[317] Alxingers Traumgelicht

Nach einem seiner lateinischen Gedichte.


Linz im Jäner 1789.


Als jüngst des Schlafes sanfte Hand
Mit Dunkel mir das Aug' umhüllte,
Erbebten plötzlich Thür' und Wand:
Ein sonnenheller Schimmer füllte
Mein Schlafgemach, und sieh! es stand
Ein Jüngling mir erhabnen Mienen,
Die hold mich anzulächeln schienen,
Vor mir an meines Bettes Rand.
An seinem rothen Feyerkleide,
Das um die Hüft' ein Silberband
Umschlang, erkannt' ich, halb von Freude
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Und halb von Furcht betäubt, in ihm
Wiens Genius. Mit Ungestüm
Wollt' ich zu seinen Füssen fallen:
Doch freundlich eilt' er mir zuvor,
Umfieng mich, und mit frohem Ohr
Hört' ich die süssen Worte schallen:
»O du, dem Gott Apoll schon früh
Der Pierinnen goldne Leyer
Und ein empfänglich Herz verlieh,
Der du, beseelt vom Götterfeuer
Der schöpferischen Phantasie,
Jüngst deines Doolins Abentheuer
So reitzend sangst, dass am Parnass
Das Chor der ältern Musenpriester
Und der entzückten neun Geschwister,
Frohlauschend rings im Kreise sass,
Ja selbst der rohe Flussgott Ister
Sein Haupt aus blauen Fluten hob,
Durch eines höhern Wesens Lob
Den Kaltsinn Wiens, das deutsche Lieder
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Noch stäts für Possen aus Paris
Vertauschet, zu beschämen, liess
Ich vom Olympe mich hernieder.
Laut würde deines Namens Ruhm
In Josephs fernstem Eigenthum
Von wonnetrunknen Lippen tönen,
Wenn Wien den holden Musensöhnen
So günstig wär', als einst Athen,
Und auf Germaniens Kamönen
Die Grossen nicht mit kaltem Gähnen
Und sprödem Stolze niedersähn.
Doch ach! in unserm Vaterlande
Regt leider! in des Adels Brust
Sich bloss der Hang noch träger Lust
Und nach des Prunkes eitlem Tande.
Wenn Titan fast im Mittelraum
Des Himmels wallet, und der Saum
Des Schattens um und um sich enger
Zusammenziehet, ringt noch kaum
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Der hochgeborne Müssiggänger
Sich aus des Bettes weichem Pflaum,
Und wenn er seine schlaffen Glieder,
Ein paarmal gähnend, auf und nieder
Geschleppet, fängt er endlich nun
Sein Tagwerk an. Sein erstes Thun
Ist, mit dem schwarzen Saft der Bohne,
Den die beglückte warme Zone
Arabiens für schimmernd Gold
Dem fernen Europäer zollt,
Und ein der reitzenden Dione
Geweihtes Mädchen aufgetischt,
Und mit dem Fett der Milch gemischt,
Den leckern Gaumen zu erfreuen,
Und Milchbrod, das dem Doppelhorn
Des Halbmonds gleicht, dabey zu käuen.
Vertieft in den Entwurf zu neuen
Buhlschaften, steht indessen vorn
Am Fenster schon sein Kammerdiener,
Ein plauderhafter, eitler, kühner,
Verlaufner Franzmann, voll Genie,
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Dem die Natur zu bösen Streichen
Vor hundert andern seinesgleichen
Ein treffliches Talent verlieh;
Denn wer vermag, mit leichtrer Müh
Unschuldigen Agnesen jeden
Gewissenszweifel, der sich hie
Und da noch reget, auszureden?
Wer weiss so fertig aus den schnöden
Syrenen, deren feile Gunst
Sich jedem preis giebt, die zu wählen,
Die, Amors Zweykampf durch die Kunst
Der geilsten Taktik zu empfehlen,
Und den Genuss der Lust verschmitzt
Durch Zwischenspiele zu beseelen,
Das rühmliche Verdienst besitzt?
Wer ist mit den geheimsten Tiefen
Der Mädchenherzen so genau,
Wie er, bekannt? Wer weiss so schlau
Die Tugend einer Frau zu prüfen?
Wer unter allen Kupplern kennt
So gut den kritischen Moment,
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Wo Danaen dem goldnen Regen
