26. Die Prinzessin mit dem Horne.

Ein armer Mann hatte drei Söhne. Alle drei musten ein Handwerk lernen; der älteste ward ein Tischler, der zweite ein Schuster, der jüngste und kleinste ein Schneider. Als sie nun ausgelernt hatten und in die Fremde gehn wollten, begleitete sie der Vater eine Strecke und empfahl dann beim Abschiebe den kleinsten der Fürsorge der beiden älteren auf das dringendste. »Wo der kleine bleibt,« sprach er, »da bleibt ihr auch; kann er keine Arbeit bekommen, so geht ihr auch weiter. Neun Jahre sollt ihr ausbleiben, dann kommt ihr aber wieder.« Die drei Brüder wanderten nun munter mit einander fort; sie kamen in viele Städte, konnten aber nirgend alle drei zugleich Arbeit bekommen. Bald bekamen die beiden älteren Arbeit, und der jüngste konnte keine bekommen; bald aber bekam dieser Arbeit, und die beiden anderen konnten keinen Meister finden. So reisten sie immer weiter und kamen in einen großen Wald; schon acht Tage waren sie darin gegangen und konnten noch immer keine Stadt, nicht einmal ein Dorf oder ein Haus erreichen, auch der Hunger fing an sie zu quälen. Da in dem Walde viele Bären, Wölfe, Löwen und andere wilde Thiere waren, und sie doch im Walde übernachten musten, so hatten sie unter sich ausgemacht, daß immer zwei von ihnen schlafen, der dritte aber während der Zeit Wache halten sollte. Sie thaten das auch, nur daß jedes Mal, wenn der Schneider hätte Wache halten müssen, der Tischler für ihn [310] eintrat, weil der Vater gesagt hatte, sie sollten den kleinsten schonen. So war wieder die Nacht gekommen, wo der Schneider wachen sollte, und wie früher, so wollte auch jetzt der Tischler das für ihn übernehmen; doch dieses Mal wollte es der Schneider durchaus nicht zugeben und verlangte selbst seine Wache zu thun. Als nun die beiden älteren eingeschlafen waren, sah er um sich herum – es war heller Mondschein – ganz »helle« Reiser (sprickere) in Menge liegen. Davon sammelte er einen Haufen und ging damit von seinen Brüdern, die fest schliefen, weg und seitwärts in den Wald hinein; damit er aber seine Brüder wieder finden könnte, steckte er rechts und links ein Reis in den Boden. Nachdem er eine Strecke weit seine Reiser gesteckt hatte, sah er in einiger Entfernung ein Licht schimmern. Er ging dem Lichte nach und kam zu einem Schlosse, welches von einem Graben umgeben war, über welchen eine Zugbrücke führte. Die Zugbrücke ward sogleich herabgelassen; er ging hinüber und über den Hof gerades Wegs in das Schloß hinein. Nirgend sah er ein lebendiges Wesen, in einem großen erleuchteten Saale aber stand Butter und Brot, Braten und Wein auf dem Tische; herum standen auch viele Bücher, wenn er etwa lesen und sich damit die Zeit vertreiben wollte. Der Schneider aß und trank sich recht satt, dann nahm er Brot und Braten, dazu auch zwei Flaschen Wein, und machte sich auf den Rückweg zu seinen Brüdern, damit auch diese etwas zu essen und zu trinken bekämen. Als er wieder dahin kam, schliefen diese noch fest; er weckte sie und sprach: »nun eßt und trinkt erst, dann wollen wir mit einander hin zu dem Schlosse gehn;« zugleich erzählte er ihnen alles. Als sie in das Schloß kamen, war da ein Tisch schön gedeckt, Speisen und Getränke wurden aufgetragen, ohne daß sie einen sahen, der das alles brachte. Während sie am Tische saßen und aßen, kam ein kleines weißes Mäuschen, lief an dem Tischler in die Höhe, setzte sich auf seinen Schoß und sprach: »ihr könnt hier so lange bleiben, wie ihr wollt, und auch essen und trinken, was ihr wollt, aber ihr dürft nichts davon mitnehmen, wenn ihr weggeht; auch dürft ihr Nachts nicht schlafen.« Trotzdem fielen der Tischler und der Schuster in der Nacht bald in einen tiefen Schlaf, der Schneider aber schlummerte nur leise. Nachts um zwölf Uhr kam die weiße Maus zu dem Tischler und sprach: »Schatz, schläfst du oder wachst du?