Karl Wilhelm Ramler
Geistliche Lieder und Kantaten

Der Tod Jesu

Eine geistliche Cantate.


Du, dessen Augen flossen,
Sobald sie Zion sah'n,
Zur Frevelthat entschlossen,
Sich seinem Falle nah'n,
Wo ist das Thal, die Höhle,
Die Jesu dich verbirgt?
Verfolger seiner Seele,
Habt ihr ihn schon erwürgt?
[55]
Sein Odem ist schwach; –
Seine Tage sind abgekürzet;
Seine Seele ist voll Jammer;
Sein Leben ist nahe bei der Hölle.
Gethsemane!
Wen hören deine Palmen hier
So bange, so verlassen klagen?
Wer ächzet hier die Seel' in tausend Aengsten aus? ...
Ist das mein Jesus? – Bester aller Menschenkinder,
Du zagst? du zitterst, gleich dem Sünder,
Dem die Gerechtigkeit das Todesurtheil fällt? –
Ach seht! er sinket hin, der fromme Held,
Als trüg' er allen Zorn des Himmels, alle Plagen
Von einer ganzen Welt.
Sein Herz, in Arbeit, fliegt aus seiner Höhle.
Sein Schweiß rollt purpurroth
Die Schläf' herab. Er ruft: Betrübt ist meine Seele
Bis in den Tod!
Laß, Vater diese Stunde
Laß sie vorübergeh'n!
Nimm weg, nimm weg den bittern Kelch von meinem Munde! – –
Du nimmst ihn nicht? – – Wohlan! dein Wille soll gescheh'n.
Du Held, auf den die Köcher
Einst Höll' und Tod geleert,
Du hörest den, der schwächer,
Am Grabe Trost begehrt;
Du willst, du kannst sein Schutzgott seyn.
[56]
Wann ich am Rande dieses Lebens
Abgründe sehe, wo vergebens
Mein Geist zurücke strebt;
Wann ich den Richter kommen höre
Mit Wag' und Donner, und die Sphäre
Von seinem Fußtritt bebt;
Wer will, wer kann mein Schutzgott seyn?
Du Held, auf den die Köcher
Einst Höll' und Tod geleert,
Du hörest den, der schwächer,
Am Grabe Trost begehrt;
Du willst, du kannst sein Schutzgott seyn.
Wen hab' ich in der letzten Pein?
Wer wird mir Rath und Trost verleih'n?
Mit neuer Hoffnung mich beleben?
Wer blickt voll Huld mich Schwachen an,
Wann mir kein Mensch mehr helfen kann,
Und ich der Welt muß Abschied geben?
Wer schafft der trüben Seele Licht,
Thust du es, o mein Heiland, nicht?
Der Held erhebt sich von der Erde,
Gestärkt von Gott durch eines Engels Hand,
Und sucht die Jünger auf, die seine Seele liebet.
Die Jünger hat ein Schlummer übermannt;
Hier liegen sie gestützt, mit trauriger Geberde,
Betrachtend steht der Menschenfreund und spricht
Mit über sie gehängtem holdem Angesicht:
»Der Geist ist willig, nur der Leib ist schwach«.
[57]
Und bückt sich, Petrus Hand sanft anzurühren, nieder:
»Auch du bist nicht mehr wach?
O! wacht und betet, meine Brüder!«
Ein Gebet um Muth und Freude,
Freud' im Tode, Muth im Leide,
Theilt die Wolken, dringt zum Herrn.
Und der Herr erhört es gern.
Klimm, ich zu der Tugend Tempel
Matt den steilen Pfad hinauf,
O! so sporn' ich meinen Lauf
Nach der Wanderer Exempel,
Durch die Hoffnung jener schönen,
Ueber mir erhabnen Scenen,
Und erleichtre meinen Gang
Mit Gebet und mit Gesang.
Ein Gebet um Muth und Freude,
Freud' im Tode, Muth im Leide,
Theilt die Wolken, dringt zum Herrn;
Und der Herr erhört es gern.
