Der Herr vom Jenseits
Eine Gartenkomödie

Personen

Personen.

    • Arabella, eine vornehme junge Dame der besseren Gesellschaft.

    • Ko-Bo-So, ein gewandter junger Mann aus unbekannter Gegend.

    • Christine, Arabellas steinreiche Erbtante.

[Stücktext]

ARABELLA
liest auf einer Gartenbank in einem Buch und blickt plötzlich nach oben.

Ah!

KO-BO-SO oben in der Gondel eines Luftballons, der ganz langsam herunterkommt. Erschrecken Sie nicht, meine Gnädigste! Ich bin der Herr vom Jenseits. Mein Name ist Ko-Bo-So. Er zieht seinen Zylinder.

ARABELLA.

So! So! Also – Ko-Bo-So, nicht wahr?Er nickt. Ich – heisse – Arabella.

KO-BO-SO. Ha! Ha! Also A-Ra-Bel-La, nicht wahr? Sie nickt. Könnten Sie mir da nicht sagen, meine Gnädigste, ob ich hier richtig den Stern Erde vor mir habe?

ARABELLA
einfach.
Ja, mein Herr!
KO-BO-SO. Das freut mich. Ich komme nämlich direkt aus dem Jenseits.
ARABELLA.
Oh, Sie scherzen! Darf ich Ihnen behilflich sein?

Sie ergreift ein herunterhängendes Tau und zieht daran.

KO-BO-SO. Sie sind furchtbar liebenswürdig, meine Gnädigste! Aber ich scherze durchaus nicht – ich komme wirklich direkt aus dem Jenseits.

ARABELLA
staunend.
Aber!
[106]

KO-BO-SO während die Gondel den Erdboden berührt und oben ein keines Stück vom Luftballon sichtbar wird. Es geht Alles ganz natürlich zu. Ich hatte im Jenseits, wo ich natürlich als veritabler Geist lebte, sehr viel Lustiges vom Stern Erde gehört. Und da beschloss ich, mich so zu materialisieren, dass mein Erscheinen auf dem Stern Erde ganz zwanglos zur Tatsache werden könnte. Und es gelang mir, mich – so zu materialisieren. Und –Während er die Korbtüre öffnet und hindurchschreitet. und – da bin ich! Ko-Bo-So!


Nimmt den Zylinder ab, stellt ihn auf einen Baumstumpf und beginnt, sich die Handschuhe auszuziehen.
ARABELLA.
Ih – bleibt die Gondel am Erdboden haften?
KO-BO-SO. Ja, es sind Heftzwicken am Boden der Gondel – die funktionieren von selbst.
ARABELLA.
Oh – darf ich bitten, Platz zu nehmen?
KO-BO-SO. Sehr liebenswürdig! Danke sehr!

Setzt sich auf einen Gartenstuhl, während sich die Arabella wieder auf die Bank setzt.
ARABELLA.

Verzeihen Sie, dass ich Ihren Worten nicht gleich vollen Glauben schenkte. Aber – es kam mir so unerwartet. Wir erleben heutzutage so viele Wunder, die schliesslich doch keine sind, dass Sie mir mein Misstrauen nicht weiter übelnehmen dürfen.

KO-BO-SO. Oh! Wer wird denn einer modernen Dame etwas übelnehmen! Ich bin doch kein Barbar – ich bin doch der Herr vom Jenseits.

ARABELLA.

Aber – ich brenne ja vor Neugierde. Bitte, erzählen Sie mir umständlicher. Sie waren im Jenseits ein Geist? Wo liegt denn das Jenseits!

KO-BO-SO mit dem rechten Daumen nach oben weisend. Da oben hinter der Unendlichkeit.

ARABELLA.

Herr Ko-Bo-So, diese Bemerkung ist aber blos ein Scherz!

KO-BO-SO. Bitte – es ist eine symbolische Ausdrucksweise. Nur Exteriör – Scherz! Sie verstehen schon. Ich sehe, Sie sind sehr gebildet.

[107]
ARABELLA.

Sie schmeicheln mir. Doch Sie müssen jetzt erzählen. Eine so interessante Bekanntschaft –

KO-BO-SO. Oh – jetzt schmeicheln Sie. Doch ich will gleich erzählen – so gut ich kann. Leider muss ich vorausschicken, dass mir öfters – sehr oft – die Worte fehlen werden, mit denen ich Ihnen verständlich werden kann.

