Ludwig Rubiner
Untertan
[Zur Reaktion auf Heinrich Manns Roman]

[192] I

Etwas unsagbar Abstoßendes, etwas peinigend Ekelhaftes ist geschehen: Ein Münchener Flugblatt für Aristokratie belehrt uns über das, was Kunst sei ... Wen? Heinrich Mann. Mehr: es benörgelt das Menschentum, wie Heinrich Mann als Person es darstellt. Es betalpst die letzten, die zartesten Wesenszüge des Dichters, es lärmt vordringlich und öde: »Hinter aller Fülle des Zusammenhangs fließt doch nur die unendliche Melodie des Nichtfertigwerdens mit sich selber, genau so wie im 'Untertan' die Ohnmacht gegen die Welt regiert ... Wer über den Sklaven nicht hinwegsehen kann, wer sich von ihm beherrscht fühlt, wer selber Untertan ist, kann ihn nicht darstellen. Was ihm zunächst sitzt, zeichnet er unnatürlich groß, das ferne Höhere sieht er nicht aus seiner Froschperspektive, der Sklave verzerrt sich ihm zum großen Gegenstand seines Hasses. Ein anderer Blick bemerkt ihn vielleicht einmal im Vorbeigehen.«

Was mein Blick (im Vorbeigehen) bemerkt, ist der patzige Dünkel eines »teutschen« Renommier-Kraftnauken, der den Herostraten ohne den Schimmer innerer Erwähltheit machen will, ohne den Schimmer eines Antriebs, der aus enttäuschtem Leben und einem Schmerz über die Unzulänglichkeit des Meisters zur ihm selbst bitteren Tat der Zerstörung schreiten muß. Was mein Blick bemerkt (im Vorbeigehen), ist das viereckige, verrammelte, stiere Gehirn der deutschen Dutzend-Ungeistigkeit, an der sich wund zu leiden in unserem Volke seit je das Schicksal der Auserwählten ist. Was mein Blick bemerkt, ist eine so plumpe, hausbackene, ungelüftete Auffassung der Komplexe: Kunst – Leben, eine so leichtfertige, zuchtlose Verwechslung und Durcheinanderschüttung dieser beiden Begriffe, daß es einem die Scham ins Gesicht treibt darüber, wie ganz vergeblich also alles war, was Goethe, was Nietzsche über den wunderbaren Kontrast, über die aufreibend, zur Schöpfung drängende Gegnerschaft zwischen Kunst und [192] Leben in den Verstand der Allgemeinheit einzuführen sich mühten. Was mein Blick bemerkt, ist der einfältige Standpunkt des lesenden Durchschnitts, der die Kunstwerke auf Ähnlichkeiten mit dem äußeren Leben prüft, der den Witz »vom Feldwebel, dem seine Einjährigen ein gemietes Klavier schenken«, weil schon andere Schriftsteller ihn schwankhaft benutzten, dem Dichter Heinrich Mann als Fahrlässigkeit, als (nicht beabsichtigten!) Ungeschmack, als dünne Langweiligkeit ankreidet. Was mein Blick bemerkt, ist dieses dumpfe Besserwissenwollen, von dem wir ein aufdringlichstes Beispiel kürzlich erst durch den Hamburger Bakelschwinger Otto Ernst erfuhren. Was mein Blick bemerkt, ist die Ungelenkigkeit in psychologicis, das Auftrumpfen mit Grundsätzen, die plumpe Armut des Undämonischen, kurz, die ungeschliffenste Form von Mensch, mit dem auszukommen oder gar sich zu verständigen unmöglich ist, ja, für uns schon als Versuch ein Sündenfall und unverzeihlicher Verrat am Geiste wäre.

Friedrich Markus Huebner

II

Im Gegenteil: Der Herr von den »Allgemeinen Flugblättern« hat recht. Allgemeine Flugblätter? Zeitschrift. Hinten drauf steht: »Wir wollen deutsch und scharf sein.« Vorn gibt es Proben von deutsch und scharf: Aus dem Atlilied. Wahrhaftig aus dem At-li-Lied. (Denn noch deutscher als germanisch ist germanistisch.)


»Atli sandte einst zu Gunnar
Einen kundigen Reitersmann, Knefröd geheißen.
Zur Grenze kam er der Gibiche und zu Gunnars Halle,
Zu den herdumgreifenden Bänken und zum Biere, dem süßen.«

Na ja. Ein anderer von den Tatütataa-Leuten sagt, Picasso ist ... Mist, weil ... Dazu am Bierhimmel der Atliliedersänger ein speckiger Holzschnitt für Haus und Reise. Also Ahnungslose. Aber ist dieser Dümmling nicht mit Recht betroffen? Heinrich Manns Roman hat nichts mit Kunst zu schaffen. Dafür muß jeder, der ein Herz hat, Herrn Heinrich Mann danken. Mann war in der »Jagd nach Liebe« der größte Techniker von Deutschland; dafür innere UnSicherheit,[193] Menschenkenntnis mit Naturromantik. Überall wurden ihm junge Herren, die das Knie ihrer Geliebten in Florentiner Hügeln sahen, nachgeschrieben.