Herr, höre die Stimme unseres Flehens,
Wann wir zu dir schreien,
Wann wir unsere Hände erheben
Zu deinem heiligen Chor.
[58]
Es klingen Waffen, Lanzen blinken bei dem Schein
Der Fackeln; Mörder dringen ein,
Ich sehe Mörder! – Ach! es ist um ihn geschehen.
Er aber, unerschrocken nahet sich
Den Feinden selbst; großmüthig spricht er: »Sucht ihr mich,
So lasset meine Freunde gehen«.
Die schüchternen Gefährten flieh'n auf dieses Wort.
Ihn bindet man, ihn führt man fort.
Sein Petrus folgt, der einzige von allen;
Er folgt, zur Hülfe schwach, von fern;
Mitleidig folgt er seinem Herrn
Zum schrecklichen Palaste
Des hohen Priesters Kajaphas. –
Was hör' ich hier! Ach! Petrus selber spricht:
Ich kenne diesen Menschen nicht? –
Wie tief bist du von deinem Edelmuth gefallen! –
Doch siehe: Jesus wendet sich,
Und blickt ihn an. Er fühlt den Blick,
Er geht zurück,
Er weinet bitterlich.
Ihr weich geschaff'nen Seelen,
Ihr könnt nicht lange fehlen;
Bald höret euer Ohr
Das strafende Gewissen,
Bald weint aus euch der Schmerz.
[59]
Ihr thränenlosen Sünder, bebet!
Einst, mitten unter Rosen hebet
Die Reu' den Schlangenkamm empor,
Und fällt mit unheilbaren Bissen
Dem Frevler an das Herz.
Ihr weich geschaff'nen Seelen,
Ihr könnt nicht lange fehlen;
Bald höret euer Ohr
Das strafende Gewissen,
Bald weint aus euch der Schmerz.
Unsere Seele ist gebeuget zur Erde,
O Wehe, daß wir so gesündiget haben!
Jerusalem, voll Mordlust, ruft mit wildem Ton
Sein Blut komme über uns und unsre Söhn' und Töchter!
Du siegst, Jerusalem! und Jesus blutet schon;
In Purpur ist er schon des Volkes Hohngelächter:
Damit er ohne Trost in seiner Marter sey,
Damit die Schmach sein Herz ihm breche.
Voll Liebe steht er da, von Gram und Unmuth frei,
Und trägt sein Dornendiadem. –
Und eine Vatermörderhand faßt einen Stab,
Und schlägt sein Haupt: ein Strom quillt Stirn und Wang' herab. –
Seht, welch' ein Mensch! – Des Mitleids Stimme
Vom Richtstuhl des Tyrannen spricht:
Seht, welch' ein Mensch! und Juda hört sie nicht;
[60]
Und legt dem Blutenden, mit noch nicht sattem Grimme,
Den Balken auf, woran er langsam sterben soll,
Er trägt ihn willig fort, und sinkt ohnmächtig hin.
Nun kann kein edles Herz de Wehuth mehr verschließen;
Unaufgehaltne Thränen stießen.
Er aber sieht sich tröstend um und spricht:
»Ihr Töchter Zions, weinet nicht!«
So stehet ein Berg Gottes,
Den Fuß in Ungewittern,
Das Haupt in Sonnenstrahlen:
So steht der Held aus Canaan.
Der Tod mag auf den Blitzen eilen,
Er mag aus hohlen Fluthen heulen,
Er mag der Erde Rand zersplittern:
Der Weise sieht ihn heiter an.
So stehet ein Berg Gottes,
Den Fuß in Ungewittern,
Das Haupt in Sonnenstrahlen;
So steht der Held aus Canaan.
Zu deiner Ehre will ich alle Plagen,
Schmach und Verfolgung ohne Murren tragen;
Nach deinem Beispiel will ich selbst mit Freuden
Den Tod erleiden.
