Walther von Immenstadt

Herr Walther war es von Immenstadt,
Im Heere von allen der Beste,
Der mit eisernem Arm, im Kampf nie matt,
Den Nacken der Heiden preßte;
Kaum flammte sein Schwert vor Liddas Wall,
So flohen die Sarazenen all,
Und es strahlte das Kreuz auf der Feste.
Mit dem wackern Häuflein zieht er durchs Thor;
»Nun geht, die Kerker zu sprengen!«
Flugs thun sie sich auf; ihm schallt an das Ohr
Ein Chor von Christengesängen;
Er sieht die Befreiten, welk und blaß,
Die Hand ihm netzend mit Thränennaß,
Um ihn, den Retter, sich drängen.
Bald ist auf dem Markt ein purpurnes Zelt
Von Damaskischer Seide zu schauen,
Und die Tafel reichlich mit allem bestellt,
Was gedeiht auf Syriens Auen;
Voll cyprischen Weines schäumt der Pokal,
Und Sänger verschönern mit Liedern das Mahl
Und sarazenische Frauen.
Da, musternd der glücklichen Gäste Kreis.
Blickt plötzlich erstaunt Herr Walther.
»Fürwahr, dort drüben erkenn' ich den Greis;
Wer bist du? sage mir, Alter!«
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Der Greis erhebt sich: »Hans Hildebrand,
Schulmeister aus Schwaben, küßt Euch die Hand,
Mein Retter, mein Lebenserhalter!«
»Und bist du noch Walthers, des jungen, gedenk?«
Fragt lächelnd der Feldherr weiter.
»Ei wohl!« – ruft jener, vom Rebengetränk
Schon halb umnebelt und heiter, –
»Ei wohl gedenk' ich des argen Wichts;
Ein Wildfang war er, ein Taugenichts,
Wie in ganz Schwaben kein zweiter.
Bei Aufruhr, Raufen und Schlägerein
Kam keiner ihm gleich in der Schule;
Doch zum ABC und dem Einmalein
Nie hatt' er Geduld auf dem Stuhle.
War irgend geschehen ein böser Streich:
›Das that der Walther‹, dacht' ich sogleich
Und verwünscht' ihn zum Höllenpfuhle.
Hätt' ich ihm mehr nur den Rücken zerbläut,
Das möcht' ihn gebessert haben;
Doch, wenn es so fortging, ist er heut
Längst unter dem Galgen begraben.«
Mehr will er erzählen, doch Walther lacht:
»Ei! hat mich verwandelt die Kriegertracht?
Erkennst du in mir nicht den Knaben?«
Der Greis sinkt bebend zu Boden hin
Und fleht: »Herr! könnt Ihr vergeben?«
Doch Walther erhebt ihn und füllt für ihn
Den Becher mit Naß der Reben:
»Auf! thu mir Bescheid in dem köstlichen Saft!
Das ABC und die Wissenschaft
Und du, mein Lehrer, sollst leben!
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Doch daß auch in Ehren das Kriegswerk sei
Und wer früh sich übt für die Schlachten!
Nicht hat er Behagen an Schulfuchserei;
Nach Kämpfen nur steht sein Trachten.
Wär' ich, wie du wolltest, so zahm und bang
Als Schüler gewesen, du hättest noch lang,
Mein Guter, im Kerker zu schmachten.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Gedichte. Gedichte. 3. Romanzen und Balladen. Walther von Immenstadt. Walther von Immenstadt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B7C2-9