Aber dieser »Untertan« ist nicht mehr für sich selbst da. Er ist eine Stimme. Stimme der Empörung. Daß er nicht die des Aufstandes ist, ist unsere Schuld. Warum halten wir nicht Deutschlands Wut auf solcher Hitze, daß Gemäßigtes gar nicht möglich wäre!

Wir müssen Heinrich Mann danken. Dafür, daß er sich nicht mehr um Kunst kümmert, sondern um Großes, Übergeordnetes: Geistiges, um Politisches. Um den Willen: Hinter ihm steht heute unser aller Drang nach Änderung. Umsturz. (Oh, wär er nur noch utopischer; noch verlachbarer; noch verzweifelter!) Hat denn ein Mensch, der in Deutschland die Feder eintunkt, einer, den alle sehen, diesen Mut? Schmutzige Partikularisten!

Umsturz! Absicht in diesem Buch. Ziel! Wer wagt das sonst bei uns!

Die Herren Deutschen sind lumpenhafte Erfolgsfeiglinge. Sie haben Angst, nicht gelesen zu werden, kein Jeld zu kriegen. Der Willen über einem Werk schädige die Kunst. (Kunst bringt Zinsen.) Alter Beweis die Nazarener; Gutzkow. Sollt es nicht daran liegen, daß diese Unerträglichen nicht – ja, deutlich – nicht radikal genug waren; nicht genug gewollt haben; den Geist noch durch Kunst trübten?

In Frankreich, der berühmte Herr Anatole France, präsidiert Arbeiterversammlungen und schreibt darnach neckische Bücher. Da habt ihr eure Kunst. Das ist ja Hermann Bahr: Gott als Anregung zur Produktion. Wie herrlich, wie ruhmvoll, nein, wie anständig ist dieser Deutsche Heinrich Mann: ein öffentliches Leben dazu da, um Aufreizendes zu verbreiten. Eine Schrift, nicht der Unzufriedenheit, sondern der Deutlichkeit. Ein Buch, wirkend, daß die Bourgeoisie, die es lesen muß, sich selbst ins Gesicht kotzt.

In dem Lande Rußland ist ein Dichter ein Prophet. In Italien ein Führer, in England ein Aufrüttler, in Frankreich ein Parteimann. In Deutschland ein Dreck. Mit Recht:


[194]
Ich bin ein Dichter und dichte.
Doch einmal kommt der Tag,
Wo ich euch alle vernichte
In meinem eignen Verlag.

In Deutschland weiß man alles mögliche vom Dichter. Am ehesten, mit wem er in Krach liegt und wieviel er verdient.

Eins weiß man bei uns nicht: daß er eine aktive Wirkung ausüben kann. (Wenn sich nach dem Werther die Leute totschießen, so ist das Buch gut; wenn sie auf andere schießen, besser.) Heinrich Mann, zu fällig, kann das. Früher gingen Nebenwirkungen von ihm aus, zur Radikalisierung; junge Herren, hoffnungslos frisiert nach Claude Marehn, waren zwar Mißverständnisse, aber zersetzend. Jetzt, unter dem unverpackten, von draußen drängenden politischen Willen des »Untertans« werden in Deutschland viele tausend ahnungslose Frauen und Männer politisches Blut eingespritzt bekommen. Ach, zunächst wird die Wirkung noch sehr zweideutig sein; Organisation, Partei, Parlament. (Jüdisch-sozialdemokratische Reserveoffiziere.) Man wählt. Statt hundertelf Stimmen im Reichstag hundertundfünfzehn. Also wie ist das mit Frankreich? Wo der berühmte Herr Anatole France offen sagt: Ich bin stolz, Aufrührer zu sein; und darnach neckische Bücher schreibt.

Besser Bücher, die stolz darauf sind, Aufrührer zu sein. Wir müssen Heinrich Mann für den »Untertan« danken. So lange, bis er einen »Roman« schreibt, der selbst Aufrührer ist. Wonach, als Wirkung des Buches, nicht mehr gewählt, sondern getan wird. »Kunst« kann nie diese Wirkung haben, nur der Geist. Dann wird auch unser Dank für den (vorhergehenden) »Untertan« ganz überflüssig sein. Dann wird nämlich Heinrich Mann im Gefängnis sitzen, und seine Leser wissen, daß sie vorstoßen müssen.

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TextGrid Repository (2012). Rubiner, Ludwig. Schriften. Untertan. Untertan. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9EE9-3