bin diese Vorsicht meiner Pflicht und der allgemeinen Menschenliebe schuldig gewesen. Desto weniger aber können es diejenigen neugierigen Leser verantworten, welche so vorwitzig sind und zu diesen allgemeinen Charakteren [12] dennoch gewisse Personen aussuchen, welche darunter gemeint sein sollen. Es ist dieses ein sehr gewöhnlicher Fehler der Menschen. Darf ich es wohl sagen, woher er rührt? ... Es ist eine gewisse Bosheit in uns, die uns in einer beständigen Beschäftigung erhält, die Fehler anderer auszuspähen ... Vielleicht glaubt unser Nachbar, die Satire geht auf uns, und wir lachen wohl zu gleicher Zeit beide übereinander. Verdient nicht unser boshafter Vorwitz die schärfste Satire? Durch unsre Auslegungen wird dasjenige eine Persönliche Beleidigung, was der Verfasser in der billigen Absicht geschrieben hat, keinen zu beleidigen, sondern alle zu bessern. Es ist wahr, für den Verfasser ist es sehr vorteilhaft, wenn man an zehn Orten zugleich den Thoren findet, den er auf seiner Stube geschildert hat ... Aber diese Schmeichelei muß ihm so schätzbar nicht sein, als der Ruhm, daß er nur die Fehler der Menschen verfolgt, die Menschen aber als ein vernünftiger Mitbürger liebt. Jener Beifall kitzelt nur seinen Witz; dieser aber macht, daß er ein Recht erhält, auf sein redliches Herz stolz zu sein. – – –

Eine Totenliste von Nikolaus Klim,

Küster an der Kreuzkirche zu Bergen in Norwegen.

(Erstmals veröffentlicht in Johann Joachim Schwabes »Belustigungen des Verstandes und Witzes,« Februar 1743.)

Ich habe unter dem Büchervorrat meines Vaters den Aufsatz gefunden, welchen ich jetzt meinen Lesern mitteile. Unser berühmter Klim hat ihn geschrieben; ich kenne seine Hand genau, und es wird wohl niemand zweifeln, daß es seine eigene Arbeit sei, wenn man nur dieses bedenken will, daß er ein Mann war, welcher auf seinen unterirdischen Reisen die Gemüter der Menschen vollkommen einsehen gelernt hatte. Als Küster besaß er noch eben die Fähigkeiten, durch welche er sich als Kaiser in Guama ansehnlich und beliebt gemacht hatte. Ich berufe mich auf seine unterirdische Reisebeschreibung, in welcher man die deutlichsten Spuren finden wird, daß er als ein Philosoph gedacht hat.

Gegenwärtiger Aufsatz ist ein Verzeichnis verschiedener Personen, welche zeit seines Küsteramts in Bergen gestorben sind. Er sagt von einer jeden seine Meinung, und die Liebe [13] läßt uns hoffen, er werde in seinen Charakteren unparteiisch gewesen sein. Es wäre zu wünschen, daß in allen Städten dergleichen Totenlisten gehalten und beim Schlusse des Jahres zum Drucke gegeben würden. Hierdurch erlangte man Gelegenheit, viele seiner Mitbürger nach ihrem Tode besser kennen zu lernen, als man sie in ihrem Leben gekannt hat. Manche werden auf den Kanzeln als Hochedle, Hochgelahrte, Hochweise, Ehrsame und Tugendbelobte abgekündigt, welche bei ihrer Unwissenheit, bei ihrer niederträchtigen und lächerlichen Aufführung keinen von diesen Titeln verdient haben. Es ist unbillig, daß wir denjenigen im Grabe loben, welcher sich auf der Welt um einen guten Namen nicht bekümmert hat. Durch eine Totenliste von der Art, wie gegenwärtige ist, würden wir die Ehre der Wahrheit retten; und ich zweifle nicht, daß unsre Bürger dadurch wenigstens ebenso sehr erbaut sein dürften, als durch die jährlich gedruckten Nachrichten, wie viel Kommunikanten gewesen oder uneheliche Kinder geboren worden. Ich will es dem Urteil der Leser überlassen, ob meine Hoffnung gegründet sei. Vielleicht bedauern sie mit mir, daß gegenwärtige Liste nicht vollständig, sondern durch die Unachtsamkeit der Klimschen Erben der Anfang und vermutlich ein groß Stück verloren gegangen ist.


B. Abelinson.


Bergen in Norwegen

am 10.–21. des Wintermonats 1742.


Gustav Trolle. Durch den Tod dieses Mannes verlor unsere Stadt mehr, als sie glaubte. Er war ein Dichter von einem ehrlichen Gemüt; er nahm jederzeit an dem Glück oder Unglück seiner Mitbürger vielen Anteil und wünschte allen Leuten Gutes. Seine Feinde nannten ihn spottweise nur den Gratulanten. Kein Namenstag oder Geburtstag ward begangen, an welchem er nicht gedruckte Merkmale seiner Ehrfurcht überreichte. Unaufhörlich ließ er die Häuser seiner Gönner und Freunde mit Freude und Wonne überschatten; und wenn der Himmel seine christlichen Wünsche erhört hätte, so würden alle Ratsmänner in Bergen, vom Bürgermeister an bis auf den Stadtschreiber wenigstens Nestors Jahre erreicht haben. Bei jedem Todesfalle tauchte er seinen Kiel in bittere Salze und herben Wermut ein. Er schien ganz untröstbar über den Tod des Kapellans, welcher drei Vornamen hatte und also dem Beruf unseres Dichters sehr einträglich war. Die Musen unterhielt er in beständiger Bewegung. Sobald er die Feder eintunkte, sobald standen sie alle neun [14] auf seinem Zettel. Sie hatten auch Ursache, gehorsam zu sein; denn es war ein sehr hitziger Mann. Wenn sie nicht gleich kamen und ihm bei seiner sauren Arbeit vorspannten, so schimpfte er so lange auf sie, bis der Bogen voll war. Er machte ein Sinngedicht auf mich, als ich zum Küster an der Kreuzkirche erwählt ward; es war wenigstens 8 Groschen wert, und ich und meine Frau haben es niemals ohne Thränen durchlesen können. Bei Hochzeitgedichten war er sehr scherzhaft. Der Name des Bräutigams oder der Braut mochte noch so verwirrt klingen, so wußte er ihn doch so lange herumzuzerren, bis er in demselben einen Gedanken fand, der sich zur Wiege schickte. Die Deutschen haben ihm die Erfindung der Leberreime zu danken, welche er zum erstenmale an des Stadtschulzens Geburtstage aus dem Stegreife machte, da er so trunken war, daß er von seinem Verstande nichts wußte. Er war weder eigennützig noch geizig, und für 16 Groschen schüttete er sein ganzes Herz aus. Er starb auch in großer Armut und hinterließ nichts als einen Lorbeerkranz und einen zerrissenen Mantel.

Suante Stuve verwaltete das Stadtschulzenamt 20 Jahre lang; seine Frau aber hatte das Directorium actorum. Diese machte auch die Abschiede, und die Parteien mußten in ihrer Küche gegeneinander verfahren. Wer daselbst nicht erschien, der war sachfällig, wer aber den grüßten Braten schickte, der hatte das größte Recht. Schienen die Sachen gar zu zweifelhaft zu sein, so mußten die Parteien würfeln; derjenige gewann den Prozeß, der die meisten Augen warf. Der Stadtschreiber war sein Schwiegersohn und hatte bei ihm freien Tisch.

Peter Brahe, ein witziger Kopf, ein Wunder der spielenden Natur, ein Greis von 20 Jahren. Alles war frühzeitig an unsrem Brahe. Schon im siebenten Jahre war er klüger als seine Eltern und Lehrmeister; im vierzehnten verwickelte er sich in gelehrte Streitigkeiten und schrieb kritische Anmerkungen über die philosophischen Bücher seiner Zeit, welches in Norwegen einen großen Lärmen machte. Er war heftig in seinen Meinungen, in seiner Schreibart spöttisch, und wenn ihn sein Witz überfiel, welchem Übel er oft ausgesetzt war, so schonte er keines Menschen. Auf seinen leiblichen Vater machte er Satiren. Er hatte eine so herzliche Neigung gegen sich und seine Einfälle, daß er sich lieber würde den Staupbesen haben geben lassen, als einen artigen Gedanken auf seinem Herzen und Gewissen behalten wollen. Er schrieb einen zierlich gedruckten [15] Vers, welcher aber dem geneigten Leser schwerer zu verstehen war, als ihm zu machen. Die Prosodie war sein Leibstudium nicht und die Grammatik für seine hohe Gelehrsamkeit zu niedrig. Im zwanzigsten Jahre spürte er eine merkliche Abnahme seines Verstandes und ward so kindisch als ein Greis von neunzig Jahren. Man glaubt, er habe sich damals selbst gefühlt, und sein herannahendes Ende vermutet; dieses will man aus einer Ode schließen, welche er unter dem Titel eines Schwanengesangs der Nachwelt hinterlassen, und worin er von seiner mutwilligen Leier Abschied genommen hat. Er starb auch wirklich kurz darauf und hinterließ eine große Anzahl Titel zu Büchern, die er hat schreiben wollen.

Gustav Gripp, ein Ratsmann und eine gutherzige Seele; er hat in seinem Leben nicht widersprochen und sagte zu allem ja. Nirgends schlief er sanfter als in der Ratsstube, besonders wenn die Rechtshändel vorgetragen wurden. Kam die Reihe an ihn, sein Gutachten zu sagen, so weckte ihn sein Nachbar auf, und alsdann votierte er allemal wie der regierende Bürgermeister.

Jugo Alrikus, ein geschickter Arzt. Wer unter seinen Händen starb, der starb dogmatisch. Er konnte aus dem Uringlase besser wahrsagen als ein Zigeuner aus der Hand. Wenn er jemandem an den Puls fühlte, so war dieses ein sicheres Zeichen eines herannahenden Todes. Er war Leibmedikus von allen denen, welche alte geizige Witwen oder solche Weiber hatten, die sich nicht wieder aus der Welt finden konnten; und er verwaltete sein Amt redlich. Alle seine Patienten kurierte er auf griechisch, wie ich denn nachgerechnet habe, daß binnen 3 Jahren über 400 Leute am Hippokrates gestorben sind. Man kann leicht glauben, daß die Geistlichkeit, ich (der Küster) und andere Totengräber diesem fleißigen Wanne viel zu danken haben.

Nilson Scribbens. Dieser gelehrte Mann hatte eine ganz besondere Natur. Unter anderem war es merkwürdig, daß bei ihm seine Gelehrsamkeit den Sitz im Magen hatte. Sobald ihn hungerte, sobald fing er auch an, Bücher zu schreiben. Aus der Größe seiner Schriften konnte man deutlich abnehmen, wie lange er gefastet hatte. Ein Traktätchen von 2 oder 3 Bogen war ein untrügliches Merkmal, daß er binnen 24 Stunden nichts zu essen gehabt, und wenn der Hunger recht nagend war, so schrieb er auch Werke in ganzen Alphabeten. In der großen Teuerung i.J. 1689 schrieb er die Universalchronik aller Nordscheine, welche sich seit dem Tode [16] Knuts hatten sehen lassen, in 12 Bänden groß Quart, mit Figuren, nebst einer Vorrede über die unbußfertigen Atheisten. Dieses gelehrte Werk fängt schon an rar zu werden, weil es gleich in den ersten Jahren stark verbraucht worden ist.

Humulfo Humblus, ein lateinischer Mann und geschworener Feind seiner Muttersprache. Nichts kam ihm niederträchtiger vor als die Bemühungen einiger Gelehrten, welche die norwegische Sprache in Aufnahme bringen und gewisse Regeln der Schreibart festsetzen wollten. Ihm war es einerlei, ob er Duyter oder Titer schriebe; und wer ihn bereden wollte, nur das erste sei recht, den hielt er wenigstens für einen Grillenfänger. Wenn er aber sah, daß jemand im Lateinischen ein D für ein T setzte, so schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und vergoß die bittersten Thränen über den Verfall der schönen Wissenschaften. Keinen Gedanken hielt er für artig, den man nicht aus dem Cicero beweisen konnte. Niemand verdiente nach seiner Meinung den Namen eines Gelehrten, der nicht zum wenigsten einen auctorem classicum ediert hätte. Er schrieb eine kritische Untersuchung der Frage: Ob Horaz die triefichten Augen von dem Rauche seiner Öllampe oder von den gesalzenen Fischen bekommen habe, die er in der Jugend bei seinem Vater gegessen. Er behauptete die erste Meinung, und weil sein Kollege, der ehrliche Konrektor, der letzten Meinung zugethan war, so warf er einen so tödlichen Haß auf ihn, daß er sich auch nicht einmal auf dem Totenbette mit demselben versöhnen wollte. Über jeden Schnitzer wider die Grammatik konnte er sich so ärgern, daß er das Podagra bekam; und als sein Kollege, der Konrektor, ein Programma in seiner Muttersprache schrieb, so ereiferte er sich dergestalt darüber, daß ihm das Podagra in den Leib trat, woran er auch starb.

Stephan Wäderhat, ein friedfertiger Soldat, welcher vor den Augen seiner Mutter als ein gehorsamer Sohn gewandelt hat bis an seinen Tod. Er wünschte für sein Vaterland zu sterben und kam des wegen niemals aus Bergen. Er hat Zeit seiner Kriegsdienste vielen Belagerungen und Schlachten beigewohnt, aber nur von Haus aus. Etlichemal geschah es, daß er mit ins Feld rücken sollte; sobald er aber Ordre bekam, so überfiel ihn eine starke Engbrüstigkeit und er überschickte an seiner Stelle ein Attestat vom Stadtphysikus, daß er im Leibe nicht richtig wäre und von dieser Krankheit vermutlich nicht eher als nach geendigtem Feldzuge geheilt werden dürfte. Deswegen aber war er zu Hause nicht müßig, denn er trank alle [17] Tage die Gesundheit des kommandierenden Generals und seiner übrigen Kameraden, die im Felde standen, deren Wohlsein er dergestalt zu Herzen nahm, daß er vielmals von seinen Sinnen nichts wußte. Es gereichte ihm auf seinem Totenbette zu sonderbarem Troste, daß er seine Hände niemals mit Blut befleckt hatte. Im übrigen war er kühn und unerschrocken und machte sich weder aus Bürgern noch Bauern etwas, die er oftmals seinen kriegerischen Beruf empfinden ließ. Es ist eine bloße Verleumdung, daß ihm unser Pfarrer Schuld gab, er sei ein rechter Atheist und glaube weder an Himmel noch Hölle. Es geschieht ihm zuviel; denn ich habe es selbst gehört, daß er allemal über das andere Wort sagte: Hol mich der Teufel! und daß er zu jeder Lüge schwor. Das Frauenzimmer mochte er gern leiden, doch war er dabei nicht ekel. Er geriet einmal beim Spielen mit einem schwedischen Offizier in Händel, welcher ihn herausforderte. Allein unser sanftmütiger Wäderhat war im Mutterleibe verwahrlost, daß ihm allemal Hören und Sehen verging, wenn er einen bloßen Degen erblickte; deswegen schlug er die Ausforderung vorsichtig ab unter dem Vorwand, er sei der einzige Sohn seiner Mutter und der Stammhalter des wäderhatischen Geschlechts; wenn ein Unglück geschehe, so könnte die Nachwelt um seine Kinder kommen, worüber er sich ein Gewissen machte, und mit einer Hand voll Blut sei ihm auch nicht gedient. Heuer im Frühjahr bekam er Befehl, sich schlechterdings marschfertig zu halten und weder seine Engbrüstigkeit noch andere natürliche Fehler vorzuschützen. Dieses war ein Donnerschlag in seinen Ohren, und die Tapferkeit fuhr ihm dergestalt in alle Glieder, daß er bis an sein seliges Ende zitterte, welches 4 Tage darauf erfolgte, da er in den Armen seiner gebeugten Mutter starb und in Frieden zu seinen Vätern versammelt ward.

Kurt Stemhill. Dieser Mann hatte in seiner Jugend hohe Absichten und eine vornehme Einbildung von seinem künftigen Glück. Als er noch auf der Stadtschule zu Bergen studierte, dachte er wenigstens regierender Bürgermeister in seinem Vaterlande zu werden. In diesem schmeichelhaften Gedanken bestärkte ihn der Aberglaube seiner Mutter, welcher da mals, als sie mit diesem Sohne schwanger gegangen war, geträumt hatte, sie brächte einen Knaben mit einer ernsthaften Miene und einem sehr dicken Bauche zur Welt. Auf der hohen Schule zu Kopenhagen lernte er mehr Menschen kennen, als er in seiner Vaterstadt jemals gesehen hatte. Dieses verringerte seine Hochachtung gegen sich selbst, und er erklärte [18] sich bei seiner Heimkunft, daß er allenfalls mit dem Stadtschreiberdienste vorlieb nehmen wollte. Allein auch in dieser Hoffnung sah er sich betrogen und mußte es noch für ein unverdientes Glück rechnen, daß er bei zunehmenden Jahren als Mägdleinschulmeister an der Barfüßerkirche sein Brot verdienen konnte, welchem Amt er auch bis an sein Ende mit der größten Ernsthaftigkeit und unermüdeten Fäusten vorgestanden hat. Dem ungeachtet glaubte er, der Traum seiner Mutter sei erfüllt, denn ein regierender Bürgermeister habe höchstens nur über Hals und Hand die Gewalt, ein Schulmeister hingegen herrsche mit unumschränkter Macht über den ganzen Körper seiner Schulkinder.

Veit Seghersell war aus einem adeligen Geschlecht und ein Todfeind aller Hasen und Füchse. Mit Hunden und Pferden ging er um als mit seinesgleichen und liebte ihre Gesellschaft am meisten, weil er unter ihnen die vernünftigste Kreatur war. Aus dem Umgang mit Menschen machte er sich nicht viel, denn sie redeten allemal von Sachen, die er nicht verstand. Mit der Bibel konnte er sich gar nicht behelfen, destobesser aber mit dem Erbregister, welches seine Bauern nachdrücklich erfahren haben. Auf den Nimrod hielt er große Stücke, weil ihm sein Pfarrer gesagt hatte, er würde ein gewaltiger Jäger genannt; er wollte sich es auch nicht ausreden lassen, daß dieser Nimrod ein Landedelmann in Assyrien gewesen wäre. Um die Geschichte auswärtiger Völker und seines Vaterlandes bekümmerte er sich nicht, doch hatte er ein vortreffliches Gedächtnis, wenn er auf seine Ahnen zu reden kam. Einen Bürger roch er auf zwanzig Schritte weit. Nichts war ihm unbegreiflicher, als wenn er hörte, daß ein Mann wegen seiner Tapferkeit, wegen seiner Staatserfahrenheit oder wegen anderer Verdienste, die er dem Vaterland erzeigt hatte, in den Adelstand erhoben ward, denn er sagte, wenn solche Verdienste einen Edelmann machten, so wäre ihm und seinesgleichen Vater und Mutter und die ganze Sippschaft nichts nütze. Seine Wirtschaft war sehr unordentlich bestellt. War er nicht auf der Jagd, so saß er bei Tische, und alsdann war er vermögend, seine ganze hochadelige Nachbarschaft zu Boden zu saufen. Seine Bauern machte er arm und jagte sie durch Prozesse zum Dorfe hinaus. Er folgte ihnen aber selbst bald nach, weil er wegen Schulden seinem Verwalter das Gut überlassen und den Rest seines Lebens in Bergen zubringen mußte.

Stine Frogerta, ein frommes Weib. Sie hatte sehr [19] oft andächtige Entzückungen, welche die Kinder dieser Welt ihrer verdorbenen Milz und dem ungesunden Geblüt zuschreiben wollten. Wenn sie betete, so betete sie mit Händen und Füßen, und man konnte die Wirkung ihres gläubigen Herzens an allen Gliedern sehen; wie sie denn über die Unbußfertigkeit der verstockten Welt sich dergestalt betrübte, daß sie rote Augen und einen krummen Hals bekommen hatte. Die dunkelsten Worte und solche Formeln, welche etwas Verwirrtes in sich faßten, waren ihre Kern- und Trostseufzer; sie hielt dasjenige für die Sprache des Geistes, was die sich selbst überlassene Vernunft nicht verstand. Die Liebe des Nächsten rechnete sie zwar mit unter das Ceremonialgesetz, gleichwohl that sie den Armen im Urselinerkloster viel Gutes, weil es allemal von der Kanzel abgekündigt und dem christlichen Wohlthäter vor öffentlicher Gemeinde gedankt ward. Ihr Mann mußte sehr viel bei ihr ausstehen, denn wenn sie betete, so zankte sie, und es ist mehr als einmal geschehen, daß sie ihm sogar mitten in der Andacht ein Bund Schlüssel an den Kopf geschmissen hat. Ihr Ehrgeiz war unersättlich; wenn sie auch bei dem Gottesdienste auf die Knie niederfiel, so mußte es doch nach der Rangordnung geschehen. Sie hatte die Gabe zu wahrsagen und Gesichte zu sehen. Das Geschrei einer Krähe war ihr so verständlich, daß sie allemal wußte, wer davon sterben würde. Heulte ein Hund unter ihrem Fenster, so war sie dadurch mehr gerührt, als wenn unser Kapellan eine Bußvermahnung hielt. Wenn sich ein Stern schneuzte, so fuhr es ihr in die Seele; und als ihr von faulen Eiern träumte, erschrak sie dergestalt darüber, daß sie das Testament machte und sich zu ihrer Heimfahrt bereitete. In dieser Einbildung bestärkte sie ihr Mann auf alle ersinnliche Weise und war dabei so glücklich, daß sie einige Wochen darauf starb.

Friedlev Frohton. Dieses hoffnungsvolle Kind hat sein Leben nicht höher gebracht als auf 1 Jahr 3 Tage. Sein Vater, der Apotheker in Bergen, kann sich über den frühzeitigen Verlust dieses tugendhaften Söhnleins noch jetzt nicht trösten. Er fand einen recht männlichen Verstand an demselben, welches ihn vielmals auf die zweifelhaften Gedanken gebracht hat, ob es auch wirklich sein eigener Sohn wäre. Alle Handlungen dieses Kindes verrieten seiner Meinung nach eine große Seele. Wenn es auf seinem Stühlchen saß, so machte es eine so ernsthafte Miene wie ein Arzt, welcher bei dem Krankenbette sitzt und zweifelhaft ist, ob er den Patienten an Pulvern oder an Tropfen sterben lassen will. Eben diese [20] aufmerksame Miene hielt der aufmerksame Vater für einen untrüglichen Beruf, daß sein Sohn in Doctorem Medicinae promovieren müßte; nur war er noch zweifelhaft, ob es zu Upsala oder zu Kopenhagen geschehen sollte, welche Ungewißheit ihm viele schlaflose Nächte machte. Er stellte sich schon im Geiste vor, wie ansehnlich der junge Herr Doktor Frohton in einer samtnen Weste einher treten und den Glanz seines väterlichen Hauses empor bringen würde. Aber auf einmal verschwand diese süße Einbildung durch den Tod des hoffnungsvollen Knaben, und der unglückliche Vater hatte weiter keinen Trost als diesen, daß er unter seinen Händen starb: denn er war eben im Begriff, ihm das letzte Klistier zu setzen, als er verschied. Sein Vaterland bedauerte er so sehr als sich selbst. War noch etwas vermögend, ihn zu beruhigen, so waren es die vielen Exempel kluger Kinder, welche eben diese frühzeitige Klugheit unter die Erde gebracht hatte. Er prophezeite sich um deswillen ein hohes Alter, und die ganze Stadt glaubt es, daß er über hundert Jahre leben kann, wenn der Verstand der Gesundheit schädlich ist.

Sivart Stärkoter, ein Astronomus, welcher am Tage die Sonne und des Nachts den Mond mit so unermüdetem Fleiße beschaute, daß er zu nichts weiter geschickt war, als an die Gestirne zu sehen. Bei den unaufhörlichen Betrachtungen des Himmels hat er niemals Zeit gehabt, dasjenige zu lernen, was auf der Erde und in dem Umgang mit Menschen zu wissen nötig ist. Er war dadurch so tiefsinnig geworden, daß er seiner selbst vergaß. Mehr als einmal geschah es, daß er des Morgens im Schlafpelz und ohne Hosen ausging. Wer ihm begegnete, dem sah er starr in die Augen, schüttelte mit dem Kopf und redete nicht ein Wort. Aber von allem diesen wußte seine Seele nichts, denn der Körper bewegte sich nur mechanisch. Kurz vor seinem Tode sah er mich in der Kirche; er ging auf mich los, packte mich bei der Halskrause an und sagte mit einer zerstreuten und mathematischen Miene zu mir: »Die excentrische Anomalie ist der Bogen des excentrischen Zirkels zwischen der Linie Absidum; das sollte Er lange wissen, und ich schäme mich, daß ich es Ihm erst jetzt sagen muß.« Darauf ging er wieder von mir und ließ mich voller Schrecken stehen; denn ich hatte, geglaubt, er würde mich zum wenigsten erwürgen wollen. Er hat sich vielmals des Nachts aus den Armen seiner Frau gerissen, wenn ihm eine astronomische Spekulation einfiel. Anfangs kam ihr dieses sehr unerträglich vor, und sie hat zu gewissen Zeiten mehr über [21] die Sterne geseufzt, als mancher Liebhaber es thut. Endlich aber fand sie Gelegenheit, die Abwesenheit ihres Mannes durch den Zuspruch solcher Leute zu ersetzen, welche irdischer gesinnt waren als jener. Je gestirnter der Himmel war, desto ungestörter blieb sie in ihrem Vergnügen; und wenn der Mann eine Mondfinsternis zu besorgen hatte, so konnte sie gewiß glauben, daß er an sie nicht denken würde.

Hinkmars von Repkow »Noten ohne Text«.

(»Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes«, Bd. II, 4. Bremen bei Nath. Saurmann 1745).


Nunmehr thue ich den ersten Schritt in die gelehrte Welt. Schon vor dreißig Jahren hatte mich die Natur mit so starken und dauerhaften Gliedmaßen begabt, als von einem Skribenten erfordert worden. Dennoch habe ich, was fast unglaublich ist, jedesmal über mich selbst so viel Gewalt gehabt, daß meine Gelehrsamkeit noch niemals zum wirklichen Ausbruch gekommen ist, ich nehme einige kritische Versuche aus, welche ich i.J. 1719 bei der damaligen Teuerung mir und dem guten Geschmack zum besten, doch jedesmal unter fremdem Namen, der Welt mitteilen mußte. Seit 30 Jahren also habe ich nur einen Zuschauer unter den Gelehrten abgegeben. Meine ganze Aufmerksamkeit war dahin gerichtet, zu sehen, welches die sichersten und leichtesten Mittel wären, sich auf einmal über andere emporzuschwingen und bis auf die späteste Nachwelt berühmt zu werden. Ich habe angemerkt, daß die Bemühungen der Geschichtschreiber, der Philosophen, der Dichter und aller übrigen Gelehrten so beschwerlich, so ungewiß und so gefährlich sind, daß ich mich wohl hüten werde, mich mit einer von diesen Arten Schriften zu bemengen. Hingegen getraue ich mir, durch hundert Exempel zu behaupten, daß man durch keine Mittel in der Welt leichter zu gehöriger Autorgröße gelangen kann, als durch die Beschäftigung, die Schriften anderer Männer durch Noten zu vermehren und zu verbessern. Leute, von denen man schwören sollte, daß sie die Natur zu nichts weniger als zu Gelehrten geschaffen hatte; Leute, welche ohne selbst zu denken die Gedanken der Alten und anderer berühmten Männer erklären – solche Leute sind es, die sich groß und fruchtbar machen, und wodurch? Durch Noten! Noten also sind der rechte Weg, zu demjenigen Zweck zu gelangen, [22] welchen alle Gelehrte auf verschiedene Arten, aber mit ungleichem Erfolg suchen. Ich brauche nicht zu beweisen, daß bei einem dergleichen Buche des Herrn Verfassers Noten allemal das Vornehmste und Wichtigste sind, der Text aber nur etwas Zufälliges, wenigstens von der Erheblichkeit lange nicht ist, als die angehängten Noten. Ich beziehe mich auf die Vorreden, welche man vor diesen Büchern findet und worin mein Satz allemal, nur auf verschiedene Art, behauptet ist. Einem solchen Verfasser würde es daher gleichviel gelten, wenn der Text auch ganz unterginge. Nur um seine Noten darf die Nachwelt nicht kommen; dieser Verlust wäre unersetzlich. Diese Betrachtung hat mich zu dem Entschluß gebracht, Noten zu schreiben, ohne um einen Text besorgt zu sein, da dieser, wie gedacht, ohnehin nur ein Nebenumstand bei einem Buche ist. Ich überlasse die Beschäftigung, einen Text zu gegenwärtigen Noten zu machen, andern, die weder diejenige Erfahrung noch Geschicklichkeit besitzen, die ich mit gutem Gewissen von mir selbst rühmen kann. Es sollte mir lieb sein, wenn ich dadurch unserer jetzigen Jugend Gelegenheit gäbe, sich in Texten zu üben. Es kann gleichviel gelten, ob sie eine Materie von den jetzigen politischen Umständen oder aus der Arzneikunst oder aus den bürgerlichen Rechten dazu wählen wollen. Eine Abhandlung von dem leeren Raume sollte sich auch nicht unrecht dazu schicken; denn dergleichen Betrachtungen werden nicht sehr gelesen, und solche Texte braucht ein Notenautor, wie ich bin, am liebsten. Ich wollte wünschen, daß sich bald wieder ein Komet sehen ließe. Meine Noten sollten sich ganz vortrefflich ausnehmen, wenn sie unter einer Abhandlung davon ständen. Man kann zwar darin nicht ein einziges Wort von Kometen finden: aber desto besser wäre es; denn natürlicherweise haben dergleichen Noten, wie die meinigen sind, ohnedem mit dem Texte weiter kein Verhältnis als das, welches ihnen der Setzer giebt. Mit einem Wort, mit dem Texte mag ich gar nichts zu thun haben, denüberlasse ich kleinen Geistern. Ich bin ein Gelehrter, und zwar ein Gelehrter bei Jahren, darum schreibe ich Noten, denn das ist ein wichtiges Werk! Ich erstaune, wenn ich zurücksehe und eine unzählbare Menge Männer hinter mir erblicke, welche sich so viele Jahre lang mit so vieler Sorge, auf so verschiedene Art um den Namen eines Gelehrten bemüht haben, von mir aber in einer Zeit von zwei Tagen auf die bequemste Art von der Welt und ohne meinem Verstand und Nachdenken die geringste Gewalt anzuthun, [23] eingeholt, ja weit übertroffen sind. Allen meinen Enkeln will ich es anraten, Noten sollen sie machen. Und wenn sie es so hoch bringen wie ihr Großvater, so machen sieNoten ohne Text! – eine Sache, welche außer mir wohl noch kein Deutscher gewagt hat. Nun werden es die übermütigen Franzosen doch auch glauben, daß es in Deutschland Schöpfer gebe, welche von sich selbst etwas hervorbringen und noch mehr thun können als nachahmen. Wie sehr werde ich mich vergnügen, wenn ein gelehrter Mann und Befördrer der schönen Künste und Wissenschaften sich berühmt und Noten über meine Noten machen wird! »Der große Repkow (wird es einmal heißen) bedient sich in seinen gelehrten Noten ohne Text u.a. folgender sehr nachdenklichen Worte etc.« Kann ein Schriftsteller zu seiner Beruhigung wohl mehr verlangen, als wenn sich ein anderer Schriftsteller auf ihn beruft? Wie prächtig wird es klingen, wenn ein gelehrter Abt des künftigen Jahrhunderts in der französischen Akademie seine Meinung durch mein Ansehen behaupten und sagen wird: »Voyez le savant Allemand, Monsieur Enkemar de Repikof, dans les Remarques sans texte etc.« Und wer ist mir wohl dafür gut, daß nicht vielleicht, sobald gegenwärtige Abhandlung nur die Presse verlassen hat, schon irgendwo ein berühmter Mann mit Schmerzen auf meinen Tod wartet, nur daß er in sein historisches Universallexikon unter dem Buchstaben R die Nachricht setzen könnte: »Repkow (Hinkmar von) auf Budigaß, ein Nachkomme des großen Echo von R., schrieb Noten ohne Text und starb. Er war ein billiger Verehrer seiner eigenen Schriften und überhaupt ein sehr gelehrter Mann. Seine vortrefflichen Noten ohne Text hat man in viele Sprachen und sogar ins Norwegische übersetzt. Die verschiedenen Ausgaben davon sind unzählig; doch ist diejenige wegen ihres breiten Randes und der artigen Leiste die beste, welche wir dem Fleiße des geschickten Herrn Cowley Lizard in London zu verdanken haben. Von ihm stammt die berühmte Sekte der Autonotisten ab, und er ist der Urheber der berühmten Repkovianischen Manier. Mehrere Nachrichten von ihm findet man in dem theatro Budigassiano de claris Repcoviis.« Gewiß, von wem die Nachwelt ein solches Urteil fällt, dessen Mühe ist reichlich vergolten; denn dies begreift alles dasjenige in sich, was der Ehrgeiz eines Gelehrten wünschen kann.

Vor Entzücken über die dankbare Nachwelt vergesse ich beinahe meine jetztlebenden Leser, welche es vielleicht zufrieden [24] sein würden, wenn ich von mir selbst etwas weniger redete. Ich will zwar abbrechen, aber mich nicht entschuldigen; denn alles, was ich bisher gesagt habe, vertritt die Stelle einer Vorrede zu gegenwärtigen Noten ohne Text. Die Vorrede aber schreibt der Verfasser wohl nicht leicht um des geneigten Lesers willen, sondern seinetwegen. Mein Trost ist, daß ich im Nachstehenden noch öfters Gelegenheit haben werde, von mir selbst ausführlich, doch ohne die geringste Parteilichkeit zu reden.


Hinkmar von Repkow.


»– welche Zigeuner und elende Poeten« ... Ich soll mich verantworten, wie ich es habe wagen können, die elenden Poeten mit den Zigeunern zu vergleichen Ich will es thun, mein Herr, ungeachtet ich geglaubt hätte, daß ein flüchtiger Einfall, den man zuweilen in Gesellschaft vertrauter Freunde vorbringt, dergleichen Schutzschrift nicht nötig hätte.

Meine Meinung ist gar nicht diese gewesen, als wäre zwischen Zigeunern und elenden Poeten eine durchgängige Ähnlichkeit. Wenn es aber auch meine Meinung wäre, so wollte ich mir doch getrauen, sie zu verteidigen. Ein Zigeuner würde vielleicht eine ganz andere Lebensart erwählen, wenn er zu etwas besseren geschickt wäre; und ein reimender Skribent müßte sogar den Überrest desjenigen Verstandes verloren haben, den ihm die erbarmende Natur, wiewohl mit kargen Händen, zugeworfen hat, wenn er so klägliche Schriften verfertigte, wofern er anders imstande wäre, etwas Klügeres vorzunehmen. Die Verwunderung, die sich ein Zigeuner bei dem Pöbel durch sein Wahrsagen zuwege bringt, ist der Verwunderung sehr gleich, die ein Reimer durch seinen betäubenden Witz bei dem lesenden Pöbel erhält. Unter den lesenden Pöbel aber rechne ich Leute von allerlei Ständen: und wollte man mich gerichtlich anhalten, diese Art von Pöbel genauer zu bestimmen, so könnte es freilich geschehen, daß man Männer in Magister- und Doktorhüten, Männer mit Sternen auf der Brust, Männer in ehrwürdiger Kleidung darunter anträfe. Was die Räubereien der Zigeuner anbelangt, so haben sich meine Poeten gar nicht zu schämen, wenn man auch darin viel Ähnliches zwischen ihnen und den Zigeunern zu finden glaubt. Sie plündern ebensowohl als jene; aber sie plündern ebenfalls nur aus Hungersnot, und aus Hungersnot zu rauben, ist, wie bekannt, den bürgerlichen Rechten nach, kein Diebstahl. Sie rauben also nur berufswegen.

Ich weiß nicht, warum ich mich so gern elender Schriftsteller [25] annehme. Vielleicht geschieht es bloß aus einer allgemeinen Menschenliebe; vielleicht aber kommt es auch von einigen Vorurteilen her, die ich noch von meiner ersten Jugend behalten habe, und welche machen, daß ich dergleichen Skribenten nicht ansehen kann, ohne gerührt zu werden. »Schreib', mein Sohn, schreib' und schäme dich nicht! Schreib' unermüdet, denn die Natur hat dir gesunde Finger gegeben.« Dieses war der letzte Segen, den mir mein Vater – tröste ihn Gott! er war auch ein Skribent – noch auf seinem Totenbette erteilte. Er hinterließ mir ein schlechtes Vermögen, es ist wahr; aber diese Vermahnung hat mich so aufgemuntert, daß ich niemals hungrig zu Bett gegangen bin, so lange ich derselben gefolgt habe. Ich schrieb aus allen Leibeskräften, und es gedieh mir ganz wohl. Seit der Zeit hat sich freilich viel geändert. Ich habe dieses Autorhandwerk niedergelegt. Ich fand Ursachen, welche mir rieten, mich von dergleichen Skribenten abzuziehen; zugleich aber fand ich auch ganz unübersteigliche Hindernisse, ein guter Skribent zu werden; um deswillen schreibe ich, wie Sie wissen, gar nichts mehr.

Im Ernste zu reden, so ist es eine betrübte Sache um gute Skribenten. Sie lassen sich's blutsauer werden, und doch geht es ihnen nicht von der Hand. Haben sie auch ja ein Werk in ihrer Art zustande gebracht: welcher Buchhändler wird so viel wagen, es zu verlegen! Sie müssen noch Geld zugeben, wenn sie ihren Namen gedruckt sehen wollen; und sind sie auch gedruckt, wohl gut: wie viel finden sie denn Leser? Sehr wenig, oder ich müßte unsere Zeiten gar nicht kennen. Heute Nachmittag ging ich vors Thor. Ich sah einen großen Zulauf von Leuten, welcher mich bewog, näher hinzuzugehen. Ich fand einen Mann in der größten Beschäftigung, seine Paketchen unter den gewöhnlichen Beteuerungen und mit Berufung auf die erstaunenden Kuren, die er gethan, und auf seine vortrefflichen Privilegien auszuteilen. Kurz, er war ein Marktschreier. Was für ein Unterschied, dachte ich bei mir selbst, ist nicht zwischen diesem Marktschreier und meinem Arzte in der Stadt, den jeder für einen geschickten, behutsamen und erfahrenen Mann hält, in dessen Vorzimmer aber nicht der zwanzigste Teil der Leute ist, wie bei diesem Quacksalber! Aber woher kommt das? Er versichert nichts, wovon er nicht überzeugt ist. Er kann sich nicht überwinden, seine Medikamente mit einer etwas zuversichtlichern Miene anzupreisen; er ist zu ehrlich, als daß er andere Ärzte neben sich verkleinern sollte; mit einem Worte: er macht nicht Wind genug [26] und hat keinen Hanswurst bei sich, welcher den Pöbel unterhalten und ihm ein Vertrauen zu seinen Arzneien beibringen kann. Mein Arzt ist ein vernünftiger Mann, und jener Marktschreier ein Windmacher. Welche Abschweifung! werden Sie sagen, von elenden Skribenten auf die Quacksalber zu kommen! Sie haben recht, mein Herr, es ist allerdings eine Abschweifung, welche vielleicht nur alsdann zu entschuldigen sein würde, wenn zwischen den niederträchtigen und unverschämten Aufschneidereien der Unwissenheit und dem gewinnsüchtigen Handwerke dieses Marktschreiers – und zwischen dem Betragen und den Absichten elender Scribenten die geringste Gleichheit wäre. Aber dieses ist freilich nicht, und um deswillen ist meine Abschweifung gar nicht zu entschuldigen. Es sei darum! ich mag es nicht ausstreichen In meinen jungen Jahren, als ich noch ein Autor war, wußte ich mich in dergleichen Fällen recht leicht zu trösten. Wollte ich gar nichts schreiben, waren damals meine Gedanken, als was sich reimt und was auf eine vernünftige Weise zusammenhängt, so schreibe ich mich an den Bettelstab und meinen Verleger ins Hospital. Ungefähr so dachte ich damals, und Sie wissen wohl, daß einem alternden Autor dergleichen Jugendfehler noch immer anhängen. Ich kann Ihnen nicht helfen, mein Herr, Sie müssen alles lesen, was ich geschrieben habe, es mag zusammenklingen, wie es will. Sehen Sie es allenfalls als eine kleine Rache an, daß Sie mich genötigt haben, meine Gedanken schriftlich zu verteidigen; vielleicht machen Sie künftig nicht so viel Schwierigkeiten, mir auf mein Wort zu glauben.

... conata lacessere Teucros. Die Verdienste, welche sich dieses Frauenzimmer in der gelehrten Welt erworben, sind so wesentlich und so wichtig, daß ich nicht begreifen kann, warum es sich durch eine solche Befehdung und durch die Vorrechte ihres Geschlechts zu verteidigen gesucht hat. Mir scheint es wenigstens, daß sie nicht die beste Art gewählt hat, mit welcher sie ihr Mißvergnügen über das unfreundliche Bezeigen eines ihrer Gönner ausdrücken und die Leser überführen will, daß man sich an ihr versündigt habe. »Die Hochachtung (schreibt sie) welche man unserem Geschlecht schuldig ist, ist zu allen Zeiten unter gesitteten Völkern für etwas so Unverbrüchliches gehalten worden, daß ich hoffe, man werde diese Verletzung derselben gegen eine Person, die solches auf keinerlei Weise verdient hat, nicht mit gleichgültigen Augen ansehen!« Wer die kleinen Balgereien schon weiß, welche seit einiger Zeit [27] zwischen den witzigen Köpfen vorgefallen sind, der wird es zufrieden sein, daß ich die eigentlichen Umstände dieser gelehrten Mordgeschichte hier nicht anführe; und wer sie nicht weih, der kann sich allenfalls trösten, wenn ihm eine solche Kleinigkeit noch ferner unbekannt bleibt. Ich bin hierin ganz unparteiisch, und so wenig Vergnügen ich über die Aufführung ihres Gegners empfunden, welches sie ein ungezogenes Verfahren nennen will, so überflüssig würde es auch sein, die Verteidigung ihrer Sache zu übernehmen, da man aus ihrer Vorrede wohl sieht, daß sie selbst Mut genug hat, sich mit dem Natur- und Völkerrechte zu wehren und eine Sprache zu führen, von welcher eine gewisse Art unserer heutigen Kunstrichter selbst gestehen wird, daß sie männlich genug sei. Meine Gedanken, welche ich bei Lesung dieser Vorrede gehabt, sind ungefähr diese:

Auch ich habe für das Frauenzimmer alle billige Hochachtung; es klingt mir aber ein wenig zu hart, wenn ein Frauenzimmer diese Hochachtung selbst verlangt und sich auf die ruhige Possession bezieht, in welcher sie und ihre Vorfahren seit hundert und mehr Jahren gewesen sind.

Da unsere Verfasserin bei dieser ganzen Streitigkeit nicht bloß als ein Frauenzimmer, sondern als eine Skribentin anzusehen ist, so hat sie um so viel weniger Ursache, sich auf diese wohlhergebrachte Hochachtung zu steifen, welche sie von uns aus rühmlicheren Gründen verlangen kann. Ein gelehrtes Frauenzimmer kann diese weiter nicht fordern als eine gelehrte Mannsperson. Beide können unsre Hochachtung erlangen, wenn ihre Gelehrsamkeit und ihr Witz solche verdienen. Ist dieses nicht, so habe ich schon genug gethan, wenn ich ihnen nicht unhöflich begegne, und ich muß das Recht haben, auf die gelehrten Eitelkeiten und Fehler eines schreibenden Frauenzimmers mit eben der Bitterkeit loszugehen, welche man in gleichem Falle wider die Skribenten männlichen Geschlechts ohne Beleidigung des Wohlstandes brauchen darf.

In meinen Augen verdient kein Stand mehr Ehrfurcht und Hochachtung als der Stand der Geistlichen. Sobald sich aber ein Geistlicher auf eine unglückliche Art unter die Schriftsteller mengt und durch seine Exempel den alten und wahren Satz bekräftigt, daß ein ehrwürdiger Mann gar wohl ein elender Autor sein könne: so bald vergesse ich den Priester und lache über den Schmierer. Wie unzeitig würde der Eifer sein, wenn mich dieser Mann um deswillen verketzern und sagen wollte: ich hätte diese Hochachtung beleidigt, welche [28] man seinem Amte nach den göttlichen und weltlichen Rechten schuldig sei, und welche unter allen Völkern für etwas so Unverbrüchliches gehalten werden!

Ich befürchte, der Witz dürfte dadurch sehr viel leiden, wenn wir die Galanterie so weit treiben und die Fehler einer Skribentin dulden oder gar bewundern wollten, bloß darum, weil sie von den Händen eines Frauenzimmers kämen. Wir haben bereits unter unseren Mannspersonen eine so große Menge erbärmlicher Schriftsteller, daß es sehr unverantwortlich sein würde, auch die andere Hälfte des menschlichen Geschlechts mit dieser Autorseuche zu verwahrlosen. Ich wünschte wohl, daß alle Frauenzimmer einen Geschmack an den schönen Wissenschaften fänden; aber das wolle der Himmel nicht, daß alle Frauenzimmer dasjenige prächtig drucken lassen, was sie mittelmäßig gedacht haben! Ihren Freunden mögen sie es vorlesen, und ich werde es selbst mit Vergnügen anhören, wenn es gleich hin und wieder fehlerhaft ist; nur gedruckt mag ich es nicht lesen. Diejenige unumschränkte Gewalt, welche wir dem Frauenzimmer aus Höflichkeit und Hochachtung an ihrem Nachttische zugestehen, diese hört gleich auf, sobald wir einander in dem Buchladen antreffen. Sie sei witzig, sie suche ihren Geschmack auszubessern, sie schreibe, um ihren Verstand zu schärfen: aber sie schreibe nur für sich, nicht für die Welt, ohne ihre Kräfte vorher wohl zu prüfen. Thut sie es aber doch, so behalte ich mir vor, mit nächstem ein Kochbuch zu schreiben; und wollte das Frauenzimmer anfangen, über mein Kochbuch zu spotten, da ich wirklich ein sehr schlechter Koch bin, so hoffe ich, die gesitteten Völker werden diese Verletzung der Herrschaft, welche dem Mannsvolke zu allen Zeiten eigen gewesen ist, und die Beleidigung einer Person, die solches auf keinerlei Weise verdient hat, nicht mit gleichgültigen Augen ansehen!!

Ein Frauenzimmer, welches vor ihre Schriften ihr Bildnis setzt oder in der Vorrede deswegen um Pardon ruft, weil sie ein Frauenzimmer ist, verrät entweder ihr böses Gewissen und die Ungerechtigkeit ihrer Sache oder glaubt, daß die Kunstrichter voll Leidenschaften und ebensowohl zu blenden sind, als die Richter der Phryne, welche ihren Rechtshandel verspielt haben würde, wenn sie nicht den Schleier zurückgeschlagen hätte.

