[166] Klaggedicht

Wann Kunst und Wissenschaft, wann des Gemütes Gaben,
Damit für schlechtes Volk die hohen Geister traben,
Wann Scherz, wann kluge List, wann Witz aus Sterbens Not
Könt' helfen, ei, so wär mein Stapel noch nicht tot.
Ihn hatt' Apollo selbst zum Erben auserkoren,
Die Pallas nahm ihn auf, kaum wie er war geboren
Und in der Wiegen lag; sein Reichtum, Schatz und Zier
War zwar kein Geld noch Gold, nur Bücher und Papier. 1
Er liebte ja kein Geld, wie mancher, der sein Dichten
Auf das, was eitel heißt, nur einzig pflegt zu richten;
Auch fragt' er nichts nach Gunst, der Heuchler falschem Schein,
Sein Wunsch war, daß er könt' nur allen dienstlich sein.
Von seiner Kindheit an, auch durch sein ganzes Leben
Hat er sein Herz' und Sinn der Wissenschaft ergeben,
Und das mit rechtem Ernst, so war er ja genant,
Jedoch sein kluger Geist macht' ihn der Welt bekant.
Die weltberühmte Schul der theuren Gülpher Helden,
Die sol sein wertes Lob von langer Zeit vermelden,
Dich mein' ich, Helmenstätt; du hast ihn oft gehört,
Wann er dein wertes Volk mit Reden hat verehrt,
Mit Reden, da er könt' ein hartes Herz durch beugen.
Ihr hohen Stühl', ihr Tisch', euch ruf' ich all' zu Zeugen,
Ihr Seulen, die ihr in den schönen Zimmern steht,
Wo Phöbus und sein Volk oft auf und nieder geht;
Ihr wisset, wie er pflag mit Versen das zu preisen,
Was recht zu preisen war; er that euch allen weisen,
Daß zwar ein Hofemann gemachet werd', allein
Ein Singer und Poet müß' erst geboren sein.
Ich wil hier, was ich sonst noch rühmlich könt' erzählen
Von seinem großen Fleiß in Gottes Schrift, verhehlen.
Sein erstes Thun war Furcht des Herren Zebaoth,
Sein andres Ehr' und Zucht, das letzte Freud' in Gott.
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Mehr schreib ich nichts hievon. Was über dieß die Tugend
Der Lieb' und Treu' betrifft, auch wie er in der Jugend
Sein Leben und sein Thun auf Redlichkeit gewandt,
Das, mein' ich, ist mir auch zum guten Theil bekant.
Sein Wissen war nicht schlecht, sein Lernen und sein Lehren
Ist vielen wol bewust; dieß kan sein Lob vermehren,
Daß Rostock, weil es ihn herzgründlich lieben that,
Ein Zeugnis seiner Kunst ihm gern ertheilet hat.
Was soll ich von der Lust, die er stets pflag zu tragen 2
Zu mancherlei Gedicht' und Freudenspielen sagen?
Da war er Meister inn'; er hats dahin gebracht,
Daß nun so mancher Geist auf Schauspiel ist bedacht.
Ist Varro gleich berühmt, ist er gleich Prinz gewesen,
Der Dichter seiner Zeit, solt' er die Spiele lesen,
Die Stapel auf dem Platz hat ehmals vorgestellt,
Er würde sich vor Scham hinschwingen aus der Welt
Nach Proserpinen zu. Was? Plautus muß ihm weichen,
Der kluge Seneca, Euripides desgleichen,
Und solcher Helden mehr, die schon vor langer Zeit
Erworben hier ein Lob der Kunst und Zierlichkeit.
Man pflegt es ja noch oft, o Bruder, zu erzählen,
Wie du dem Fried' und Krieg begüntest zu befehlen
Zu kommen auf die Bühn'; es war ein schön Gedicht,
Das mancher sah und doch den Sinn vermerkte nicht.
Die Götter musten hie der Teutschen Laster strafen
Und, wann die Buß' erfolgt', ein ruhigs Leben schaffen,
Der Spanier und Franzos', auch noch ein' andre Rott'
Aus Teutsch- und Engelland, die wurden dir zum Spott.
Bald must' im andern Spiel Germanien auch kommen, 3
Die hatte den Gebrauch der Alten angenommen;
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Draus ward die neue Pracht, der Fremden Eitelkeit
Ihr' eigen schier, und das in einer kurzen Zeit,
Bis sie durch Gottes Rach kam in den Bettlerorden,
In welchem sie so gar ist ausgemergelt worden,
Daß auch, wie sehr man sucht, ihr glänzend Angesicht,
Auch Scepter, Schwert und Kron nunmehr kan finden nicht.
In diesen und noch viel mehr andren schönen Sachen
Da kontest du, o Freund, die Eitelkeit verlachen
Der jetzt betrübten Zeit; du kontest ohne Scheu
Erweisen, daß die Welt ein rechtes Tollhaus sei.
O wie so manchen Tag bin ich bei dir gestanden
In solcher schweren Lust! Die Werke sind fürhanden,
Die klare Zeugen sein, daß ich die Müh' und Zeit
Mit dir getheilet hab' in höchster Freundlichkeit.
Dein Geist der war geneigt was Frölichs zu beschreiben,
Und meiner wolte stets bei Traurgedichten bleiben:
Herodes, Wallenstein und Gustav waren mein, 4
Der Teutschen Fried' und Krieg und noch mehr andre dein.
Nun, dieß war unser Lust, der Wollust stets zu spotten,
Die Laster, könt' es sein, durch Spielen auszurotten.
Der Wille war doch gut, denn rühmlich ist der Mann,
Der oftmals lachend auch die Wahrheit sagen kan.
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Dieß alles ist vorbei. Nun hast du mich verlassen,
Mich, der ich alles das gezwungen bin zu hassen,
Was Welt und Leben heißt. Du bist im Freudensal,
Du sitzest in der Ruh, und ich in steter Qual.
Wie der ist sonder Pein, der bei den Englen lebet,
So ist der voller Angst, der lang' auf Erden schwebet.
Wie oft gedenk' ich der dreifachen Angst und Not:
Geboren sein, drauf folgt viel Unglück, denn der Tod.
Geboren bin ich ja; das andre lern' ich schmecken
(Ich meine dich, o Kreuz); das dritte wird mich strecken
Zuletzt ins finstre Grab; mir ist nur eins bedacht;
Du hast sie alle drei durch Gott zum Ende bracht.
Nun freue dich in Gott, du edle Seel', dort oben,
Die du nicht fürchten darfst der tollen Feinde Toben,
Das uns noch täglich plagt ohn' alle Maß' und Ziel;
Wir leben hier im Streit, und du im Freudenspiel.
Ich weiß, mein Freund, ich weiß, du kanst der Sorgen lachen,
Die uns dieß Leben hie so sehr beschwerlich machen,
Da unser Wissen ist ein rechter Kindertand;
Die wahre Klugheit schwebt im rechten Vaterland'.
O selig, edle Seel', Gesell der Gottes Kinder,
O sorgenloser Geist, o Satans Ueberwinder,
Sei tausendmal gegrüßt! Wol mir, wann ich die Welt
Gesegnet hab' und dir alsdenn bin zugesellt.

