[114] Der Trauermantel

Ausgebreitet die ernste Flügelpracht,
Nahst du, schwermüthig schöner Falter,
Wie im Traum den Blumen,
Die, aufleuchtend in duftiger Farbengluth,
Des Sommers letzte Tage schmücken
Und des Gartens schwindendes Grün.
Langsam wiegst du dich
In sonniger Luft
Von Kelch zu Kelch –
Aber auf keinen
Senkst du dich nieder.
Ist es doch,
Als scheutest du die bunt'ren Genossen,
Die hier und dort sich festgesogen
Und, versunken in des Genießens Wonne,
Deiner nicht achten.
Einmal noch
Umkreisest du das weite Beet –
Dann, hohen Schwungs,
Entflatterst du in's nahe Dickicht,
Wo Fichtenzweige
Hellstämmige Birken umdüstern.
[115]
Sinnend blick' ich dir nach,
Du dunkel Geflügelter!
Ach, wie so ganz
Gleicht meine Seele dir,
Die in sanfter Schwermuth,
Tief verlangend und doch entsagungsvoll,
Ueber des Lebens
Holden Verheißungen schwebt –
Um immer wieder
Zurückzuflüchten
In einsame Schatten.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Saar, Ferdinand von. Der Trauermantel. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AE50-1