[61]
Da steht der traurige, verhängnißvolle Pfahl.
Unschuldiger! Gerechter! hauche doch einmal
Die matt gequälte Seele von dir! – Wehe! Wehe!
Nicht Banden, Ketten nicht, ich sehe
Gespitzte Keile. – Jesus reicht die Hände dar,
Die theuren Hände, deren Arbeit Wohlthun war.
Auf jeden wiederholten Schlag durchschneidet
Die Spitze Nerv' und Ader und Gebein. Er leidet
Es mit Geduld, bleibt heiter, und hängt da,
Zur Schmach erhöht voll Blut, in Todesschmerzen
Am Golgatha. –
Ihr Männer Israels, o! ruft in eure Herzen
Erbarmung! Laßt die Rach' im Tode ruh'n! –
Umsonst: die Väter höhnen ihn:
Ihr Hohn ist bitter, grausam fröhlich ihre Mienen.
Und Jesus ruft: »Mein Vater, ach! vergieb es ihnen!
Sie thun unwissend, was sie thun«.
Feinde, die ihr mich betrübt,
Wisset, daß mein Herz euch liebt:
Euch verzeih'n ist meine Rache.
Die ihr mich im Unglück schmäht,
Hört mein ernstliches Gebet:
Daß euch Gott beglückter mache!
Jesu, wir sind deine Kinder;
Menschenfreund, wir folgen dir!
[62]
Heilig ist Gott Zebaoth!
Und erträgt den Missethäter
Mit erbarmender Geduld.
Mächtig ist der Welten Gott:
Und erzeigt dem Hochverräther
Stündlich neue Gnad' und Huld.
Ihr nur eifert über Sünder,
Grausam, Sünder, eifert ihr.
Feinde, die ihr mich betrübt,
Wisset, daß mein Herz euch liebt;
Euch verzeih'n ist meine Rache.
Die ihr mich im Unglück schmäht,
Hört mein ernstliches Gebet:
Daß euch Gott beglückter mache!
Jesu, wir sind deine Kinder;
Menschenfreund, wir folgen dir!
O! welch' ein neuer Greuel kränket
Den Heiligen in Israel? Wo find' ich ihn?
Hier unter Missethätern aufgehenket,
Woran erkenn' ich ihn? – –
An seiner Tugend. –
[63]
Schmach, Folter, Todesangst vergißt er, und bedenket,
Maria, dein verlaßnes Alter, und ertheilt
Dem Freunde seines Busens diesen letzten, letzten Willen:
»O Jüngling! das ist deine Mutter«. – Dieser eilt
(Ein Schüler Jesu!) sein Vermächtniß zu erfüllen:
Und Jesus sieht es an; –
Und wird noch mehr entzückt, und fühlet keine Wunden,
Weil er jetzt einen Strahl von Trost den trüben Stunden
Noch eines reuerfüllten Sünders schenken kann.
Er kehrt sein Antlitz hin zu dem an seiner Seite
Gekreuzigten Verbrecher, ihm zu prophezeih'n:
»Ich sage dir, du wirst noch heute
Mit mir im Paradiese seyn!«
Singt dem göttlichen Propheten
Der Unsterblichkeit verkündigt,
Singt dem himmlischen Gesandten,
Der ein Paradies euch aufschließt.
Singt dem großen Gottessohne,
Der euch zu den Engeln abruft,
Erdensöhne, singt ihm Dank!
[64]
Die du von dem Staube fliehest,
Und die rollenden Gestirne
Unter deinen Füßen siehest,
Nun genieße deiner Tugend!
Steig' auf der Geschöpfe Leiter
Bis zum Seraph!
Steige weiter,
Seele! Gott sey dein Gesang!
Seele! Gott sey dein Gesang!
Singt dem göttlichen Propheten,
Der Unsterblichkeit verkündigt!
Singt dem himmlischen Gesandten,
Der ein Paradies euch aufschließt!
Singt dem großen Gottessohne,
Der euch zu den Engeln abruft!
