Hans Sachs
Spruchgedichte
(Auswahl)


[3] Historia

Ein kläglich geschichte von zweien liebhabenden, der erwört Lorenz.


In Cento Novella ich las,
wie das ein reicher kaufman sas
in Italia, dem Welschlant,
Missina war die stat genant;
derselbig het erzogen schon
drei sün, höflich und wolgeton,
und auch ein tochter minniklich,
schön, wol erzogen, adelich,
die war Lisabeta genant,
in zucht und tugent weit erkant,
derhalb manch jüngling umb sie warb.
da nun der alte kaufman starb,
darnach an einem abent spat
die drei brüder hetten ein rat,
sie wolten bei einander bleiben
und iren handel wider treiben
in aller maß gleich wie vorhin,
auf gleichen verlust und gewin;
das war der schwester wol zu mut.
die drei gewunnen großes gut,
all ir handel gieng glücklich recht.
sie hetten ein getreuen knecht,
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derselb war Lorenzo genant,
war geboren aus deutschem lant;
derselbig trib in iren handel.
er was schön, jung, gerad, an wandel;
demselben wart sein herz verwunt
in strenger lieb in kurzer stunt
gegen der junkfrauen, ich sag;
bei ir sein herz war nacht und tag,
und kunt das nit von ir ablenken;
er tet vil tiefer seufzer senken
und het ganz weder ru noch rast.
nun was die junkfrau gleich so fast
gen im in strenger lieb versert,
ir lieb von tag zu tag sich mert;
allein tetens ir herz erquicken,
mit vil freuntlichen augenblicken
teilt eins dem andern heimlich mit;
doch west eins von dem andern nit,
biß doch eins dem andern bekennet,
wie es in strenger liebe brennet.
nach dem lebtens in freud und wunnen,
als oft in das gelück was gunnen;
doch ist es war, wie man oft spricht,
die lieb laß sich verbergen nicht.
sie tribens kaum ein vierteil jar,
da namens ire brüder war;
der ein sprach: die sach stet nicht recht,
mich dunkt warlich, wie unser knecht
bul Lisabeta, unser schwester,
ich hab es wol gemerket gester;
darumb so folget meinem rat,
so wil ich heint zu abent spat
mich legn heimlich under ir bet;
ists sach, daß der knecht zu ir get,
sein lon er darumb nemen sol.
der rat gefiel in allen wol.
da nun der tag mit schein abwich,
der bruder in ir kamer schlich
und kroch under die betstat ein;
nach dem kam Lisabeta fein
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und legt sich an ir bet mit nam.
nach dem Lorenzo zu ir kam,
waren ganz frölich aller ding;
frü der knecht wider von ir gieng.
nach dem Lisabeta aufstunt,
ir bruder herfür kriechen gunt,
kam zu sein brüdern auf den sal
und sagt in den großen unfal
und sprach: ach wafen über wafen,
der knecht hat unfer schwester bschlafen!
darumb muß er laßen das leben.
ein guten rat wil ich euch geben,
wir drei wöllen in walt spaziern,
so muß der knecht mit uns passiern,
da wöll wir dise schmachheit rechen.
nach dem frümal teten sie sprechen:
wir wölln spazieren in den walt,
wolauf, Lorenz, ge mit uns balt,
Lisabeta, du bleib zu haus!
mit dem all drei sie giengen aus.
Lorenzo gieng sein herren nach,
nach Lisabeta er umsach,
wan er sach ir fort nimmer mer.
mit im eilten sie also ser
hin in den finstern walt grausam.
da sprach der eltst bruder mit nam:
Lorenzo, du untreuer knecht,
du hast uns unser schwester gschmecht,
darumb so must du sterben hie.
der knecht fiel nider auf sein knie
und bat, daß man in leben ließ.
der ein sein schwert durch in ausstieß,
hieb im darnach vil wunden tief.
Lorenzo gar kläglichen rief:
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Maria, kom zu meinem ent
und für mein sel aus dem ellent!
mit dem er seinen geist aufgab.
die drei machten im balt ein grab
und den zerhauten leib eingruben
und sich balt aus dem walde huben,
funden ir schwester in dem haus.
sie fragt: ist Lorenz bliben daus?
der ein sprach: nach im darfst nit fragen:
er hat uns gar vil guts abtragen,
ist darmit heimlich weg gezogen.
sie sprach: ich hoff, das sei erlogen.
der bruder sprach: ei, laß darvon,
e dir auch wirt darumb dein lon.
von der red wart ir herz gar schwer,
gieng in ir kamer, weinet ser,
ruft mit weinender stimm ellenz:
o du mein herzlieber Lorenz,
wie magst du sein so lang von mir?
solch klag fürt sie ein monat schir.
eins nachts tet sie lang klagn und weinen;
da sie entschlief, wart ir erscheinen
in eim gesicht traurig unmutig,
erblichen, tötlich und ganz blutig
Lorenzo, den sie sichtlich sach,
der gar seufzent da zu ir sprach:
ach we uns, ach und immer we!
Lisabet, du sihst mich nit me,
du darfst auch nit mer nach mir fragen;
dein brüder haben mich erschlagen
mortlich, heut ist der dreißigst morgen;
mein leib leit in dem walt verborgen,
begraben unter einer linden,
mit meim blut ist besprengt die rinden,