ARABELLA.

Das erscheint mir bei diesem Thema ganz selbstverständlich. Fangen Sie nur an – ich bitte Sie – ich kanns garnicht mehr erwarten.

KO-BO-SO. Das kann ich mir denken. Ja! Ja! Das Leben im Jenseits muss für Sie, meine Gnädigste, sehr viel Anziehungskraft besitzen.

ARABELLA.

Warum?

KO-BO-SO. Aus verschiedenen Gründen. Zunächst: ich sagte, das Jenseits wäre oben hinter der Unendlichkeit. Damit wollte ich sagen, dass in meinem Jenseits gar kein Ding war, das den irdischen Begriffen vom unendlichen Raume gleich käme. Schwer verständlich zu machen! Die Worte fehlen – aber Sie werden ahnen! Sie nickt langsam. In diesem Raume, in dem Sie, meine Gnädigste, zu leben belieben, stossen die einzelnen Stücke – wie Sterne, Damen, Herren, Felsen und Verwandte sehr heftig auf einander, wenn sie sich treffen. Und diese Stösse ruinieren die gute Laune. Demzufolge gibt es im Diesseits Feindschaft, Hass, Hader, Zank, Grillen und Verrücktigkeiten – während alle diese Dinge im Jenseits naturgemäss zur Unmöglichkeit gehören. Sie verstehen wohl: man kann sich da partout nicht stossen.

ARABELLA.
Ich ahne.
KO-BO-SO. Merken Sie schon den Unterschied zwischen Diesseits und Jenseits?
ARABELLA.
Freilich!
KO-BO-SO. Sie leiden hier unter Hass, Neid, Bosheit – nicht wahr?
ARABELLA.
Ich wohne bei einer alten Tante.
KO-BO-SO. Wie alt ist die Tante?
ARABELLA.
Zwei und fünfzig Jahre.
[108]
KO-BO-SO. Und Sie stehen nicht gut mit ihr – nicht wahr? Sie stossen sich oft.
ARABELLA.
Ja! Es ist entsetzlich.
KO-BO-SO. Sie ist reich – nicht?
ARABELLA.

Sehr – sehr reich. So weit Sie hier sehen können – ihr gehört Alles – zehn Equipagen hat sie – und mich –

KO-BO-SO. Ha! Was tut sie Ihnen? Sind Sie ihre einzige Erbin?

ARABELLA.

Ja – noch bin ichs. Aber die Tyrannei, die ich hier zu erdulden habe, ist so entsetzlich, dass ich ihr bei der ersten besten Gelegenheit den ganzen Equipagen- und Gartenbettel vor die Füsse werfen könnte.

KO-BO-SO. Sehr interessant.

ARABELLA.

Das finden Sie interessant?

KO-BO-SO. Nun ja – weil's für mich was Neues ist. Im Jenseits hab ich doch derartig harte Stossung nicht kennen gelernt. Tyrannei! Du liebes Jenseits! Son Wort wie Tyrannei kannte man da garnicht. Solche und ähnliche Dinge habe ich erst nach meiner Materialisation kennen gelernt. Stellen Sie sich blos vor: nicht blos mich selbst habe ich materialisiert – auch den Luftballon da oben.

ARABELLA.

Mein Herr, jetzt sprechen Sie wieder so, dass ich Sie beinahe für einen philosophischen Schwerenöter halten könnte.

KO-BO-SO. Können Sie auch. Aber Sie dürfen nicht glauben, dass die Geschichte mit dem Luftballon eine Aufschneiderei ist. Wenn Sie schon daran glauben, dass ich mich selbst in Gehrock, Lackschuhe, Zylinder und Glaceehandschuhe hineinmaterialisierte – so kann es Ihnen doch nur natürlich erscheinen, dass ich mir auch einen Luftballon dazu materialisierte.

ARABELLA.

Haben Sie sich auch ein paar Millionen dazumaterialisiert?

KO-BO-SO. Leider nein! Glauben Sie, dass ich die auf der Erde nötig habe? Ich dachte, ich würde mit meinem Witze auskommen.

ARABELLA.

Der Witz wird heutzutage schlecht bezahlt – die [109] Leute sind zu dumm geworden; man wird Sie sehr oft nicht verstehen. Und was man nicht versteht – das nennt man jetzt langweilig und schiebt es an die Seite. Mich schiebt man auch so. Wir können uns die Hand reichen.