Erdensöhne, singt ihm Dank!
Freuet euch alle, ihr Frommen!
Das Wort des Herr ist wahrhaftig;
Was er verheißet, das hält er gewiß.
[65]
Auf einmal fällt der aufgehaltene Schmerz,
Des Helden Seele wüthend an: sein Herz
Hebt die gespannte Brust; – in jeder Ader wühlet
Ein Dolch; – sein ganzer Körper fliegt
Am Kreuz empor; er fühlet
Des Todes siebenfache Gräuel; – auf ihm liegt
Die Hölle ganz; er kann ihn nicht mehr fassen,
Den Schmerz, der ihn allmächtig drückt,
Er ruft: »Mein Gott! mein Gott! wie hast du mich verlassen!« – –
Auch diese finstre Stunde rückt
Vorbei. Nun seufzet er: »Mich dürstet.« Ihn erfrischet
Sein Volk mit Wein, den es mit Galle mischet. – –
Nun steigt sein Leiden höher nicht;
Nun triumphirt er laut und spricht:
»Es ist vollbracht! empfang', o Vater, meine Seele!
Und neigt sein Haupt auf seine Brust – und stirbt.
Es neigen Seraphim von allen Sternen nieder,
Und klagen laut: Er ist nicht mehr!
Der Erde Tiefen schallen wieder:
Er ist nicht mehr!
Erzittre, Golgatha! er starb auf deinen Höhen.
O Sonne, fleuch! und leuchte diesem Tage nicht;
[66]
Zerreiße, Land, worauf die Mörder stehen!
Ihr Gräber, thut euch auf! Ihr Väter, steigt an's Licht!
Das Erdreich, das euch deckt,
Ist ganz mit Blut befleckt.
Er ist nicht mehr! so sage
Ein Tag dem andern Tage:
Er ist nicht mehr!
Der Ewigkeiten Nachhall klage:
Er ist nicht mehr!
Ihr Augen, weint!
Der Menschenfreund
Verläßt sein theures Leben.
Künftig wird sein und Mund uns nicht,
Lehren Gottes geben.
Weinet nicht!
Es hat überwunden
Der Löwe vom Stamm Juda.
Ihr Augen, weint!
Der Menschenfreund
Sinkt unter tausend Plagen.
Konnte seine sanfte Brust
So viel Schmerz ertragen?
Weinet nicht!
Es hat überwunden
Der Löwe vom Stamm Juda.
[67]
Ihr Augen, weint!
Der Menschenfreund,
Der Edle, der Gerechte,
Wird verachtet, wird verschmäht,
Stirbt den Tod der Knechte.
Weinet nicht!
Es hat überwunden
Der Löwe vom Stamm Juda.
Hier liegen wir gerührten Sünder,
O Jesu, tief gebückt,
Mit Thränen diesen Staub zu netzen,
Der deine Lebensbäche trank:
Nimm unsre Opfer an!
Freund Gottes und der Menschenkinder,
Der seinen ewigen Gesetzen
Des Todes Siegel aufgedrückt,
Anbetung sey dein Dank!
Den opfre Jedermann.
Hier liegen wir gerührten Sünder,
O Jesu, tief gebückt,
Mit Thränen diesen Staub zu netzen,
Der deine Lebensbäche trank:
Nimm unsre Opfer an!

[68] Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu

Eine geistliche Cantate.


Gott! du wirst seine Seele
Nicht in der Hölle lassen,
Und nicht gestattet, daß dein Heiliger
Die Verwesung sehe.
Judäa zittert! seine Berge beben!
Der Jordan flieht den Strand!
Was zitterst du, Judäens Land?
Ihr Berge, warum bebt ihr so?
Was war dir, Jordan, daß dein Strom zurücke floh? –
Der Herr der Erde steigt
Empor aus ihrem Schooß, tritt auf den Fels und zeigt
Der staunenden Natur sein Leben. –
Des Himmels Myriaden liegen auf der Luft
[69]
Rings um ihn her; und Cherub Michael fährt nieder,
Und rollt des vorgewälzten Steines Last
Hinweg von seines Königs Gruft,
Sein Antlitz stammt, sein Auge glühet.