Aus dem, was ich bisher angeführt habe, wird man urteilen können, wie es billig sei, einem Frauenzimmer kein Quartier zu geben, welches sich in gelehrte Streitigkeiten [29] mengt und für eine ungerechte oder doch zweifelhafte Sache mit zu vieler Hitze und einer männlichen Wut kämpft. Ich habe noch keinen Scholiasten gefunden, welcher den Aruns für ungesittet oder ungezogen gehalten, daß er Kamillen im Treffen verfolgt und ihrem Würgen Einhalt gethan. Sie wagte sich unter das Heer streitender Männer, und die Götter erhörten den Aruns, welcher unbekannt zu sterben wünschte, wenn er nur durch den Sieg über die kriegerische Kamilla den Tod seiner Landsleute rächen könnte. Ich zweifle nicht, Aruns würde bei einer anderen Gelegenheit der Kamilla mit aller der Galanterie begegnet haben, welche den Trojanern eigen war, aber hier erblickte er seine Feindin und begegnete ihr als einem Feinde. Ein Frauenzimmer, welches sich in den Krieg der Kunstrichter mischt, wagt viel und begiebt sich selbst der Rechte, die außerdem ein Frauenzimmer hat.

nisi quod sit dictum prius. Ich will die Gewohnheit eben nicht tadeln, welche einige unserer Gelehrten an sich haben, wenn sie ihre Schriften durch die Sentenzen alter und neuer Autoren ausputzen; aber dieses würde ich doch gern sehen, wenn sie damit etwas sparsamer umgingen, als die meisten zu thun pflegen. Ich finde zwischen dergleichen Schriften und unsern Lustgärten in diesem Stücke eine ziemliche Ähnlichkeit. Es ist dem Gesicht angenehm, wenn man in denselben einige wohlgearbeitete Statuen erblickt; nur müssen deren nicht gar zu viel sein, wenn der Garten nicht das Ansetzen eines Bildersaals gewinnen soll. Es kann auch daraus für den Gärtner noch dieser empfindliche Schaden erwachsen, daß man sich bloß mit Betrachtung der Statuen beschäftigen und auf den Garten entweder seine Aufmerksamkeit gar nicht richten oder doch ziemlich gleichgültig dabei sein würde. Wo ich mich nicht sehr irre, so läuft ein Schriftsteller bei seinem Werke eine gleiche Gefahr. Wenn ich auf jeder Seite eine, auch mehrere Sentenzen der Alten und Neueren finde, so wird mich dieses so zerstreuen, daß ich den Spruch des Horaz bewundern und meinen Autor darüber vergessen werde; oder vergesse ich ihn auch nicht gänzlich, so wird er doch meine Aufmerksamkeit mit dem Horaz teilen müssen, die er sonst ganz zu fordern hätte. Zu geschweigen, daß es bei vielen eine große Unbedachtsamkeit verrät, wenn sie den Leser zu oft an den Witz der alten und neueren Gelehrten erinnern. Sie verwöhnen ihn dadurch und machen, daß er lauter gleich witzige Sachen von ihnen verlangt. Ist der Verfasser nicht imstande, seinen Leser mit dergleichen beständig zu unterhalten, [30] so wird er es demselben auch nicht verargen können, wenn ihm seine Schrift ekelhaft wird. Ich habe heute Nachmittag ein Frauenzimmer besucht, welche zwar nicht schön, aber doch noch ganz leidlich häßlich ist. Sie hatte den Fehler begangen, verschiedene andere Frauenzimmer zu sich zu bitten, welche so schön waren, daß sie meine Aufmerksamkeit und die Bewunderung aller anderen Mannspersonen erweckten. Wir vergaßen uns so weit, daß wir uns nur mit diesen Schönen beschäftigten und an unsere nicht so schöne Wirtin beinah gar nicht dachten. Gegen diese bezeugten wir nichts, als nur die allgemeinen und nötigsten Höflichkeiten, deren wir ohne Beleidigung des Wohlstandes nicht überhoben sein konnten. Es war ein Fehler von uns, ich will es nicht leugnen; aber es war auch ein großer Fehler von unserer Wirtin, daß sie uns in eine Gesellschaft brachte, welche angenehmer und reizender war als ihre Person.

Die Anmerkung, die ich hier gemacht habe, gehört nur für diejenigen Skribenten, welche gut oder doch noch ziemlich gut sind. Es würde mir sehr leid thun, wenn sich die elenden Skribenten darnach richten wollten. Aus Liebe zu mir und zu allen Lesern will ich ihnen von ganzem Herzen anraten, daß sie allemal über die dritte Zeile den Homer, den Horaz, den Boileau, den Hagedorn und alle Schriftsteller, die anders sind als sie, anführen. Sie werden ihre Werke dadurch noch erträglich machen, und die Käufer haben Gelegenheit, wegen ihres aufgewandten Geldes sich desto mehr zu beruhigen. Ja, was noch mehr ist: sie locken vielleicht dadurch ihre Schriften zu lesen viele an, welche außerdem so viel Selbstverleugnung nicht haben würden, dieses zu thun. Alsdann geht es dergleichen Lesern wie den Liebhabern der Altertümer, welche in den betrübtesten Wüsteneien und mitten unter altem Schutt sich mit dem größten Vergnügen aufhalten können, weil sie noch hin und wieder den prächtigen Rest der alten Baukunst zu bewundern Gelegenheit finden.

[31] Auszug aus der Chronik des Dörfleins Querlequitsch a.d. Elbe.

(Aus den »Belustigungen des Verstandes und Witzes«. April 1742.)


Geneigter Leser!


Du wirst mir nicht zumuten, daß ich Dir sagen soll, wie ich zu dem Manuskripte gekommen sei, von welchem ich Dir gegenwärtigen Auszug liefere. Wenn ich spräche, ich hätte es unter einem alten Gemäuer gefunden, so würdest Du es vielleicht als ein schätzbares Altertum mit vieler Ehrfurcht durchlesen. Ich könnte Dich wohl auch bereden, es gehöre in eine Bibliothek, und weil ich ein Gelehrter bin, so würdest Du unfehlbar denken, ich hätte es mit lehrbegierigen Händen heimlich entwendet. Allein ich bin nicht gesonnen, Dir eine Unwahrheit vorzusagen; Du sollst aber auch die Wahrheit nicht erfahren. Sei zufrieden, daß ich Dir ein Werk mitteile, welches allen Geschichtschreibern zur Vorschrift und Dir vielleicht zur Erbauung dienen kann.

Den eigentlichen Verfasser dieser Chronik und die Zeit, wann sie geschrieben worden, kann ich nicht angeben. Auf dem Titelblatt steht anstatt des Namens ein N., welches her Verfasser sonder Zweifel um des willen gethan hat, daß er den Leser neugierig machte und desto bekannter würde. Meine Vermutung geht dahin, es habe es ein ehemaliger Pfarrer daselbst geschrieben. Ob ich recht habe, wirst Du aus den Umständen beurteilen, die in dem Auszuge selbst vorkommen. Wann aber dieser Pfarrer gelebt und die historischen Nachrichten gesammelt hat, solches ist noch ungewisser. Ich vermute, daß es kurz nach des Kanzlers Krell Tode geschehen sei; ich will aber niemanden meine Meinung aufdrängen.

Das Werk selbst ist von einer ziemlichen Weitläufigkeit, in Folio, 4 Alphabete stärk. Die Schrift ist sehr klein und unleserlich, auch hin und wieder – ich weiß nicht, aus was für Ursachen – Platz gelassen worden. Der Auszug, den ich gehen will, soll desto kürzer sein und mit Ausfüllung der leeren Stellen mögen sich diejenigen belustigen, welche in Ergänzung verstümmelter Altertümer, wo nicht glücklich, doch unermüdet sind.

Gleich durch den ersten Anblick des Buches wird man überführt, daß der Verfasser von einem besonderen Geschmacke und kein abgesagter Feind seiner Verdienste müsse gewesen sein. Man findet daselbst ein Bild, welches er vermutlich eigenhändig [32] entworfen hat, und das zwar nicht künstlich, doch ziemlich deutlich geraten ist. Es stellt die fliegende Fama vor, die zwei sehr dicke Backen und eine Trompete kennbar machen. An dieser hängt ein Tuch, worin man eine menschliche Figur mit einer runden Mütze, einem Überschlägelchen und einem altväterischen Kleide erblickt. Es ist eine Umschrift dabei, von der ich aber nichts als die beiden ersten Buchstaben erraten kann, welche nach meiner Einbildung P.L. lind wie ich glaube Pastor loci heißen, wiewohl sie auchPoeta laureatus heißen könnten. Aus den Wolken ragt eine Hand hervor, welche eine zusammengekrümmte Schlange und noch etwas faßt, das vermutlich ein Lorbeerkranz sein soll. Unten fesselt ein Genius die Zeit an einen Baum, in den die Buchstaben gegraben sind: SHNQTLQM. Wenn ich mich nicht irre, so zielen diese auf den Vers: Semper honos, nomenque tuum laudesque manebunt. Dabei stehen sehr viele Leute, welche mit Verwunderung und aufgehobenen Händen nach dem Bilde sehen. Sie sind alle sehr undeutlich gemalt, bis auf einen einzigen, den ich für den Schulmeister des Dorfs halte, weil er das Maul schrecklich aufsperrt. Die Aussicht stellt eine Landschaft und darin das Dorf Querlequitsch vor, über dem ein offnes Buch schwebt, das sonder Zweifel eine Konkordanz oder gar die Chronik selbst bedeuten soll. Ich finde diese Worte darin: Nil sine me. Dem Bilde gegenüber ist ein Blatt leer gelassen, auf welchem steht: Erklärung meiner Erfindung. Ob er aber seine Erfindung selbst nicht verstanden hat oder von dem Tode an der Erklärung verhindert worden ist, das weiß ich nicht. In Beschreibung dieses Bildes bin ich um deswillen weitläufig gewesen, damit man das Altertum des Buches daraus abnehmen könne; denn heutiges Tages und schon seit vielen Jahren sind dergleichen prächtige Bilder gar nicht mehr gebräuchlich.

Hierauf folgt der Titel, welcher ein neuer Beweis des Altertums und so weitläufig ist, daß man ihn ohne eine recht gesunde Lunge zu haben, in einem Atem nicht durchlesen kann. Ich will ihn ganz hersetzen: »Hellgeblasene Kriegstrompete und Friedensposaune! Das ist, eine kurz gefaßte Chronik des weitberühmten Dörfleins Querlequitsch an der Elbe, worin dessen beliebte, aber zuweilen betrübte Geschichte von den ältesten, mittlern und neuern Zeiten aus zuverläßigen Nachrichten, alter Leute Mund und andern Urkunden genommen, zugleich auch die darin einschlagende Geschichte der assyrischen, persischen, griechischen und römischen Monarchien, nebst den merkwürdigen Veränderungen der Kaisertümer, Fürstentümer [33] und Reiche, Leben und Thaten der Päpste, Kaiser, Königs Fürsten etc. nebst ihren guten und bösen Eigenschaften vorgetragen, die unergründlichen Wunder der Natur an Sonne, Mond und Sternen, ingleichen an Pflanzen, Bäumen, kriechenden und fliegenden Tieren, sowohl auf der Erde als im Wasser, auch was sonsten lebet, webet und Odem hat, lehrreich beigebracht und dadurch die verderblichen, abscheulichen und verteufelten Meinungen der Socinianer, Arianer, Pelegianer, Manichäer, Wiedertäufer, Molinisten, Syncretisten, Atheisten, Indifferentisten und aller Ketzer, die sich in -isten endigen, heftig und kräftig widerlegt, zur Warnung und Vermahnung, besonders aber zum Tröste des christlichen Häufleins in Querlequitsch mit beliebter Kürze und eilfertiger Feder entworfen durch N.«

Auf der ersten Seite steht die Zueignungsschrift an seinen lieben Schwiegervater und Gevatter Georg Klunkern, Bürgermeistern in Merane und des löblichen Schneiderhandwerks daselbst Oberältester. Er zeigt darin die Ähnlichkeit, welche das Städtlein Merane mit dem alten Rom habe, und nachdem er seinem Herrn Schwiegervater durch viele lateinische Stellen gezeigt hat, wer Cicero gewesen sei, so fragt er ihn und die ganze Bürgerschaft, ob Herr Klunker nicht ein anderer Cicero sei? Er beweist es durch Exempel und u.a. daraus, daß er den Stadtschreiber daselbst als einen gefährlichen Catilina aus ihren Mauern gejagt, so daß man billig ausrufen könne: Excessit! evasit! erupit!

Auf der 5. Seite schreitet er näher zu seinem Vorhaben und führt die Ursachen an, die ihn bewogen hätten zu schreiben. Er erzählt dieselben nach der Reihe und hält darunter die für die wichtigste, daß er dem heftigen und unaufhörlichen Bitten, Flehen und Drohen seiner Freunde. Gönner und Vorgesetzten mit gutem Gewissen nicht länger widerstehen und lieber der gelehrten Welt dieses Buch mitteilen als Anlaß zu einigen Gewaltthätigkeiten [habe] geben wollen.

Von der 9. bis zur 12. Seite zeigt er die Einrichtung des ganzen Werks, auf der 13. Seite aber dessen großen Nutzen und von S. 14 bis 19 erklärt er sich auf sechs Seiten, daß er wegen seiner vielen Amtsverrichtungen abbrechen und diese Zueignungsschrift schließen müsse, worauf auf der 20. und 21. Seite ein herzlicher Seufzer folgt.

Auf der 22. Seite stehen diese Worte: Ungeheuchelte Lobschriften und schuldige Ehrendenkmale auf den T.T. Herrn, Herrn N ... Verfasser der Chronik des Dörfleins Querlequitsch, [34] aufgerichtet von nachbenannten gelehrten Männern. Es hat aber der Herr N. solche vermutlich nicht erlebt, weil bis S. 40 leere Seiten in dem Manuscripte sind.

Auf der 40. Seite fängt endlich die Chronik selbst mit den großen Buchstaben Q.D.B.V. an. Gott aber schuf nur ein Männlein und ein Fräulein, sind seine ersten Worte und er zeigt sodann, wie wunderbar durch so viele Jahrhunderte Länder und Orte sich das menschliche Geschlecht fortgepflanzt, so daß jetzt nur allem in Querlequitsch 89 vernünftige Seelen zu finden wären, wobei er wünscht, daß sie möchten vor Krieg, Pest und teurer Zeit behütet werden, welches sie zwar mit ihren Sünden gar wohl verdient hätten.

Auf der 46. S. gerät er auf den Einfall, wie es wohl vor 1000 Jahren in Querlequitsch ausgesehen haben möge. Er ist der Meinung, daß die dasige Gegend zu der Zeit ganz und gar unbewohnt gewesen und vielleicht an dem Orte, wo jetzt die Kanzel stehe, nichts als Rohrdommeln in der Wüste gehört worden sind. Hierauf legt er seine ganze Gelehrsamkeit aus und redet von einem Cheruskerfürsten Arminius, von den Hermunduren und Mysen. Die Thracier und Scythen fallen ihm ein. Er erblaßt, wenn er an den Attila denkt und bewundert das Schicksal, welches die Vandalen aus dem kalten Norden in das heiße Italien geworfen, um die schönen Künste und Wissenschaften zu zerstören. Er besinnt sich auf die Longobarden und zieht zwölf gelehrte Männer an, welche diesen Namen von den langen Bärten herleiten.

Auf der 59. S. kommt er wieder zu sich selbst und erinnert, er hätte um deswillen in seiner Erklärung ausgeschweift, weil er beweisen wollen, wer ihre Vorfahren in dasiger Gegend gewesen wären. Die ganze Sache aber hält er für ungewiß und will lieber gar nichts als etwas Zweifelhaftes sagen, indem ein vernünftiger Mensch nichts reden müsse, als was er mit gutem Grunde behaupten könne. Er beseufzt den verderblichen Hussitenkrieg, in welchem vermutlich die schönsten Urkunden von diesem Dorfe verbrannt oder mit nach Böhmen geführt worden wären. Bei dieser Gelegenheit fällt ihm ein, daß Hus Gans heiße, und er lacht recht herzlich über die sanctem simplicitatem des Bauern, welcher in Costnitz ein Bündel Holz zum Scheiterhaufen getragen, diesen teurem Märtyrer zu quälen.

Auf der 66. S. will er, um mit Ehren und unbeflecktem Gewissen aus diesem Kram zu kommen, einem jeden hierin seine Meinung lassen. Genug, spricht er, daß wir müssen [35] Vorfahren gehabt haben; denn wo ein effectus ist, da ist auch eine causa; atqui, schließt er weiter, ich und alle Bauern zu Qu. sind ein effectus, ergo müssen wir eine causam gehabt haben, und diese sind eben unsre Vorfahren, welche ich im vorhergehenden so mühsam suchte. Durch eine ausführliche Note zeigt der Herr Autor, in welchem modo dieser Schluß sei und verwünscht den Aristoteles in den Abgrund der Hölle, weil er durch seine Sophisterei die ganze Welt mit Blindheit geschlagen habe. Am Rande stehen die Worte: O Vernunft, wie schändlich bist du! Die Tinte ist aber ganz frisch und die Züge sind nach der heutigen Art, daher ich vermute, diese Randglosse müsse nur etwa vor zwanzig Jahren gemacht sein.

Auf der 68. S. dankt er dem Himmel mit einem in brünstigen Ach! daß er ihm Weisheit und Kräfte verliehen habe, aus diesem Labyrinthe der Altertümer glücklich zu entkommen und die verwirrten Nachrichten ihrer Vorfahren in ein helles Licht zu setzen. Er beschreibt sodann mit ziemlicher Deutlichkeit die Lage, den Umfang, Größe, Zäune, Graben und Einteilung des Dörfleins Qu., welches ich aber alles unberührt lasse, weil der Ort jedermann bekannt und noch bis auf diese Stunde dessen äußerliche Beschaffenheit unverändert ist.

Auf der 80. S. besinnt er sich, daß er in Eile vergessen habe zu sagen, wo der Name Querlequitsch herstamme. Er hat aber so einen löblichen Abscheu vor alten Untersuchungen bekommen, daß er sich dabei nicht aufhält. Seine Meinung geht dahin, es sei wegen seiner anmutigen Lage in dem Papsttume querelarum quies genannt worden. Es kommt ihm dieses höchst wahrscheinlich vor, weil man nur die Buchstaben e und arum wegwerfen und ies in itsch verwandeln dürfe. Er beweist dieses auch nachdrücklich, indem er sagt, man müsse keine gesunde Vernunft haben, wenn man die Wahrheit davon nicht einsehen wollte.

Auf der 81. S. wird gehandelt von des Dörfleins weltlichen Hauptgebäuden und den damit verknüpften Gerechtsamen, Gerichten und Privilegien. Des gestrengen Junkers Rittersitz wird zuerst vorgenommen. Es ist keine Mauer, keine Stube, kein Ziegel auf dem Dache, welchen er nicht seiner Länge und Breite nach beschreibt, ja den Einfältigen zum besten hat er sogar einige Risse nebst dem Maßstabe beigefügt. Es gehört eine ziemliche Geduld dazu, wenn man alles durchlesen will. Doch darf ihm dieses nicht als ein Fehler ausgelegt werden, weil er nichts gethan hat, als was unsre Chronikschreiber mit einer unermüdeten Sorgfalt noch heutiges Tages thun.

[36] Unter dem Thorweg entdeckt er eine alte steinerne Figur, welche nach dem verfertigten Entwurfe vermutlich nichts anderes ist als eine Verzierung von Laubwerk; er will es aber für ein hochadeliges Wappen ansehen, woraus er verschiedene Verbindungen des gestrengen Junkers mit andern Familien und zugleich einige rechtsgegründete Ansprüche auf sechs Rittergüter ableitet.

Einen Turm, welcher den Bauern zum Gefängnisse dienen muß, hält er für besonders merkwürdig. Er nennt ihn ein Schrecken der Widerspenstigen und einen Tempel der Gerechtigkeit, den Gerichtsvogt aber sacerdotem justitiae und zeigt bei dieser guten Gelegenheit den gegründeten Unterschied zwischen dem geistlichen und weltlichen Arme.

Das Gemeindehaus kann er nicht mit Stillschweigen übergehen. Er macht eine beinahe ebenso lebhafte Abbildung davon als von dem Rittersitze; über die dabei stehende Linde aber, worunter die Bauern ordentlich zusammenkommen, bezeugt er eine herzliche Freude, weil sie ihn auf die Geschichte der alten abgöttischen Linden und die Gewohnheit, unter freiem Himmel Gericht zu halten, durch eine natürliche Ordnung bringt. Er handelt diese Materie mit vieler Belesenheit ab, und ich habe davon einige neuere Schriften gesehen, welche es ihm nicht gleichthun.

Auf der 140. S. folgen die geistlichen Hauptgebäude. Sie bestehen nur aus der Kirche, Pfarre und Schulwohnung. Bei jedem aber macht er eine lange Erzählung, und die Bilder sind auch nicht gespart. Ich will dem geneigten Leser mit einem Auszuge davon nicht beschwerlich fallen. Einige Umstände aber kann ich nicht unberührt lassen.

Wie lange die Kirche gestanden habe, weiß er eigentlich nicht, wohl aber, daß sie schon im Papsttume vorhanden gewesen. Die Geschichte der Reformation nimmt hier viele Seiten weg, und es kommt mir wahrscheinlich vor, daß Seckendorf sich dieses Manuskripts mit gutem Nutzen bedient habe. Den Weihkessel, welcher noch in der Kirche eingemauert ist, kann er ohne Thränen niemals ansehen, und er hält solches für etwas, das zum papistischen Sauerteige gehöre. Den wohleingerichteten und einträglichen Beichtstuhl aber nennt er einen Schmuck und eine Zierde des ganzen Tempels. Bei einem vorgehabten Kirchenbau hat sich hinter dem Altar etwas gefunden, welches der Herr Verfasser als eine alte Münze sehr hoch hält und nicht allein einen Abriß davon, sondern auch die Münze selbst beifügt. Anfänglich hat er gar nicht gewußt [37] was er daraus machen soll. Aber durch eine unermüdete Untersuchung und Beihilfe einiger gelehrten Freunde hat er auf einer Seite ein Roß im Wasser, aber auf der andern eine Figur gefunden, welche beinahe wie ein gekröntes Brustbild ausgesehen, mit der zwar etwas undeutlichen Umschrift vedkend. Seine Freude über diesen Fund ist ganz unaussprechlich. Er beweist, daß diese Münze Karl der Große auf Wittekinds Taufe habe prägen lassen. Er beschreibt die ganzen Kriege der Sachsen und ihre endliche Bekehrung und dankt dem Himmel mit gefalteten Händen, welcher solchen großen Schatz so lange erhalten und ihn mit dieser kostbaren Münze beseligt habe. Ich schickte sie unlängst dem berühmten Herrn Professor Köhler zu, um seine Meinung darüber zu vernehmen; er schrieb mir aber, es sei nichts anderes als ein alter verrosteter Deckel von einer Mithridatbüchse.

Er rühmt ferner den schönen Büchervorrat, womit die Sakristei ausgeziert sei, welche er deswegen armamentarium sacrum nennt, und versichert, es wären so viel praktische Bücher, Sterne und Kerne und andre biblische Rüstzeuge darin, daß man sich binnen einer halben Stunde mit einer trostreichen Predigt bewaffnen könne.

Das bei der Kirche angemachte Halseisen soll ein untrügliches Merkmal guter Polizeiordnung sein. Er wünscht, daß alle diejenigen daran geschlossen würden, welche sich nicht schämten, ihrem Pfarrer anstatt des guten Dezems Wicken und Trespe zu geben, da ihnen doch dieser das Wort Gottes lauter und rein predige.

Des Pfarrers Studierstube kommt ihm nicht anders vor als das trojanische Pferd. Aus diesem, sagt er, wären so viele tapfere Helden gestiegen, welche das hochmütige Troja in Asche gelegt hätten; aus jener aber trete eine erbauliche Predigt nach der andern hervor, welche das stolze Babel bestürme. Doktor Luthers Hauspostille nennt er sein Palladium, dessen ganze Geschichte er aus dem Altertume hervorsucht.

Von der 203. bis 279. Seite ist das Geschlechtsregister der gestrengen Junker von N., Erb-, Lehn- und Gerichtsherren auf Querlequitsch. Ich will nur einige davon anführen und mich, so viel als möglich, seiner eigenen Worte bedienen.

Hans von N. ward geboren 1429 und lebte 65 Jahre. Man weiß von ihm gar nichts weiter, als daß er einen sehr dicken Bauch gehabt hat.

Hans Ulrich von N., des Vorigen Sohn, hatte einen Jagdhund, welchen er unsäglich liebte. Als der Hund starb, schickte [38] er dem Pfarrer ebenso viel an Leichengebühren, als wenn ein Sohn gestorben wäre. Er mag ein löblicher Herr gewesen sein.

Georg von N. aß, trank und vermählte sich dreimal. Seinen Bauern war er gewogen, dem Pfarrer aber spinnefeind. Er wollte nicht leiden, daß ihm dieser auf der Kanzel die derbe Wahrheit sagte, da es doch an einem so privilegierten Orte geschah. Von undenklichen Jahren her hatte der Pfarrer des Sonntags auf dem Herrenhofe gespeist, dieser Georg aber brachte es ab. Er war ein rechter Atheist, ohne Gottesfurcht und Gewissen, und wie er lebte, so starb er auch; denn er fiel vom Pferde und brach den Hals. Nach dem Tode hat es heftig auf dem Grabe getobt, und des Pfarrers Frau hat es mit ihren Ohren gehört, daß es nicht anders gewesen sei, als wenn sich die Katzen gebissen hätten. Er starb ohne Kinder, und das Gut fiel an seinen Vetter Casimir von N.

Von der 280. bis 336. Seite sind die Leben der Kirchen- und Schuldiener daselbst beschrieben. Es ist dieses mehr ein Zusammenhang vieler Lobschriften als eine historische Erzählung; und wie dergleichen besondere und nach Befinden geheime Nachrichten nur wenigen Leuten gefallen können, den meisten aber ekelhaft sind: so ist auch von gegenwärtiger Abhandlung nicht zu leugnen, daß derjenige schlechterdings Pfarrer in Qu. sein muß, der ein Vergnügen daran finden soll. Ich will aber die Geduld meines Lesers nicht mißbrauchen und nur etwas weniges daraus anführen.

M. Heinrich Quad, ein ehrwürdiger Mann, predigte alle Woche einmal und starb. Er hat ein Buch geschrieben, welches den Titul führt: An sich selbst oder wohlgemeinter Unterricht für die einfältigen Pfarrherren, wie sie sich auf der Kanzel züchtig gebärden sollen. Mit Holzschnitten.

George Voigt verstand das Hauswesen vortrefflich und predigte ziemlich gut.

M. Curt Hauzius. Er war ein starker Zelot. Er ward allemal braun im Gesichte, wenn er an den Papst dachte, und hat 56 neue Ketzer gemacht. Er lebte in großer Uneinigkeit mit seinem Gerichtsherrn und hatte viel Verdruß mit der Gemeinde wegen des Pfarrbaues. Über das Pfingstbier hat er sich sehr ereifert, woran er auch starb.

M. Heinrich Bockstaudius sollte des Kanzlers Krell Ordonnanz unterschreiben, dessen er sich weigerte und des Amtes entsetzt ward. Der Herr Autor sieht diesen Umstand für merkwürdig an, weil er glaubt, dieser sei der Einzige unter allen Gelehrten, welcher lieber das Amt verlieren als etwas schreiben wollen.

[39] Bis hieher gehen die Kirchendiener, und es sind alsdann einige Blätter leer gelassen, welches mich, wie ich im Eingange erwähnt, aus die Vermutung gebracht, daß gegenwärtige Chronik nach Krells Tode geschrieben sei.

Von den Schuldienern des Orts, deren der Autor zwanzig namhaft macht, will ich nur einen einzigen erwähnen. Er heißt ihn Gall Veidt den Großen. Es kam mir zwar anfangs lächerlich vor, daß er einem Schulmeister diesen prächtigen Beinamen giebt, er behauptet es aber dadurch: Er (Veidt) habe zierlich schreiben und lesen können, die Kinder fleißig unterrichtet, die Kirche reinlich gehalten, die Glocken wohl geläutet, eine gute Passion singen können und alles vollkommen gethan, was einem rechtschaffenen Schulmeister gebührt. Mithin sei er zwar kein großer Held, aber doch ein großer Schulmeister gewesen.

Auf der 336. Seite findet man verschiedene gesammelte Nachrichten von gelehrten Querlequitschern, unter denen etwa folgende die berühmtesten zu sein scheinen.

Georg Greif, eines Bauern Sohn, legte sich auf die Rechte und advocierte in einem Städtchen unweit Magdeburg. Man hat als etwas besonderes an ihm wahrnehmen wollen, daß er sehr lange Finger und im Gesichte eine so dicke Haut gehabt, daß er niemals rot geworden ist.

Antonius Kuntz, gleichfalls einer der Rechte, wollte in Erfurt Doktor werden und disputierte deswegende capillamento Ulpiani, wobei er auf dem Katheder die Wichtigkeit seines Satzes mit solcher Heftigkeit verteidigte, daß er sich etwas im Leib zersprengte und kurz darauf starb.

Balthasar Wurzel, ein Arzt und geschickter Mann. Wenn ein Bauer Blähungen hatte, so wußte er gleich, wie sie auf griechisch heißen. Er erfand viele Universalmedizinen und Lebenstinkturen, starb aber in seinen besten Jahren und vermachte der Bürgerschaft zu Zwenkau bei Leipzig einen halben Acker Landes zu einem neuen Kirchhof.

Martin Pinsel, Ministerii Candidatus, war des alten Martin Pinsels, Pfarrers zu Querlequitsch, Herr Sohn. Seine Mutter that in ihrer Schwangerschaft ein Gelübde, wenn ihr der Himmel einen Sohn geben würde, so sollte er ein Pfarrer werden. Ihr Wunsch war zu allerseitigem Vergnügen erfüllt und der gute Pinsel von seinem Herrn Vater zu allen guten Wissenschaften und Künsten angehalten. Er hatte aber einen schweren Kopf, eine stotternde Sprache und ein langsames Gedächtnis, bezeigte auch wenig Lust zum Studieren, sondern wollte schlechterdings ein Grobschmied werden. Allein die [40] Mutter prügelte ihn so lange, bis er seinen Beruf erkannte, wobei er auch blieb und im 59. Jahre seines Alters als Informator zu Dresden sanft und selig entschlief.

Ilgen Pape, ein Meistersänger und possierlicher Mann. Er hatte sehr hohe Absätze an seinen Schuhen und ging beständig, als wenn er in Sand watete. Er schnaubte heftig, wenn er redete, und sang alles ab, was er sagte. Man hat ihn gar nicht lachen, wohl aber oftmals ohne Ursache weinen und zittern gesehen. Niemals war er vergnügter, als wenn es donnerte, und sah, ohne daß es ihm etwas schadete, in den Blitz. Er starb an der Schwulst und schrieb: Das blinde Alter oder Tobias, ein Trauerspiel.

Zacharias Pape, des Vorigen Bruder und auch ein Meistersänger, doch von jenem ganz verschieden. Er schminkte sich dergestalt, daß man niemals seine natürliche Farbe hat erfahren können. Die Hände wusch er sich in Rosenwasser und kaute beständig Süßholz. Sein Wams war mit Knöpfen von buntem Glase besetzt, und an dem Halse trug er ein ordentliches Pferdegeläute. In Nürnberg war er unter eine Bande Gaukler geraten; diese hatten ihn gelehrt, wie er seine Glieder auf eine erstaunliche Weise ausdehnen, in einem Augenblicke aber wieder zusammenziehen konnte, daß er nicht größer war als ein Igel. Er war sehr ungesund und hatte immer Anfälle von hitzigem Fieber. Seine Gedichte sind zusammengedruckt unter dem Titel Caniculares. Er schrieb ein Sinngedicht auf seine Leier und lachte sich darüber zu Tode.

Endlich machen auf der dreihundertvierundachtzigsten Seite allerhand vermischte Merkwürdigkeiten einen erwünschten Schluß. Die Züge sind hier in dem Manuskripte von den vorigen ganz unterschieden, und ich glaube, daß des Verfassers Ehefrau diese Merkwürdigkeiten niedergeschrieben habe. Meine Vermutung ist nicht unwahrscheinlich; die Sache aber behält doch ihren Wert, und die ganze Einrichtung ist noch jetzt nicht ganz altväterisch geworden. Ja ich kenne einen gelehrten Mann, von dessen Chronik man schwören sollte, daß seine Großmutter die angefügten Merkwürdigkeiten verfertigt habe.

Ich weiß nicht, ob ich mich um meine Leser verdient machen werde, wenn ich ihnen einen Auszug davon liefere. Vielleicht geben sie sich zufrieden, wenn sie auch nicht wissen, wie oft Soldaten daselbst im Quartiere gelegen und des gestrengen Junkers Feueresse gebrannt, oder die gnädige Frau in der [41] Küche zum Schrecken und schmerzlichen Beileid aller Anwesenden den Unterrock versengt habe. Ebenso erbaulich ist es, wenn man liest, wie oft die Bauern in Querlequitsch mit dem Durchfall heimgesucht worden sind. Die Geschichte von einem Pferdedieb, dessen Lebenswandel, Verbrechen, Gefangennehmung und erfolgter Strafe, macht viele Seiten aus, und die Unterredungen des Herrn Pfarrers mit diesem Diebe sind von einer ziemlichen Weitläufigkeit, an und für sich aber sehr erbaulich. Des Schulmeisters ältester Sohn, ein Kind guter Art und großer Hoffnung, ist anno 1542 jämmerlich in die Mitzpfütze gefallen, aber zu gutem Glück ohne Schaden. Wer diese und dergleichen klägliche Begebenheiten mehr wissen will, dem kann ich das Original selbst zeigen. Eine Frau, die den Drachen gehabt hat, könnte zwar viele leichtsinnige Gemüter aus ihrem verstockten Irrtum reißen, und das Himmelszeichen, welches man im Jahre 1541 als eine gewisse Vorbedeutung der sechs Jahre darauf erfolgten Mühlberger Schlacht gesehen, sollte wohl vermögend sein, die Hartnäckigkeit unserer Atheisten zu beschämen: allein mein Beruf ist nicht, Heiden zu bekehren; meine Schuldigkeit aber erfordert, den geneigten Leser nicht länger aufzuhalten. Ich schließe also mit denjenigen Worten, die am Ende meines Manuskripts stehen:


Exegi monumentum aere perennius,
Non omnis moriar

Schreiben von vernünftiger Erlernung der Sprachen und Wissenschaften auf höheren Schulen.

(Belustigungen des Verstandes und Witzes. Mai 1742).


Mein Herr!


Man hat mir gesagt, Sie wären seit etlichen Monaten mit einer Sammlung verschiedener deutscher Schriften beschäftigt. Bei dieser Gelegenheit bekommen Sie vermutlich viele Briefe von gelehrten Männern zu lesen. Ich zweifle aber doch nicht, Sie werden sich auf mein Bitten die kleine Gewalt anthun und einen Brief eines jungen Menschen aussehen, welcher nur vor wenig Wochen die niedern Schulen verlassen[42] hat und im Begriff steht, auf eine hohe Schule zu ziehen, um gewöhnlichermaßen längstens binnen 3 Jahren zu absolvieren. Daß ich mir diese Freiheit nehme, dazu veranlaßt mich ein Umstand, von dessen Wichtigkeit ich Sie bald überzeugen will.

Ich habe mich sechs Jahre lang in einer Schule aufgehalten, welche vor anderen Schulen einen Vorzug und zugleich den billigen Ruhm hat, daß viele große und gelehrte Männer den Grund ihres Glücks daselbst gelegt haben. Sobald ich die ersten Jahre überstanden und mich geschickt gemacht hatte, die Sache mit einer reifern Überlegung einzusehen, so ließ ich bei meinem unermüdeten Eifer diejenigen Wissenschaften mein Hauptwerk sein, zu denen ich den größten Trieb empfand, und welche ich für die edelsten unter allen hielt. Ich traue Ihnen die Einsicht zu, daß Sie von selbst erraten können, worin also meine vornehmste Bemühung bestanden habe.

Es ward uns Gelegenheit gegeben, die ältere und neuere Geschichte zu erlernen. Man lehrte uns die Geographie und andere davon abhängende Wissenschaften. Man bemühte sich, uns einen kleinen Vorgeschmack von den Rechten eines jeden Reiches und hauptsächlich unseres Vaterlandes beizubringen. Es wurden auf Kosten der Oberen Leute gehalten, welche die Jugend in der französischen und italienischen Sprache unterrichten sollten. Ja, was beinahe unglaublich ist, sogar in der deutschen Sprache gab man uns Anleitung. Die mathematischen Wissenschaften wurden getrieben, so viel es auf Schulen möglich ist. Von der Malerei, Musik und Tanzkunst will ich nicht einmal etwas erwähnen, so wenig als von der Anweisung, wie man die Buchstaben leserlich und schön schreiben soll.

Was meinen Sie davon, mein Herr? Ich weiß, Sie lassen mir die Gerechtigkeit widerfahren und trauen mir zu, daß ich die kostbare Zeit mit dergleichen Sachen nicht verderbt habe. Es wäre dieses ein Fehler gewesen, welchen man kaum mit dem gelinden Namen einer Jugendsünde hätte entschuldigen können; und ich glaube, meine Enkel würden sich dereinst schämen müssen, wenn man ihnen dergleichen gelehrte Schwachheiten ihres Großvaters vorwürfe.

Meine Bemühungen waren weit rühmlicher. Lateinisch, griechisch, hebräisch, die Redekunst und die Logik, dieses sind die Wissenschaften, worauf ich mich mit einem unersättlichen Fleiß und mit Ausschließung aller andern gelegt habe.

Ist es nicht kläglich, daß man die Jugend zu Erlernung [43] der Geschichte und besonders unserer gegenwärtigen Zeiten anhält? Dieses vermehrt ihre leichtsinnige Neugierigkeit, zu der sie ohnedem mehr als zu geneigt ist. Aus dieser Ursache habe ich mich jederzeit davor gehütet, und ich kann mir ohne eiteln Ruhm nachsagen, daß mir dasjenige, was nach dem Raube der Helena in Griechenland vorgegangen, weit bekannter ist als die Unruhe, worein Deutschland durch den Tod des Kaisers gestürzt sein soll. Wozu die Geographie und die zugehörigen Wissenschaften nützen, das kann ich nicht einsehen. Ich habe den Weg von der Schule nach meiner Heimat gewußt, ich will ihn auch wohl ohne Geographie nach Leipzig finden. Ich weiß die Namens- und Geburtstage meiner gnädigen Herrschaft; ich weiß, daß unser Herr Pfarrer einen Totenkopf mit einem Kreuze in seinem Petschaft hat: dieses hilft mir mehr, als wenn ich das ganze Geschlecht und alle Wappen des Kaisers von Fez und Marokko auswendig könnte. Daß ich die Rechte der Reiche und meines Vaterlandes lernen soll, solches scheint mir ein verwegenes Unternehmen zu sein. Es sind dieses Geheimnisse, welche man nicht erforschen, sondern den Regenten überlassen muß; zu geschweigen, daß man vielmals an den Höfen selbst nicht weiß, was Rechtens ist: wie will man es in den Schulen wissen! Die flatterhafte Eitelkeit der Franzosen und die Gemütseigenschaften der Italiener haben mir jederzeit einen Abscheu vor ihren Sprachen gemacht. Deutsch zu lernen, klingt gar lächerlich. Unser Thorwärter in der Schule konnte gutes Deutsch reden, ungeachtet er niemals in die Lehrstunden kam, und meine Mutter verstand mich allemal, wenn ich um Geld schrieb. Ich habe zwar gegenwärtigen Brief von einem meiner guten Kameraden durchsehen und die Schreibart ändern lassen; dieses geschieht aber mehr aus einer Gefälligkeit als innerlichen Überzeugung, daß es nötig sei. Daß die mathematischen Wissenschaften auf Schulen getrieben werden, das lasse ich eher gelten. Es kommen doch immer griechische Wörter darin vor. Die Malerei, Musik und das Tanzen schicken sich am besten für Frauenzimmer, und die Kunst, leserlich und schön zu schreiben, für den Pöbel. Denn gelehrte Leute müssen schlecht schreiben, dieses ist ein altes Herkommen.

Sagen Sie mir aufrichtig, mein Herr, wie gefällt Ihnen dieser Beweis? Nicht wahr, vortrefflich? Sollten Sie wohl in einem jungen Menschen so viel Verstand und einen so guten Geschmack suchen?

Die lateinische Sprache kam mir so einnehmend und reizend [44] vor, daß ich mich schäme, ein geborner Deutscher zu sein. In der griechischen Sprache fand ich etwas, von dem ich viel zu wenig sage, wenn ich spreche, daß es reizend und entzückend war. Ich habe mich vielmals gewundert, warum man sie nicht bei Hofe einführt, und ich bin ganz gewiß versichert, ein Frauenzimmer würde bei einer griechischen Liebeserklärung nimmermehr unempfindlich bleiben können. Daß ich hebräisch ohne Punkte verstehe, das ist das wenigste, dessen ich mich rühmen kann. Die Redekunst hatte mich recht bezaubert. Die Regeln und Muster, die ich mir erwählte, waren zwar nicht nach dem neuesten, jedoch nach meinem Geschmack. Besonders in den Figuren war ich sehr stark. Ich wußte alle ihre Vor- und Zunamen, und meine Reden, die ich hielt, bestanden in nichts als Fragen und Ausrufungen. Die Erlernung der Logik war meine ernsthafteste Beschäftigung. Zwar die gemeine Art zu denken, hat mir niemals gefallen wollen. Sie ist gar zu deutlich, und die Kunstwörter sind zu gespart. Wenn ich jemanden als ein Gelehrter überzeugen will, so muß meine Überzeugung kunstmäßig sein; und ich mag denken, was ich will, so denke ich in forma. Meiner Abschiedsrede kann ich mich ohne einige Selbstliebe nicht erinnern. Ich handelte von den Rauchfängen der alten Griechen und insonderheit der Lacedämonier. In welcher Sprache ich dieselbe eigentlich gehalten habe, solches kann ich Ihnen nicht sagen. Wenn ich Ihre Ohren nicht beleidigte, so würde ich sie Ebraico-Latino-Graecam nennen. Dieses letzte Meisterstück meiner Fähigkeit mochte wohl Ursache sein, daß man mir ein vortreffliches Schulzeugnis gab. Ich werde es mit nach Leipzig bringen und also die Ehre haben, Ihnen Brief und Siegel über meine Geschicklichkeit zu zeigen.

Bis hierher klingen meine Erzählungen ganz vergnügt. Sie werden den wichtigsten Umstand noch nicht einsehen können, welcher mich bewogen hat, an Sie zu schreiben. Sie sollen ihn gleich erfahren.

Von der Schule ging ich nach Hause zu meinem Vater, welcher im Gebirge ein adeliges Rittergut gepachtet hatte. Meine Absichten erforderten, daß ich unserm gnädigen Herrn sogleich meins Aufwartung machte. Er erkundigte sich nach der Einrichtung der Schule und besonders meines bisherigen Studierens. Ich erzählte ihm alles, was ich jetzt geschrieben habe, und ich glaube, ich erzählte ihm noch mehr. Seine Aufmerksamkeit machte mich beredt, und ich versprach mir schon im voraus die Anwartschaft auf eine Pfarre. Allein, wie sehr betrog ich [45] mich in meiner Hoffnung! Urteilen Sie selbst von meiner Bestürzung, die ich empfand, als mir derselbe mit einem ernsthaften Gesicht ungefähr also antwortete:

»Gewiß, mein Herr, ich bedaure Ihn; Sein Vater hat das Geld verloren und Er die Zeit verderbt. Er hat studiert und ist keinem Menschen zu etwas nütze. Wäre es nicht vernünftiger gewesen, wenn Er sich auf diejenigen Wissenschaften etwas mehr gelegt hätte, von denen Er geglaubt, daß sie so verächtlich und überflüssig sind? Muß Er sich nicht schämen, daß Er in Griechenland zu Hause und in Sachsen ein Fremdling ist? daß Er die Gesetze seines Solons versteht und nicht die geringste Kenntnis von den Rechten seines Vaterlandes hat? Hätte Er sich nicht mit den Sprachen der Ausländer wenigstens nur in etwas bekannt machen sollen, wenn Er sie auch allenfalls nicht besser gelernt hätte als die deutsche? Wie viel brauchen wir lateinische und griechische Sprachmeister? Ich tadle deswegen nicht an Ihm, daß Er lateinisch und griechisch gelernt hat. Dieses muß sein, und ein Gelehrter, der es nicht kann, kommt mir ebenso abgeschmackt vor als Er, da Er seine Muttersprache nicht besser versteht. Was glaubt Er wohl, daß ich mit meinem Schneider anfangen sollte, wenn er nichts arbeiten könnte als solche Kleider, wie sie Seneka und Sokrates getragen haben? Würde der Kerl nicht Hungers sterben müssen, wenn er sonst nichts gelernt hätte? Mit Seiner Redekunst lockt Er keinen Hund unter dem Ofen hervor, geschweige, daß Er die Gemüter seiner Zuhörer rühren sollte, und Seine Logik besteht aus Worten ohne Gedanken. Hat Ihm denn niemand auf der Schule gesagt, wie unentbehrlich es heutigestages sei, daß man die sogenannten gelehrten Sprachen und Künste mit den neueren Wissenschaften verknüpfe?«

Ich konnte dieses nicht leugnen. Ich gestand, daß einige meiner Lehrer mich deswegen vielmals getadelt und mir meine Bemühungen als unnütz vorgeworfen hätten. Ich sagte aber auch, daß andre meinen Eifer aufgemuntert und mir mit großer Zuversicht prophezeit hätten, ich würde dereinst die Zierde ihrer Schule, eine Brustwehr wider die einreißende Barbarei und eine Stütze des Vaterlandes sein. Er schüttelte den Kopf und ließ mich mit vielen derben Vermahnungen von sich gehen.

Wie meinen Sie wohl, daß mir damals zumute gewesen ist? Wahrhaftig, so hat sich wohl Plato kaum geschämt, als ihn Diogenes durch einen nackten Hohn wegen seiner irrigen [46] Meinung lächerlich machen wollte. Ich ging ganz bestutzt nach Hause.

Allein, das war noch nicht genug. Dieser Tag schien recht zu meiner Demütigung ausersehen zu sein. Ich fand unsern Hofmeister, welcher seinen Sohn mit vielem Eifer ausgescholten hatte. Ich hörte nur noch soviel, daß er zu ihm sagte: »Du bist mir ein braver Kerl! Du schickst dich zu allem, wie ein Esel zum Lautenschlagen. Ein Narr bleibt ein Narr, und wenn man ihn im Mörser zerstieße. Du kannst nichts, du hast nichts gelernt, du willst nichts lernen; was soll denn endlich aus dir werden? Halte dein Maul oder – fort! Packe dich! Geh mir aus den Augen!«

Ich erstaunte, als ich dieses hörte. Wie? dachte ich: unser Hofmeister, ein Bauer, ein Mann, der weder lesen noch schreiben kann, der versteht die Redekunst! Sarkasmus, Diasyrmus, Ploki, Anaphora, Ellipsis, Asyndeton – sind dieses nicht alle die Figuren, die ich jetzt von ihm gehört habe? Und der Kerl hat nicht studiert! Wie geht das Ding zu? – Ich redete ihn an. Ich fragte ihn, warum er sich so ereifert hätte? Was? sprach er, das ist mein Junge, und ich soll mich nicht ärgern, daß sich der Schlingel auf die faule Seite legt? Neue Wunder! Unser Hofmeister versteht auch die Logik: ist dieses nicht der bündigste Schluß in Darii? War es nicht ebensoviel, als wenn er gesagt hätte: Wer einen ungeratenen Sohn hat, welcher sich auf die faule Seite legt, der muß sich ärgern. Atqui, ich habe einen solchen ungeratenen Sohn. Ergo muß ich mich ärgern.

