[162] High-life

Sie war ein Weib in vollster Lebensblüthe;
Nicht ohne Launen ganz und ohne Schwächen –
Im Inn'ren aber war sie laut're Güte.
Sie haßte Redeprunk und Silbenstechen;
Stumm saß sie meist mit sinnenden Geberden,
Nur ihre dunklen Augen ließ sie sprechen.
Versagt geblieben war ihr nichts auf Erden –
Doch in Erfüllung konnte nie ermatten
Ihr Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden.
Nicht zu den Klugen zählte sie und Satten;
Ich ahnte wohl – doch mocht' ich's nie erfahren,
Warum sie treulos ward dem jungen Gatten.
Ich weiß nur, daß mit stillem Offenbaren
Ihr Mund mich küßte, wie im Widerstreiten –
Und daß wir Beide fortan glücklich waren.
[163]
O gold'ne Zeit verschwiegner Seligkeiten,
Die du so reich mir damals angebrochen –
Laß deinen Wiederschein mein Herz durchgleiten!
O holde Tage, o verträumte Wochen
Auf hohem Schloß, in freien Sommerfluren –
Im Bann der Stadt auch und in ihren Jochen!
Da schritten wir vereint auf Rosenspuren,
Da saßen wir genüber uns im Wagen,
Wenn wir zum Wald – wenn wir zur Oper fuhren!
O sel'ges Glück, den weichen Shawl zu tragen –
Dicht hinter sie in Logen mich zu schmiegen
Und einen Kuß auf weiße Schultern wagen.
Und dann in hohen Freuden sich zu wiegen,
Wie sie nur bieten kann verbot'nes Minnen,
Im Tanz vereint, den weiten Saal durchfliegen!
Da lernten wir den Augenblick gewinnen
Und – konnt' uns doch der nächste schon gefährden!
Im Augenblick Unmögliches ersinnen.
Vorbei! Vorbei! Ein Ende mußte werden,
Und bin ich auch nicht ungestraft geblieben –
Denn welche Schuld entränne hier auf Erden:
So wußt' ich doch, was leben heißt und lieben!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Saar, Ferdinand von. Gedichte. Gedichte. Zweites Buch. Aus dem Tagebuch der Liebe. High-life. High-life. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AECB-2