Die Schaar der Römer stürzt erblaßt
Auf ihre Schilde: »Flieht, ihr Brüder!
Der Götter Rache trifft uns! fliehet!«
Mein Geist, voll Furcht und Freude, bebet;
Der Fels zerspringt; die Nacht wird licht.
Seht, wie er auf den Lüften schwebet!
Seht, wie von seinem Angesicht
Die Glorie der Gottheit strahlt!
Rang Jesus nicht mit tausend Schmerzen?
Empfing sein Gott nicht seine Seele?
Floß nicht sein Blut in seinem Herzen?
Hat nicht der Held in dieser Höhle
Der Erde seine Schuld bezahlt?
Mein Geist, voll Furcht und Freude, bebet:
Der Fels zerspringt; die Nacht wird licht.
Seht, wie er auf den Lüften schwebet!
Seht, wie von seinem Angesicht
Die Glorie der Gottheit strahlt!
Triumph! Triumph! des Herrn Gesalbter sieget!
Er steigt aus seiner Felsengruft,
Triumph! Triumph! ein Chor von Engeln flieget
Mit lautem Jubel durch die Luft.
[70]
Die frommen Töchter Sions geh'n
Nicht ohne Staunen durch des offenen Grabes Thür;
Mit Schaudern fahren sie zurück. Sie seh'n,
In Glanz gehüllt, den Boten
Des Ewigen, der freundlich spricht:
»Entsetzt euch nicht:
Ich weiß, ihr suchet euern Todten,
Den Nazaräer Jesus, hier,
Daß ihr ihn salbt, daß ihr ihn klagt,
Hier ist er nicht. Die Stätte sehet ihr,
Die Grabetücher sind vorhanden;
Ihn aber suchet bei den Todten nicht,
Es ist erfüllt, was er zuvor gesagt:
Er lebt, er ist erstanden!«
»Wie bang hat dich mein Lied beweint,
Ach! unser Trost, der Menschenfreund,
Sieht keinen Tröster, steht verlassen,
Der blutet, der sein Volk geheilt,
Der Todte weckte, muß erblassen!«
So hat mein banges Lied geweint.
Heil mir! du steigst vom Grab' herauf.
Mein Herz zerfließt in Freudenzähren,
In Wonne lös't mein Gram sich auf.
Wer ist die Sionitin, die vom Grabe
So schüchtern in den Garten flieht, und weinet? –
Nicht lange. Jesus selbst erscheinet,
[71]
Doch unerkannt, und spricht ihr zu:
»O Tochter! warum weinest du?«
»Herr, sage, nahmst Du meinen Herrn aus diesem Grabe?
Wo liegt er? Ach! vergönne,
Daß ich ihn hole, daß ich ihn
Mit Thränen netze; daß ich ihn
Mit diesen Salben noch im Tode salben könne,
Wie ich im Leben ihn gesalbt.« – »Maria!«
So ruft mit holder Stimm' ihr Freund,
In seiner eigenen Gestalt: »Maria!« –
»Mein Meister! ach!« – Sie fällt zu seinen Füßen nieder,
Umarmt sie, küßt sie, weint. –
»Du sollst mich wiedersehen!
Noch werd' ich nicht zu meinem Vater gehen,
Steh' auf, und suche meine Brüder,
Und meinen Simon! sag' ich leb' und will ihn sehen.«
Freund der schwachen Menschenkinder!
Der Gefall'ne, der Betrübte
Hört von dir den ersten Trost.
Tröster der gerührten Sünder!
Die dich suchte, die dich liebte,
Fand bei dir den ersten Trost.
[72]
Holder Tröster! Menschenfreund!
O! wie wird durch jede Zähre
Dein erbarmend Hertz erweicht!
