[327] Der Einsiedler

Nach dem Englischen des Parnell.


Linz im Christmond 1790.


Ein dunkler Hain, den steile Felsenwälle
Umthürmten, schloss einst einen Klausner ein:
Seit Jahren schon war eine Kluft die Zelle
Des frommen Manns, sein Bett ein harter Stein,
Sein Mahl ein Korb voll Waldobst und die Quelle,
Und sein Geschäft, sich dem Gebete weihn.
So lebt' er lang, freywillig abgeschieden
Vom Weltgewühl, mit seinem Gott zufrieden.
Schon bleichte sich sein krauses Haar, und sachte
Schlich, frey von Gram, des Lebens Herbst vorbey,
Als der Verdacht in seiner Seel' erwachte,
Ob (da so oft im Joch der Tyranney
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Des Bösewichts der Tugendhafte schmachte)
Die Schöpfung wohl ein Werk der Vorsicht sey.
Er grübelte voll zweifelnder Gedanken,
Und sein Vertraun auf Gott begann zu wanken.
Von Stund' an raubt' ihm seine Sucht zu klügeln
Die Seelenruh, die Gott ihm stäts gegönnt.
So siehet man, wenn von des Ufers Hügeln
Der Bäume Grün und von dem Firmament
Die Sonne sich im Teiche ruhig spiegeln,
Durch einen Wurf, der das Gewässer trennt,
Im Augenblick diess schöne Bild zersplittern,
Und Sonn' und Baum wild durcheinander zittern.
Der Zweifel satt, die seine Brust zernagen,
Rief er einst auf: ich Thor! was hält mich ab,
Mich in die Welt beherzt hinauszuwagen,
Und Weisere, die, was das stumme Grab
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Verhüllt, schon hier erforschten, zu befragen?
Rasch griff er nun nach seinem Pilgerstab,
Und macht', als kaum die Berge rings im Kreise
Noch dämmerten, getrost sich auf die Reise.
Fern gieng bereits von seinem Aufenthalte
Der Eremit, als unversehns ein Mann
Voll Jugendreitz an seiner Seite wallte.
Gott segne dich, sprach ihn der Jüngling an:
Gott segn' auch dich, erwiederte der Alte,
Und ein Gespräch voll Traulichkeit begann.
Sie wurden eins, da einer an dem andern
Gefallen fand, vereinigt fortzuwandern.
Als allgemach die Abendlüfte wehten,
Und kühler Thau vom Himmel niederfloss,
Entdeckten sie auf eines sanfterhöhten
Grashügels Rand ein stattlich Ritterschloss,
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Und eilten nun, besorgt sich zu verspäten,
Mit schnellerm Schritt auf das Gebäude los.
Itzt nahten sie, und alle Knappen drangen
Beym Thor heraus, sie freundlich zu empfangen.
Der Herr der Burg, der von des Schlosses Warte
Die Pilger sah, führt' eilends sie zum Saal
Der Burg hinan, der rings von Golde starrte,
Und wo bereits ein köstlichduftend Mahl
In silbernen Gefässen ihrer harrte.
Sie setzten sich: ein goldener Pokal
Gieng rund herum, und um die Zeit der Mette
Geleitete der Hauswirth sie zu Bette.
Die Nacht zerfloss in Dämmerung, und heiter
Stieg an den Höhn der junge Tag herauf:
Der Eremit und mit ihm sein Begleiter
Erwachten nun, und brachen dankend auf.
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Schon sahen sie allmählich nur in weiter
Entfernung noch des Schlossthurms gelben Knauf,
Als im Vertraun der Jüngling itzt bekannte,
Dass er bey Tisch den goldnen Kelch entwandte.
Dem Wandrer gleich, der plötzlich eine Schlange,
Die an dem Rand des Wegs auf Beute harrt,
Sich sonnen sieht, und vor Entsetzen lange
Den Fuss zur Flucht nicht regen kann, erstarrt
Der Klausner nun, und sieht erstaunt und bange
Den Jüngling an. Ein Undank dieser Art,
Denkt er, ist nur verworfnen Seelen eigen,
Und bloss die Furcht heisst seinen Unmuth schweigen.
