Lachende Gespenster
Ein Schauspiel zwischen schwarzen Wänden in einem Aufzuge

Personen

Personen.

    • Friedrich, ein Grossdestillateur.

    • Amalie, seine Ehefrau.

    • Lisette, Amaliens Kammerzofe.

    • Drei Gespenster.

[Stücktext]

FRIEDRICH
ohne sich umzudrehen.
Wer stört mich denn da wieder? Wer ist da?
LISETTE
die hinten mit einer Kerze in der Hand erscheint.
Lisette.
FRIEDRICH.
Das sagt nicht viel. Welche Lisette?
LISETTE.
Die Lisette, die Kammerzofe der gnädigen Frau.
FRIEDRICH.
Was will sie denn?
[230]
LISETTE.

Die gnädige Frau möchte den gnädigen Herrn sprechen, und ich sollte fragen, ob das dem gnädigen Herrn angenehm wäre.

FRIEDRICH.

Angenehm ist mir das ganz und gar nicht – aber lass sie nur kommen – wenns nur nicht zu lange dauert.

AMALIE
in hellblauem Morgenrock.

Friedrich, schämst Du Dich nicht, in Gegenwart des Dienstpersonals in so verächtlicher Weise von mir zu sprechen? Angenehm ist es Dir ganz und gar nicht, wenn Deine Frau zu Dir kommt?

FRIEDRICH.
Schrei blos nicht so!

Er rührt weiter mit seinem Löffel, dreht sich auch im Folgenden nicht um.
AMALIE.
Lisette, holen Sie einen kleinen Spieltisch. Ich werde die Kerze so lange halten.

Lisette ab.
FRIEDRICH.
Willst Du mit mir Karten spielen?
AMALIE.
Nein, ich will die Kerze nicht so lange halten. Ich habe Dir eine Erklärung zu machen.
LISETTE
bringt einen kleinen ziemlich hohen dünnbeinigen Tisch aus Mahagoniholz.
Wo soll ich den Tisch hinstellen?
AMALIE.

Hier! Der Tisch wird hinten links vor die Rückwand gestellt und der Leuchter darauf. Lisette, Sie können gehen. Lisette ab.

FRIEDRICH.
Du willst wohl Tischrücken mit mir spielen und die Geister beschwören.
AMALIE.
Nein, ich will Dir blos ganz grade heraus meine Meinung sagen.
FRIEDRICH.
Ja, ja, rede nur zu!
AMALIE.
Draussen ist Frühling – heller Sonnenschein – blauer Himmel – hellgrün sind die Bäume.
FRIEDRICH.
Das ist immer um diese Jahreszeit da. Nennst Du das: Deine »Meinung« sagen.
AMALIE.
Ha, Du höhnischer Mensch! Schämen solltest Du Dich, Deine arme Frau so gemein zu behandeln.
FRIEDRICH
sehr lebhaft weiter in seinem Topfe herumrührend.
Amalie! Gemahlin! Ich tu Dir doch nichts.
AMALIE.
Wie? Du tust mir nichts?
[231]
FRIEDRICH.
Ich tu Dir Garnichts.
AMALIE.

So? Seit Jahr und Tag sitzest Du hier zwischen Deinen schwarzen Wänden und braust Deine berühmte Tinktur zusammen.

FRIEDRICH.
Zum Heile der Menschheit.
AMALIE.
Was geht mich die Menschheit an?
FRIEDRICH.
Sei nicht so roh! Du weisst, dass ich die Geschichte bald raus habe.
AMALIE.

Mich wirst Du bald raus haben. Ich pack schon meine Sachen und verlasse Dich. Hast Du mich verstanden?

FRIEDRICH.
Meine Tinktur wird die Menschen so klug machen.
AMALIE.

Du bist selber nicht sehr klug. Brau man Deine Tinktur für Dich allein. Ich packe meine Sachen und geh los. Es ist Frühling draussen.