Sagt, wer unserm Gotte gleicht,
Der die Missethat vergiebet?
Sagt, wer unserm Gotte gleicht,
Der den Missethäter liebet?
Liebe, die du selbst geweint,
O, wie wird durch jede Zähre
Dein allgütig Herz erweicht!
Freund der schwachen Menschenkinder
Der Gefall'ne, der Betrübte
Hört von dir den ersten Trost.
Tröster der gerührten Sünder!
Die dich suchte, die dich liebte,
Fand bei dir den ersten Trost.
Holder Tröster! Menschenfreund!
O! wie wird durch jede Zähre
Dein erbarmend Herz erweicht!
Freundinnen Jesu! sagt, woher so oft
In diesen Garten? Habt ihr nicht gehört, er lebe?
[73]
Ihr zärtlichen Betrübten hofft
Den Göttlichen zu seh'n, den Magdalena sah? –
Ihr seyd erhört. Urplötzlich ist er da,
Und Aloen und Myrrhen düftet sein Gewand!
»Ich bin es! seyd gegrüßt!« Sie fallen zitternd nieder.
Sein Arm erhebt sie wieder:
»Geht hin in unser Vaterland,
Und sagt den Jüngern an: Ich lebe,
Und fahre bald hinauf in meines Vaters Reich;
Doch will ich alle seh'n, bevor ich mich für euch
Zu meinem Gott und eurem Gott gen Himmel hebe.«
Ich folge Dir, verklärter Held!
Dir Erstling der entschlaf'nen Frommen!
Triumph! der Tod ist weggenommen,
Der auf der Welt der Geister lag.
Dies Fleisch, das in den Staub zerfällt,
Wächst fröhlich aus dem Staube wieder.
O, ruht in Hoffnung, meine Glieder!
Bis an den großen Erntetag.
Ich folge Dir, verklärter Held!
Dir, Erstling der entschlaf'nen Frommen!
Triumph, der Tod ist weggenommen,
Der auf der Welt der Geister lag.
[74]
Tod! wo ist dein Stachel? dein Sieg, o Hölle, wo ist er? –
Unser ist der Sieg: Dank sey Gott! und Jesus ist Sieger.
Dort seh' ich aus den Thoren
Jerusalems zwei Schüler Jesu geh'n;
In Zweifeln ganz, nun ganz in Traurigkeit verloren,
Geh'n sie durch Wald und Feld,
Und klagen ihren Herrn. Der Herr gesellt
Sich zu den Trauernden, umnebelt ihr Gesicht,
Hört ihre Zweifel an, gibt ihnen Unterricht.
Und seine Rede heilt der Freunde Schmerz;
Mit Liebe wird ihr Herz
Zu diesem Gast entzündet.
Sie lagern sich. Er bricht das Brod, und saget Dank;
Die Jünger kennen seinen Dank;
Der Nebel fällt, sie seh'n ihn, – er verschwindet.
Willkommen, Heiland! freut euch, Väter!
Die Hoffnung Zions ist erfüllt.
O! dankt, ihr ungebornen Kinder!
Gott nimmt für eine Welt voll Sünder
Sein großes Opfer an.
[75]
Der Heilige stirbt für Verräther:
So wird des Richters Spruch erfüllt.
Er tritt das Haupt der Hölle nieder,
Er bringet die Empörer wieder;
Der Himmel nimmt uns an.
Willkommen, Heiland! freut euch, Väter
Die Hoffnung Zions ist erfüllt.
O! dankt, ihr neugebornen Kinder!
Gott nimmt für eine Welt voll Sünder
Sein großes Opfer an.
Triumph! Triumph! der Fürst des Lebens sieget!
Gefesselt führt er Höll' und Tod.
Triumph! Triumph! die Siegesfahne flieget!
Sein Kleid ist noch vom Blute roth.