Indessen drang, durchschlängelt rings von Blitzen,
Aus dem Gebirg' ein schwarz Gewölk hervor,
Und heulend riss bis zu der Berge Spitzen
Ein Windstoss Sand und dürres Laub empor.
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Beängstigt flohn, sich vor dem Sturm zu schützen,
Die Pilger schnell vor eines Pächters Thor,
Und pochten an: allein mit lautem Fluchen
Hiess sie die Magd ein andres Obdach suchen.
Nach langem Flehn und Pochen schloss am Ende
Der Pächter auf: die Wandrer traten ein,
Und sahn bestürzt ein Stübchen, dessen Wände
Der Schimmel deckt. Der Hauswirth hohlte Wein,
Den kaum der Mund des Bettlers trinkbar fände,
Und Haberbrod aus einem alten Schrein,
Und hiess, als kaum die Wolken sich zu theilen
Begannen, sie feindselig weiter eilen.
Die Pilger ziehn, genöthigt durch die Härte
Des Manns, nun fort: doch wie vom Wetterstrahl
Getroffen steht der Greis, als sein Gefährte
Beym Lebewohl den goldenen Pokal.
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Den er zum Lohn, dass man ihn reichlich nährte,
Dem edlen Herrn des Schlosses gestern stahl,
Mit lautem Dank dem kargen Pächter reichet,
Der lieblos sie aus seinem Hause scheuchet.
Nicht ohne Grund däucht, was er sieht, den Alten
Ein Traumgesicht voll Widersinnigkeit;
Denn frevelhaft schien gestern das Verhalten
Des jungen Manns, wahnwitzig scheint es heut.
Unfähig, sich diess Räthsel zu entfalten,
Entschliesst er sich, bis ihn Geduld und Zeit
Ganz auf die Spur der Überzeugung leiten,
Getrost am Arm des Fremdlings fortzuschreiten.
Sie wallten nun durch manche weite Strecke,
Bis abermal die dichte Finsterniss,
Worein die Nacht des Himmels blaue Decke
Verhüllte, sie ein Obdach suchen hiess.
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Ein matter Strahl, dem seitwärts eine Hecke
Zuweilen Raum, sich durchzudrängen, liess,
Ward, kaum entdeckt, die Richtschnur ihrer Schritte,
Und führte sie zu eines Jägers Hütte.
Der Eremit naht schüchtern und beklommen
Der Thüre sich; denn er vergass noch nicht,
Wie trotzig sie der Pächter aufgenommen:
Doch bald entwölkt die Freude sein Gesicht;
Denn traulich heisst der Weidmann sie willkommen.
Klein und beschränkt ist meine Habe, spricht
Der biedre Mann, doch was mir Gott bescheeret,
Sey herzlich gern, o Pilger, euch gewähret.
Sein trautes Weib läuft mit vergnügten Blicken
Zur Küche nun, sucht, was das Haus vermag,
Hervor, und eilt, die Tafel zu beschicken.
Ein fettes Huhn und Wein vom besten Schlag
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Wird aufgetischt, die Gäste zu erquicken,
Und froher Muth erheitert das Gelag.
Unmerklich war die halbe Nacht verflossen,
Und mit Gebet wird itzt das Mahl beschlossen.
Als morgens sich die Wandrer fortbegaben,
Und noch der Schlaf des biedern Ehpaars Blick
Umnebelte, trat zu des Jägers Knaben
Der Jüngling hin, und brach ihm das Genick.
Der Greis erbebt', als schlöss', ihn zu begraben,
Ein Schlund sich auf. Welch neues Bubenstück!
Seufzt' er bestürzt, o jammernswerthe Gatten!
Ihr einzig Kind! ihr Alles, was sie hatten!
