148. Zwerge rauben Kinder.

1.

In Hilwartshausen liegt eine Frau im Kindbette. Zufällig ist ihr das Licht ausgegangen. Da hört sie mit einem Male, wie die Hausthür geöffnet wird; schnell springt sie also aus dem Bette und steckt wieder Licht an. Kaum hat sie dieß gethan, so sieht sie auch einen Zwerg mit dickem Kopfe, der schon ihr Kind genommen und dafür einen Zwerg in die Wiege gelegt hat. Die Frau macht nun Lärm, und das Kind wird dem Zwerge wieder abgenommen. Doch dieser ist plötzlich verschwunden, hat aber das Zwergkind zurückgelassen. Aus Mitleid wollte nun die Frau, welche reichlich Nahrung hatte, auch den Zwerg anlegen; doch dieser nahm die Brust nicht an und starb bald.

2.

Eine Frau hatte ein Kind geboren; zu derselben Zeit war aber auch das Weib eines Hollemännchens ins Kindbett gekommen. Dieses wollte nun der Frau das Kind rauben und ihr [130] dafür sein Kind hinlegen. Er ging also unsichtbar an das Bett der Frau um ihr das Kind wegzureißen; doch die Frau merkte es und rief »Andrês, Andrês!« – so hieß nemlich ihr Mann. Darauf antwortete das Hollemännchen, als wäre es ihr Mann: »ach Andrês, Andrês!« Indem kam aber ein kleines Hollemännchen und sprach: »Papa, Mama ist krank geworden.« Da ging das Hollemännchen weg, und die Frau behielt ihr Kind.

3.

Ein Gänsehirt hütete einst die Gänse zwischen Wulften und Hattorf. Plötzlich war sein Kind, welches er mitgenommen und an eine hohle Weide gesetzt hatte, fort, und an seiner Stelle saß ein anderes da, das einen sehr dicken Kopf hatte. Er merkte wohl, daß die Zwerge die Kinder vertauscht hatten, behielt aber doch das unrechte Kind bei sich und erzog es. Seit der Zeit brauchte er sich um die Gänse nicht so zu bekümmern wie früher; er konnte sich Stunden lang von ihnen entfernen, und nie fehlte ihm ein Stück, weil die Zwerge unterdes die Aufsicht über sie führten. So ging es einige Jahre fort. Eines Tages aber lief das unechte Kind von der Weide weg und durch ein Loch, welches der Hirt früher noch nicht gesehen hatte, in einen Berg hinein. Er ging ihm nach und fand in dem Berge viele Zwerge, zwischen denen auch sein eigenes Kind saß, daß unterdes viel größer geworden war. Schnell nahm er es an die Hand und ging mit ihm aus dem Berge. Seit der Zeit muste er aber auch die Gänse wieder allein hüten, wie früher.

4.

In Elliehausen kam es einst vor, daß eine Frau, die eben im Kindbette lag, zugleich mit ihrem Kinde plötzlich verschwand. Gleich vermuthete man im Dorfe, daß sie von den Zwergen entführt sei, aber niemand wuste wohin. Zufällig bekam man später von ihr eine Kunde. Als nemlich eines Morgens der Schäfer des Dorfes am Walde in der Nähe einer dort befindlichen Quelle hütete, erblickte er mit einem Male jene aus dem Dorfe verschwundene Frau, wie sie an der Quelle stand und mit Abspülen von Wäsche beschäftigt war. Der Schäfer ging hin zu ihr und fragte sie, ob sie nicht wieder mit ins Dorf zu ihrem Manne gehn wolle; sie aber sagte gerade zu nein, sie habe es bei den Zwergen viel besser und verlange nicht zu ihrem Manne zurückzukehren. Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, da schlug die Thurmuhr im nahen Dorfe zwölf, und mit dem Glockenschlage war die Frau verschwunden.

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 148. Zwerge rauben Kinder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B8FB-3