« Doch der Tischler schlief fest. Darauf lief sie hin zu dem Schuster und sprach wieder:[311] »Schatz, schläfst du oder wachst du?« Doch auch dieser schlief fest; zuletzt lief sie auch zu dem Schneider, der nur ein wenig schlummerte, und sprach: »Schatz, schläfst du oder wachst du? ja, du schlummerst nur.« Zwei Tage und drei Nächte blieben die drei Brüder in dem Schlosse; in jeder Nacht kam die weiße Maus und fand den Tischler und den Schuster fest schlafend, aber der Schneider schlummerte nur. Am dritten Tage verließen sie das Schloß, worin sie auf das beste bewirthet waren. Als sie auf die Zugbrücke kamen, lagen da drei dicke, dicke Schlangen. Die eine Schlange sprach zu der anderen: »was willst du deinem Schatze dafür schenken, daß er immer geschlafen hat?« »Eine Tasche, die niemals von Gelde leer wird,« sprach die angeredete, und damit schenkte sie dem Tischler eine Tasche mit Geld. Dann sagte die zweite Schlange zu der anderen: »was willst denn du deinem Schatze dafür schenken, daß er immer geschlafen hat?« »Ich will ihm ein Horn schenken, wenn er hineinbläst, so bekommt er so viel Kriegsvolk, wie er nur haben will.« Mit diesen Worten schenkte die gefragte dem Schuster ein Horn. Dann kam die Reihe an die kleinste Schlange. Diese ward von den beiden anderen Schlangen auch gefragt: »was willst denn du deinem Schatze dafür schenken, daß er nur geschlummert hat?« »Ich will ihm einen Mantel schenken; wenn er diesen umhängt und sich hineinwickelt, so kann er sich dahin wünschen, wohin er will.« Die Brüder nahmen die Geschenke an und bedankten sich; ehe sie aber damit fortgingen, sagten ihnen die drei Schlangen noch: »heute über neun Jahre müßt ihr euch alle drei wieder hier auf der Zugbrücke einfinden.« So reisten sie weg und kamen auf ihrer Wanderung noch in manche Stadt, aber in keinem Orte konnten sie alle drei Arbeit bekommen. Endlich kamen sie in eine große Stadt, worin ein König wohnte, der nur eine einzige Tochter hatte. Dieser hatte bekannt machen lassen, wenn einer käme, der seine Tochter im Spiel überwände, so solle dieser, wenn er schon verheirathet wäre, sein halbes Königreich bekommen, habe er aber noch keine Frau, so solle er seine Tochter zur Gemahlin und mit ihr das ganze Königreich erhalten. Der Tischler sprach zu seinen Brüdern, er wolle mit der Prinzessin spielen, sie könne ihn doch nicht überwinden, weil er ja immer einen vollen Beutel habe. So ging er denn ins Schloß und fing an mit der Prinzessin zu spielen; er verlor zwar viel, aber behielt immer noch Geld genug. [312] Das setzte er alle Tage fort, und schon war eine geraume Zeit vergangen, während welcher er im Schlosse blieb. Eines Tages sprach die Prinzessin zu ihm, er möge ihr doch sagen, woher er das viele Geld bekomme, und wie es zuginge, daß er immer einerlei Geld habe. Da erzählte er ihr, daß er eine Tasche habe, die niemals von Geld leer werde, und zeigte sie ihr. Sogleich machte die Prinzessin einen Anschlag, wie sie die Tasche an sich bringen könnte. Sie ließ also eine Tasche machen, die dem Aussehen nach der seinigen völlig gleich war, ersah sich dann in der Nacht, während er fest schlief, einen günstigen Augenblick, stahl ihm die Tasche vom Leibe und gab ihm dafür die nachgemachte, die sie mit Geld gefüllt hatte. Als er nun am anderen Morgen wieder mit ihr spielte und zweimal Geld aus der Tasche genommen hatte, war diese leer und blieb leer. Da er jetzt kein Geld mehr zu verlieren hatte, so ward er mit Schimpf und Schande aus dem Schlosse getrieben. Er ging also wieder zu seinen Brüdern, die er vorher fast vergessen hatte, und sprach zu dem Schneider, nachdem er alles erzählt hatte: »du must mir deinen Mantel leihen, ich will mich dahin wünschen, wo die Prinzessin die Tasche hat.