237. Versöhnung nach dem Tode.

1.

Auf der Burg Lichtenstein lebte vor Jahrhunderten ein Ritter, der zwar reich und im Kriegswesen wohl erfahren, aber [222] so wenig fromm war, daß er in dreißig Jahren nicht einmal die Kirche besucht hatte. Seine Gemahlin dagegen war sehr fromm und betete auch fleißig im Hause. Um sich in ihrer Frömmigkeit noch mehr zu stärken, ließ sie einen von ihren Burgleuten jeden Abend auf ihr Zimmer kommen, um mit ihm zu beten. Als dieß dem Ritter hinterbracht war, wurde ohne allen Grund Argwohn in ihm geweckt. Die Burgfrau betheuerte zwar ihre Unschuld, wurde aber dennoch von ihrem Gemahl verstoßen und muste ihr ferneres Leben in Kummer und Herzeleid hinbringen. Zu wiederholten Malen versuchte sie eine Versöhnung mit ihrem Gemahl zu Stande zu bringen, allein vergebens. Nicht lange nachher starb der Ritter ohne sich mit seiner Gemahlin versöhnt zu haben; auch diese starb bald darauf. – Ein Jahrhundert war seitdem verflossen und auf der Burg lebte ein Ritter, der in der ganzen Umgegend wegen seiner Frömmigkeit berühmt war. Eines Abends hatte dieser eben sein Gebet beendigt, als plötzlich ein heller Glanz sein Zimmer erfüllte und eine Frau in einem Anzuge vor ihm stand, der vor hundert Jahren Mode gewesen sein mochte. Alsbald fing diese an zu sprechen und erzählte dem Ritter, wie es ihr und ihrem Manne in jenem Leben ginge. Dieser richtete dann an sie noch mehrere Fragen und erkundigte sich insbesondere nach ihrer Herkunft. Sie beantwortete alle Fragen ganz genau und sagte namentlich, sie selbst sei zwar an einem guten Orte, aber ihr Mann müsse zwischen Himmel und Erde schweben und könne nicht eher zur Ruhe gelangen, als bis sie beide mit einander versöhnt wären. Diese Versöhnung zu Stande zu bringen, dazu sei er ausersehen und er allein könne dieß Werk vollbringen; geschähe es nicht, so würde ihr Mann auf ewig unglücklich sein, und auch sie könne die Seligkeit nicht genießen. Auf ihre Bitte das Werk der Versöhnung zu übernehmen, erwiederte er, sie möchte am folgenden Tage Nachts um elf Uhr wieder erscheinen, dann wolle er ihr Antwort geben. Am folgenden Tage nahm der Ritter einen Geistlichen in Rath. Dieser erklärte ihm, er müsse die Versöhnung zu Stande bringen, falls er selbst selig werden wolle. Am Abend ließ nun der Ritter alle Thüren und Fenster verschließen und stellte ringsum Wachen aus, selbst vor die Kammerthür. Mit dem Glockenschlage elf erschien auch der Geist, eben so angethan, wie am Abend zuvor. Sogleich fragte sie den Ritter, ob er sie mit ihrem Manne [223] versöhnen wolle, und er bejahte es. Nun sagte sie ihm, daß sie am folgenden Abend um elf Uhr mit ihrem Manne in diesem Zimmer erscheinen würde, und bat noch, daß er drei Wachslichter auf den Tisch stellen möchte. Nachdem jener es zugesagt, aber auch erklärt hatte, daß er eine Wache mit in das Zimmer nehmen würde, genehmigte sie das und verschwand. Der Ritter befragte nun die Wachen, ob sie etwas gesehen oder gehört hätten; diese versicherten aber nur gehört zu haben, daß er gesprochen hätte. Am nächsten Abend ließ er wieder sorgfältig alle Thüren und Fenster verschließen und nahm einige Mann Wache zu sich ins Zimmer. Kurz vor elf Uhr zündete er die drei Wachskerzen an. Kaum hatte er dieß gethan, als auch die Frau mit ihrem Manne in dem Zimmer erschien, und zwar auch den andern Anwesenden sichtbar. Der Mann trug eine alte Ritterkleidung und sah ganz blaß aus, was wohl von dem Umherirren in der Luft herrühren mochte. Die Frau nahm das Wort, stellte ihren Mann dem Ritter vor und setzte nochmals ihr früheres Misverhältnis mit ihm und ihre gegenwärtige Lage aus einander. Nachdem der Ritter den Geist des Verstorbenen um die Wahrheit dieser Aussage befragt und dieser ihre Richtigkeit zugegeben hatte, fragte er ihn, ob er Reue empfände. Hierauf erwiederte er: er wünsche zwar sehr, daß er fromm gelebt hätte, doch sei es unmöglich, sein früheres Leben jetzt wieder gut zu machen: mit seiner Frau habe er sich leider nicht versöhnt und dafür schwer büßen müssen; sei es jetzt noch möglich, so sei er gern dazu bereit. So hatte der Ritter den Mann und die Frau gehört und forderte sie nun auf, wenn sie sich versöhnen wollten, sich die rechte Hand zu reichen. Beide thaten es. Dann erklärte sie der Ritter für versöhnt und fügte hinzu, daß sie nun, wenn es Gottes Wille wäre, zur ewigen Seligkeit gelangen könnten. Darauf verschwanden beide und sind seitdem nicht wieder erschienen.

2.

In Ahlshausen war ein Mann gestorben, der in seinem Leben mit seinem Bruder viel Zank und Streit gehabt hatte. Bald nachher kam der Todte zu seinem Bruder, der eben auf dem Boden Futter schnitt, und reichte ihm die Hand. Dieser gab ihm aber seine Hand nicht, sondern reichte ihm das Streichholz (strêke), welches jener sogleich durchgriff.

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 237. Versöhnung nach dem Tode. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B8BB-4