Ich muß es Ihnen gestehen, mein Herr, ich war damals ganz außer mir. Die empfindlichen Reden unseres gnädigen Herrn machten mich nur unruhig, dieser Hofmeister aber ganz und gar kleinmütig. Gehört zu einem Gelehrten heutigestages mehr als lateinisch, griechisch und hebräisch; kann auch der einfältigste Bauer in Figuren und Schlüssen reden, ohne daß er weiß, wie sie auf griechisch heißen oder in welcher Form sie sind: wozu nützt denn mir mein Fleiß? Warum habe ich mir denn so viele schlaflose Nächte gemacht? Sollte es wohl in der That vernünftiger sein, wenn man auf Schulen sich mit den Sprachen der Gelehrten zwar gründlich bekannt macht, zugleich aber auch in den neuern Sprachen und (wie man sie nennt) in den galanten Wissenschaften sich übt? Sollte es wohl lächerlich sein, wenn man sich einbildet, die Erlernung einiger Kunstwörter machte uns zu Rednern und Philosophen?

[47] Nein, ich kann mich dieses nicht bereden. Ich gehe von der einmal gefaßten Meinung nicht ab. Das sei fern von mir. Und ich werde Ihnen, mein Herr, ungemein verbunden sein, wenn Sie mich zu meiner Beruhigung in diesem Urteile bestärken wollen. Ich werde dafür ohne alle Figur in bester Form verharren,


Dero

ergebenster Diener

Irenäus Mastigophorus,

sonst Friedrich Geißelmann genannt.


P.S. Ich habe bei müßigen Stunden des Hieronymus Comitem sive Lectionarium denen zum besten in griechische Verse übersetzt, welche der lateinischen Sprache nicht mächtig sind. Weil ich nun glaube, daß es eine besondere Belustigung des Witzes abgeben kann, so übersende ich Ihnen diese Übersetzung zu beliebigem Gebrauch.

Von Unterweisung der Jugend.

(Belustigungen des Verstandes und Witzes. Oktober 1742).


Ich habe unsern gestrigen Unterredungen weiter nachgedacht, mein werter Hermann. Wir bemühten uns, ausfindig zu machen, warum es so schwer sei, eine gründliche Gelehrsamkeit zu erlangen, und woher es komme, daß so wenige unter den Gelehrten den ansehnlichen Titel verdienen, mit welchem sie ihre Blöße sorgfältig zu bedecken wissen.

Die von dir angeführten Ursachen sind wichtig genug. Die blinde Liebe der meisten Eltern geht dahin, ihre Kinder zu ansehnlichen Mitgliedern des gemeinen Wesens zu machen. Der Sohn muß studieren, damit er Doktor werden kann. Er hat weder die Fähigkeit noch den Willen, etwas Rechtschaffenes zu lernen. Er lebt also sich zur Last und dem Vaterlande zum Schimpf. Wäre dieser ein Schneider geworden, so würde er gewiß sein Brot verdienen – da er jetzt von der Sparsamkeit seiner Vorfahren oder dem Einbringen seiner Frau leben muß.

Du hast recht, mein Freund; vielleicht aber giebst du mir auch Beifall, wenn ich eine Ursache anführe, welche noch allgemeiner ist.

[48] Erwäge nur einmal, wie die Anführung unsrer Jugend zu der Gelehrsamkeit beschaffen ist. Bis in das zehnte Jahr überläßt man uns der Aufsicht der Frauenzimmer, welche glauben, sie haben genug gethan, wenn sie uns reinlich halten, wenn sie uns lesen lehren und allenfalls einige Fragen aus dem Katechismus ins Gedächtnis bringen. Nunmehr ist es Zeit, daß man uns der Aufsicht eines Hofmeisters übergiebt. Ob er von guten Sitten, ob er fleißig, ob er gelehrt ist: darnach fragt man nicht. Aber, wie viel verlangt der Herr für seine Mühe? das ist unsre erste Frage. Der Wohlfeilste bleibt allemal der Beste. Dieser führt uns eben den Weg, welchen er selbst unter so vielen Seufzern und Thränen gegangen ist.

Ein Gelehrter muß die lateinische Sprache verstehen. Die Sache hat ihre Richtigkeit. Man wählt also eine Grammatik, welche die beste zu sein scheint. Durch eine unermüdete und oftmals nachdrückliche Unterweisung fassen wir eine Menge dunkler Kunstwörter und weitläufiger Regeln, welche wir gewiß noch weniger verstehen als die Sprache selbst, die wir daraus erlernen sollen. Endlich überwinden wir diese Schwierigkeit. Man giebt uns des Cicero Schriften nebst andern Büchern zu lesen, und unsre Väter weinen vor Freuden, wenn sie sehen, daß ihre Kinder im zwanzigsten Jahre dasjenige begriffen haben, was zu des Cicero Zeiten in Rom ein Junge von fünf Jahren verstand. Nunmehr zieht der gelehrte oder (besser zu sagen) der lateinische Sohn auf hohe Schulen.

Du darfst von ihm nicht verlangen, daß er in der alten und neuern Geschichte, in der Geographie, Genealogie, Zeitrechnung, Wappenkunst und dergleichen erfahren sein und einen Vorschmack von der Mathematik, Weltweisheit und andern Wissenschaften erlangt haben sollte. Dazu hat er nicht Zeit gehabt, er hat müssen Latein lernen. Es würde lächerlich sein, wenn du ihn fragen wolltest, ob er deutsch verstände? ob er einen guten Brief schreiben könnte? Er ist ja ein Deutscher, er ist in Meißen geboren; sollte er nicht deutsch verstehen? Von der griechischen Sprache hat er noch zur Not so viel begriffen, als er auf der hohen Schule binnen drei Jahren zu verlernen gedenkt. Wie geschwind verlaufen diese! Er muß eiligst nach Hause. Sein Vater verlangt es, weil ein Amt und eine reiche Frau auf ihn warten. Nunmehr ist unser Gelehrter fertig.

Sage mir, mein Freund, ob nicht dieses die gewöhnlichste Art sei, unsre Jugend zu unterweisen. Du wirst es nicht [49] leugnen können; du wirst aber auch zugleich gestehen müssen, daß solches die wahrhafte Ursache sei, warum nur so wenige sich eine rechtschaffene Gelehrsamkeit erwerben. Der ganze Fehler beruht meines Erachtens darin, daß wir glauben, wer die lateinische Sprache verstehe, der sei ein Gelehrter, und daß wir durch eine weitläufige Erlernung derselben diejenige Zeit versäumen, welche wir zugleich auf nützlichere Sachen verwenden sollten.

Aber soll ein Gelehrter kein Latein verstehen? Dieses ist meine Meinung keineswegs. Ich behaupte vielmehr, daß er in dieser Sprache ebenso stark sein müsse als in seiner Muttersprache. Nur das kann ich nicht begreifen, warum wir der Jugend die Erlernung derselben so schwer machen.

Der alte Richard, welcher gestern in unsrer Gesellschaft war, soll mir zum Beweise meines Satzes dienen. Du kennst seinen Sohn, der jetzt durch wirkliche Verdienste unter den Gelehrten eine ansehnliche Stelle bekleidet. Kaum hatte dieser das sechste Jahr erreicht, als ihm sein sorgfältiger Vater der Aufsicht eines jungen Menschen anvertraute, welcher ihm die nötigsten Gründe unsers Glaubens beibringen und ihn zu einer wohlanständigen Aufführung gewöhnen sollte. Alles, was er mit dem Knaben redete, was ihn dieser fragte, das mußte, soviel es möglich sein wollte, in lateinischer Sprache geschehen. Jede Sache, die im Hause, auf der Gasse, in der Küche oder im Garten vorkam, die gemeinsten Geschäfte, welche täglich vorfielen, wurden auf lateinisch benannt. Diese Bemühung ging glücklich von statten. Nach Verlauf einer Zeit von vier Jahren war der junge Richard schon vermögend, sich in der lateinischen Sprache ordentlich und deutlich auszudrücken und regelmäßig zu reden, ohne zu wissen, warum er seine Worte eben so und nicht anders setzen müsse. Nunmehr glaubte man, daß es Zeit wäre, ihn die vornehmsten Regeln der Grammatik zu lehren, und weil er die Sprache schon verstand, so faßte er diese in wenigen Monaten.

Die griechische Sprache war ihm als einem künftigen Gelehrten zu wissen unentbehrlich. Weil aber sein Vater meinte, es sei eine gelehrte Eitelkeit, griechisch zu reden oder dergleichen Schriften und Gedichte zu verfertigen, so schien es genug zu sein, ihn nach den ordentlichen Regeln so weit zu bringen, daß er alles verstände, was griechisch abgefaßt wäre. Er erlangte auch solche Geschicklichkeit wirklich in wenigen Jahren. Weil man dieses nicht zu einem Hauptwerk machte, [50] so blieben noch Stunden genug übrig, ihm in andern Künsten und Wissenschaften Unterweisung zu geben.

Nach unserer heutigen Einrichtung ist es eine bekannte Sache, daß die französische Sprache oft weit unentbehrlicher ist, als alle toten Sprachen der Morgenländer. Man nahm also einen Franzosen an, welcher ihn durch Unterricht und fleißigen Umgang zu der gehörigen Vollkommenheit brachte.

Hatte ihm sein Hofmeister schon in den ersten Jahren bloß durch Gespräche – wo nicht eine Kenntnis von der Historie, dennoch eine Lust dazu beigebracht, so war es nachher um so viel leichter, auch darin weiter zu gehen. Die ältere Geschichte wurde nicht vergessen; die neuere aber – und besonders die Geschichte seines Vaterlandes – blieb allemal der Hauptzweck.

Die größeren Schriften der lateinischen Redner und Poeten wurden zugleich sorgfältig durchgegangen, nicht sowohl die Redensarten daraus zu erlernen, als vielmehr ihren ganzen Bau und die Bündigkeit des Vortrags einzusehen. Hierdurch lernte unser Richard die Zärtlichkeit einer Ode, die Stärke eines Heldengedichts und diejenigen Ursachen kennen, welche den Cicero zu einem Redner gemacht haben.

Was konnte ihm auf eine solche Art wohl leichter fallen, als auch in seiner Muttersprache die Geschicklichkeit zu erlangen, die einem Gelehrten so wohlanständig ist?

Man brachte ihm einen Begriff von der Weltweisheit bei, so weit er nämlich bei seinem damaligen Alter dazu vermögend war; und man brauchte zugleich die Vorsicht, die Kräfte seines Verstandes und Nachdenkens durch die mathematischen Wissenschaften zu schärfen und in Ordnung zu bringen.

Zu seiner Gemütsergötzung ward ihm ein Tanzmeister und ein Zeichenmeister nebst andern Künstlern gehalten, und Richard ist dennoch ein Gelehrter, ob er gleich wider die bisherige Gewohnheit gelernt hat, wie man leserlich und zierlich schreiben müsse.

Wenn ich davon noch nichts gesagt habe, wie sorgfältig man ihn von Zeit zu Zeit in seinem Christentum unterwiesen, so darf man darum nicht denken, als ob dieses verabsäumt worden wäre. Du kennst seinen vernünftigen Vater, das ist schon genug.

Auf solche Weise ward der Grund zu derjenigen Gelehrsamkeit gelegt, welche Richard nunmehr besitzt. Nur dieses muß ich noch erinnern, daß man ihn erst im neunzehnten Jahre auf die hohe Schule that, ungeachtet er die Kräfte vielleicht eher gehabt hätte, den Degen zu tragen. –

[51] Das Beispiel dieses gelehrten Mannes überhebt mich aller Mühe, einige Regeln von der Unterweisung der Jugend in den ersten Jahren zu geben. Vielleicht zweifelst du aber, ob diese Art, die Jugend zu unterweisen, auch allgemein und bei andern ebenfalls mit Nutzen anzuwenden sei? Ich getraue mir, solches zu behaupten.

Ist es wohl schwerer, die lateinische Sprache zu erlernen, als die französische oder die deutsche? Das kannst du nicht sagen. Wie alt bist du gewesen, als du deutsch reden konntest? und entsinnst du dich wohl, daß du schon im achten Jahre mit einer Französin zu plaudern vermögend warst? Der Umgang, eine fleißige Übung und der Mangel einer verwirrten Methode und ekelhafter Regeln brachten dich so zeitig zu die ser Geschicklichkeit. Eben das verlange ich bei der lateinischen Sprache. Wo findet man aber diejenigen, welche geschickt sind, die Jugend auf solche Weise zu unterweisen? Wie viele giebt es nicht, die zwar wissen, wie sie auf dem Katheder, aber nicht, wie sie in der Küche lateinisch reden sollen? Wir beide haben studiert, wir lassen uns beide Gelehrte nennen, und dennoch sollte es uns schwer fallen, die gemeinsten Handlungen der Menschen auszudrücken. Ich gebe dieses zu, mein werter Hermann; ich glaube aber, daß dein Einwurf die Wahrheit meiner Meinung nicht widerlegt, sondern nur noch mehr bekräftigt.

Wären wir, wären andere in ihrer Jugend besser angeleitet worden, so würde es uns und anderen an der Geschicklichkeit nicht fehlen, welche man allerdings bei wenigen antrifft. Unterdessen will ich dir doch verschiedene aufweisen, welche diese Geschicklichkeit wirklich besitzen – noch mehrere aber, welche gar wohl fähig wären, solche zu erlangen, wenn man nur ihre Bemühung durch billige Vergeltungen aufmunterte.

Die Schuld fällt allemal auf die Eltern zurück, welche die Art, ihre Kinder zu unterweisen, entweder selbst nicht verstehen oder aus Geiz die nötigen Kosten scheuen. Du kennst jenen Vater, welcher mehr auf seine Pferde wendet, als auf seinen Sohn. Er scheut keine Kosten, seinen Pudel recht abrichten zu lassen; wenn er aber dem Lehrmeister seines Sohnes ein Quartal bezahlen soll, so geschieht es niemals ohne innerlichen Widerwillen.

Bedächten wir nur, daß das Glück unserer Kinder, daß unsere eigene Ehre auf eine vernünftige Unterweisung derselben ankäme, so würden wir hierin eher verschwenderisch als karg sein, und ich weiß gewiß, es würden sich viele finden, welche [52] vermögend wären, alles dasjenige zu leisten, was ich von einem Lehrmeister gefordert habe.

Bedächten wir aber auch, daß sich von unsern Kindern nur diejenigen den Studien widmen sollten, denen die Natur die Fähigkeit dazu verliehen hat, so würden wir sehen, daß es sehr leicht ist, die Jugend nach derjenigen Art zu unterweisen, welche mir die vernünftigste zu sein geschienen hat.

Anmerkung. Ein würdiges Seitenstück zur Erziehung des männlichen Geschlechts, wie Rabener sie hier und an anderem Orte schildert, ist die Darlegung, welche er über die Erziehung der Töchter in der »Trauerrede eines Witwers auf den Tod seiner Frau« uns zum besten giebt: Sie wissen, meine Herren, daß ich der Vater einer Tochter bin ... Meine Frau hat diese Tochter zur Welt gebracht und also alles verrichtet, was man von einer Mutter fordern kann. Der Wohlstand nötigte sie, eine Amme zu wählen, welche die Pflichten der Ernährung über sich nähme. Schon im zweiten Jahre zeigte das Kind zum un aussprechlichen Vergnügen seiner wertesten Mama die deutlichsten Proben eines durchdringenden Verstandes, da es mit der größten Heftigkeit dasjenige verlangte, was ihm einfiel, und mit Händen und Füßen seinen Unwillen bezeugte, wenn jemand so unbedachtsam war und ihm widersprach ... Man war sehr sorgfältig, meine Tochter zu unterweisen. Das erste, was sie von ihrer Muttersprache lernte, war dieses: sie sei ein artiges Kind, und wenn sie fromm wäre, so sollte sie auch einen hübschen Mann bekommen ... Im 4. Jahre verstand sie die Wirkung des Spiegels; im 5. erlangte sie einen Geschmack von schönen Kleidern; im 6. war sie vermögend, über ihre Gespielinnen zu spotten; im siebenten saßte sie die Regeln des L'hombres und andern Zeitvertreibs; im 8. unterwies man sie in der Kunst, zärtlich zu blicken und artig zu seufzen; und nunmehr war meine Frau eben im Begriff, ihr eine kleine Kenntnis von dem beizubringen, was der gemeine Mann Christentum und Wirtschaft nennt, als eine unverhoffte Krankheit diese sorgfältige Mutter von ihrer hoffnungsvollen Tochter trennte.

Irus.
Eine lucinianische Erzählung.

(Belustigungen des Verstandes und Witzes. November 1742.)


Irus, der verlassene Irus, dessen Nahrung in Brot und Wasser, die Kleidung in einem zerrissenen Mantel und das Lager in einer Handvoll Stroh bestand – dieser ward auf einmal der glücklichste Mensch unter der Sonne.

Die Vorsicht (Vorsehung) riß ihn aus dem Staube und setzte ihn den Fürsten an die Seite. Er sah sich in dem Besitz [53] unermeßlicher Schätze. Sein Auge erstarrte vor dem ungewöhnlichen Glanze des Goldes. Sein Palast war weit prächtiger ausgeputzt als die Tempel der Götter. Purpur und Gold waren seine schlechteste Kleidung, und seine Tafel konnte man billig einen Inbegriff alles dessen nennen, was die wollüstige Sorgfalt der Menschen zur Unterhaltung des Geschmacks ersonnen hatte. Eine unzählbare Menge schmeichelhafter Verehrer folgte ihm auf allen Schritten.

Würdigte er jemand eines geneigten Blickes, so hielt man denselben schon für glückselig, und wer seine Hand küssen durfte, der schien allen beneidenswert zu sein. Er glaubte, der Name Irus sei ihm ein beständiger Vorwurf seiner vormaligen Armut, er nannte sich also Keraunius oder den Blitzenden, und das ganze Volk frohlockte über diese edelmütige Veränderung. Ein Dichter, welcher ihn vormals nur zum Spott den armen Irus genannt hatte, dieser hungrige Dichter entdeckte eine Wahrheit, die bisher jedermann unbekannt gewesen, aber jetzt von allen mit einem schmeichlerischen Beifall angenommen wurde: Jupiter hätte sich in des Keraunius Mutter verliebt und in einen Ochsen verwandelt gehabt, um ihrer Liebe zu genießen. Nunmehr baute man ihm Altäre, man schwor bei seinem Namen, und die Priester waren beschäftigt, in dem Eingeweide des Opferviehes zu finden, daß der große Keraunius, dieser ehrwürdige Sohn des Jupiters, die einzige Stütze von ganz Ithaka sei.

Toxaris, sein ehemaliger Nachbar, ein Mann, welchen das Glück, ein unermüdeter Fleiß und eine vernünftige Sparsamkeit zu einem reichen Bürger gemacht hatten, war das erste Opfer seiner ungezähmten Begierde. Er hatte ihn schon damals beneidet, als er noch Irus hieß; und nunmehr war es Zeit, daß er ihn empfinden ließ, was derjenige vermöge, dessen Vater den Donnerkeil in den Händen trage. Es traten Zeugen auf, welche behaupteten, Toxaris habe die Götter geleugnet, die Tempel beraubt, die Priester verspottet und durch ungerechtes Gut seine Schätze vermehrt. Er ward ins Gefängnis geworfen und zu einem schmählichen Tode verdammt. Seine geängstete Frau, seine unschuldigen Kinder warfen sich mit Thränen zu den Füßen unseres unempfindlichen Tyrannen; aber umsonst. Toxaris mußte sterben, und alle, die ihm angehörten, mußten ins Elend gehen. Irus blieb sein einziger Erbe.

Noch etwas fehlte ihm an seiner Glückseligkeit. Er wollte sich vermählen. Die Vornehmsten des Landes waren bemüht, [54] in seine Verwandtschaft zu kommen. Menippus war allein so glücklich, daß Irus auf seine Tochter Euphorbia die Augen warf. Er hoffte durch eine nähere Verbindung mit dem angesehenen und reichen Menippus sein eigenes Glück noch mehr zu befestigen; und Euphorbia war schön genug, sein Herz einzunehmen. Ihr lockichtes Haar, ihre erhabene Stirn, ihre feurigen Augen, ihr reizender Mund, ihre bezaubernde Brust, ihr majestätischer Gang – kurz, ihre ganze Gestalt hatten den hochmütigen Irus gefesselt, und alle Dichter in Ithaka schworen, daß Venus mehr als einmal über diese Schöne eifersüchtig geworden sei. Die Vermählung ging vor sich. Der große Sohn des Jupiter eilte, seine Geliebte zu küssen. O! sprach er, indem er sie umarmen wollte, o, wie vergnügt ...

Hier erwachte Irus, seine Glückseligkeit war nur ein Traum gewesen. Er lag noch auf eben dem Stroh, worauf er sich gestern gelegt, noch unter eben dem zerrissenen Mantel, womit er sich den Abend zuvor bedeckt hatte. Keraunius war verschwunden, und der unschuldige Toxaris lebte noch.

Versuch eines deutschen Wörterbuchs.

1751.


Da einige Gelehrte unter uns so mutig sind und es wagen, ihrer deutschen Muttersprache sich nicht weiter zu schämen, so werde ich es verantworten können, daß ich mir vorgenommen habe, durch gegenwärtigen Versuch den Plan zu einem vollständigen deutschen Wörterbuche zu entwerfen.

Ich habe gefunden, daß viele deutsche Wörter so unbestimmt sind, daß oftmals derjenige, der sie braucht, etwas anderes dabei denkt, als er eigentlich denken sollte; und derjenige, der sie hört, wird, wo nicht gar betrogen, doch leicht irr gemacht.

Es wird daher unumgänglich nötig sein, daß die Gelehrten sich mit vereinten Kräften bemühen, die wahrhaften Bedeutungen der Wörter festzustellen. Der Vorteil, den wir im gemeinen Leben davon haben werden, ist unaussprechlich. Wir werden einander besser und mit völliger Zuverlässigkeit verstehen, alle Zweideutigkeiten werden sich verlieren, und mancher, den man jetzt aus Mißbrauch einen gepriesenen, Mäcenas genannt hat, wird künftig hören, daß er ein Dummkopf sei.

Ich ersuche meine Landsleute um ihren Beitrag zu diesem [55] Wörterbuche. Für mich allein ist dieses Werk viel zu groß und wichtig. Vielleicht bin ich zu offenherzig, daß ich dieses Bekenntnis von mir selbst thue. Bei denen, welche glauben, derjenige sei noch kein rechter Gelehrter, der nicht wenigstens sechs Folianten edieren könne: bei diesen werde ich mich durch meine Bescheidenheit in schlechte Hochachtung setzen. Aber es sei darum! Kommt nur mein Wörterbuch zustande, so wird es sich alsdann schon zeigen, ob diese arbeitsamen Kreaturen noch ferner Gelehrte werden können, ohne der Sprache Gewalt anzuthun.

Von der Einrichtung dieses Wörterbuchs habe ich nicht nötig, etwas weiter zu erinnern. Aus den Proben, welche ich davon liefere, wird man meine Absicht deutlicher sehen können. Ich verlange darin etwas mehr als eine grammatische Abhandlung. Meinethalben mag man es Reallexikon nennen, ich bin es zufrieden. Glaubt man, daß ich bei einigen Artikeln zu weitläufig gewesen bin und Sachen ausgeführt habe, welche die Absicht und die Grenzen eines Wörterbuches überschreiten, so will ich diesen Vorwurf doch lieber leiden als etwas ausstreichen. Ich will hundert Artikel im Bayle aufweisen, wo man deutlich sieht, daß der Titel der Anmerkungen wegen dasteht, und dennoch bleibt es Bayles Wörterbuch.

Ich habe weiter nichts zu erinnern, als daß ich mein Vorhaben den Gelehrten nochmals aufs beste empfehle, damit ich dieses wichtige Werk durch ihre Beihilfe sobald als möglich zustande bringen könne. –


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Menschenfeind. Unter diesem Namen verstehen einige Sittenlehrer gemeiniglich diejenigen verdrießlichen und mürrischen Leute, welche mit ihrem Schöpfer hadern, daß er sie zu Menschen gemacht hat, und welche niemals mißvergnügter sind, als wenn sie sich in Gesellschaft anderer Menschen befinden. Ich will nicht untersuchen, wie weit diese Sittenlehrer recht haben. Ich glaube aber, daß noch eine andere Bedeutung des Wortes Menschenfeind statthaben kann.

Ich setze, und zwar vermöge der Erfahrung, voraus, daß gemeiniglich der Mensch nichts anderes ist als ein Tier, welches nur sich für vollkommen, alle andere menschliche Tiere aber, die um dasselbe herum sind, für fehlerhaft und lächerlich hält; welches diejenigen Pflichten gegen andere niemals ausübt, die es doch von andern verlangt; welches glaubt, daß alles, was erschaffen ist, nur seinetwegen erschaffen ist; welches [56] sich Mühe giebt, dasjenige zu scheinen, was es nicht ist; welches sehr mühselig lebt, um elend zu sterben; welches thöricht ist, weil es das Vermögen hat, vernünftig zu sein; und welches nicht leiden kann, daß man ihm alle diese Wahrheiten vorsagt. Wer so verwegen ist, dieses zu thun, der ist sein Feind.

Menschenfeinde sind also Leute, welche dieWahrheit sagen – ein häßliches Laster, wodurch man die glückselige Einbildung andrer Leute stört und zugleich sein eigenes Glück hindert.

Ein Menschenfeind würde ich sein, wenn ich sagen wollte, daß Neran unter dem Vorwande seiner obrigkeitlichen Pflicht Ungerechtigkeiten ausübte, die Bürger um ihre Nahrung brächte, mit dem Schweiße gedrückter Unterthanen wucherte, die Seufzer der Witwen wider sich reizte und das Vermögen verlassener Mündel an sich risse ... Alles dieses thut Neran, es ist wahr. Ich aber hüte mich wohl, dem Neran dieses vorzuhalten, denn ich mag keines Menschen Feind sein. Einen Vater des Vaterlandes, einen Priester der Gerechtigkeit, den großen Neran nenne ich ihn, so oft ich zu ihm komme – und ich befinde mich wohl dabei. Wie Neran ist, so sind noch viele andere; und ich würde von den größten Palästen anfangen und bis in die Hütten des geringsten Landmanns gehen können, wenn ich nötig hätte, durch mehrere Exempel zu beweisen, daß man ein Menschenfeind würde, sobald man die Wahrheit sagt.

Und wie froh wäre ich, wenn meine Lehren einen Eindruck bei den boshaften, gefährlichen, unbedachtsamen, verstockten (ich weiß beinah nicht, wie ich sie arg genug schimpfen soll) – mit einem Wort: bei den verhaßten Satirenschreibern fänden, welche einen rechten Beruf daraus machen, Erbfeinde der Menschen zu sein ... So lange die weltliche Obrigkeit nicht Anstalt macht, diese Menschenfeinde auszurotten, so lange wird ein Betrüger nicht eine Stunde sicher sein können, den angemaßten Titel eines ehrlichen Mannes zu behaupten ...

Unter diesen satirischen Menschenfeinden halte ich diejenigen für die unerträglichsten, welche mit lachendem Munde das Thörichte an den Menschen entdecken. Nichts erbittert mehr als eine solche Wahrheit, die man uns mit einer spöttischen Miene sagt; denn oftmals sind wir hierin den Affen gleich, welche nie grimmiger werden, als wenn man sie spottend nachahmt und die Zähne bleckt.

Zum ewigen Ruhme unsers schönen Geschlechts muß ich [57] erinnern, daß alles, was ich bisher gesagt habe, von ihm nicht zu verstehen ist. Nichts auf der Welt ist ihm angenehmer als eine ungeheuchelte Wahrheit, und bei ihm ist nur der ein Menschenfeind, welcher schmeichelt ... So merklich sind die Vorzüge, welche solches Frauenzimmer vor uns eingebildeten Männern hat, welches wir doch aus einem lächerlichen Stolze nur ein schwaches Werkzeug nennen.

Pflicht. Pflicht, Amtspflicht, teure Pflicht, Pflicht und Gewissen – sind bei unterschiedenen Leuten, die in öffentlichen Geschäften stehen, eine gewisse Art Formeln, welche zu den Kurialien gehören. In der That haben sie weiter nichts zu bedeuten, als was die übrigen Kurialien bedeuten; inzwischen aber sind sie doch so unentbehrlich als diese und gehören mit zur Legalität.

Einen in Pflicht nehmen – wird also bei dergleichen Leuten so viel heißen, als einem ein Amt geben, worin er unter dem Vorwande seiner aufhabenden Pflicht dasjenige ausüben kann, was ein Unverpflichteter zu thun nicht wagen darf, ohne seine Leidenschaften zu verraten. Weil in gewissen Gegenden geistliche und weltliche Ämter nicht anders als durch viele Geschenke und aufzuwendende Unkosten erlangt werden, so ist es gar wohl zu verstehen, was die geleistete teure Pflicht heißt; und alsdann wird der Ausdruck: seine Pflicht sorgfältig zu erfüllen suchen, nichts anderes sagen, als wenn ich spräche: sich sorgfältig bemühen, auf alle mögliche Art von andern so viel wieder zu erpressen, als das Amt gekostet hat.

Es läuft wider meine Pflicht, wird ein gewissenhafter Richter sprechen, wenn ihm der Beklagte Geschenke anbietet. Ein vernünftiger Beklagter aber wird es gar leicht begreifen, daß des gewissenhaften Richters Frau Liebste nicht in Pflichten steht .... Ich habe einen Schösser gekannt, welcher das Expensbuch beständig vor sich liegen hatte und daher von sich selbst rühmte, daß er seine Pflicht niemals aus den Augen ließe .... Ex officio arbeiten, würde ein Schulmann vielleicht durch pflichtmäßig arbeiten übersetzen. Aber das wäre ein erschrecklicher Schnitzer wider den juristischen Donat. Wer es gründlicher lernen will, was das bedeutet, den will ich an einen gewissen Amtmann weisen. Wenn dieser über die nahrlosen Zeiten und den Verfall der Sporteln klagt, so spricht er allemal: »Ein ehrlicher Mann kann es fast nicht mehr ausstehen. Lauter Arbeit ex officio! Bald Armensachen, bald Bericht wegen brandbeschädigter Unterthanen, bald wegen herrschaftlicher Sachen! alles ex officio!« – Sachen also, davon [58] in der Taxordnung nichts steht, sind Sachen ex officio, und freilich sind dergleichen Arbeiten bis in den Tod verhaßt.

Beitrag zum deutschen Wörterbuche.

Als ich es wagte, der gelehrten Welt meinen Versuch eines deutschen Wörterbuchs mitzuteilen, so bat ich mir zugleich den Beitrag meiner Landsleute zu diesem wichtigen und weitläufigen Werke aus. Ich bin so glücklich gewesen, daß an mich verschiedene Artikel eingesandt worden sind, und mein Vergnügen darüber ist so groß, daß ich nicht einen Augenblick länger anstehen kann, ein paar davon bekannt zu machen, welche völlig nach derjenigen Anlage ausgearbeitet sind, die ich mir zu meinem Wörterbuche gemacht hatte. Ich hoffe, es werden diese neuen Proben noch andere aufmuntern, ihrem Beispiele zu folgen, um mich durch ihre geschickte Beihilfe in den Stand zu setzen, daß ich noch vor dem Schlusse des jetzigen Jahres solches unter die Presse bringen kann ....

Verschiedene meiner Korrespondenten haben verlangt, ich möchte ihnen einige Wörter vorschlagen, deren Bedeutung sie untersuchen könnten. Ich will etliche davon hersetzen, deren Bedeutung mir am zweideutigsten und am unbestimmtesten zu sein scheint. Die verschiedenen Redensarten, bei welchen sie gebraucht werden, verursachen wegen dieser Ungewißheit eine solche Verwirrung im gemeinen Leben, daß ein jeder patriotisch Gesinnte nicht einen Augenblick zaudern sollte, eine gewisse Bedeutung davon festzustellen. Ich erwarte diesen Beitrag mit dem größten Verlangen. Den Nutzen davon haben sie und ihre Kinder zu genießen. Hier sind die Wörter selbst: Andacht – Artig – Ehrgeiz – Eifersucht – Freiheit – Geschmack – Gesundheittrinken – Gleichgültig – Grußmut – Ich – Körnigt – Kunstrichter – Rangstreit – Scherzhaft – Sparsamkeit – Unparteiisch – Unschuld – Witz ....


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Deutsch. Ist ein Schimpfwort. Die Franzosen sprechen: Er hat den Fehler, daß er ein Deutscher ist. Denn wie bei vielen Franzosen der Verstand überhaupt sehr sonderbar ist, so haben sie gefunden, daß alle die, welche diesseits des Rheines geboren sind, weder witzig noch tapfer und also gute, ehrliche Menschengesichter – mit einem Worte, Deutsche sind.

Es klingt alles so gar deutsch in seinen Versen – ist der [59] tiefsinnige Machtspruch, den über deutsche Gedichte gemeiniglich diejenigen fällen, welche bei ihren Französinnen zur Not so viel gelernt haben, daß sie die Utrechter Zeitungen exponieren können.

Ich kenne Leute, welche gern ihren halben Verstand darum geben würden, wenn sie keine Deutsche wären, sondern unter dem Konsulate des Cicero in Rom geboren wären. Ihnen kömmt nichts so lächerlich vor als die Bemühung, in der deutschen Sprache Donatschnitzer zu vermeiden. Den, der sich Mühe giebt, zierlich und regelmäßig deutsch zu schreiben, können sie ihrer Meinung nach nicht ärger beschimpfen, als wenn sie ihn einen deutschen Michel heißen. Dieses Wort begreift nach ihrer Grammatik wenigstens ebenso viel Schande und Laster in sich, als bei den alten Juden ein Samariter oder bei den Savoyarden ein Barbet.

Ich habe angemerkt, daß die deutsche Sprache unter ihren Kindern besonders zwei Arten von Feinden hat. Einige verfolgen sie aus Hochmut und Eigennutz, andere aber verachten sie aus Leichtsinn.

Jene geben sich eine ernsthafte, gebieterische und monarchische Miene. Sie sind gewohnt, ihre Wahrheiten mit aufgehobenem Arme zu behaupten und den Pflichten der väterlichen Liebe mit der Rute Genüge zu leisten. Man nennt sie lateinische Görgen, zur schuldigen Vergeltung der deutschen Michel. Es liegt ihnen viel daran, die deutsche Sprache zu unterdrücken, welche sie selbst so wenig verstehen. Ihr Ansehen dürfte freilich sehr fallen, wenn die Welt anfinge zu glauben, ein Mann verdiene den Namen eines wahren Gelehrten noch nicht, wenn er schon ein lateinischer Sprachmeister sei. In Lehmanns Speyrischer Chronik finden wir die Geschichte eines treufleißig verordneten Lehrers, welcher ein so abgöttischer Verehrer des Cicero gewesen, daß er seinen Sohn bloß deswegen der lateinischen Sprache von Mutterleibe an geweiht, weil er eine Warze auf der Nase gehabt. Und ungeachtet sich bei zunehmenden Jahren geäußert, daß ihn die Natur nicht zu einem Cicero, sondern höchstens zu einem deutschen Holzhacker geschaffen, so hielt sich doch dieser gelehrte Vater in seinem Gewissen verbunden, einem so deutlichen Berufe, als sein Sohn an der römischen Nase trug, nicht zu widerstreben. Ja er soll in seinem Eifer so weit gegangen sein, daß er sein Kind amtsmäßig und mit der Rute in der Faust gezwungen, die Finger auf die lateinische Grammatik zu legen und seine Muttersprache solemni ritu formulaque abzuschwören ....

[60] Die zweite Art der Antideutschen machen diejenigen aus, welche die deutsche Sprache nur aus Leichtsinn verachten. Diese sind von den ersten weit unterschieden. Wenn jene etwas lesen, das nicht lateinisch ist, so schüttelt sich ihre ganze Natur; diese leichtsinnigen Feinde aber können es noch so ziemlich gelassen anhören, wenn von der Stärke und Schönheit der deutschen Sprache die Rede ist. Ja, ich habe es sogar mit meinen eigenen Augen gesehen, daß man einem solchen Undeutschen, welcher ein junges Herrchen von Profession war, zwei Blätter aus dem Haller vorlas, ohne daß es ihm etwas weiter schadete, als daß er lachte, trällerte, pfiff, sich auf einem Beine herumdrehte; und sobald er mit einer Prise Tabak dem Gehirn ein wenig Luft gemacht hatte, so sagte er weiter nichts, als: Pardieu! le misérable jargon! Sogleich war auch sein Paroxismus vorbei, und man sah zwischen ihm und einer vernünftigen Figur beinahe nicht den geringsten Unterschied. In der That verdienen diese Feinde der deutschen Sprache, daß man sie mit Langmut erträgt ... Sie spotten, weil es deutsch heißt, und lachen, weil es nicht französisch ist. Wer ein gegründetes Urteil von der Nichtswürdigkeit der deutschen Sprache von ihnen fordern wollte, der forderte zu viel. Genug, es ist Mode, sie zu verachten ... Diejenigen, welche in allem einen zureichenden Grund suchen, wollen aus der Erfahrung beweisen, daß es deswegen so viele lustige Feinde ihrer Muttersprache unter uns gebe, weil die Franzosen in ihrem Umgang so artig und einnehmend wären, daß viele von unsern deutschen Frauenzimmern ihnen nichts abschlagen könnten. Unwahrscheinlich ist die Vermutung nicht, und ich sollte fast selbst glauben, daß die Natur dergleichen possierliche Körper nicht zur Welt bringen könnte, ohne sich der Verbindung eines französischen Papa und einer deutschen Mutter zu bedienen ...

Er ist ein ehrlicher alter Deutscher – würde ein Anfänger in der deutschen Sprache also erklären: Er ist so ehrlich wie ein alter Deutscher. Aber das wäre ein großer Sprachschnitzer; sondern es wird gemeiniglich von Leuten gebraucht, welche in ihrem Umgange alle diejenigen Eitelkeiten mit Sorgfalt vermeiden, die man sonst Höflichkeiten nennt ....

Fabel. Eine Fabel ist ordentlicher Weise und besonders nach dem Begriff einiger Neuern ein solches Gedicht, über welchem der Name eines Tieres oder sonst eines Dinges steht, das noch etwas dümmer ist als der Verfasser. Wir würden zu viel von ihm fordern, wenn wir eine poetische Wahrscheinlichkeit oder gar eine Sittenlehre darin suchen wollten. Die[61] Ausführung der Fabel mag noch so trocken, noch so abgeschmackt, noch so undeutlich sein, so ist doch das, was ein solcher Fabeldichter im Namen seines Tieres sagt, für eine unvernünftige Bestie noch allemal klug genug gesprochen. Er schreibt: »Der –, eine Fabel.« Und siehe, so ist es eine Fabel.

Das Wort Fabel wird noch in einem andern Verstande, und zwar von solchen Erzählungen gebraucht, welche zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich sind ... Diese Beschreibung öffnet dem Dichter ein weites Feld zu tausend Erfindungen, z.B.

Der betrübte Witwer. Eine Fabel.

Agenor, ein reicher Bürger, lernte ein Frauenzimmer kennen, welches weder Schönheit noch Vermögen hatte, aber desto tugendhafter war. Bloß ihrer Tugend wegen liebte er sie. Er heiratete sie, und die ganze Stadt lobte seine Wahl; denn die meisten Bürger dieser Stadt waren tugendhaft, und keiner heiratete aus eigennützigen und niederträchtigen Absichten. Zwanzig Jahre ihrer Ehe waren verflossen, und nicht ein einziges Mal hatten sie einander Gelegenheit zu einem Mißvergnügen gegeben. Noch im 20. Jahre liebten sie einander ebenso vernünftig und ebenso zärtlich als an dem Tage ihrer Verlobung. Auf diesen Umstand werden meine Leser ja wohl merken; denn das ist eine Hauptfabel. Agenor verlor seine Frau, welche bloß um deswillen schwer zu sterben schien, weil sie sich von ihrem Manne trennen sollte. Zehn Monate hat Agenor zugebracht, ehe er sich einigermaßen trösten und zu einer neuen Heirat entschließen konnte. An fünf Monaten wäre es schon genug gewesen; aber zu einer Fabel mußten es schlechterdings zehn Monate sein.

[62] Antons Pansa von Mancha
Abhandlung über das Sprichwort: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand,

zugeeignet

dem großen Esel des großen Sancho Pansa.

Dem Verfasser zum Besten und dem Leser zur Erbauung ans Licht gestellt.

(1751.)


Wenn irgend ein Sprichwort ist, dessen Wahrheit durch die tägliche Erfahrung bestätigt wird, so ist es dieses, wenn man sagt: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand. Da ich Gelegenheit gehabt habe, die Verfassung meines Vaterlandes sehr genau kennen zu lernen, so getraue ich mich sehr wohl, zu behaupten, daß wenigstens zwei Dritteile meiner Mitbürger ihren Verstand nicht eher erlangt haben, als bis sie das Amt bekommen; und kaum ein Dritteil ist (ich weiß nicht, durch was für einen Zufall) vor der Erlangung des Amts mit Verstand begabt gewesen. Ich sage mit gutem Vorbedacht: kaum ein Dritteil. Denn ich muß noch für diejenigen ein wenig Platz lassen, welche die Ausnahme von dem Sprichwort machen und das Amt zwar seit langer Zeit – noch bis auf diese Stunde aber nicht den geringsten Verstand haben.

Ich finde von unserm Sprichwort verschiedene Lesarten. Ein sehr altes Manuskript, welches zu Heinrich des Voglers Zeiten geschrieben worden, liest ausdrücklich: Wem Gott etc.; und dieser Lesart habe ich mich bedienet. Die meisten der neueren Schriftsteller sagen hingegen nur: Wem er etc. Beide Lesarten haben ihren guten Grund und beide sind in ihrer Art merkwürdig. In den damaligen rohen und unaufgeklärten Zeiten war es noch hie und da Mode, daß Gott die Ämter gab ... Jetzt braucht man diese Weitläufigkeit nicht mehr, und man hat Mittel gefunden, die Ämter zu erlangen, ohne daß man nötig hat, Gott mit der Austeilung derselben beschwerlich zu fallen ... Inzwischen muß ich doch zum Ruhm unserer Zeiten erinnern, daß man wieder anfängt, die alte Lesart hervorzusuchen und aus einer andächtigen Höflichkeit so zu thun, als habe man das Amt von Gott, ob man sich gleich in acht nimmt, der über rechtsverwährte Zeit wohlerlangten Gerechtsame sich zu begeben und das Amt von Gott zu erwarten, da man es näher haben kann ... Ich nehme [63] es also für bekannt an, daß Gott das Amt giebt. Es hebt dieser Satz dasjenige gar nicht auf, was man aus der Erfahrung dawider einwenden möchte. Recht wahrscheinlich ist es freilich nicht; aber ein guter Ausleger weiß alles zusammen zu räumen.

Ich halte mich in einem sehr kleinen Städtchen auf, und doch ist es noch immer groß genug, meinen Satz zu behaupten. Außer dem Nachtwächter weiß ich niemand, welcher auf eine erlaubte Weise zu seinem Amt gekommen wäre. Er würde als ein alter wohlverdienter und abgedankter Soldat haben verhungern müssen, wenn er nicht zu diesem wichtigen Posten zu eben der Zeit erhoben worden wäre, als die Bürgerschaft so weit gebracht war, daß sie ihn als einen Hausarmen ernähren sollte. Man machte ihn ohne sein Ansuchen zum Nachtwächter und sein Beruf muß doch rechtmäßig sein, weil er den Amtmann nicht bestochen hat und von keinem Ratsmann ein Vetter ist ... Im Vorbeigehen muß ich auch erinnern, daß er der einzige in unserm Orte ist, welcher den Verstand eher hatte als das Amt.

Mit den übrigen ist es ganz anders beschaffen. Der Stadtschreiber hatte als Advokat das Unglück, daß er wegen seiner Geschicklichkeit, die verschiedene Obere aus Unverstand Betrügerei nannten, in die Inquisition kommen sollte. Seine Sache war so beschaffen, daß er nach dem Eigensinn altväterischer Rechte gewiß den Staupbesen würde bekommen haben: aber ein edler wohlweiser Rat sah die unvermeidliche Folge davon ein. Der größte Teil von ihnen stand in einer so genauen Verbindung mit ihm, daß sie gewiß an seinem Staupbesen hätten Anteil nehmen und des regierenden Herrn Bürgermeisters Hochedeln hätten am Galgen ersticken müssen, wenn man diesen wackern Mann nicht den Händen der blinden Gerechtigkeit entrissen hätte. Man überlegte mit der Frau Amtmännin die Sache genau, und eine Kleinigkeit von etlichen Ellen Brabanter Spitzen legte seine Unschuld dergestalt an den Tag, daß er sich mit Ehren von seinem Handel befreit sah. Der Frau Bürgermeisterin war der Hals ihres teuren Gemahls so lieb, daß sie vor Freude nicht eher ruhte, bis diesem angefochtenen Mann die Gerechtigkeit der Stadt und das Wohl der ganzen Bürgerschaft anvertraut und er ungesäumt zum Stadtschreiber erwählt wurde. Ein jeder seiner Vorgesetzten glaubte, er sei diesen Dienst sich selbst schuldig, weil ein jeder wünschte, daß man sich bei dergleichen besorglichen Fällen auf gleiche Weise seiner annehmen möchte.

[64] Wie der Amtmann zu seinem Dienst gelangt ist, das weiß die ganze Stadt. Er hatte es durch seine patriotischen Bemühungen so weit gebracht, daß ganze Dörfer wüst und eine ansehnliche Menge nichtswürdiger Bauern mit Weib und Kind Bettler geworden waren. Die Beute, die er dabei gemacht, setzte ihn in den Stand, unverschämter zu sein als sein Vorfahr, welcher einfältig genug war sich einzubilden, daß man es mit dem Landesherrn nicht redlich meinen könne, wenn man es nicht zugleich mit den Unterthanen redlich meine. Er stürzte diesen gewissenhaften Tropf und bemächtigte sich seines Amts auf eine Art, welche zu gewöhnlich ist, als daß man sie tadeln sollte.

Es sind nicht mehr als zwei Priester in unserer Stadt, der oberste davon wäre vielleicht noch jetzt Kandidat, wenn er nicht die Geschicklichkeit besessen hätte, alle diejenigen zu verkleinern, und ihre Lebensart verdächtig zu machen, welche mit ihm um ein geistliches Amt ansuchten. Er meinte es aber mit seiner christlichen Gemeinde so gut, daß er sich den Kapellan zu seinem Kollegen selbst ausersah und ihm dazu beförderlich war, weil die natürliche Dummheit dieses lieben Mannes ihm vorteilhaft zu sein schien ...

Diese wenigen Exempel beweisen schon genug, wie wunderbar oftmals die Wege sind, zu einem Amte zu gelangen. Die Abschweifung würde überflüssig sein, wofern ich nicht versichern könnte, daß der Stadtschreiber, der Amtmann und die Geistlichen in Gesellschaften niemals von ihrem Amte reden, ohne Gott mit darein zu mengen, der es ihnen gegeben haben soll.

Diejenigen, welche sich dieses Sprichworts auf eine so bequeme Art bedienen, sind als ein überzeugender Beweis wider diejenigen Lästerer anzuführen, welche uns vorwerfen, daß in unsern Zeiten das Zutrauen auf die göttliche Fürsorge nur gar zu matt geworden und fast gänzlich abgekommen sei. Ich freue mich, daß ich hier eine Gelegenheit finde, das Christentum meiner Landsleute zu verteidigen, und ich erwarte dafür alle Erkenntlichkeit. Denn ich nehme eine Sache über mich, bei der auch der beste Advokat verzweifeln würde.

Ich finde besonders dreierlei Gattungen Leute, welche dieses sagen. Es sind entweder diejenigen, durch welche (nach ihrer Sprache zu reden) Gott die Ämterausteilt, oder es sind solche, welche die Ämterbekommen, oder es sind endlich die, welche als Zuschauer über die wunderbare Führung und Besetzung der Ämter erstaunen.