« Der Schneider sagte zwar, er habe sich in den drei bis vier Jahren, die er im Schlosse gewesen war, um seine Brüder gar nicht gekümmert, dennoch wolle er ihm den Mantel geben. Sobald der Tischler den Mantel hatte, wünschte er sich dahin, wo die Tasche war, und sogleich befand er sich in einem großen Saale, wo die Prinzessin, welche die Tasche an ihren Leib gebunden hatte, gerade bei Tische saß. Die Prinzessin spürte seine Nähe, sah unter den Tisch, und erblickte da den Spieler; sogleich griff sie nach dem Mantel und riß ihm den vom Rücken. Nun hatte sie auch den Mantel, und der Tischler ward abermals aus dem Schlosse getrieben. Er ging nun zu seinem Bruder, dem Schuster, und dieser muste ihm sein Horn geben. Damit ging er fort, fing an darauf zu blasen und hatte bald ein sehr großes Kriegsheer beisammen. Jetzt kündigte er dem Könige den Krieg an, wenn er ihm die Prinzessin nicht ausliefere, denn die müsse sterben. Als der König sich weigerte, kam es zu einer furchtbaren Schlacht, worin dieser vollständig besiegt wurde, so daß er um Frieden bitten und seine Tochter ausliefern muste, die in einer schwarzen Kutsche gebracht wurde. Die Prinzessin, welche nicht wuste, daß er der Spieler sei, bat ihn flehentlich, er möge sie doch leben lassen, sie wolle ihn auch heirathen. [313] Nach vielen Bitten ließ er sich erweichen und war dazu bereit. So fuhren sie denn mit einander ins Schloß. Hier erkannte sie ihn aber und fragte, indem sie recht freundlich war, woher er denn das viele Kriegsvolk bekommen habe. Er erzählte ihr nun von dem Horne, und da er fest glaubte, daß sie jetzt seine Gemahlin würde, so gab er ihr auch das Horn zu der Tasche und dem Mantel, welche sie schon hatte, noch in Verwahrung. Kaum hatte aber die Prinzessin das Horn in ihren Händen, so ward er auch schon wieder aus dem Schlosse getrieben. Seine beiden Brüder waren unterdessen, weil die neun Jahre bald um waren und sie auf ihn nicht länger warten wollten, zu ihrem Vater zurückgekehrt. Er wollte nun auch nach Hause zurück kehren und suchte sich unterwegs als armer Handwerksbursche sein Brot. Schon war er lange in einem Walde fortgegangen, als er auf einen großen und schönen Apfelbaum stieß, dessen Zweige bis auf den Boden hingen und voll der schönsten Aepfel waren. Da ihn sehr hungerte, so pflückte er einige Aepfel ab und aß sie. Gleich darnach wuchs ihm auf dem Kopfe ein Horn, welches immer größer wurde, so daß er nicht mehr unter den Büschen durchkommen konnte. Mühsam arbeitete er sich vorwärts und kam nach einer Meile wieder zu einem hohen Apfelbaume, dessen Zweige er mit seinen Händen nicht erreichen konnte. Daher stieß er sich mit seinem langen Horne einige Aepfel herunter und verzehrte sie. Als er diese gegessen hatte, verging ihm das Horn wieder eben so schnell, wie es vorher gewachsen war. Darauf ging er zu dem ersten Apfelbaume zurück, pflückte sich eine Anzahl Aepfel ab und aß davon einige, damit ihm wieder das Horn wüchse. Nachdem das geschehen war, ging er noch einmal zu dem zweiten Apfelbaume und stieß sich mit seinem Horne auch von diesen noch mehrere ab. Hierauf aß er von diesen Aepfeln, so daß das Horn verging, und wandte sich mit beiderlei Aepfeln der Stadt zu, worin die Prinzessin wohnte. Als er dahin gekommen war, kaufte er sich ein niedliches Körbchen, füllte dieses mit seinen Aepfeln, und stellte sich damit an die Kirchthür, durch welche die Prinzessin in die Kirche ging. Die Prinzessin erschien auch, von einer Kammerjungfer begleitet, und wunderte sich über die schönen Aepfel. Bald bekam sie auch Lust davon zu kaufen und schickte die Kammerjungfer ab, um nach dem Preise zu fragen. Der Tischler forderte für einen Apfel