140. Zwerge.

1.

Auf dem Wege von Benniehausen nach Niedeck kommt man durch die Helle, ein kleines, aber tiefes Thal. Hier haben vor Zeiten Zwerge gewohnt. Oft sind sie von da nach Benniehausen gekommen und haben mit den Menschen Umgang gehabt. Einst haben sie auch aus Benniehausen ein Kind gestohlen und einen Wechselbalg dafür zurückgelassen.

2.

Am Westerberge bei Kleinen-Lengden giebt es Löcher, welche das Volk twarglöcker nennt. In diesen hausten früher »kleine schwarze Menschen«. Sie wurden dort mehrmals an Feuern sitzend und kochend angetroffen. Jetzt sind sie ausgestorben und die meisten Löcher verschüttet. Aber man hörte noch oft ein gewaltiges »Ramenten« im Berge.

3.

Ein Loch in einem Berge bei dem Dorfe Waake wirdMeineckes kâmer genannt; in diesem soll ein Zwerg mit Namen Meinecke gewohnt haben.

4.

Unter dem Hohen-Hagen hatten die Zwerge sonst einen »Haushalt.« Weil sie aber zu viel Unfug machten, wurden sie zuletzt von dort vertrieben.

5.

An der Hünschen borg, einem Berge bei Hardegsen haben früher Zwerge gewohnt. Eine noch lebende Frau sah oft von dem Boden ihres Hauses, wie die Zwerge aus dem Berge hervor kamen. Seit langer Zeit ist er aber »verschlossen«, und die Frau hat nichts mehr von ihnen gesehen. Die Zwerge müssen weggezogen sein. – Einst wurde an diesem Berge ein goldener Haspel gefunden.

6.

Bei Fredelsloh ist der sog. Stapelberg. In denselben führt ein mehrere Fuß breiter und mannshoher natürlicher Erdgang hinein, der sich unter einer ganzen Strecke Landes hinzieht. In diesem Gange sollen ehedem Zwerge gewohnt haben.

7.

In der Nêgenkâmer haben früher auch Zwerge gewohnt, und ein großer Schatz liegt darin. Ungefähr eine Viertelstunde davon bei dem Weißen-Wasser liegt die Zwergmulde (twargmolle). Das ist ein etwa zwanzig Fuß hoher Felsen, der oben eine drei Fuß breite muldenartige Vertiefung bildet. In dieser Mulde sollen die Zwerge ihre Kinder gewiegt haben. – Rings [114] um den Felsen zieht sich eine Erhöhung des Bodens, die Niemand berühren darf, sonst wird ihm der Hals umgedreht.

8.

In dem Berge über der Gipshütte bei Dassel halten sich Zwerge auf; so oft sie kochen, steigt aus dem Loche im Berge der Dampf empor.

9.

Im Kelberge bei Stadtoldendorf ist ein tiefes Loch, aus welchem sonst die Zwerge immer ausguckten. Einst spielten an dieser Stelle fünf Jungen aus einem benachbarten Dorfe und belustigten sich damit über das Loch wiederholt hinüber und herüber zu springen. Da sprang aber einmal einer von ihnen fehl und fiel so in den Berg hinein. Unten aber war es gar schön und »glatt wie in einer Stube«. Der Junge hatte keinen Schaden genommen und suchte nun wieder aus dem Berge herauszukommen. Dieß gelang ihm auch, indem er dem Laufe des Baches folgte, welcher aus dem Berge hervorfließt. Es war dieß derselbe Weg, auf welchem die Zwerge ein und ausgingen. Für diese war er auch hoch genug und ganz bequem, weil sie so klein waren; der Junge aber muste sich ganz krumm machen, kam jedoch glücklich wieder aus dem Berge heraus und ins Freie.

