Vorrede zur Vierten Auflage

Als meine »Läuschen un Rimels« vor mehren Jahren in ihrer ersten Auflage erschienen, konnte ich nicht ahnen, daß sie einen größeren Leserkreis sich gewinnen würden, sie waren, wie sie auf Anraten von nahestehenden Freunden in den Druck gegeben wurden, zunächst auch nur für diese bestimmt, und deshalb mußte ich Sorge tragen, grade diesen, die mich größtenteils nachbarlich umwohnten, so viel als möglich, leicht verständlich zu werden. Ich glaubte dies am besten zu erreichen, wenn ich mit den vorhandenen Schriftzeichen des hochdeutschen Alphabets die plattdeutschen Töne meiner Landschaft nachzubilden suchte und nebenbei zugunsten des Auges beim Lesen der hochdeutschen Schreibart in den verwandten Wörtern mich anschlösse, selbst in den Eigentümlichkeiten, die man oft und mit Recht getadelt hat. Ich nahm daher z.B. das dehnende »h« und »e« in meine Orthographie auf. Diese Art der Ausführung ist von Freunden mit nachsichtsvoller Schonung und freundlicher Berücksichtigung der naheliegenden Schwierigkeiten, von Feinden mit großer Strenge und eigensüchtiger Petulanz gerügt worden; ich bin beiden dankbar und habe zu meiner Entschuldigung nur die ursprüngliche Bestimmung dieser Gedichte anzuführen sowie auch daß ich den plötzlichen Aufschwung einer neu-plattdeutschen Literatur bei dem Erscheinen meiner ersten Versuche nicht ahnen konnte.

Gewiß ist das allgemein ausgesprochene Verlangen nach einer durchgreifenden plattdeutschen Orthographie ein durchaus berechtigtes, aber wer nur zwei oder drei neuerschienene plattdeutsche literarische Erzeugnisse miteinander vergleichen will, wird die vorläufige Unmöglichkeit einer Vereinigung aller dieser divergierenden Dialekte in dem Brennpunkte einer Schreibart leicht einsehen. Mehr oder weniger hat bisher jeder plattdeutsche Schriftsteller uns in seiner Darstellung nur ein Bild seines engbegrenzten heimatlichen Idioms dargeboten, und wie verschieden diese einzelnen Dialekte [10] sind und sein müssen, wird man leicht einsehen, wenn man bedenkt, daß der plattdeutschen Sprache seit ungefähr zweihundert Jahren das gemeinsame Band einer Schriftsprache mangelt, daß in dieser Zeit die Pflege der Sprache nicht dem gebildeten Teile der Bevölkerung, sondern hauptsächlich der arbeitenden Klasse anvertraut war, wodurch allerdings wohl die Naturwüchsigkeit und Originalität erhalten, aber auch Regel- und Geschmacklosigkeit Tür und Tor geöffnet wurde.

Ohne auf Kosten anderer sc. eine offenbare Ungerechtigkeit zu begehen, kann man nun nicht annehmen, daß ein oder der andere niederdeutsche Volksstamm die Pflege der plattdeutschen Sprache mit besonderer Sorgfalt und hervorragendem Glücke geübt habe und daß die Eigentümlichkeiten und Vorzüge der Sprache in seinem Idiom vorzugsweise zur Anschauung kämen; jeder hat etwas und keiner hat alles. Es ist daher auch ein vergebliches Mühen, wenn ein plattdeutscher Schriftsteller sein Idiom als das vorzüglichere den übrigen Volksstämmen oktroyieren will, wenn er sich an seinen Schreibtisch setzt und aus seinen vielleicht höchst einseitigen Werken allgemeine Regeln für die Sprache aufstellt; mit einem peremtorischen »sic!« ist da nicht geholfen. Eine solche auf der Studierstube gemachte Sprache hat kein Fleisch und Blut, sie hat kein Leben; und könnte ihr dies künstlich eingeblasen werden und gäben die übrigen Idiome ihre Rechte einseitig auf, so wär's das größte Unglück für die Sprache, es wäre ein selbstmörderischer Akt zugunsten einer höchst zweifelhaften Autorität.

Mit der Verschiedenheit der Idiome hängt die Verschiedenheit der Schreibweise aufs engste zusammen; jeder Schriftsteller bemüht sich durch die vorhandenen Sprachzeichen, ja durch neuerfundene, dem Klange seines landschaftlichen Dialekts gerecht zu werden, und dadurch wird die geschriebene Sprache noch viel buntscheckiger und unverständlicher als selbst die gesprochene. Ich unterhalte mich mit Leichtigkeit mit einem Westfalen und Ostfriesen, die in jenen Gegenden geschriebenen Bücher aber bieten mir beim Lesen viel Schwie- [11] rigkeiten dar! Grammatiken und Lexika können diesem Übelstande nicht abhelfen, denn sie leiden ebenfalls an dem landschaftlichen Partikularismus, und das einzige Lexikon, welches auf alte und neue Sprache und alle Dialekte Rücksicht nimmt, das Kosegartensche, ist nicht fertig und wird nach seiner Vollendung den Lesern plattdeutscher Schriften wohl Aufschlüsse erteilen, nicht aber den Schriftstellern zu einer gemeinsamen Ausdrucksweise und Schreibart verhelfen können. Kurz! Uns geht es mit unserer neuen plattdeutschen Literatur wie unsern Stammverwandten, den Engländern und Amerikanern, mit ihrem unterseeischen elektrischen Kabel, das Band ist da, das Kabel spricht auch, aber wir sind zu weit auseinander, um an den Enden der Kette die Sprache zu verstehen; wir haben bei Legung des Kabels den Fehler gemacht, die natürlichen Einflüsse der sich kreuzenden und störenden Idiome nicht in Rechnung zu bringen.