FRIEDRICH.
Meine Tinktur wird die Menschen nicht blos klug – sondern auch schmerzlos machen.
AMALIE
abgehend.
Ich packe einfach ein.
FRIEDRICH
während Amalie nicht mehr da ist.

Hör nur, Amalie! Du musst noch ein bischen Geduld haben. Bald werde ich die Geschichte raus haben – und dann werden die Menschen erlöst werden – von allen Schmerzen. Dann wirst auch Du ganz glücklich sein – und auch ganz klug. Heute bist Du nicht ganz klug – nicht wahr, Amalie? Warum bist Du so still? Denkst Du über den Frühling nach?Ein weisses Gespenst erscheint hinten rechts und geht langsam zum Tisch und löscht das Licht aus. Warum hast Du das Licht ausgelöscht?

ERSTES GESPENST
langsam links nach vorne kommend – mit sehr tiefer Frauenstimme.
Ich will Dir selbst ein Licht sein.
FRIEDRICH.
Aber Amalie, wozu verstellst Du denn so Deine Stimme?
ERSTES GESPENST.
Ein Licht hat immer eine tiefere Stimme.
FRIEDRICH.
Rede – ich höre – ich bin sogar neugierig auf das, was Du mir mit tieferer Stimme zu sagen hast.
ERSTES GESPENST
sich links an der Wand niederkauernd.
Du [232] willst die Menschen alle klug machen, und das geht doch nicht.
FRIEDRICH.
Warum nicht?
ERSTES GESPENST
stets mit sehr tiefer Stimme.
Kein Einfall kann so klug sein, dass er nicht von einem klügeren übertrumpft werden könnte.
FRIEDRICH.

So? Na ja! Und da meint meine Amalie, dass selbst die feinste Klugheit schliesslich auch blos wie eine Dummheit aussehen könnte.

ERSTES GESPENST.

Ganz meine Meinung! Es ist deshalb nicht nötig, die Menschen klüger zu machen, als sie sind. Man könnte ja niemals mehr das Gefühl des Steigens bekommen, wenn alle Menschen gleich hoch stünden. Und das Erhabene gäbs dann auch nicht mehr – und auch nicht mehr das Lächerliche.


Das Gespenst lacht unheimlich.
FRIEDRICH
während das zweite Gespenst hinten rechts erscheint und rechts vor der hinteren Wand stehen bleibt.
Amalie, Du kommst mir so verändert vor.
ERSTES GESPENST.
Vergiss einmal, dass Du Ehemann bist.
FRIEDRICH.
Gerne – ich vergesse.
ERSTES GESPENST.
Du willst nun noch die Schmerzen der Menschheit beseitigen – mit Deiner Tinktur – nicht wahr?
FRIEDRICH.
Ja, das will ich.
ERSTES GESPENST.

Die Schmerzen der Menschheit sind aber blos pure Einbildungssache – sie sind garnicht da – und was nicht da ist, kann man doch nicht beseitigen – nicht wahr?

FRIEDRICH.

Aber Malchen! Woher hast Du denn das? Ja – das könnte man vielleicht ganz gut behaupten und auch verteidigen. Aber die Menschen werdens nicht begreifen.

ZWEITES GESPENST
langsam rechts nach vorne kommend – stets mit sehr hoher greller Frauenstimme.
Wer nicht hören will, muss fühlen.
FRIEDRICH.

Das ist ja wieder eine andere Stimme – das wirkt ja ganz unheimlich; und die hohe Stimme wirkte noch tiefer als die tiefen Schallwunder!

ERSTES GESPENST.

Ich glaube, die Menschen werden noch Dinge [233] begreifen lernen, die noch viel komplizierter als alle Schallwunder sind. Wenn Du unten im Tale stehst, so glaubst Du, dass die Wolken ganz langsam dahinziehen. Aber wenn Du oben auf dem Berge stehst, so merkst Du, dass die Wolken fliegen – wie schnelle Schwalben. Und Du musst lachen, dass Du die Wolken mal für langsam und träge halten wolltest. So ist es auch mit der Entwicklung der Menschen, die doch auch nur Wolken sind.

FRIEDRICH.