[65] Die, letzten fühlen dabei in ihrem Herzen den freudigen Trost, daß Gott, welcher so vielen Narren Ämter giebt, auch sie nicht unversorgt lassen – und wenn sie versorgt sind, auch alsdann mit dem nötigen Verstand ausrüsten wird, den sie nicht haben, und den sie ohne ein Wunderwerk auch nicht zu erlangen hoffen. Diese Betrachtungen zeugen von ihrer Demut, und sie beschämen dadurch eine unzählige Menge Leute, welche doppelt unglücklich sind, da sie keinen Verstand haben und ihn doch nicht vermissen.

Noch weit stärker aber ist das Vertrauen zur göttlichen Fürsorge bei denjenigen, welche die Pflicht auf sich haben, die Ämter zu besetzen. Bei verschiedenen von ihnen würde ihr Betragen unsinnig sein ... aber man darf nur denken, daß sie überzeugt sind: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand – so ist dieser Widerspruch gehoben. Sie können dieses mit einer desto gewissern Zuversicht hoffen, da sie an ihren eigenen Personen ein so erstaunliches Wunder erfahren und nach dem glaubwürdigen Zeugnis aller ihrer demütigen Klienten gegenwärtig die verständigsten Männer, die weisesten Väter der Stadt sind, ungeachtet sie vor der Erlangung des Amtes die unverständigsten Narren waren ....

Ich weiß nicht, ob irgend ein Amt wichtiger ist, als das eines Seelsorgers. Die üble Besetzung eines solchen Amtes kann eine ganze Gemeinde unglücklich machen und das Verderben von mehr als einer Nachkommenschaft nach sich ziehen. Wenigstens würde ich sehr unruhig sein, wenn ich für die Besetzung eines solchen Amtes sorgen sollte. Aber wie glücklich sind nicht diejenigen, welche sich darauf verlassen, daß der Verstand sich schon mit dem Amte finden werde! [Unser Pansa erzählt nun ganz anschaulich, wie er vor einigen Tagen auf dem Lande einer Priesterwahl angewohnt und die »Anzugspredigt« des gutsherrschaftlichen Informators gehört, den er unwillkürlich für einen zum Scherz auf die Kanzel gestellten, verkleideten Reitknecht habe halten müssen, der sich auch beim Investiturschmaus auf dem Schlosse sehr ungeistlich benimmt etc. Er erhält aber dennoch die Stelle, der Patronatsherr glaubt ganz zuversichtlich an die Wahrheit unseres Sprichworts.] ... Alle Stände sind voll von Beweisen meines Satzes. Ich habe nicht den Vorsatz, mein jetztlebendes Vaterland zu schreiben; sonst würde ich mit leichter Mühe noch hundert Exempel anführen können.

Es ist noch übrig, daß ich von der zweiten Gattung der Menschen ein paar Worte sage, denen unser Sprichwort bei [66] allen möglichen Fällen zum kräftigsten Trost gereicht. Es sind dieses diejenigen, welche Ämter suchen. Sie sind so vorsichtig, daß sie keine mühsame Untersuchung, anstellen, ob sie auch den nötigen Verstand haben, der zu den Ämtern erfordert wird. Eine solche Untersuchung verriete ein Mißtrauen, welches ihrer männlichen und gesetzten Religion zuwider, dem geliebten Vaterlande sehr schädlich wäre. Denn dem Vaterlande liegt sehr viel daran, daß diese Herren Ämter kriegen; und wenn sie sich nicht eher darum bewerben sollten, als sie von ihrer Fähigkeit innerlich überzeugt wären, so würde eine große Menge Ämter unbesetzt bleiben müssen ... Sie ängstigen sich daher gar nicht mit dergleichen kindischen und unpatriotischen Fragen: Wo werden wir den Verstand hernehmen? Der dem Vieh sein Futter giebt, der wird auch für ihren Verstand sorgen; und sie genießen bei ihrer nahrhaften Gemütsruhe eben diejenige wahre Glückseligkeit, die ein Mastschwein hat, welches um Weihnachten feist ist, ohne daß es den Sommer über für seine Mastung gesorgt hat. Wenn ich drei Kandidaten beisammen stehen sehe, so kann ich – ohne die Liebe des Nächsten zu beleidigen – gewiß glauben, daß zwei davon keinen Verstand haben, und bei dem dritten ist es noch vielmals ungewiß. Unsre Eltern sind gemeiniglich gegen die Fürsorge des Himmels so erkenntlich, daß sie bei der Erziehung ihrer Kinder nicht den geringsten Vorwitz bezeigen, wenn es auf die Frage ankommt, ob ihre Kinder auch Gelegenheit haben, ihren Verstand so zu bilden, daß er dereinst zu Übernehmung eines Amts und zu dessen würdiger Bekleidung fähig ist ... Ihre Väter dachten ebenso ... Sie haben wohlgestaltete Kinder gezeugt ... Die Natur hat sie ohne ihre Vorsorge so wohlgestaltet hervorgebracht – so überlassen sie auch der gütigen Natur lediglich die Bildung des Verstandes als eines sehr zufälligen Teils des Menschen. [Herr Pansa kennt den Sohn eines vornehmen Offiziers, der noch im 18. Lebensjahr der Aufsicht einer Hausfranzösin anvertraut ist, und den man zur Gemütsergötzung kochen, nähen und stricken läßt. »Wie die Natur in ihm sich regt, kauft man ihm eine Kompagnie. Er hatte kaum eine Stunde lang den Ringkragen umgehabt, als er recht eigentlich spürte, wie ihm der Verstand, der zu einem solchen Kommando gehört, aus dem Magen in alle Glieder des Leibes drang. Er kann fluchen wie der älteste Musketier, er säuft wie ein Korporal, hat sich schon zweimal mit dem Lieutenant geschlagen etc. Ist nicht dies alles ein Beweis, daß der Verstand mit dem Amte [67] kommt ... Wie glücklich muß das Land sein, in welchem ein Überfluß von solchen Personen vorhanden ist, bei denen man ungewiß bleibt, ob sie sich besser vor die Spitze ihrer Truppen oder hinter den Nährahm schicken!«]

Ich muß gestehen, daß wir denjenigen glücklichen Zeiten sehr nahe gekommen sind, wo man einen Kandidaten, welcher die nötige Geschicklichkeit und den Verstand eher hat als das Amt, bald als ein Wundertier für Geld auf Messen sehen lassen wird. – – –

Beweis, daß die Begierde, Übeles von andern zu reden, weder vom Stolze noch von der Bosheit des Herzens, sondern von einer wahren Menschenliebe herrühre.

Eine Abhandlung, welche den von der Königlichen Akademie zu Pau in Bearn (Frankreich) ausgesetzten Preis gewiß erhalten wird.

1754.


Es ist gemeiniglich eine Folge unserer hypochrondrischen Philosophie, wenn wir diejenigen Handlungen der Menschen, die wir selbst zu begehen nicht im stande oder nicht geneigt sind, dadurch verdächtig zu machen suchen, daß, wir ihre Quellen vergiften und ihnen einen thörichten oder lasterhaften Ursprung andichten. Wir empfinden bei dergleichen Entdeckungen der Fehler anderer Menschen eine gewisse schmeichelhafte Beruhigung, die der Theolog ein zufriedenes Gewissen, der Philosoph das innere Bewußtsein eigener Vollkommenheiten und ein Unparteiischer einen menschenfeindlichen Stolz nennt. Es würde mir leicht sein, dasjenige, was ich hier behaupte, weitläufiger zu beweisen; aber ich muß befürchten, daß ich eben dadurch den Vorwurf, den ich andern machen will, zuerst verdiene. Ich würde vielleicht einen sehr gelehrten Beweis führen, daß der Theolog aus einem frommen Stolze verdamme und der Philosoph seinen eigenen Hochmut demonstriere. Aber was würde ich Ihnen, meine Herren, antworten können, wenn Sie mich fragten, ob ich diesen gelehrten Beweis aus Demut führte? Ob ich nicht in dem Augenblick, da ich andere richte, über mich selbst ein Urteil spräche? Ob ich [68] nicht dadurch doppelt strafbar wäre, da ich eben den Fehler, den ich an andern so mühsam tadelte, aus Hochmut und Eigenliebe selbst beginge? – ein Vorwurf, bei dem nur ein Moralist nicht erröten darf!

Ich ersuche Sie also, meine Herren, daß Sie dasjenige, was ich hier gesagt habe, für nichts anderes, als für eine gelehrte Aufgabe und für eine von den problematischen Wahrheiten ansehen, welche ebenso leicht nicht sein können, als sie sind. Wenigstens wünsche ich dieses.

Da ich mich überwunden habe, diese Ehrenerklärung zu thun, so werde ich es wagen dürfen, öffentlich zu gestehen, daß ich bei mir selbst überzeugt bin, daß alle Handlungen der Menschen, auch diejenigen unter ihnen, die den Sittenrichtern am meisten verdächtig sind, aus einer guten Quelle und aus guten, doch übelverstandenen Absichten herkommen.

Wie viel Ehre macht diese patriotische Entdeckung dem ganzen menschlichen Geschlecht! Wie tugendhaft werden die Menschen, wie sehr werden sie wenigstens zu entschuldigen sein! ... Die Welt, über welche der Fromme seufzet und die der Weise verachtet: diese mache ich jetzt dem Frommen und dem Weisen zur »besten Welt.«

Da ich gegenwärtig die Rolle eines Autors übernommen habe, so ist man schuldig, mir einen gewissen Hochmut zu verzeihen, der den Autoren so wohl ansteht. Ich glaube, daß ich jetzt an meinem Pulte in einer Minute eben die Thaten ruhig verrichte, welche zu verrichten Herkules so viele Jahre lang den größten Teil der Welt durchirren mußte. Er reinigte die Welt von Ungeheuern ... Aber ich glaube, daß man die Fabel ganz unrecht versteht. Hätte Herkules wirklich gethan, was die Poeten von ihm erzählen, so würde er mehr ein gewalttätiger Räuber oder wenigstens mehr ein Don Quixote des Altertums, als ein Held gewesen sein ... Die Weisheit der Fabel hat unter diesen Erzählungen etwas viel Wichtigeres verborgen: Herkules war ein Weltweiser, der seine Schüler lehrte, daß die Handlungen der Menschen im Grunde tugendhaft und wenigstens durch die guten Absichten zu entschuldigen sind. Dieser Satz fand allgemeinen Beifall ... Bitterer Haß, Verketzerungen (denn auch die Priester des Saturnus verketzerten schon), ungerechte Lästerungen – alle diese Ungeheuer des menschlichen Geschlechts rottete der Philosoph aus ... Das Altertum machte (was das billigste war) ihn endlich zum Gott.

So weit geht mein Ehrgeiz nicht ... Ich werde mich[69] für völlig belohnt halten, wenn Sie, meine Herren, meiner neuen Wahrheit Ihren Beifall nicht entziehen, und wenn mein Beispiel andere aufmuntert, die Handlungen ihrer Mitbürger als billig und gerecht zu verteidigen oder (wo sie das nicht thun dürfen) sie doch zu entschuldigen. Wie sehr wird dieses der Menschheit zur Ehre gereichen! Unsere Vorfahren, wenn sie zurückkommen und die Vollkommenheiten ihrer tugendhaften Kinder sehen sollten – sie würden keineGeizige mehr finden, sondern Patrioten, welche mitten unter ihren Schätzen liebreich verhungern, um ihren Kindern oder ganz Fremden Reichtümer zu hinterlassen, daß sie solche in Vergnügen und Überfluß zerstören können. Der Mann, den sie einen ungerechten Richter heißen, ist dieses nicht mehr, sondern ein teuer erkauftes Werkzeug der Gerechtigkeit, welche durch ihn den streitenden Parteien die feindselige Thorheit kostbar machen will, um sie zu einem friedfertigen Betragen zu zwingen, und welche (nämlich die Gerechtigkeit) zugleich durch die ungeschickten Aussprüche dieses Richters den Stolz derGesetzgeber demütigt, deren wohlüberlegte und weitaussehende Vorsicht oft durch ein geringes Geschenk vereitelt wird ... Hier habe ich zwei Proben gegeben [R. giebt noch ein drittes Beispiel, das wir nicht wiedergeben], welche die Wahrheit meines Satzes deutlich genug unterstützen werden ... Dieses mag genügen, mein Vorhaben zu rechtfertigen, da ich beweisen will, daß die Begierde, Übles von andern zu reden – aus einer wahren Menschenliebe herrühre.

Dieses darzuthun, brauche ich weiter nichts, als Sie, m.H., von dem großen Einfluß zu überführen, den diese Begierde, Übles zu reden, auf das Beste des allgemeinen Wesens und auf die Glückseligkeit eines jeden einzelnen Bürgers hat – ein Beweis, welchen man sich von demjenigen gewiß in Erfolg versprechen kann, der Mut und Menschenliebe genug hat, den Geizigen zum Patrioten und den ungerechten Richter zum nützlichen Mitgliede des Staats zu machen.

Ich verzeihe es den angeerbten Vorurteilen unserer Welt, welche von dieser Begierde sich die fürchterlichsten Begriffe macht. Unsre Ammen, die uns Gespenster bereden, machen uns auch vor dieser Begierde fürchten; und in demselben Augenblicke, da sie dieses thun, reden sie immer von ihren Nachbarinnen am meisten Böses – ein Beweis, daß die Triebe der Natur (nämlich Böses zu reden) sich niemals ganz unterdrücken lassen!

[70] Unsere deutsche Sprache, so reich sie ist, ist doch zu arm, diese Pflicht, Böses zu reden, mit einem anständigen, wenigstens gelinden Worte auszudrücken. Schmähen, Lästern, Verunglimpfen, Splitterrichten, Verleumden – das sind etwa die gewöhnlichsten Ausdrücke, die man braucht, wenn man darüber sich erklären will. Lauter verhaßte Namen! Aber ich halte dieses mehr für einen Fehler der Grammatik [Sprache], als des Herzens. Wir sind von der Notwendigkeit dieser Pflicht allzuwohl überzeugt, als daß wir im Ernste so verhaßte Begriffe damit verknüpfen sollten ... Denn zum Ruhme meiner Deutschen muß ich hier bekennen, daß wir in der Kunst, Böses zu reden, es beinahe unsern Nachbar gleich thun. Der Aberglaube der Maler hat diese mütterlichen Vorurteile noch mehr gestärkt. Diese Herren ... schmeicheln den Leidenschaften der Menschen oder kopieren denen nach, die vor ihnen gemalt haben, und daher kommt es, daß sie alle Prinzen weise und großmütig, alle Richter ehrwürdig und ernst, alle Bräute mit einer reizenden Unschuld, alle Geistliche fromm und heilig, alle Teufel mit Hörnern und Schwänzen – und die Begierde, Böses zu reden, mit Schlangen und spitzigen Zungen malen. Lauter Fehler gegen die Wahrscheinlichkeit!

Und würden wir wohl im stande sein, dergleichen übereilte Fehler zu begehen, wenn wir bedenken wollten, daß die Begierde, Übeles zu reden, nichts anderes sei, als ein von der Natur uns vernünftigen Geschöpfen eingepflanzter Trieb, die wirklichen oder auch die eingebildeten Fehler einzelner Menschen und ganzer Gesellschaften und Völker gemeiniglich auf eine lustige, oft auch ernsthafte Weise andern bekannt zu machen, um sich und andere dadurch zu ergötzen – denen, die dergleichen Fehler wirklich haben, einen Abscheu davor beizubringen – andere, die sie nicht haben, davor zu warnen – einen jeden aber tugendhaft oder vorsichtig – mit einem Wort, die ganze Welt zu guten Mitbürgern zu machen!

Ich empfinde in mir selbst einen heiligen Schauer, wenn ich an diese große Pflicht denke ... Ein patriotisches Mitleiden empfinde ich, wenn ich die unglückliche Blindheit derer erwäge, welche diese große Pflicht nicht bloß selbst nicht beobachten, sondern auch anderen davor einen Abscheu beizubringen suchen. Ein Werk der Natur, das sie nur vernünftigen Wesen vorzüglich gegönnt hat, wollten wir den Menschen entreißen? So stoßen wir ihn herab zu den nicht denkenden Geschöpfen ... so reißen wir die vornehmste Stütze über den Haufen, auf [71] welcher das Vergnügen, die Sitten und das Wohl der Menschen sich gründen.

Ich hoffe es gewiß, daß diese unerwarteten und doch unumstößlichen Wahrheiten bei Ihnen, meine Herren, einen besonderen Eindruck machen werden. Noch scheinen sie zweifelhaft. Überwinden Sie sich! ... Ein Weiser schämt sich niemals, seine Vorurteile zu erkennen.

... Sie empfinden nunmehr das Unrecht, das Sie der ganzen menschlichen Gesellschaft angethan, da Sie den Trieb, von andern Übles zu reden, in einem eitlen Hochmut und in der Bosheit des menschlichen Herzens gesucht haben. Aber ich will Ihnen aufrichtig gestehen, was ich zu Ihrer Rechtfertigung von Ihnen glaube ... Vermutlich war es nur Ihre Absicht, den witzigen Köpfen unvermerkt Gelegenheit zu geben, von der ganzen Welt Übeles zu reden, da sie eine Handlung, die allen vernünftigen Geschöpfen so eigen ist, vom Hochmut und der Bosheit des Herzens ableiten sollten ... Ich bewundere diese Vorsicht und sehe auch unter dieser angenommenen Maske den rechtschaffenen Patrioten.

Nunmehr, da ich Ihre wahre Absicht entdeckt habe, kann ich mit Ihnen schon ein wenig vertrauter reden. Was ich hiervon noch sagen werde, das sage ich nur in der Absicht, mich gegen Sie deutlicher zu erklären, nicht aber in der Meinung, Ihnen eine Wahrheit begreiflich zu machen, von der Sie lange vorher überzeugt waren, noch ehe Sie mir die Gelegenheit wiesen, ihr selbst nachzudenken.

Diese neue Vertraulichkeit verbindet mich, Ihnen aufrichtig zu bekennen, was die Zweifel, die ich hier anführe, bei mir zuerst veranlaßt habe. Ich las in der Utrechter Zeitung die Stelle von Ihrer Aufgabe mit eben der gleichgültigen Unachtsamkeit, mit der ich die Nachricht von den Aktien der Ostindischen Kompagnie lese. In dem Augenblick kam meiner Frau Bruder ins Zimmer gestolpert, stürzte auf mich los, umarmte mich, fluchte sein Cadédis und fragte mich mit gebrochenem Deutsch: wo hat der Donner deine Frau? ... Es war ein junger Deutscher, der den Augenblick aus Paris kam, wo er sich sechs Wochen lang aufgehalten hatte. Meine Frau empfing ihn schwesterlich. Aber das erste, was er ihr sagte, waren ein paar Unflätereien. In diesem Tone fuhr er fort, rühmte seine Ausschweifungen, die er in Paris begangen und auch wohl nicht begangen hatte ... Was halten Sie. m.H., von diesem deutschen Franzosen und von seiner Begierde, Böses zu reden, von welchem gewiß die Hälfte erdichtet war? Das [72] meiste Böse redete er von sich selbst ... Aus Hochmut konnte es nicht sein, denn alles, was er erzählte, war zu seiner Schande. Aus Bosheit gegen sich selbst konnte es noch viel weniger sein, denn das Zeugnis kann ich ihm geben, daß er nichts in der Welt so sehr liebt als seine Person. Also mußte wohl noch eine andre Ursache übrig sein ...

Wenn ich beweisen will, daß diese Begierde, Böses zu reden, lediglich von einer wahren Menschenliebe herrührt, so habe ich nicht nötig, etwas weiter zu thun, als daß ich den unentbehrlichen Nutzen zeige, den sie in der menschlichen Gesellschaft hat. Und beinahe ist auch das überflüssig, da der gemeinste Mann solches aus der täglichen Erfahrung lernt.

Das Band der bürgerlichen Gesellschaft, worauf sich die ganze Republik gründet, ist das Vergnügen, welches die Einwohner einer Stadt in dem Umgang mit einander empfinden. Der Satz ist klar, und wer daran noch zweifelt, der stelle sich eine Stadt vor, wo alle Thüren verschlossen bleiben, wo die Fenster verhangen sind, wo niemand auch nicht den Nachbar kennt – diese traurige Stadt stelle er sich vor. Würde Leipzig anders sein, wenn seine Bürger nicht mit Vergnügen einer des andern Gesellschaft suchten? Und würden sie dieses Vergnügen., genießen, wenn sie nicht eben dadurch Gelegenheit fänden, Übles von andern zu reden? Nur dieser Unterschied ist dabei, daß eine jede Gesellschaft ihre eigene Art hat, Böses zu reden.

Der Greis seufzt über die schlimmen Zeiten, die Jugend über dessen Eigensinn und Geiz. Ehrwürdige alte Jungfern reden Böses von flatterhaften Mädchen, und diese lachen über die fromme Buhlerei der alten Heiligen. Die Bürger reden Böses von den Pressungen und der Parteilichkeit des Magistrats, und dieser noch mehr Böses von dem Ungehorsam des Bürgers ... Die ganze Stadt redet Übeles, und die ganze Stadt eilt mit Vergnügen in die Gesellschaften, wo sie es reden kann. Man nehme ihnen die Erlaubnis, Böses zu reden, so nimmt man der Welt ihre Sonne ...

Die Begierde und die Gelegenheit, Böses zu reden, ist ein bewährtes Mittel, unzählige Thorheiten zu vermeiden. Zu der Zeit, wenn die Gesellschaft Böses redet, entfernt sie sich von der Seuche, zu spielen ... Der Richter versäumt es, ungerecht zu sein, wenn er Böses von andern redet. Der Advokat merkt es nicht, daß zwei Nachbarn in Einigkeit leben und läßt ihnen daher dieses Glück ungestört. Der Arzt, wenn [73] er Übles von andern spricht, vergißt sein Amt, und die Menschen bleiben leben.

Die erste Regel, die uns der Moralist einprägt, ist diese, daß man alle Mühe anwenden soll, sich und die Welt kennen zu lernen. Ist wohl eine bequemere Art, dieses zu lernen, als wenn man die Gesellschaften fleißig besucht, wo am meisten Böses geredet wird ... Philen ist mildthätig. Er ernährt mit seinem eigenen Brote die Kinder, einer Witwe, welche der Mann in äußerster Armut hinterließ, weil er zu ehrlich war. »Philen hat wohl Ursache, mildthätig zu sein, denn drei von diesen Kindern sind sein.« ... Aber Suffen, der Patriot, welcher mit Thränen die Not der Unterthanen sieht und der Regierung flucht, wird doch ohne Tadel sein? »Suffen ist ein Mißvergnügter, den der Hof beleidigt hat, weil er ihm das Amt nicht geben wollte, das er suchte, um die Unterthanen selbst zu drücken.« Wie lehrreich ist die Schule derer, die von andern Böses reden! ...

Aber werde ich auch Gelegenheit haben, mich selbst kennen zu lernen? ... Sind Sie allein so tugendhaft oder so ehrwürdig, daß man von Ihnen nichts Böses reden wird? Ich möchte es Ihnen wohl im Vertrauen sagen, was man von Ihnen sagt; aber verdrießlich müssen Sie nicht, werden. – – – Verzeihen Sie, mein Herr, warum sehen Sie so wütend aus? Sie verstehen mich unrecht ... Nur aus Freundschaft gab ich mir die Mühe, Ihnen das Böse wieder zu erzählen, das man in allen Gesellschaften von Ihnen spricht. Sie sollten das Glück haben, Sich kennen zu lernen, und nur in dieser Absicht redete ich so viel Übles von Ihnen.

Und wenn die Begierde, Böses zu reden, weiter gar keinen Nutzen hätte als diesen, daß sie uns gegen andre und gegen uns selbst aufmerksam undvorsichtig machte, so verdiente sie schon – auch dieses einzigen Nutzens wegen – alle Hochachtung. Sogar diejenigen, die am meisten eigensinnig und von dem Vorurteil nicht abzubringen sind, daß jene Begierde ein Laster sei – auch diese würden sie wenigstens für ein ganz unentbehrliches Laster halten, wenn sie diesen Nutzen gelassen überdenken wollten ... O, machten doch diese Worte einen Eindruck in die Herzen unserer Eltern! O, könnten sie sich doch entschließen, ihre Kinder, die ihnen die Natur anvertraut hat, in Zeiten an die wichtige Kunst, Übles, zu reden, zu gewöhnen! ... Dieser Teil der Erziehung ist vornehmlich ein Werk der Mütter ... Sollte wohl die [74] Natur, die nichts umsonst thut, den Müttern die Triebe, Böses von andern zu reden, umsonst so verschwenderisch mitgeteilt haben?!

Es giebt wenige Fehler, die der menschlichen Gesellschaft so beschwerlich sind als der Hochmut. Der Hochmütige selbst leidet dabei; aber derjenige noch mehr, der seinen Umgang nicht vermeiden kann. Der Theolog und der Philosoph arbeiten gemeinschaftlich daran, das Herz des Menschen demütig zu machen. Jener beweist es ihm aus Staub und Erde, und dieser noch gründlicher daraus, daß unmöglich ein Ding zugleich sein und auch nicht sein könne. Für beide Beweise habe ich alle Ehrfurcht, und dem unerachtet bin ich verstockt genug, zu glauben, daß man einen Hochmütigen dadurch, daß man alles von ihm spricht, in einer Viertelstunde weit zahmer und menschlicher machen kann als durch eine lange traurige Predigt und eine Reihe von finstern Schlüssen ...

Da das Vergnügen, welches wir empfinden, wenn wir Übles reden, so groß ist, so ist wohl nichts geschickter, uns in den traurigen Stunden unsers Lebens aufzuheitern. Wir vergessen unsere eigene Thorheit, da wir uns mit der Thorheit anderer belustigen.

Durch eine beständige Übung, Böses von andern zu reden, machen wir den Witz lebhaft. Kann wohl bei unsern Zeiten etwas wichtiger sein als dieses, da ein lebhafter Witz mehr gilt, als ein scharfer Verstand?

Auch diejenigen werde ich auf meiner Seite haben, die den Wert einer Sache finanzmäßig beurteilen ... Holland ist nie reicher gewesen, als eben zu der Zeit, da alle Pressen beschäftigt waren, über die Schwachheiten eines alten Königs zu spotten, dessen Jugend ihm so schrecklich gewesen war. Holland zog durch diese Schatzung die Reichtümer ganzer Länder an sich und gab uns dafür seinen Witz ...

Müssen Sie nunmehr nicht gestehen, daß eine Handlung, welche der Grund der menschlichen Gesellschaft ist, welche das Vergnügen über alle Familien ausbreitet, welche uns Gelegenheit verschafft, andere und uns selbst kennen zu lernen, welche uns aufmerksam und vorsichtig macht, welche den Stolz des menschlichen Herzens so sehr demütigt, welche macht, daß wir das Bittere dieses kümmerlichen Lebens vergessen, welche ganze Länder berreichert und die Seele eines Staats belebt – daß eine solche Handlung keinen geringern Ursprung als die Menschenliebe haben kann, und daß der jenige wohl verdient, als ein wahrer Patriot verehrt zu werden, [75] der sich angelegen sein läßt, diese Handlung allgemein zu machen?!

Ich ersuche Sie, meine Herren, noch um eine kleine Aufmerksamkeit und bitte mir die Erlaubnis aus, gelehrt zu sein ... Die Götter würden ohne den Momus einen sehr unvollkommenen Himmel gehabt haben; es war jemand unter ihnen nötig, vor dessen Begierde, Böses zu reden, sie sich scheuen mußten; ihr Umgang würde endlich zu schläfrig geworden sein ... Ohne Silen würde auch Bacchus, der Gott der Freuden, schläfrig geworden sein ... Die Fabel vom Prometheus hat man bisher ganz unrecht verstanden. Die Begierde, Böses zu reden, war damals nur ein Vorzug der Götter. Prometheus lernte es unter ihnen und brachte dieses Geheimnis unter die Menschen. Dadurch machte er sie gesellschaftlich, vorsichtig, witzig – menschlich. Dieses war das Feuer, das er vom Himmel entwendete, und wodurch er die kalten und schläfrigen Menschen belebte. Für diese Verräterei sollte Prometheus büßen ... Können Sie es verantworten, mein Herr, wenn Sie ein Geschenk des Prometheus verdächtig machen wollen, welches die Götter nur für sich allein zu besitzen wünschten, welches Sie den Sterblichen mißgönnten und worüber der großmütige Prometheus zum Märtyrer werden mußte?

Bei den weisen Griechen war die Kunst, Übles zu reden, ein Teil des öffentlichen Gottesdienstes. Männer und Weiber standen bei den Eleusinischen Festen zu beiden Seiten der Brücke und sagten denen, die in Prozession über diese Brücke gingen, die bittersten Vorwürfe. Gleiche Freiheit hatte das Volk bei den Ithyphallischen Festen. Den Ephesiern war zu dergleichen feierlichem Mutwillen ein Tag im Januar heilig ...

Auch bei den Römern hatte die Gewohnheit, Böses zu reden, einen heiligen Ursprung. Man suchte die erzürnten Götter durch Spiele zu versöhnen, welche der Grund zu den Fescenninischen Bitterkeiten und vielen feierlichen Gelegenheiten waren, von andern Übles zu reden ...

Der König der Briten wird von den witzigen Köpfen und Bootsknechten in London alle Tage daran erinnert, daß er ein Mensch sei. Nirgends ist Seine Majestät kleiner als an der Themse.

War bei Ihnen in Frankreich das berühmte Narrenfest etwas anderes, als eine Schule der Demut für die Geistlichen Ihres Landes? ...

Ich wundere mich, daß die Engländer und auch Ihre [76] Landsleute uns Deutschen die Hofnarren vorwerfen, welche bei uns so einen großen Teil der fürstlichen Belustigungen ausmachen. Ich sehe sie an als einen Beweis der deutschen Freiheit, die uns billig sehr am Herzen liegt. Ich könnte zum Ruhm unserer autorisierten Narren sehr vieles sagen; aber das ist schon Ruhm genug, daß sie den Beifall unserer Fürsten mit Lachen erlangen, um welchen sich so viele Hofleute zeitlebens ängstlich und umsonst bemühen. Wegen ihrer privilegierten Freiheit, Übels zu reden, scheinen sie einem Hofstaate ganz unentbehrlich zu sein. Der Hofmann muß sich scheuen, Thorheiten zu begehen, um ihren öffentlichen Vorwurf zu vermeiden; und der Prinz lernt durch dieses Mittel seine Hofleute kennen, die sich sonst so wohl vor ihm zu verstellen wissen. Ja, sich selbst lernt der Prinz durch dieses Mittel kennen. Mit einem Wort, der weise Spruch: »Wenn man die Wahrheit nirgends fände, so muß man sie doch bei den Prinzen finden« – dieser Spruch redet nur von unsern deutschen Hofnarren. – –

... Vielleicht wollen Sie, m.H., noch etwa sagen: ich hätte einen deutlicheren Unterschied festsetzen sollen zwischen der notwendigen Verbindlichkeit, andern ihre Fehler liebreich vorzuhalten und zwischen der boshaften Neigung, die Übereilung anderer auszubreiten oder gar denen, die unschuldig sind, Fehler anzudichten; ich hätte das Heilige einer vernünftigen und bessernden Satire mit dem niederträchtigen Splitterrichten und den Pasquillen des Pöbels nicht vermengen sollen .....

Gut, meine Herren! ich verstehe alles, was Sie sagen wollen. Ich könnte Sie widerlegen, aber ich sehe an meiner Uhr, daß ich schon eine Minute länger geredet habe, als es die Gesetze der Akademie erlauben. Ich würde noch eine halbe Stunde Zeit nötig haben, Ihnen Ihren Irrtum zu benehmen; aber darüber würde ich den ausgesetzten Preis verlieren. Glauben Sie denn, daß ein Philosoph um deswillen schreibt, damit er Wahrheiten ausfindig mache? Er schreibt, um bezahlt zu werden. Und ich, meine Herren, ich bin ein Philosoph.

[77] Das Märchen vom ersten April.

1755.

Zueignungsschrift.

Liebe Amme!


Ich erinnere mich der langen Abende noch immer mit Vergnügen, an denen ich als ein junger Knabe auf Deinem Schoße saß und meinen zitternden Arm ängstlich um Deinen Hals schlang, wenn Du uns das fürchterliche Märchen vom Seehunde, das traurige Märchen vom verwünschten Prinzen ohne Kopf oder das fromme Märchen vom lahmen Esel erzähltest. Damals konnte ich mir noch nicht vorstellen, daß der Nutzen hiervon und die Lust zu Märchen, die mir durch dergleichen Erzählungen beigebracht ward, einen so wichtigen Einfluß auf mein Glück und auf mein ganzes Leben haben sollten. Nur Dir habe ich es zu danken, meine liebe Amme, daß ich in männlichen Jahren alle Märchen von den Verdiensten gewisser Gelehrten, von neuen tiefsinnigen Wahrheiten und von der Einsicht einiger Privatpersonen in die Kabinette der Prinzen mit eben dem Vergnügen habe lesen und anhören können, wie Dein Märchen vom redenden Affen. Ich bin an Höfen gewesen, und man hat mich liebgewonnen, da ich auf ihre Märchen von Gnadenversicherungen, von Freundschaft, von Verdiensten um das Vaterland ebenso aufmerksam war, als ich auf Dich hörte, wenn Du uns das lustige Märchen vom bezauberten Schlosse in der Luft erzähltest. Du siehst wohl, liebe Amme, daß Dein Säugling sich aller Deiner Wohlthaten mit Vergnügen erinnert. Damit Du aber auch sehen sollst, daß ich nicht unerkenntlich bin, so schenke ich Dir hier ein Märchen vom ersten April, welches ich bei meinem letzten Aufenthalt in Batavia von einem Brahminen bekommen habe. Nimm es an und lies es und behalte mich lieb. Lebe wohl! –


* *

*

Sit mihi fas audita loqui.

Virgil.


Es war einmal ein alter König auf der mächtigen Insel Chiekock, welchen die Götter und seine Unterthanen liebten, weil er fromm und gerecht war. Juokamosamma hieß sein [78] wahrer Name, ob ihn schon einige Chroniken ohne Grund Kamosamma nennen. Zur Belohnung seiner Tugenden ließ ihn der Himmel alle Glückseligkeiten eines Fürsten genießen. Die Nachbarn suchten seine Freundschaft und überließen ihre Streitigkeiten seinen billigen und uneigennützigen Aussprüchen. Seine Feinde unterstanden sich nicht, ihn zu beleidigen; denn sie würden dadurch den Zorn aller benachbarten Prinzen wider sich erregt haben. Er hatte viele getreue Diener an seinem Hofe und nicht einen einzigen Schmeichler. Er gab nur wenige Gesetze, weil sein Exempel das Land tugendhaft machte; und wenn er ein Gesetz gab, so war es noch in zwanzig Jahren ebenso unverbrüchlich und ebenso heilig, als es in der ersten Woche gewesen. Die Unterthanen waren in ihrer Arbeit freudig und unermüdet, weil sie wußten, daß sie für sich und ihre Kinder arbeiteten. In seinem ganzen Lande war kein Bettler: denn niemand ging müßig, niemand verschwendete, und ein jeder war genügsam; sogar die Priester seiner Götter waren es. Er strafte selten; denn sein Volk war tugendhaft, nicht aus Furcht vor der Strafe, sondern aus Furcht, seinem Fürsten zu mißfallen. Mit einem Wort: ein jeder Unterthan war sein Freund. So glücklich war der alte Juokamosamma.

Aber er hatte keine Erben; und auch damit war er zufrieden, weil er mit allem zufrieden war, was er für den Willen der Götter hielt. Desto untröstlicher war seine Gemahlin. Sie kniete Tag und Nacht vor dem Bilde der Fekula-Pussa und bat um einen Sohn. Sie that sieben Wallfahrten auf den Gipfel des Fusinogamma. Der König war mit dieser ungestümen Andacht wenig zufrieden; aber er schwieg stille, sobald sie ihm vorstellte, das Wohl der Unterthanen erfordere einen Thronerben. Ihre Unfruchtbarkeit war eine Folge der Bosheit des alten Zauberers Ciongock, den ihr Großvater beleidigt hatte. Endlich erbarmte sich die Göttin Pussa über sie und gab ihr von ihren schwarzen Kirschen aus Japan zu essen; sogleich hörte die Bezauberung auf, und sie ward schwanger.

Ciongock geriet darüber in Wut; er schwor den Untergang der Mutter und das Unglück des Sohnes. Die guten Feen, welche allerseits Freundinnen der tugendhaften Königin waren, hörten den Schwur und erzitterten, denn sie kannten die Gewalt des Zauberers, welcher verwegen genug war, den Göttern und Feen zu trotzen. Ihre Freundschaft verband sie, auf Mittel zu denken, wie sie den traurigen Folgen dieses Schwurs vorbeugen könnten.

Sie versammelten sich bei der Niederkunft der Königin. [79] Zoimane, die ansehnlichste unter den Feen, nahm den neugeborenen Prinzen auf ihren Schoß; sie küßte ihn dreimal auf das Herz und sprach: Sei ein Freund der Götter! Asaide, eine gütige Fee und große Freundin der Menschen, nahm ihn in die Arme und sprach: Regiere wie dein Vater! Zunzime, welcher Name eine einsame und wohlthuende Fee bedeutet, berührte siebenmal mit ihrem Daumen seine Zunge und seine Hand und sprach: Sei weise und reich! Alcimedore, eine junge und lebhafte Fee, küßte ihm die Augen und den Mund und sprach: Sei liebenswürdig!

Da dieses geschehen war, legten sie das Kind an die Brust seiner Mutter, welche vor Freuden außer sich und eben im Begriff war, ihnen die aufrichtigsten Versicherungen ihrer Dankbarkeit zu geben, als der Zauberer Ciongock in einer flüstern Wolke über ihrem Sofa erschien, das Kind mit einem grausamen Lächeln ansah und mit fürchterlicher Stimme herabrief: Ich aber will dein Feind sein! Sobald er dieses gesagt hatte, hüllte er sich in einen schwarzen Dampf und zog langsam und brausend über die Gefilde von Chiekock. Die Feen erblaßten, und die unglückliche Mutter überlebte diese schreckliche Erscheinung nur wenige Minuten.

Zoimane übernahm die Erziehung des Prinzen. Zwar wußte sie wohl, daß ein Zauberer zu unvermögend sei, die Geschenke der Feen zu zernichten; und um deswillen waren sie überzeugt, daß der junge Prinz, der den Namen T'Siamma bekommen hatte, ein Freund der Götter und ein gütiger Regent, liebenswürdig, weise und reich werden würde; aber sie kannte auch die Gewalt des schrecklichen Ciongock und wußte, daß dieser tausend Wege finden würde, den Ruhm und die Vorteile zu verhindern, welche der Prinz von diesen Geschenken der Feen erwarten konnte. Um deswillen wandte sie bei der Erziehung alle Sorgfalt an, ihn zur Standhaftigkeit und Gelassenheit zu gewöhnen. Sie wiederholte ihm diese Vermahnungen bis in sein achtzehntes Jahr, da er nach den Gesetzen des Landes die Regierung übernehmen konnte.

Sie führte ihn selbst zu dem erledigten Throne, übergab ihn dem Beistand der versammelte Räte, umarmte ihn noch einmal mit einer mütterlichen Zärtlichkeit und sprach: Prinz! sei deines Vaters würdig und vergiß nicht, daß die Tugend ihre Freunde belohnt, wenn sie auch von der ganzen Welt verkannt wird! Hier schwieg sie, sah ihn zum letztenmal liebreich und mitleidig an und schwang sich auf einer blauen Wolke in die Höhe, um nach ihren glücklichen Wohnungen zurück zu [80] kehren oder in einem andern Lande die Erziehung eines jungen Prinzen zu übernehmen, welches sie als eine Freundin der Menschen ihre einzige und liebste Beschäftigung sein ließ, da sie wußte, daß durch die tugendhafte Erziehung eines einzigen Prinzen Millionen Menschen glücklich werden. –

Ciongock saß eben an dem Eingang seiner traurigen Höhle und sann auf Verderben, als er die Zoimane in der Luft erblickte. Er verbarg sich, denn der verruchteste Bösewicht erschrickt bei dem unvermuteten Anblick eines Tugendhaften. Nunmehr wußte er, daß T'Siamma den Thron bestiegen hatte und weiter nicht unter dem Schutz der Fee war. Er brüllte vor Freuden und rüstete sich, sein Vorhaben auszuführen. »Ja, T'Siamma, dein Feind will ich sein, wie ich der Feind deiner Eltern gewesen bin. Sei immerhin ein Freund der Götter, sei tugendhaft, sei weise und gerecht; alle diese Geschenke der Feen sollen dir unnütz sein. Ich will mich der Herzen der Unterthanen und deiner Nachbarn bemächtigen. Deine Frömmigkeit sollen sie für Heuchelei halten. Du wirst regieren wie dein Vater, und doch wird sich das Volk wider dich auflehnen. Sei immerhin liebenswürdig und weise, man wird dich doch verachten. Du sollst nach Schatten greifen; deine größten Unternehmungen sollen sich endigen, wie ein lächerlicher Traum verschwindet.«

Das sagte der drohende Ciongock mit einer rauhen Stimme. Er lachte dreimal, und dreimal seufzte die Natur. Er setzte sich auf seinen Wagen, welchen vier graue Drachen zogen, und eilte nach der Insel Chiekock, sein Vorhaben auszuführen. Die Dichter erzählen, daß die Blätter unter ihm verwelkt und die Vögel verstummt sind, da er durch die Lüfte fuhr.

Inzwischen hatte das Volk erfahren, daß T'Siamma den väterlichen Thron bestiegen habe. Es versammelte sich vor den Thoren des Palastes und verlangte, seinen neuen König zu sehen. Der Ruhm von seiner Weisheit und Güte hatte sich schon seit vielen Jahren im Lande ausgebreitet. Das Volk betete ihn um deswillen an. Und hätte er auch diese großen Gaben nicht besessen, so würde es ihn doch geliebt haben, weil er der Sohn ihres Juokamosamma war.

T'Siamma wollte sich diese Gelegenheit zu nutze machen und sowohl die Ehrfurcht als die Liebe seiner Unterthanen gewinnen, wenn er sich in der Majestät des Königs und zugleich in der Freundlichkeit eines liebreichen Vaters zeigte. Die Könige in Chiekock redeten – wider die Gewohnheit der morgenländischen Könige – öffentlich zu ihren Unterthanen. [81] T'Siamma, dessen Zunge die göttliche Fee siebenmal berührt hatte, nahm sich vor, seinen Unterthanen bei dieser feierlichen Gelegenheit zu sagen, wie er sie liebe. Er freute sich als ein guter König, daß er ihnen dieses sagen konnte. Die Thüren des Palastes wurden geöffnet, und der König erhob sich vom Thron zu seinem Volke.

In eben diesem Augenblick langte der Zauberer über der königlichen Burg an. Er sah die freudige Ungeduld des Volks und knirschte mit den Zähnen. Er murmelte drei schreckliche Worte; sogleich kehrte sich das bezauberte Volk um und lief nach einer andern Seite des Schlosses, eine Bande chinesischer Gaukler zu sehen, die der Zauberer dahin gestellt hatte, den Pöbel zu belustigen. Man urteile einmal von der Bestürzung, des T'Siamma, welcher bei dem Austritt aus dem Zimmer keinen von seinen Unterthanen fand, und welcher erfahren mußte, daß sie ihn verlassen hatten, um einer Bande Gaukler nachzulaufen. Er betrübte sich darüber; aber er gab sich auch alle Mühe, die Leichtsinnigkeit des Volks zu entschuldigen. Er wartete lange Zeit vergebens auf die Zurückkunft des Volks und kehrte endlich bekümmert in sein Schloß zurück. Das Volk versammelte sich von neuem und ward ungeduldig, daß es so lange auf seinen König warten sollte.

Man hinterbrachte dem König diese Ungeduld des Volks, welches ihn zu sehen verlangte. T'Siamma war ein zu gütiger Fürst, als daß er vermögend gewesen wäre, seinen Unterthanen eine Bitte abzuschlagen, welche ein Beweis ihrer Ehrfurcht und Liebe war. Er ging etlichemale in seinem Zimmer auf und ab, um sich von der vorigen Bestürzung zu erholen und zu überlegen, wie er in wenigen Worten seine Unterthanen am nachdrücklichsten an ihre Pflicht erinnern und sie zugleich von der liebreichen Fürsorge, mit welcher er ihr König sein werde, versichern könne. Er eilte nunmehr, seinem Volke sich vorzustellen, welches ihn mit einem jauchzenden Zuruf und allgemeinem Händeklatschen empfing. Einem gütigen König kann nichts angenehmer sein als die Freude seiner Unterthanen. Er wartete, bis das Geräusch des Volks sich würde gelegt haben, um mit ihm zu reden. Das Jauchzen verdoppelte sich, und T'Siamma brannte vor Begierde, ihnen die Worte zu sagen, von denen er hoffte, daß sie bei der Freude seines Volks einen noch einmal so starken Eindruck haben müßten. Da das Volk nicht aufhören wollte zu jauchzen, so gab er ihnen das gewöhnliche Zeichen, daß er reden wolle, und erwartete ein ehrerbietiges Schweigen; aber das Lärmen verdoppelte sich. [82] Nunmehr war es kein Jauchzen oder Händeklatschen mehr; es war ein wildes und wüstes Geschrei eines trunkenen Pöbels. Sie würden es für einen Aufruhr gehalten haben, aber sie sahen, daß das Volk sich ruhig verhielt und nur bei unaufhörlichem Jauchzen und Händeklatschen zu rasen schien. Mit einem Wort, es war dem König nicht möglich, zu seinem Volk zu reden. Er kehrte zurück und überdachte sein Schicksal mit der Traurigkeit eines liebreichen Vaters, welcher nicht mehr weiß, wie er seinen Kindern helfen soll, die nicht auf ihn hören wollen.

Alles dieses war ein Werk des Zauberers, welcher die Freude seiner Unterthanen in einen ausschweifenden Unsinn verwandelt hatte, damit sie wie die Trunkenen nicht wissen sollten, was sie sähen oder was sie hörten.

T'Siamma merkte wohl, daß ihm eine mächtigere Hand widerstand. Er erinnerte sich der weisen Vermahnungen seiner gütigen Zoimane, welche ihn beständig aufgemuntert hatte, standhaft, und gelassen zu sein, wenn er auch unglücklich wäre. Sie hatte ihn merken lassen, daß er einen mächtigen Feind habe; aber daß dieser Feind ein Zauberer und zwar der grausame Ciongock sei, das hatte sie ihm niemals sagen wollen, damit er den Mut nicht gänzlich fallen lassen und nicht müde werden möchte, seinem Unglücke zu widerstehen.

Ciongock freute sich, wie sich ein Bösewicht freut. Er sann auf neue Mittel, wie er den tugendhaften T'Siamma kränken könne. Und da er einer von den gefährlichsten und grausamsten Zauberern war, so nahm er sich vor, die Frömmigkeit und Weisheit des gütigsten Königs seinen Unterthanen und Nachbarn lächerlich zu machen.

Die Gesetze des Reichs erforderten, daß der neue König in den ersten dreißig Sonnen seiner Regierung eine Wallfahrt zu dem Haine des großen Namu-Amida thun sollte. T'Siamma unterwarf sich diesem Gesetze mit Vergnügen, da es ihn zu einer heiligen Handlung verband, und da er den meisten Teil seiner Unterthanen beisammen sehen sollte. Er zog fort in Begleitung der Ältesten seines Reichs und hatte die ansehnlichsten Geschenke auf einen weißen Elefanten geladen, um sie seinem, Gott zu heiligen.