Die Zwerge im Kelberge konnten sich auf die Dauer vor den Menschen nicht behaupten und beschlossen deshalb sich gegenseitig zu tödten. Da erhob sich in dem Berge eine gewaltige Schlacht, und das Blutbad ward so groß, daß drei Tage lang statt des Baches, welcher aus dem Berge herausfließt, ein starker Blutstrom hervorkam.

10.

In der Nähe von Mark-Oldendorf, am Wege nach der Neuen Mühle, befindet sich in dem sog. Steinberge eine Höhle, in welche sonst die Zwerge die von ihnen gestohlenen Kinder brachten. Weil jetzt hier Steine gebrochen werden, so ist die Höhle nur noch ein kleines Loch.

11.

In dem Kloster Amelunxborn sind ebenfalls Zwerge gewesen, die durch einen unterirdischen Gang nach dem Mönchehofe in Einbeck gingen.

12.

In der Nähe von Hattorf liegt, rings vom Walde umschlossen, ein Vorwerk Namens Düne. Der Pächter desselben trieb bedeutende Schweinezucht. Sein Schweinehirt hütete die Schweine stets im Walde; da bemerkte er einst, daß eine der Säue Tage lang fortblieb und nach einiger Zeit ganz fett wurde. Eines Tages ging er der Sau, die wieder fortlief, nach und bemerkte, wie [115] sie in einen nahen Berg ging, worin er früher keine Oeffnung gesehen hatte. Er folgte der Sau in den Berg und sah hier vielen Hafer liegen, um den eine Menge Schweine herumstanden und fraßen; auf der andern Seite saßen viele Zwerge. Als diese den Hirten bemerkten, sagte der eine: »Iliân, hest du de swîne all bîedân?« Die Antwort war: »ja, bet up de einöægige sû nâe.« Da wurden die Schweine in den Stall gesperrt, und bei dieser Gelegenheit lief die Sau des Hirten wieder aus dem Berge heraus. Der Hirt ging ebenfalls hinaus und nahm im Weggehn einen Stein mit. Dann trieb er seine Schweine nach Hause. Am andern Morgen fand er zu seinem großen Erstaunen, daß der Stein gediegenes Gold war, und sprach: »nun will ich wieder hingehn und noch mehr holen.« Als er aber wieder hinkam, war keine Oeffnung mehr zu sehen.

13.

Wenn man an der Innerste aufwärts von Hildesheim nach Marienburg geht, findet man etwa auf der Hälfte des Weges eine Höhle, das sog. Zwergloch. Dort wohnte vor vielen Jahren ein Volk von Zwergen unter einem eigenen Könige. Ein Schäfer erzählte darüber folgendes: Lange vor unserer Zeit hatten die Zwerge in dem Loche ihre Schmiede, wovon es noch heutiges Tages schwarz ist. Die Zwerge schmiedeten aber nichts als Gold und Silber, und wenn sie fleißig arbeiteten, so wuchs von der Hitze unten das Korn oben so, daß es eine Pracht zu sehen war. Auch sagen die Leute, daß bisweilen lauter silberne und goldene Körner in den Aehren gewesen wären. Das glaube ich aber nicht. Nur so viel ist gewis, daß das Korn an dem Hügel nicht mehr so gut wächst wie ehemals, als die Zwerge noch ihre Schmiede unten in dem Loche hatten. Der Magistrat von Hildesheim hat sie vertrieben, weil die Kinder der Zwerge immer in die Erbsenfelder gingen und die grünen Schoten stahlen. Es weiß aber niemand, ob die Zwerge über die Innerste in die neue Welt gegangen sind, oder ob sie sich tiefer in die Erde verkrochen haben. Meiner Mutter Vater ließ es sich nicht nehmen, daß das Loch weit unter der Erde fortgehe, und daß sich die Zwerge noch darin aufhalten. Auch hat er einmal, als er die Schafe hütete, nicht weit von dem Loche ein ganz kleines Weib an der Innerste sitzen sehen, das lauste zwei kleine Kinder, die waren nicht größer als die Wurzelpflanzen da.

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 140. Zwerge. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BFB1-B