nicht weniger als drei Goldstücke. [314] Die Kammerjungfer fand das zwar theuer, fragte aber doch, ob er ihr, wenn die Prinzessin zwei Aepfel kaufe, einen schenken wolle. Er versprach das. Da kaufte die Kammerjungfer zwei Aepfel. Für die Prinzessin gab er ihr nun zwei von den Aepfeln, wovon Hörner wuchsen, ihr selbst aber gab er einen von den Aepfeln, wovon keine Hörner wuchsen. Die Prinzessin aß gleich in der Kirche einen der beiden Aepfel. So wie sie diesen gegessen hatte, bekam sie auf dem Kopfe ein großes, großes Horn, welches oben durch die Kirche hinaus wuchs. Man muste also die Prinzessin auf den Rücken legen und so aus der Kirche tragen. Im Schlosse brachte man sie in ein großes Zimmer und ließ sie darin allein. Das Horn aber wuchs immer zu, so daß es bald oben durch das Dach des Schlosses gewachsen war. Der König, welcher seine Tochter um jeden Preis wieder von dem Horne befreien wollte, bot eine unermeßliche Summe Geldes, wenn sich einer fände, der seine Tochter heilen könnte. Da kam der Tischler, der seine Aepfel von beiden Arten zu Pulver gebraten und sich ganz unkenntlich gemacht hatte, und gab sich für einen Arzt aus, der das Horn wegschaffen könne. Er gab der Prinzessin ein Pulver von den Aepfeln, wovon das Horn verging, und richtig war am anderen Morgen das Horn nur noch ein Glied lang. Dann gab er ihr wieder einen Löffel voll von dem anderen Pulver, wovon das Horn wieder wuchs, und so wechselte er damit alle Tage ab, so daß das Horn bald verging, bald wieder wuchs. Einst sagte die Prinzessin zu ihm, ihr wolle es vorkommen, als habe sie ihn schon einmal gesehen; an ihrem Hofe sei einmal ein Spieler gewesen, der habe fast ganz so ausgesehen, wie er. Das könne wohl sein, antwortete er, bei ihm zu Lande wäre auch eine Dame, die sähe gerade so aus, wie die gnädige Prinzessin. Dann fuhr er fort, er habe doch mehrere Leute von ihren Hörnern schon befreit, daß bei ihr das Horn immer von neuem wachse, daß müsse einen besonderen Grund haben; gewis habe sie etwas auf ihrem Gewissen, sie möge ihm das nur offenbaren, dann verginge auch das Horn völlig. Darauf gestand sie ihm, »sie habe einen Spieler gehabt,« dem habe sie nach einander Tasche, Mantel und Horn weggenommen. Da sagte der falsche Arzt, sie möge ihm alle drei Stücke mitgeben, er wolle sie auf seiner Schlafkammer aufbewahren, dann würde auch das Horn bald ganz verschwinden. Nun ward die Kammerjungfer [315] abgeschickt, die drei Stücke herbeizuholen und dem Arzte zu übergeben, der damit auf sein Zimmer ging, nachdem er ihr vorher noch eine tüchtige Portion von dem Tranke eingegeben hatte, wovon das Horn wuchs. Nachdem er sich die Tasche angebunden, das Horn umgehängt und sich in den Mantel gewickelt hatte, sprach er: »ich wollte, ich wäre da, wo meine beiden Brüder sind.« In demselben Augenblicke befand er sich auch schon auf seines Vaters Hofe neben seinen beiden Brüdern. Am anderen Tage waren auch gerade die neun Jahre um. Nun wickelten sich alle drei in den Mantel und wünschten sich auf die Zugbrücke, wo ihnen die drei Schlangen die drei Stücke gegeben hatten, und sogleich waren sie da. In dem Schlosse aber, welches verwünscht gewesen, war jetzt alles lebendig geworden; die drei Schlangen traten ihnen als drei wunderschöne Prinzessinnen entgegen und dankten ihnen für ihre Erlösung. Jeder der drei Brüder heirathete die Prinzessin, welche ihn damals auf der Brücke beschenkt hatte, und sie lebten mit einander glücklich und in Freuden. Der Prinzessin mit dem Horne aber wuchs das Horn noch immer fort, und wenn sie unterdessen nicht gestorben ist, so wächst es noch jetzt.


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 26. Die Prinzessin mit dem Horne. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BB53-3