Ciongock sah wohl, daß er alles verlieren würde, wenn er es geschehen ließe, daß die Unterthanen ein öffentliches Zeugnis seiner Frömmigkeit und Andacht sähen, aber daß er desto mehr gewinnen würde, wenn er dem Volke diese Frömmigkeit verdächtig machen könnte. Er that es.

[83] Der König näherte sich dem Haine und legte sich dreimal auf sein Angesicht nieder, um sich zu dem Anschauen des Namu-Amida zu heiligen. Seine Unterthanen, die ihn in unzähliger Menge am Haine erwarteten, freuten sich über ihren König und fielen dreimal mit ihm nieder und beteten für ihn, denn das fromme Beispiel eines Königs macht fromme Unterthanen, und die Frömmigkeit macht treue Bürger. Nun zog er mit seinem Gefolge nach dem Tempel. Die Priester tanzten ihm in langen weißen Kleidern und mit Kränzen in den Händen entgegen, um ihn zu segnen und seine Geschenke unter sich zu teilen. Sie ließen ihn ihre Kränze küssen und fragten ihn im Namen ihres großen Gottes nach den Geschenken.

Er befahl, daß man den Elefanten herbeiführen sollte; aber wie bestürzt war er, und wie wütend waren die Priester, als man anstatt des aufgeputzten Elefanten einen grauen Esel brachte, der zwei Körbe mit Reis und Bohnen trug! Sie warfen den Staub gegen den Himmel, hörten die Entschuldigungen des Königs nicht und riefen dem Volke zu, sie sollten die Beschimpfung ihres Gottes rächen und den ungläubigen T'Siamma erwürgen. Das Volk fing schon an zu murren. Der unglückliche König flüchtete sich in sein Schloß, wo er drei Tage lang verschlossen blieb und auf seinen Knien rohe Bohnen aß, um den Zorn des schrecklichen Namu-Amida zu versöhnen, denn er glaubte, daß dieser auf ihn erzürnt sei und aus Zorn seine Geschenke in so verächtliche Sachen verwandelt habe. Am vierten Tage versammelte er den großen Rat. Es ward beschlossen, der König solle durch einen seiner verschwiegensten Knechte den Priestern Geschenke senden und solche verdoppeln. Er that es. Die Priester ließen sich endlich großmütig bewegen, die Geschenke anzunehmen, und ihr Gott ward versöhnt.

Seit diesem Zufall blieb der König immer traurig. Denn die Gnade der Götter und die Liebe seiner Unterthanen verloren zu haben, das waren diesem guten Könige zwei schreckliche Sachen. Die Räte merkten seine Schwermut, welche weder die Geschäfte seiner Regierung noch die öfteren Lustbarkeiten zerstreuen konnten. Sie rieten ihm an, er solle sich vermählen. Es vergingen dreißig Monde, ehe er sich entschließen konnte. Endlich stellten sie ihm vor, das Wohl seines Landes erfordere dieses, und sogleich entschloß er sich.

Man schickte Gesandte an den König der benachbarten Insel Saykock, die um seine Enkelin werben sollten – eine Prinzessin, welche so tugendhaft, so weise und so schön war, daß man ihr den schmeichelhaften Namen Zizizi beigelegt hatte. [84] Der König freute sich über die Gelegenheit, die man ihm gab, sich mit dem Sohn seines alten und besten Freundes auf eine so genaue Art zu verbinden. Er gab seine Einwilligung zur Vermählung; er bat aber zugleich, daß T'Siamma selbst zu ihm kommen und die Prinzessin von seiner Hand annehmen sollte, damit sie sich mündlich unterreden könnten, wie das gute Vernehmen zwischen beiden Reichen und das Wohl ihrer beiderseitigen Unterthanen am sichersten zu befestigen sei. Eine einzige von diesen Ursachen wäre schon vermögend gewesen, den T'Siamma zu dieser Reise zu bewegen.

Er segelte also mit einem prächtigen Gefolge von hundert Schiffen ab. Zur Überfahrt nach Saykock brauchte man nur wenige Zeit. T'Siamma sah schon den Hafen. Er näherte sich ihm, ungeduldig vor Liebe, Freundschaft und Begierde, seine Unterthanen glücklich zu machen. Der alte König von Saykock stand mit seinen Dienern und seinem Volk am Ufer, seinen Freund zu erwarten, als ein jählinger Sturm die Flotte ergriff, aus dem Hafen zurückwarf und mit solcher Heftigkeit um die ganze Insel Saykock herumtrieb, daß er mit der dritten Sonne schon wieder vor dem Hafen war.

Die Einwohner entdeckten seine Flotte, die Freude breitete sich durch die ganze Stadt aus, und der König eilte mit seinem Hofe nach dem Hafen, seinen Freund und Sohn zu empfangen, den er schon verloren gegeben hatte. Sie sahen sich, sie winkten einander, um ihr Vergnügen über diese unvermutete Zusammenkunft auszudrücken. Das Ufer und die Flotte ertönten von dem Jauchzen des freudigen Volkes. Aber eine schreckliche Nacht umhüllte die Flotte. Es war nicht möglich, weiter zu kommen. Man zog die Segel an, damit die Schiffe nicht an einander scheiterten. In dieser ängstlichen Unbewegsamkeit blieb die Flotte liegen. Der Nebel verzog sich; aber wie erschrak T'Siamma, da er sah, daß er nicht mehr vor dem Hafen (von Saykock), sondern an den Ufern von Chiekock, nicht weit von seiner Burg war. Er warf sich auf dem Verdeck seines Schiffes nieder, betete zu seinen Göttern und befahl, die Segel von neuem aufzuspannen.

Er flog zum drittenmal nach der Insel Saykock seinen Wünschen entgegen. Zum drittenmal kam er in den Hafen und fand den König mit seinem Volke wieder versammelt, welche eine außerordentliche Freude über diese dritte Ankunft empfanden. Der alte König stand am Ufer, er reichte seinem Freunde die Hand, welcher eben im Begriff stand, aus dem Schiffe zu steigen, als das Volk auf dem Schiffe und dem [85] LandeVerräterei! Verräterei! rief. T'Siamma sprang ins Schiff zurück und suchte sein Volk zu besänftigen. Der alte König riß seinen Unterthanen die Waffen aus den Händen. Er rief ihnen zu. Aber niemand hörte auf ihn. Das Geschrei auf dem Lande und auf den Schiffen war wie das Geschrei zweier feindlichen Heere, die sich erwürgen. Die Flotte des T'Siamma kehrte zurück und floh, und keiner von seinem Gefolge hatte den Mut, sich umzusehen; bis sie in dem Hafen von Chiekock angelangt waren.

Hier versammelten sich die zerstreuten Schiffe. T'Siamma, welcher wohl merkte, daß ihn eine mächtigere Hand hinderte, trat traurig ans Land. Sein Gefolge erwachte wie von einem unruhigen Traume, und sie wußten nicht, was ihnen widerfahren war oder warum sie geflohen waren. Sie schämten sich vor ihren Weibern, sie schlugen die Augen vor ihrem König nieder; aber dieser gute König erkannte wohl, daß es nicht ihre Schuld sei. Er richtete sie auf und unterwarf sich dem Willen der Götter, welcher ihm unbegreiflich war.

Ciongock freute sich grimmig, denn er sah die Angst des Königs, welche dieser vor seinem Volk zu verbergen suchte. Seine Verbindung mit der tugendhaften, weisen und schönen Zizizi war ein zu großes Glück für den T'Siamma, als daß ihm dieser wütende Zauberer solches ungestört hätte überlassen sollen. Denn er war es, welcher den Sturm erregte, welcher die Nacht über die Schiffe verbreitete, und welcher Wut und Mord unter das Volk hauchte.

Der alte König von Saykock war fromm, aber nicht abergläubisch. Dieser dreifache Zufall hielt ihn nicht ab, die Unterhandlung von neuem anzufangen. Das sah er wohl, daß diese Hinderungen kein Werk der Götter waren. Er kannte seine Götter und wußte, daß diese das Vergnügen zweier tugendhaften Personen und das Glück zweier mächtigen Reiche nicht hinderten. Er hielt also alles, was ihm begegnet war, für einen ungefähren Zufall und wollte, daß die Vermählung vollzogen werden sollte. Nur das wollte er nicht zulassen, daß T'Siamma zum viertenmal zu ihm käme. Um deswillen setzte er sich selbst mit einem kleinen Gefolge in ein Schiff und landete in Chiekock an, ohne daß sich T'Siamma dessen versah. Man meldete ihm die Ankunft des alten Königs. Er erstaunte und eilte ihm mit offenen Armen entgegen, den Freund seines Vaters und seine göttliche Zizizi zu umarmen. Er küßte dem Alten den Bart. Und als ihn der Alte gesegnet hatte, so übergab er ihm die Prinzessin, welche sich zu den Füßen des [86] T'Siamma niederwerfen wollte. Dieser fing sie in seinen Arme auf und zog ihr zur Versicherung seiner ewigen Treue nach der Gewohnheit des Landes in Gegenwart des Hofs und des ganzen Volks den Schleier vom Gesichte.

Man kann wohl glauben, wie heftig sein zärtliches Verlangen war, diejenige zu sehen, welche ganz Morgenland für die schönste Prinzessin hielt. Aber man stelle sich auch den Schrecken vor, der ihn überfiel, als er die unangenehmste und häßlichste Gestalt vor sich erblickte. Ein übelverwachsener Zwerg mit einem kahlen Haupte, einer gerunzelten und mit Haaren bewachsenen Stirne, triefenden und schielenden Augen, herabhängenden welken Backen, einem spitzigen Kinn und hervorragenden Zähnen – das war die Gestalt der göttlichen Zizizi.

T'Siamma blieb einige Minuten unbewegt vor ihr stehen. Er sah sie, er sah ihren Vater, er sah das Volk an und warf ihr endlich den Schleier über das Gesicht. Die unglückliche Prinzessin weinte und wußte die Ursachen dieses allgemeinen Erstaunens und traurigen Stillschweigens nicht. Der ehrwürdige Greis verhüllte das graue Haupt in seinen Rock. Unter dem Volke erhob sich ein mißvergnügtes Murren, und hoch in der Luft hörte man ein lautes Lachen, wie das Lachen eines Riesen ist, der in seiner gewölbten Höhle vom Weine taumelt und jauchzet. Der alte König erkannte diese Stimme des Zauberers. Er enthüllte sein Gesicht, warf den Staub gen Himmel und rief dreimal den Namen des mächtigen Namu-Amida. Das Lachen des Zauberers verwandelte sich in ein wildes Heulen, welches sich in den entfernten Wolken verlor. Aber die unglückliche Prinzessin behielt ihre Häßlichkeit, von der sie nichts wußte.

Der alte König nahm sie bei der Hand und ging mit ihr und dem T'Siamma in das Zimmer, wo er sie also anredete: Ich sehe nunmehr, meine Kinder, daß die alten Drohungen eines der mächtigsten Zauberer erfüllt sind. Aber zu meiner Beruhigung weiß ich auch dieses, daß ich nur noch wenige Monden lebe und mit meinem Tode die Zauberei sich endigen wird. T'Siamma, sei großmütig und gerecht. Verstoß meine Tochter nicht. Liebe sie und erwarte bald ein besseres Vergnügen. Und du, meine Tochter (hier umarmte er sie), du wirst nicht immer unglücklich bleiben. Ertrage dein Unglück! Tugend und Weisheit hat dir die Hand des mächtigen Zauberers nicht rauben können, nur die vergängliche Schönheit war es, die er auf einige Zeit verstören konnte. – Hier stellte er seine Tochter vor den Spiegel, damit sie die traurige Verwandlung [87] erfahren sollte. Sie sah sich, sie erschrak, sie fiel halb ohnmächtig in die Arme des Vaters zurück und vergoß über den Verlust ihrer Schönheit bittere Thränen, denn sie war ein Frauenzimmer. Die Hand unseres Feindes, sagte sie, hat eine Zerstörung angerichtet, die ich ohnehin einige Jahre später von der Zeit erwarten mußte. Ich werde mich zu beruhigen suchen. Aber du, Prinz, so redete sie den T'Siamma an, du bist von deinem Versprechen befreit. Ich kehre wieder mit meinem Vater zurück. Ich liebe dich zu sehr, als daß ich von dir verlangen sollte, mich zu lieben. Lebe ohne mich vergnügt.

T'Siamma, welcher Zeit gehabt hatte, sich von seiner ersten Betäubung zu erholen, ward durch diese Anrede empfindlich gerührt. Er nahm sie bei der Hand, umarmte sie und schwor, sie ewig zu lieben. Die feierliche Vermählung ward vollzogen. T'Siamma bewunderte seine Gemahlin. Aber der Pöbel in Chiekock sang spöttische Lieder von seiner neuen Königin. Sie erfuhr es und lachte, denn ein Weiser lacht mitleidig über den Witz des Pöbels. Sie bemühte sich, ihrem Gemahl zu gefallen, und dieser war so weise und gerecht, daß er ihre Verdienste bald einsah und sie mit Hochachtung liebte.

Sie bemühte sich auch, das Volk von ihrer Tugend und ihrem Verstand zu überführen. Diese Mühe blieb vergebens, denn sie war häßlich. Lag sie in dem Tempel vor ihren Göttern, so sagten die starken Geister zu Chiekock, daß sie wie der fromme Pöbel andächtig bete, weil sie nicht vernünftig denken könne. Redete sie wie der weiseste Brahmine von den Göttern, von der Natur und von den heiligsten Pflichten des Menschen, so nannte man sie eine traurige Pedantin. War sie gefällig und freundlich gegen die, mit denen sie sprach, so gab man ihr eine gemeine und niedrige Aufführung schuld. War sie freigebig, so nannte man es eine übel angebrachte Verschwendung. Mit einem Wort: der Pöbel am Hofe und der Pöbel in der Stadt fand nichts als Untugenden und lächerliche Fehler an ihr – denn sie war sehr häßlich.

Diese allgemeine Verachtung war ihr sehr empfindlich. Sie wußte die Ursachen derselben. Sie wußte, daß diese Ursachen aufhören würden, sobald ihre Bezauberung aufhörte. Sie wünschte aus Liebe zu ihrem Gemahl, zu ihrem Volke und zu sich selbst, daß sie ihre vorige Gestalt wieder bekommen möchte. Aber mitten in diesem Wunsche hielt sie inne und zitterte, wenn es ihr einfiel, daß dieser Wunsch nicht anders als durch den Tod ihres Großvaters, den sie so sehr liebte, erfüllt werden konnte. Sie wünschte, daß er noch lange leben möchte; und [88] damit dieses desto gewisser geschehe, so verlangte sie, häßlich und ungestaltet zu bleiben.

Ihr gemeinschaftlicher Feind, der unversöhnliche Ciongock, wußte wohl, daß diese Zauberei durch den Tod des alten Königs aufhören werde. Er wußte auch, daß dieser Tod in wenigen Monaten erfolgen müsse. Er konnte urteilen, wie sehr T'Siamma und seine Gemahlin sich alsdann lieben würden, da nicht einmal ihre Häßlichkeit diese Liebe hatte hindern können. Ein solches Glück gönnte der Grausame seinem Feinde nicht. Er merkte wohl, daß T'Siamma, so großmütig er auch war, doch mit Ungeduld auf die Zeit ihrer Verwandlung wartete. Er als ein Zauberer war allein vermögend, die stillen Wünsche der Königin zu entdecken, die sie nach ihrer Schönheit that, so oft ihr die Verachtung des Volks unerträglich ward. Alles dieses sah er und spottete ihrer Wünsche, denn er hatte einen grausamen Einfall, den König durch die Schönheit seiner Gemahlin noch weit unglücklicher zu machen, als er ihn durch ihre Häßlichkeit gemacht hatte.

Es war an einem Morgen, als die Königin mit Aufgang der Sonne in ihrem Zimmer vor dem Bilde des Gottes Ysum lag und für die Seele des sterbenden Großvaters betete, dessen gefährliche Krankheit man ihr gemeldet hatte. Sie war eben im Begriff, vom Gebete aufzustehen, als sie von einem Schlag, wie der Schlag eines starken Donners ist, niedergeworfen ward. T'Siamma hörte es, er eilte nach ihrem Zimmer und fand sie ohnmächtig auf der Erde liegen, aber mit einer Schönheit, die ihn blendete, so schrecklich ihm sonst dieser Anblick war. Er nahm sie in seine Arme und sie kam in wenigen Augenblicken wieder zu sich selbst.

Der König war in großer Unruhe, wie er ihr diese glückliche Verwandlung entdecken sollte, da er es nicht anders thun konnte, als ihr zugleich die Nachricht von dem Tode ihres Großvaters, den sie so zärtlich liebte, zu entdecken. Sie saß noch auf seinen Knien und zitterte vor Schwachheit. Sie sah ihren Gemahl und die Umstehenden mit einer wilden Unordnung an, wie ein Kranker, der von einem schweren Traum erwacht.

Endlich erblickte sie ihre eigene Gestalt in einem Spiegel. Sie riß sich aus den Armen ihres Gemahls, drängte sich durch die Bedienten des Hofs und blieb einige Minuten unbeweglich vor diesem Spiegel stehen. Ja, ich bin es, rief sie mit einer ungemäßigten Freude. Sie setzte sich vor dem Spiegel nieder, zog ihre schwarzen Haarlocken durch die weiße Hand und bewunderte [89] die Schönheit von beiden. Von ungefähr lächelte sie, und sie fand dieses Lächeln schön. Sie wiederholte es und gab sich Mühe, auf verschiedene Art zu lächeln, um zu versuchen, welches Lächeln eigentlich ihrem Munde und ihren Zähnen am vorteilhaftesten sei. Sie war nicht müde, ihre Augen zu betrachten. In einer einzigen Minute machte sie die Blicke einer Zärtlichen, einer Spröden, einer Gebieterin, einer Schmachtenden, einer Traurigen und tausend Blicke, in welchen sich der Leichtsinn eines europäischen Frauenzimmers vor dem Spiegel übt. Mit einem Wort, sie buhlte mit sich selbst und fand endlich, daß die Blicke der Gebieterin ihren schwarzen Augen am anständigsten wären. Mit dieser Miene wandte sie sich um, und erwartete die Anbetung derer, die um sie waren.

Ihr Gemahl, welcher mit Erstaunen alle diese ungewohnten Bewegungen an ihr wahrgenommen hatte, stand ganz betrübt neben ihr, ohne von ihr gesehen zu werden. Er nahm sie bei der Hand, aber sie zog ihre Hand kaltsinnig zurück und sah ihn an. Endlich schien sie sich zu erinnern, daß er ihr Gemahl sei. Sie überließ ihm die Hand nachläßig, ohne auf die Zärtlichkeit acht zu haben, mit welcher er sie küßte. Er wagte es endlich, sie an den Tod ihres Großvaters zu erinnern. Der Wille der Götter, sagte er mit einer ängstlichen Miene zu ihr, seine Weisheit, seine Tugend, das Glück der Toten, das schwächliche Alter deines Großvaters ... Ist er tot? unterbrach sie ihn ganz gelassen. – T'Siamma sah traurig auf die Erde. Also ist er tot! wiederholte sie nochmals und zuckte mit den Achseln; aber er war alt, und verdrießlich; sein ... Indem sie dieses sagen wollte, so entdeckte sie im Spiegel unter ihrem linken Auge ein kleines, fast unmerkliches Blätterchen. Aber, große Götter! schrie sie, was ist dieses? Sie ward unruhig, sie verlangte die Ärzte und sank, kraftlos auf einem Sofa nieder.

T'Siamma stand vor ihr wie ein Träumender. Er sah seine Gemahlin als die schönste Person des Morgenlandes vor sich, aber ohne Zärtlichkeit, ohne Empfindung der Tugenden, die ihr sonst eigen waren. Er sah einen schön gemalten Körper, welcher nur mit sich selbst beschäftigt war, nur sich liebte und die Hochachtung der Menschen erwartete, ohne sie verdienen zu wollen. Er schlug an seine Stirne und bat die Götter, sie möchten ihm diese Schönheit wieder nehmen, welche so viele Tugenden verdrängt hätte. Aber die Götter wollten ihn noch nicht hören, und der Zauberer freute sich über seine Verwüstung.

[90] Bei dem Pöbel hatte diese Verwandlung eine ganz andre Wirkung. Er betete ihre Schönheit an. Ehe sie nur die Lippen öffnete, so ward sie bewundert, noch ehe sie redete. Sie redete mit ihrem Papagei, und was sie mit ihm redete, war Weisheit. Unter diesem Pöbel waren viele Dichter, sie besangen ihre Schönheit, und die Königin spendete Reis unter sie aus. An gewissen feierlichen Tagen teilte sie ein sparsames Almosen unter die Armen der Stadt, um dem Volke ihre weißen Hände zu zeigen. Man nannte diesen eitlen Hochmut wohlthätige Tugend, denn ihre Hände waren rund und wohl gemacht. Mit einem Worte: Der Pöbel in Chickock, der die tugendhafteste Königin verachtet hatte, weil sie häßlich war, vergötterte nunmehr ihre Schönheit und hielt ihre Thorheiten für Tugend.

Der unglückliche Gemahl ward durch diese Schönheit nicht verblendet; er liebte sie noch. Aber weit zärtlicher liebte er sie damals, als sie zwar häßlich, aber noch tugendhaft war. Er brachte die Stunden in ihrer Gesellschaft sehr mißvergnügt zu. Denn gegen alle war sie freundlich, gefällig und aufgeräumt, nur gegen ihren Gemahl nicht. Gegen seine Liebkosungen war sie immer unempfindlich und kalt. Wollte er sie küssen, so klagte sie über Schmerzen am Haupte. Verlangte er, daß sie mit an seiner Tafel speisen sollte, so wendete sie eine Andacht vor und fastete. Redete er mit ihr und sagte ihr die zärtlichsten Schmeicheleien, so spielte sie mit ihrem kleinen Drachen. Redete er nicht mit ihr, so warf sie ihm seine Unempfindlichkeit vor. Was ihm gefiel, tadelte sie. War er aufgeräumt, so vergoß sie Thränen, daß er bei ihrem Kummer noch scherzen könne. In den traurigen Stunden, wenn er seinen Schmerz weiter nicht bergen konnte, machte sie ihm bittere Vorwürfe und klagte, daß er sie nicht mehr liebe, daß er allemal aufgeräumt und nur in ihrer Gegenwart immer traurig sei.

Das Exempel der Königin breitete sich durch die ganze Stadt aus. Die Weiber der Vornehmen ahmten ihr nach. Die Ärzte hielten es für eine Krankheit, aber sie wußten kein Mittel dawider. Sie gaben dieser Krankheit einen gelehrten Namen und nannten sie Ongasauwara-Sinano. Das war alles, was sie thun konnten. Unerachtet dieses gelehrten Namens blieben die Männer bei dem mißvergnügten und sich widersprechenden Eigensinn ihrer Weiber unglücklich. T'Siamma sah die Zerrüttung mit Betrübnis, welche dadurch in den ansehnlichsten Familien verursacht ward. Er gewöhnte [91] sich, gegen seine Gemahlin gelassen, nachsehend und immer gefällig zu sein. Die Großen im Reiche ahmten ihm hierin nach. Sie machten dadurch ihren Ehestand erträglich, aber ihre Weiber nicht vernünftiger. Die Chronikenschreiber von Chiekock wollen behaupten, daß um diese Zeit die Herrschaft der Weiber angefangen habe; aber der gelehrte T'Sintsia macht diese Gewohnheit noch etliche tausend Jahre älter.

In diesen bekümmerten Umständen lebte T'Siamma etliche Jahre lang und war endlich so glücklich, sein Elend gewohnt und ruhig zu ertragen. Aber auch diese traurige Ruhe gönnte ihm der Zauberer nicht.

Es breitete sich ein Gerücht in Chiekock aus, daß zwei mächtige Prinzen in Siam mit einander in Krieg verwickelt wären. Der schwächste von ihnen war ein Freund und Bundesgenosse des T'Siamma. Dieser brach mit seiner Armee auf, um ihm beizustehen. Er landete glücklich an, schiffte seine Truppen aus und fand, daß das ganze Land in Ruhe war. Sein Freund hielt dieses für einen feindlichen Einfall und ward entrüstet. Er verband sich in Eile mit andern benachbarten Fürsten und überfiel die Völker des T'Siamma, welcher nicht im stande war, der Macht zu widerstehen, und mit vieler Not den Rest seiner Truppen auf die Schiffe flüchten konnte.

Dieser unglückliche Zufall schlug seinen Mut gänzlich nieder. Es war ihm unerträglich, daß er ein Spott der benachbarten Fürsten sein und für einen bundbrüchigen Freund angesehen werden sollte. Er eilte nach seinem Lande zurück, um sich vor den Augen der Welt und seiner Unterthanen zu verbergen.

Er kam an den Hafen. Aber er fand seine Unterthanen in den Waffen, welche ihm und den Seinigen den Eingang verwehrten. Der Zauberer, welcher wußte, daß die Götter ihm nur wenige Zeit noch seine Bosheiten ungestraft zulassen würden, hatte sich vorgenommen, den letzten und empfindlichsten Streich wider den T'Siamma auszuführen. Er hatte, als dieser abwesend war, seine Gestalt angenommen und das Volk in Waffen gebracht, da er aussprengte, daß eine feindliche Macht sein Reich überfallen wollte. Das war die Ursache des Widerstandes, welchen T'Siamma fand.

Aber sein Mut und seine gerechte Sache überwanden auch diese Hindernisse. Er trat an das Land. Das Volk sah ihn und erstaunte, denn es sah auch den Zauberer in der Gestalt des T'Siamma. Der Zauberer hatte die Priester durch Geschenke gewonnen. Die unglückliche Zizizi hielt ihn für ihren [92] Gemahl und liebte ihn seit einiger Zeit wirklich, weil er ihr tausend kindische Schmeicheleien vorsagte und ihr alle Stunden neue Gelegenheit gab, ihre Eitelkeit zu beruhigen. Die Weiber der Großen im Reiche hatten gar zu viel Ursache, auf ihrer Seite zu sein. Sie bedienten sich also der Gewalt über ihre Männer und nötigten sie, die Partei der Königin zu nehmen. Der Pöbel war ohnedem schon auf ihrer Seite. Also blieben nur noch wenige Tugendhafte und Getreue übrig, welche dem wahren T'Siamma anhingen.

Er verlangte in Gegenwart seiner Gemahlin und des Volks, seinen Feind zu sehen und mit ihm um sein Recht zu kämpfen. Der Zauberer ging es ein, da er seiner Macht gewiß genug zu sein glaubte. Sie begegneten beide einander in einer fruchtbaren Ebene vor der Stadt. Der Zauberer führte die Königin an der Hand und ward von einer unzähligen Menge Volks begleitet. T'Siamma erstaunte nunmehr selbst über die Ähnlichkeit seines Feindes. Er war wütend, daß er seine Gemahlin an der Hand dieses Räubers sehen sollte. Er zog sein Schwert und rief: Göttliche Zoimane! stärke meinen Mut und diesen Arm! Sobald er dieses gesagt hatte, sprang er auf den Zauberer los, welcher ihn aber, ohne aus seiner Gelassenheit zu kommen, zu Boden warf und erwürgen wollte.

In diesem Augenblicke stürzte die göttliche Zoimane, die Freundin und Beschützerin ihres T'Siamma, in einer Wolke von Feuer auf den Zauberer herab. In ihrer linken Hand hielt sie einen Talismann, der eingegrabene Name des Namu-Amida machte ihn den Gottlosen schrecklich. Der Zauberer erblickte diesen Namen und zitterte. Er wollte fliehen, aber er sank zur Erde nieder. Er verwandelte sich in einen schrecklichen Riesen und war so verwegen, wider die Fee zu kämpfen. Diese hielt ihm den Talismann vor, und er stürzte zum zweitenmal wie ein Kind zur Erde. Er verwandelte sich in einen hohen Felsen, um gegen die Kraft des Talismans unempfindlich zu sein, aber er schmolz wie Schnee zusammen. Noch zum drittenmal versuchte er zu entkommen, verwandelte sich in einen Strom und riß den unglücklichen T'Siamma, welcher ohnmächtig auf der Erde lag. mit sich fort. Die Fee merkte dieses zu spät. Sie warf sich in den Strom, den T'Siamma zu retten. Durch die Gewalt des Talismans vertrocknete der Strom, und es blieb nichts übrig als ein faules stehendes Wasser. Aber mitten in demselben lag der T'Siamma ohne Empfindung ausgestreckt und blieb tot.

[93] Das war das Ende des grausamen Zauberers, welcher noch in dem letzten Augenblick seiner Wut den tugendhaften T'Siamma zugleich mit in sein Verderben hinriß. Nur die weisen Götter wußten, warum sie dieses geschehen ließen.

Die Fee netzte den Leichnam mit ihren Thränen. Sie wollte der Nachwelt ein Andenken seines großen Muts und seiner standhaften Tugend hinterlassen. Sie hielt also den Talisman an seine Stirne, und es erhob sich mitten aus diesem toten See ein Fels von weißem Marmor, welcher den Leichnam des T'Siamma in sich verschloß.

Unter diesem schrecklichen Kampfe der Fee und des Zauberers war das Volk geflohen. Die Königin lag ohnmächtig an dem Fuße eines Baumes und wußte von allen diesen traurigen Veränderungen nichts. Sie ermunterte sich durch ein Wort der Fee, welche ihr das Schicksal ihres Gemahls, die Bosheit des Zauberers und die Rache der Götter erzählte. Sie legte ihr den Talisman auf die Brust, und in demselben Augenblicke verschwand alle Eitelkeit und Thorheit, welche durch die Zauberei des Ciongock zeither ihren Verstand umnebelt hatte. Sie war vor Bekümmernis außer sich. Sie wollte mit den Göttern zanken. Aber die Fee erinnerte sie an ihre Gottesfurcht, an ihre Tugend und an ihre Weisheit. Sie ward ruhig, sie küßte den Namen des mächtigen Namu-Amida und beweinte ihren Gemahl, ohne ungeduldig zu murren. Die Fee verließ sie.

Zizizi bauete ihrem Gemahl einen prächtigen Tempel auf dem Marmorfelsen, welcher seinen Leichnam verschlossen hielt. In diesem Tempel war sie die oberste Priesterin bis an ihren Tod. Das Volk betete sie an. Er (T'Siamma) ward der Gott der Unglücklichen, welche ihren Wünschen immer nahe sind, ohne sie jemals zu erlangen, und welche, solange sie leben, vergebens hoffen.

Sein Tod geschah (nach der Zeitrechnung der Einwohner zu Chiekock) am siebenten Tag des Monden Ni-ada, welcher nach dem europäischen Kalender der erste April ist. Dieser Tag war dem Volke besonders heilig. Sie gingen hinaus in die Ebene nach dem Tempel ihres Gottes T'Siamma und stellten sich, als wenn sie ihn ängstlich suchten. Sie riefen ihn, und wenn sie ihn nicht fanden, so warfen sie Steine in den faulen See Ciongock, um das Andenken des Zauberers zu verfluchen.

Die Eltern sagten an diesem feierlichen Tage zu ihren Kindern: Geht hinaus und sucht den T'Siamma! er wird [94] euch etwas schenken. Die Kinder gingen und warfen Steine in den See, wenn sie ihn nicht fanden.

Das Weib sagte zu ihrem Manne: Geh hinaus und suche den T'Siamma! er wird dir sagen, ob ich dich mehr liebe als andere Männer. Der Mann ging und rächte sich an dem See, wenn er ihn nicht fand.

Die Mutter sagte zu ihrer Tochter: Geh hinaus und suche den T'Siamma! er wird dir den Mann nennen, durch dessen Liebe du glücklich werden sollst. Die Tochter ging und kehrte traurig zurück, weil sie diesen Mann nicht erfuhr.

Der Weltweise sagte zu seinen Schülern: Gehet hinaus und suchet den T'Siamma! er wird euch eine Weisheit lehren, gegen welche die meinige nur Thorheit ist. Sie gingen hin und suchten ihn und klagten es ihrem Lehrer, daß sie keine Weisheit gefunden hätten.

Dieses war die Art, mit welcher die Einwohner das Andenken ihres unvergeßlichen T'Siamma feierten. Sie fasteten an diesem Tage, und das ganze Land war traurig.

Nach tausend Jahren war die Religion in Chiekock verächtlich, da das Land einen König bekam, der sich der Religion seiner Väter schämte. Die Großen des Volks waren starke Geister, und nur der arme Pöbel betete noch. Um diese Zeit fiel auch die Hochachtung, die man für das Andenken des T'Siamma hatte. Sein Gottesdienst verkehrte sich in Völlerei und pöbelhafte Ausschweifungen.

Sie sandten einander noch immer zu dem T'Siamma, aber nicht, um tugendhaft, nicht um weise zu werden – nein, nur um ihren Mutwillen zu kitzeln. Und fanden sie noch einen, welcher fromm und treuherzig genug war, sich zu dem T'Siamma schicken zu lassen, den hielten sie für einen Narren. Dem Pöbel gefiel endlich dieser Scherz auch, und für den Pöbel gehörte er eigentlich. Er bemächtigte sich dieses Witzes und behielt ihn bei, nachdem die Vornehmen des Landes anfingen, sich desselben zu schämen. Diese Gewohnheit breitete sich durch Siam in Japan aus und ist endlich zu uns Europäern herüber gebracht worden.

Nunmehr ist der siebente Tag des Monats Ni-ada ein Fest der Narren in Chiekock. Und der europäische Pöbel feiert es zu gleicher Zeit am ersten April.

[95] Geheime Nachricht von D.J. Swifts letztem Willen.

Mylord!


Ich bin seither nicht im stande gewesen, Ihnen die verlangte Nachricht von einigen besonderen Umständen des swiftischen Testaments zu geben. Nunmehr habe ich Gelegenheit gefunden, von allem nähere Nachricht einzuziehen, und ich hoffe, Ihre Neugier dadurch befriedigen zu können.

Es ist allerdings wahr, daß unser Swift zwölftausend Pfund Sterling zur Errichtung eines neuen Tollhauses ausgesetzt hat. Die Nachricht von diesem löblichen Vorhaben war schon vor seinem Tode bekannt. Aber die meisten machten sich, wie auch Sie, Mylord, selbst gethan haben, unrichtige Begriffe von dieser mildreichen Stiftung. Sie glaubten, dieses Geld sei zur Verwahrung und zum Unterhalte physikalischer Nerven bestimmt, welche klug sein würden, wenn ihr Körper nicht ungesund und ihr Geblüt nicht verderbt wäre. Allein hierin betrog sich unsere ganze Stadt.

Swift, dessen Charakter Sie wohl gekannt haben müssen, beschäftigte sich in seinem Leben niemals mit dieser Art leiblicher Narren, welche er vielmehr der Vorsorge des Magistrats und den Händen der Ärzte und Barbierer überließ. Seine Bemühung war von einem viel weiteren Umfange und weit edler.

Die moralischen Narren lagen ihm am Herzen – Narren, welche oftmals bei gesundem Körper dennoch die gefährlichsten und ansteckendsten Krankheiten haben.

Seine Dienstfertigkeit erstreckte sich über ganz Großbritannien, und er hatte Lords und Schreiber in seiner Kur. Durch eine vieljährige Erfahrung war ihm bekannt, daß es mit der moralischen Narrheit eben die Beschaffenheit habe, wie mit dem Podagra, von dem vornehme Leute am meisten geplagt sind, Leute geringern Standes aber nur selten oder doch wenigstens nicht heftig befallen werden.

Vor etlichen Jahren that man ihm so vorteilhafte Vorschläge, daß er sich zu Westminster niederlassen und seine Kuren daselbst treiben sollte. Er hat es aber allemal auszuschlagen gesucht, weil er glaubte, er sei dieser weitläufigen Arbeit nicht gewachsen und die Narren daselbst seien viel zu zahlreich, als daß er sie in die Kur nehmen könnte. In [96] Dublin gefiel es ihm am besten, weil daselbst so viel Narren waren, als er bestreiten konnte. Indessen war er doch so billig, daß er Westminster und London von Haus aus mit, Rezepten versorgte ...

Das Kodizill, welches man versiegelt in seinem Pult gefunden, enthält die Namen derjenigen Personen, welche Swift vor anderen für würdig hält, in seinem neuen Tollhause zu wohnen. Er hat das Parlament ersucht, sein Testament zur Vollziehung zu bringen. Man ist jetzt damit beschäftigt ... (Hier folgen in der Rabenerschen Satire die Namen der Lords, Philosophen etc., die Swift angeblich bedacht). Am Schlusse heißt es unter anderem:

Vor allen andern, die in mein Tollhaus gehören, sollen die Irländer den Vorzug haben. Nach ihnen folgen unmittelbar die Briten. Für die Deutschen soll man einen besondern Flügel bauen, und die Sachsen sollen (als unsre alten Landsleute) zuerst untergebracht werden ...

Der Riß zu dem Seitengebäude ist schon gemacht, welches für die Deutschen bestimmt ist. Um sich bei diesem Volke ein größeres Vertrauen zu erwerben, hat man ihn von einem Franzosen verfertigen lassen, und die Aufführung des Baues soll auch an einen Franzosen verdungen – kurz, alles französisch werden. Ich habe hier etliche Deutsche gesprochen, welche darüber sehr vergnügt sind. Die Vorsorge des Parlaments geht noch weiter. Es ist ein Projekt gemacht worden, wodurch, man im stande zu sein hofft, eine große Anzahl dieses Volks unterzubringen ... Diejenigen (deutschen) Gelehrten, welche das Ansehen haben wollten, weit klüger zu sein als andere, tragen zehn und mehr Reichsthaler zu dieser Stiftung bei ... Die Namen dieser Subskribenten sollen gedruckt werden, und niemand soll alsdann bei schwerer Strafe befugt sein, an ihrer Klugheit im geringsten zu zweifeln ... Die größten Narren werden zwar am meisten dazu beisteuern, um recht klug zu scheinen, aber es thut nichts. Es ist doch wenigstens dazu gut, daß sie auf solche Art ihre Kollegen ernähren helfen. Man giebt sich von seiten Frankreichs viel Mühe, daß die dasigen Narren auch aufgenommen sein möchten ... [aber] unsere Nation ist durch gegenwärtigen Krieg ziemlichermaßen erschöpft und daher nicht im stande, eine so ungeheure Menge französischer Narren zu unterhalten.


Dublin am 10./21. März 1746.


Richard d'Urfey Esquire. [97]

II. Satirische Briefe.

Herbst 1751.

Vorbericht.

– – Es ist vielen unter unsern Deutschen sehr gewöhnlich, daß ihr Witz langsam und spät erwacht. Erwacht er aber einmal, so sind sie bis zum Ekel witzig. Der Beifall, den einige anakreontische Oden verdienten, machte das halbe Land anakreontisch. Man sang von Wein und Liebe, man tändelte mit Wein und Liebe, und die Leser gähnten bei Wein und Liebe. Ein Heldengedicht, dessen Vorzüge vielleicht erst in hundert Jahren den verdienten Beifall allgemein haben werden, macht zwei Dritteile des Volks episch. Aus allen Winkeln, wo ein Autor schwitzt, kriechen epische Hochzeitwünsche, epische Totenflüche, epische Wiegenlieder hervor, und der kleinste Geist flattert, so weit er kann, in die Höhe, um über geschwärzten Wolken hoch daherrauschend zu donnern. Mit denBriefen geht es uns ebenso, und wir sind in Gefahr, bei dieser Art des Witzes noch mehr auszustehen, je gewisser ein jeder glaubt, daß es sehr leicht sei, Briefe zu schreiben – und je leichter es ist, aus allem, was man geschrieben hat, einen Brief zu ma chen.

Mit Erlaubnis dieser meiner Herren Kollegen will ich hier die Kunst ihres Handwerks ein wenig verraten. Sie haben gelesen, daß man einen Brief so schreiben solle, wie man rede. Aber weiter haben sie nicht gelesen, sonst würden sie gefunden haben, daß man im stande sein müsse, vernünftig zu reden und zu denken, wenn man es wagen wolle, vernünftige Briefe zu schreiben ... sie schreiben sehr viele, Briefe, weil ihnen der Mangel des Verstands den Vorteil verschafft, daß sie mit großer Geschwindigkeit wenig denken und viel plaudern...

[98] Der steife und strotzende Witz, den uns die Ausländer so oft vorwerfen, äußert sich besonders bei denen, welche fühlen, daß sie gelehrt und belesen sind, auf eine andere Art. Sie machen sehr tiefsinnige Abhandlungen von uralten Wahrheiten, jagen solche durch alle Gassen der Schulberedsamkeit, machen dieses gotische Gewebe mit Sentenzen der Alten erbaulich und mit schönen Sinnbildern anmutig – und wenn sie endlich unter Mühe und Angst sechs Bogen zusammengepredigt haben, so setzen sie darüber: »Hochedelgeborner Herr, Hochzuverehrender Herr und Gönner!« – Den Augenblick wird dieses gelehrte Werk ein Brief!

Das ist das große Geheimnis und der wahre Kunstgriff, dessen sich ein arbeitsamer Deutscher bedienen kann, wenn er ein gelehrter Briefsteller von vier Quartbänden werden will. Durch dieses vortreffliche Mittel getraue ich mir, aus allen Folianten meines Vaterlandes Briefe zu machen ...

Nun weiß man, wie man artig, vertraut und geschwind, man weiß auch, wie man gelehrt schreiben solle. In diese Klassen werden sich die meisten Briefe einschränken lassen. Allenfalls nehme ich diejenigen aus, welche man Amts- und Berufsbriefe nennen könnte, und welchen der Kanzleistil eigen ist. Die Gewohnheit rechtfertigt diese Schreibart und macht sie unentbehrlich. Wer diesen Kanzleistil zur Unzeit unterläßt, ist ebenso wohl ein lächerlicher Pedant, als derjenige, der ihn zur Unzeit braucht.

Über die Titulatur muß ich noch etwas bemerken. Es ist uns Deutschen nicht zuzumuten, daß wir unser gezwungenes und buntes Wortgepränge auf einmal verlassen sollten, mit dem wir die Eingänge unserer Briefe prächtig machen. Am wenigsten wollte ich, daß die witzigen Köpfe die ersten wären, diese Gewohnheit lächerlich, das »Mein Herr« oder »Madame« allgemein zu machen ... Diejenigen, welche durch die Gewohnheit ein Recht haben, weitläufige und prächtige Titel zu fordern, haben auch allein das Recht, sich davon loszusagen. Es wäre zu wünschen, daß sie es nach und nach thäten und dadurch unsre deutschen Ehrenbezeugungen biegsamer und natürlicher machten ... In erdichten Briefen und bei unsern Freunden können wir das vertraute Mein Herr ohne Gefahr brauchen, und wir thun wohl, wenn wir es in dergleichen Fällen allgemein machen.

Ich wollte wünschen, daß sich jemand die Mühe gäbe, eine chronologische Geschichte der Komplimente und Titulaturen zu schreiben. Ich habe angemerkt, daß das [99] Lächerliche der Titulaturen in eben dem Grade gestiegen, in welchem der gute Gehalt der Münzen gefallen ist ...

Da ich so viel Nachteiliges von den Briefen, von ihren Verfassern und von andern dabei vorfallenden äußerlichen Umständen sage, so werden meine Leser vermuten, daß ich mich dieses Augenblicks bediene, desto vorteilhafter von mir und meinen Briefen zu sprechen, um auch für mich das angemaßte Recht der Autoren zu behaupten, die gemeiniglich nicht eher zu ihrem Lobe schreiten, als wenn sie zehn andere Schriftsteller der Welt verdächtig gemacht haben. Ich werde es nicht thun. Ich will mich und meine Sammlung dem Urteil der Leser überlassen, ohne zu flehen und ohne zu trotzen ... Der Beifall der Kenner macht mich stolz. Der Beifall derer, die nicht Kenner sind, macht mir ein Vergnügen ...

Die Einrichtung meiner satirischen Briefe ist ungefähr diese. Ich habe gewisse Bemerkungen von dem Lächerlichen oder Lasterhaften gemacht. Diese Bemerkungen habe ich durch Briefe erläutert. Um meinen Lesern durch die Abwechslung die Sache angenehm zu machen, habe ich hin und wider diesen Briefen die Gestalt einer zusammenhängenden Geschichte gegeben. Da sie alle nur erdichtet sind, so habe ich besonders in Ansehung der Titulaturen nicht nötig gehabt, sorgsam zu sein. Es ist meine Absicht nicht gewesen, meinen Lesern durch diese Sammlung Formulare in die Hände zu geben, die sie bei andern Gelegenheiten brauchen könnten.

Ich wollte es wohl wünschen, daß man in der Welt schriebe, wie man dächte. Auf diesen Fall würde meine Sammlung ungemein praktisch sein, und ich würde vor andern Briefstellern unendliche Vorzüge erlangen. Weil man aber gemeiniglich anders schreibt, als man denkt, so will ich zufrieden sein, wenn man durch meine Bemühung und durch mein gegebenes Beispiel nur so viel lernt, wie man einen Brief verstehen soll, in welchem der Verfasser anders gedacht hat, als er schreibt.

Das Verzeichnis wird über die ganze Einrichtung des Werks und meine Absichten nähere Auskunft geben.

Von der Behutsamkeit, die ich gebraucht habe, auch in diesem Teile meiner Schriften weder den Wohlstand zu verletzen, noch jemand persönlich zu beleidigen, will ich weiter nichts sagen. Die gerechteste Sache wird verdächtig, wenn man sie zu oft und zu mühsam entschuldigt. Zugleich würde ich meine Leser beleidigen, wenn ich an ihrer Billigkeit und Einsicht bei jeder Gelegenheit zweifeln wollte. Das Einzige, [100] was ich hierbei thun kann, ist dieses, daß ich denen, welche mich und meine Schriften noch nicht kennen, das Glaubens bekenntnis meiner Satire empfehle, welches ich in der Vorrede zum ersten Teile meiner Schriften abgelegt habe.


Leipziger Ostermesse 1752.


G.W.R.

Klagen wegen der Kinderzucht in vornehmen Häusern

Die Klagen wegen der Kinderzucht sind so alt und so allgemein, daß ich nicht willens bin, mich gar zu lange dabei aufzuhalten. Diejenigen, welche Kinder haben, beschweren sich mit der größten Bitterkeit, daß es so viel Mühe koste, jemand zu finden, der den Willen und das Geschick habe, die Kinder redlich zu unterweisen und vernünftig anzuleiten. Ebenso unzufrieden und mißvergnügt sind auf der andern Seite diejenigen, welche sich unter dem Titel der Hofmeister und Informatoren der Unterweisung der Kinder in Familien unterziehen. Denn von dieser Art der Kinderzucht rede ich jetzt. Die Fehler der öffentlichen Schulen verdienten eine besondere Betrachtung. Ich glaube, man hat auf beiden Seiten Ursache, sich zu beschweren, und gemeiniglich sind beide schuld daran.

Eltern, welche die Pflichten der Eltern nicht verstehen (und wie viele verstehen sie nicht!) – Eltern, welche in ihrer Jugend selbst keine Erziehung gehabt und nicht verlangen, daß ihre Kinder vernünftiger werden, als sie sind, die vielmehr nur darauf sehen, daß sie mit einer sorgfältigen Ersparung alles Aufwands dieselben heranziehen mögen: solche Eltern verdienen das Glück kaum, einen geschickten Mann in ihr Haus zu bekommen, welcher es getreuer und redlicher mit ihnen meint, als sie es selbst mit ihnen meinen.

Kinder, und besonders Kinder vornehmer Eltern zu ziehen, ist die wichtigste, aber auch die schwerste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Wird sich wohl ein Mann, der Gelehrsamkeit, Geschmack und gute Sitten besitzt, so leicht entschließen können, ein Amt über sich zu nehmen, bei dem so wenig Vorteil und oft noch weniger Ehre, allemal aber viel Verdruß und Arbeit ist?