Sie tuts; er küsst dabei ihre Hand.

KO-BO-SO. Das ist allerdings fatal. Vom Jenseits aus habe ich wohl das Diesseits etwas kennen gelernt – aber doch nicht genauer. Dass die Bedeutung des Geldes so gewachsen sein könnte – konnte ich mir garnicht denken. Früher vor fünfzig oder hundert Jahren war das doch noch nicht so arg.

ARABELLA.

So schlimm wars wohl nicht – man ist damals wohl auch bescheidener im Essen und Trinken gewesen. Pardon!


Sie reicht ihm in einer Düte Weintrauben, die er im Folgenden mit ihr zusammen langsam verspeist.

KO-BO-SO. Sehr liebenswürdig! Meinen verbindlichsten Dank! Sie sind ein Engel.
ARABELLA.
Oho! Sie wollen mich wohl ins Jenseits materialisieren.
KO-BO-SO. Die Idee wäre garnicht so übel.
ARABELLA.
Könnten Sie das auch?
KO-BO-SO. Ja – aber nur in höheren Luftschichten.
ARABELLA.
Warum denn blos da?
KO-BO-SO. Der elektrischen Spannungen wegen.
ARABELLA.

Ach so.

KO-BO-SO. Die Weintrauben schmecken übrigens ausgezeichnet. Stellen Sie sich nur vor: alle diese Ess- und Trinkvergnügen sind im Jenseits gänzlich unbekannt.

ARABELLA.

Ach! Aber das muss ja herrlich sein; dann braucht man da doch nichts; Geld und Sorgen müssen also auch ganz unbekannt sein – da drüben.

KO-BO-SO. Ja – Ihnen erscheint nun wieder die Geld- und Sorgenlosigkeit sehr interessant. Mir er scheint dagegen sehr interessant – die Geld- und Sorgenverhältnisse näher kennen zu lernen.

ARABELLA.
Aber warum haben Sie sich da keine Millionen mitgebracht?
[110]
KO-BO-SO. Dann hätte ich doch die Sorgen nicht kennen gelernt.
ARABELLA.

Wissen Sie – Sie sind schrecklich – Sie haben immer Recht – und kommen nie in Verlegenheit.

KO-BO-SO. Ich fürchte, das könnte mein Unglück sein – denn auf die Art könnte ich vielleicht die Sorgen doch nicht kennen lernen.

ARABELLA.
Na – ja! Wenn Sie nur gehörig leichtsinnig sind, so werden Sie die Sorgen schon kennen lernen.
KO-BO-SO. Meinen Sie?
ARABELLA.

In der Tat.

KO-BO-SO. Sehen Sie nur: Ihnen kann meine Schwärmerei für die Sorgen und für die verschiedenen Arten von Unbequemlichkeiten und Schmerzen sehr komisch vorkommen. Sie lächeln. Sie lächeln über mich.

ARABELLA.

Das ist aber auch sehr komisch.

KO-BO-SO. Nu ja! Aber stellen Sie sich mal vor: ich lebte ein paar Jahrtausende im Jenseits ohne jede Spur von Schmerzen – ohne Aufregungen – ohne Furchtempfindungen – ohne Entsetzliches – kurz um: ohne alle Ereignisse! So effektlos, wie wir hier sitzen, so effektlos sass ich da drüben. Es war keine Dramatik drin. Glauben Sie, solche Menge von schönen Tagen könnte einem Herrn vom Jenseits nicht fürchterlich langweilig werden?

ARABELLA.
Was wohl meine Tante dazu sagen würde!
KO-BO-SO. Wie heisst sie?
ARABELLA.
Christine.
KO-BO-SO. Kommt sie hierher – um diese Zeit?
ARABELLA.
Ja – bald.

Es donnert leise in der Ferne.

KO-BO-SO. Es donnerte.
ARABELLA.
Allerdings.
KO-BO-SO. Wenn die Tante kommt, pflegt es wohl immer in der Ferne zu donnern.
ARABELLA.

Immer nicht.

KO-BO-SO. Na – das ist man gut. Aber wenn Ihnen die Tante so unausstehlich ist, so wärs für Sie doch viel besser, wenn Sie [111] sich ihr entzögen.


Er steht auf.
ARABELLA.
Sie meinen: wenn ich ins Jenseits .... ...

Sie steht auch auf.

