2.

Sind dir Flügel nicht verliehn,
Mir ins Ferne nachzuziehn?
Sind doch Flügel mir gegeben,
Dich aus Fernen zu umschweben.
Denke, daß mein Dichtergeist
Ungesehn dich hier umkreist,
Dir in diese stillen Räume
Führend Scharen holder Träume!
Wenn dich grüßt ein Sonnenstrahl
Oder eine Blum' im Thal,
Denke – daß es dich erquicke –
Daß der Freund den Gruß dir schicke!
Wenn es in den Lauben rauscht,
Wo der Freund dir einst gelauscht,
Denke – daß es dich berausche –
Denke, daß ich noch dir lausche!
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An den Stellen lieb und traut,
Wo ins Aug' ich dir geschaut,
Wo du mir ins Auge schautest
Und mir ganz dein Herz vertrautest;
Wo der Freund nicht bei dir sitzt,
Sitzt sein Angedenken itzt.
Laß es nicht auf Dornenspitzen,
Sondern weich auf Rosen sitzen!
Wenn du denkest, daß im Raum
Blüht um mich dein Liebestraum,
Wenn du denkest, daß aufs neue
Ich durch dich der Welt mich freue;
O so wirst du auch dich scheun,
Anders als dich mein zu freun;
Heiter unter Blütenbäumen
Wirst von deinem Dichter träumen.

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TextGrid Repository (2012). Rückert, Friedrich. 2. [Sind dir Flügel nicht verliehn]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-A4E6-0