Ein wünderlicher Dialogus
und neue Zeitung

Als mir ehgestern ein Brief meiner Geschäft halben von Nörling kam, fragt ich den Boten neben andern umb neue Zeitung. Wie ich aber anhielt mit Fragen, zeigt er mir ein wünderlich, vor ungehörte Geschicht an und sprach: Als ich den Novembris auf Nörling des Morgens zugangen, ist mir begegent ein lang, gerade Person mit langem braunen Haar, einer nazarenischen Scheitel, mit zwisletem Bart und schönen Augen, der was herrlicher Gestalt, doch aufgeschürzt als ein Wandrer. Der ging eilend als ein Flüchtiger, oft hinter sich schauend. Als aber ich näher zu ihm kam und ihn recht besach, da war es unser Herrgott, den ich alsbald an seinem Barfüßgehn und braunem, gestrickten Rock erkennet. Da fasset ich ein Herz, neigt mich und grüßet ihn, nennt ihn auch mit Namen. Er aber winket mir zu schweigen und eilet nur fort. Da sprach ich zu ihm:


Bot: Herr, wo willt du so eilend allein hingehn?

Herrgott: In Ägypten.

Bot: Herr, was willt du in Ägypten? Es regieret itz der Soldan darin.

Herrgott: Bei dem bin ich sichrer denn mitten im Deutschland.

Bot: Wie käm das? Du bist nit allein sicher, sunder am allersichersten im Deutschland, da man itz dein heilig Evangeli öffenlich predigt.

Herrgott: Ja, eben das ist die Ursach meiner Verfolgung.

Bot: Ach, mein Herr, wer verfolgt dich? Ist doch der Türk itz ein Zeitlang still gewest, wer wollt dich denn verfolgen?

[97] Herrgott: Die Hohenpriester und Fürsten der Juden, hohen Schriftgelehrten und Pharisäer, so mich allmal verfolget haben.

Bot: Ach, mein Herr, welcher Gestalt, wie oder wen? Solchs alls ist mir armen Boten verborgen.

Herrgott: Bist du denn der Frembling allein in Deutschland, der diese Ding nit weiß, wie oft die Hohenpriester und Schriftgelehrten mit ein geratschlagt haben über mich, doch allmal einer Aufrühr im gemeinen Volk besorget, wie ihn denn viel heimlicher Praktik über mich offen war, auch zum Teil sind brochen worden? Aber itz sind die Hohenpriester und Schriftgelehrten in der Synagog zu Trient gar einig worden und haben mich zumb Tod verurteilt: Besser sei, Deutschland verderb, denn daß ihr Gwalt, Macht und Simonei gar sterb. Derhalb hat der Hochpriester zu Rom, der mein Statthalter und Apostel sich nennt und den Beutel als mein Schaffner trägt, darin er versammelt hat (sam mir und meinen armen Jüngern zu gut) das Ablaßgeld, Annaten, Pallium und Sant Peters Patrimonium. In solchem ist der Teufel in ihn gefahren und ist mir zum Judas worden, hat mich verraten und nit Geld genummen wie der erst Judas, sunder sein Beutel aufgeton und dem römischen Richter Pilato etliche hunderttausend Silberling zugeschickt und mich darmit zu kreuzigen übergeben. Er aber, Pilatus, wollt lang nit Urteil über mich fällen; wann sein Frau (versteh, sein Gewissen) und etlich heimlich Jünger haben viel Unruhe im Schlaf von meinethalben gehabt, ihm anzeigt, mit dem unschuldigen Blut nichts zu tun haben. Aber das Anhalten der Hohenpriester und Fürsten der Juden bewegten ihn, wo er diesen ledig ließ, wär er nicht ein Freund des römischen Bischof. Auch schrie das gemein, unwissend bayrisch Volk: Sein Blut geh über uns und [98] unsre Kinder! Welchs auch zum Teil an ganzn mit der Zeit vollendet wird. Mit dergleich Anhalten, Drohen und Reizen hat Pilatus verwilligt, mich zu kreuzigen, auf daß ihm mein gestrickter Rock (versteh, das Deutschland) erblich bleib. Der zog darauf aus dem regensburgerischen Jerusalem gerüst mit den Fürsten der Hohenpriester über den Bach, die Donau, mit viel Spaniern, Niederländern und Deutschen, welche doch billiger über ihr Vaterland solltn geweinet haben. Und Judas Ischariot ging voran mit den Dienern der Hohenpriester, die Italiener zu Roß und Fuß. Und solchs geschach doch alls im Schein, sam wollt der Richter Pilatus etlich Gallier strafen und das Opfer mit ihrem Blut vermischn. Mit solchem Schein hat er viel Leut irrgemacht. Als ich aber west, was mir zukünftig was, stund ich auf und ging ihn entgegen und sprach: Wen suchet ihr? Sie sagten: Jesum von Nazareth. Da sprach ich: Ich bins. Da wichen sie zurück und fielen ihr viel Tausend unter die Erden. Nachdem legten sie Hand an, mich zu fangen

Bot: Ach, mein Herr, was täten deine Jünger darzu?

Herrgott: Es blieben ihr nur drei bei mir, die andern aber waren bei der Nacht (wie Nicodemus) vor Forcht der Juden bei mir gewest und mich getröst.

Bot: Was täten aber die drei darzu in deiner Gefängnus?