Eilf auserwählte Jünger, bei verschloss'nen Thüren,
Die Wuth der Feinde scheuend, freuen sich,
Daß Jesus wieder lebt. – »Ihr glaubt es, aber mich«,
Erwiedert Thomas, »soll kein falsch Gesicht verführen.«
»Ist er den Galiläerinnen nicht,
Auch diesem Simon nicht erschienen?
Sah'n ihn nicht Kleophas und sein Gefährte dort
[76]
Bei Emmahus? Ja hier, ein Freund, an diesem Ort
Sah'n wir ihn alle selbst, es waren seine Mienen,
Die Worte waren seinen Worten gleich;
Er aß mit uns.« –
»Betrogen hat man euch;
Ihr selbst, aus Sehnsucht, habt euch gern betrogen!
Laßt mich ihn sehen, mit allen Nägelmaalen seh'n:
Dann glaub' auch ich, es sey mein heißer Wunsch gescheh'n.« –
Und nun zerfließt die Wolke, die den Herrn umzogen.
Der mitten unter ihnen steht und spricht:
»Der Friede Gottes sey mit euch!
Und du, Schwachgläubiger! komm, siehe, zweifle nicht!«
»Mein Herr! mein Gott! ich seh', ich glaub', ich schweige.« –
»So geh' in alle Welt, und sey mein Zeuge!«
Mein Herr! mein Gott! mein Herr! mein Gott!
Dein ist das Reich, die Macht ist dein!
So wahr dein Fuß dies Land betreten,
Wirst du der Erde Schutzgott seyn,
Jehovens Sohn wird uns vertreten!
Versöhnte, kommt, ihn anzubeten!
Erlöste, sagt ihm Dank:
[77]
Zu dir steigt mein Gesang empor
Aus jedem Thal, aus jedem Hain.
Dir will ich auf dem Feld Altäre
Und auf den Hügeln Tempel weih'n.
Lallt meine Zunge nicht mehr Dank:
So sey der Ehrfurcht fromme Zähre
Mein letzter Lobgesang.
Mein Herr! mein Gott! mein Herr! mein Gott!
Dein ist das Reich! die Macht ist dein!
So wahr dein Fuß dies Land betreten,
Wirst du der Erde Schutzgott seyn.
Jehovens Sohn wird uns vertreten,
Versöhnte, kommt, ihn anzubeten!
Erlöste, sagt ihm Dank!
Triumph! Triumph! der Sohn des Höchsten sieget!
Er eilt vom Sühnaltar empor,
Triumph! Triumph! sein Vater ist vergnüget;
Er nimmt uns in der Engel Chor.
Auf einem Hügel, dessen Rücken
Der Oelbaum und der Palmbaum schmücken,
Steht der Gesalbte Gottes, um ihn steh'n
Die seligen Gefährten seiner Pilgerschaft.
Sie seh'n erstaunt von seinem Antlitz Strahlen geh'n;
Sie seh'n in einer lichten Wolke
[78]
Den Flammenwagen warten, der ihn führen soll:
Sie beten an. – Er hebt die Hände
Zum letzten Segen auf: »Seyd meines Geistes voll!
Geht hin und lehrt,
Bis an der Erden Ende,
Was ihr von mir gehört,
Das ewige Gebot der Liebe! – Gehet hin,
Thut meine Wunder! Gehet hin,
Verkündigt allem Volke
Versöhnung, Frieden, Seligkeit!«
Er sagt's, steigt auf, wird schnell emporgetragen,
Ein strahlendes Gefolg umringet seinen Wagen
Ihr Thore Gottes, öffnet euch!
Der König ziehet in sein Reich.
Macht Bahn, ihr Seraphinenchöre!
Er steigt auf seines Vater Thron.
Triumph! werft eure Kronen nieder!
So schallt der weite Himmel wieder;
Triumph! gebt unserm Gott die Ehre!
Heil unserm Gott und seinem Sohn!
Ihr Thore Gottes, öffnet euch!
Der König ziehet in sein Reich.
Macht Bahn, ihr Seraphinenchöre!