KO-BO-SO. Ja – das meine ich. Sie sollten ins Jenseits – schon ihrer Gesundheit wegen. Das Jenseits ist für Sie was Andres; es hat noch eine ganze Reihe weitrer Vorzüge.

ARABELLA.
Ich sehne mich fort – Sie könnens mir glauben.
KO-BO-SO. Ich glaubs Ihnen unter allen Umständen. Ihre Tante muss ja der wahre Satan sein.

Er bürstet seinen Zylinder mit dem Rockärmel längere Zeit.
ARABELLA.

Sie glauben nicht – wie sie mich tyrannisiert.

KO-BO-SO. Das ist ja immer so mit diesen alten Erbtanten. Ueberlassen Sie – diese alte – Christine – ihrem Schicksal, steigen Sie in meine Gondel und fahren Sie mit mir ins Gewitter. Es donnert wieder. Hören Sie nur: man ruft uns schon! In den Gewitterwolken befinden sich die besten elektrischen Spannungen; da kann ich Sie bequem ins Jenseits hineinmaterialisieren – ganz wie Sie zu sagen beliebten.

ARABELLA.
Und fahren Sie dann wieder hinunter?
KO-BO-SO. Ohne Zweifel. Sie finden im Jenseits meinesgleichen haufenweise.
ARABELLA.
Ist die Materialisierung schmerzhaft?
KO-BO-SO. Ein Vergnügen ist es.
ARABELLA.

Giebts im Jenseits auch Männer und Frauen?

KO-BO-SO seinen Zylinder aufsetzend – lachend. Die Frage ist ja zum Wälzen komisch. Nein, meine Gnädigste, mit Kindereien gibt man sich im Jenseits nicht mehr ab; da sind die alten lächerlichen Liebesgeschichten vollkommen unmöglich. Ich sehe es Ihnen an, liebe Arabella, dass die Liebe Ihnen eine höchst geschmacklose – wenn nicht gar – eine – ekelhafte – Angelegenheit ist.

ARABELLA.

Da haben Sie durchaus das Richtige getroffen. Ich habe eine grenzenlose Abneigung gegen all die Aufdringlichkeit und ...

KO-BO-SO. Steigen Sie in meinen Kasten – wollte sagen: Korb – [112] Sie sind für das Jenseits reif. Er öffnet die Korbtür. Bitte, bitte schnell! Sonst kommt noch die alte dammliche Tante Christine und bringt Sie von Ihrem Entschlusse ab. Es donnert ziemlich stark zum dritten Male.

ARABELLA
ihren Hut aufsetzend und einsteigend.

Aber ich habe ja keinen Regenschirm.

KO-BO-SO den Korb schliessend – rauh. Ach, machen Sie sich doch nicht! Wozu brauchen Sie im Jenseits einen Regenschirm? Glauben Sie, im Jenseits regnets auch?

ARABELLA.
Nein! Nein! Entschuldigen Sie nur! Aber steigen Sie nicht auch in den Korb?
KO-BO-SO. Ich muss hier erst ein paar beschädigte Stellen ausflicken.

Tut es im Folgenden mit ein paar Stricken umständlichst.
ARABELLA.

Kann man denn vom Jenseits aus noch auf die Erde sehen und hier Alles verfolgen?

KO-BO-SO. Natürlich kann man das – sonst könnte ich doch nicht so genau mit den irdischen Verhältnissen vertraut sein. Doch Sie werden das Hinunterkucken bald dick bekommen, denn das Jenseits bietet Ihnen so viel neue grossartige Vergnügungen, dass Sie mindestens tausend Jahre an andre Weltformen nicht denken werden.

ARABELLA.

O bitte – erzählen Sie! Womit amüsiert man sich denn da?

KO-BO-SO. Ja – das ist nicht leicht mit irdischen Worten wiederzugeben. Wie soll ich Ihnen das schildern? Wenn ich das Leben im Jenseits mit dem Traumleben im Diesseits vergleichen wollte, so würde das ganz falsche Vorstellungen erzeugen. Sie leben drüben zuweilen mit tausend andern Geschöpfen so zusammen, dass keine Ihrer Handlungen selbständig ist. Und das ist grade ein sehr feines Vergnügen. Können Sie sich dieses Sklavenideal vorstellen?

ARABELLA.

Na – so ungefähr. Doch es fällt mir sehr schwer.