Fußnoten

1 »Klaag-Gedichte Uber gar zu frühzeitiges Absterben Herren Ernst Stapelen, seines sehr geliebten Schwagers und höchst vertrauten Freundes, welcher den 13. Tag Octobris deß 1635. Jahres diese Welt seliglich verlassen.«

2 Lust: »Die sonderbare große Zuneigung, die Stapel durch sein ganzes Leben zu sinnreichen Schauspielen, als Comödien und Tragädien, hat getragen, in welchen Erfindungen er denn auch für vielen andern sehr glücklich gewesen, wie solches seine nachgelassene Werke genugsam bezeugen.« Rist. – 53 Man pflegt: »Mit diesen Worten wird gesehen auf des seligen Stapelii Irenaromachiam oder Tragico-Comaediam, der Friede und Krieg genant, welches sinnreiches und nachdenkliches Gedichte wir im Jahr 1630 auf öffentlicher Bühne haben vorgestellet, worauf es auch kurz hernach durch den Druck jederman gemein ist gemachet worden.« Rist. Das Stück erschien (Hamburg) 1636. Vgl. Goedeke's »Grundriß«.

3 Germanien. »Diese Germania war auch zum Theil seiner Comödien eine, in welcher wichtige und vortreffliche Sachen begriffen, als da Teutschland (welches unter der Gestalt einer ansehnlichen, ja königlichen Frauen wird vorgebildet) anfänglich in ihrer alten und ehrbaren Tracht, bald hernach in ausländischer sehr üppiger Kleidunge, zu allerletzt aber (nachdem sie von fremden Völkern, als Spaniern, Franzosen und andren mehr, schändlich betrogen worden) in sehr elender Gestalt und zerrissenen Bettlerslumpen hervortritt, ihr Unglück beklaget und endlich den allerhöhesten Gott mit einem demütigen Fußfall um Gnade und Verzeihung thut anrufen. Wie denn diese Tragödia auch also öffentlich ist gespielet, nunmehr aber nach Stapelii Absterben wegen unverhoffter Verwechselung der Zeiten fast gar geändert und umgekehret, auch an vielen Orten vermehret worden, dürfte vielleicht mit dem ehisten dem begierigen Liebhaber der Poetischen Gedichte durch den Druck übergeben und mitgetheilet werden.« Rist. Das ist nicht geschehen, wenn nicht Rist's »Friedewünschendes Teutschland« Stapel's Arbeit enthält. Später nahm Rist auch die Irenarom. für sich in Anspruch.

4 Herodes &. »Diese sind alle ganz neue und erst vor weniger Zeit erfundene und ausgearbeitete Tragädien, zu welchen noch gehören meine Polymachia, Irenochorus, Berosiana, Begamina und andre mehr, deren aber gleichwol keine (außer dem Herodes, als welche unter allen die ältiste) auf die öffentliche Bühne gebracht worden. Von meinen studentischenPerseus, Guiscardus und anderen mehr desselben Schlages, weil sie nicht unter diese Zahl gehören, schreibe ich hinfüro nichts. Die obgedachten aber könten vielleicht (alldieweil fast alles, was sich sowohl in geistlichen als weltlichen und Kriegssachen von Anno 1618 bis auf dieses gegenwärtige 1637. Jahr in Europa hat begeben und zugetragen, Poetischer und versteckter Weise in denselben wird vorgestellet) nach Gelegenheit der Zeit gemein gemachet und hervorgegeben werden.« Rist. Von den genannten Stücken scheint keins gedruckt zu sein.

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TextGrid Repository (2012). Rist, Johann. Gedichte. Weltliche Gedichte. Klaggedicht. Klaggedicht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9A5C-1