Er steigt auf seines Vaters Thron
Gott fähret auf mit Jauchzen,
Der Herr mit heller Posaune.
[79]
Lobsinget, lobsinget Gott!
Lobsinget, lobsinget unserm Könige.
Der Herr ist König!
Deß freue sich das Erdreich
Das Meer brause!
Die Wasserströme frohlocken,
Und alle Inseln sey'n fröhlich!
Jauchzet, ihr Himmel!
Freue dich, Erde!
Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen!
Wer ist, der in den Wolken gleich dem Herrn gilt,
Und gleich ist unter den Kindern der Götter dem Herrn?
Lobet ihn alle seine Engel!
Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!
Halleluja!

[80] Der Anbeter der Gottheit

Ein Bruchstück.


Zu dir erhebt sich mein Lied, o ewige Quelle des Lebens!
O, du von den Lippen danksagender Weisen Jehova gegrüßet,
Und Oromazes und Gott! gleich groß im Tropfen des Thaues,
Der hier vom Grase rollt, gleich groß in der Sonne, die rastlos
Rings um sich an goldenen Seilen glückselige Weiten herumführt;
Im Wurme, der einen bestäubten Erntetag lebt, und im Cherub,
Der alle Naturen durchforscht seit seiner undenklichen Jugend,
Und viele Glieder bereites an der Kette der Wesen verknüpft sieht,
Er selbst, der Oberste: doch in deiner Größe versinket, –
Wie soll ich in menschlicher Rede den Kindern der Erde dich nennen, –
[81]
Dich, deines unendlichen Weltraums allbelebende Fülle? – –
Mit Schaudern versenkt sich in ihn mein Geist in den Tempeln der Wälder.
Auf himmelstrebenden Felsen am Rande der grausenden Tiefe!
Und o! wie verschwindet mir dann die sinnliche Freude! wie werden
Mir alle Begierden erhöht. – Du Weltgeist, hier steh' ich verloren
Auf einem Staube des Ganzen, und breite die Hände zu dir aus:
Erhältst du, wenn einst dies zarte Gewebe des Leibes sich auflös't,
Ein höheres Antheil von mir, so soll die Bewunderung deiner
Mein langes Geschäft verbleiben, mein langer Gesang .....

[82] Lob der Gottheit

Nach dem neunzehnten Psalm.


Des Himmels ewig dauerndes Gewölbe,
Das über allen Sternen hängt,
Der Erdball unter ihm, gegründet auf sich selber,
Verkündigt seinen Herrn.
Ihn lobt der Tag, ihn singt mit tausend Zungen
Die Nacht, und alle Welt vernimmt
Den Lobgesang der Nacht, und alle Völker hören
Des Tages Königin.
Sie steigt auf ihren Purpurthron im Osten,
Geht triumphirend ihre Bahn,
Und überschaut ihr Reich, bis sie der Abendhimmel
In seine Thore nimmt.
[83]
Ihr Anblick, wenn sie durch den Aether wallet,
Zieht Wälder aus der Erde Schooß,
Und aus der Fluth den Thau, der aus den Wolken träufelt,
Und aus den Bergen strömt.
Sie wickelt das erwärmte Rund der Erde
In einen grünen Teppich ein,
Bestreut mit Blumen ihn, hell leuchtend, wie die Farben
Des Gürtels, den sie webt.
Aus ihrem Feuermeer füllt seine Lampe
Der Mond mit Licht; der Morgenstern
Und seiner Brüder Chor, bekränzt von ihr mit Strahlen,
Tanzt freudig um sie her.
Laut ruft sie durch die grenzenlose Tiefe,
Und alle Sterne rufen laut:
Allmächtig ist die Hand, die uns zusammenfaßte,
Und in den Weltraum warf.
[84]

Notes
Erstdruck von »Der Tod Jesu« mit der Musik v. Carl Heinrich Graun: Berlin 1756. Erstdruck der übrigen in: Geistliche Kantaten, Berlin 1760.
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