Herrgott: Petrus hieb dem Malchus das Ohrläpplein ab. Aber ich wollt nit länger gestatten zu fechten und hieß ihn einstecken; wann in solcher meiner großen Not fährt mein Freund zu, der mein Brot gegessen, dem ich alles Guts vertrauet, und verrät mich dem blutgierigen Künig Herodis umb 30 sächsisch Silberling.

Bot: Herr, hast du mehr denn einen Judas?

Herrgott: Vor hätt ich unter 12 Jüngern einen Judas, [99] itzund hab ich 12 Judas für einen, die sich doch alle meine Jünger rühmen.

Bot: Was tät dir Künig Herodes?

Herrgott: Er sendet seine Diener, die Husaren, und ließ erwürgen die unschuldigen Kinder bei Plauen und streifet umb die Grenz des wittenbergischen Bethlehem, meiner Gebürtstadt, mit großer Verwüstung und Schaden der Armen. Da macht er viel betrübter Mütterherzen. Als ich das vernummen, bin ich den Juden frei mitten am Ölberg aus den Händen entgangen, ganz forchtsam und erschluchzet, wie du mich sichst. Derhalb bitt ich dich als ein Landerfahrnen, zeig mir den nächsten Weg auf Ägypten zu; wann Pilatus und Herodes sampt die Hohenpriester werden nicht nachlassen, mich zu suchen und wieder zu kreuzigen.

Bot: Weil dein Flucht, mein Herr, so eilend ist, wollt ich mich etwan in der Näch verbergen.

Herrgott: Ja wohin? Es sind bereit so erschröckliche Edikt und Mandat ausgangen, im Niederland und anderswo, bei Acht und Bann, bei Brand und Mord mich niemand zu hausen, hofen, ätzen, tränken, nennen noch bekennen, darob das Volk erschluchzet, mich jedermann weiterweiset; wann auch Petrus mein zum oftern Mal verlaugnen mocht, daß er nicht sambt mit mir umb Leib und Güt käm.

Bot: Herr, ich wollt mich zu den Geistlichen ton.

Herrgott: Zu welchen Geistlichen?

Bot: In den Stift zu Mainz oder Wurzburg oder einem dergeleich.

Herrgott: Bei den wär ich als sicher als in dem Hof Annae oder Caiphae, wann die Bischof sind meine ärgste Feind von wegen des Evangeli.

Bot: So wollt ich mich aber in die Fürstenkloster oder [100] Bettelorden tun, mich bei ihn erhalten, sam in einer Spelunken verborgen liegen.

Herrgott: Ja, freilich Spelunken und Mördersgruben haben die Sadduzäer und Essäer aus meiner Kirchen gemacht von wegen ihrs Bauchs, ein Kaufhaus, darin sie ihre güte vermeinte Werk verkaufen, darmit mein bitter Leiden verleugnen. Wie künnt ich bei den lebendig bleiben, so mich vorhin täglich kreuzigen?

Bot: Wie dunkt dich, mein Herr, aber umb etlich groß Reichsstädt, die deinem Wort anhangen und dich lieb, wert und wohl zu beschützen haben ein lange Zeit vor den Juden?

Herrgott: Oh, ich vertrau mich ihnen nit, wann ich weiß, was in ihnen stecket. Wie hoch sie sich meines Worts rühmen mit dem Münd, so ist doch ihr Herz und Leben weit von mir, wann sie in Wollust und eignem Nutz zu tief versunken sind. Der halb, wo ich mit ernstlichem Gewalt bei ihn gesüchet und verfolget würd, ich in die Hand Pilati übergeben werden, weil auch in viel Städten die Ältesten im Volk nit gar meines Teils sind, derhalb ihre Reichtum meinenthalb nit gern in Gefahr setzten. Dergleich der gemein Hauf ist mir wohl hitzig angehangen, weil ich sie mit Freiheit speise. Nun aber die Verfolgung angeht umb meinenwillen, fahen sie an, lau und kalt zu werden. Derhalb ich ganz unsicher bei ihnen wär. Derohalb will ich mich wiederumb in Ägypten (versteh, in der Rechtglaubigen Herzen) verbergen, da ich am sichersten bin, weil sie Güt und Blüt ob mir wagen.

Bot: Ach Herr, wo sind deine Jünger, daß sie dich also allein lassen im Elend irrgehn?

Herrgott: Sie sind zerstreuet, ein jeder in das Seinig. Aber bald nach dem Tod Pilati und Herodis wird ich wieder auferstehn nach dreien Tagen und meine Jünger [101] wieder versammeln und ihn vorgehn in dem deutschen Galiläa. Da werden denn die Hohenpriester und Fürsten der Juden sehen, in wen sie gestochen haben. Der Fried sei mit dir!


Mit dem Wort, sprach der Bot, ging der Herr eilends für mich hin sein Straß. Als ich mich aber im Augenblick wieder nach ihm umbsach, da war der Herr verschwunden und nicht mehr da. Solchs erzählt mir der Bot von Wort zu Wort mit sollichen ernstlichen Gebärden, daß ich das gänzlich bezwungen war, des zu glauben. Solche wunderbarliche neue Zeitung hab ich euch im Besten nit verhalten wollen. Darmit Gott befohlen!


Datum Nürenberg, den 31. Tag Decembris anno 1546

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Sachs, Hans. Prosa-Dialoge. Prosadialoge. Der fünfte Dialog. Ein wünderlicher Dialogus und neue Zeitung. Ein wünderlicher Dialogus und neue Zeitung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B231-6