Neujahrsnacht

Schnee, weithin Schnee! Und immer noch streut
Der Winter stäubende Flocken;
Vom Turme tönt es wie Sterbegeläut,
Und mir bebt das Herz mit den Glocken.
Todblasse Gestalten durchschweben die Luft,
Die jammernd die Hände ringen,
Fernher dazwischen in Nebelduft
Der Mitternachtmette Singen.
Klagt, Glocken, klagt, daß mit jedem Jahr
Wir ärmer an Glauben und Lieben!
Klagt um das Viele, das unser war,
Und das Wenige, das uns geblieben.
[356]
Dahin, was nimmer, o nimmer kehrt,
Der Tau auf des Lebens Blüte;
Erloschen der heilige Flammenherd,
Der Glut in die Seele sprühte!
Klagt, Glocken, klagt um des Menschen Geschick,
Der ewig Verlornes bejammert
Und umsonst den schwindenden Augenblick
Im Schiffbruch des Lebens umklammert.
Er späht und späht nach dem rettenden Port
Im Meere, dem uferlosen,
Doch fort, von Klippe zu Klippe fort,
Reißt ihn der Wellen Tosen.
Zwölf Schläge vom Turm! Gestorben das Jahr;
Bleich dämmert durch Nebel und Flocken
Das neue herauf mit dem kalten Januar;
Im Winde verhallen die Glocken.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Gedichte. Gedichte. 4. Vermischte Gedichte. Neujahrsnacht. Neujahrsnacht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B509-C