Rainer Maria Rilke
[Prosagedichte]

[1133] Die Auslage des Fischhändlers

(Neapel)


Auf leicht geneigter Marmorplatte liegen sie in Gruppen, manche auf dem feuchten Stein, mit ein wenig schwärzlichem Moos unterlegt, andre in von Nässe dunkelgewordenen flachen Spankörben. Silbern beschuppte, darunter einer, rund nach oben gebogen, wie ein Schwertarm in einem Wappen, so daß das Silber an ihm sich spannt und schimmert. Silbern beschuppte, die quer – über liegen, wie aus altem Silber, schwärzlich beschlagen, und drüber einer, der das Maul voran, zurückzukommen scheint, entsetzt, aus dem Haufen hinter ihm. Hat man erst einmal sein Maul gemerkt, so sieht man, da und da, noch eines, ein anderes, rasch hergewendet, klagend. (Was man »klagend« nennen möchte, entsteht wohl, weil hier die Stelle, von der Stimme ausgeht, sofort Stummheit bedeutet, ein Bild des ) Und nun sucht man, infolge einer Überlegung vielleicht, die Augen. Alle diese flachen, seitlich hingelegten, wie mit Uhrgläsern überdeckten Augen, an die die im Wasser schwimmenden Bilder herangetrieben sind, solange sie schauten. Nicht anders waren sie damals, ebenso blicklos gleichgültig: denn Blicke trüge das Wasser nicht. Ebenso seicht und untief, leer herausgewendet, wie Wagenlaternen bei Tag. Aber hingetragen durch Widerstand und Bewegung jener dichteren Welt, warfen sie, leicht und sicher, Zeichnung um Zeichnung, Wink und [1133] Wendung einwärts in ein uns unbekanntes Bewußtsein. Still und sicher trieben sie her, vor dem glatten Entschluß, ohne ihn zu verraten; still und sicher standen sie tagelang der Strömung entgegen, überzogen von ihr, von Schattenfluchten verdunkelt. Nun aber sind sie ausgelöst aus den langen Strähnen ihres Schauens, flach hingelegt, ohne daß es deshalb möglich wäre, in sie einzudringen. Die Pupille wie mit schwarzem Stoff bezogen, der Umkreis um sie aufgelegt, wie dünnstes Blattgold. Mit einem Schrecken, ähnlich dem, den man beim Beißen auf etwas Hartes erfährt, entdeckt man die Undurchdringlichkeit dieser Augen –, und plötzlich meint man, vor lauter Stein und Metall zu stehen, wie man über (den) Tisch hinsieht. Alles Gebogene ist hart anzusehen, und der Haufen stahlglänzender, pfriemenförmiger Fische liegt kalt und schwer wie ein Haufen Werkzeuge da, mit denen andere, die das Aussehn von Steinen haben, geschliffen worden sind. Denn da nebenan liegen sie: runde glatte Achate, von braunen, blassen und goldenen Adern durchzogen, Streifen von rötlich-weißem Marmor, Jadestücke von vorsichtig gewölbtem Schliff, teilweise bearbeitete Topase, Bergkristall mit Spitzen von Amethyst, Opale aus Quallen. Und eine ganz dünne Schicht verweilenden Wassers ist noch über ihnen allen und trennt sie von diesem Licht, in dem sie fremd sind, verschlossen, Behälter, die man vergebens zu öffnen versucht hat.

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TextGrid Repository (2012). Rilke, Rainer Maria. Dichtungen in Prosa. [Prosagedichte]. Die Auslage des Fischhändlers. Die Auslage des Fischhändlers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9436-3