[66] Waldgesichte

Den Waldweg abwärts, von den Felsenstufen
In Sprüngen, tollkühn über Steinkolosse,
Kam's mit Gelächter, Jauchzen und mit Rufen.
Die junge Schaar, wie ungezähmte Rosse,
Gab sich, am Sommertag kathederflüchtig,
Mit Lust der halsgefährlich wilden Posse.
Zum Wagniß auf einander eifersüchtig,
Mit Schwung und Kraft, erwiesen Bein' und Glieder,
Vom Glück begünstigt, sich doch heil und tüchtig.
Und als vom tollen Weg die letzten nieder
Getobt, sucht man mit ungeheurem Lachen
Zu ordnen das verschobene Gefieder.
Und in des Jubels festlichem Erwachen
Nach Epheuranken greift ein blonder Springer,
Mit einem Kranz sein Hütlein schön zu machen.
Mit Epheuranken bald sind alle Finger
Geschäftig, und mit Kränzen ist phantastisch
Man auch gestimmt zum Ruf der Thyrsusschwinger.
In Tönen, gleich verwegen als elastisch,
Evoë Bacchos! schallt's aus Kehl' und Lippen,
Und neues Wagen hebt sich an gymnastisch.
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Ein Felsenblock, mit Moos und Wurzelrippen
Des Buchenstamms bedeckt, der drüber thronte,
Ward ausersehn, zum Trotz der steilen Klippen.
Hinauf! Als ob ein Königreich es lohnte,
Begiebt ein Klettern sich, ein Rutschen, Ringen,
Das weder Kraft noch Sommerkleider schonte.
Genommen wird der Posten. Und mit Singen,
Noch halb des Athems bar, muß in die Runde
Der Siegestanz noch um den Baum gelingen.
Evoë! gellt's hinab zum Thalesgrunde,
Und Sonnenstrahlen durch der Wipfel Lichtung
Schau'n lachend nieder auf das Fest der Stunde.
Dann schwindet von der Höh' in andrer Richtung
Die Schaar, das Evoë verklingt, gestaltet
Zum Juvivallera moderner Dichtung. –
Der aber achtsam, und noch unerkaltet
Für solchen Waldesspuk, ihn angesehen,
Der Mann sah mehr noch seinem Sinn entfaltet.
Vom Boden hob er im Vorübergehen
Der Epheuranken eine, die, zum Kranze
Gefügt, verloren lief im Windeswehen.
Du hast gedient, so dacht' er, bei dem Tanze
Der wilden Kraft heut, wie ein paar Jahrtausend
Zuvor schon die Geschlechter deiner Pflanze!
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Sein Haupt mit deinem starken Laub umkrausend
Erschien Lyäus selbst, kam übermüthig
Der Faunen Schaar aus ihren Wäldern brausend!
Der seiner Reben Nektar heißgeblütig
Der Freude gab, schuf in des Epheus Dauer
Unwelkbarkeit der Lebenskränze gütig.
So nahm die Kunst ihn, ließ des Marmors Mauer,
Ließ Jubelrythmen herrlich sich beleben,
Gestaltenreich dem Hörer und Beschauer.
Mänadentänze, Satyr, Faun, umgeben
Den Pantherwagen, drauf, den Tag versöhnend,
Genuß und Jugend schützt der Gott der Reben.
Die Kunst nur war's, die, jede Form verschönend,
Das Lockenhaupt noch mit dem Kranze schmückte,
Zur Anmuth auch das Wildeste gewöhnend.
Was einst der Kunst in jenem Alter glückte,
Verschwand in Trümmern grausiger Zerstörung,
Als neue Völkerfluth die Welt zerstückte.
Ein Bann lag über jedes Glücks Bethörung.
Von allen Kränzen war die Dornenkrone
Der einz'ge für des armen Staubs Empörung.
So schwand die Zeit, vergessend die entfloh'ne.
Doch was in Wäldern grünte, nichts vermochten
Die Heil'gen drauf mit Bann und Lebenshohne.
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Da trieb um Fels und Stamm unangefochten
Jahrtausendlang der Epheu sein Geranke,
Wenn auch von keiner Hand zum Kranz geflochten.
Doch auch die Menschheit überwuchs die Schranke
Befangner Dumpfheit, und ein spät Erinnern
Gemahnt sie, was sie alter Zeit verdanke.
Der Spaten klang, dem Gruft- und Staubesinnern
Entstieg bekränzt Lyäus neu geboren,
Ein Schatz bereits den kundigen Gewinnern.
Sein Abbild nur; und doch zu allen Thoren
Zog wieder ein die Meng', an seinem Lichte
Sich sonnend, dessen Strahl noch unverloren.
Im Freudenkranz, mit hellem Angesichte,
Begriff die Kunst, des Lebens Recht zu achten,
Statt der Entsagung lastende Gewichte.
Seit jener Wiederkehr verging mitsachten
So manch Geschlecht, und es erscholl die Klage,
Daß nur ihr Bild die Götter uns vermachten;
Daß nirgends mehr für sie ein Tempel rage,
Daß ihre Macht verging, und wir beschämlich
Um Trümmer säßen ihrer Kunst und Sage.
Ich dächte doch – so dachte jener nämlich,
Der Mann mit dem gefund'nen Epheukranze,
Man hieß' es gut, und denke minder grämlich!
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Gesetzt, es käme mir im Faunentanze
Lyäus auf dem Wagen hier entgegen,
Mänaden, Satyrn, Panther, kurz das Ganze:
Die Bestien zwar gezähmt – nun meinetwegen!
Allein das Satyrnvolk, die nackten Weiber –
Wer weiß auch, ob so groß der Augensegen!
Die Künstler waren meistens Uebertreiber,
Und ob in Wahrheit sie nicht viel verlieren,
In Formen und in Schwingungen der Leiber?
Es sei dahingestellt! So beim Spazieren
Im Wald wär's überhaupt ein Abenteuer
Zu billigen kaum, geschweige zu probiren.
Ihr Epheuranken, viel doch blieb noch euer
Zum Dienst der Freude, trotz des Pantherwagens
Verlust, und mancher schönen Ungeheuer!
Die Kränze, die man heut geflochten, sagen's!
Und auch von Satyrspuk sind noch die Köpfe
Der Jugend voll, und lärmenden Behagens.
Für Meißel, Pinsel und für Farbentöpfe
Zieht man die alten vor, doch auch erquicklich
Fand heut ich die modernen Waldgeschöpfe.
Im Wald ist manche wilde Thorheit schicklich,
Die man verpönt in unsern dumpfen Stuben,
Und schön die Kraft, die aufschnellt augenblicklich.
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Den Vorwurf, daß das Beste wir begruben
Der Lebenskräfte, den belehrten heute
Des Bessern die bekränzten wilden Buben.
So lang dem Boden, der auch dich erneute,
Du Epheuranke, deutsche Bäum' entsprossen,
Wird freudge Kraft nicht der Vernichtung Beute!
Wer mürrisch hadert, treibt die schlimmsten Possen.

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TextGrid Repository (2012). Roquette, Otto. Waldgesichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9E26-C