Ein Vater, welcher niemals gewohnt ist, vernünftig zu denken, ist auch nicht im stande, sich vernünftige Vorstellungen von der Verbindlichkeit zu machen, die er einem Manne schuldig ist, der das schwere Amt der Erziehung mit ihm teilt. Er sieht diesen Mann als einen seiner Bedienten, und wenn [101] er recht artig denkt, als den Vornehmsten seiner Bedienten an. Er wird ihm nicht mehr Achtung erweisen, als er einem seiner Bedienten erweist. Und kann er alsdann wohl verlangen, daß seine Kinder diesen ihren Hofmeister mehr ehren sollen? Wie viel unglückliche Folgen fließen aus dieser einzigen Quelle, wenn die Kinder sich durch das Beispiel der Eltern berechtigt halten, denjenigen zu verachten, der ihr Führer und Lehrer sein soll!

Die Besoldung oder (wie es in vielen vornehmen Häusern genannt wird) der Lohn, den man dem Hofmeister giebt, ist so kümmerlich und gering, daß ein rechtschaffener Mann unmöglich Mut genug behalten kann, sein sklavisches Amt mit dem Eifer und der Munterkeit zu verwalten, die bei dieser Verrichtung so nötig sind.

Und damit der Hofmeister sein Geld ja nicht mit Müßiggehen verdiene, so sind viele so sinnreich, daß sie von ihm alle Wissenschaften und alle mögliche Handdienste fordern und es gerne sähen, wenn er Hofmeister und Perückenmacher und Hausvogt und Kornschreiber zugleich wäre.

Können dergleichen unbillige Eltern sich es wohl befremden lassen, wenn ihre Kinder schlecht und niederträchtig erzogen werden, da sie mit demjenigen, der sie erziehen soll, so, niederträchtig und eigennützig verfahren?

Ich weiß, daß ich alle diejenigen auf meiner Seite habe, denen in adeligen Häusern etc. die Erziehung und Unterweisung der Jugend anvertraut ist. Sie werden so billig sein und mir in dem auch Beifall geben, was ich jetzt anführen will.

Sie geben den Eltern ebenso oft und noch öfter Gelegenheit, unzufrieden mit ihnen zu sein. Viele sind verwegen genug, dieses Amt auf sich zu nehmen, welche bei ihrer tiefen Unwissenheit eine so schlechte Aufführung haben, daß sie selbst noch verdienten, unter der Hand eines Zuchtmeisters zu stehen. Die Sorgfalt, welche man wegen des äußerlichen Wohlstandes auch in den kleinsten Umständen beobachten muß, ist ihnen auf niedern und hohen Schulen so gleichgültig gewesen, daß sie es für brav gehalten haben, ungezogen zu sein. Nun kommen sie in ein Haus, wo rechtschaffene Eltern ebenso sorgfältig verlangen, daß ihre Kinder wohl gesittet erzogen, als daß sie in den Wissenschaften unterrichtet werden mögen. Wie empfindlich muß es ihnen sein, wenn sie diesem sich selbst gelassenen Hofmeister ihre Kinder zur Aufsicht anvertrauen sollen, welche gar leicht das Unanständige an ihrem Lehrer wahrnehmen müssen, da sie dergleichen weder bei ihren Eltern [102] noch bei ihren Bedienten zu sehen gewohnt sind. Die Bedienten selbst finden ihn lächerlich, und er wird es endlich dem ganzen Hause, da er sich so wenig Mühe giebt, seine Fehler zu verbergen oder sich zu ändern. Und dennoch wird eben dieser ungesittete Mensch die bittersten Klagen führen, daß man ihn in diesem Hause nicht mit der Achtung und Ehrerbietung begegne, die er im Namen seines Amtes fordert.

Es ist ein Unglück, daß gemeiniglich nur diejenigen sich dieser Lebensart widmen, welchen die Armut ihrer Eltern die Hoffnung benimmt, ihre Absichten auf etwas Höheres als die Erlangung einer Dorfpfarre zu richten. Es geschieht alsdann gar zu leicht, daß ihre Aufführung entweder zu schüchtern und kleinmütig ist, denn sie sind gewohnt, einsam und im Dunkeln zu leben; oder sie sind zu trotzig und zu stolz, weil sie zu wenig Gelegenheit gehabt haben, sich und die Welt kennen zu lernen. Beides ist ihnen bei der Unterweisung der Jugend nachteilig. Kommt endlich dieses noch dazu, daß ihre Absichten allzu eigennützig sind, daß sie die Beförderung in ein Amt je eher je lieber zu erlangen wünschen, so wird ihnen die übernommene Arbeit desto verdrießlicher und die geringste Verzögerung ihrer Hoffnung unerträglich fallen.

Aber darum getraue ich mir noch nicht zu behaupten, daß ein Mensch deswegen, weil er nicht von niedriger Geburt ist, ... stets geschickt sei, die Jugend zu unterrichten und vernünftig zu erziehen. Nein ... die Erfahrung würde mir widersprechen. Man bemerkt es nur gar zu oft, daß diejenigen am meisten ungesittet sind, welche die beste Gelegenheit gehabt haben, wohl erzogen zu werden.

Ich kann mir kein lebhafteres Vergnügen vorstellen, als wenn vernünftige Eltern, die keine Mühe und Kosten sparen, ihren Kindern eine anständige Erziehung zu verschaffen, einen Mann finden, der bei einer gesitteten Aufführung ein redliches Herz und die Geschicklichkeit besitzt, seinem Amte vollkommen vorzustehen: wenn sie die Früchte seiner redlichen Bemühung von Zeit zu Zeit wahrnehmen, und wenn sie alsdann eine Gelegenheit erlangen, das Glück dieses rechtschaffenen Mannes auf eine vollkommene Art zu befestigen ...

»Die Erzieher der Jugend sollen entweder Kenntnisse besitzen, oder wenn diese ihnen fehlen, so sollen sie ihren Mangel an Gelehrsamkeit einsehen. Es giebt nichts Unerträglicheres, als wenn Leute, die kaum über die Anfangsgründe hinausgekommen sind, sich den Anstrich von Gelehrsamkeit geben. Denn sie geben teils den in der Erziehungskunst Erfahrenen[103] nicht gerne nach, teils zeigen sie ihre Thorheit durch Machtsprüche, auf die sich diese Art von Leuten etwas zugute thut, ja zuweilen sogar durch Wut. Auch hat ihr Fehler den nachteiligsten Einfluß auf die Sittlichkeit.«

Quintilian.


Ich will ein paar Briefe einrücken, welche dasjenige näher beweisen werden, was ich hier vielleicht ein wenig zu ernsthaft voraus erinnert habe.


*

Hochzuverehrender Herr Professor!

Meine Jungen wachsen heran, und es ist nun Zeit, daß ich ihnen einen gescheiten Hofmeister halte. Bisher habe ich den Schulmeister zu ihnen gehen lassen, aber er kann sie nicht mehr bändigen. Ich weiß, in welchem Ansehen Sie in Leipzig stehen, und daß Ihr Vorzimmer beständig von solchen krummgebückten Kreaturen voll ist, welche Hofmeisterstellen oder Informationen suchen. Lesen Sie mir einen hübschen, gesunden Kerl aus. Sie wissen es selbst, daß bei mir weder Menschen noch Vieh notleiden. Fritz, der älteste, ist ein durchtriebener Schelm. Er hat einen offenen Kopf und ist auf die Mägde, wie ein kleiner Teufel. Ich darf es den Buben nicht merken lassen, daß ich ihn lieb habe – der leichtfertige Schelm! Er ist noch nicht 14 Jahre alt und hat in humanioris gar seine principio. Ferdinand ist meiner Frau ihr Junge. Er ist immer kränklich, und das geringste Ärgernis kann ihm schaden. Das gute Kind will mit lauter Liebe gezogen sein, und meine Frau hat schon zwei Bediente weggejagt, die ihm unfreundlich begegnet haben. Das älteste Mädchen ist 12 Jahre. Sie soll noch ein bißchen Katechissen lernen und hernach will ich dem kleinen Nickel einen Mann geben, der mag sehen, wie er mit ihr zurechte kommt. Mit dem kleinen Mädchen hat der Hofmeister gar nichts zu thun, die, behält die Mamsell bei sich. Sehen Sie nun, Herr Professor, das ist die Arbeit alle. Ich werde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie mir einen hübschen Menschen vorschlagen. Ich verlange weiter nichts von ihm, als daß er gut Latein versteht, sich in Wäsche und Kleidung reinlich und sauber hält, Französisch und Italienisch sprechen kann, eine schöne Hand schreibt, die Mathematik versteht, Verse macht, so viel man fürs Haus braucht, tanzen, fechten und reiten kann und womöglich ein wenig zeichnet. In der Historie muß er auch gut beschlagen sein, vor allen Dingen aber in der Wappenkunst. Ist er schon auf Reisen gewesen, desto besser. [104] Aber er muß sich's gefallen lassen, bei mir auf meinem Gute zu bleiben und sich wenigstens auf 6 Jahre bei mir zu vermieten. Dafür soll er bei meinen Kindern auf der Stube freie Wohnung haben, mit dem Kammerdiener essen und jährlich 50 Gulden bekommen. Zum heiligen Christ und zur Messe gebe ich nichts, dergleichen Betteleien kann ich nicht leiden. Sind die 6 Jahre um, so kann er in Gottes Namen hingehen, wo er will. Ich will ihn sodann an seinem Glück nicht hindern. Mich dünkt, die Vorschläge sind ganz billig. Hat der Mensch Lust zur Wirtschaft, so kann er meinem Verwalter mit an die Hand gehen. Es wird sein Schade nicht sein, denn er weiß doch nicht, wozu er's einmal brauchen kann. Ich werde für Ihre Bemühung erkenntlich sein und bin,


Hochzuverehrender Herr Professor,


Ihr
dienstwilliger
– –

Besetzung der Schulstellen auf dem Lande

Hochwohlgeborener Herr,

gnädiger Herr,


Ew. Excellenz gnädigst mir erteiltem Befehle unterthänigst nachzuleben, habe ich mir Mühe gegeben, alle diejenigen Subjekte zu sondieren, von denen ich geglaubt, daß sie der hohen Gnade nicht ganz unwürdig wären, welche Ew. Hochwohlgeborne Excellenz als ein wahrer Mäcenas und Beschützer der schönen Künste und Wissenschaften so großmütig zu offerieren geruht haben. Es fehlt nicht an Leuten, welche Konditionen suchen; aber es ist zu beklagen, daß heutzutage junge Leute zu zeitig vornehm sind und sich nicht gefallen lassen wollen, durch einen kleinen Anfang den gewissen Grund zu ihrem größeren Gluck zu legen. Die wenigen Wissenschaften, die sie etwa besitzen, machen sie so stolz, daß sie unverschämt genug sind, für ihre kleinen Bemühungen, die doch in weiter nichts bestehen, als Kinder zu informieren, so viel zu fordern, daß man dafür gar reichlich drei Bediente in Livree halten könnte. Ich habe einen jungen Burschen bei mir gehabt, welcher in der That alle diejenigen Fähigkeiten besitzt, welche Ew. Excellenz von einem Hofmeister für Dero junge gnädige Herrschaften verlangen. Überdies ist er von einem gesetzten Wesen, tugendhaft und sogar (welches Ew. Excellenz nicht ungnädig vermerken werden) fromm und christlich. Es wird keiner so wie dieser [105] vermögend sein, Dero jungen Herren zu wackern Männern für das Vaterland und zur Ehre Dero hohen Hauses zu erziehen. Aber was hilft das? Seine Forderungen sind ungeheuer, und Ew. Excellenz sind viel zu einsehend, als daß Sie wider die Gewohnheit Dero hoher Ahnherren so vieles Geld wegwerfen und dennoch nichts weiter dadurch erlangen sollten als rechtschaffene Kinder. Wollen sich Dieselben eine Lust machen, so geruhen Sie gnädig, dessen eigenhändigen Aufsatz seiner lächerlichen Prätensionen in der kopeilichen Anfuge sub A zu lesen. Ein so teurer Hofmeister ist für Ew. Excellenz keine Sache. Es sind noch einige andere bei mir gewesen, welche sich's für eine große Gnade halten, als Hofmeister in Ew. Excellenz Dienste zu treten. Sie verstehen freilich das wenigste von dem, was Dieselben (Excell.) verlangen, und ich kann nicht leugnen, daß bei den meisten die Aufführung nicht die beste ist. Inzwischen kann ich ihnen doch nachrühmen, daß sie Leute sind, welche mit sich handeln lassen, und die Ew. Excellenz gewiß nicht überteuern werden. Mehrere Nachricht davon werden Sie in der Beilage sub B von ihnen finden. Ew. Excellenz gnädigsten Disposition dieserhalb bin in Unterthänigkeit ich erwartend. Mein Rat hiebei wäre – sonder alles ungeziemende Maßgeben: ich ließe diese Kandidaten alle auf einmal zu mir kommen und sie auf die Hofmeisterstelle licitieren. Demjenigen, welcher am wenigsten für seine Bemühung haben wollte, könnte ich sodann gedachte Hofmeisterstelle zuschlagen. Doch überlasse alles zu Dero erleuchtetem Ermessen ich lediglich und verharre mit der tiefsten Devotion,


Hochwohlgeborner Herr,

Gnädiger Herr,

Ew. Excellenz

unterthänig gehorsamster Diener

– –


N.S. Wollten Ew. Exc. die hohe Gnade haben und das Stipendium, über welches Dieselben zu disponieren haben, meinem ältesten Sohn gnädigst konferieren, so würde dieses mit der größten Unterthänigkeit ich lebenslang venerieren.


Beilage A.


Endbenannter glaubt, daß er, ohne unbillig zu sein, für die von Seiner Excellenz geforderten Bemühungen und Dienste als Hofmeister der jungen Herrschaft jährlich folgendes verlangen könne:

[106] 1) Für Aufsicht, Unterweisung im Christentume und in der lateinischen Sprache überhaupt

50 Thlr. –

2) Für die französische Information monatlich 2 Thaler, thut für 13 Monate
26 Thlr. –

3) Dergleichen im Italienischen zwei Thaler
26 Thlr. –

4) Als Schreibemeister, monatlich 1 Thlr.
12 ggr.
19 Thlr. 12 ggr.

5) Für Lektionen im Rechnen und in der, Mathematik, monatlich 3 Thaler
39 Thlr. –

6) Mit den Versen, bittet er, ihn gnädig zu verschonen
7) Als Tanzmeister, monatlich 1 Thlr., und will dafür die Woche 2 Stunden geben
13 Thlr. –

8) Als Fechtmeister, täglich eine Stunde, 2 Thlr. 12 Groschen
32 Thlr. 12 ggr.

9) Als Bereiter, auch täglich eine Stunde, vier Thaler
52 Thlr. –

und verspricht er hiebei, weder Accidenzien zu fordern, noch sonst einigen Aufwand zu veranlassen.

10) Für die Anleitung in der Geschichte, Wappenkunst und dergleichen wird weiter nichts verlangt und gehört dieses zum 1. Kapitel.

11) Man hofft, die gnädige Erlaubnis zu erhalten, mit der jungen Herrschaft zu speisen, um Gelegenheit zu haben, Derselben auch einige Anweisung in der Kunst zu geben, wie sie mit Anstand essen solle und sich bei der Tafel vernünftig aufzuführen habe, welches vielen jungen Edelleuten fehlt.

12) Junker Ferdinand muß der Aufsicht und Zucht des Hofmeisters lediglich überlassen bleiben, ohne von der gnädigen Frau beschützt zu werden, welches man zu seinem eigenen Besten wünscht.

13) Bei dieser Arbeit wird keine Zeit übrig bleiben, dem Verwalter an die Hand zu gehen, welches durch einen Kornschreiber am besten verrichtet werden kann.

14) Nach Verlauf der 6 Jahre hofft man gnädige Beförderung.

Obige Kosten betragen zusammen

258 Thaler.


Es soll weder Treue noch Fleiß gespart werden, die Pflicht eines Hofmeisters nach allem Vermögen redlichst zu erfüllen.

Elias Pfaffendorf.

[107] Beilage B.
Verzeichnis der Kandidaten,
die sich zur Hofmeisterstelle gemeldet haben.

1) N.N. Ein junger Mensch, 22 Jahre alt, hat ziemliche Studia. Ich habe ihn aber bei mir zu Tisch gehabt und gefunden, daß er zuviel ißt. Verlangt außer den zwei ordentlichen Mahlzeiten noch Frühstück und Vesperbrot und überdies täglich 3 Kannen Bier. Will 50 Thaler haben.

2) –. Artium Magister, 40 J.a. Scheint ein gesetzter Mensch zu sein. Hat schon seit 20 Jahren als Informator unter adeligen Herrschaften gedient, aber niemals länger als ein Jahr an einem Orte es aushalten können. Mag ehedem in seinen Wissenschaften nicht ungerecht gewesen sein, doch hat er in diesen 20 Jahren alles wieder ausgeschwitzt. Inzwischen weiß er immer noch soviel, als Ew. Exc. junge Herrschaft zu lernen nötig hat. Bittet sich über die 50 Gulden freies Bier und Tabak aus, soviel er braucht. NB. Raucht nur Bremer.

3) –. 29 J.a., frisch und gesund von Körper, der Gottesgelahrtheit Beflissener, predigt einen ziemlichen Baß und besitzt eine große Stärke in Postillen. Will mit 50 Gulden zufrieden sein, wenn er in 6 Jahren Substitut werden kann.

4) –. Hat 10 Jahre auf Universitäten gelebt, aber noch nicht absolviert, da er immer das Unglück gehabt, relegiert zu werden. Ich glaube, er wird in den sechs Jahren Zeit haben, nachzuholen, was er versäumt hat. Er ist ein lustiger Kopf und wird sich für Junker Fritz gut schicken. Bittet flehentlich um Versorgung und Brot, da er sich mit einem Nähtermädchen versprochen hat. Er sicht.

5) –, 27 J.a., ist übersichtig, redet lateinisch und griechisch, kann aber kein Deutsch. Desto besser schickt er sich zu einem Informator in ein adeliges Haus. Es ist ewig zu bejammern, daß man jetzt anfangen will, nicht allein von Gelehrten, sondern auch von dem Adel zu verlangen, daß sie die sogenannten deutschen witzigen Schriften mit Geschmack lesen und Deutsch lernen sollten. Er verlangt ccllsssHS sage 2100 Sestertien, thut nach unserer Münze etwa 70 Thaler leichtes Geld.

6) –. Seines Handwerks ein Poet, schreibt einen fließenden Vers, alles in Reimen und ist ein Todfeind von den jetzigen schweren strotzenden Gedichten ohne Reime. Dem Himmel sei Dank, daß es noch hin und wieder Leute giebt, die Geschmack [108] haben! – Außer der Mythologie, die er trotz zehn andern versteht, hat er nichts gelernt. Er hat jetzt ein wichtiges Werk unter der Feder, da er alle Sonn- und Festtagsepisteln in Reime bringt, ohne ein Wort im Grundtexte zu ändern oder zu versetzen. Wenn er damit fertig ist, will er sich ein wenig auf die Humaniora legen ... In Wünschen ist er unerschöpflich. Er erbietet sich, ohne Besoldung zu dienen, wenn ihm für eine jede Gratulation von zweihundert Versen bare 4 Groschen gegeben werden, wobei er es jährlich wenigstens auf 80 Thaler zu bringen gedenkt. Er verlangt alle Weihnachten ein abgesetztes Kleid, es mag so alt sein als es will. Um ein Paar ganze Hosen wollte ich Ew. Exc. selbst für den armen Schelm statt des Handgelds gebeten haben. NB. Er ist auch witzig und satirisch, man möchte sich vor Lachen ausschütten. Ew. Exc. können tausend Spaß mit ihm haben. Böse wird er nicht leicht, man müßte denn seine Verse tadeln.

7) Da Ew. Exc. gar wohlbedächtig zu sagen pflegen, daß ein junger Edelmann, der nicht denkt, weit erträglicher sei als einer, der keinen Hasen hetzen kann, so wollte ich Ihnen wohl N.N. vorschlagen. Er hat wider seinen Willen studieren müssen, weil es sein Vormund schlechterdings verlangte. Er hat aber vor allen Wissenschaften so einen Abscheu und dagegen zu den Jagdhunden eine solche Neigung, daß man seine Mutter, die des herrschaftlichen Verwalters Frau gewesen, nicht ohne Grund im Verdacht gehabt, daß sie mit ihrem gnädigen Herrn vertraut gelebt. Wenigstens hat sie sich an ihm versehen. Gelernt hat er also nichts, aber er ist ein ganzer Jäger ... Er will 50 Thlr. und alle Fuchsbälge. Fängt auch Hamster.

8) –, ist kurz, untersetzt und im Durchschnitte wenigstens zwei und eine halbe Elle stark, welches er dem fetten Biere zu danken hat. Als er bei mir war, konnte ich nicht erfahren, ob er etwas gelernt hatte, weil er ein wenig taumelte, doch habe ich viele schöne Testimonia von ihm gesehen, die er von Schulen mitgebracht. Ich glaube, wenn er als Hofmeister nicht sonderlich zu gebrauchen ist, so wird er doch alsdann sehr gut sein, wenn Ew. Exc. Gäste haben. Denn ob er gleich nur ein schlechter Bürger ist, so säuft er doch trotz manchem Kavalier ... (50 Gulden).

9) – ein guter, stiller, ehrlicher Mensch. Ich habe ihn zwei Stunden bei mir gehabt, aber auf alle meine Fragen keine Antwort erhalten als: O ja, hochedler Patron! Ich glaube, daß er grundgelehrt ist, weil er keine Konduite hat ... Ich fragte ihn, was er zur Besoldung haben wollte, aber er [109] bückte sich sehr tief und sagte: Wie Sie befehlen, hochedlen Patron! ...

10) – Ein süßes, artiges Herrchen. Ist geputzt wie eine Puppe und denkt auch so. Hat 4 Jahre in Leipzig studiert und in 4 Jahren keinen Hut auf den Kopf gebracht. Hat sich, wie er sagt, vornehmlich nur auf galante Studien gelegt. Erbietet sich, die junge Herrschaft zu frisieren. Macht Tintenflecke aus der Wäsche, bohnt Schränke, und kann allerlei artige Figuren in Papier ausschneiden. Als ich von ihm wissen wollte, wie viel er an Besoldung verlangte, so machte er einen Rückpas und sagte ganz klar: Siebenzig Thaler, zu dienen, Ihre Hochedlen. Er gefällt meiner Frau.

11) Wenn Ew. Exc. einen Menschen haben wollen, der im Lateinischen, Französischen, Italienischen und der Historie, im Tanzen, Reiten und Fechten und in allen möglichen Wissenschaften Unterweisung geben soll, so schlage ich Ihnen N.N. vor. Er versteht zwar von allem diesen nichts, er ist aber meiner Schwester Sohn und kommt alle Wochen wenigstens zweimal zu mir, mich mit vieler Demut seiner Devotion zu versichern. Um deswillen möchte ich ihm gern geholfen wissen. Ich habe ihn zeither mit gutem Erfolg jungen Leuten zur Privatinformation vorgeschlagen, welche so billig gewesen sind, ihn monatlich in Ansehung meiner zu bezahlen, ohne seine Stunden abzuwarten. Er repetiert mit ihnen meine juristischen Kollegia, ungeachtet er ein Theologus ist. Achtzig Thaler Besoldung dürften wohl nicht zu viel sein. Denn er ist mein Vetter.


* *

*


Ich bin überzeugt, daß dem gemeinen Volke und besonders dem Landvolke ein geschickter und fleißiger Schulmeister fast noch unentbehrlicher sei, als ein gelehrter und beredter Prediger. Und dennoch ist man an vielen Orten bei der Besetzung dieses Amtes beinahe noch leichtsinniger und noch weniger besorgt, als bei den andern geistlichen Ämtern. Ich will mich nicht dabei aufhalten. Ich will meinen Schulmeister reden lassen. Noch zur Zeit ist er nicht befördert; ich weiß aber ein gewisses Rittergut, wo ich ihn in Vorschlag bringen will, und ich hoffe gewiß, er wird sein Glück daselbst machen.


*


Hochwürdiger, Hochgelahrter Herr,

Gnädiger Herr Lieutenant!


Unser Schäfer hat mir erzählt, daß Ihr Schulmeister in voriger Woche gestorben ist, und daß Sie bemüht sind, diese [110] Stelle so bald als möglich zu besetzen. Da ich in vorigem Jahre den Lerchenstrich von Ew. Gnaden gepachtet und zwei Gulden mehr gegeben habe als mein Vorfahr, so nehme ich mir die Freiheit, Ew. Excellenz dienstfreundlichst zu bitten, Sie wollen die hohe Gnade haben und mich zu Ihrem allerunterthänigsten Schulmeister machen. Meine Stimme ist gut, und ich getraue mir, die größte Kirche zu füllen. Die Orgel schlage ich frisch, und in Fugen bin ich stark. – Ich habe das Unglück gehabt, dreimal abgesetzt zu werden; aber meine Feinde sind daran schuld. Und vielleicht wäre es das letzte Mal auch nicht geschehen, wenn ich dem Superintendenten zu rechter Zeit einen gemästeten Truthahn geschickt hätte. Das erste Mal kam es über des Schulzens Frau her. Der Korporal gab mich an, aber er mochte wohl seine Ursachen haben. Es giebt böse Leute, die alles zu Bolzen drehen, und ich war noch nicht verheiratet. Das zweite Mal war mein eigener Pfarren schuld daran. Ich weigerte mich, ihm den Priesterrock aufs Filial nachzutragen; und deswegen machte er dem Kirchenpatron weiß, ich sei alle Tage im Branntwein besoffen. Der Himmel ist mein Zeuge, daß es alle Wochen nur ein paarmal geschah, und noch dazu war es im damaligen Winter grimmig kalt. Das dritte Mal war ich vollends ganz unschuldig. Es fiel dem Superintendenten ein, daß ich in seiner Gegenwart katechisieren mußte. Freilich ging es nicht recht, wie es sein sollte, und meine Jungen wußten mehr, als ich sie fragen konnte. Aber der Katechismus ist auch niemals mein Hauptstudium gewesen, weil ich mich von Jugend an aufs Vogelstellen gelegt habe. Sollte man deswegen einen ehrlichen Mann absetzen, weil er das nicht versteht, was zu seinem Amte gehört? Wie viele Pfarrer und Superintendenten würden ohne Amt herumlaufen, wenn das eingeführt werden sollte! ... Sehen Sie, gnädigster Herr Lieutenant, das ist nun alles, und davon macht man so ein Aufhebens. Ich denke, in Ihr Dorf werde ich mich ganz gut schicken. So viel Ihre Bauernjungen von Gottes Wort brauchen, null ich ihnen doch wohl vorsagen. Für armer Leute Kinder mag es halbweg sein. Auf den Respekt halte ich, da gebe ich Ihnen mein Wort. Ich will die Jungen zusammenpeitschen, sie sollen Öl geben, wenn sie nicht gut thun wollen. Was mir am Christentum und dem Katechismus abgeht, das ersetze ich auf eine andere Art. – Sie haben keinen Barbier im Dorfe, den Sie doch so notwendig brauchen, da Sie sich beständig daselbst aufhalten. Das verstehe ich perfekt. Ich will Ew. Gnaden umsonst [111] scheren, nach dem Striche und wider den Strich, wie Sie es verlangen, und alles umsonst, darauf können sich Ew. Excellenz verlassen. Die gnädige Frau Gemahlin ist eine Liebhaberin von Branntwein. Das sage ich Ihnen, so schön muß ihn kein Mensch abziehen als ich. Meine Frau hat ein besonderes Geheimnis Froschlaichwasser zu machen, welches zu einer reinen Haut und wider die Sommersprossen hilft. Das wird sehr gut für den ältesten Junker sein, welcher sehr viel auf ein hübsches weißes Gesichtchen hält. Ich glaube, Ew. Magnificenz sollen soviel Einsicht haben, und finden, daß sich niemand besser zu Ihrem Schulmeister schickt als ich. – Rechnen und Schreiben ist auch meine Sache nicht, aber was thut das? Ich will mir einen großen Jungen aus der Gemeinde halten, der es an meiner Statt thut. Ich denke ja wohl, das geschieht in den meisten Ämtern, daß einer den Titel und die Besoldung hat und einen großen Jungen für sich arbeiten läßt. Was vornehmen Leuten recht ist, das wird doch bei einem armen Schulmeister auch angehen? Ich verlasse mich darauf, daß ich den Dienst kriege. Gevatterbriefe und Hochzeitbriefe, das ist mein Werk, die kann ich schreiben, trotz zehn andern ... Wenn Sie mir den Dienst geben, gnädigster Herr Lieutenant, so schenke ich Ihnen den besten Lockfinken, den ich habe. Der junge Herr soll meinen Star kriegen, das ist ein Star! Er kann Ew. Gnaden in drei Sprachen einen Hahnrei heißen und hat mehr gelernt als mancher Magister. Lassen Sie mir durch Ihren Pachter antworten, gnädigster Herr. Er darf mir nur den Brief mit dem Drescher überschicken. Ich halte mich mit meiner Frau jetzt, weil ich keinen Dienst habe, haußen in der Kneipschenke am Anger auf. Und hiemit Gott befohlen. Der ich allstets verharre,


Gnädiger Herr Lieutenant,

Ew. Excellenz

allerunterthänigst, treugehorsamst

pflichtschuldigster

– –


* *

*


Damit ich meine Briefe auch für diejenige Art der Gelehrten brauchbar mache, welche ganz anders denken und anders reden, als Vernünftige denken und reden, so will ich nachstehenden Brief einrücken. Man gebe mir nur nicht Schuld, daß die [112] Sache übertrieben sei. Findet man nicht allemal aphthonianische Chrien, und ist auch nicht allemal auf dem Rande beigesetzt, wie der Gedanke im Griechischen oder Lateinischen heißt, den man vorbringt, so findet man doch das Wesentliche dieser Pedanterei sehr oft. Man mache mit einem jeden Briefe, den ein Pedant mit Fleiß und nach seiner Art mit Überlegung schreibt, die Probe und zergliedere ihn nach den Regeln der Schulkunst, so wird man das Steife und das Schematische auch alsdann finden, wenn sich schon der Verfasser die Gewalt angethan hat, weder Sentenzen der Alten, die er Weisheit nennt, noch tote Sprachen, die seine Gelehrsamkeit ausmachen, darunter zu mischen. Ich bin von dieser Wahrheit so überzeugt, daß ich mir gewiß zu behaupten getraue, mein Brief würde bei dieser Art Schriftstellern großen Beifall gefunden haben, wenn ich ihn nicht durch diesen Vorbericht verdächtig gemacht hätte.

Bittschrift eines Pedanten in Form der Chrie

(Aphthonianische Chrie.)


Hochedelgeborne Frau,

Hochzuehrende Frau Bürgermeisterin!


Sokrates, die Zierde Griechenlands, der Phönix seiner Zeit, der Weise, welcher unter den andern Weisen hervorleuchtete, gleichsam als der Mond unter den kleinen Feuern – Sokrates, sage ich, den, Hochedelgeborne Frau, Xantippe selbst nicht von seiner philosophischen Höhe herunter zanken konnte: dieser hat sehr wohl und gelehrt einen Ausspruch gethan, der zu deutsch also lautet:


Drum glaubet mir zu dieser Frist,

Daß die Natur, so schön sie ist,

Dennoch den Unterricht vermißt.


Er wollte damit gleichsam andeuten, daß die vortrefflichsten Gemüter der Jugend die meiste Zucht nötig hätten, oder wie es nach dem eigentlichen Verstande unsers Grundtextes lauten möchte, daß sie mehr als andre der vernünftigen Anweisung eines gelehrten Schulmannes bedürfen.

Denn wie notwendig ist es nicht, Hochzuehrende Frau Bürgermeisterin, daß man der Natur zu Hilfe komme, welche nur den rohen Stoff zu großen Geistern schafft und das Übrige der sorgfältigen Ausbildung der Schulleute überläßt!

[113] Unrecht, ja dreimal und viermal unrecht thun diejenigen, welche diese Vorsorge verabsäumen, und da sie der Himmel in ein Amt quasi in speculam gesetzt hat, darauf zu sehen, daß das Beste einer Stadt und des gemeinen Wesens überhaupt befordert werde – dennoch die Sorge für die Schulen verabsäumen und die Sache nicht für so wichtig halten, allen Stein zu bewegen, damit sie fleißige und geschickte Lehrer dahin setzen und diesen die Unterweisung der Jugend anvertrauen möchten, die diese Unterweisung desto nötiger hat, je hoffnungsvoller sie ist.

Pferde von der besten Art müssen am meisten durchgearbeitet werden. Sie machen es bei dem edlen Jener ihren Herren oft am schwersten; aber desto nötiger ist es, sie sorgfältig zuzureiten. Ein träges, unedles Pferd braucht diese Bemühung nicht, aber es ist auch nur für den Pflug geboren.

Wer war größer als Dionysius der Zweite, da er noch Tyrann und der Schrecken von Sicilien war? Das widrige Glück konnte ihm den Thron nehmen, aber niemals die Begierde, der Welt zu nutzen. So groß er gewesen war, so wenig schämte er sich doch, die griechische Jugend zu lehren; und mit der Hand, womit er ganze Länder zerstört hatte, mit eben der Hand suchte er die Kinder der Korinthier zur Weisheit zu führen.

Wie unglücklich diejenigen sind, so die Zucht ihrer Kinder verabsäumen, das beweisen die traurigen Folgen, welche zuerst ihre eigenen Familien empfinden, und welche nach diesem das ganze gemeine Wesen treffen. Diese unglücklichen Eltern mochten sich wohl lassen vom Homer zurufen: »War' ich doch ledig geblieben und ohne Kinder gestorben!«

Sie sehen hieraus deutlich, Hochedelgeborne Frau, wie nötig es ist, daß E.E. Wohlw. Rat dieser Stadt das erledigte Schulrektorat ungesäumt besetze, und mit einem Mann besetze, dessen Standhaftigkeit, dessen Fleiß, dessen Treue, dessen Ansehen, dessen Gelehrsamkeit, dessen weise Einsichten und die großen Wahrheiten, die uns Sokrates und Homer hinterlassen haben, dessen – – jedoch, ich sage nichts weiter, Sie werden mich verstehen. Ich habe mich mit meinem Ansuchen an Sie gewendet, da ich weiß, daß Ihr teurer Ehegemahl in diesem Jahre unter Ihren Auspicien an der Regierung ist. Erlange ich das Vergnügen, daß Sie mit Ihren vielgeltenden und erleuchteten Füßen in meine Meinung herabsteigen, so bin ich glücklich, und ich weiß gewiß, daß sodann der ganze Ehrenfeste Rat hinterdrein steigt.

[114] Ich verharre in dieser großen Hoffnung ad extremum usque vitae halitum,


Hochedelgeborne Frau,

Hochzuehrende Frau Bürgermeisterin,

Ew. Hochedelgeb.

gehorsamst ergebenster, ehrendienstwilligster – –

Sie Schleifwege zum geistlichen Schafstall

Der Schleifwege zum geistlichen Schafstall sind so viel, daß jemand dieser Gegend sehr kundig sein muß, wenn er es unternehmen will, sie alle oder doch nur die meisten davon zu beschreiben. Eines der sichersten und gewöhnlichsten Mittel ist dieses, wenn sich der Kandidat durch das Kammermädchen dem Herrn vorstellen läßt. Ich glaube nicht, daß jemand so abergläubisch sein und hierbei etwas Bedenkliches finden wird. Wider das Recht der Natur läuft es wenigstens nicht, und die Kirchengeschichte unserer Zeit rechtfertigt den Gebrauch. Der Raum gestattet mir nicht weitläufig zu sein ... Ein Mann, der Mut genug hat, diesen Schritt zu wagen – den weder Beispiele noch Vernunft abhalten können, sich mit einer Person auf ewig zu verbinden, welche sehr oft von einer problematischen Tugend ist und gewiß nicht vergessen wird, bei der geringsten Gelegenheit ihm vorzusagen, daß er durch sie Schutz und Amt gefunden hat: ein solcher Mann wird gewiß auch in seinem Amte standhaft bleiben. Die größten Verfolgungen, die über sein Amt ergehen, werden ihn nicht niederbeugen, da er weit größere in seinem Hause zu erdulden gewohnt ist ...


*

Mademoiselle,

Da ich weiß, wie viel Sie zu gewissen Stunden über den gnädigen Herrn vermögen, so glaube ich, daß ich mein Glück in keine bessern Hände, als in die Ihrigen empfehlen kann. Ich wünsche mir, an die Stelle des vorigen Informators zu kommen, und dieses durch Ihre Fürsprache. Sie werden keine Ursache finden, es zu bereuen, da ich mir vorgenommen habe, die Hochachtung mit Ihnen zu teilen, welche ich sonst der gnädigen Herrschaft ganz schuldig bin, und da ich mich von meinem Vorfahren wenigstens dadurch unterscheiden werde, daß ich weder zu mürrisch noch zu pedantisch bin, Ihnen bei müßigen Stunden auf vielerlei Art zu sagen, daß ich sei,


Mademoiselle,
der Ihrige,
– –

[115] N.S. (Nachschrift.)

Ich bin Magister, drei Ellen drei Zoll lang, 26 Jahre alt, habe, wie man mir sagt, einen feinen Fuß und bin geneigt, zu seiner Zeit in den Stand der heiligen Ehe zu treten.


Antwort im Kammermädchenstile.


Mein Herr Magister,


Ich habe mit ihm geredet, mit dem gnädigen Herrn. Er sagte, ... nein, gewiß nein, ich kann's Ihnen nicht sagen, was er sagte. Erst sagte er gar nichts, aber hernach ... ich werde ganz rot, er kriegte mich beim Kinn und sagte, wie er immer gern spaßhaft ist: He! kleine Hure, willst du dir den Informator ... Ich kann's bei meiner Ehre nicht raussagen; er fragte mich, ob ich Sie kennte. Bei meiner Frau Muhme habe ich ihn gestern gesehen, sagte ich, und da sagte ich weiter nichts. Mit einem Worte, mein Herr Magister, es ist so gut als richtig. Die gnädige Frau möchte des Teufels werden, aber es hilft nichts. Der Vorreiter hat ihr des Schulmeisters ältesten Sohn vorgeschlagen, und sie hat es auch dem Vorreiter versprochen. Nein, da wird nichts draus. Herr Jemine! das fehlte uns noch; so einen rotköpfigen Informator, den sollten wir noch ins Haus kriegen? Machen Sie sich immer fertig. Sobald der gnädige Herr wieder einen Anfall von der Kolik kriegt, will ich ihn noch einmal dran erinnern. Er ist ein gar zu lieber Herr! Wenn Sie zu uns kommen, das will ich Ihnen sagen, daß Sie sich aus der gnädigen Frau gar nichts zu machen haben. Sie hat noch ein Mensch bei sich. Das Maulassengesicht möcht' auch gern Kammermädchen heißen. Der vorige Informator sagte immer, sie hätte schöne weiße Zähne. Ich denke, der Balg wird ihm wohl nachziehen, wenn er weg ist. Aber ich weiß nun nicht, was sie thun wird; wenn sie nun – ich setze nun den Fall, sie bliebe noch da: da nehmen Sie sich ja vor ihr in acht, es ist ein böses, gefährliches Tier, sie hat ein meschantes Maul. Gott bewahre einen jeden Christen vor ihr! der Nikel! Nun, wie gesagt, machen Sie Ihre Sachen fertig, daß Sie auf Weihnachten anziehen können. Ich bin Ihre Dienerin.


N.S.


Wie Gott will, ich bin immer noch 21 Jahre alt. Unser alter Pfarrer wird doch nicht ewig leben. Kömmt Zeit, kömmt [116] Rat. Ihre Dienerin. Für das schöne Band danke ich; es ist auch ein gar zu niedliches Bündchen. Leipzig bleibt doch Leipzig.

Eine praktische Abhandlung von der Kunst zu bestechen, ingleichen, sich bestechen zu lassen.

Es ist beinahe keine Handlung und Beschäftigung in der Welt, welche man nicht in gewisse Regeln gebracht, mit Gründsätzen befestigt und mit Exempeln erläutert hätte. Wir haben eine Kunst zu lieben, eine Kunst zu trinken, eine Kunst zu regieren, eine Kunst zu leben. Mit solchen Kleinigkeiten beschäftigt sich unser spielender Witz, wichtigere Sachen verabsäumen wir. Sind wohl alle diese Künste dem Menschen so nötig, als ihm die Kunst zu bestechen ist? Ich schäme mich, daß ich der erste sein muß, der meinen Landsleuten die Augen öffnet, meinen Landsleuten, die so oft mit einem patriotischen Stolze die Glückseligkeiten ihrer aufgeklärten und erleuchteten Zeiten rühmen. Ich null es thun, wenigstens will ich einen Versuch davon liefern ... Man wird meiner Lehre glauben können, da ich mit Überzeugung lehre. Der zärtliche Ovid lehrte die Kunst zu lieben, der feurige Horaz die Kunst zu dichten. Und ich, berechtigt durch mein Amt, ich lehre die Kunst zu bestechen...

– Wie glücklich bin ich, wie viel gewinne ich nicht, wenn ich die hohe Kunst verstehe, einem eigennützigen und unwissenden Richter auf eine anständige Art und mit gutem Nachdrucke begreiflich zu machen, daß meine Sache gerechter ist als die Sache meines Gegenparts, oder (im Kanzleistil zu reden) wenn ich weiß, meine Richter zu bestechen!

Das ist alles Pedanterie, was der unnütze Fleiß müßiger Rechtsgelehrten von der Erklärung der Gesetze geschrieben hat. Für wen schreiben sie dieses? Für die Richter? Viele von ihnen lesen nicht einmal die Gesetze; wie sollen sie Geduld genug haben, die trockenen Erklärungen zu lesen. Für die Advokaten? Den wenigsten unter ihnen ist daran etwas gelegen, daß die Gesetze deutlich sind. Für die Parteien? Was hilft es den Parteien, Erklärungen zu wissen, die dem Richter ekelhaft, den Advokaten in ihrer Nahrung so nachteilig sind?! – Die sicherste, die beste, die vorteilhafteste Art, den eigentlichen und wahren Sinn der Gesetze seinem Richter deutlich zu machen, ist die Kunst, ihn zu bestechen.

[117] Ein Richter wird noch immer (wenigstens um die Formularien seines Amtes zu beobachten) unparteiisch und gewissenhaft thun ... Durch die Kunst zu bestechen erleichtern wir unserm Richter die Unbequemlichkeit des Gewissens.

Ich verlange schlechterdings, daß man solches als eine Kunst ansehe. Man muß die Geschicklichkeit besitzen, die Gemüter der Menschen – die Leidenschaften eines Richters zu erforschen ... Der Angriff muß von der Seite geschehen, wo der Richter uns die Blöße giebt, sonst wird er sich verteidigen, und der Gegner wird sich unsere Unvorsichtigkeit zunutze machen ... Man muß sich durchaus nicht merken lassen, daß man bestechen will: ein jeder will für einen ehrlichen Mann gelten. So niederträchtig unser Richter ist, so hungrig er ist, sich bestechen zu lassen: so sehr werden wir ihn beleidigen, wenn wir ihm merken lassen, daß wir die Absicht haben, ihn zu bestechen ...

Damit ich dasjenige deutlicher mache, was ich hier gesagt habe, so will ich ein paar Briefe einrücken, wo man dem Richter sagt, daß man ihn bestechen will. Ein jeder setze sich an die Stelle des Richters und prüfe sich, was er in diesem Falle würde gethan haben.


*


Die Anleitung besteht aus folgenden Briefen (von welchen unsere Ausgabe des Raumes wegen nur die wichtigsten wiedergiebt).


1) Schreiben, wie ein ungewissen hafter Vormund den Richter nicht bestechen soll.


Mein Herr!


Ich will es Ihnen aufrichtig gestehen: die Klage, die mein ehemaliger Mündel wider mich erhoben hat, ist leider gegründet genug. Ich habe einen ziemlichen Teil seines Vermögens teils verwahrloset, teils an mich gebracht. Vielleicht wäre ich wenigstens vorsichtiger gewesen, wenn ich nicht die Absicht gehabt hätte, meine Tochter an ihn zu verheiraten. Dieses würde meine Sache und meine Rechnungen gerechtfertigt haben. Mein Fehler ist es nicht, daß sich diese Ehe zerschlagen hat. Inzwischen bin ich unglücklich, da ich über eine Sache angegriffen werde, da ich mich nicht verteidigen kann. Es würde mir dieser Zufall noch empfindlicher sein, wenn ich mit einem Richter zu thun hätte, der zu gewissenhaft wäre, sich bestechen zu lassen. Ich freue mich unendlich, [118] mein Herr, daß Sie es nicht sind. Sie haben den Ruhm in der ganzen Stadt für sich, daß Sie zuerst auf Ihren Vorteil und hernach auf Ihrer Klienten Sache sehen. Sie werden mir nicht ungütig nehmen, daß ich hier eine Sache gegen Sie erwähne, die Sie meines Wissens niemals heimlich gehalten haben. In der That ist es auch für Sie kein Fehler. Und wäre es ja ein Fehler, so würde die Schuld auf diejenigen fallen, welche Sie in dieses Amt gesetzt, da Sie ihnen nicht haben unbekannt sein können. Mit einem Worte, es ist hier etwas zu verdienen. Mein Advokat, ein Mann, welcher wohl verdiente, Ihr Nachfolger zu sein, ist überzeugt, daß ich eine ungerechte Sache habe, und dennoch getraut er sich, durch Deren gütige Vermittelung den Prozeß wenigstens 12 Jahre aufzuhalten, wenn ich 1000 Thaler Gebühren dran rücken wollte. Dieser Vorschlag scheint mir, unter uns gesprochen, etwas eigennützig zu sein. Ich habe es anders ausgerechnet. Von diesen 1000 Thalern würden ungefähr dreihundert Thaler an Sie als Richter kommen; Sie sollen aber fünfhundert davon haben. Zweihundert sende ich Ihnen hiermit auf Abschlag, die übrigen dreihundert bekommen Sie sofort, wenn ich den Prozeß ohne Weitläufigkeit gewonnen habe. Ich rede mit einem Manne von Erfahrung. Es wird mir also nicht schwer, Ihnen die Billigkeit meines Suchens verständlich zu machen. Nehmen Sie es immer ohne Bedenken an. Sie, m.H., können an Ihrem ehrlichen Namen nichts weiter verlieren; ich aber kann einen Prozeß dadurch gewinnen. Ich verlasse mich auf Ihre billige Einsicht und bin,


Mein Herr,

Ihr Diener.


2) Schreiben, wie ein Rittergutsbesitzer den Kommissar nicht bestechen soll.
3) Schreiben, wie ein Kaufmann seinen Richter nicht bestechen soll.
4) Eine ungeschickte Art, wie ein Bauer seine gnädige Frau Amtmännin zu bestechen sucht.
5) Schreiben, wie ein ungewissen hafter Vormund es machen soll, wenn er den Richter bestechen will.