KO-BO-SO. Und dann sind eigentlich sämtliche Tätigkeiten da drüben – nur veritable Vergnügungen. Sie können überhaupt überzeugt sein, dass dort Alles schlankweg ideal ist. Kein Aerger! [113] Keine Tyrannei! Keine Feindschaft! Keine Erbschaft! Kein Geld! Keine Dammlichkeit! Keine Krankheit! Jawohl! Jawohl! – Und dazu immerzu ein entzückendes Gefühl, von dem das ganze Wesen stets so fein durchlebt wird – wie – wie – ja – die Vergleiche fehlen mir eben. Er unterbricht im Folgenden öfters seine Arbeit und späht scharf nach allen Seiten aus. Ich bitte Sie! Bedenken Sie nur: Verwandlungen gibts da täglich schockweise – ohne Mühe und Gefahr. Sie können plötzlich der werden, der vor Ihnen steht. Figürlich gesagt! Natürlich – nur figürlich – denn vom Stehen kann ja im Jenseits aus Raummangel garkeine Rede sein. Sie können drüben Ihre Persönlichkeit auch mal in tausend Stücke teilen, alle selbständig machen – oder auch nicht – beliebig wieder zusammenziehen und auch trennen. Es ist unbeschreiblich, liebe Arabella. Die Persönlichkeit wird da viel komplizierter. Ach ja! Und dann kann man in jedem Augenblick gleich das Gegenteil sein von dem – was man war kurz vorher. Man kann auch bleiben, was man ist. Dem Absonderlichen sind keine Schranken gesetzt. Alles schwer zu erklären, da die Jenseitsworte nicht ins Deutsche zu übersetzen sind. Die Menschen sind ja schliesslich auch Geister – aber – was für welche! So unvollkommene Geister sind in der ganzen Welt sehr selten. Die Arabella blickt eifrig nach oben in die Wolken. Die Menschen täuschen sich was vor, wenn sie glauben, ihr bischen Leben wäre zuweilen ein Vergnügen. Das irdische Leben ist eben alles Andre eher – blos kein Vergnügen. Ich will ja nur kurze Zeit hier bleiben, um mal eine Abwechslung zu haben. Aber wenn ich mich hier als Mensch über Farben und Formen, Grillen und Pillen genug geärgert habe, dann komm ich wieder ins Jenseits und amüsiere mich wieder in Jenseitsmanier. Wiederholen muss ich Ihnen allerdings in allem Ernst: wenn Sie sich drüben tausend Jahre ohne Unterlass amüsieret haben, so wird Ihnen auch das Jenseits so langweilig – wie ein Stall ohne Vieh. Entschuldigen Sie die schlechten Vergleiche – es ist eben Alles ein bischen unvollkommen – meine Gondel auch! Ich muss Sie jetzt mal erst probeweise höher steigen lassen. Nimmt einen Sack Ballast vom [114] Korbrande ab, und der Ballon mit der Gondel erhebt sich – ganz langsam.

ARABELLA.

Aber – Herr Ko-Bo-So, wie wollen Sie denn in den Korb kommen?

KO-SO-BO. Ich halte ja den Ballon am Tau fest. Seien Sie doch nicht so ängstlich. Es ist ja Windstille.

ARABELLA.

Aber ich ängstige mich hier allein – furchtbar. Bedenken Sie das Gewitter.

KO-BO-SO. Die Angst müssen Sie sich abgewöhnen – sonst werden Sie niemals ins Jenseits hineingelangen.


Der Ballon steigt höher.
ARABELLA.

Herr Ko-Bo-So! Hilfe! Lassen Sie mich runter! Ich will sofort runter!

KO-BO-SO. Wenn Sie so ungezogen schreien, so fällt es mir garnicht ein, Sie auf Ihrer Reise ins Jenseits zu begleiten. Es donnert wieder. Fahren Sie allein. Materialisieren Sie sich auch allein. Verfahren Sie ganz selbständig. Ich behindere Ihre Freiheit nicht im Mindesten. Ich werde währenddem Ihre Tante veranlassen, Sie zu enterben.

ARABELLA.

Sie sind ein Schwindler. Ich springe raus.

KO-BO-SO. Springen Sie lieber ins Jenseits. Rufen Sie, wenns donnert, in die Donnerwolken hinein: Hokus pokus fidibus! Das hilft. Dann werden Sie gleich verwandelt werden. Ich lasse mich von Ihrer Tante als Neffe adoptieren. Das ist auch eine Verwandlung. So ist uns Beiden geholfen. Ich danke Ihnen.