Oder sollte glücklicherweise die Unverständlichkeit nur von einem Riß in der Kette herrühren? Dann wäre die Möglichkeit vorhanden, wenn auch nach manchem Umhersuchen, endlich den Riß zu finden, die Kette aufs neue zu knüpfen und ein Verständnis zu erzielen. Von beiden Ufern aus muß diese Untersuchung eingeleitet werden und mit großer Sorgfalt und ehrlichster Treue. Jeder plattdeutsche Schriftsteller muß von seinem heimischen Gestade Abschied nehmen, das große Sprachkabel sorgfältig verfolgen bis an jenen Riß und dort, so gut es geht, so gut er's versteht, anknüpfen. Der Riß wird leicht zu finden sein. Da, wo die plattdeutsche Sprache aufhörte, Schriftsprache zu sein, ist das Band zuerst gerissen, da muß vernünftigerweise zuerst wieder angeknüpft werden; da könnte man den Knoten schlagen, der alle Dialekte wieder zu einem Ganzen verbände.

Ich meine dies selbstverständlich nicht so, daß die plattdeutschen Schriftsteller mit einem Sprunge wohl oder übel in dem Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts fußen und einer entfernten Zeit die letzten Reste der altplattdeutschen Schriftsprache als allein richtig aufdringen sollen. – Das kann [12] mir nicht einfallen. Zwischen damals und jetzt liegt eine lange Zeit, und diese Zeit hat ihre Rechte, und wenn auch unsere Sprache als Schriftsprache geschlummert hat, so hat sie als gesprochene Sprache nach mannigfacher Richtung sich fortgebildet, wie dies ja gerade die Verschiedenheit der Dialekte beweist. Wir müssen daher nicht von dem Riß ausgehen, sondern von unsern heimatlichen Ufern aus dahin vorgehen, nicht übereilt, weil wir sonst zu rasch unsern nächsten Nachbarn aus den Augen kommen könnten, sondern allmählich; wir müssen das Unwesentliche über Bord werfen und das Zufällige der Aussprache dem Leser überlassen. Auf diese Weise bleibt jedem Dialekte das Tüchtige und Eigentümliche; aber wir werden uns nähern, weil wir auf konvergierender Fahrt ein Ziel im Auge haben, und werden leichter einer von dem andern das Tüchtige aufnehmen können. Es wird uns dies Opfer zugunsten der gemeinsamen Mutter auch nicht schwer werden können; wenigstens lange nicht so schwer als zugunsten einer höchstens gleichberechtigten Schwester.

Wenn sich einer meiner freundlichen Leser die Mühe nehmen und diese Ausgabe mit der vorigen vergleichen will, so wird er finden, daß ich in der obenerwähnten Weise fortgeschritten bin. Es ist dies ein Anfang in meinem Sinne, und noch viele Änderungen und Besserungen sind in die Zukunft verschoben; ich wollte allmählich vorschreiten, um meinen nächsten Nachbarn nicht aus den Augen zu kommen. Man wird mir mit Recht viele Inkonsequenzen vorwerfen können, die andern Dialekte werden mir unter anderem die Beibehaltung der Diphthongen »au« »eu« »ei«, die dem Mecklenburger eigentümlich sind, tadeln und werden sich wundern, daß ich selbige nicht als etwas Unwesentliches über Bord geworfen habe, und so gibt es hundert Dinge, mit welchen man sich nicht einverstanden erklären wird. Es schadet das vorläufig nicht; ich weiß, ich bin auf gutem Wege, denn ich liebe meine Sprache mehr als meinen Dialekt.

Daß die Veränderung der Orthographie und des Ausdrucks [13] in dieser Auflage in bedeutender Weise das Versmaß und den Reim alterieren und daher eine sehr durchgreifende Überarbeitung veranlassen mußte, liegt auf der Hand. Ich habe mich derselben mit Gewissenhaftigkeit unterzogen und würde mich freuen, wenn man einen Fortschritt in dieser Ausgabe erkennen könnte; eine größere Freude aber würde es für mich sein, wenn von seiten anderer plattdeutscher Schriftsteller ein ähnlicher Weg betreten würde, um mit der Zeit zu einem gemeinsamen Verständnis zu gelangen.

Neubrandenburg, den 9. Juli 1859


Fritz Reuter

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TextGrid Repository (2012). Reuter, Fritz. Gedichte. Läuschen un Rimels. Erste Folge. Vorrede zur Vierten Auflage. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8DD7-5