7. Der dumme Hans.

Ein Bauer hatte drei Söhne, von denen der jüngste und dümmste Hans hieß. Der Bauer war schon bei Jahren und wollte sich deshalb auf die Leibzucht setzen. Da sich nun aber seine Söhne nicht um das Haus vertragen konnten, so schickte er sie in die Welt mit dem Gebote, nach einem Jahre wieder zu kommen; wer dann die feinste Stiege Leinwand brächte, der sollte das Haus haben. Die drei Söhne gingen fort. Hans ging in den Wald hinein und traf darin ein verwünschtes Schloß an. In dem Schlosse fand er eine Maus, die sprach zu ihm: »Hans, wo kommst du denn her?« Hans antwortete: ja so und so, und erzählte nun, daß er und seine Brüder von dem Vater fortgeschickt wären, weil sie sich nicht um das Haus hätten vertragen können, und daß derjenige von ihnen, welcher nach einem Jahre die feinste Stiege Leinwand brächte, dasselbe haben solle. Die Maus sprach zu ihm: »willst du ein Jahr hier bleiben, so sollst du die Leinwand haben, aber du must mich alle Morgen kämmen und waschen.« »Das will ich wohl thun,« entgegnete Hans und blieb da. Nun kämmte und wusch er die Maus alle Morgen und hatte es übrigens recht gut. Als nun das Jahr um war, da sprach die Maus zu ihm: »Hans, du must dich auf den Weg machen, deine Brüder sind gewis schon da; geh auf die Kammer, da liegt eine Stiege Leinwand, die nimm zu dir.« Hans that, wie ihm befohlen war, wickelte die Stiege Leinwand zusammen und steckte sie in die Westentasche. Dann ging er fort. [268] Als er in das Dorf kam, worin sein Vater wohnte, ging er unter einem Wagenschauer hin und fand da ein altes rûflaken (ein grobes Betttuch), dieses wickelte er zusammen, hing es auf seinen Stock und ging damit nach dem Hause seines Vaters. Als ihn seine Brüder, die schon da waren, von fern kommen sahen, dachten sie: der Hans wird das Haus gewis nicht davon tragen. Der Vater fragte: »Hans, ist das deine Stiege?« »Ja,« sagte Hans ruhig. Als aber seine Brüder in der grösten Freude waren, holte er seine Stiege aus der Tasche hervor. Darauf sprach der Vater: »Hans, das Haus ist dein.« Als nun Hans das Haus beziehen wollte und die beiden Brüder heraus sollten, da wollten diese nicht im Guten weichen, und der Vater konnte den Streit nicht schlichten. Deshalb schickte er die drei Brüder noch einmal auf ein Jahr fort; wer dann die feinste Kette brächte, die gerade um das Haus paßte, der sollte das Haus haben. Die drei gingen fort, Hans aber ging wieder in den Wald hinein und gerade auf das verwünschte Schloß los. Als er in das Schloß gekommen war und die Maus ihn erblickte, sprach sie zu ihm: »Hans, du kommst ja wieder; was heißt das?« »Ja,« sagte Hans, »meine Brüder wollten nicht zugeben, daß ich das Haus erhielte, da musten wir noch einmal auf ein Jahr weg; wer dann die feinste Kette bringt, der soll das Haus haben.« »Du kannst wieder ein Jahr hier bleiben,« sprach die Maus, »dann sollst du die feinste Kette haben, aber du must mich wieder alle Morgen kämmen und waschen.« »Das will ich wohl thun,« erwiederte Hans, und blieb wieder ein Jahr in dem verwünschten Schlosse. Als nun das Jahr um war, sprach die Maus zu ihm: »Hans, du must jetzt wohl fort; geh auf die Kammer, da liegt eine Kette, die wickele zusammen und stecke sie ein.« Hans nahm die Kette und steckte sie in die Westentasche. Auf dem Wege zu seinem Vater fand er mitten im Walde eine dicke Drahtkette, die nahm er auf und ging damit zu seines Vaters Hause. Als er daselbst ankam, waren seine Brüder mit ihren Ketten schon da. Nun zeigten sie ihre Ketten, aber keine wollte recht passen, die eine war zu kurz, die andere zu lang; auch die dicke Kette, welche Hans im Walde gefunden hatte, war viel zu kurz. Darauf zog dieser seine feine Kette aus der Westentasche heraus, legte sie um das Haus herum und sie paßte ganz genau. So hatte Hans wieder das Haus gewonnen. Aber seine Brüder wollten auch jetzt nicht [269] aus dem Hause, und so muste der Vater seine drei Söhne noch einmal fortschicken. Dieses Mal bestimmte er, wer von den dreien die reichste Braut mitbrächte, der solle das Haus haben. Alle drei gingen fort und Hans wieder in den Wald, wo das Schloß stand. Als die Maus ihn erblickte, sprach sie: »Hans, du kommst ja schon wieder; du kannst wieder ein Jahr hier bleiben, aber du must mich auch wieder kämmen und waschen.« »Das will ich gern wieder thun,« antwortete Hans. Als nun an dem Jahre nur noch drei Wochen fehlten, da sprach die Maus zu Hans: »geh hinein in den Garten und schneid da ein Reis ab, welches ein Jahr alt ist, und schlag mich damit so lange, bis ich blutrünstig geworden bin.« Hans ging hinaus in den Garten und fand da einen Stachelbeerbusch; aus diesem schnitt er ein Reis heraus, welches ein Jahr lang gewachsen war, ging damit zwischen elf und zwölf Uhr zu der Maus und schlug sie so lange, bis sie blutrünstig war. Kaum war das geschehen, so fingen alsbald alle Pferde um das Haus herum an zu wiehern (ranschen) und auch die Hähne und die Puter ließen lustig ihre Stimmen erschallen. Jetzt wurde auch im Schlosse alles wieder lebendig, Diener liefen wieder geschäftig hin und her und die Maus war eine Kronprinzessin geworden. Diese sprach zu Hans: »du hast mich und das ganze Schloß erlöst, nun bist du mein lieber Bräutigam. Jetzt komm, wir wollen uns aufmachen und zu deinem Vater reisen.« Hans war sogleich dazu bereit. Als sie hinkamen, kannte der Vater Hans nicht mehr, so prächtige Kleider hatte dieser an. Anfangs gab sich Hans mit seiner Braut nicht zu erkennen, sondern sie fragten nur, ob er sie wohl drei Wochen lang beherbergen könne. Der Vater sagte, das könne wohl geschehen. Unterdes kamen auch die beiden anderen Söhne an; sie erkannten aber Hans auch nicht. Als nun die drei Wochen abgelaufen waren und der Vater immer aus dem Fenster sah, ob Hans noch nicht käme, da stand endlich die Kronprinzessin auf und fragte ihn, ob er seinen Sohn Hans wohl noch kenne. »Gewis kenne ich den noch,« sprach der Vater. »Ist es denn dieser, der hier neben mir steht?« fragte die Kronprinzessin weiter. »Nein,« sagte jener, »das ist er nicht.« Da stand Hans auf und sagte: »Ja Vater, ich bin dein Sohn.« So hatte Hans das Haus zum dritten Male gewonnen, aber jetzt wollte er es nicht haben, sondern schenkte es seinen Brüdern. Seinen Vater nahm [270] er mit nach dem Schlosse, und da lebten sie vergnügt mit einander bis an ihr Ende. Die Brüder aber durften nicht zu ihm kommen.


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 7. Der dumme Hans. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BBC3-9