Mein Herr,


Ich empfinde das Unglück, welches alle redliche Vormünder empfinden, wenn sie undankbare Mündel herangezogen haben. Ich habe mir wegen meines jungen Vetters weder eine Unachtsamkeit, [119] noch einige Untreue vorzuwerfen; ich habe sein Vermögen redlich, wenigstens so gut als das meinige besorgt. Desto mehr muß es mich kränken, da ich erfahre, daß dieser junge, unbesonnene Mensch bei Ihren Gerichten Klage wider mich erhoben hat. Durch einen Zufall, den ich nicht habe vermeiden können, sind ein großer Teil meiner Privatrechnungen verloren gegangen, durch welche ich meine Unschuld darthun und den mutwilligen Zumutungen meines Mündels vorbeugen könnte. Es würde mich dieses unruhig machen, wenn ich mit einem andern Richter zu thun hätte, als mit Ihnen, mein Herr! Wie glücklich bin ich, da ich weiß, daß mein guter Name, meine zeitliche Ruhe von der weisen Einsicht eines Mannes abhängt, welcher sich seit vielen Jahren den Ruhm verdient hat, daß er der gerechteste Mann sei! Sie wissen es, mein Herr! und Sie haben die traurigste Erfahrung selbst gehabt, wie empfindlich es einem rechtschaffenen Vormunde sei, dergleichen undankbare Vorwürfe von der ausschweifenden Jugend anzuhören. Erinnern Sie sich einmal dieser Erfahrung und haben Sie Mitleid mit mir. Eine nachdrückliche Zuredung von Ihnen wird diesen jungen Menschen, der von Natur nicht boshaft, sondern nur verführt ist, gar leicht wieder in Ordnung bringen. Sein Advokat wird sich seines Unternehmens schämen müssen, wenn er aus Ihren Vorstellungen sieht, daß Sie, mein Herr, sein Beginnen verabscheuen. Sie werden mich hierdurch mit einemmale aus einer Unruhe reißen, welche mich viele Jahre hindurch beängstigen und mir viele Unkosten verursachen könnte. Viele hundert Thaler würden kaum zureichend sein, mich eines Anspruchs zu entschütten, welcher mir durch den Verlust meiner Rechnungen so gefährlich wird. Es ist nichts billiger, als daß ich Ihnen eine kleine Versicherung meiner Erkenntlichkeit gebe. Da ich durch Ihre gütige und vielvermögende Vermittlung so viel hundert Thaler ersparen kann, so sind beiliegende 200 Thaler nur ein geringer Anfang derjenigen Schuld, die ich abzutragen mir vorgenommen habe. Ich beschwöre Sie bei Ihrer Amtspflicht, bei Ihrer Begierde, unrechtleidenden Personen beizuspringen, bei dem Ruhme, den Sie sich bei aller Welt erworben haben, daß Sie ein Feind aller ungerechten Bedrängungen und kostbaren Rechtshändel sind, bei der Hochachtung, die ich und die ganze Stadt für Sie hege: betrüben Sie mich dadurch nicht, daß Sie dieser meiner guten Absicht eine unrechte Deutung geben. Sehen Sie diese Kleinigkeit nicht als etwas an, das mir gehört; sehen Sie es vielmehr als [120] einen Teil desjenigen an, was Sie durch Ihre Bemühung den Klauen meines ungerechten Gegners entreißen. Dieser unbillige Mensch würde mir es mit Gewalt abgepreßt haben. Muß ich mich also nicht freuen, wenn ich es in den Händen eines rechtschaffenen Mannes wissen kann, welcher es nur anwendet, Arme zu unterstützen und unrechtleidenden Personen beizuspringen? Nehmen Sie es zu diesem großen Endzweck an. Glauben Sie, daß niemand so begierig ist, erkenntlich zu sein, als ich es bin. Retten Sie mich aus den Händen eines eigennützigen Gegners und ersparen Sie einem jungen, unbesonnen Menschen die Schande der Undankbarkeit. Hemmen Sie diesen Rechtshandel – oder zum mindesten helfen Sie mir ohne Weitläufigkeit zu dem Rechte, das ich habe und doch schwer erweisen kann. Von einem so erfahrenen, gelehrten und rechtschaffenen Manne, als Sie sind, mein Herr, ist dieses noch das wenigste, was ich erwarten kann. Von mir erwarten Sie Hochachtung und Dankbarkeit, solange ich lebe. Ich bin,


Mein Herr etc.

der Ihrige


6) Schreiben – für einen Rittergutsbesitzer an den Kommissar.
7) Anweisung, wie man einen Richter beim Spiele bestechen kann.

Mein Herr!


Sie werden sich nun nicht mehr wundern, wenn ich Ihnen die Ursache sage, warum ich gestern abend in einer beständigen Zerstreuung gespielt habe. Der Advokat meines Gegners ist bei mir gewesen und hat mich so lange aufgehalten, bis ich zu Ihnen glich. Der unwissende Mann! Seine Bosheit hat neue Waffen erdacht, mich niederzuwerfen. Bei der gerechtesten Sache, die ich habe, kann ich doch der unglücklichste Mann werden. Er macht gar kein Geheimnis daraus, daß er nicht eher ruhen will, bis er mich ganz mürbe gemacht. Seine Wut geht so weit, daß er selbst Sie, mein Herr, nicht schont und in allen Gesellschaften ungescheut vorgiebt, Sie wären der Einzige, der sich einkommen ließe, ihn an seinem Rechte zu hindern. Ein solcher Vorwurf muß einen gerechten und unparteiischen Mann, wie Sie sind, mehr vergnügen als kränken. Sie also, mein Herr, sind nach dem Bekenntnisse Ihrer und meiner Feinde noch der Einzige, der meine gute Sache unterstützt. Wie glücklich bin ich, wenn Sie die Gütigkeit haben und sich derselben ferner annehmen! Es muß Ihnen natürlich sein, dieses zu thun, da Sie ein so billiger Mann sind. [121] Wenigstens würden es meine Feinde für eine Frucht ihrer Drohungen halten, wenn Sie anfingen, derselben mit wenigerem Eifer sich anzunehmen. Nein, daß läßt sich von Ihnen gar nicht denken. Meine gerechte Sache und mein gerechter Richter lassen mich dabei ganz ruhig sein. Ich bin mit unveränderter Hochachtung,


Mein Herr etc.


N.S.


Hier übersende meine gestrige Spielschuld. Meine Zerstreuung ist so groß gewesen, daß ich vergessen habe, wie viel sie eigentlich betragen. War es mehr, so bitte, mir es zu melden. Ich werde es mit Dank zahlen.


8) Formular eines leeren Briefs, allen streitenden Parteien zur Warnung geschrieben.
9) Eines ungerechten Richters un parteiische Antwort darauf.

Mein Herr!


Ich werde mich freuen, wenn Ihre Sache so beschaffen ist, daß säe zu Ihrem Vorteile ausschlagen muß. Ich werde nichts thun, als was die Gerechtigkeit erfordert, um das Vertrauen zu verdienen, so Sie gegen mich äußern. Kläger hat allerdings viel für sich, das werden Sie selbst nicht leugnen können. Indessen will ich keinen Fleiß sparen, Ihre Hoffnung, so gut es möglich sein will, zu erfüllen und mich bei Ihnen von einem empfindlichen Verdachte zu rechtfertigen, als wäre ich auf die Gerechtigkeit der Sache nur alsdann aufmerksam, wenn man mir eine Belohnung von ferne weist. Wodurch habe ich bei Ihnen ein so bitteres Kompliment verdient? Sie hätten es nicht thun sollen, mein Herr; und ich muß gestehen, daß mich Kläger in diesem Stücke besser kennt. Aber es sei drum. Dem ungeachtet will ich Ihnen zeigen, daß diese kleine Beleidigung mich nicht hindert, mit aller Ergebenheit zu sein,


Mein Herr,

Ihr Diener etc.


10) Ein Handgriff, wie man einem Richter, den man besticht, die saure Mühe ersparen kann, rot zu werden.

11) Des Richters Antwort auf den stummen Brief.

12) Gebessertes Formular, wie ein Kaufmann seinen Richter bestechen soll.

13) Anleitung, einen Richter mit Holz zu bestechen.

[122] 14) Ingleichen – mit alten Münzen und Gemmen.

15) Rezept, wie eine schöne Frau den Richter gewinnen soll.

16) Des Richters viel bedeutende Antwort darauf.


Madame,


Ihr Unglück rührt mich. Ich habe mir die Akten vorlegen lassen. Ich finde aber verschiedene bedenkliche Umstände, die, wie es scheinen will, Ihrem Manne sehr nachteilig sind. Ich werde mich freuen, wenn Sie mich überzeugen können, daß meine Besorgnis ungegründet sei. Eine mündliche Unterredung ist dazu wohl am geschicktesten. Ich bin den ganzen Tag beschäftigt, früh um 6 Uhr aber werde ich noch ungestört sein. Ich erwarte Sie in meinem Kabinett. Mein Kammerdiener hat Ordre, Sie durch die Galerie zu mir zu führen. Fassen Sie Mut. Ich wenigstens will thun, was in meinem Vermögen ist. Leben Sie wohl.


17) Ein Brief, wie man den Kommissar mit der Furcht vor seinen Obern besticht.

18) Dergleichen – mit der Furcht vor seinem eigenen bösen Gewissen.

19) Dergleichen – mit der Furcht vor Wechselschulden.

20) Eine arme gedrückte Witwe bittet um Gerechtigkeit bei ihrem Richter.

21) Des Richters Antwort.

22) Vier Formulare von der mittelbaren Bestechung durch die Weiber der Richter, nach ihren verschiedenen herrschenden Leidenschaften.

23) Schreiben an einen Amtmann, der viel von der Küche und wenig von der Amtsstube versteht.

24) Schreiben an seine juristische Tochter, so dasDirectorium Actorum führt.


* *

*


Ich habe die billige Absicht, den Nutzen von meinen Briefen allgemein zu machen. Bisher habe ich größtenteils nur für diejenigen gesorgt, welche in der kleinen bürgerlichen Welt ihr Glück suchen. Hier will ich noch einen Brief für diejenigen einrücken, welche sich an den Hof wagen wollen. Er ist so deutlich, daß ich nicht nötig zu sagen habe, wovon er handelt. Meine Leser werden es bei dem ersten Anblick finden.

Brief für die, welche sich an den Hof wagen wollen

[123] Mein Herr,


Geben Sie noch nicht alle Hoffnung auf. Nun bin ich endlich auf dem Wege, mein Glück zu machen und ein Mann von Wichtigkeit zu werden. Seit acht Tagen habe ich Ihren Rat befolgt; und was Sie mir geraten haben, ist die Stimme der Natur gewesen, denn ich finde mich ungemein leicht darein.

Am Montag habe ich mit dem Kammerdiener Brüderschaft getrunken. Die ganze Antichambre ist schon auf meiner Seite; und der kleine Läufer, welcher die Gnade hat, Seiner Excellenz Narr zu sein, fängt an, eifersüchtig auf meine witzigen Einfälle zu werden, und glaubt, Seine Excellenz würden sich halbtot lachen, wenn sie meine Schwänke hören sollten. Arbeit genug für einen Tag, aber auch Ruhm genug.

Dienstags legte ich den Grundstein zu meinem Glück. Kennen Sie das Mädchen, welches anfängt, dem gnädigen Herrn gleichgültig zu werden? Ich brauchte nicht mehr als zwei Stunden, sie auf meine Schmeicheleien aufmerksam zu machen. Sie hat über das Herz ihres Herrn immer noch Gewalt genug, um mein Glück zu unterstützen. Und Seine Excellenz sind so erkenntlich, daß Sie wünschen, das Glück dieses Mädchens auf eine dauerhafte Art zu befestigen.

Am Mittwoch habe ich ein Amt angetreten, welches zwar in der Welt kein Aufsehen macht, aber auf meiner Stube wichtig genug ist. Diesen und denfolgenden Tag brachte ich damit zu, verschiedene Klienten zu versichern, daß ich mir ein ungemeines Vergnügen daraus machen würde, ihnen bei aller Gelegenheit zu dienen. Ich weiß nicht mehr, wer sie waren.

Am Freitag hat mich mein Schneider ausgebildet, und ich hätte wahrhaftig in mir das nicht gesucht, was ich nunmehr wirklich in mir finde.

Gestern (Samstag) habe ich einige von meinen alten Gläubigern abgewiesen und 1500 Thaler aufs neue geborgt. Ich borgte sie mit einer sehr guten Art, und ich glaube, der Kaufmann soll mich verstehen. So klug ist er wenigstens, daß er sie von mir nicht wieder fordern wird. 1500 Thaler ist eine Kleinigkeit, aber bedenken Sie, mein Herr, daß ich nicht länger als seit 6 Tagen bei Hofe bin.

Heute früh bin ich in der Kirche gewesen. Meine Weste that ihre Wirkung. Der Prediger gefiel mir nicht so wie vor 8 Tagen, da ich noch kein Hofmann war. Wenn ich nicht irre, so predigt der Mann zu pedantisch. Für den Pöbel mag er [124] ganz erbaulich sein. Seine christlichen Tugenden treten so bürgerlich einher. Bewundern Sie immer diesen Einfall, er hat mir heute viel Ehre in der Kapelle gemacht. Morgen ist der zweite Feiertag, um deswillen werde ich zur Ader lassen.

Leben Sie wohl! Es ist meinem neuen Stande gemäß, daß ich meine alten Freunde nach und nach vergesse. Gewiß vergesse ich Sie zuletzt; ich null aber doch thun, was mir möglich ist. Versuchen Sie es über 8 Tage. Begegnen Sie mir. Ich werde Sie ansehen, ein paar große Augen machen. »Ich sollte Sie kennen, mein Herr!« werde ich sprechen. Sie werden mir Ihren Namen sagen. Ich werde, als vom Traum erwachend, zurückspringen, Sie umarmen und ohne Ihre Antwort zu erwarten, mich aus Ihren Armen losreißen, weil mich höchstdringende Geschäfte nötigen, nach Hause zu eilen; mein Bedienter wird Ihnen meine Wohnung sagen. Grüßen Sie meine Freunde, aber ich bitte Sie, ja incognito. Ich halte sie hoch, aber die Zeiten ändern sich. Der Hof giebt auf alle meine Bewegungen acht. Wie gesagt, grüßen Sie die ehelichen Leute. Wenn ich's recht überlege, habe ich eben nicht Ursache, mich ihrer zu schämen. Leben Sie wohl. Ich habe die Ehre zu sein,


Mein Herr,

Deren dienstwilliger Freund

– –


N.S.


Vornehme Leute pflegen des Wohlstands wegen gemeiniglich an einem oder mehreren Artikeln der Religion zu zweifeln. Geben Sie mir einen guten Rat, an welchem ich zweifle. Ich dächte, weil ich erst anfange, mich in der Welt zu zeigen, ich zweifelte zur Zeit noch an der Hölle. Kommt Zeit, kommt Rat! Was meinen Sie?

Ein Roman von einem Fräulein, die der Großvater und Enkel zugleich liebt.

Die große Hälfte des menschlichen Geschlechts liebt gemeiniglich in jungen Jahren von ganzem Herzen und närrisch, in reisen Jahren eigennützig und im Alter lächerlich. Es gehört keine große Philosophie dazu, diese Wahrheit einzusehen. Man darf nur ein wenig auf die Handlungen der Menschen, und wenn man recht gründlich davon überzeugt sein will, [125] vornehmlich auf sich selbst Achtung geben. Eine kleine Untersuchung seiner eigenen Neigung wird machen, daß man von den Fehlern anderer gelinder urteilt. Ich will hier meinen Lesern einige Briefe vorlegen, in denen der Charakter eines zärtlichen Greises der wilden und unruhigen Liebe eines jungen Menschen entgegengesetzt ist. An beiden sieht man den Grund eines ehrlichen Herzens und einer edlen Denkungsart. Bei allem dem Lächerlichen, das sie durch ihre Leidenschaften verraten, verdienen sie einige Nachsicht. Ich wünsche, daß meine alten Leser eben so anständig fehlen mögen, wenn sie ja die Liebe einmal überraschen sollte. Meine jungen Leser können sich die Hochachtung der Welt gewiß versprechen, wenn sie das Herz haben, von ihren flüchtigen Ausschweifungen so geschwind wie mein Original zurückzukehren. Lächerliche Exempel erbauen nicht allemal so sehr als tugendhafte. Dieses hat mich veranlaßt, eine Mischung des Lächerlichen und Tugendhaften zu machen. Vielleicht ist meine gute Absicht nicht ganz vergebens. Ich werde mich freuen, wenn ich erfahre, daß ein Alter aufgehört hat, lächerlich zu sein, und daß ein Jüngling sich gehütet hat, es zu werden. Die Person der Tochter des verliebten Greises war zu diesem Auftritte nötig. Ich brauchte sie, die wilde Hitze eines jungen Menschen zu dämpfen, und ihn in der Hochachtung zu erhalten, die er seinem alten Vater, so lächerlich auch dieser liebte, dennoch schuldig blieb. Dieses konnte niemand thun als ein Frauenzimmer, dessen Jahre und Tugend ihn zur Ehrfurcht zwangen. Ich habe mir Mühe gegeben, den Charakter des Fräuleins, welches von Großvater und Enkel zugleich geliebt worden, so edel und vorzüglich zu bilden, als es nur hat möglich sein wollen. Ihre Schönheit und Tugend entschuldigen das Lächerliche eines alten Liebhabers und das Thörichte eines zärtlichen Jünglings. Was ich hier gesagt habe, kann als ein kurzer Vorbericht meines kleinen Romans angesehen werden, der aus folgenden Briefen besteht.

a) Anwerbungsbrief und vier Postskripte eines alten Kavaliers an ein junges Fräulein. b) Schreiben des Enkels an seine Tante. c) Trostschreiben der Tante an den eifersüchtigen Enkel. d) Der Enkel seufzt. e) Liebeserklärung des Enkels an das junge Fräulein. f) Die Tante sagt, daß der Enkel thöricht sei. g) Freundschaftliches Schreiben des jungen Fräuleins an die Tante.h) Der Tante Antwort darauf. i) Schreiben des Fräuleins an ihren Onkel. k) Antwort des Onkels an das Fraulein. [126] l) Der Enkel verzweifelt vor Liebe und klagt es seiner Tantem) Er klagt es dem Fräulein. n) Er klagt es ihrem Onkel. o) Der eifersüchtige Enkel bittet seinen Großpapa um Erlaubnis, das Fräulein heiraten zu dürfen.p) Antwort der Tante an den Vetter. q) Dem Vetter wird angst, und er antwortet der Tante. r) Antwort der Tante. s) Antwort des Vetters an die Tante. t) Antwort der Tante. u) Umständlicherstatus causae des Großvaters an seine Tochter, daß der Enkel über und über ein Narr sei. v) Schreiben des Fräuleins an die Tante. w) Schreiben des Onkels des Fräuleins an den Großvater. x) Schreiben des Großvaters an die Tochter, worin er gesteht, daß der Enkel ein so großer Narr noch nicht sei, als er geglaubt hätte. y) Schreiben des Großvaters an den Onkel des Fräuleins, welches den Roman auflöst.


*


a)

Gnädiges Fräulein,


Ich habe ein Amt, welches mir einen ansehnlichen Rang in der Welt verschafft; 2000 Thaler Renten und 1500 Thaler Besoldung machen, daß ich bei einer vernünftigen Wirtschaft sehr gemächlich leben kann. Meine Kinder sind alle versorgt und haben ihr Brot. Ich bin noch immer munter genug, daß ich das Herz habe, Ihnen meine Hand anzubieten. Ihre eingezogene Lebensart und Ihr tugendhafter Charakter vermehren diese Hochachtung, die ich gegen Sie hege, und ich vergesse dabei, daß Sie nur 16 Jahre alt sind. Vielleicht würde ich behutsamer sein, Ihnen meine Neigung zu eröffnen, wenn ich Sie nicht für zu vernünftig hielte, als daß Sie durch den kleinen Unterschied der Jahre, der zwischen uns beiden ist, sich sollten abschrecken lassen, Ihr Glück zu befestigen und mich zugleich zu dem glücklichsten Ehemann zu machen. Seit 40 Jahren habe ich die Lebhaftigkeit nicht empfunden, die ich jetzt empfinde, da ich Ihnen sage, daß ich Sie liebe. Entschließen Sie sich bald und womöglich zu meinem Vorteil. Ich werde künftige Woche ins Karlsbad reisen, eine kleine Krankheit zu heben, die sich ohnedem bald verlieren muß, da sie mir scholl 20 Jahre beschwerlich gewesen ist, und die in der That weiter nichts ist, als die Folge meines flüchtigen und feurigen Geblütes, ungeachtet mein ungeschickter Medikus es für eine fliegende Gicht halten will. – Lassen Sie mich nicht ohne die Hoffnung wegreisen, daß ich bei meiner Rückkunft [127] die Erlaubnis haben werde, Ihnen mit der zärtlichsten Hochachtung zeitlebens zu sagen, daß ich sei,


Gnädiges Fräulein,

Ihr

gehorsamster Diener.

......
am 1. Mai 1740.

N.S.


Gegen meine Tochter, die Hofrätin, erwähnen Sie nichts von meinem Vorschlage. Ich weiß, daß Sie eine vertraute Freundin von ihr sind; aber sie möchte Ihre Vertraulichkeit mißbrauchen.

Mein Enkel, den Sie kennen werden, und der ein gutes Kind ist, wird Ihnen diesen Brief zustellen. Ich habe ihn beredet, es beträfe Ihre Vormundschaftsrechnungen. Lassen Sie sich nichts gegen ihn merken. Ungeachtet er nur 18 Jahre alt ist, so ist er doch schlau genug, mehr zu erraten, als ich ihm noch zur Zeit will wissen lassen.

Die Juwelen von meiner seligen Frau habe ich noch alle, und sie dürfen nur neu gefaßt werden. Die rechtschaffene Frau! In ihrem ganzen Leben hat sie mich nicht ein einzigesmal betrübt; und wenn ich auch der eifersüchtigste Mann gewesen wäre, so hätte ich doch bei ihr nicht die geringste Gelegenheit gehabt, es zu sein.

Noch eins! Was halten Sie vom d'aylhoudischen Pulver? Ich finde es gut.


e)


Gnädiges Fräulein!


Die Vormundschaftsrechnungen, die mein Großvater, der das beneidenswerte Glück erlangt hat – mit der größten Hochachtung, die man Ihren Verdiensten schuldig ist, und mit den zärtlichsten Empfindungen, die eine Wirkung Ihrer Schönheit sind, und von denen ich so lange Zeit her, ob ich es gleich niemals wagen dürfen, anders als in stiller Ehrfurcht zu bewundern, und schon dieses für eine Verwegenheit gehalten – wenn meine Augen einen Teil derjenigen Unruhe verraten, die ich empfinde und welche mich, gnädiges Fräulein, hindert, Ihnen inliegende Vormundschaftsrechnungen nebst dem Brief von meinem Großvater selbst zu überbringen. Ich kann also weiter nichts thun, als Sie, gnädiges Fräulein, mit der größten Hochachtung versichern, daß ich zeitlebens sein werde etc.


[128] g)


Gnädigste Frau Hofrätin,


Ich muß Ihnen ein Anliegen eröffnen, welches ich gegen Sie am sorgfältigsten verschweigen soll, wenigstens hat man mir ausdrücklich verboten, Ihnen etwas davon zu sagen. Es ist mir unmöglich, diesem Verbote nachzuleben. Die Sache ist für mich zu wichtig, sie allein zu überlegen. Und ich fürchte, meine Freundschaft und mein Zutrauen gegen Sie zu beleidigen, wenn ich Ihnen aus einer Sache ein Geheimnis machen wollte, auf die meine Ruhe und mein ganzes Glück anzukommen scheint. Lesen Sie den eingeschlossenen Brief von Ihrem Herrn Vater. Werden Sie sich nunmehr wohl noch wundern, daß ich gestern abend so unruhig und ganz außer mir war! Was soll ich auf diesen unerwarteten Antrag antworten? Meine Glücksumstände sind allerdings nur mittelmäßig. Man zeigt mir eine Gelegenheit, solche auf eine ansehnliche Art zu verbessern. Der Rang, zu welchem man mich erheben will, ist vielleicht nicht eine von den geringsten Bewegungsursachen, wenigstens ist er in dem Briefe die erste, auf die man mich weist. Soll ich alles dieses abschlagen und mir doch nicht den Vorwurf eines unvernünftigen Eigensinns zuziehen, vor welchem man mich stillschweigend zu warnen scheint? Wird man in der Ehe dadurch glücklich, daß die Person, die man wählt, den Charakter eines rechtschaffenen Mannes vor der ganzen Welt behauptet: so kann man sich gewiß nicht glücklicher verheiraten, als mit Ihrem Herrn Vater. Was soll ich thun? Sollte mich nicht meine Jugend noch entschuldigen, an ein so ernsthaftes Bündnis zu denken, als die Ehe ist? Werde ich aber die Entschuldigung brauchen können, ohne in den Verdacht zu kommen, daß mir die hohen Jahre Ihres Herrn Vaters den Antrag zuwider gemacht haben? – ein Verdacht, der mir um deswillen doppelt empfindlich sein muß, weil er den Mutwillen jünger Leute zu Spöttereien reizen, bei Ihrem Herrn Vater aber die Achtung ganz vertilgen wird, die er gegen mich, ohne daß ich es verdiene, zu haben scheint. Kann ich hierbei wohl gleichgültig bleiben, da mir soviel daran gelegen ist, das Wohlwollen eines Mannes zu erhalten, der den Ruhm eines billigen, eines vernünftigen, eines einsehenden Mannes sich seit so langen Jahren eigen gemacht hat? Nehme ich aber den Antrag an, wie sehr stelle ich mich den bittern Beurteilungen der Welt bloß! Wird man mir wohl das Recht widerfahren lassen, daß ich ihm meine Hand gegeben, weil er ein billiger, ein einsehender, [129] ein vernünftiger Mann ist – oder wird man nicht vielmehr glauben, daß der Eigennutz mich bewogen, einen Schritt zu thun, von dem mich nach dem Urteile der richtenden Welt meine Jugend und sein Alter hätten zurückhalten sollen? Wie unglücklich wäre ich, gnädige Frau, wenn ich mir jetzt bei dieser Unentschlüssigkeit nicht Ihren freundschaftlichen Rat versprechen könnte! Als Schwester liebe ich Sie jetzt, gnädige Frau. Nehme ich das Anerbieten Ihres Herrn Vaters an, was soll ich unserer Liebe alsdann für einen Namen geben, ohne daß es bei meinen jungen Jahren lächerlich wird? Gewiß daran darf ich nicht denken, ich schäme mich vor mir selber. Ich glaube jetzt den Brief von Ihrem Vetter besser zu verstehen, als ich ihn gestern abend verstand, da ich Ihnen solchen zu lesen gab. Vielleicht ist ihm schon etwas von der Sache bekannt, und eine dergleichen Handlung von einem Großvater kann einem Enkel allerdings nicht gleichgültig sein, wenn er auch auf weiter nichts sieht, als auf den Verlust eines Teils der gehofften Erbschaft. Ich habe verschiedene Ursachen, Sie zu bitten, daß Sie gegen ihn weder von dem Antrag des Herrn Vaters noch von meinem Briefe etwas gedenken. Wir wollen ihm eine Unruhe ersparen, welche vielleicht vergebens sein würde. Beschleunigen Sie Ihre Antwort, gnädige Frau. Ich werde nicht eine Minute ruhig sein, bis ich solche habe. Raten Sie mir aufrichtig, raten Sie mir womöglich so, wie ich wünsche. Ihr Rat soll den Ausspruch thun. Setzen Sie sich an meine Stelle. Was würden Sie thun? Ich bin etc.


h)


Was ich thun würde, mein gutes Fräulein? Das weiß ich in der That selbst nicht. Sie sind ein allerliebstes Mädchen. Ich glaube nicht, daß außer Ihnen noch ein Frauenzimmer in der Welt sein kann, welches dem wunderbaren Einfalle meines redlichen Vaters einen so freundschaftlichen Anstrich geben würde. Aber gestehen Sie es nur, gestehen Sie es wenigstens aus Freundschaft zu mir, daß man auch mitten unter den Schwachheiten meines alten Vaters den vernünftigen, den rechtschaffenen Mann erblickt. Es würde seiner Einsicht wenig zur Ehre gereichen, wenn er gegen Ihre Person und gegen Ihren tugendhaften Charakter weniger Hochachtung bezeigt hätte. Er ist von Ihren Verdiensten so überzeugt, daß er sich und seine Jahre vergißt, um Ihnen seine Hand anzubieten. Der rechtschaffene Alte! Was ihn vor den Augen der Welt lächerlich machen könnte, das macht ihn vor meinen Augen [130] immer ehrwürdiger. Wäre mein Vater 30 Jahre jünger, so würde ich aus Liebe zu ihm und aus Hochachtung gegen Sie mir alle Mühe geben, Sie zu bereden, daß Sie ihn in seinen Wünschen glücklich machten. Da dieses nicht ist, so kann ich in der That nichts dazu sagen, ohne Ihren zärtlichen Geschmack zu beleidigen und auf der andern Seite meinen Vater an einer Hoffnung zu hindern, auf der sein ganzes Glück zu beruhen scheint. Sie haben recht, Fräulein, völlig recht, daß zu einer vergnügten Ehe noch etwas mehr gehört, als die Wahl einer vernünftigen Person. Allerdings muß eine nähere Gleichheit in Jahren dabei sein. Die Urteile der Welt lassen Sie sich an nichts hindern! Die Welt urteilt allemal anders, als wir handeln. Und Sie mögen sich entschließen, wozu Sie wollen, so werden Sie allemal getadelt werden. Folgen Sie Ihrer Neigung, so werden Sie die glücklichste Wahl treffen. Fragen Sie IhrenOnkel, den Obersten. Er ist mit meinem Vater so vertraut und im übrigen so vernünftig, daß er in dieser Sache am besten raten kann. Meinem Vetter will ich nichts sagen. Aber das bitten Sie ihm ja ab, daß Sie glauben, der Eigennutz werde ihn bei dieser Sache unruhig machen. Er hat seine Fehler, Fräulein, sehr große Fehler; aber eigennützig ist er nicht. Wenn ich ihn recht kenne, so glaube ich, er würde Ihnen von unserem und seinem Vermögen noch weit mehr wünschen, als Sie durch einen Ehekontrakt von seinem Großvater verlangen können. Verlassen Sie sich darauf, ich will ihm nichts von allem sagen. Wie gefällig sind Sie, liebes Fräulein, daß Sie dem guten Menschen so viel Unruhe ersparen wollen! Das verdient eine besondere Erkenntlichkeit. Aber ich will ihm nichts sagen, auf mein Wort! Der arme Vetter, wie unruhig würde er sonst sein! Darf ich es wissen, was Ihnen Ihr Onkel antwortet, so melden Sie mir es, sobald es sein kann. Ich liebe Sie mit der vollkommensten Zärtlichkeit einer aufrichtigen Schwester; und ich glaube, daß ich Sie nicht zärtlicher lieben könnte, wenn Sie auch meine Mama wären. Denn vermutlich war dieses das fürchterliche Wort, welches Sie in Ihrem Briefe meinten und doch das Herz nicht hatten, es auszusprechen. Leben Sie wohl! Mein Vater hat sich entschlossen, seine Reise zu beschleunigen. Er will schon morgen ins Karlsbad gehen, um desto eher gesund und jung wieder zurück zu kommen. Können Sie es denn gar nicht übers Herz bringen, den guten Alten ein wenige zu lieben? Überlegen Sie es.


[131] k)


Meine Teure!


Ich werde wohl nicht nötig haben, Dich um eine deutlichere Erklärung Deiner Meinung zu bitten. Ich glaube Dich zu verstehen. Wenn ich auf weiter nichts sehen wollte, als Dich angesehen und reich in der Welt zu wünschen, so würde ich Dir ernstlich anraten, die Hand des Herrn Kammerrats anzunehmen. Aber ich will Dich auch glücklich in der Welt wissen, und das möchtest Du schwerlich bei ihm werden, da Du bei Deinen Jahren eher seine Enkelin als seine Frau sein könntest. Was muß der ehrliche Greis gedacht haben, da er Dir einen solchen Brief geschrieben hat? Ich sehe sein ganzes Herz darin. Er ist ein rechtschaffener Mann. Er ist in einen Fehler gefallen, der auch bei rechtschaffenen Leuten eine Übereilung bleibt. Aber so seid ihr Mädchen. Ihr verführet Jünglinge und Greise; und der Teufel ist euch nicht klug genug, so alt er ist. Im übrigen verlasse Dich auf mich. Du sollst ihn gegen Deinen Willen nicht zum Manne kriegen. Ich habe diesen Nachmittag eine notwendige Reise auf meine Güter zu machen. In acht Tagen komme ich zurück, und dann will ich selbst an den alten Kammerrat schreiben und ihm meine Meinung ganz treuherzig sagen. Er ist billig, ich vermag etwas über ihn, und ich hoffe die Sache so einzurichten, daß er sich selbst begreifen wird, ohne auf Dich einen Widerwillen zu werfen. Lebe wohl.


q)


Gnädige Tante,


Sollen denn auch Ihre Bedienten Zeugen von meiner Schande sein? Viermal bin ich gestern bei Ihnen gewesen. Sie haben geboten, niemand vor sich zu lassen. Ich lese es in den Augen aller, die im Hause sind, daß Sie von meiner Übereilung wissen. Gnädige Tante, bringen Sie mich nicht zur Verzweiflung. Ich habe einen Fehler begangen, ich schäme mich desselben. Ich sehe es ein, wie unrecht ich an meinem Vater gehandelt habe; ich glaubte es nicht. Ich hielt es für ein unschuldiges Mittel, mein Glück zu befördern. Ich liebe meinen Vater unendlich, noch diesen Augenblick liebe ich ihn so sehr, als nur jemals. Es war keine Bosheit, nein, gnädige Tante – Unvorsichtigkeit, eine Thorheit war es, die von der Liebe und Jugend herkam. Verdient denn diese Thorheit, daß Sie mir Ihre Liebe entziehen wollen? daß Sie mich in einer Unruhe lassen, die alle Angst eines Missethäters übertrifft? [132] Haben Sie denn noch keinen Brief von meinem Vater, von meinem beleidigten Vater? Ja! beleidigt habe ich ihn, aber aus Thorheit, nicht aus tückischer Bosheit. Erlauben Sie mir, zu Ihnen zu kommen. Ich bin außer mir.


w)


Hochwohlgeborner Herr Kammerrat,

Hochgeehrter Herr Bruder!


Wenn sich der Herr Bruder noch wohl befindet, so wird es mir lieb zu vernehmen sein. Ich befinde mich, dem Himmel sei Dank! für meine Jahre ganz wohl. Im übrigen hat das Fräulein von L., meine liebe Base, mich avertiert, daß mein hochzuehrender Herr Bruder eine christliche Absicht auf das Mädchen habe. Dessen freue ich mich nun gar sehr und danke dem Herrn Bruder herzlich für das freundschaftliche Zutrauen zu meiner Familie und namentlich zu dem guten Kinde. Sie ist fromm und wohlerzogen und eine gute Wirtin, die ihren Mann einmal in Ehren halten wird. Allermeist aber kann ich dem Herrn Bruder nicht verhalten, daß das Mädchen fast zu jung ist, in den heiligen Ehestand zu treten. Sie wird noch kaum 16 Jahre sein, und das, deucht mich, ist fast zu jung, eine Wöchnerin zu werden. Man macht die guten Dinger vor der Zeit alt, und sie kommen in das Ehestandskreuz, ehe sie recht anfangen zu leben. Wie ich denn dem hochgeehrten Herrn Bruder nicht bergen mag, daß das Fräulein sehr schwer daran geht. Sie ist von so gutem jugement, daß sie des Herrn Bruders Verdienste vollkommen einsieht. Sie gratuliert sich gar höchlich, wie es denn auch billig ist, der Ehre, die ihr angetragen wird, und sie hat mich versichert, daß sie nichts mehr wünsche, als mit der Zeit einen Mann zu haben, der so rechtschaffen und edel gesinnt sei als der Herr Bruder. Nicht minder sieht sie wohl ein, wie groß das Glück in Ansehung der zeitlichen Umstände sei, das ihr angetragen wird. Unbeschadet diesem allem ist sie von dem Gedanken nicht abzubringen, daß sie noch zu jung sei. Wenn aber ich es sehr ungern sehe, daß sie sich in den Kopf gesetzt hat, vor ihrem zwanzigsten Jahre nicht zu heiraten, so wäre dieses mein unvorgreiflicher Rat, man ließe das Mädchen vollends heranwachsen. Ist sie zwanzig Jahre alt und der Herr Bruder bleibt auf seiner Meinung: eh bien! vielleicht giebt sich's hernach eher. Der Herr Bruder ist bei seinen Jahren noch munter und vigoureux und wird dieser gebetenen Dilation gar wohl deferieren können. Es laufen hier keine [133] fatalia. Selbstbeliebigem Gutachten überlasse dieses alles, was ich hier wohlmeinend schreibe. Posito aber, der Herr Bruder fände Bedenken, seinem Suchen zu inhärieren, und glaubte, daß bei mehr zunehmenden Jahren es bequemer und seinem Alter, anständiger wäre, unverheiratet zu bleiben, und den Rest seiner Jahre in Ruhe zuzubringen und das Wohl seiner lieben Kinder, die den Herrn Bruder mit vieler Aufrichtigkeit verehren, fernerweit als ein zärtlicher Vater zu besorgen, die auch denselben pflegen und warten, als sich für einen guten ehrlichen Vater gehört und rechtschaffenen Kindern allenthalben eignet und gebührt – posito also, sage ich, es verginge dem Herrn Bruder die Lust, sich wieder zu vermählen, so wird es mir lieb sein, wenn er für mich und die Meinigen die gute Meinung behält und dem Fräulein hold und gewogen bleibt, wie es denn dieselbe verdient und es weiter zu verdienen suchen wird.

Der ich den Herrn Bruder göttlicher Obhut empfehle und nach abgelegtem gutem Wunsche zu einer ersprießlichen Badekur und glücklichen Wiederkunft mit alter deutscher Treue unabläßig beharre,


Hochwohlgeborener Herr Kammerrat,

Meines hochgeehrten Herrn Bruders,

dienstwilliger Freund und Diener.


y)

Hochwohlgeborner Herr Obrist,

Hochgeehrtester Herr Bruder!


Die Schwierigkeiten, welche das Fräulein von L. gefunden hat, mich ihrer Gegenliebe zu würdigen, vermindern die Hochachtung im geringsten nicht, die ich gegen sie hege. Sie sind ihrem Alter und ihrer Einsicht so anständig, daß ich sie doppelt verehren muß. Hätte sie meinen Wunsch erfüllt, so wäre ich gewiß der glücklichste Mann geworden; ihr Glück aber würde immer noch unvollkommen gewesen sein, da mich meine Jahre zu ernsthaft machen, ihre Liebe zu vergelten. So ungerecht bin ich nicht, daß ich mein Glück dem ihrigen vorziehen sollte. Der Herr Bruder sind ein neuer Beweis, wie unschätzbar ein vernünftiger Freund sei. Ich sehe meine Übereilung ein, die ich begangen habe. Sie erinnern mich auf eine sehr bescheidene Art meines Alters und der Pflicht, die ein Greis bei seinem herannahenden Ende zu beobachten hat. Ich will Ihr Vertrauen zu verdienen suchen und mich einer Leidenschaft entschlagen, die mir bei meinem Jahren nicht mehr anständig ist. Ich verwandle[134] die Liebe, die ich gegen das tugendhafte Fräulein hegte, in eine väterliche Zärtlichkeit. Diesen einzigen Fehler halten Sie mir zugute, daß ich zu eifersüchtig bin, den Besitz dieses liebenswürdigen Kindes jemand anders als meinem Enkel zu gönnen. Ich weiß, daß er sie anbetet. Er verdiente nicht mein Sohn zu sein, wenn er anders dächte. Es ist mir unbekannt, ob das Fräulein gütig genug ist, seine jugendlichen Fehler zu übersehen, und ob sie sich entschließen kann, einen Menschen zu lieben, der weiter keine Verdienste hat, ihrer würdig zu sein, als diese, daß er den Wert ihrer Tugenden und ihrer vorzüglichen Eigenschaften empfindet. Nehmen Sie Gelegenheit, hochgeehrtester Herr Bruder, die Neigungen des Fräuleins zu untersuchen. Das Vermögen, welches mein Enkel von seiner Mutter ererbt hat, ist gar ansehnlich. Ich werde ihn, wenn ich lebe, in immer bequemere Umstände zu setzen suchen. Ich will ihm einen anständigen Rang kaufen Sterbe ich einmal, so fällt der größte Teil meines Vermögens wieder auf ihn. Aber ich will haben, daß er mir noch bei meinen Lebzeiten für meine Fürsorge danken soll. Für das danken uns die Kinder selten, was wir ihnen durch unsern Tod lassen müssen, weil wir es nicht ändern können. Diejenigen Wohlthaten genießen wir selbst mit, die wir ihnen bei unserem Leben erweisen. Kann sich mein Enkel eine größere Wohlthat wünschen als die, um welche ich für ihn bitte? Er hält es selbst für die größte, ich weiß es. Machen Sie ihn und zugleich mich glücklich, wertester Herr Bruder. Wir wollen das Vergnügen unserer Kinder befestigen, weil wir beide noch leben. Vielleicht hat uns der Himmel unsere hohen Jahre nur um deswillen so lange gefristet, daß wir an diesem Glücke gemeinschaftlich arbeiten sollen. Ich denke ganz ruhig an meinen Tod, wenn ich mir vorstelle, daß ich in den Armen dieser zärtlich geliebten Enkel sterben soll. Lassen Sie diese mir so angenehme Vorstellung nicht vergebens sein. Eilen Sie, meine Bitte zu erfüllen. Sie wissen nicht, wie lange Sie bei Ihren Jahren noch im stande sind, es zu thun. Ich wenigstens fühle mein Alter alle Tage mehr. Meine Mattigkeit und andere Beschwerungen erinnern mich stündlich an den letzten wichtigen Schritt, den wir zu thun haben. Ich werde meine Rückreise beschleunigen und mit Ungeduld den Augenblick erwarten, wo ich von Ihnen erfahre, ob sich das Fräulein entschließen kann, meinen Enkel glücklich zu machen, und einem redlichen Vater, der sie so zärtlich liebt, seine Bitte, vielleicht seine letzte Bitte zu gewähren. Der Himmel lasse unsere Kinder gesegnet sein! Das Gebet eines Vaters bleibt nie unerhört. [135] Es wird ihnen wohlgehen, und sie verdienen es auch. Wir wollen uns lieben, Herr Bruder, bis wir sterben. Unsre Kinder sollen von uns lernen, was Freundschaft sei, damit sie uns auch im Grabe noch segnen. Dieses schreibe ich mit der wahren Hochachtung eines alten Freundes und bin,


Hochwohlgeborner Herr Obrist,

Meines hochgeehrten Herrn Bruders

ergebenster Diener.

Verschiedene Liebe.

Ich hoffe, ich will mich mit der Erfahrung schützen, wenn ich behaupte, daß viele aus Neigung lieben, aber aus Eigennutz heiraten. Wenigstens haben diejenigen kein Recht, mir zu widersprechen, welche sich mit einem Frauenzimmer verbinden, die nach dem ordentlichen Laufe der Natur ihre Großmutter sein könnte. Diese Liebhaber der Altertümer gewinnen in der That sehr viel, wenn man ihnen schuld giebt, daß ihre Verbindungen aus Eigennutz geschehen. Ware dieses nicht, so würde man sie gar für närrisch halten. Und ich glaube, nach der Art, wie die heutige Welt denkt, ist es immer rühmlicher, eigennützig als närrisch zu sein. Ich bin also nicht wider diese Art der Ehen. Es scheint mir unleidlich zu sein, daß man dergleichen Frauenzimmern, welche ohnedem ihr Alter abergläubisch macht, so viel von Liebe und zärtlichen Empfindungen vorschwatzt. Es ist unbillig, ihre Leichtgläubigkeit zu mißbrauchen. Ich will ein Formular geben, wie man in dergleichen Fällen seufzen müsse. Ein jeder, der es braucht, wird es nach seinen Umständen zu verändern wissen. In der Hauptsache werden wir immer einig sein, wenn wir anders aufrichtig sein wollen.


*

Eigennützige Liebeserklärung eines jungen Menschen an eine alte Frau.

Madame,


Da ich nur 25 Jahre alt bin und Sie gestern in Ihr 57stes getreten sind, so wird mich die ganze Welt für einen Narren halten, wenn man erfährt, daß ich mich habe überwinden können, Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe und Sie um Ihre Gegenliebe bitte. Wäre ich einer von den jungen [136] leichtsinnigen Menschen, welche auf weiter nichts sehen, als auf die Jahre und auf ein frisches blühendes Gesicht, so würde ich mir selbst diesen Vorwurf der Thorheit machen. Aber, nein, Madame, meine Liebe ist gründlicher und ernsthafter. Außer dem, daß Sie ungeachtet Ihrer Jahre noch immer das muntere und frische Wesen behalten, das Sie in vorigen Zeiten schön und reizend gemacht haben mag, so besitzen Sie gewisse Vorzüge, Madame, die Ihren Wert unendlich erhöhen. Jedes Jahr, das Sie zu alt sind, können Sie mit 1000 Thlr. abkaufen, und Sie kommen mir bei dieser Rechnung kaum als ein Mädchen von 16 Jahren vor. Ich schwöre Ihnen also bei Ihrem Gelde und allem, was mir ehrwürdig ist, daß ich Sie liebe und Ihre Vorzüge aufs heftigste liebe. Entschließen Sie sich, die Meinige zu sein. Ich glaube, Sie werden bei Ihren Umständen mehr nicht von mir verlangen, als Ehrfurcht und Geduld. Diese verspreche ich Ihnen. Da Sie so vernünftig sind, Mad., so traue ich Ihnen zu, daß Sie meine Geduld nicht mißbrauchen und zum längsten in 6 Jahren Anstalt machen, mich in die Umstände zu setzen, daß ich den schmerzlichen Verlust einer so ehrwürdigen Frau als ein betrübter Witwer zwei Monate lang beweinen und sodann durch Hilfe Ihres Geldes mir ein junges Mädchen wählen kann, in deren Armen ich dasjenige empfinde, was ich jetzt nicht fühle, und welche mich vergessen läßt, daß ich mir die Gewalt angethan habe, zu sein,


Madame,

der Ihrige.


* *


Ich habe mich schon oben erklärt, in wie weit ich es entschuldige, wenn junge Mannspersonen alte Weiber heiraten. Lächerlich sind sie mir immer, das kann ich nicht leugnen. Sind sie aber nur mit ihremVorteil lächerlich, so werden sie etwas haben, womit sie sich über die Spöttereien der Welt trösten können. Sie kommen mir wie diejenigen vor, die vor dem alten Bilde einer Heiligen knien, das schon ihr Großvater angebetet hat. Werden sie erhört, so ist es schon genug, nur darf diese Andacht nicht zu lange dauern. Ich habe einen Freund, welchen seine Schulden nötigten, auf diese verzweifelte Art zärtlich zu thun ... Er wünscht, daß sich andere an seinem Exempel spiegeln ... Hier ist der Brief, welcher der Grund zu seinem Unglücke war ...

[137] Zärtlicher Liebesbrief einer alten Frau an einen jungen Menschen.

Mein Herr!