Aber sie werdens doch nicht begreifen – so bald noch nicht – sie werden sich eben einbilden, dass sie Schmerzen haben – und das ist so gut, als wären die Schmerzen wirklich da. Sehr schnell und eifrig gestikulierend. Meine Tinktur soll ja eben die Menschen so klug machen, dass sie ihre Schmerzen nicht mehr als Schmerzen empfinden – dass sie sich immerzu ganz wohl fühlen – sich immer zu trösten wissen.

ZWEITES GESPENST.
Es gibt aber schon sehr viele Menschen, die sich immer zu trösten wissen – auch ohne Deine Tinktur.
FRIEDRICH.
So? Gibt es die?
ZWEITES GESPENST
sich mitten an der rechten Wand niederkauernd.

Freilich! Du bist ja schon so lange nicht draussen gewesen – draussen im Sonnenschein! Da draussen gibt es solche Leute scharenweise! Das zweite Gespenst lacht – und das erste Gespenst lacht, wenn das zweite aufgehört hat, ebenfalls – und so lachen sie abwechselnd hinter einander.

FRIEDRICH
nachdem er mit der Hand am Ohr nach beiden Seiten hingehorcht – angstvoll.
Hier lachen ja Zwei!

Es wird ganz still.
ZWEITES GESPENST
doktrinär.

Die Leute draussen haben längst begriffen, dass die sogenannten Schmerzen und Unbequemlichkeiten im menschlichen Leben einfach notwendig sind – notwendig zur Erhaltung des Lebens – denn wo Alles glatt und ewig freudenvoll zugeht – fehlt schliesslich die Sensation – es passiert nichts mehr – und die glücklichsten Menschen fangen langsam an, sich in unbeschreiblicher Weise zu langweilen.

FRIEDRICH.
So? Das Glück ist also langweilig?
[234]
ERSTES GESPENST.
Allerdings!
ZWEITES GESPENST.
Allerdings!
DRITTES GESPENST
das hinten links erscheint.
Allerdings!
FRIEDRICH.
Jetzt sprechen ja Drei! Amalie! Amalie! Wo bist Du?
DRITTES GESPENST
stellt sich in die Mitte der hintern Wand und bleibt da hoch aufgerichtet stehen.

Höre weiter! Unterbrich mich nicht durch Deine Angst. Wir sind lachende Gespenster. Alle drei lachen. Das dritte Gespenst spricht stets mit konventionellem Theater-Pathos.

FRIEDRICH.
Von wo kommt Ihr her?
ERSTES GESPENST.
Aus einer andren Welt.
ZWEITES GESPENST.
Aus einer Welt, in der es ebenfalls immer noch Schmerzen, Unbequemlichkeiten und Dummheiten gibt.
DRITTES GESPENST.

Aus einer Welt, in der man nicht mehr klagt und stöhnt – und nicht mehr Tinkturen braut, um das Leiden zu lindern.

FRIEDRICH.
Soll ich auch das Lachen lernen?
ALLE DREI GEISTER.
Das wäre gut!

Lachen kurz auf.
FRIEDRICH.

Na – meinetwegen! Ich wills versuchen! Möge der Teufel meine Tinktur weiterbrauen! Nimmt den Löffel aus dem Topf und zerbricht ihn, wobei er sich die Finger verbrennt und »Au!« schreit.

ALLE DREI GESPENSTER
zusammen.

Au! Lachen unbändig und sehr lustig, während Friedrich ärgerlich die beiden Löffelstücke rechts und links hinwirft und sich die Finger am Munde kühlt.

DAS DRITTE GESPENST.

Wenn die Gegenwart Alles fertig und vollendet hätte – dann gäbs doch keine Zukunft mehr – und dann wäre doch das höchste Glück – das Hoffnungsglück – ganz undenkbar.