Nicht leicht zu widerstehn vermögen?
Kühn legt mit diesem Ehrenmann
Der Weichling nun ein Plänchen an,
Die Unschuld eines schönen Kindes
Zu täuschen, das er liebgewann,
Und mit der Schnelligkeit des Windes
Verfolgt der lockere Merkur,
Um seinem Herrn den Weg zu bahnen,
Sogleich des holden Mädchens Spur.
Der feige Sprössling wackrer Ahnen
Lässt voll Erwartung unterdess
Die Haare sich, der Kunst gemäss,
Auf dem mit Puder rings bestäubten,
Mit weissem Kleister dicht bekleibten
Erhabnen Haupt in Locken reihn,
Und lechzt dabey mit heissem Triebe
Nach dem Turnier des Gotts der Liebe.
So sehnten einstens, handgemein
Mit Stambuls trotzigen Barbaren
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Zu werden, seiner Ahnherrn Schaaren
An Ungarns Gränzen ritterlich
Mit halbentblösstem Degen sich.
Sieh! unter solchen schweren Sorgen
Verfliesst des Sybariten Morgen,
Und mit Geschäften gleiches Schlags
Verschwendet er den Rest des Tags.
Bald lüstet's ihn, im bunten Wagen,
Mit Sehnsucht angegafft von Fraun
Und Töchtern, durch des Praters Aun
Sein werthes Selbst zur Schau zu tragen,
Und bald, der Thiere Kampf zu schaun.
Mit inniglichem Wohlbehagen
Sieht er das Lämmchen in den Klaun
Des wilden Bären hilflos zagen,
Stimmt laut dem frohen Klatschen bey,
Und trägt dann mit zufriedner Miene
Die langen Ohren vom Geschrey
Des Cirkus hin zur Opernbühne,
Um lüstern an dem Zauberklang
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Des Stimmchens einer wälschen Phryne
Und an dem zitternden Gesang
Des Halbmanns Herz und Sinn zu weiden.
Von dannen eilt er wohlgemuth
Zum Spieltisch, um des Vaters Gut
Mit kaltem Gleichmuth zu vergeuden,
Und wenn er dann die halbe Nacht
Nach einem schwelgerischen Schmause
Mit Amors Freuden zugebracht,
Begiebt er endlich sich nach Hause,
Um nach so grossen Thaten nun
Bis an den Mittag auszuruhn.
Diess üppige Schlaraffenleben,
Das sich mit jedem Tag erneut,
Raubt unsern Grossen Lust und Zeit,
Dem Musenchor Gehör zu geben,
Das drum mit gleicher Sprödigkeit
Vor den Pallästen der Verächter
Des Dichtergotts vorübereilt,
Und nur in den Gemächern ächter
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Verehrer der bescheidnen Töchter
Mnemosynens sich gern verweilt.
Das Beyspiel der erhabnen Musen
Entflamme jedes Dichters Busen
Zu edlem Trotz, und flöss' auch dir
Den Stolz ein, über die Begier
Nach einem Gnadenblick der Götzen
Des Pöbels dich hinwegzusetzen!
Sieh! Wieland, unsers Pindus Zier,
Beut dir mit Lächeln vom Revier
Der sanften Ilm die Hand entgegen,
Erfreut sich, auf den steilen Wegen
Zu Famens lichtem Heiligthum,
In dem mit Lorbern ihn der Ruhm
Bekränzt, auch dich nun zu erblicken,
Und überlässt dir mit Entzücken
Und unbesorgt, dass etwa dich
Ein Sturz in eines Abgrunds Tiefen
Vergrabe, seinen Hippogryphen,
Der, ob er gleich mit Schnauben sich
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Emporbäumt, und sonst einen Reuter
Von grösserem Gewichte trug,
Dich willig und mit sicherm Flug
Zu Höhn, wo dich ein Ungeweihter
Erstaunt aus dem Gesicht verliert,
Durch das Gebiet des Äthers führt.
Drum lass dich auf der Bahn zum hehren
Parnasse nicht durch Kaltsinn stören!
Wen eines Wielands Beyfall ehrt,
Kann, stolz auf seiner Lieder Werth,
Das Lob der Grossen leicht entbehren.«
So sprach der Genius, die Hand
Mir huldreich drückend, und verschwand.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. Alxingers Traumgelicht. Alxingers Traumgelicht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8D2E-1