[102] An den kaiserl. königl. Leibarzt Freyherrn von Quarin

Wien im Brachmond 1782.


Gekrönt mit Veilchen, liess in rosenfarbnem Kleid
Der junge May vom Himmel sich hernieder,
Und ihm zur Seite schwebt' auf wallendem Gefieder
Der Gott der Munterkeit.
Und sieh! es schmückte nun die Blumenköniginn
Mit Blühten rings die neubelebten Äste:
Muthwillig gaukelten in Schwärmen laue Weste
Im Grase her und hin.
Es trillerten entzückt im säuselnden Gewühl
Des zarten Laubs die süssen Nachtigallen.
Die halbe Welt ward froh: doch mir gebrach's bey allen
Den Reitzen an Gefühl.
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Denn ach! im schwarzen Reich der grauenvollen Nacht,
Wo, aufgebläht vom Gifte fauler Drachen,
Der Seuchen Heerschaar stäts mit aufgesperrtem Rachen,
Voll Gier nach Beute, wacht,
Riss zähnefletschend sich ein tückisch Fieber los,
Und schlich heran mit mörderischen Blicken
An meine Lagerstatt, mir in die Brust zu drücken
Sein giftiges Geschoss.
Und weh mir! kaum begann die schlummernde Natur
Den frischen Hauch der Morgenluft zu wittern,
So weckte mich der Schmerz, und ich empfand mit Zittern
Des Giftes schnelle Spur.
Umnebelt war mein Blick, ich fühlte heisse Glut
Mit Ungestüm mein schwindelnd Haupt zernagen,
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Mein wankendes Gebein war bis in's Mark zerschlagen,
Und tobend rann mein Blut.
In Flammen eingepresst, als wär' ich angethan
Mit Nessus Kleid, wälzt' ich, nach Heilung lechzend,
Mich ängstlich her und hin, und rief den Himmel ächzend
Um seinen Beystand an.
Da sandte dich der Herr, wohlthätiger Quarin!
Der Tausende zum Leben neu geboren,
Auf die das Schattenreich mit angelweiten Thoren
Bereits zu harren schien.
Beflügelt eiltest du, und Hygieja kam
An deinem Arm vertraut einhergegangen:
Der Göttinn holder Blick, die Anmuth ihrer Wangen
Verscheuchten meinen Gram.
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Mit brünstigem Vertraun fasst' ich, emporgerafft
Durch neuen Muth, ihr Kleid mit schwachen Händen:
Da strömt' in mein Gebein aus ihres Mantels Enden
Urplötzlich Heilungskraft.
Dank sey dir, edler Mann! dir, dem kein heilend Kraut
Verborgen ist vom Grashalm bis zur Eiche,
Dir, welchem die Natur zu ihrem weiten Reiche
Den Schlüssel anvertraut!
Dank sey dir, Menschenfreund! du reichtest mir den Stab,
Mich aus dem Pfuhl der Krankheit aufzuringen:
Sieh! dankbar steigt, den Kranz dir um das Haupt zu schlingen,
Die Muse selbst herab.
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Denn wer dem Ungestüm des Todes Schranken stellt,
Wie du, Quarin! verdient den Kranz der Ehren
Mehr, als der wilde Held, der mit gedungnen Heeren
Zehntausend Feinde fällt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. An den kaiserl. königl. Leibarzt Freyherrn von Quarin. An den kaiserl. königl. Leibarzt Freyherrn von Quarin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8C6F-8