Ragnars Tod

Geschlagen ist die blutige Schlacht;
Zu Fall hat Ragnar die Feinde gebracht
Und errungen ein Königreich.
Des Wegs nun zieht er zur Krönungsstadt,
Um ihn, vom Kampfe des Tages matt,
Die Seinen blutend und bleich.
Stolz wallen die Banner im Abendschein;
Doch bang hinflüstert es durch die Reihn:
»Weh, weh um Ragnar den Guten!
Seht, wie an der Brust ihm die Wunde klafft!
Die Rechte preßt er darauf mit Kraft,
Um nicht zu früh zu verbluten!«
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Er starrt zu Boden und reitet fürbaß.
»O Herr! Gebieter! wie schaust du so blaß?«
Doch Ragnar blickt nicht empor;
Mag bluten sein Renner mit wankendem Schritt,
Er spornt ihn zur Eile und hemmt nicht den Ritt,
Bis er steht an der Hauptstadt Thor.
Hinunter sich schwingt er vom stürzenden Roß
Und schreitet die Stufen hinauf zum Schloß,
Gestützt auf den weinenden Sohn;
Hell flammen im Saale die Fackeln ringsum,
Und durch die Reihen der Ritter stumm
Steigt Ragnar empor zum Thron.
Und als er aufs Haupt die Krone sich drückt,
Da steht er wie neu von Leben durchzückt,
Sein Auge in Glut erglommen;
Gebietend heischt er hin durch den Saal:
»Herolde! nun dient mir zum letztenmal
Und kündet den Toten mein Kommen!
Zu tief ist die Wunde, sie heilet nicht;
Doch kühn nun kann ich vors Angesicht
Der tapferen Ahnen treten;
Eine Krone lass' ich dem Sohne mein
Und zieh' als König in Walhall ein –
Herolde, blast die Drommeten!«
Von der Wunde reißt er die Hand geschwind;
Laut schmettert das Erz; sein Leben verrinnt
In des Blutes strömenden Fluten.
Die Ritter löschen die Fackeln, und bang
Durch die Nacht hin tönt zum Drommetenklang
Ihr Klagen um Ragnar den Guten.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Ragnars Tod. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B745-5