DAS ERSTE GESPENST.
Ganz undenkbar!
DAS ZWEITE GESPENST.
Es gäbe dann keine Hoffnung mehr.
DAS DRITTE GESPENST
sehr laut und schön.
Keine Hoffnung mehr!
[235]
DAS ERSTE GESPENST
dumpf.
Keine Hoffnung mehr!
DAS ZWEITE GESPENST.
Schlag Deinen Kochtopf entzwei.
FRIEDRICH.
Nein, der kann ja in der Küche gebraucht werden.
DAS DRITTE GESPENST.
Kommt her zu mir!

Die beiden andern Gespenster stehen auf und gehen nach hinten.
FRIEDRICH.
Wo seid ihr? Wer hält mir den Kopf fest? Ich will Euch sehen.
DAS ERSTE GESPENST.
Wozu willst Du uns sehen? Glaubst Du, nur das sei da, was Du sehen kannst?
FRIEDRICH.
Nein, ich glaube schon, dass noch mehr da ist.
DAS ZWEITE GESPENST.

Bleib also ruhig sitzen vor Deinem Kochtopf, der in der Küche weiterleben soll. Das klingt so zukunftsvoll. Das klingt so leicht und hoffnungsvoll.

ERSTES GESPENST.
Sei lustig, alter Friedrich! Die Schmerzen sind ja garnicht da.
ZWEITES GESPENST.
Wer wird denn noch an eine Wirklichkeit glauben!
ERSTES GESPENST.
Das ist ja ungebildet!
ZWEITES GESPENST.
Auch die Schmerzen haben keine Wirklichkeit!
DRITTES GESPENST
laut und schön.
Wenn nur die Hoffnung bleibt!
ALLE DREI GESPENSTER.
Wenn nur die Hoffnung bleibt!
DAS DRITTE GESPENST.

Draussen ist es grün Alle drei umschlingen sich. und das Grün ist die Farbe der Hoffnung. Und wenn die Hoffnung nicht wär –

ALLE DREI ZUSAMMEN.
Dann wär Alles aus!
DRITTES GESPENST.

Aber die Hoffnung ist da und bleibt da – sie ist unsre einzige Wirklichkeit – und darum geht Alles immer weiter – immer weiter!

ALLE DREI GESPENSTER
zusammen, während sie versinken.
Heiter – weiter!
AMALIE
hinten links im Reisekostüm.
Warum hast Du denn die Kerze ausgepustet?
FRIEDRICH.
Bist Du da hinten, Amalie?
[236]
AMALIE.

Gewiss doch! Wer soll denn sonst hier sein? Aber hier ist ja wieder Alles finster. Ich will Dir blos noch Adieu sagen, Nach links. Lisette, bringen Sie die Küchenlampe.

FRIEDRICH.
Was soll denn die Küchenlampe hier?
AMALIE.
Ich will Dich doch noch ein Mal sehen.
LISETTE
mit der Lampe, die sie auf den kleinen Tisch stellt.
Hier ist die Küchenlampe.
FRIEDRICH
steht schnell auf und sieht die Beiden gross an – dann befehlshaberisch.
Lisette, nehmen Sie den Kochtopf auf, der da steht, und verwenden Sie ihn in der Küche.
AMALIE
schlägt die Hände überm Kopf zusammen.
Was ist denn nur los?
LISETTE
hebt den Kochtopf mit Taschentuch und Schürze auf.
Der ist aber heiss!
AMALIE.
Mann! Friedrich!
FRIEDRICH.
Malchen, ich werde Dich begleiten; Du sollst nicht alleine fahren.
LISETTE
lässt den Kochtopf fallen, Amalie und Friedrich fallen sich in die Arme.
Dieser alte Topf! Sich die Finger am Munde kühlend.
FRIEDRICH.
Warst Du vorhin nicht hier?
AMALIE.
Natürlich!
FRIEDRICH.

Komm raus! Komm raus! Beide nach hinten links Arm in Arm ab, während die Lisette die blaue Spiritusflamme knieend auspustet.


Vorhang!
[237]

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TextGrid Repository (2012). Scheerbart, Paul. Drama. Revolutionäre Theaterbibliothek. Band VI. Lachende Gespenster. Lachende Gespenster. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C096-2