Mit dem Entschluss, sich heimlich wegzuflüchten,
Sobald die Nacht die Flucht begünstigt, schlich
Der Klausner nun im Schatten düstrer Fichten
Dem Jüngling nach. Dem schwülen Mittag wich
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Der Morgen schon, als mitten in dem dichten
Gebüsch des Walds, wo labyrinthisch sich
Die dunkle Bahn in Seitenpfade theilte,
Der Pilger Fuss aus Furcht, zu irren, weilte.
Gutmüthig beut ein Bettler, der am Wege
Vorbeywallt, sich dem Paar zum Führer an,
Und leitet es fern aus des Hains Gehäge
In's offne Thal, durch das ein Bergstrom rann.
Zum Lohn stürzt hier vom unbezäunten Stege
Der Jüngling ihn. Umsonst tönt himmelan
Tief aus dem Schwall des Bettlers Angstgewimmer:
Die Flut verschlingt den unerfahrnen Schwimmer.
Geheime Furcht verschloss bisher des alten
Einsiedlers Mund: doch itzt vermocht' er's nicht,
Des Herzens Grimm noch länger zu verhalten.
Unsinniger, verruchter Bösewicht!
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Rief er, und schwieg; denn blanke Stern' um strahlten
Auf einmal rings des Jünglings Angesicht:
In Duft schien sich sein Körper aufzulösen,
Und alles zeigt' ein überirdisch Wesen.
Stumm steht der Greis, und seine Kniee beugen
Tief in den Staub sich nieder. Endlich brach
Des Seraphs Mund das feyerliche Schweigen:
Ermanne dich! der Himmel sandte, sprach
Er tröstend, mich, um dich zu überzeugen,
Wie dreist es ist, wenn Menschen sich, zu schwach,
Ihr eignes Selbst zu kennen, unterwinden,
Die Fügungen der Allmacht zu ergründen.
Was du erstaunt vom Anfang unsrer Reise
Bis itzt gesehn, so tadelnswerth es schien,
That Gott durch mich, und was Gott thut, ist weise;
Drum sey getrost, und trau' und bau' auf ihn!
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Bleib, wie vordem, zufrieden im Geleise
Der Endlichkeit, und lerne künftighin,
Was dein Verstand unfähig ist, zu fassen,
Mit Zuversicht der Vorsicht überlassen!
Doch itzt vernimm, bevor ich mich entferne,
Aus welchem Grund, was ich gethan, geschah!
Den Kelch stahl ich dem Manne, der so gerne
Ob seiner Pracht den Wandrer staunen sah,
Damit er, frey von Selbstsucht, wohlthun lerne;
Denn was du sahst, war bloss zum Prunke da.
Er übt seitdem das Gute, fern vom Triebe
Der Eitelkeit, aus reiner Menschenliebe.
Der karge Filz, dem, ob er der Belohnung
Gleich unwerth war, ich den Pokal geschenkt,
Schliesst nun, gerührt und dankbar, seine Wohnung
Dem Fremdling auf, den Noth und Mangel kränkt.
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Des Jägers Kind hätt' einst des Vaters Schonung
Und blinde Gunst von Gräul zu Gräul gelenkt:
Dem Herzensleid der Ältern vorzukommen,
Hat Gott den Sohn so früh zu sich genommen.
Der Bettler hätt' ein harmlos Dörfchen heute
Bey Nacht, vereint mit einer Räuberschaar,
In Brand gesteckt: sein Untergang befreyte
Unschuldige von Raub und Todsgefahr.
Erkenne nun, wie sehr die Aussenseite
Der Dinge trügt! Vertrau' unwandelbar
Auf deinen Gott, und hüte dich zu grübeln!
Ein grössres Gut folgt oft aus kleinern Übeln.
Hier endigte der Seraph. Eine Hülle
Von purpurnem Gewölke floss herbey,
Und nahm ihn auf. In feyerlicher Stille
Sah ihn, geheilt von eitler Klügeley,
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Der Eremit entschwinden. Herr! dein Wille,
Rief er, zurück zur Zelle wandelnd, sey
Gebenedeyt auf Erden wie im Himmel!
Und starb in Ruh fern von dem Weltgetümmel.
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TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. Der Einsiedler. Der Einsiedler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8C44-6