ARABELLA.

Jetzt sage ich Ihnen zum letzten Male gutmütig: Lassen Sie mich sofort runter, sonst rufe ich Hilfe. Sie sind in meinen Augen ein ganz gemeingefährlicher Mensch – Sie sind ein philosophischer Räuberhauptmann! Verstehen Sie mich?

KO-BO-SO. Ich verstehe Ihre schamlose Schimpferei ganz gut und werde mich hüten, mit Ihnen zusammen zu fahren. Ich danke für Ihre Gesellschaft. Beleidigen lasse ich mich nicht. Adieu Sie! Er schwenkt das Tau, sodass oben vom Korbrande zwei Ballastsäcke abgerissen werden und runterfallen. Gleichzeitig schneidet er das untere Ende des Taus ab – und der Korb verschwindet nun im Folgenden oben.

[115]
ARABELLA.
Hilfe! Hilfe! Hilfe! Räuber! Diebe! Hilfe!

Ihre Stimme verhallt und wird undeutlich, Ko-Bo-So blickt lachend nach oben, schwenkt zum Abschiede Tau und Zylinder, blickt sich dann plötzlich um und rauft sich die fein frisierten Haare, wirft den Zylinder an die Erde und ringt die Arme und schlägt mit dem Tau wütend nach allen Seiten.
CHRISTINE
erscheint hinten – ganz erschrocken – mit erhobenen Armen.
Mein Herr! Mein Herr! Was machen Sie denn da?
KO-BO-SO. Gnädigste! Ihr Fräulein Nichte! Da oben in den Wolken!

Es donnert heftig.
CHRISTINE.

Meine Nichte Arabella ist in dem Luftballon?

KO-BO-SO. Sie ist, meine Gnädigste, setzen sie sichSie tuts. – sie ist entführt – von einem gewissenlosen Offizier.

CHRISTINE.
Himmel! Diese Arabella! Oh, dieses verworfene Geschöpf!

Jammert.

KO-BO-SO. Ich habe mit dem Entführer gerungen wie ein Löwe und hielt die Gondel schliesslich an diesem Tau fest, und das hat der gewissenlose Offizier hier abgeschnitten. Und dann schrie die Arabella immerfort zum Scheine Hilfe – und dabei lachten sie mich beide aus.

CHRISTINE.
Das ist ja unerhört! Das ist ja eine Gemeinheit! Wie heissen Sie?
KO-BO-SO. Mein Name ist: Graf Ko-Bo-So.
CHRISTINE.
So! so! Graf Ko-Bo-So?
KO-BO-SO. Graf Ko-Bo-So.
CHRISTINE.

Ich danke Ihnen, lieber Freund, für Ihre Bemühungen aufs Herzlichste. Reicht ihm die Hand, die er küsst. Sie müssen Ihre Toilette in Ordnung bringen und mir danach die Ehre geben, an meinem Abendessen teilzunehmen.

KO-BO-SO. Heissen Dank! Aber – werden Sie Ihre Nichte enterben?

CHRISTINE.
Selbstverständlich – sofort.
KO-BO-SO. Dann stehen Sie aber ganz allein in der Welt da.
CHRISTINE.
Leider! Leider!
[116]
KO-BO-SO. Oh! Wenn ich sprechen dürfte!
CHRISTINE.
Bitte – bitte, Herr Graf, sprechen Sie doch!
KO-BO-SO. Wollen Sie mich nicht – an Stelle – Ihrer Nichte – adoptieren – als – Neffen?
CHRISTINE
aufstehend.
Nicht als Neffen – als – als – als – als Gemahl!
KO-BO-SO starker Blitz, Ko-Bo-So breitet die Arme auseinander. Christine!
CHRISTINE.
Ko-Bo-So! Sie fallen sich weinend um den Hals.

– – – – – – –


Langsam kommt der Vorhang herunter, während es nochmals donnert und blitzt und Ko-Bo-So der alten Tante zu Füssen fällt und schwärmerisch den Saum ihres seidenen Gewandes küsst.
[117]

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TextGrid Repository (2012). Scheerbart, Paul. Drama. Revolutionäre Theaterbibliothek. Band II. Der Herr vom Jenseits. Der Herr vom Jenseits. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C10C-3