darumb darfst du nit rufen mir,
wan ich kum nimmer mer zu dir,
du merest mir dardurch mein leiden.
gesegn dich got, ich muß mich scheiden.
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mit dem der geist also verschwant;
Lisabet erwachet zu hant,
stunt auf und war gar schwach und mat.
gar freuntlich sie ir brüder bat,
soltens in garten lan spazieren,
mit ir nam sie ir treue dieren,
die all ir heimlichkeit wol west,
die ir auch riet allmal das best.
sie giengen hin in schneller eil
in den walt auf ein welsche meil,
suchten, biß das sie wurden finden
ein große, ausgebreite linden,
die war besprenget mit seim blut.
da das sach Lisabeta gut,
da sank sie nider zu der ert,
ir herz in onmacht wart versert;
ir meit tet sie trösten und laben.
nach dem sie da gesehen haben
neugrabne ert, da grubens ein;
da funt Lisabeta allein
Lorenzo, iren höchsten hort,
der lag ellendiklich ermort.
sie sank darnider zu den stunden
und kusset im sein tiefe wunden,
die waren all von blut noch rot;
da rufet sie: o grimmer tot,
kom und beschleuß meins lebens ent
sie rauft ir har und wunt ir hent.
nach dem das arm betrübte weib
das haupt löset von seinem leib,
dasselb sie mit ir heimwerts trug.
het sie den ganzen leib mit fug
mit ir künden bringen darvon,
warlich, sie het es geren ton.
den andern leib sie beid eingruben
und sich heimwerts gen hause huben;
da sie beschloß ir kamertür
und zog das tote haupt herfür
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und tet da all ir klag verneuen
und weinet so in ganzen treuen
und kust das tot haupt zu der stunt
wol tausentmal an seinen munt,
balsamiert das für al gebruch,
wunt das in ein grün seiden tuch,
druckt das an ir brust wunnesam.
nach dem sie ein wurzscherben nam,
leget darein das haubet wert,
tet darein und drauf frische ert
und pflanzet auf das haubet zart
ein schmecket kraut von guter art;
so lag das haupt im scherbn verborgen.
darnach, wenn sie aufstund all morgen,
zu stunt sie zu dem scherben gieng,
darob zu weinen anefieng,
biß er wurt allenthalben nas,
und auch mit rosenwaßer, das
kraut wuchs und wudlet also ser
von tag zu tag ie lenger mer.
die frau den scherben hat so lieb,
den ganzen tag sie bei im blieb.
als nun ir brüder merkten, das
ir diser scherb so liebe was,
den scherben sie ir heimlich stalen
und den in ein truhen verhalen.
da nun Lisabeta aufstunt
und iren scherben nicht mer funt,
sprach sie: o we, nun muß ich sterben,
hab ich verloren meinen scherben!
vor leit sie zu der erden sank
und wart von ganzem herzen krank.
die brüder sprachen all gemein:
was mag nur in dem scherben sein?
villeicht hats iren schatz darinnen;
und mit gar ungetreuen sinnen
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tetens den wurzscherben auslern,
schütten heraus kraut und die ern,
da fundens das tot haubet zart;
darob erschraken sie ser hart,
wan sie kennten es an dem har,
das Lorenzen, irs knechtes, war.
das haubet wurt von in verborgen;
halt namens ir barschaft mit sorgen,
flohen in Neapolis, und
nach dem ein frau den scherben funt
und sagt Lisabeta die mär,
wie ir scherben gefunden wer.
Lisabet in dem bet aufsas,
wolt sehen, wo ir scherbe was,
doch war das haupt nit mer darinnen;
da fiel sie mit betrübten sinnen
umb und gab auf ir traurig sel.
da loff zu alles volk gar schnel;
zuhant ir magt da anefing,
erzelt den leuten alle ding,
wie sich all sach hette begeben
in lieb zwischen ir beider leben,
und wie ermördet leg Lorenz.
sein leib den holet man behenz,
auch funt man das tot haubet klug.
beide leib man gen kirchen trug,
da weinten die reichen und armen,
ir beider tot tet sie erbarmen.
man legt sie in ein grab zusamen;
ir beider sel, ob got wil, kamen
zusam dort in ewigen freuden,
da sint sie ewig ungescheiden.

Der beschluß

So nemet diß geschicht zu herzen,
wie lieb oft bringet großen schmerzen,
schad, schant und ander ungelück
und bringet vil der bösen stück.
[9]
derhalben frauen und junkfrauen
sollen sich mit fleiß wol fürschauen,
das solche lieb sie nit betrig,
und in im herzen angesig,
dardurch in als unglück zu ste,
sonder sollen biß in die e
sparen ir lieb, die ist mit eren;
aus elicher lieb tut sich meren
heil und gelück allhie auf ert,
ist bei got und den menschen wert.
auf das eliche lieb aufwachs
in rechter treu, das wünscht Hans Sachs.
Der spruch der ist mein erst gedicht,
das ich spruchweis hab zugericht.

Anno salutis 1515. am 7. tage Aprilis.

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TextGrid Repository (2012). Sachs, Hans. Gedichte. Spruchgedichte (Auswahl). Historia. Historia. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B1CE-E