Ich weiß in der That nicht mit Gewißheit zu sagen, wie alt ich eigentlich bin. Nach meinem Taufscheine bin ich etliche und fünfzig Jahre. Ich kann mir aber nicht anders einbildet, als daß sich der Küster verschrieben haben muß. Denn nach meinen Kräften, nach der Begierde, die Welt zu genießen und nach dem Verlangen, Ihnen, mein Herr, zu gefallen – nach allen diesen Umständen zu urteilen, bin ich unmöglich älter als 30, höchstens 36 Jahre. Ich bin auf dem letzten Balle ungemein mit Ihnen zufrieden gewesen. Sie haben bei Ihren 20 Jahren etwas so Gesetztes und Männliches, welches alle meine Aufmerksamkeit verdient. Die andern jungen Herren flatterten um die Mädchen herum, die weder zum Lieben noch zum Tändeln alt genug, und viele zu jung sind, vernünftig mit sich reden zu lassen. Ich werde es ewig nicht vergessen, mit welcher Achtung Sie mir den ganzen Abend hindurch begegneten. Ich war die Erste, die Sie zum Tanze aufforderten, und ich glaube, mich nicht zu irren, wenn ich Sie versichere, daß ich bei aller Ihrer Bescheidenheit die lose Sprache Ihrer Augen verstanden und Ihr ganzes Herz gesehen habe, als Sie mir die Hand zum erstenmale küßten. Fast sind Sie noch ein wenig zu furchtsam. Ich will Ihrer Schüchternheit auf dem halben Wege entgegenkommen. Ich will Ihnen sagen, daß ich Sie liebe. Urteilen Sie, wie jung mein Herz sein muß, da es mit dem Ihrigen einerlei fühlt. Wie glücklich werde ich sein, wenn ich bei einer genaueren Verbindung mit Ihnen mich wegen derjenigen Jahre schadlos halten kann, in denen ich an der Seite eines abgelebten närrischen Mannes ganz trostlos seufzen müssen. Meine Eltern zwangen mich, ihn zu heiraten, weil er Vermögen hatte. Ich konnte ihn aber aller Bemühungen ungeachtet dahin nicht bringen, daß er seines Lebens überdrüssig geworden wäre. Dreißig Jahre, können Sie es wohl glauben? Dreißig Jahre lebte er noch, und nur mir zum Trotz ist er nicht eher als vor 5 Jahren gestorben. Ich bin ganz frei und besitze außer einem zärtlichen Herzen Geld genug, Sie glücklich zu machen. Wollen Sie meine Hand annehmen? Hier ist sie. Es kommt auf Sie an, wie viel Sie verlangen, sich einen Rang zu kaufen und eine anständige Equipage anzuschaffen. Mit wem ich mein Herz teile, mit dem teile ich auch mein Vermögen. Mit [138] der Zeit soll beides ganz Ihre sein. Wären Sie weniger blöde, so würde ich mehr behutsam sein, Ihnen meine Empfindungen zu entdecken. Ihre Liebe ist mir unschätzbar. Wie groß wird das Vergnügen noch alsdann sein, wenn künftig einmal (der Himmel gebe, so spät als möglich!) die Zeiten kommen, die uns bei einem herannahenden Alter nötigen, unsre Liebe in eine ernsthafte Freundschaft zu verwandeln! Ich brenne vor Verlangen, Ihre Entschließung aus Ihrem Munde zu hören. Ich werde auf den Abend zu Hause sein. Wie jugendlich schlägt mein Herz, da ich dieses schreibe! Ich zittere, aber nur vor Vergnügen zittere ich. Wie entzückend wird der Augenblick sein ... Nein, mein Herr, mehr kann ich nicht sagen. Beinahe vergesse ich, daß ich ein Frauenzimmer bin. Mit einem Worte, ich liebe Sie. Pressen Sie mir kein offenherzigeres Bekenntnis ab. Ich liebe Sie und bin ganz

die Ihrige.


* *


Die Menschen sind so sinnreich, daß sie oft ihren größten Thorheiten einen frommen Anstrich zu geben wissen. Bis auf die übereilten Ehen erstreckt sich diese Art der Andacht. Viele heiraten, ohne zu überlegen, ob sie im stande sind, den unentbehrlichen Aufwand zu bestreiten, welchen eine Wirtschaft erfordert. Sie sehen die Not voraus, in die sie sich und die Ihrigen stürzen. Sie können aber der Liebe nicht widerstehen. Und weil sie in andern Handlungen vernünftig genug sind, nichts Unbesonnenes zu unternehmen, so suchen sie sich zu bereden, daß diejenige Thorheit, zu welcher sie sich jetzt anschicken, eine Art von guten Werken sei, wo sie ihr christliches Vertrauen auf die göttliche Vorsorge an den Tag legen und den Himmel sozusagen bei seinem Versprechen festhalten wollen, damit er Anstalt mache, sie zu ernähren. Sie beten, sie beten vielleicht andächtig. Aber auch eine Thorheit, die man mit Gebet anfängt; bleibt dennoch eine Thorheit und zieht oft die unglücklichsten Folgen nach sich ... Wie leicht wird unser Herz, wenn wir jemand finden, dem wir unsere Übereilung schuld geben können. Ein leichtsinniger Thor flucht auf das Schicksal – ein frommer Thor seufzt über den Himmel: beide sind Thoren. Da diese unvorsichtigen Verbindungen nicht ungewöhnliche sind, so werden sich vielleicht Leser finden, welche sich nachstehende zwei Briefe zu nutze machen können.

[139] Liebeserklärung eines Menschen, der zärtlich liebt, aber nicht vernünftig.

Mademoiselle,


Ich habe einige Jahre her das Vergnügen gehabt, durch einen öftern Umgang den Wert Ihrer Tugenden und die Vortrefflichkeit Ihrer Gemütsart kennen zu lernen. Da ich und Sie über die ersten Jahre weg sind, in denen man die Empfindungen der Liebe gar leicht einer flüchtigen Übereilung schuld giebt, so kann ich's wagen, Ihnen meine Zärtlichkeit zu entdecken und Sie zu versichern, daß ich es für mein größtes Glück in der Welt halte, der Ihrige zu sein, und daß ich dieses mit einer so reisen Überlegung schreibe, daß ich überzeugt bin, dieses Glück wird mir nach vielen, späten Jahren noch ebenso schätzbar sein, als es mir jetzt ist. Was für ein Himmel muß ein Ehestand sein, wo sich die Liebe auf Tugend gründet, und wo man sich von beiden Teilen Mühe giebt, die Hochachtung gegen einander immer neu zu erhalten und täglich zu vermehren! Diese seltene Glückseligkeit kann ich mir von niemanden in der Welt versprechen, als von Ihnen, Mademoiselle! Und ich meines Orts müßte aller Empfindungen der Menschheit unwürdig sein, wenn ich das Geringste versäumen wollte, Ihre Glückseligkeit ebenso vollkommen zu ma chen, als ich die meinige zu sehen wünsche. Kann ich hoffen, in meinen Wünschen glücklich zu sein? Das macht mir keine Sorge, daß mein Amt sehr wenig einträglich ist – daß Sie selbst kein Vermögen besitzen – daß ich keine so nahe Hoffnung vor mir sehe, wie diesem Mangel der zeitlichen Glücksumstände abzuhelfen sein möchte. Es kann nicht fehlen, eine so tugendhafte Liebe, wie die unsrige ist, läßt der Himmel nicht unbelohnt. Er wird uns Wege zu unserer Verbesserung zeigen, die wir als einen Segen unserer vernünftigen Absichten ansehen können. Gesetzt aber auch, unsere Umstände verbesserten sich nicht und wir lebten kümmerlich: o wie viel haben wir vor tausend Familien voraus, da uns unsre aufrichtige und zärtliche Liebe nicht Zeit läßt, an unsern Mangel zu denken! Ich wenigstens, Mademoiselle, ich getraue mir, bei Wasser und Brot der vergnügteste Ehemann zu bleiben, wenn ich das Glück habe, der Ihrige zu sein.

[140] Antwort und freundschaftlicher Korb.

Nein, wahrhaftig nein, mein Herr, das ist meine Religion nicht. So hoch ich Sie schätze, und so lieb ich Sie als einen meiner besten Freunde habe: so wenig kann ich mich entschließen, als Frau im Namen Gottes mit Ihnen zu verhungern. Glauben Sie mir, es geschieht nicht aus Leichtsinn, daß ich so schreibe. Sie kennen mich. So lebhaft ich bin, so ernsthaft bin ich auch, wenn ich an eine Verbindung denke, deren Folgen so wichtig sind. Ich bin überzeugt, daß Sie der rechtschaffenste Mann von der Welt sind, daß Sie mich aufrichtig lieben, daß Sie alles daran wagen würden, mich glücklich zu machen, und daß unser Ehestand ein wahres Muster einer vernünftigen Ehe sein würde. Das weiß ich alles. Aber, mein Herr, aus Hochachtung gegen Sie, aus wahrer Freundschaft – verstehen Sie mich wohl! – aus bloßer Liebe zu Ihnen mag ich Sie nicht zum Manne haben. Glauben Sie denn, daß unser Ehestand nur 24 Stunden dauern soll? Und glauben Sie denn, wenn man 24 Stunden Wasser und Brot gegessen hat, daß man sich nicht ein wenig Fleisch und Zukost wünscht? Bei einem leeren Magen kann sich's unmöglich lange zärtlich lieben. Stellen Sie sich einmal vor, daß wir in christlichem Vertrauen auf die Vorsorge des Himmels Mann und Weib sind – daß Sie an diesem Ende der Stube sitzen und ich an dem andern – daß Sie nichts zu essen haben, und daß mich hungert – daß ich aus Liebe zu Ihnen recht satt thue, und daß Sie aus zärtlicher Gegenliebe den Kopf traurig stützen und unruhig nachdenken, wo Sie etwas zu essen für Ihre verhungerte Hälfte, für Ihr anderes Ich hernehmen sollen: was für ein Himmel der Ehe wird dieses sein! Je mehr wir einander lieben, je bekümmerter müssen wir sein, wenn wir sehen, daß es uns an den unentbehrlichsten Notwendigkeiten fehlt. Wissen Sie wohl, was ich thun würde, wenn Sie alsdann mein Mann wären? Ich würde mir die äußerste Gewalt anthun, mich alle Mittage um 12 Uhr mit Ihnen zu zanken und Sie so lange zu reizen, bis Sie im Zorne zu mir sprächen: »Da verhungere, Bestie!« Wie ruhig wäre meine Liebe gegen Sie, wenn Sie alsdann meine Not nicht fühlten, wenn Sie vor Ärgernis vergäßen, daß Ihre liebe Frau nichts zu essen hätte, wenn ich den Kummer, unsern Mangel zu empfinden, alleine litte!

Was sollen wir uns unser Leben so schwer machen! Der Himmel will uns alle ernähren – es ist wahr. Aber das versprach der Himmel zu der Zeit, da wir noch nicht so viel [141] brauchten wie jetzt, und da die Eitelkeit der Menschen viel tauend unnötige Dinge noch nicht ersonnen hatte, die in der Welt, worin wir nun sind, ganz unentbehrliche Dinge geworden sind. Noch eins fällt mir ein. Können wir durch unsere übereilte Zuversicht nicht andere auch unglücklich machen? Als ein unverheiratetes Frauenzimmer sollte ich zwar zu blöde sein, dieses zu sagen. Aber aus Furcht zu hungern, sage ich alles, was mir einfällt. Mit einem Worte, ich glaube gewiß, daß es eine Art der Grausamkeit sei, wenn junge Leute sich verheiraten, ohne zu wissen, wie sie ihren Nachkommen den notdürftigen Unterhalt und die nötige Erziehung geben sollen. Damit wir einander recht zärtlich und exemplarisch lieben können, sollen deswegen unsre armen Kinder verhungern oder dem Vaterlande zur Last sein? Wissen Sie was! Sie für sich haben zu leben, ich für mich auch – aber beide zusammen haben wir kein Brot. Wir wollen leben wie bisher. Ich liebe Sie als einen vernünftigen und rechtschaffenen Freund, und Sie lieben mich als Ihre Freundin. Dabei soll es bleiben. Und wir wollen niemals eher zusammenkommen, bis wir zu Hause uns satt gegessen haben. Unser Umgang wird immer vergnügt, immer tugendhaft bleiben, und wir werden den dauerhaften Vorteil haben, daß wir bei unserer Freundschaft nicht unruhig sind. Sind Sie mit meiner Antwort zufrieden? Wie schwer wird es mir, eine Sache auszuschlagen, die ich bei andern Umständen für mein größtes Glück halten würde! Leben Sie wohl!


* *


Da die Natur allen Tieren den Trieb zu lieben eingepflanzt hat, so fühlen ihn auch die Pedanten. Und oft fühlen diese ihn mehr als vernünftige Geschöpfe, weil man aus der Zergliederungskunst will wahrgenommen haben, daß diejenigen Kreaturen am brünstigsten sind, die am wenigsten denken. Ich will meinen Lesern eine Art von dergleichen Seufzern mit teilen. Es wäre zu wünschen, daß sie alle so beantwortet würden, wie ich diesen beantwortet habe. Auf diese Art würde sich das schmutzige Geschlecht der Pedanten weniger vermehren.

[142] Liebesflammen eines Pedanten.

Hochzuehrende und wertgeschätzte Jungfrau!


Wenn ich Ihnen sage, daß die Sonne zum Erwärmen, der Vogel zum Fliegen und der Mensch zum Lieben erschaffen ist, so sage ich Ihnen eine Wahrheit, von der der wilde Skythe so sehr, als der vernünftig denkende Grieche überzeugt war. Amor omnibus idem! Die weise Natur hat dem Menschen einen Trieb eingepflanzt, welchen er Liebe nennt, und der auf die Vermehrung seines Geschlechts abzielt. Ohne diesen Trieb würden die großen Absichten der mütterlichen Natur nicht bestehen, und die Welt würde in ihr erstes Chaos zurückfallen, wenn die Menschen nicht liebten.

Ich, hochzuehrende und wertgeschätzte Jungfrau, ich, der ich ein kleiner Teil dieses Ganzen bin, ich fühle diese Triebe der Natur mehr als jemals, da ich das Glück gehabt, Sie kennen zu lernen. Ich halte es für meine Pflicht, dieser Stimme zu folgen. Sie würden rebellisch sein, wenn Sie diesen Trieben der Natur sich widersetzen und nichts fühlen wollten, da Sie doch zu eben diesen großen Absichten so fühlbar geboren sind.

Lassen Sie uns denn, wertgeschätzte Jungfrau, dessen Triebe vereinigen und so viel an uns ist, hindern, daß die Welt nicht zur Wüste werde.

Sie heißen Dorothea, denn Sie sind eine wahre Gottesgabe. Und da ich Theodor heiße, so wird es überflüssig sein zu beweisen, daß wir beide für einander geschaffen zu sein scheinen.

Jener malte eine Sonnenblume mit der Überschrift:


Sequitur suum!


Wie dieser ist die Sonne,

So bist Du meine Wonne –


anzudeuten, daß ein Verliebter niemals seinen geliebten Gegenstand aus den Augen lasse, sondern sich gleich einer Sonnenblume nach derselben beständig wende und kehre. Glauben Sie, hochzuehrende Jungfrau, daß ich niemals meine eheliche Pflicht aus den Augen lassen, sondern mit unverwandten Augen nach Ihnen, wie ein Schiffer nach dem Polarsterne sehen und mir Mühe geben werde, Ihnen durch meinen Wandel ad oculos zu demonstrieren, daß ich bis zu dem letzten [143] Hauche des Lebens, ja womöglich noch länger voll Hochachtung, Liebe und Ergebenheit sei,


Hochzuehrende und wertgeschätzte Jungfrau,
Meiner hochzuehrenden und wertgeschätzten
Jungfrau,
gehorsamster und ehrendienstwilliger
N.

Ehrendienstwillige Antwort.

Mein Herr,


Es ist ein großer Fehler von meinen Eltern, daß sie mich haben Dorothea nennen lassen. Weil ich aber auch Johanna und Sie Kaspar heißen, so mache ich mir ein Gewissen daraus, die Natur in ihrer Ordnung zu stören und mit Ihnen ein Bündnis einzugehen, welches mir nicht den großen Absichten der mütterlichen Natur gemäß zu sein scheint. Ich weiß nicht, was ich thun würde, wenn Sie ein vernünftig denkender Grieche wären und ich eine wilde Skythin. So viel aber weiß ich, daß ich es lieber zufrieden bin, wenn die Welt in ihr erstes Chaos zurückfällt, als wenn ich mich gleich einer Sonnenblume nach Ihnen wenden und kehren soll. Jene malte einen Korb mit der Unterschrift:

Mein Herr,

Ihre Dienerin.


* *


Unter tausend glücklichen Vorzügen, die der Bauer vor vielen Vornehmen genießt, ist auch dieser, daß er meistenteils vernünftig, vorsichtig und uneigennützig liebt. Es ist wahr, er fängt gemeiniglich da in der Liebe an, wo wir aufhören. Aber dies ist ein neuer Vorzug für ihn. Und wenn er weniger seufzt, so ist er auch weniger lächerlich. Er überlebt, ob er eine Frau ernähren kann. Er sucht sich eine Frau, die ihm in seiner Nahrung helfen soll. Er sorgt, daß seine Kinder gesund und arbeitsam erzogen werden. Ein wenig Eifersucht erhält die Liebe neu und lebhaft. Und auch dieses Vergnügen fehlt dem Bauern nicht. Zur Abwechselung will ich ein paar Briefe einrücken, welche zeigen, wie unschuldig man in den Hütten lebt.

[144] Hans liebt Greten.

Grete,


Du bist ein flinkes Mensch. Ich habe es in der Heuernte gesehen, wie Dir die Arbeit frisch von der Faust ging. So eine Frau möchte ich haben! Willst Du mich, so schlag ein! Ich habe ein bezahltes Häuschen, fünfzig Gulden bar Geld, und der gnädige Herr ist mir auf ein ganzes Jahr Arbeitslohn schuldig. Er wird mich schon bezahlen, wenn er Geld kriegt. Wir wollen uns redlich und ehrlich nähren, und für unsere Kinder wird sich auch ein Brot finden. Was meinst Du, Grete? Nimm mich, ich bin Dir gut! Thue mir nicht so schön mit Nachbars Christeln. Stecke den Brief nur hinter den Backofen, ich will ihn schon finden. Ich bin dir recht gut.

Grete liebt Hansen.

Hans,


Je nun, nun! Kann ich Dich doch wohl nehmen, wenn ich Dir gut genug bin. Wir wollen beten und arbeiten, und es wird schon gehen. Für die Kinder ist mir nicht leid, armer Leute Kinder brauchen nicht viel. Ich kriege von meiner Mutter noch zwanzig Gulden raus und ein Ehrenkleid. Sonst habe ich nichts. Ein neues rotes Mieder habe ich noch mit weißen Knöpfen und einen gehenkelten Thaler. Wir wollen einander in Gottes Namen mehmen. Brot wollen wir wohl verdienen. Ich scheue die Arbeit nicht. Geh mir doch mit Deinem Christel! Ich habe seit dem Pfingstbiere nicht mit ihm geredt. Du schierst mich nur. Sage ich Dir doch auch nichts von der großen Hofmagd. Du kannst mit meiner Mutter reden. Ich muß auf die Fröne. Rede nur mit der Mutter!


* *


Es giebt gewisse Vorurteile, welche durch die Zeit und Gewohnheit dergestalt gerechtfertigt worden sind, daß es eine Notwendigkeit ist, sich ihnen zu unterwerfen, und daß man von denselben nicht abgehen kann, ohne sich den Urteilen der Welt und vielen daraus erwachsenden Verdrießlichkeiten bloßzustellen. Diese privilegierten Vorurteile äußern sich nirgends stärker als bei den Ehen, wenn eine von den beiden Personen sich unter ihrem Stand verheiratet. Diese Ungleichheit des Standes ist sehr schwer zu bestimmen, da gemeiniglich ein jeder glaubt, er sei besser als sein Nachbar. Ein reicher [145] Bauer, der die Tochter eines armen Tagelöhners freit, wird das ganze Dorf und alle Patriziersöhne wider sich aufbringen. Die Bürger machen unter sich eine unendliche Abteilung der Grade ihres Standes und sind ganz trostlos, wenn einer von ihnen diese willkürliche Rangordnung übertritt. Bei niemand fällt es mehr in die Augen als bei dem Adel. Und dieser hat meines Erachtens auch noch das meiste Recht, wider solche ungleiche Heiraten zu eifern, da mit dem Adel verschiedene wesentliche Vorzüge verbunden sind, welche durch dergleichen Verbindungen entweder ganz wegfallen, oder doch Verwirrungen machen müssen, wenn man sich derselben ferner anmaßen will.

Die Exempel sind so gar häufig nicht, daß ein reicher Bürger sich mit einem armen Mädchen verbindet. Es ist nicht zu leugnen, daß dergleichen Ehen oft auf beiden Teilen vergnügt und glücklich ausschlagen. Und dennoch glaube ich, daß beide Teile viel dabei wagen. Sind die zärtlichen Monate des Ehestandes vorbei, so kann es leicht geschehen, daß den Mann eine Wahl gereut, durch welche seine Reichtümer nicht vermehrt worden sind. Seine Frau aber muß sehr vernünftig und billig sein, wenn ihr nicht von Zeit zu Zeit der Rang ihrer Vorfahren und der demütigende Gedanke einfallen soll, daß die Vorwürfe ihrer Verwandten gegründet sind. Ich will Gelegenheit nehmen, dieses in nachfolgenden zwei Briefen weiter auszuführen.

Ein Bürger, der reich und vernünftig ist, wirbt um ein adeliges Fräulein.

Gnädiges Fräulein,


Die Gelegenheit, die ich seit zwei Jahren gehabt, Sie kennen zu lernen und durch einen täglichen Umgang Ihre Vorzüge und Tugenden einzusehen, macht mich so dreist, Ihnen eine Erklärung zu thun, die Sie sich vielleicht jetzt am wenigsten vermuten. Sie betrifft die Hochachtung, die ich gegen Sie hege, und das Verlangen, das ich habe, durch die Erlaubnis, Sie zu lieben und ewig der Ihrige zu sein, glücklich zu werden. Ich weiß die Einwürfe, gnädiges Fräulein, die Sie machen können und die ich gewiß befürchten müßte, wenn ich von Ihrer billigen Denkungsart nicht besser überzeugt wäre.

[146] Die Verbindung eines Fräuleins mit einem aus bürgerlichem Stande wird nur denjenigen übereilt vorkommen, welche von meiner zärtlichen Achtung für Ihre Person und von Ihrer Einsicht, die Sie über die kleinen Vorurteile der Welt erhebt, unrechte Begriffe haben. Meine Vorfahren haben immer den Ruhm gehabt, ehrliche Leute zu sein. Sie waren in der Stadt, wo sie wohnten, von einigem Ansehen. Sie sind zwar alle nur Bürger gewesen, aber tugendhafte Männer, und ich darf mich keines einzigen schämen. Das Glück, welches meinem Vater in der Handlung zufiel, brachte ihm die Bekanntschaft und das Vertrauen der größten Familien zuwege. Ich bin der einzige Erbe seines hinterlassenen Vermögens, welches mir überflüssige Gelegenheit verschafft, auf eine bequeme und sehr anständige Art zu leben. Was mir noch an meinem zeitlichen Glücke mangelt, ist der Besitz einer so vernünftigen und tugendhaften Person, als Sie sind, gnädiges Fräulein. Da Sie weder Eltern noch nahe Anverwandte haben, so beruht mein Glück bloß auf Ihrer Wahl und auf Ihrem Ausspruch. Darf ich hoffen? Wird es Ihnen schwer fallen, denjenigen glücklich zu machen, der es ohne Sie nicht sein kann? Verlangen Sie, gnädiges Fräulein, daß ich mir die adeligen Vorzüge, welche die Natur meinen Voreltern versagt hat, durch Geld verschassen soll?! Aber werde ich Sie deswegen aufrichtiger lieben, als es jetzt geschieht? Werde ich, da Sie so billig sind, in Ihren Augen mehr Verdienste erlangen? Ich glaube keines von beidem. Verlangen Sie es schlechterdings, so will ich's thun. Aber ich gestehe es, ich thue es ungern. Nicht darum, daß ich es denjenigen übel auslege, welche es für nötig hielten, sie in den Adel einzukaufen. Keineswegs. Es giebt Fälle, wo der Adel eine Belohnung für bürgerliche Tugenden ist, und sie ist nötig, auch andre aufzumuntern, sich um ihr Vaterland verdient zu machen. Ich, gnädiges Fräulein, ich habe um mein Vaterland keine Verdienste weiter als ein redliches Herz und die Reichtümer meiner Eltern. Auf das erste bin ich stolz; aber eine so allgemeine Pflicht, als diese ist, redlich zu sein, giebt uns noch kein Recht, eine so wichtige Belohnung, als die Erhebung in den Adelstand ist, dafür zu fordern. Auf meinen Reichtum hingegen habe ich gar nicht Ursache, stolz zu sein. Es ist ein Glück, das der nichtswürdigste Mensch erlangt haben würde, wenn er meines Vaters einziger Sohn gewesen wäre. Kann ich's also wohl wagen, mich unter den Adel zu drängen, ohne den Vorwurf zu verdienen, der denen, die zu [147] dieser vorzüglichen Würde gelangen, gemeiniglich gemacht wird. Die vom Adel, welche vernünftig sind, würden mit meiner Eitelkeit Mitleiden haben. Die aber, die nicht vernünftig sind, würden mich für einen lächerlichen Thoren halten und mich verachten. Die vom bürgerlichen Stande würden das sagen, was man in dergleichen Fällen immer sagt: sie werden mich für einen Mann ansehen, der sich ihrer schämte. Ein Bürger, der Vermögen und Ansehen hat, ist zu stolz, als daß ihm die Gesellschaft eines neuen Edelmanns ohne Verdienste erträglich sein sollte. Was für ein unglückseliges Mittelding zwischen Adeligen und Bürgerlichen würde ich alsdann sein! Jene würden mich verachten und diese meiden. Raten Sie mir wohl, gnädiges Fräulein, ob ich mir einen solchen Vorwurf so teuer erkaufen soll. Und dennoch will ich es thun, wenn Sie es mir raten. Die Urteile der ganzen Welt werde ich nicht achten, wenn ich dadurch das Glück erlange, daß Sie mich Ihrer Liebe würdigen. Ich erwarte Ihren Ausspruch mit Ungeduld. Auf diesem beruht meine ganze Zufriedenheit. Lassen Sie mich nicht zu lange in der traurigen Ungewißheit, ob ich es wagen darf zu sagen, ich sei,


Gnädiges Fräulein,

der Ihrige.

Das Fräulein, das arm und vernünftig ist, schlägt es ihm ab.

Mein Herr,


Ich muß mich schämen, daß ich noch bis jetzt in einer Sache unschlüssig bin, die mir von einem so vernünftigen Manne und auf so anständige Weise angetragen wird. Ich kenne den Wert Ihres Herzens. Meine Hochachtung gegen Sie ist stärker als eine gemeine Hochachtung. Ich glaube, sie kommt der Liebe sehr nahe. Ich will diese Empfindung für eine Liebe halten, die ich der Tugend schuldig bin. Mit Ihrer Hand bieten Sie mir so viele Vorteile des Glücks an, welche stärker sind, als ich jemals hoffen können, und welche allein stark genug sein würden, ein jedes Frauenzimmer, das nicht reicher ist als ich, zu einem geschwinden Entschlusse zu bringen. Ich kann nicht vernünftiger und zugleich vorteilhafter lieben, als wenn ich Sie liebe, mein Herr. Und dennoch bin ich so schwach, mich durch die kleinen Vorurteile der Welt unschlüssig machen zu lassen, über welche, wie Sie mir schmeicheln, ich erhaben sein sollte.

[148] Meine Begriffe von dem wahren Wert des Adels sind den Ihrigen ganz ähnlich. Der Adel giebt denen, die ihn verdienen, einen ansehnlichen Vorzug, und er vermehrt die Schande derjenigen, welche seiner und – ihrer Ahnen unwürdig sind. Ein Bürger, der durch seine Verdienste um das Vaterland sich selbst diesen Vorzug erworben, hat das Recht, von mir mehr Hochachtung zu fordern als ein adeliger Taugenichts, den ein blinder Zufall aus einem alten Hause hat lassen geboren werden. Auch darin bin ich mit Ihnen einig, daß ein jeder bürgerlichen Standes nicht behutsam genug sein kann, die Rechte des Adels auf sich zu bringen, die ihn weder vernünftiger noch tugendhafter machen. Ich wenigstens würde für Sie, m.H., nicht einen Augenblick mehr Hochachtung haben können, als ich jetzt habe, wenn Sie gleich in diesem neuen Glänze zu mir kämen, in der Hand das kostbare Pergament und auf jeder Seite zwei Ahnen hätten. Da ich vom Adel so billig urteile, so können Sie wohl glauben, daß mir nichts abgeschmackter vorkommt als der lächerliche Hochmut der kleinen adeligen Seelen, welche alle andere verachten, weil sie bürgerlichen Standes sind. Diese Kreaturen haben wohl Ursache, auf die Vorzüge der Geburt zu trotzen. Denn wenn diese nicht wären, so würden sie oft gar nichts haben, womit sie sich von dem niedrigsten und unedelsten Pöbel unterscheiden könnten.

So wahr dieses alles ist, und so gewiß ich von dem überzeugt bin, was ich hier sage, so gewiß ist es doch auch, daß wir in einer Welt leben, die durch Vorurteile regiert wird, und die zu alt ist, als daß sie sich durch uns eines bessern sollte belehren lassen. Diese von Vorurteilen eingenommene Welt ist so unbillig, daß sie die Heirat eine adeligen Fräuleins mit einem aus bürgerlichem Stande schwerlich entschuldigen wird, wenn auch dieser noch so angesehen und der vernünftigste Mann wäre. Ist dieser Mann reich und das Fräulein arm, so wird ein Teil des Vorwurfs mit auf sie fallen, und man wird sich Mühe geben, ihre Absichten verdächtig und wenigstens eigennützig zu machen. Was hat sie alsdann für Mittel in Händen, ihre Unschuld zu verteidigen? Und wie empfindlich muß ein solcher Vorwurf sein, den man nicht ablehnen kann? Werden ihre Verwandten billig genug sein, ihren Entschluß zu rechtfertigen, oder wird es ihnen nicht immer einfallen, daß sie etwas gethan hat, das ein Fräulein von altem gutem Hause nicht hätte thun sollen? Es sind Vorurteile, mein Herr, sehr lächerliche Vorurteile – Sie haben recht! Aber sie sind doch allgemein und um deswillen allemal gefährlich.

[149] Müssen Sie es nicht gestehen, m.H., daß dieser Fehler nicht dem Adel allein eigen ist? Er ist unter denen vom bürgerlichen Stande noch viel starker. Ich will nur ein Beispiel anführen. Ein Doktor ist ein Bürger, ein Handwerksmann auch. Was für Bewegungen erregt das in der bürgerlichen Welt, wenn ein Doktor die Tochter seines Schusters heiratet? Alle Kaffeegesellschaften, alle Wochenstuben schreien Ach und Weh über diese widernatürliche Verbindung. Haben Sie immer die gefällige Nachsicht gegen die Thorheiten meines Standes, welche sich durch die Thorheiten des Ihrigen so lange rechtfertigen, bisbeide vernünftiger denken und urteilen lernen! Es ist einem Fräulein wohl erlaubt, einen Mann bürgerlichen Standes hoch zu achten und seine aufrichtige Freundin zu sein, wenn man ihr gleich nicht erlauben will, sich genauer mit ihm zu verbinden. Ist eine solche Freundschaft ohne Tadel nicht einer Liebe vorzuziehen, welche so bitter getadelt wird? Hat dieser Mann Vermögen, ist er wegen seines ehrlichen Charakters in der Stadt angesehen: wie glücklich kann er ein Bürgermädchen machen, das arm, aber tugendhaft ist! Die ganze Welt wird seinen Entschluß preisen. Adelige und Bürgerliche müssen ihn wegen seiner Großmut hochachten. Die Familie, welche er in so vorteilhafte Umstände gesetzt hat, wird ihn segnen und ehren. Hat ein Fräulein das Glück, seine Freundin zu sein, so wird sie es nunmehr doppelt sein müssen, da ihm seine vernünftige Wahl so viel Ehre macht.

Sehen Sie, mein Herr, das sind ungefähr meine Zweifel, die ich jetzt habe, und die ich Ihnen nicht so offenherzig sagen würde, wenn ich Sie weniger liebte. Lassen Sie mir noch eine kurze Bedenkzeit, ich will mich hernach näher erklären. Das können Sie inzwischen gewiß glauben, daß ich mit der größten Hochachtung unverändert sei


die Ihrige.


N.S.


Führen Sie mich heute in die Komödie. Es wird über unsern Text ein sehr erbauliches Stück gespielt. Ich erwarte Sie gewiß. Sie sollen auf den Abend mit mir speisen und mir sagen, wie es Ihnen gefallen hat. Hier ist der Komödienzettel. Auf Wiedersehen.


* *


Es ist nicht zu leugnen, daß oftmals ein Frauenzimmer bürgerlichen Standes durch ihre Tugenden und ihre gute Aufführung das Glück verdient, sich mit einem von Adel zu verbinden. [150] Trägt ihre Schönheit etwas dazu bei, so ist es für sie ein Vorzug mehr, und sie verdient doppelte Achtung, wenn ihr Vermögen so ansehnlich ist, daß sie ihren Mann auch auf dieser Seite glücklich machen kann. Die Erfahrung lehrt uns, daß dergleichen Ehen oft der Grund einer dauerhaften Zufriedenheit sind. Wenn beide Teile mit Vernunft wählen und mit Zärtlichkeit sich lieben, so haben sie ein Recht, alle die Spöttereien großmütig zu verachten, welche von dem Pöbel darüber ausgestoßen werden.

Was ich hier angeführt habe, ist die Schutzschrift von dem, wovon nachstehende Briefe handeln. Sie gehen diejenigen nichts an, welche vernünftig sind. Und sie können nur diejenigen beleidigen, welche ein Recht haben, sich für die Originale dazu aufzuwerfen. Sie werden sich wohl selbst melden. Noch zur Zeit kenne ich sie nicht, und ich werde mich sehr freuen, wenn meine Leser sich überzeugen können, daß es dergleichen Originale nirgends gebe. Ich will den Vorwurf gern leiden, daß meine Charaktere unwahrscheinlich sind. Was ich als Autor dabei verliere, das gewinne ich auf der andern Seite wieder als ein aufrichtiger Patriot.

Ein strotzender Landjunker will seine Liebe an ein reiches Bürgermädchen verkaufen.

Mademoiselle,


Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu thun, der Ihnen Ehre macht.

Mein Vater heiratete ein blutarmes Fräulein aus einem uralten Hause. Mein Großvater vermählte sich mit der Baronesse von ....., deren Vorfahren zu Kaiser Friedrichs des Rotbarts Zeiten zum heiligen Grabe als Ritter reisten. Von meinem Urgroßvater ist es bekannt, daß er sich nicht entschließen könnte, eine reiche Gräfin zu heiraten, bloß darum, weil ihr Vater ein Kaufmann gewesen war. Er nahm ein armes Fräulein, welche von so gutem Adel war, daß sie selbst den Beifall des Herzogs erzielte. Mit einem Wort, alle meine Vorfahren sind so vorsichtig gewesen, daß sie nicht unter ihren Stand geheiratet und niemals ihren Adel mit bürgerlichem Blut befleckt und vermengt haben.

Und dennoch habe ich so viel Überwindung, Ihnen, Mademoiselle, zu sagen, daß ich Sie liebe, und dieses in der ernstlichen Absicht, Sie zu meiner Gemahlin zu nehmen. Ich gebe [151] mich der Verachtung des ganzen Adels bloß, ich weiß es wohl, aber ich kann es nicht ändern. Ein Bürgermädchen zu heiraten, das will viel sagen! Sonst war ich der erste, der gegen dergleichen widernatürliche Ehen eiferte. Aber Not bricht Eisen! Meine Umstände zwingen mich zu diesem verzweifelten Entschluß. Was ich von meinem Vater geerbt habe, das ist ein altes adeliges Blut und neue Schulden. Die drei Güter, von denen ich mich schreibe, gehören meinen Gläubigern. Ich stehe in Gefahr, künftige Messe eine traurige Figur zu machen, wenn ich mich nicht durch Ihre Liebe rette.

Sie haben Geld und ich den Stand. Wir wollen unsere Vorzüge mit einander teilen, so fehlt es uns beiden nicht an dem, was wir brauchen. Ich will die Schande Ihrer geringen Herkunft mit meinen alten Pergamenten zudecken. Erlauben Sie mir dafür, daß ich mit Ihren Wechseln mich gegen die Grobheit meiner Gläubiger schütze. Ich mache Sie zu einer gnädigen Frau. Ist es wohl unbillig, daß Sie mich dagegen bei meinen Rittergütern erhalten? Wäre es möglich, daß ich Ihr Geld ohne Sie bekommen könnte, so können Sie mir heilig glauben, daß ich Ihr Geld allein, und Ihre Person nicht verlangte. Aber ich weiß es schon, das thun Sie nicht. Und ehe ich Ihr Geld misse, so will ich mir lieber gefallen lassen, Ihre Person zugleich mitzunehmen.

Glauben Sie nur nicht, daß Sie mir zu viel aufopfern. Ich wage meinen guten Namen, den Ruhm aller meiner Ahnen wage ich daran, der Ihrige zu werden. Können Sie mir dieses wohl mit Ihrem Gelde zu teuer bezahlen? Noch etwas muß ich Ihnen sagen. Da Sie bürgerlich erzogen worden sind, so haben Sie vielleicht die gemeinen Vorurteile, daß unsere Ehe mich verbinden würde, Sie mit Hochachtung und aufrichtig zu lieben, und daß Sie ein Recht erhielten, in öffentlichen Gesellschaften und in Gegenwart des ganzen Landadels mir als Ihrem Manne auf eine vertraute Weise zu schmeicheln. Keins von beiden. Bin ich Herr von Ihrem Vermögen, so habe ich, was ich gesucht. Von Ihrem Herzen verlange ich nicht Herr zu sein, ob ich gleich will, daß Sie von mir als Ihrem Manne Befehle annehmen. Das bitte ich Sie, vergessen Sie sich in Gesellschaften nicht. Hochachtung und Ehrfurcht gehört mir. Eine vertraute Zärtlichkeit würde den Vorwurf rechtfertigen, den mir der Adel machen kann. Am besten wird es sein, wenn Sie so viel als möglich die Gesellschaften meiden, die über Ihren Stand sind. Es wird Ihnen an Umgang nicht fehlen, da ich willens bin, von [152] Ihrem Gelde eine ziemliche Anzahl Bediente zu ernährend Meines Pfarrers Frau ist ein ganz feines Weib, zu der können Sie sich halten. Ein Umgang mit Ihresgleichen wird Ihnen am besten anstehen. Bei meinen Unterthanen heißen Sie immer gnädige Frau. Wenn ich von Hofe abkommen kann, will ich Sie dann und wann besuchen. Es würde öfter geschehen, wenn Sie scholl aussähen. Aber mit Ihrer Erlaubnis, Sie sehen sehr häßlich aus. Es sei darum! Sind Sie doch reich, und für eines Bürgers Tochter sehen Sie immer erträglich genug aus, zumal da Sie Ihr Schneider so wohl zu kleiden weiß.

Sehen Sie, Mademoiselle, ich sage es Ihnen, wie mirs ums Herz ist. Mein Kammerdiener hat Befehl, nicht eher von Ihnen wegzugehen, bis er mir Antwort bringt. Ungeachtet Ihrer schlechten Erziehung traue ich Ihnen doch so viel Einsicht zu, daß Sie das Glück erkennen werden, welches ich Ihnen entgegen trage. Machen Sie sich nicht vor der Welt lächerlich, und schlagen Sie eine Ehre nicht aus, die nicht alle Tage kommt.

Unsere armen Kinder dauern mich. Denn ohne Kinder wird es doch nicht ganz abgehen, das sehe ich schon. Ihre Mutter wird ihnen ein ewiger Vorwurf sein, und ich bin freilich schuld daran. Sie müssen über die Unbescheidenheit meiner Gläubiger schreien, welche mich so weit trieben. Was ist zu thun? Sie müssen sich durch die Welt bringen, so gut es gehen will. Können sie doch studieren. Dazu sind sie noch immer gut genug. Gottlob! ich und alle meine Vorfahren haben niemals studiert. Pedanterei ist unser Familienfehler nicht, hol mich der Teufel! das sage ich Ihnen, Mademoiselle. Lesen und Schreiben kann ich so ziemlich. Aber einen Hasen will ich Ihnen hetzen, trotz dem besten Jäger. Und wenn ich die Aufwartung habe, so mache ich auch der Antichambre Ehre, das können Sie mir glauben. Ich wüßte in meinem Leben nicht, wann ich so viel geschrieben hätte, als jetzt an Sie. Aber was thut die Liebe und der Gläubiger nicht! Das will ich nimmermehr vergessen, was mich dieser Brief für eine Überwindung gekostet hat. Kurz, antworten Sie bald und so, wie ich wünsche. Es soll Sie nicht gereuen. Ich bin


Ihr Diener.

[153] Ein einfältiges Bürgermädchen nimmt den Vorschlag mit demütigem Danke an.

Hochwohlgeborner Herr,

Gnädiger Herr!


Dem Himmel sei tausendmal Dank, der Sie auf den glücklichen Einfall gebracht hat, mich zu einer gnädigen Frau zu machen. Das ist alles, was ich mir in meinem Leben wünschen kann. Als ich noch jung und unverständig war, da würde ich zufrieden gewesen sein, wenn ein seiner, ehrbarer Bürger gekommen wäre. Da ich aber älter und verständiger ward, so that ich bei mir selbst ein Gelübde, daß ich niemanden als einen Edelmann heiraten wollte. Sie glauben nicht, gnädiger Herr, was für ein närrischer Hochmut unter der Bürgerkanaille ist. Eine Doktorsfrau, deren Mann oft das liebe Brot nicht hat, wird sich nimmermehr überwinden können, der Frau des reichsten Kaufmanns den Rang zu geben. Mir ist es am Sonntage so gegangen, daß die Tochter eines Professors, welche ihrer seligen Mutter Brautkleid anhatte, sich über mich drängte, ungeachtet der Stab von meinem Stoffe 8 Thlr. kostete. Das will ich sie gewiß empfinden lassen, habe ich nur einmal die Gnade, Ihre Gemahlin zu sein. Mit Freuden überlasse ich Ihnen meine Hand und mein ganzes Vermögen. Nun sehe ich erst, wie viel Dank ich meinem weisen Vater schuldig bin, welcher aus liebreicher Fürsorge bei seinen Schätzen verhungerte, um seiner einzigen Tochter ein so ansehnliches Vermögen zu hinterlassen, welches mich würdig macht, Ihre Gemahlin zu werden. Wenn es wahr ist, was man meinem Vater schuld gegeben, daß er den größten Teil seiner Reichtümer von dem Landadel zusammengewuchert hat, so halte ich es für eine Art des billigen Wiederersatzes, Ihnen, gnädiger Herr, solche preiszugeben.

Ich lasse mir alle Bedingungen gefallen, unter denen Sie mir Ihre Hand anbieten. Ich will alle die vornehmen Gesellschaften meiden, in denen Sie sich meiner zu schämen haben. Die Vorwürfe, die mir von adeligen Damen gemacht werden, will ich in Demut ertragen, wenn ich nur dafür die Freiheit behalte, andern Weibern, die geringer sind als ich, es empfinden zu lassen, daß ich gnädige Frau bin. Das Einzige bitte ich Sie noch, erlauben Sie mir, daß ich in der Messe unter der Bedeckung von 4 bis 5 Bedienten mich durch den Landadel drängen darf. Ich hoffe, Ihnen und Ihren Ahnen [154] mit meinem Reifrock Ehre zu machen. Und begegnet mir eine von meinen alten bürgerlichen Bekannten, so will ich von meiner gnädigen Höhe mit einer ebenso stolzen Miene auf diese elende Kreatur herabsehen, als wenn meine Vorfahren das heilige Grab auch hätten erobern helfen. Sie sollen Ihre Freude an mir haben, und Ihre Wahl soll Sie gewiß nicht reuen.

Ich erwarte einen Aufsatz von Ihren Schulden, damit ich die Gläubiger auf die Zahlung vertrösten kann. Ich habe Vermögen genug, sie zu befriedigen. Und Sie können nehmen, soviel Sie zu Ihrem Staate brauchen. Ich sehe es zwar im voraus, daß mein ganzes Vermögen mit der Zeit wird verloren gehen, und daß mich Ihre Schulden und Ihr Aufwand in kümmerliche Umstände bringen werden, aber es sei drum. Es ist immer rühmlicher, wenn man als gnädige Frau hungert, als man mit bürgerlichen Händen Almosen austeilen kann. Ich erwarte die Ehre Ihres Besuchs, um Ihnen mündlich zu sagen, daß ich mit der größten Hochachtung sei,


Gnädiger Herr,

Ihre demütige Dienerin.


N.S. Könnte die Hochzeit nicht vor Fasten werden? Es ist hernach gar zu lange bis auf Ostern.

Ein vernünftiges Bürgermädchen versichert dem gnädigen Junker, daß er ein Narr sei.

Mein Herr!


Ihr Kammerdiener hat mir einen Brief von Ihnen überbracht, welcher vermutlich nicht an mich, sondern an eine andere Person gerichtet ist. Ich glaube nicht, daß ich mit meiner Aufführung Ihnen Gelegenheit gegeben habe, so nachteilig von mir zu urteilen. Ich halte es für kein Unglück, die Tochter eines ehrlichen Bürgers zu sein. Ich wäre meines rechtschaffenen Vaters unwürdig, wenn ich mich meiner Geburt schämen wollte. Unter den vielen Verdiensten, die Ihnen fehlen, ist allem Ansehen nach die Bescheidenheit eines der vornehmsten. So schlecht die Begriffe sind, die Sie sich von meiner bürgerlichen Erziehung machen, so wohl bin ich im stande, diesen Fehler an Ihnen wahrzunehmen.

Ich bin niemals so stolz gewesen, auf eine Verbindung zu hoffen, die über meinen Stand ist. Aber dazu bin ich doch [155] noch zu stolz, daß mir Ihr Antrag erträglich sein sollte. Das Vermögen, das ich besitze, und welches in Ihren Augen meinen ganzen Wert ausmacht, würde ich sehr übel anwenden, wenn ich mir dadurch das bittere Glück erkaufen wollte, die Frau eines Edelmanns zu werden, dessen Liebe so eigennützig und dessen Denkungsart so unedel ist.

Überlegen Sie es wohl, mein Herr, ob Sie nicht Ursache haben, mit meinem Entschlusse wohl zufrieden zu sein. Ihren vornehmen Verwandten erspare ich den Verdruß, sich meiner zu schämen, da es denselben weit rühmlicher sein muß, wenn ihr Vetter mit unbeflecktem Adel im Gefängnisse verhungert, als wenn er sich am Tische seiner bürgerlichen Frau sattessen kann. Sie selbst vermeiden die großen Gewissensbisse, die Nachwelt mit halbadeligen Kindern zu verwahrlosen.

Ich bin im Begriff, einem Ihrer stärksten Gläubiger meine Hand zu geben. Es wird dieses gewissermaßen zu meiner Beruhigung dienen, wenn ich Sie mit der demütigen und gebeugten Miene eines bösen Gewissens vor einem Manne stehen sehe, dessen Frau Ihnen ehedem verächtlich genug gewesen ist, ihr die empfindlichsten Grobheiten vorzusagen.

Sobald Sie im stande sein werden, einzusehen, daß Sie diese Vorwürfe verdient haben, sobald werde ich mir ein Vergnügen daraus machen, Sie aufrichtig zu versichern, daß ich mit aller Hochachtung sei,


Mein Herr,

Ihre Dienerin. [156]


Notes
Die meisten der früheren Satiren erschienen in Joachim Schwabes »Belustigungen des Verstandes und Witzes« an welchen Rabener von 1741–1744 tätig war, die späteren erschienen in »Neuen (Bremer) Beiträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes«. Erstdruck in vier Bänden: Leipzig (Dyk), 1755.
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TextGrid Repository (2012). Rabener, Gottlieb Wilhelm. Sammlung satirischer Schriften. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8B85-7